Kitabı oku: «Johannes Schaller – eine andere Biografie», sayfa 2
»Bei der Bahn machen sie jetzt eine Klasse für Gleisbau auf. Da kann er sogar sein Abitur machen. Ich werde ihn dort anmelden. Die haben dort auch ein Internat. Vielleicht kann ich ihn für diese Zeit dort unterbringen.«
»Gleisbau? Bei Wind und Wetter auf der Strecke?«, entgegnete meine Mutter besorgt.
»Ha«, begehrte mein Vater auf, »hast du eine Ahnung. Eines Tages werden Gleise ohne Höhenunterschiede von hier bis runter an das Schwarze Meer gebaut. Die Züge werden über 300 Kilometer pro Stunde fahren. Da kann er mitmachen.«
»Hör auf, dem Jungen solche Flöhe ins Ohr zu setzen. Vielleicht erzählst du ihm noch, er könne zu den Sternen fliegen.«
»Warum nicht? Die Russen schicken doch schon ihre Raketen zum Mond. Ihren Gagarin haben sie schon rund um die Erde kreisen lassen.«
Von diesem Tage an wartete ich auf die Veränderung, wartete darauf, dass der Sommer vorüberging und ich meine Lehre beginnen würde. Meine Schulzeit, mein Fußballspielen würde zu Ende sein, es würde anderes auf mich zukommen. Ich begriff, dass meine letzten Jahre in der Schule, mein Fußballspielen eigentlich nur eine Flucht aus der Enge unseres Wohnens, der Ziellosigkeit einer Alltäglichkeit war. Die Unbekümmertheit, mit der ich jeden Tag angegangen war, fiel von mir ab wie die Schale einer reifen Kastanie.
Es war an einem Sonntagnachmittag zwei Wochen später. Ich saß an einer Ecke des Küchentisches, hatte mir die alte Schreibtischlampe herangezogen, knobelte an Mathematikaufgaben für die Abschlussprüfung. Auf der anderen Seite des Tisches bügelte meine Mutter Taschentücher. Es klingelte an der Wohnungstür. Meine Mutter und ich hoben gleichzeitig den Kopf, verwundert, wer an diesem Sonntag zu uns kam. »Vielleicht ist es Barbara?«
»Warte, ich gehe«, sagte ich zu meiner Mutter, erhob mich von meinem Stuhl, zwängte mich an ihr vorbei, öffnete. Grasshof stand vor der Tür.
»Oh«, entfuhr es mir.
»Ist deine Mutter da?«
»Ja«, rief ich in die Küche hinüber, »Mama, Herr Grasshof ist hier. Er will dich sprechen.«
Meine Mutter erschien im Rahmen der Küchentür, musterte Grasshof neugierig.
»Kann ich reinkommen?«
Meine Mutter nickte, ging vor Grasshof in die Küche, räumte das Bügeleisen und die Bügeldecke zur Seite, bot ihm ihren Küchenstuhl an.
»Frau Schaller, Edgar und ich wir spielen in einer Fußballmannschaft. Er hat sich während des Spiels heute den Arm gebrochen. Er ist jetzt im Krankenhaus. Ich bin mit dem Krankenwagen mitgefahren und bin dann gleich hierhergekommen.«
»Mein Gott«, meine Mutter, zog den Waschhocker unter dem Küchentisch hervor, setzte sich, schlug die Hände vors Gesicht, »ist es schlimm?«
»Im Krankenhaus kriegen die das schon wieder hin.« Grasshof schob meiner Mutter einen Zettel zu. »Er liegt in der Chirurgie, Zimmer 211.«
Grasshof ging wieder. Meine Mutter lief ins Schafzimmer, holte ihr Kostüm aus dem Kleiderschrank, fuhr mich an: »Beeil dich, du kommst mit.« Unten auf der Straße sagte sie:« Du gehst jetzt zu Barbara, sagst, was passiert ist. Ich gehe schon los.«
Es dauerte, ehe Barbara ihre Wohnungstür öffnete. Sie sah verschlafen aus, gähnte, blickte mich missgelaunt an: »Ist was passiert?«
»Ja, Edgar hat sich den Arm gebrochen, liegt im Krankenhaus.«
Barbara war sofort hellwach. Das Blut wich ihr aus dem Gesicht und sie begann zu heulen. Julie, ihre Tochter, klammerte sich an ihr Bein, begann ebenfalls zu heulen. Barbara rannte in ihr Wohnzimmer, zog sich an, warf den Mantel über, setzte Julie auf die Flurgarderobe, zog ihr die Jacke an, schnürte ihr hastig die Schuhe zu.
Barbara konnte es nicht erwarten, aus der Straßenbahn zu steigen, schaute immer wieder ungeduldig in Richtung des Fahrers, wollte, ohne nach rechts und links zu gucken, die Fahrbahn überqueren. Ich riss sie am Arm zurück, als ein Auto angefahren kam. Auf der anderen Straßenseite wunderte ich mich, wie Barbara in ihrer Körperfülle so schnell gehen konnte. Manchmal machte sie eilige Schritte, rannte ein Stück, zog Julie hinter sich her, schimpfte mit ihr: »Trödele nicht so.« Vor dem Treppenaufgang zu den Krankenstationen hielt sie inne, rang nach Luft.
»Geh vorneweg«, sagte ich, nahm Julie auf den Arm.
Als ich ins Zimmer trat, hatte Barbara ihren Kopf in die rechte Schulter meines Bruders vergraben, schluchzte. Ich ging mit Julie näher an das Krankenbett heran. Barbara hob den Kopf, setzte Julie neben die Brust ihres Vaters.
»Papi, bist du krank?«, fragte Julie, betrachtete neugierig den eingegipsten Arm, der in einer Schlinge am Krankenbettgalgen hing.
»Wird schon alles wieder gut«, tätschelte mein Bruder zärtlich den Kopf seiner Tochter.
Meine Mutter und Barbara standen vor dem Bett, wischten sich mit ihren Taschentüchern die Augen trocken.
»Woher wisst ihr überhaupt, dass ich hier bin?«
»Ein Herr Grasshof war bei uns. Er ist mit dir hier ins Krankenhaus gefahren«, sagte mein Mutter.
»Aha, Grasshof. Er ist ein feiner Kerl.«
»Grasshof spielt mit in deiner Mannschaft?«, fragte ich neugierig.
»Er ist unser Rechtsaußen. Der Kerl ist schnell und hat ganz schöne Kraft in den Fußgelenken. Aber«, grinste mein Bruder, »manchmal ist er schneller als der Ball.«
»Der scheucht uns ganz schön.«
»Grasshof will jetzt Fußballtrainer werden. Er ist seit letztem Jahr geschieden. Zu Hause fällt ihm die Decke auf den Kopf. Und er ist wieder auf Brautschau.«
Es war ein trüber Regentag. Noch am Morgen schien die Sonne zwischen den Wolken, doch gegen Mittag überzog sich der Himmel mit einem undurchdringlichen Grau. Wir trainierten trotzdem. Auch Marion war da. Sie stand, eingehüllt in ein durchsichtiges, grün schimmerndes Regencape, hatte eine Kapuze über den Kopf gezogen.
Nach der Übungsstunde stand sie mit dem Regencape und der Kapuze vor dem Eingang zu unseren Umkleidekabinen. Ich ging auf sie zu, zog ihr die Kapuze vom Kopf, holte das Handtuch aus meiner Sporttasche, rieb zärtlich ihr Gesicht trocken. Marion hielt mir ihr Gesicht entgegen, sah mich aus ihren Augen warm und dankbar an. Ich konnte nicht anders, als sie zu umarmen, mein Gesicht an das ihre zu legen. Es fiel mir schwer mich aus der Wärme zu lösen, die von ihrer Haut kam. »Gehen wir.« Ein wenig verlegen blickte sich Marion um, ob uns jemand beobachtet hatte. Ich legte meinen Arm um ihre Schultern und wir gingen aneinander gelehnt zur Straße.
Der Regen wurde stärker. Marion zog wieder ihre Kapuze auf. Wir flüchteten in einen Hauseingang.
»Wohin gehen wir jetzt?« Ratlos sah Marion den Passanten nach, die unter Regenschirmen an uns vorübereilten.
»Da drüben ist ein Kiosk.« Ich fasste in meine Hosentasche. »Ein bisschen Geld habe ich. Für eine Bockwurst wird es reichen.« Marion nickte. »Ein bisschen Geld habe ich auch noch.«
Wir traten in den Raum des Imbisses. Ein feuchter Dunst, der von der nassen Kleidung der Gäste aufstieg und sich mit dem Geruch von Essen mischte, empfing uns.
Der Raum war ein geräumiger viereckiger Schlauch. An die Wände waren Ablagebretter geschraubt. In der Mitte reihten sich von Wand zu Wand Stehtische. An der rechten Rückwand hing ein Spielautomat, blinkte sein buntes Licht durch den Raum. In der Mitte des Schlauches war die Verkaufstheke gebaut. Durch das Glas der Wärmetheke waren die Schalen von Gulaschsuppe, Kartoffelsalat, Schnitzel und Gemüsesalaten zu erkennen. Daneben waren belegte Brötchen mit Schnitzelfleisch, Klopsen, Schinken, garniert mit Blattsalat und Eischeiben ausgelegt. Es gab keinen Bierausschank. Die Getränke, Bier, Limonade, Selters, Saft wurden in Flaschen ausgegeben.
Der Gastraum war voller Männer in Firmenanzügen. Sie gingen zur Verkaufstheke, sahen zu, wie die schmale Frau hinter der Theke die belegten Brötchen, die Bockwurst auf die Teller legte, mit der Schöpfkelle die Suppen in die großen Tassen füllte. Die Männer legten ihre Geldscheine auf den Tisch, suchten sich einen Platz an den Stehtischen. In der Ecke neben dem Spielautomaten saßen Gestalten mit langem, ungewaschenem Haar und schmuddeligen Jacken. Sie saßen sich am Tisch schweigend gegenüber, starrten auf ihre Bierflaschen. Manchmal warfen sie sich Worte zu, um dann wieder in ein dumpfes Schweigen zu verfallen. Ab und zu stand einer auf, ging zum Spielautomaten. Wenn der Apparat klingelte und Münzen auswarf, ging der Spieler triumphierend zurück an den Tisch. Wenn er sich dann zur Theke vordrängelte, um für sich und seine Kumpanen eine neue Flasche Bier zu kaufen, wurde gemurrt.
»Was soll ich machen«, wehrte sich die Wirtin. »Sie stehen jeden Abend hier vor der Tür. Sie trinken ihr Bier, aber tun niemandem etwas. Soll ich sie bei dem Regen da draußen stehen lassen?«
Ich drängte mich zwischen die Männer, kaufte für mich und Marion eine Bockwurst und eine Limonade, suchte uns einen Platz an den Stehtischen. In der hinteren linken Ecke rückten drei Männer zusammen, damit wir unser Geschirr auf den Tisch stellen konnten.
Die Männer grinsten uns an, musterten Marion unverhohlen. »Man müsste noch einmal jung sein«, murmelte einer von ihnen. Als Marion ängstlich aufblickte, legte ihr Nachbar seine Hand auf ihren Arm. »Keine Angst Mädchen. Wenn ich jetzt nach Hause komme ist meine Tochter da. Die ist genauso jung und hübsch wie du.«
Wir aßen unsere Wurst, teilten uns die Limonade. Ein älteres Ehepaar kam herein, kaufte sich Gulasch. Energisch blickte die Frau sich nach einem freien Platz um, sah unsere leeren Teller. Sie kam auf unseren Tisch zu. »Sie sind doch fertig?« Resolut packte sie unsere Teller ineinander, rief ihren Mann zu sich.
Marion und ich gingen wieder hinaus, standen ratlos vor der Tür. Der Regen prasselte jetzt. »Wir können zu mir gehen«, sagte Marion vorsichtig.
»Und deine Eltern?«
»Mein Vater ist ausgezogen. Er hat einen Reparaturstützpunkt in einer großen Agrargenossenschaft übernommen. Er wohnt dort bei einer Frau, die er von der Buchhaltung aus seinem alten Betrieb kennt. Ihr Mann ist nach einem Autounfall gestorben. Meine Mutter ist beleidigt. Sie rennt jetzt jeden Abend von Tanzlokal zu Tanzlokal.«
Trotz des Regenlichts, das durch die großen Fenster in das Treppenhaus fiel, erschien mir der Aufgang weiß und hell. Die getünchte Tapete schien das Graulicht in sich aufzunehmen und mit ihrem Weiß das Regenlicht zu verdrängen. Die grauen Fliesenstufen waren peinlich sauber. Mir kam es vor, als würde ich in einem Lichtturm aufsteigen. Die Wohnungstüren waren mit einer braunen Folientapete überzogen. Vor einer der Türen blieb Marion stehen, holte den Schlüssel aus ihrer Jackentasche: »Hier wohne ich.«
Marion schob sacht die Tür auf. Wir traten in einen kleinen mit pastellfarbenem Gelb tapezierten Flur. Sie öffnete die Tür zum Bad. Die Fliesen strahlten in einer sterilen Sauberkeit. An der gleichen Wandseite war die Tür zur Küche geöffnet. Zwischen Badtür und Küchentür war eine Garderobe gestellt. Neben der Garderobe hing ein großer Spiegel bis über Kopfhöhe.
Marion öffnete die Tür an der Stirnseite des kleinen Flures zum Schlafzimmer. Die Deckbetten waren zurückgeschlagen, die Kissen an den Kopfenden der Ehebetten lagen wie Zwillinge ordentlich abgelegt. Auch das Wohnzimmer atmete diese Sauberkeit. An der linken Wandseite standen ein orangefarbenes Sofa und zwei Sessel. Zwischen den Sesseln war der Tisch postiert. Der Fußboden war mit dem Imitat eines orientalischen Teppichs bedeckt. Die bunten Muster des Teppichs waren ein Kontrast gegen die weiße Gardinenfülle vor dem breiten Fenster. Die Gardine war etwas zur Seite gezogen, ließ den Blick durch die Balkontür frei. Ich sah, wie der Regen auf die Blätter der Balkongeranien fiel. Die rechte Wandseite bedeckte eine leichtbraune Schrankwand. Hinter dem Schrankglas waren bunte Gläser, ein Familienfoto stand da, Sammeltassen und eine in Zinn gefasste Vase.
»Gefällt es dir?«, fragte Marion, beobachtete mein Gesicht.
Ich nickte nur. Über Marions Gesicht huschte ein zufriedenes Lächeln. Sie öffnete die Tür zu ihrem Zimmer. »Das hier ist mein Reich.«
Ich stand bewundernd im Türrahmen. Das Zimmer war schmal und endete an der Stirnseite in einem quadratischen Fenster. Gleich neben dem zur Seite geschlagenem Türblatt befand sich ein dreiteiliges Schrankregal. In den Schrankfächern standen eine Vase, das Bild eines offenen Fensters mit einem Rosenstrauß, ein paar Porzellanfiguren und ein Puppenpärchen. An das Schrankregal schloss sich ein kleiner Schreibtisch mit einer Leselampe an. Auf der Schreibtischplatte stand ein kleines Radio. Vor dem quadratischen Fenster hing weiß und straff gefaltet die Gardine. Auf der rechten Seite stand Marions Schlafliege. Am Kopfende stand eine Stehlampe mit einem glockenförmigen Stoffschirm. An der Rückseite der Liege waren Decken als Lehne gerollt. Ein großer Plüschbär saß unter der Stehlampe in der hinteren Ecke der Liege, starrte mich mit seinen stumpfen Glasaugen an. Draußen im Flur hörte ich Marion hantieren. Schubläden wurden aufgezogen und wieder verschlossen. Dann brummte ein Haarfön.
Marion kam ins Zimmer. »Nicht so schüchtern.« Sie schubste mich. Ich verlor das Gleichgewicht, setzte mich auf ihre Liege, sah Marion mit offenem Mund an. Sie hatte ihr Haar locker aufgefönt, ihre Lippen leicht rosa geschminkt. Sie trug eine offene rote Bluse und einen frischen Rock. Ihre Füße steckten in bunt bestickten Pantoletten.
»Gefalle ich dir?« Marion fasste mit ihren Händen rechts und links den Rock, drehte sich hin und her.
Ich fasste nach ihr, erwischte ihre rechte Hand, zog sie auf meinen Schoß. Marion roch leicht nach Parfüm. Sie legte ihre linke Hand hinter meinen Kopf, betrachtete mich mit ihren großen braunen Augen.
Ich konnte mich lange nicht aus unserem Kuss lösen. Marion rutschte von meinem Schoß herunter, ging zu ihrem Schreibtisch, schaltete das Radio ein. Sie kam zurück, setzte sich eng neben mich, lehnte ihren Kopf an meine Schulter. »Um diese Zeit bringen sie immer schöne Musik. Wenn ich allein bin, sehe ich dann immer aus dem Fenster und es ist, als verlasse ich mich selbst, bin da draußen mit den Wolken, der Sonne, dem Regen, bin in irgendwelchen Bergen, mitten in grünen Wiesen und abends zwischen den Sternen. Es ist schön so zu träumen. Wenn mich dann meine Mutter ruft, könnte ich mich mit ihr zanken.«
Marion hob ihr Gesicht zu mir auf. Erst glitten ihre Augen über mein Gesicht, dann strich sie mit ihren Fingern sacht über meine Stirn, die Wangen, das Kinn, legte ihre Hand auf meine linke Wange, zog meinen Kopf zu sich herunter: »Küss mich.«
Ich schob meinen rechten Arm um ihre Schulter, küsste sie und ich spürte, wie sie ihren Rücken nach hinten dehnte, gab nach.
Marion zog ihre Beine auf die Liege, rutschte zur Seite, um mir Platz zu machen. Ich legte mich neben sie, öffnete ihre Bluse, begann mit meinen Lippen ihren Hals zu liebkosen, schob die Träger ihres Hemdes und des Büstenhalters zur Seite, berührte ihre Schulter, ihren Brustansatz mit meinem Mund. Meine Finger glitten in die Brustschale hinein, betasteten sanft das weiche Fleisch. Ich zog meine Hand von ihrer Brust zurück, fuhr mit ihr unter Marions Rock, streichelte die Außenseite ihres Oberschenkels, glitt nach innen, schob, ohne Widerstand zu spüren, meine Finger bis an ihren Schlüpfer heran, rieb dort, wo ihre Schamlippen waren. Während ich meine Hand in ihren Schlüpfer hineinschob, suchte Marion meinen Mund. Ich fuhr mit der Hand über ihr Gesäß, glitt vor zu ihrem Schamhaar.
Ich ejakulierte. Die Ejakulation war eine Erlösung. Die Spannung in mir fiel ab. Ich spürte meinen klebrigen Samen auf dem Unterbauch, empfand plötzlich mein steifes Glied als störend. Ich löste mich von ihr. »Ich habe keine Kondome mit.«
Marion schlug die Lider auf, blickte stumm mit ihren großen und braunen Augen auf mein Gesicht. Dann ging ihr Blick an mir vorbei, als holte sie sich aus einer großen Weite und Tiefe zurück. »Wenn ich ein Kind kriege«, flüsterte sie, »dann bekommen wir bestimmt auch so eine Wohnung.«
Ich setzte mich auf, stützte meinen Kopf in die Hände, wiegte ihn hin und her, wollte meine Benommenheit abschütteln. Ich erhob mich. Marion drehte sich mit dem Gesicht zur Wand, lag still.
Ich öffnete die Tür, schloss sie wieder, stieg die Stufen im Treppenhaus hinunter, als wäre nicht ich es, der da ging. Es regnete immer noch. Ich hielt mein Gesicht in den Regen. Die kalten Tropfen kühlten meine Haut.
Marion und ich sahen uns erst nach dem Abschlussball wieder. Es war ein warmer Juniabend. Wir gingen unsere alten Wege ohne uns zu berühren. Wir wussten beide, wenn wir uns wieder spürten, dass wir eins werden würden, gingen ein Stück aus der Stadt hinaus, überquerten das Gleis der Hafenbahn, setzten uns nebeneinander in das hohe Gras am Bahndamm, schwiegen.
Die Dämmerung kam. Der Himmel war wolkenlos und die Sterne begannen in der Dämmerung immer deutlicher zu strahlen. Vor uns am Horizont begann der Mond aufzusteigen.
»Was wirst du tun?«, fragte ich.
»Mein Vater hat mir in seinem alten Betrieb eine Lehrstelle als Technische Zeichnerin vermittelt.« Marion zog ihre Beine an sich heran, umschlang die Waden mit ihren Armen, legte ihr Gesicht auf die Knie, sah zu mir herüber. »Und du?«
»Ich werde lernen, Gleise zu bauen, mache gleichzeitig mein Abitur, um dann Eisenbahnbautechnik zu studieren.« Ich legte mich mit dem Rücken ins Gras, schaute in das Sternenmeer über mir, lachte leise in mich hinein. »Mein Vater sagt, ich soll mich anstrengen, vielleicht könnte ich dann mit zu den Sternen fliegen.«
Die Dunkelheit kam. Wir erhoben uns aus dem Gras, gingen langsam unseren Weg nebeneinander zurück bis zu Marions Haustür. Eine Weile standen wir stumm voreinander. Wie, als wäre es nicht sie, zog Marion den Haustürschlüssel aus ihrer Tasche, schob die Tür auf. Noch einmal drehte sie sich zu mir: »Wenn du zu den Sternen fliegst, nimmst du mich dann mit?«
Der Sommer ging vorüber. Marion war als Betreuerin in ein Kinderferienlager nach Thüringen gefahren Ich verbrachte meine Ferien in einem Jugendlager an der Ostsee, arbeitete zwei Wochen in einer Rotte auf dem Gleis, um mir Geld zu verdienen. Es war Ende August. Die Tage waren noch einmal heiß. Doch wenn die Sonne an Kraft verlor, wurde es schon unangenehm kühl.
Ich bereitet mich auf meinen Umzug ins Internat vor, wollte Marion noch einmal sehen. Auf der Klingelleiste an ihrer Haustür fand ich ihren Namen nicht mehr. Verblüfft schaute ich die Fensterfront hoch, als sich die Haustür öffnete und ein vierzehnjähriges Mädchen sein Fahrrad herausschob.
»Zu wem wollen Sie denn?«, fragte es mich, als befürchtete es, dass ich in das Haus trat.
»Zu Marion.«
»Marion. Die wohnt nicht mehr hier. Sie ist vor zwei Wochen mit ihrer Mutter ausgezogen.«
»Weißt du wohin?«
Das Mädchen schürzte die Lippen, zuckte mit den Schultern. Es schob sein Fahrrad ein Stück weg, drehte sich noch einmal um. Ich zwinkerte ihm zu.
Errötend stieg es auf sein Fahrrad, fuhr davon.
Carola
Nachdem ich mein Abitur gemacht und die Lehre beendet hatte, wurde ich im Oktober zur Armee eingezogen. Die Meldestelle war in der Turnhalle der Oberschule eingerichtet. Wir standen auf dem Schulhof, wurden dort den einzelnen Standorten zugeordnet, warteten darauf, auf die bereitstehenden Mannschaftstransportwagen aufzusteigen, die uns zu den Kasernen bringen würden. Ein Oberleutnant ließ uns mit einer Liste in der Hand noch einmal antreten. Jeder einzelne von uns bestätigte seine Anwesenheit, in dem er »Hier« rief, wenn sein Name genannt wurde.
»Eppers, Hermann!«
Niemand antwortete. Verärgert drehte sich der Oberleutnant um, suchte zwischen den Umstehenden. Auf der Eingangsseite des Schulhofes standen Frauen, Männer, Mädchen die gekommen waren, um sich zu verabschieden. Der Oberleutnant ging auf ein Pärchen zu, dass, ohne sich um die anderen zu kümmern, eng umschlungen stand.
»Eppers, kommen Sie.«
Eppers löste sich nur langsam von einem blonden und langhaarigen Mädchen. Ich konnte sein von Tränen verquollenes Gesicht erkennen. Es stand da, schnäuzte sich, hatte sich ein wenig nach vorn gebeugt, wie um loszurennen, Eppers noch einmal zu umarmen. Eppers nahm seine Tasche auf, deutete an, sich zu beeilen.
Eppers war ein schlanker muskulöser schmalschultriger Mann. Sein Haar war kurzgeschnitten. Er hatte einen dunklen Teint. Um seinen Mund über die Kiefer bis hinauf zu den Schläfen schimmerte sein Gesicht schwarz. Der Schimmer ging fast ins Bläuliche über. Er hatte große und dunkelbraune Augen. Sein Nasenrücken war leicht gebogen. Die letzten Schritte rannte er, rief dem Oberleutnant beschwichtigend zu: »Ja, ja.«
Der Oberleutnant zeigte sich zufrieden, fragte: »Sind sie Deutscher?«
Eppers lachte, zeigte seine weißen geraden Zähne. »Schon seit meiner Geburt.« Er schien diese Anspielungen gewohnt. »Mein Urgroßvater war römischer Legionär. Ihn hat man in der Schlacht im Teutoburger Wald vergessen zu erschlagen. Er hat sich im Wald versteckt, eine sächsische Frau vergewaltigt. Seitdem ging es weiter bis zu mir.«
Der Oberleutnant bog seinen Oberkörper zurück, lachte laut. »So etwas habe ich auch noch nicht gehört«, sagte er dann immer noch belustigt: »Steigen sie auf.«
Eppers kam auf die Ladefläche, drängte sich zwischen uns. Ich rutschte zur Seite, damit er sitzen konnte.
Wir waren vierzehn Mann auf der Stube. Eppers hatte sich das Bett über mir ergattert. In der Zeit zwischen Abendessen und Revierreinigen saßen wir am Tisch zusammen. Einige hatten sich auf ihr Bett gelegt, lasen, andere spielten Karten. Jeder erzählte von sich.
Eppers war der Älteste von uns. Er war Lehrer für Geschichte und Geografie, trainierte zu Hause im Stadtclub Langstreckenlauf. »Für die Olympiade hat es nicht gereicht«, zuckte er bedauernd die Schultern. »Das Mädchen, das du gesehen hast, ist meine Verlobte. Sie spielt Tennis. Ihr Vater ist Wolk, der Trainer des Boxclubs in unserer Stadt.«
»Wolk?«, wiederholte ich den Namen, sagte dann höflich. »Ja, den Namen habe ich schon in der Zeitung gelesen.«
Die Tage waren anstrengend. Immer wieder hieß es: »Rechts um! Links um! Geradeaus! Im Gleichschritt Marsch!« Ich fürchtete mich vor den Kraftübungen, schaffte an der Reckstange gerade drei bis vier Klimmzüge. Eppers sprang hoch, zog seine Brust zehnmal bis zur Stange, ließ sich abfallen, lachte, wenn er sah, wie wir uns mühten. Dann hing er sich wieder gestreckt an die Stange, zog seinen Körper um die Stange herum, stützte sich auf, ließ sich wieder fallen, wiederholte die Übung mehrmals. Die Eskaladierwand war für Eppers kein Hindernis. Während ich mit meinen Händen die Wandkante oben umklammerte und mühsam immer wieder mit meinem linken Bein Schwung holen musste, um über die Wand zu kommen, sprang Eppers hoch, war mit einem Satz auf der anderen Seite.
Im Ausdauertraining mussten wir regelmäßig 1000 Meter nach Zeit laufen. »Das ist doch keine olympische Disziplin«, mäkelte Eppers. »3000 und 5000 Meter sind olympisch. Die lassen uns 1000 Meter üben, weil die Schützengräben im Krieg etwa 1000 Meter gegenüberliegen. Das hängt mit der Reichweite der Kalaschnikow zusammen.«
Eppers tändelte beim Ausdauerlauf an der Spitze, lief vorneweg, ließ sich zurückfallen. »Los, los«, feuerte er mich an, »du musst unter drei Minuten kommen. Teile deine Kräfte besser ein.«
Wir verließen eines Tages nach dem Mittag das Küchengebäude, warteten auf den Abmarsch. In einiger Entfernung stand eine Gruppe Frauen, die miteinander schwatzten.
»Da sind sie.«
»Wer?«
»Na die beiden Frauen, die uns immer beim Exerzieren zusehen. Hast du keine Augen im Kopf?«
Eppers deutet auf die Frauengruppe, blaffte mich an: »Gaffe nicht so, sonst bilden die sich noch etwas ein.«
Ein junges Mädchen mit langem blondem Haar stand mit dem Gesicht zu uns, beobachtete den Ausgang des Küchengebäudes. Immer wieder hob es den Kopf, musterte die Soldaten, die auf die Straße traten. Es erkannte Eppers, errötete, schlug verlegen die Augen nieder. Seine Nachbarin, sie hatte einen dunklen kurzen Haarschnitt, lachte immer wieder, redete, lachte wieder, schlug dabei beide Hände auf ihre Oberschenkel.
Ich zuckte gleichgültig die Schultern. Es waren Frauen, die hierher gehörten. Ich war nur Soldat.
»Du musst nachher aufpassen. Die Blonde mit den langen Haaren steht im Verwaltungsgebäude immer am Fenster, wenn wir vorbeimarschieren«, belehrte mich Eppers wieder.
Wir gingen in die Unterkunft, legten unsere Ausrüstung an, marschierten zum Exerzierplatz. Ich sah im Vorbeimarschieren auf die Fensterfront des Verwaltungsgebäudes, erkannte hinter einer großen Fensterscheibe ein Gesicht und blondes Haar, sah, wie Eppers als rechter Flügelmann seine Schultern reckte.
Nach der Grundausbildung kam Eppers ins Zimmer, räumte seinen Spind aus. »Ich bin jetzt Gruppenführer«, grinste er. »Ich muss zu den Unteroffizieren ziehen.«
Eppers war jetzt der Kommandierende. Jedes Mal, wenn er uns vom Exerzierplatz marschieren ließ, führte er uns den Umweg an dem Verwaltungsgebäude vorbei. Einmal beobachtete ich, wie das blonde Mädchen hinter dem Fenster zu uns herabwinkte, lächelte. Eppers hob nur leicht seinen rechten Arm von sich weg, spreizte die Finger als geheimes Zeichen, dass er es erkannt hatte.
Wir mussten Wache schieben. Eppers, als Wachhabender, hatte mich als Kontrolldurchlassposten eingesetzt. Er war vor sechs Uhr losgegangen, hatte die Außenwachen eingezogen, befahl mir, mich an das Kaserneneingangstor zu stellen. Manfred, mein Stubennachbar, war Bereitschaftsposten, musste die Fahrzeuge kontrollieren, die raus und rein fahren wollten. Meine Aufgabe war es, die Ausweise der Eintretenden zu kontrollieren. Besucher oder Handwerker, die keinen Kasernenausweis hatten, musste ich zu Eppers in das Wachlokal schicken. Er telefonierte, Offiziere kamen, begleiteten die Besucher zu den Dienstzimmern.
Ich stand stramm an dem Kaserneneingang. Der Stahlhelm begann nach einer Weile zu drücken und die Maschinenpistole hing auch mit leerem Magazin als Last vor meiner Brust.
Gegen sieben Uhr fuhren die ersten Busse aus den Offizierssiedlungen vor. Ich hörte das Öffnen der pneumatischen Bustüren. Es wurde laut. Gesprächsfetzen flogen, Morgengrüße wurden ausgetauscht, dazwischen war immer ein Lachen der Frauen. Das Kasernentor wurde aufgeschoben. Die Offiziere, die Fähnriche, die Unteroffiziere drängten sich durch das Tor. Die Offiziere und die Unteroffiziere kamen einzeln, ordneten sich diszipliniert in Reihe, griffen in ihre linke Brusttasche, zogen ihren Kasernenausweis heraus, zeigten ihn mir. Die Frauen kamen in Gruppen. Sie redeten, schwatzten, zogen nebenbei ihre Kasernenausweise aus ihren Handtaschen, hielten sie flüchtig hoch. Mit dem zweiten Bus kamen das blonde Mädchen und die Frau mit dem dunklen Bubikopf. Auf den paar Metern zwischen der Tür und mir hatte die Frau mit dem Bubikopf schon mehrmals ihren Kopf hin und her gedreht. Sie lachte, drehte sich wieder, gab eine Antwort, um sich dann wieder ihrer Nachbarin, dem jungen Mädchen mit dem langen blonden Haar, zuzuwenden.
Ich ärgerte mich, dass sie mich nicht zur Kenntnis nahm, hielt meinen Arm vor, hielt sie auf: »Ihren Ausweis bitte!« Erschrocken sah sie mich an: »Ich bin Carola Schwarz.«
»Ihren Ausweis«, wiederholte ich.
Die Schwarz blieb stehen, kramte in ihrer Handtasche, wurde nervös, weil sich hinter ihr die Eintretenden drängten. Während sie in ihrer Handtasche kramte, rief sie ihrer blonden Nachbarin hinterher: »Martina, warte doch.«
Die Schwarz fand ihren Ausweis, hielt ihn mir vor die Nase: »Können Sie lesen?«
»Passieren«, antwortete ich kalt.
Die Schwarz holte ihre Nachbarin ein. Doch bevor sie ihren Weg in das Dienstgebäude fortsetzte, drehte sie sich noch einmal empört um.
Eine Woche später musste ich mich beim Kompaniechef, Hauptmann Müller, melden. Unruhig ging ich in meinen Gedanken die letzten Tage durch, ob ich irgendwo etwas falsch gemacht hatte. Ich klopfte an der Tür des Kompaniechefzimmers an, trat ein, stand stramm, nahm mein Käppi in die rechte Hand.
Der Offizier saß hinter seinem Schreibtisch, musterte mich: »Sie sind also der Schaller?«
Er stand von seinem Stuhl auf, ging zum Fenster, grinste. »Kennen Sie eine Carola Schwarz?«
»Sie hat ihren Ausweis nicht gezeigt.«
Müller lachte, winkte ab, ging zu seinem Schreibtisch zurück, setzte sich, trommelte mit einem Bleistift auf seiner Schreibtischunterlage. »Sie sind Abiturient? Sie wollen Eisenbahnbautechnik studieren?«
»Jawoll.«
»Können Sie zeichnen?«
Ich zuckte die Schultern: »Das muss ich wohl.«
Müller lachte wieder in sich hinein. »Schaller. Sie sind ab morgen in die Dokumentenstelle abkommandiert. Der Stabschef hat Sie angefordert. Sie melden sich bei Stabsfeldwebel Klosch. Und damit es keine Unstimmigkeiten mit ihren Kameraden gibt, ziehen Sie in das Gruppenführerzimmer zu Eppers.«
Ich schlug die Hacken zusammen, setzte mein Käppi auf, wollte wegtreten. Müller saß, die Unterarme auf seinen Schreibtisch gestützt, hatte den Kopf gehoben, sah mir nach, sagte: »Eigentlich hatte ich für diese Stelle den Eppers vorgeschlagen.«
Klosch war ein kleiner zierlicher Mann mit dünnem weißblondem Haar, weißer Gesichtshaut und weißen Wimpern. Er musterte mich misstrauisch. »Wir werden doch miteinander klarkommen?«
»Ich denke schon«, antwortete ich dienstbeflissen. Er wies mich ein. Bereits am anderen Morgen musste ich die Ausgabestelle ab sieben Uhr besetzen.
Die Schwarz war eine der ersten Frauen, die kamen, um ihre Dokumententaschen zu holen. Sie legte ihre Karte vor. Während ich ging, um ihre Taschen aus dem Panzerschrank zu holen, fühlte ich ihre Blicke in meinem Rücken. Nervös legte ich ihr das Nachweisheft vor, in dem sie den Empfang der Taschen quittieren musste.
»Sie werden sich schon noch eingewöhnen.«, versuchte sie mich zu trösten, nahm die Taschen von dem Ausgabebord herunter, stellte sie ab, um die Ausgangstür zu öffnen. Während sie sich bückte, sah sie noch einmal zu mir auf. Um ihren Mund spielte ein selbstsicheres Lächeln.