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Kitabı oku: «Die Colonie: Brasilianisches Lebensbild. Erster Band.», sayfa 9

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Glücklich für ihn und seinen kühn entworfenen Plan war Oskar gerade nicht zu Hause und mit Helenen auf einem Spaziergange begriffen, um die neu gekommenen Ansiedler ein wenig zu besichtigen. Als Jeremias mit dem Karren vor dem Garten hielt, saß die Frau Gräfin gerade in ihrem Zimmer und schrieb ein paar Briefe.

»Das ist aber kein Hôtel,« sagte der junge Fremde, das Haus betrachtend.

»Privatwohnung,« meinte Jeremias – »aber famos – charmante Leute – werden Ihnen gefallen, besonders die Tochter« – und damit rückte er sich ohne Weiteres einen der schweren Koffer auf die Schultern und schritt damit in das Haus hinein, während von Pulteleben bei seinen übrigen Sachen noch zurückblieb. Nach einer Weile kam er wieder zurück und holte den andern Koffer, und als er zum dritten Male kam, packte er dem Fremden selber ein paar Hutschachteln und ein leichtes Kistchen mit Schirm und Stock auf, ergriff dann das Übrige und sagte:

»Nu kommen Sie, jetzt wollen wir einziehen.«

Der Fremde folgte ihm auch vollkommen ahnungslos, daß ihn der kleine Bursche hier ohne die geringste Berechtigung in ein wildfremdes Haus als Miethsmann einführe, und nur erst, als sie die erste Treppe erstiegen hatten und Jeremias voran die zweite hinaufstieg, blieb er stehen und sagte:

»Noch höher?«

»Kommen Sie nur,« ermunterte ihn jedoch sein Führer – »famose Aussicht, wie gemalt,« und da er ihm mit seinen Sachen voranging, blieb auch Nichts weiter übrig, als ihm zu folgen; mußte er doch überhaupt froh sein, nur ein Unterkommen zu finden. Kaum hatte er übrigens etwa zehn Stufen der zweiten Treppe erstiegen, als eine Thür im ersten Stock geöffnet wurde und die Frau Gräfin, welche den Lärm draußen gehört hatte, erstaunt auf ihrer Schwelle stehen blieb. Sie erkannte übrigens, vor dem Fremden, noch gerade den aufsteigenden Jeremias und rief:

»Nun, was ist denn das für Gepäck?«

»Alles in Ordnung!« rief Jeremias zurück, ohne sich weiter stören oder außer Fassung bringen zu lassen.

Die Gräfin schüttelte den Kopf, doch sie konnte nicht anders glauben, als daß Oskar, der gewohnt war sehr selbstständig aufzutreten, ihr irgend einen Gast in das Haus gebracht habe, der ihr allerdings zu keiner Zeit hätte unbequemer kommen können. Gewohnt aber, sich in dessen Launen oder unbedachte Streiche zu fügen, seufzte sie nur tief auf, trat in ihr Zimmer zurück und zog die Thür hinter sich in's Schloß. Wenn Oskar übrigens nach Hause kam, wollte sie ihm tüchtig den Kopf deshalb zurecht setzen.

Der Fremde erreichte das kleine Zimmer, wo Jeremias schon seine übrigen Sachen eingestellt hatte, und sah sich hier allerdings etwas überrascht um. So freundlich das Local auch liegen mochte, denn es bot einen Überblick über einen Theil der Ansiedelung und nach den fernen Bergen hinüber, so fehlte ihm doch auch jede andere Bequemlichkeit. Kein Stuhl, kein Tisch, kein Bett, kein Spiegel, Nichts, Nichts war zu sehen, als die kahlen geweißten Wände, und Herr von Pulteleben rief:

»Nun, das ist ein hübsches Logis, in dem nicht einmal ein Stuhl steht! Wohin haben Sie mich denn gebracht, Meister Ungeschickt?«

»Nur keine Überstürzung,« sagte Jeremias, indem er den Rest der Sachen auf die beiden Koffer legte; »wir haben Zeit, und nach und nach macht sich Alles. Vorerst sind Sie einmal untergebracht, und was wollen Sie mehr?«

»Mehr?« rief von Pulteleben erstaunt – »Möbel will ich – meine Bequemlichkeit, wofür ich bezahle, und vor allen Dingen einen Waschtisch.«

»Waschtisch?« sagte Jeremias – »giebt's nicht. Vor der Hand setzen wir das Waschbecken auf einen Stuhl, wenn wir erst eins haben.«

Herr von Pulteleben, der anfing, sich über den Burschen zu amüsiren, lachte, und Jeremias, sich im Zimmer umsehend, fuhr fort:

»Hauptsächlich brauchen Sie einen Tisch und einen Stuhl, das ist wohl das Nothwendigste.«

»Ich dächte auch,« sagte der junge Mann, »um nur die bescheidensten Ansprüche zu befriedigen.«

»Das denk' ich, kann ich schaffen,« nickte Jeremias, »und was weiter loszueisen ist, wollen wir nachher sehen. Decken haben Sie doch bei sich?«

»Decken? Denke nicht daran; nur meinen Plaid. Die Leute, welche ein Zimmer vermiethen, müssen doch auch ein Bett dazu haben.«

»Puh!« meinte Jeremias, »reden wir nicht davon; aber ein Plaid ist für das warme Wetter genug zum Zudecken, und der Boden hier im schlimmsten Falle,« fuhr er fort, indem er mit dem Hacken auf die Diele trat, »von weichem Holze – Lust und Liebe zu einem Ding machen jede Müh' und Arbeit gering.«

»Den Teufel auch,« rief der junge Mann erschreckt, »ich werde doch nicht sollen auf der nackten Erde schlafen?«

»Nackten Erde? Pst!« sagte Jeremias mit einem unendlich komischen und ermahnenden Gesichte – »es sind Damen im Hause!«

»Sie sind ein ganz verrückter Mensch!« lachte von Pulteleben; »aber jetzt verschaffen Sie mir wenigstens das Nöthigste. Es soll Ihr Schade nicht sein,« setzte er hinzu, indem er ihm einen Milreis in die Hand drückte; »aber ich bin in Eile, ich muß mich umziehen und dem Director noch meine Aufwartung machen.«

»Aufwartung?« fragte Jeremias, der mit einer dankenden Bewegung das Geld nahm, betrachtete und dann in seine Westentasche schob – »Aufwartung giebt's hier nicht – aber einerlei, wollen schon Alles besorgen,« und damit verschwand er aus der Thür. Jeremias war übrigens nicht der Mann, etwas Begonnenes halb zu thun; ohne deshalb weiter bei der Besitzerin des Hauses anzufragen, ging er in Oskar's Zimmer, wo er zwei Tische wußte, nahm einen davon und trug ihn hinauf. Dann suchte er sich in Helenens Stube und Schlafzimmer zwei Stühle, und das erst einmal erobert, nahm er auch Oskar's Waschbecken und Handtuch, mit Kamm, Seife, Zahnbürste und Allem was dabei lag, und trug es seinem einquartierten Gaste zu.

»Zum Henker auch,« rief Pulteleben, als er damit ankam, »das ist ja ein schon gebrauchtes Handtuch!«

»Herr Du meine Güte, sind Sie eigen!« sagte Jeremias; »ich brauche gar keins, ich nehme immer mein Schnupftuch. Was fehlt nun noch?«

»Wasser und ein reines Handtuch.«

Jeremias schüttelte mit dem Kopfe, stieg aber doch noch einmal hinunter und kam bald mit dem Verlangten zurück. Nur statt des Handtuchs hatte er eine reine Serviette gebracht, die er auf Helenens Toilettetisch gefunden und ohne Weiteres als gute Beute mitgenommen.

»Und wie steht's mit dem Bette?« fragte der Fremde, indem er den Rock auszog und die Hemdärmel in die Höhe streifte.

»Bett? giebt's nicht!« sagte Jeremias trocken, »wenigstens jetzt nicht. Sie wollen sich doch jetzt noch nicht schlafen legen?«

»Nein – aber doch den Abend.«

»Gut, bis dahin wird Alles besorgt werden.«

»Und kann man hier im Hause Etwas zu essen bekommen?«

»Zu essen? Hm« – sagte Jeremias, der darüber noch nicht recht mit sich im Klaren war – »danach müssen wir erst fragen. Für heute sind die Leute vielleicht noch nicht darauf eingerichtet. Aber da gehen Sie lieber in's Gasthaus zu Bodenlos – der hat's.«

»Und wie heißt der Eigenthümer dieses Hauses?«

»Spenker, Bäckermeister.«

»Gut, dann schicken Sie ihn mir nachher einmal herauf – ich will mich erst waschen – damit ich mit ihm reden kann. Das ist ein verwünscht öder Aufenthalt hier, und wenn er mir das nicht ein wenig behaglicher einrichten will, ziehe ich wieder aus.«

»Auf die Straße?« fragte Jeremias; »denn weiter giebt's keinen Platz, Sie müßten denn vielleicht in einem von den Gärten eine Laube zu miethen bekommen.« Damit aber, als ob er jetzt seine Schuldigkeit gethan habe, zog er sich zurück und drückte sich leise an dem Zimmer der Frau Gräfin vorbei, der er jetzt nicht gern begegnen mochte. Der Fremde da oben konnte nun sehen, wie er mit »der Alten« fertig wurde.

8.
Die Einquartierung

Oskar und Helene hatten einen Spaziergang durch die kleine Stadt gemacht, um sich an dem Gewirre der frisch eingetroffenen Fremden zu amüsiren, und waren, dessen müde geworden, nach Hause zurückgekehrt.

Sobald Helene ihr Zimmer betrat, konnte ihr natürlich die daselbst vorgenommene Änderung nicht entgehen. Die Serviette fehlte von ihrem Toilettetische und die darauf geordnet gewesenen Sachen standen wild zerstreut umher; zwei Stühle fehlten außerdem, auf die sie gewohnt gewesen war ihre Sachen abzulegen. Sie klingelte ihrem Mädchen, um zu erfahren wer in ihrem Zimmer gewesen sei. Dorothea hatte aber in der ganzen Zeit ihre Küche nicht verlassen und konnte ihr deshalb nicht die geringste Auskunft geben.

Oskar suchte indessen sein Gemach, warf seine Mütze in eine Ecke, sich selber auf das Sopha und rauchte in dieser Lage seine Cigarre weiter, als er in dem über ihm liegenden Zimmer die schweren Schritte eines Mannes hörte. Das Haus war nur leicht gebaut, und es klang so deutlich zu ihm herunter, daß er sich endlich aufrichtete und horchte.

»Wer zum Henker ist denn da oben?« brummte er endlich leise vor sich hin – »dem Jeremias bin ich doch eben mit seinem leeren Karren in der Stadt begegnet und die Dorothea hat keinen solchen Schritt.«

Er horchte noch eine Weile; da es sich aber gar nicht verkennen ließ, daß da oben jemand Fremdes sei, sprang er endlich auf und stieg die Treppe hinauf. Die Thür der sonst immer leer stehenden Kammer war offen und nur angelehnt, und neugierig, wer da oben Etwas zu thun haben könne, stieß er sie noch etwas weiter auf und sah hinein.

Herr von Pulteleben war gerade mit Waschen fertig und stand vor einem der geöffneten Fensterflügel, den er vorläufig als Spiegel benutzte, um sich die wohlgeölten Haare, so gut das eben gehen wollte, zu ordnen. Als er aber das Knarren der Thür hörte, drehte er den Kopf herum, und sah kaum den hereinschauenden Oskar, als er ausrief:

»Ah, da ist doch noch jemand Lebendiges in dem Hause. Wohnen Sie hier?«

»Guten Morgen,« sagte Oskar, der, auf's Äußerste erstaunt den Fremden hier zu finden, bald auf ihn, bald auf seine Koffer und Kasten starrte – »ja wohl wohne ich hier!«

»Wo ist denn nur der Lump von Aufwärter hingekommen?«

»Der Aufwärter?« sagte Oskar, noch immer seinen Augen nicht trauend – »der Jeremias etwa?«

»Ich weiß nicht wie er heißt; er wollte ja gleich wiederkommen. Gehen Sie wieder hinunter?«

»Ich hatte die Absicht,« erwiederte Oskar.

»O, dann sein Sie doch so gut und schicken mir ein Glas zum Zahnputzen herauf. Es ist ja noch gar Nichts eingerichtet. Das scheint eine schöne Wirthschaft hier zu sein!«

»Bitte,« sagte Oskar, der aus seiner Verwunderung gar nicht herauskam, »geniren Sie sich nicht – mit wem habe ich denn eigentlich die Ehre?«

»von Pulteleben,« sagte der junge Mann, seinen Locken eben den letzten Strich gebend – »um wie viel Uhr wird hier gegessen?«

»Um ein Uhr,« sagte Oskar, durch die Ruhe des Fremden immer mehr darin bestärkt, daß er jedenfalls ein Gast seiner Mutter sein müsse, wenn er auch keinen denkbaren Zusammenhang dazu finden konnte. Wer hätte der Fremde aber sonst sein können?

»Haben Sie eine richtig gehende Uhr?« fragte dieser endlich weiter.

»Ja,« erwiederte Oskar, indem er danach sah; »es wird gleich zwölf Uhr sein.«

»O, desto besser, dann kann ich vorher noch zum Director hinübergehen. Bitte, vergessen Sie nicht, mir das Glas gleich zu schicken.«

»Mit dem größten Vergnügen,« erwiederte Oskar, drückte die Thür wieder in's Schloß, schickte das Mädchen von unten mit einem Glase hinauf und ging dann zu seiner Mutter in's Zimmer, um sich nach dem Fremden zu erkundigen.

Die Frau Gräfin schloß eben ihren letzten Brief, als Oskar das Zimmer betrat, und sah sich nach ihrem Sohne gar nicht um.

»Wer ist denn der Herr, Mama, den Du uns da oben einquartiert hast?« fragte Oskar jetzt; »das scheint ja ein komischer Kauz zu sein!«

Die Gräfin, welche gerade eine Adresse schrieb, drehte erstaunt den Kopf über die Achsel und sagte:

»Und das fragst Du mich? Erst bringst Du mir, ohne die geringste Erlaubniß vorher einzuholen, einen wildfremden Menschen in's Haus, und dann weißt Du selber nicht einmal wer er ist? Oskar, es wird mit Dir jede Woche schlimmer, und ich fürchte, daß es so nicht mehr lange dauern kann!«

»Ich habe einen Fremden in's Haus gebracht?« rief aber Oskar jetzt seinerseits erstaunt und mit einer gewissen Genugthuung, daß er endlich einmal an einem ihm aufgebürdeten Vergehen vollkommen unschuldig sei – »ich bin mit Helenen spazieren gegangen und habe den Menschen, der da oben Toilette macht, in meinem ganzen Leben nicht gesehen.«

Es war jetzt an der Gräfin, erstaunt zu sein, und sich ganz gegen Oskar drehend, rief sie aus: »Aber Helene kann ihn doch nicht eingeladen haben!«

»Helene – Unsinn! – Helene war ja den ganzen Morgen bei mir, und wir haben mit keiner Seele gesprochen, den Baron ausgenommen.«

»Aber der Jeremias hat ja doch sein Gepäck in's Haus gebracht, und sagte mir, daß Alles in Ordnung sei.«

»Der Jeremias?« wiederholte Oskar, der nur immer noch verwirrter wurde.

»Und Du hast keine Ahnung, wer der Fremde ist?«

»Er sagte mir, er heiße von Pulteleben.«

»Und woher?«

»Das weiß Gott – ich kenne ihn nicht, und der Jeremias – aber zum Henker noch einmal, was zerbrechen wir uns den Kopf ganz unnöthiger Weise; wir werden doch wahrhaftig den fremden Herrn, der sich so sans façon bei uns einquartiert hat, fragen dürfen wo er herkommt und was er will!« Und mit den Worten schoß er auch ohne Weiteres zur Thür hinaus und wollte eben die Treppe hinauf, als er unten Jeremias in den Vorsaal treten sah.

»Jeremias,« rief er hinunter, »komm' einmal herauf – aber rasch!«

»Ich fliege schon,« erwiederte dieser, der sich keineswegs dabei beeilte, denn er wußte recht gut was ihn jetzt erwartete.

Oskar stand oben an der Treppe, und so wie der Alte nur so weit heraufgekommen war, daß er ihn mit der Hand erreichen konnte, erwischte er ihn bei dem einen Ohre, und zog ihn dem Zimmer seiner Mutter zu.

»Donnerwetter, junger Herr!« rief der Alte leise, »Sie reißen mir ja den linken Löffel aus – was ist denn das nur für ein zärtlicher Empfang?«

»Warte, Du Schlingel,« rief Oskar, »er soll noch zärtlicher werden! Jetzt nur herein mit Dir und gebeichtet, was Du für verfluchte Streiche heute gemacht hast! Da bring' ich ihn, Mama – jetzt auf die Kniee nieder, Halunke, und nun gestehe, was das für eine Geschichte mit dem Fremden ist!«

»Aber, so schreien Sie doch nur nicht so,« flüsterte Jeremias, der sich nicht im Geringsten außer Fassung bringen ließ – »die ganze Stadt braucht's doch nicht zu wissen, was wir hier mit einander reden, und der Fremde da oben hat Ohren wie ein Hirsch.«

»Wer ist der Fremde, und wo kommt er her?« fragte die Gräfin streng.

»So lassen Sie doch nur mein Ohr los,« bat Jeremias, »ich laufe Ihnen ja nicht mehr davon, und es stört in der Unterhaltung.«

»Wer ist der Fremde? will ich wissen,« wiederholte die Gräfin, indem Oskar das Ohr des Alten losließ, ihm aber den Ausweg verstellte.

»Kann Ihnen nicht dienen, Frau Gräfin,« antwortete achselzuckend der alte Spitzbube – »fand ihn heute auf der Straße zwischen einem ganzen Berge von Koffern und Hutschachteln, und da er kein Unterkommen finden konnte, wir dagegen Platz haben und er mir gefiel, so brachte ich ihn mit nach Hause.«

»Dir gefiel, Du Galgenstrick,« rief Oskar, »Dir gefiel! Und was für ein Recht hast Du, fremde Gäste hier in das Haus zu führen?«

»Jetzt sein Sie einmal vernünftig,« sagte Jeremias, ohne sich auch nur im Geringsten aus seiner Ruhe bringen zu lassen. »Der fremde junge Mensch ist jedenfalls ein vornehmer Herr, denn er hat ein paar ganz ausgezeichnete Lederkoffer, die ein schmähliches Geld gekostet haben müssen. Außerdem ist er aber auch reich wie Butter und wirft mit den Milreis nur so um sich.«

»Aber was geht das uns an?« rief Oskar, während die Frau Gräfin vor Erstaunen noch immer nicht zu Worte kommen konnte.

»Was das Sie angeht?« wiederholte Jeremias in vollkommener Seelenruhe – »das will ich Ihnen sagen. Die Stube oben…«

»Heh, Wirthschaft!« rief es in diesem Augenblicke laut von oben herunter; »läßt sich denn Niemand blicken? Das ganze Haus ist ja wie ausgestorben – heh, hollah!«

Jeremias, der seine Rede unterbrochen hatte, wie er oben die Stimme hörte, öffnete die Thür ein Wenig, steckte den Kopf hinaus, rief laut: »Komme gleich!« und schloß sie dann wieder, wonach er, ohne eine Miene zu verziehen, ruhig fortfuhr:

»Stand doch außerdem leer und wurde nicht benutzt.«

Oskar lachte gerade hinaus, denn das Ganze fing an ihm unendlich komisch vorzukommen.

»Ich möchte jetzt nur eigentlich wissen,« sagte die Gräfin mit einem finstern Blick auf Oskar und Jeremias, »wer noch Herr hier im Hause ist. Sie werden jedenfalls dafür sorgen, Jeremias, daß der fremde Mensch augenblicklich unser Haus wieder verläßt und eine andere Wohnung bezieht.«

»Giebt's gar nicht,« sagte Jeremias ruhig; »hören Sie mich nur an. Was haben Sie denn von dem leeren Kasten da oben? Der Fremde ist ein anständiger junger Mensch, der Ihnen eine gute Miethe bezahlt, und außerdem hätte auf der Straße logiren müssen.«

»Aber wer hat Ihnen denn die Erlaubniß gegeben, das zu vermitteln?« fragte die Gräfin.

»Nur praktisch,« meinte Jeremias, »das ist die Hauptsache. Außerdem sind Sie ja nicht mit einander verheirathet, und wenn er Ihnen nach zwei oder drei Monaten nicht mehr gefällt, können Sie ihn ja immer noch wieder ausquartieren.«

»Nach zwei oder drei Monaten?« rief die Gräfin erstaunt.

»Oder noch später,« meinte Jeremias trocken; aber jetzt muß ich wahrhaftig hinauf, und sehen was der junge Herr will; er wird mir sonst ganz ungeduldig und am Ende gar noch grob« – und ohne weiter eine Antwort abzuwarten, verließ er das Zimmer und stieg die Treppe hinauf.

»Eine solche Unverschämtheit ist mir aber doch noch nicht vorgekommen,« lachte Oskar, »und das Einfachste wird sein, ich gehe hinauf und ersuche den Herrn, seine Sachen augenblicklich wieder zusammen zu packen und das Haus zu räumen.«

»Warte noch einmal,« sagte seine Mutter, die indessen nachdenkend am Fenster gestanden hatte, indem sie die Hand gegen ihn ausstreckte: »wie sagtest Du daß der Herr hieß?«

»Er nannte sich von Pulteleben.«

»Wie alt etwa?«

»Nun, vielleicht drei- oder vierundzwanzig Jahre.«

»Hm – und er scheint aus guter Familie? Da dürfen wir doch wenigstens nicht ungezogen gegen ihn sein, denn aller Wahrscheinlichkeit nach glaubt er sich hier in seinem vollen Rechte zu befinden, und würde schwerlich eingezogen sein, wenn er wüßte, wie sich Alles verhält.«

»Er fragte wenigstens schon ganz naiv, um welche Stunde bei uns gespeist würde,« lachte Oskar.

Die Gräfin ging im Zimmer auf und ab und blieb endlich wieder vor ihrem Sohne stehen.

»Die Sache kann nicht so bleiben,« sagte sie, »denn einen Miethsmann läßt man sich eben nicht mit Gewalt in das Haus bringen. Da aber der junge Fremde hier wahrscheinlich in der Colonie bleibt, so ist es auch eben so klug gehandelt, sich nicht in Unfrieden, sondern in Frieden wieder zu trennen. Gehe hinauf und lade ihn für heute Mittag ein, unser Gast zu sein – wir sind doch allein – und bei Tische mag er dann erfahren, auf welche außergewöhnliche Art er bei uns eingeführt wurde. Es bleibt ihm dann der ganze Nachmittag, sich nach einem andern Quartiere umzusehen.«

»Der Jeremias ist ein göttlicher Kerl!« sagte Oskar lachend.

»Und je eher Du den wieder fortschickst, desto besser ebenfalls,« meinte seine Mutter, »denn ich bin doch nicht gesonnen, mich der Gefahr auszusetzen, von einem so eigenmächtigen Hausknecht in noch Gott weiß was für unangenehme Situationen gebracht zu werden. Mit einem so stockdummen Menschen ist außerdem gar Nichts anzufangen – ich will lieber mit einem Schurken zu thun haben, denn vor dem kann man sich in Acht nehmen.«

Oskar hatte seine Zweifel, was Jeremias' Dummheit betraf, aber die Sache mit dem Fremden ging ihm im Kopfe herum, und das Zimmer verlassend, wollte er eben zu ihm hinauf, als er aus seinem Zimmer wieder den Jeremias kommen sah, der auf dem Kopfe einen Lehnstuhl, in der linken Hand dabei einen Stiefelknecht und in der rechten einen kleinen Handspiegel trug.

»Du bist doch ein ganz niederträchtiger, abgefeimter Halunke!« sagte Oskar; »wer hat Dir denn erlaubt, mein ganzes Zimmer auszuplündern?«

»Machen Sie keine Geschichten,« erwiederte Jeremias, mit den Augen blinzelnd; »das ist ein prächtiger junger Mensch, und thut schon so, als ob er ganz zu Hause wäre.«

Oskar, dem die Sache Spaß machte, sprang jetzt die Treppe voran hinauf. Als er die Thür öffnete, stand Herr von Pulteleben schon fertig angezogen, nur mit ein Paar glanzledernen Stiefeln in der Hand, mitten in der Stube.

»Na, kommen Sie – ah, Sie sind's – entschuldigen Sie, ich glaubte, es wäre der Strick, der Aufwärter; der bleibt eine Ewigkeit.«

»Er kommt dicht hinter mir,« sagte Oskar; »Herr von Pulteleben, ich soll Ihnen melden daß pünktlich um ein Uhr gegessen wird.«

»So? Sehr angenehm, ich werde auf meinem Zimmer essen.«

»Dazu ist die nöthige Einrichtung doch noch nicht getroffen,« erwiederte Oskar; »ich habe den Auftrag, Sie zu ersuchen mit uns zu diniren.«

»Hm,« sagte von Pulteleben, der sich schon zu Hause vorgenommen hatte, der amerikanischen »Freiheit und Gleichheit« so viel als möglich aus dem Wege zu gehen, und nicht gleich mit sich im Klaren war, ob er vielleicht seiner künftigen Stellung in der Colonie Etwas vergeben würde, wenn er mit der »Bäckerfamilie« speiste, – »ich esse viel lieber allein.«

»Dann lassen Sie sich's heute wenigstens einmal bei uns gefallen,« lachte Oskar, »morgen werden Sie jedenfalls allein essen können.«

»Nun gut,« erwiederte von Pulteleben – »na endlich,« wandte er sich dann an den eben eintretenden Jeremias, indem er ihm den Stiefelknecht abnahm und seine bestaubten Stiefel auszog – »setzen Sie den Stuhl nur dahin – aha, und auch ein kleiner Spiegel. Das muß ich gestehen, lieber Freund, auf Gäste scheinen Sie hier im Hause nicht eingerichtet zu sein. Die Unordnung ist wirklich bodenlos und die Bedienung noch schlechter. Wie heißen Sie, he?«

»Jeremias, zu Befehl,« sagte dieses würdige Individuum in steifer Haltung und warf einen etwas unruhigen Blick auf Oskar hinüber, von dem er nicht wußte, wie er das Urtheil über die Wirthschaft aufnehmen würde. Dieser aber amüsirte sich vortrefflich, und während der junge Mann seine Stiefel wechselte und dann seinen Hut nahm, saß er verkehrt auf dem einen Stuhle, stützte sich mit beiden Armen auf die Lehne und sah ihm lächelnd zu. Endlich hatte von Pulteleben seine Toilette beendet, schloß seine Koffer, sah sich noch einmal im Zimmer um, ob er Nichts vergessen hätte, und sagte: »So – wenn's gefällig ist; ich möchte zuschließen.«

»Aha, mit Vergnügen,« rief Oskar aufspringend – »wollen Sie den Schlüssel mitnehmen oder da lassen?«

»Hm – ich werde ihn da lassen, damit das Mädchen nachher aufräumen kann – man hat doch Nichts zu befürchten?«

Jeremias sah wieder Oskar bestürzt von der Seite an, dieser aber erwiederte lächelnd: »Nicht das Geringste – aber Sie sind pünktlich?«

»Wenn ich irgend kann, gewiß.«

Damit verließ er das Zimmer, wo hinaus ihm die Beiden folgten, und stieg die Treppe hinab, während Oskar zu seiner Mutter hineinsprang, um ihr Bericht abzustatten.

Gerade als von Pulteleben nach der untern Treppe zu ging, öffnete sich dort die nächste Thür, die in Helenens Zimmer führte, und die Comtesse trat heraus. Kaum aber gewahrte sie den Fremden, der sie überrascht und höflich grüßte, als sie sich mit einer halben und flüchtigen Verbeugung wieder zurückzog.

»Alle Wetter,« wandte sich von Pulteleben leise zu dem dicht hinter ihm dreinkommenden Jeremias, »das ist ja ein wunderschönes Mädchen; das war doch nicht die Bäckerstochter?«

Jeremias, ob er die Frage falsch verstanden oder absichtlich seinen Spaß daran hatte, den Fremden im Irrthume zu lassen, nickte nur, vor Vergnügen grinsend, mit dem Kopfe, und von Pulteleben stieg, mit der Entdeckung sehr zufrieden, die Stiege hinunter, um noch vor Tische seine Aufwartung bei dem Herrn Director zu machen. Er war jetzt fest entschlossen, die Stunde des Mittagessens pünktlich einzuhalten.

Arno von Pulteleben war ein lieber, guter, ehrlicher Mensch, der nur mit einem ganz unbestimmten Begriffe nach Brasilien gekommen war, wie er das Land überhaupt finden werde, und was er – wenn er es gefunden – da eigentlich wolle. Es geht einer großen Menge von Auswanderern so, die auch nur zu häufig weder wissen, was man von ihnen fordern könnte, noch was sie im Stande wären zu leisten, und die dabei nur allein in dem Namen Amerika den Inbegriff aller erfüllten Hoffnungen und Träume sehen. »Nur erst einmal in Amerika,« sagen diese, »und das Andere findet sich Alles von selber.« In Etwas haben sie Recht, denn es findet sich in der That; nur freilich manchmal ganz anders, wie sie es sich gedacht hatten.

Mit einer solchen unklaren Idee war auch Herr von Pulteleben herüber gekommen. Er trat übrigens dabei mit vollkommener Sicherheit auf, denn er war sich bewußt, seinen Weg bezahlen zu können. Er hatte Geld bei sich, ein Capital von wenigstens tausend spanischen Dollars, und daß er Speculationsgeist genug besaß, dasselbe im Laufe von einigen Jahren vielleicht zu verzehnfachen, daran zweifelte er selber keinen Augenblick. Sein Grundsatz dabei war, »den Moment zu erfassen« – »frisch gewagt, ist halb gewonnen!« und wie derartige vortreffliche Sprüchwörter alle heißen. Jedenfalls hatte er volles Selbstvertrauen, und da er schon in Deutschland einmal eine Fußpartie gemacht und dabei zwei Nächte hinter einander auf der Streu geschlafen hatte, so hielt er sich auch allen Entbehrungen, die ihm hier etwa aufstoßen konnten, vollkommen gewachsen.

Herr von Pulteleben fand sich übrigens etwas überrascht, als er im Directionsgebäude seine Karte abgegeben hatte und von dem Director die Antwort zurück erhielt: »Es würde ihm sehr angenehm sein, die Ehre ein anderes Mal zu haben, heute sei er aber so ausschließlich beschäftigt, daß er keinen Besuch empfangen könne.«

»Hm – angenehm,« brummte er vor sich hin, als er seine weißen Glacéhandschuhe auszog, zusammenrollte, in die Tasche steckte und wieder hinaus in's Freie ging; »Herr Director Sarno scheinen verwünscht wenig Umstände zu machen, und die Artigkeit hätte doch wenigstens verlangt, daß er … aber was thut's – ich habe jetzt doch meine Schuldigkeit gethan, und wenn er nun meine Bekanntschaft zu machen wünscht, ist die Reihe an ihm.«

Mit diesem beruhigenden Gefühle schlenderte er durch die Straßen der Stadt und fand eine Menge bekannter Gesichter – Leute, die mit ihm in einem und demselben Schiffe über See gekommen waren und alle Gefahren gemeinschaftlich getheilt hatten, aber – sie waren im Zwischendeck gereist, und Herr von Pulteleben in der Kajüte – eine Entfernung, die in ihrer Räumlichkeit wohl kaum zehn Schritte betragen mochte, aber doch ausreichte, beide Theile vollständig fern von einander zu halten. Man kannte sich von Ansehen, aber man grüßte sich nicht, und so unbedeutend das an sich scheinen mag, so diente es doch dazu, ein nichts weniger als freundschaftliches Gefühl zwischen beiden Theilen zu erzeugen.

Das ist nun freilich nicht zu ändern, denn Standes- und Rangunterschiede existiren einmal auf der Welt, und werden trotz aller Communisten fortbestehen, bis wir Alle unser letztes Ziel, das Grab, erreichen. Selbst unter den Thieren und Pflanzen herrschen Rang und Gewalt; es giebt sogar edle und unedle Metalle, und das Menschengeschlecht läßt sich nicht in einen Topf werfen und darin halten. Ein Theil von ihm will seine besonderen Gesache haben – und bekommt sie auch, und der Rest muß entweder danach streben, diese ebenfalls zu gewinnen, oder – sich darein fügen.

Herr von Pulteleben hielt das auch natürlich für ganz in der Ordnung, denn daß es Kajüte und Zwischendeck geben mußte, verstand sich von selbst. Allerdings kam ihm dabei fast unwillkürlich der Gedanke, daß er zufälligerweise am Tische des Bäckermeisters mit einem Zwischendecks-Passagier zusammentreffen könne – aber das blieb doch zu unwahrscheinlich – die junge Dame, der er begegnet, sah dafür zu anständig aus, und – war ihm die Gesellschaft wirklich nicht passend, so gab es immer einen Vorwand, sich zurückzuziehen.

Als er auf seinem Spaziergange die sehr einfache Kirche passirte, zeigte die Uhr gerade zehn Minuten vor Eins, und er gerieth etwas in Verlegenheit, da er den Namen des Bäckermeisters vergessen hatte, in dessen Haus er abgestiegen.

Glücklicher Weise besaß er Ortskenntniß genug, wenigstens die Richtung behalten zu haben; es war überhaupt nicht schwer, sich in dem kleinen Orte zurecht zu finden, und mit dem Schlage Eins entdeckte er vor sich das Haus, das sich überdies vor allen in der Nachbarschaft durch den kleinen, aufgebauten Erker auszeichnete. An der Treppe empfing ihn schon Oskar, der sich das Vergnügen nicht wollte entgehen lassen, ihn einzuführen.

»Ah, Herr Baron, das ist schön daß Sie Wort halten!« rief er ihm entgegen. »Eben wird die Suppe aufgetragen und Mutter und Schwester erwarten Sie mit Ungeduld.«

»Mutter und Schwester?« dachte Herr von Pulteleben, »ist denn das der Sohn des Bäckers?« Oskar sah ihm dazu eigentlich zu elegant aus, aber es blieb ihm keine lange Zeit zur Überlegung, und wenige Minuten später sah er sich der stattlichen Gestalt der Frau Gräfin und ihrer reizenden Tochter gegenüber, und schaute jetzt wirklich verlegen nach seinem Begleiter um, denn daß er sich hier in anderer als der vermutheten Gesellschaft befand, mußte er wohl fühlen.

»Mein bester Herr,« sagte er zu Oskar, »ich muß dringend bitten, daß Sie mich hier vorstellen, ich – ich weiß selbst noch nicht einmal Ihren Namen.«

»O, mit Vergnügen,« lachte Oskar, indem er mit einer etwas förmlichen und muthwilligen Verbeugung sagte: »Herr von Pulteleben, liebe Mutter, – Herr von Pulteleben, ich habe hier die Ehre, Ihnen die Frau Gräfin Baulen und Comtesse Helene, meine Schwester, vorzustellen. Mein eigener Name ist Oskar.«

»Frau Gräfin Baulen?« stammelte der junge Mann, während über Helenens Züge ein leises, spöttisches Lächeln zuckte.

Die Frau Gräfin war aber nicht gesonnen, den jungen Mann weiteren Verlegenheiten auszusetzen.

»Herr Baron,« sagte sie freundlich, »Sie sind durch die Ungeschicklichkeit unseres Hausknechtes oder Dieners in die wunderliche Lage gekommen, sich in einer Familie einzuquartieren, der selbst Ihre Ankunft vollkommen fremd geblieben war.«

»Gnädige Frau, ich will doch nicht hoffen!« rief Pulteleben erschreckt.

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Litres'teki yayın tarihi:
27 eylül 2017
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