Kitabı oku: «Eine Gemsjagd in Tyrol», sayfa 7
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Die Delpz
Draußen ist's still geworden. Durch das kleine Fenster schaut das Siebengestirn freundlich herein und der Sturm scheint vorüber zu sein. – »Schritte vor der Thür?« – wahrhaftig schon Morgendämmerung, der Kammerdiener kommt zu wecken.
Wie die kalte frische Luft durch die Nerven zieht und die Haut prickelt, aber den Schlaf auch dafür im Nu von den Lidern scheucht. Und was für ein wunderbares Dämmerlicht, da oben auf die hohe Rasenwand der Delpz fällt, und wie nah und niedrig jetzt die Berge aussehn. – Fangt aber nur an zu steigen und sie dehnen und strecken sich und ihre Gipfel wollen nicht näher kommen, stundenlang.
Jetzt Gesicht, Brust und Hände im kühlen Quell gebadet – nun hinein an das knisternde Feuer so rasch als möglich eine Tasse Kaffee zu bekommen und dann fort, denn eine tüchtige Strecke haben wir zum heutigen Treiben noch zu machen.
Der Mundkoch, zwischen einer Quantität Töpfe und Kannen ist indessen emsig beschäftigt das Frühstück für die Jäger herzustellen, und der Kammerdiener besorgt das Gleiche für die Jagdgesellschaft.
Ueberhaupt ist dieser das Factotum in den Bergen, das Kammrad um das sich die ganze Maschinerie des inneren Ministeriums wenigstens dreht. Stände er einmal still, es gäbe eine Heidenconfusion. Er hat für Alles zu sorgen und sorgt für Alles; die ganze Einrichtung verschwindet auf dem einen Pirschhaus und taucht auf dem anderen wieder auf. – Niemand wüßte wie, wenn nicht die Träger hie und da beim Treiben oben an einer Wand dem Pirschpfad folgend sichtbar würden, und gewissermaßen die Fäden zeigten, an denen sie bewegt werden.
Aber von all den tausend Kleinigkeiten, an die zu denken ist, vergißt er selten oder nie etwas. – Alles ist besorgt, alle Träger sind zur rechten Zeit bestellt und an den rechten Ort gewiesen – Erkundigungen sind schon vorher eingezogen ob an dem neuzuwählenden Platz Heu vorhanden ist, Matratzensäcke und Kopfkissen damit auszustopfen, wie es mit dem Proviant gehalten wird, den der Haushofmeister vom Jagdschloß aus hinauf befördern läßt. – Die Träger die das Essen heraufbringen, nehmen denn auch gewöhnlich die erlegten Gemsen mit, und Boten wechseln dabei herüber und hinüber. Er ist zugleich Tafeldecker und Kammermädchen, Haushofmeister und Kammerdiener, bessert erlittene Schäden aus und beugt neuen vor – hat Alles von Instrumenten und Utensilien in Vorrath was man sich nur denken kann, ein ganzes Arsenal von Knöpfen, Nadeln, Zwirn, Nägeln, Bändern etc. etc. etc.
In seiner ärgsten Geschäftigkeit trägt er dabei einen weißen Hut; nur Morgens nach dem Frühstück wenn Alles abgefertigt, wenn die ganze Jagd hinausgezogen ist in die Berge, und ihm das Feld allein überlassen wurde, dann hat er eine gestrickte Mütze die er aufsetzt, und die Beruhigungsmütze nennt. Dann ist Frieden im Reich, und höchstens Jackel mit den übrigen Trägern zurückgeblieben, seine Anordnungen auszuführen.
Aber fort – fort; draußen hellen sich schon die Höhen und der Morgen bricht sonst an, ehe wir die, noch ziemlich ferne Schlucht erreichen. Kalt und frostig schickt ein scharfer Nordost seinen eisigen Hauch herüber, und die Glieder müssen wir durch Gehn erwärmen. Das ist auch leichte Arbeit in den Bergen, denn jetzt an steiler Lanne hin, den kaum sichtbaren Pirschpfad folgend, jetzt thalauf und ab, fühlt man die Kälte bald nicht mehr, und gar nicht lange, so zeigen die fallenden Schweißtropfen und die heiße Stirn eine ganz andere Temperatur, als die beim Ausgang war.
Die Nacht, oder vielmehr gegen Morgen hatte es etwas geschneit und in dem Delpzkessel selber, an der Nordwand, lag auch noch Schnee von einem früheren Fall her. Dort wurde ich hinaufgeschickt, und zwar so weit, daß ich bis dicht unter die steil anlaufende Wand und auch eine Strecke nach unten – wo außerdem noch gegenüber eine Wehr hinkam, schießen konnte. Die Parole war dabei: ruhig und still liegen zu bleiben und sich nicht zu rühren, denn das Geringste was sich regt, gewahrt die Gemse.
Der einzige günstige Platz den ich mir da oben, wo auch nicht der geringste Busch, nicht die kleinste Laatsche stand, aussuchen konnte, war in einem flachen Erd- oder vielmehr Schneekessel, denn der ganze Hang lag dicht mit gefrorenem Schnee bedeckt. Im Bergsack hatte ich allerdings den für solche Fälle höchst nöthigen Mantel und war auch noch von dem raschen Marsch warm genug, trotz den nackten Knieen eben keinen Frost zu fühlen – aber das Treiben wollte nicht beginnen. Eine Viertelstunde verging – eine halbe – eine ganze Stunde – und noch regte sich nicht das Geringste, weder auf der Höhe von Treibern, noch im Kessel drin von einer Gemse.
Die Zähne fingen mir jetzt an zusammen zu schlagen und ich kauerte mich eine Weile so eng ich konnte auf dem nichtswürdig kalten Schnee zusammen. Die Neugierde läßt den Menschen aber auch da nicht ruhn, und vorsichtig wieder den Kopf hebend, schaute ich mit abgenommenem Hut über den Rand der kleinen Höhlung in der ich lag, ob sich denn noch gar Nichts sehen ließ. Zu hören war nicht das Mindeste.
Einen wunderbaren Anblick bot, als der Tag völlig angebrochen war und die Sonne das hohe pyramidenförmige Joch des Scharfreuters beschien, der Kessel selber. Die Dämmerung hatte sich aus diesem noch nicht ganz hinausarbeiten können, und der Schnee der auf den Reißen der Nordseite lag, schillerte in bläulich matter Farbe. Kein einziger Busch war zu erkennen; nur drüben unter dem Scharfreuter der die südliche Grenze desselben bildet, wuchsen kleine verkrüppelte Laatschen. Links hob sich dabei die vollkommen kahle schroffe Wand viele hundert Fuß empor und grad' aus lief sie zu einem engen niederen Passe nieder.
Wenn man so da lag und hineinschaute, sah es auch aus als ob der ganze Platz kahl, und leicht zu übersehen wäre, nicht eine Ratte hätte sich ja darin verbergen können, außer vielleicht hie und da hinter einem niedergebröckelten Stein. – Ich war aber mistrauisch gegen diese Augentäuschung geworden, die mich schon einige Mal irre geführt, und untersuchte vorsichtig auch den kleinsten dunklen Punkt mit meinem Fernrohr.
Wenn es nur nicht so furchtbar kalt gewesen wäre – und dann der Schweiß vorher. Wunderbarer Weise hat aber ein Temperaturwechsel, der im flachen Lande und in der dicken schweren Luft da unten die schlimmsten Krankheiten nach sich ziehen müßte, hier nicht die geringsten Folgen. Man friert eben oder wird heiß, und mit der Ursache ist auch die Wirkung vorbei.
Zwei volle Stunden mochte ich so auf der einen Stelle gelegen haben, da klapperte ein Stein! – noch in weiter Entfernung zwar, aber es war da jedenfalls etwas unterwegs. Oben auf der Wand wurde auch jetzt ein Jäger sichtbar – nicht größer wie ein Fingerglied stand er oben, und nur sein ha – ho! schallte klar und deutlich nieder. Da donnerte ein Schuß durch den Kessel, und brach sich rasselnd an der rauhen Wand – ich sah auch den blauen Dampf in einem kaum erkennbaren Wölkchen aufsteigen, weiter war aber nichts zu sehn. Da – dort waren Gemsen, sieben – acht – neun Stück, klein wie die Ameisen die an einer Kalkwand hinlaufen, sprangen sie über den weißen Schnee der Reißen, gerad' nach mir zu. Die kamen sicher hier herüber. Jetzt sind sie plötzlich verschwunden – das was ich von hier für ebenen Grund gehalten, sind tiefe Schluchten und Spalten und einer von diesen folgend haben sie sich dem inneren Kessel zugewandt, dort vielleicht hinunter und in das Thal nieder zu brechen. Aber dort steht auch ein Schütze der sie schon empfangen wird.
Es sieht wundervoll aus, wenn die kleinen winzigen Dinger so flüchtig über die Steine wegsetzen. Was für einen Spektakel sie dabei auf dem Geröll machen – und doch sind sie so weit entfernt. Jetzt kommen sie dort plötzlich, als ob sie aus der Erde herausdrängten, wieder zum Vorschein. Hei, wie sie dem Engpaß zuspringen an dem – Wie von einer Kugel getroffen, knickte ich zusammen und in den Schnee hinein, denn dort vor mir – kaum vierhundert Schritt entfernt, und in schnurgerader Linie auf mich zu, kam ein alter pechschwarzer Bock langsam über den knatternden Schnee daher getrollt. Vorsichtiger Weise hatte ich mir heute Morgen ein weißes Tuch mitgenommen, das ich jetzt über den Kopf band, die dunklen Haare zu verdecken, dann die Büchse spannte und mich nun langsam aufrichtete, den Bock zu empfangen, oder wenn er zu weit nach unten einbiegen sollte, anzuspringen. – Er war stehn geblieben, und schaute jedenfalls nach dem Rudel hinunter das jetzt durch den vom Schnee freien Kessel setzte. Wie er so dastand sah er wahrhaftig aus wie ein dreijähriger Keuler, so schwarz und zottig und anscheinend plump auf den Füßen.
Ich fing jetzt vor Kälte und Aufregung an zu zittern, daß mir die Glieder ordentlich am Leibe flogen, aber das dauerte nur wenige Momente, und jetzt drehte sich auch der Bock langsam nach mir um und – verschwand. Im Schnee war er auf einmal wie geschmolzen, und da ich fürchtete daß er auch am Ende, wie das Rudel, irgend eine Spalte angenommen haben könnte und dieser dann thalab folgte, sprang ich in die Höh' und aus meiner Höhlung heraus auf den höheren Rand, dort jedenfalls mehr Uebersicht zu haben, und einen freieren Schuß zu bekommen. Unwillkürlich sah ich dabei nach unten hin, als es über mir wieder krachte und der Bock jetzt, der dort auf's Neue zum Vorschein gekommen war, und mich jedenfalls gesehen hatte, in voller Flucht über den Schnee fort und dem steilen Felsrand zusauste, der ihn vor meiner Kugel gesichert hätte. Die wurde ihm aber, ehe er noch zwanzig Sätze gemacht; die Kugel schlug auch vortrefflich und der Bock zeichnete; nichts destoweniger setzte er mit unverminderter Schnelle seinen Lauf fort, und mein zweites Rohr – versagte.
Das todte Niederschlagen des Hahns auf das Hütchen ist unter allen Umständen ein fataler Laut, hier aber, nachdem man ein paar Stunden im Schnee gelegen hat und bald erfroren ist, bringt es Einen wirklich zu gelinder Verzweiflung und man faßt unwillkürlich die Büchse, als ob man ihr etwas zu Leide thun wollte – man thut ihr aber Nichts.
»Piff – paff« – ging es jetzt auch unten im Thal, und als ich den Kopf dorthin wandte, sah ich wie das Rudel den schmalen Engpaß angenommen, und trotz dem dort stehenden Schützen forcirt hatte.
Mir machte jetzt indeß mein eigner Bock zu schaffen, und vor allen Dingen den abgeschossenen Lauf wieder ladend, und dem anderen ein frisches Zündhütchen aufdrückend, nahm ich meinen Hut und Bergstock, und kletterte an dem harten Schnee hinauf, den Anschuß zu untersuchen. Der Bock selber war lange um die Felswand verschwunden.
Schweiß! – beim Himmel! ein großer dunkler Tropfen, gleich dort wo ich die Fährte fand, und weiter zurück wo die Kugel in den Schnee gefahren, lagen abgeschossene Haare. Der Bock hatte hier gleich vom Anfang an auf beiden Seiten geschweißt; und war jedenfalls durchgeschossen. Für jetzt ließ sich indessen weiter Nichts thun als den Anschuß zu verbrechen – aber womit? Kein Busch stand auf tausend ja vielleicht zweitausend Schritt. Ich that endlich das Einzige was mir übrig blieb, ich legte meinen Hut auf den Schweiß und stieg nun in's Thal hinab wo sich die Schützen schon sammelten. Oben auf der Wand halloten die Treiber noch, und warfen dann und wann Steine nieder. Lärm genug machten die allerdings, wenn sie mit hohlem Sausen in's Thal hinab donnerten; nützen konnten sie aber für den Augenblick Nichts weiter.
Nach halbstündigem Marschiren näherte ich mich endlich der Stelle wo unser Jagdherr einen starken Bock erlegt hatte. Er lag dicht unter der Wand und der glückliche Schütze stand neben ihm. Martin kam eben seitwärts vom Treiben herein. Da löste sich oben ein kleiner Stein von der Wand, kam herunter gesprungen, und schlug etwa zehn Schritte vom Herrn ein. Er kam übrigens hoch genug nieder, dem unten Stehenden den er traf, noch ein tüchtiges Loch in den Kopf zu werfen, – wenn nicht mehr zu thun.
»Werft keine Steine mehr da oben 'runger!« rief Martin hinauf, und hielt sich den Hut hinten, um besser nach oben sehn zu können.
»Ja!« lautete die Antwort und gleich darauf donnerte und krachte es oben, als ob ein Felsblock nieder käme. Ich war noch ein Stück davon entfernt, konnte aber deutlich sehn wie Herr und Diener eben noch Zeit behielten unter einen vorhängenden Felsblock zu springen, als die etwa kopfdicken Brocken niederprasselten.
»Ihr sollt keine Steine mehr oben herunter gewerf!« schrie Martin jetzt wieder, sobald das Geröll unten anlangte, indem er vorsprang den Befehl hinaufzurufen.
»Ja!« lautete die, wie ärgerlich gegebene Antwort und mit dem Ruf zugleich donnerte es auch auf's Neue von oben wieder, und jagte Martin eben so rasch unter die Wand, um welche die zerschellenden Stücken herum spritzten.
»Ihr sollt nicht mehr werfen!« schrieen jetzt andere Jäger hinauf, und Martin wollte eben einen neuen verzweifelten Versuch machen dem Steinhagel Einhalt zu thun, denn die Lage seines Gebieters fing dort unten an gefährlich zu werden; wieder aber schickte ihn eine neue Ladung zurück, und ich selber konnte von der Stelle aus auf der ich stand deutlich erkennen, wie sich der oben stehende und hitzig gewordene Rainer die größte Mühe von der Welt gab, nur recht rasch noch ein paar frische Steinbrocken aufzutreiben, oder von der Wand loszutreten und nieder zu senden. Er hatte keine Ahnung davon welch Unheil er anrichten konnte. Nur mit entsetzlicher Mühe brachten wir ihn auch endlich, durch vereintes Geschrei dahin, von seinem Bombardement abzustehen, denn während ihm von unten aus zugerufen wurde mit Werfen aufzuhören, hielt er das fortwährend für eine Aufforderung mehr Baumaterial herunter zu lassen, weil er, seiner späteren Aussage nach, glaubte man hätte irgendwo an der Wand einen alten hartnäckigen Bock entdeckt, der nicht heraus zu bringen wäre, und »den wollen wir schon kriegen, dacht' ich.«
Der erlegte Bock wurde jetzt zum Eingang der Delpz und auf den scharfen Rand gebracht, der direkt zum Scharfreuter herunterläuft. Dort sammelten wir uns alle, von da aus ein zweites Treiben das am Wisinger Berg gemacht werden sollte, zu umstellen – aber vorher ein wenig zu frühstücken.
Eine zweite Gemse die unten geschossen worden, war jetzt auch herbei gebracht und Martin beschrieb gerade wie er von oben hereingekommen, und den erlegten Bock an der Wand hinaufklettern gesehn, als er seinen Bericht plötzlich mit dem halbunterdrückten aber ängstlich hervorgestoßenen »Ein Bock!« unterbrach, und zu gleicher Zeit deutete der Arm mitten in den Kessel hinein, derselben Wand zu, von der Rainer sich vor noch kaum einer halben Stunde die größte Mühe gegeben hatte Alles niet- und nagellose nieder zu senden.
Und er hatte recht; trotz dem Lärm, trotz dem Rufen und Schreien, trotz dem vielen Schießen endlich, da wir nach dem Treiben unsere Büchsen abgefeuert, kam da schon wieder ein Bock in's Thal herein, und schien die Wand entlang die Richtung gerade auf uns zu zu nehmen.
Noch war er allerdings so klein, als ob eine Maus auf der Schneebahn hinliefe; die Thiere äugen aber ganz vortrefflich und wir wußten Alle daß wir uns nicht rühren durften, wenn er nicht augenblicklich umdrehen und den Rückwechsel annehmen sollte.
»Was thun wir jetzt?«
»Ich laufe hinten herum und schneid' ihm den Weg ab,« rief Martin schnell bereit, »wenn die Anderen dann wieder oben auf den Rand gehn und die paar Pässe besetzen, muß er hier heraus.«
»Aber es sind außen herum zwei Stunden Wegs bis zu der Wand dort drüben,« sagte Einer.
»Ich lauf's in einer halben,« versicherte Martin, und versprach keinesfalls mehr als er leisten konnte.
»Sowie wir hier aufstehn sieht uns der Bock,« flüsterte Ragg.
»Wir brauchen nicht aufzustehn,« lachte der Herr und gab das Beispiel zum allgemeinen Rückzug, indem er sich langsam hinten überbog. Ohne den Körper oben wieder zu zeigen glitt er so nach hinten, und rasch, aber mit nur mühsam unterdrücktem Lachen folgten Alle in derselben Art. Komisch genug muß es auch ausgesehn haben, und wenn Jemand hätte oben vom Berg aus diese plötzliche wunderbare Bewegung der ganzen Jagdgesellschaft beobachten können, ohne die Ursache zu wissen, wäre er mit Recht erstaunt gewesen. Das Manoeuvre hatte jedoch vollständigen Erfolg; der Bock gewahrte nicht das Mindeste und Alle eilten jetzt, von dem Hang gedeckt, den ihnen bestimmten Plätzen zu. Es konnte auch wahrlich kaum eine halbe Stunde gedauert haben als Martin, der die Ausdauer eines Windhundes hat, sich an dem entgegengesetzten Felsvorsprung zeigte und der Bock, also beunruhigt rasch dem bequemsten Ausgang zueilte der gerade vor ihm lag. Da freilich mußte er in etwa hundertfünfzig Schritt von dem Felsblock vorbei hinter dem unser Gastherr geschickt sich verborgen hatte. Daß er in voller Flucht ging half ihm ebenfalls Nichts. Er bekam die Kugel seines Namenvetters3 mitten auf's Blatt, lief noch etwa sechzig Schritt, und brach dann zusammen.
Durch dieses Intermezzo war nun freilich der Tag für ein zweites Treiben zu weit vorgerückt, und Martin wurde mit Pirschmann auf meinen kranken Bock geschickt. Leider brachte er von der Nachsuche blos meinen Hut zurück, denn der Bock der jedenfalls hoch und hohl durchgeschossen worden, hatte den Berg angenommen und war, obgleich tüchtig schweißend, über die Grenze gegangen. – Gemsen sind überhaupt entsetzlich hart, und laufen, selbst bei tödtlichem Schuß, oft noch eine lange Zeit. Eine hoch geschossene Gemse, wenn die Kugel nicht gerade das Rückgrat zerschlägt, kommt fast immer durch, oder ist wenigstens in den meisten Fällen für den Jäger verloren.
Daß sich die Böcke übrigens, wie wir heut mehre gesehn, schon von den Rudeln abhielten und einzeln umher zogen, war ein Zeichen daß die Brunft bei ihnen begonnen hatte. In der Zeit ist der Gemsbock ein so eigenthümliches wie merkwürdiges Thier. Ehe er sich wieder mit seines Gleichen einläßt, scheint er sich erst eine Zeitlang in sich selbst zurückzuziehn, stellt sich ganz allein, und nur mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt in steile Wände und Klammen ein, nimmt sehr wenig Nahrung zu sich, und spielt mit einem Wort den ächten »Oansiedl vom Berge.« Sowie aber die wirkliche Brunftzeit beginnt verläßt er diese verdeckten Orte und steigt auf die Joche, am liebsten zu schmalen Stellen auf, von wo er nach beiden Seiten hinab und nach den vorbeiziehenden Rudeln niederschauen kann. Auch auf einzelne vorspringende Felsen geht er gern hinaus, einen besseren Ueberblick über die Thäler zu gewinnen. Schließt er sich endlich einem Rudel an, so setzt es gewöhnlich hartnäckige Kämpfe zwischen den schon dabei befindlichen Böcken, wo dann natürlich das Recht des Stärkeren entscheidet.
Laute giebt er in dieser Zeit nicht von sich, ein leises, nur in geringer Entfernung hörbares Mekkern ausgenommen. Er soll aber dann, besonders wenn die Jahreszeit weiter vorgerückt ist, außerordentlich neugierig werden, und herbei kommen sobald er etwas Ungewöhnliches sieht – vorausgesetzt natürlich, daß er keinen Feind wittert.
Die Jäger bethören ihn auch wohl manchmal, indem sie, dicht versteckt hinter einem Fels oder Busch, ihren Hut mit dem weißen Stoß von Schneehuhn oder Birkwild daran, langsam hin und her bewegen, worauf der Bock gar nicht selten herbei kommen soll, zu sehn was es gäbe. Einzelne haben sich auch schon schwarze wollene Mützen mit einem breiten weißen Streifen an jeder Seite stricken lassen, die sie dann über den Kopf ziehn, und diesen an irgend einem Felsenvorsprung oder aus einem Busch heraus zeigen. Merkwürdig ist, daß sich in dieser Zeit, dicht hinter den Krickeln des Bocks, am oberen Theil des Kopfes, eine eben nicht ambraduftende Anschwellung, der sogenannte Brunftknopf bildet, der etwa zu der Größe einer Haselnuß anwächst.
So scheu der Bock im Allgemeinen ist, und so sehr er besonders den Menschen fürchtet, ist doch in der Riß schon einmal ein Fall vorgekommen, wo eine Gemse unten im Thal, und auf dem Fahrweg, einen dort vorbeikommenden Menschen aus freien Stücken angefallen, und bös gestoßen hat.
Merkwürdig bleibt das überhaupt in der Naturgeschichte der Thiere, und für uns ein bis jetzt noch keineswegs aufgeklärtes Geheimniß, daß ausnahmsweise, und in einem uns nicht erklärbaren Zustand von Aufregung und Wuth sonst ganz friedliche und furchtsame, wenigstens den Menschen fürchtende Geschöpfe diesen anfallen, und dann auch nicht eher ablassen bis sie getödtet oder unschädlich gemacht werden. Ich weiß solche Beispiele von Füchsen, Wieseln, Mardern, wilden Katzen, ja selbst mit dem Hasen soll es vorgekommen sein, und jener Gemsbock liefert ebenfalls den Beweis dafür.
Von großen Thieren bieten Elephanten und Rhinocerosse ähnliche Beispiele, diese aber meist in der Brunftzeit, wenn sie von einem stärkeren Gegner besiegt wurden und nun in höchst verdrießlicher Laune allein den Wald durchziehn. Sie fallen dann Alles an was ihnen in den Weg kommt. Die Wallfischfänger ebenfalls kennen die Gefahr der ihre Boote ausgesetzt sind, wenn sie einen einzeln umherstreifenden Pottfisch (Cachelot, Spermfisch) angreifen. Ist ja doch schon der Fall mit dem englischen Schiff Essex vorgekommen, daß es ein einzelner Spermfisch selber ungereizt angefallen und in Grund gebohrt hat.
Ueberhaupt kennen wir bis jetzt nur erst leider die alleräußersten Umrisse des Familienlebens der wilden Thiere, denn die eingefangenen leben in einem ganz unnatürlichen Zustand, und können keinen Maßstab geben, während in der Wildniß selber eine genauere Beobachtung unmöglich ist. Es fehlt uns der Schlüssel zu ihren Handlungen, wir verstehen ihre Sprache nicht, und begnügen uns gewöhnlich mit dem einen nichtssagenden Wort Instinkt das, was wir Außergewöhnliches von ihnen zu sehn bekommen, zu erklären.