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Kitabı oku: «Eine Gemsjagd in Tyrol», sayfa 8

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11.
Die Grasberg-Alm

Die Nacht wehte ein fliegender Sturm, und der Mundkoch behauptete am nächsten Morgen, daß ihm gerade um Mitternacht die Mütze, die er im Bett aufbehalten, im Bett vom Kopf geflogen sei. Rein und wolkenlos brach aber der nächste Morgen wieder an, und da hier nicht weiter gejagt werden sollte, wurde das Lager zum Abend auf die Grasberg-Alm beordert. – Weiter war Nichts nöthig, und der Kammerdiener besorgte das Uebrige.

Auf dem Weg dorthin sollten einige, zwischen der Baumgart- und der Grasberg-Alm liegende Gräben geriegelt werden. Gemsen zeigten sich hier überall, und wenn auch natürlich die wenigsten zum Schuß kamen, wurden doch wieder vier erlegt; drei von des Herzogs eigener Hand.

Ich saß unten, ziemlich tief im Graben in einer schattigen Felsspalte drin, da die Sonne warm auf die Berghänge schien, und die Luft dort aufzog. Völlig gedeckt mußte ich übrigens Alles, was mir etwa hätte schußmäßig kommen können, schon zeitig genug hören oder sehen, mich fertig zu machen. Ich vertrieb mir also damit die Zeit, durch mein Perspektiv zwei alte Kitzgeisen zu beobachten die sich an einem grasigen Abhang ästen, während die beiden kleinen niedlichen Kitzen, die eben die kurzen Krickeln etwa zwei Zoll hoch zeigten, lustig um sie herumsprangen, auf den beiden Hinterläufen tanzten, die kleinen kaum bewehrten Köpfchen gegeneinander andrückten, und sich gerade so benahmen, wie sich ein paar junge übermüthige Ziegenböckchen an ihrer Statt benommen haben würden. Obgleich die Gemse nicht zum Ziegen-, sondern zum Antilopengeschlecht gehört, hat sie in der Bewegung und Lebensart doch manche Aehnlichkeit mit ihr. Sonst halten sich die beiden aber in den Bergen, wo sie doch manchmal zusammentreffen, ziemlich entfernt von einander, und man soll eher Gemsen zwischen Schafheerden auf der Aesung finden, als zwischen Ziegen, obgleich das erstere ebenfalls sehr selten geschieht.

Von da wo ich lag konnte ich den oberen Pirschweg ziemlich deutlich erkennen, der sich wie ein matt-lichter Streifen hie und da über nacktes Gestein hinzog, bald zwischen Laatschenbüschen verschwand und an einer kleinen Lanne oder sonst offenen Stelle wieder zum Vorschein kam. Wie ich zufällig einmal den Blick hinaufwarf, sah ich sich etwas bewegen, und das Fernrohr dorthin richtend erkannte ich bald einen geringen Hirsch – es mochte ein Sechs- oder Achtender sein – der, von einem Thier gefolgt, langsam den Pirschweg hin und zwar nach Osten zuhielt. Der Hirsch blieb dabei manchmal stehn und äugte zurück, trollte aber dann immer wieder rascher vorwärts, als ob ihm da hinten etwas nicht recht gefalle.

Ich zerbrach mir noch den Kopf darüber, was ihn in aller Welt könne beunruhigt haben, da er sich vollständig außerhalb des Treibens befand, als ich plötzlich zur Linken, auf demselben Pfad, etwas Weißes aus den Büschen vorleuchten sah. Rasch richtete ich mein Glas dorthin, und erkannte bald zu meiner innigen Freude den Kammerdiener und den Koch die, Beide in Hemdsärmeln – und der heiße Tag rechtfertigte vollkommen eine solche Erleichterung – die Röcke durch den linken Arm gesteckt Einer hinter dem Anderen in angenehmer Unterhaltung daher kamen, und den Hirsch mit dem Thier ebenfalls zu einem, wahrscheinlich gar nicht beabsichtigten Spatziergang nöthigten. Der Mundkoch trug dabei etwas in der Hand, das hin und her schaukelte und eigenthümlich in der Sonne blitzte, was es sei, ließ sich indeß in solcher Entfernung nicht gut erkennen. Es war dies übrigens das friedlichste Hirschtreiben das ich je gesehn, und hätte der Hirsch ebensowenig von seinen Treibern gewußt, wie diese von ihm, wären sie beide jedenfalls näher zusammen gekommen. So ließ sich das Wild noch eine Zeitlang den Pirschweg gefallen, und verschwand dann endlich in einem, nach unten in den Graben führenden Dickicht.

Einen eigenthümlichen Anblick hatten wir an dem Abend, als wir, schon etwas nach Dunkelwerden, die Grasberg-Alm-Hütte erreichten. Unten die Thäler lagen schon in tiefer Nacht, und selbst die Berge zeichneten sich düster gegen den noch hellen Horizont ab. Dicht hinter den Häusern stieg eine kahle, nur von breiten Streifen, fast wie angelegten Beeten von Alpenrosen bedeckte Anhöhe hinauf, und lief, nach dem Kumpar hinüberführend, mit ziemlich ebenem Rücken etwa tausend Schritt von Nord nach Süd. Der kahle Rand stach jetzt desto auffallender gegen den noch lichtgrauen Himmel ab. Oben aber, daß der ganze Körper bis zu den Klauen hinunter deutlich sichtbar blieb und fast so aussah, als ob er zierlich aus schwarzem Papier geschnitten wäre, stand ein Hirsch, spitz gegen uns gekehrt, und beobachtete aufmerksam den Einzug der ihm jedenfalls unwillkommenen Gäste. Regungslos verharrte er dabei in seiner Stellung und man konnte mit dem Fernglas deutlich das ausgreifende Geweih erkennen, bis wir durch eine Senkung des Hügelhangs seinen Blicken entzogen wurden. Aber selbst dann beruhigte er sich noch nicht, und wenige Secunden später tauchte der schlanke Körper wieder auf einer anderen etwas vorragenden Stelle des Hügelrückens auf, von wo aus er die Häuser selber überschauen konnte. Dort stand er bis es so dunkel geworden war, daß man ihn kaum noch erkennen konnte, und verschwand endlich, wie in den Berg hinein.

Das Wetter blieb die letzten Tage ziemlich schwankend. Den Tag über hatte es manchmal ein wenig geregnet, manchmal die Höhen mit dichtem Nebel umzogen; auch der Wind war eben nicht zum Besten gewesen. In der Nacht drehte er sich indessen nach Südost herum, die Luft wurde kalt und rein, vom Himmel funkelten Myriaden Sterne, und gegen Morgen deckte leichter Reif den Boden.

Ich war früh aufgestanden, in erster Morgendämmerung die Aussicht nach den gegenüberliegenden Bergen zu haben. Von hier aus hatten wir den Blick auch in ein anderes Thal, dessen Pulsader, der klare muntere Bergstrom, wie der Johannisbach, an der Carwendelwand entsprang, und sein Wasser von Nord nach Süd in die Riß hinein jagte. Laut aufjauchzen hätte ich aber mögen, als ich hinaus vor die Thür der Hütte trat und von dem nächsten, kaum dreißig Schritt entfernten Grashang das zu meinen Füßen liegende Thal, die gegenüber liegende Berggruppe überschaute.

Ich will versuchen den Anblick zu beschreiben aber, lieber Gott, wie weit bleiben da Worte hinter dem wundervollen zauberschönen Bild zurück das sich hier, wie durch den Stab eines Magiers heraufbeschworen, vor meinen Blicken entrollte, und mir die Seele mit Lust und Jubel füllte. Das ganze Rißthal unter uns, soweit das Auge darin nach rechts hinunter, nach links hinauf schweifen konnte, wie das schmale, zwischen dem Falken und Roßkopf nach der Carwendelwand zulaufende Laritter Thal war in der Tiefe mit dichtem milchweißem Nebel angefüllt, aus dem die grünen bewaldeten Wände wie die dunklen Ufer eines Nebelstroms emporstiegen. Darüber hoch hinaus ragten die starren Kuppen der ewig schönen Berge vor uns, mit den kühn gerissenen Gipfeln des Gemsjochs während links der Kumpar sein spitzes Haupt in die blaue Luft hineinreckte. Ein Duft lag dabei über dem Allen, wie er sich weder mit Farbe noch Feder schildern läßt, und wie die Sonne höher und höher stieg, und der Nebel da unten Leben und Bewegung bekam, wie es den Wiederschein von den Gipfeln in's Thal hinunterwarf, wie sich die schneeigen luftigen Schichten anfingen zu rollen und ineinander zu drängen, und ihre Ränder jenen eigenen wunderbaren fast durchsichtigen Rosenschimmer annahmen – wie es da endlich mehr und mehr zu wogen begann, als ob die Bergriesen dadrinnen die Schultern gegengestemmt hätten, und die weiße Fluth mit aller Macht zum Thal hinaus schöben, wie hie und da ein kleiner Bergesvorsprung inselgleich und dunkel daraus empor stieg, daß ihm die weißen Schwaden durch die Wipfel seiner Bäume schwindend, schmelzend über den Nacken flossen und die ganze Pracht des morgenglühenden Thales jetzt plötzlich sichtbar ward, da wußte ich gar nicht mehr wie mir geschah, so leicht, so froh, so glücklich fühlt' ich mich, und hätt' ich mich nicht vor den Jägern geschämt, ich glaube, ich wäre dem nächsten Baum um den Hals gefallen, und hätte laut geweint.

Es giebt ja aber auch nichts Edleres, nichts Reineres als die Natur. Wer sich ihrer freut, wem Gott Empfänglichkeit dafür in's Herz gelegt, der hat ein Recht sich den bevorzugt Glücklichen zu zu zählen, denn überall auf dieser weiten wunderschönen Welt sind ja Genüsse für ihn ausgestreut.

Eigenthümlicher Weise erfaßte mich hier ein ganz ähnliches Gefühl als damals, als ich das erste Rauschen der Palmen über mir hörte. In jener heiligen Ruhe der Tropenwelt unter den mächtigen wunderbaren Bäumen vermochte ich den Eindruck unwillkürlich nichts Anderem zu vergleichen, als dem stillen heimischen Schneefall in einem Fichtenwald, wenn die großen Flocken so langsam und sanft hernieder sinken, zwischen den grünen schützenden Zweigen durch, und mit der weichen reinen Decke den Boden warm belegen. So zitterte mir hier, den wilden trotzigen Alpen, dieser gigantischen, kühn gerissenen Bergesschönheit gegenüber, dasselbe selige Gefühl durch's Herz das ich empfand, als ich vom Megamendong in Java nieder das herrliche Preanger Thal mit seinen einzelnen Fruchtbaum-Oasen, seinen dichten Wäldern und all seiner tropischen Pracht vor mir ausgebreitet sah – und doch wie ganz verschieden sind die beiden Scenen.

Dichter und compakter sammelte sich indeß, während die Sonne höher stieg, der Nebel, rollte langsam, ein Zeichen guten Wetters, zum Thal hinaus und weiter in's flache Land –, und unsere Jagd begann.

Aber ich darf den Leser auch nicht mit Wiederholungen ermüden. Wohl hätt' ich ihm freilich gewünscht das wundervolle Schauspiel mit zu genießen, das uns noch einmal über Tag am Heimjoch der Nebel in seinen eigenthümlichen Schatten und Formen gab, oder ihn einmal über einen der dortigen Pirschwege in die Bockgräben, und so mitten in die wilde Fels- und Schluchtenwelt da eingeführt, doch versäumen wir leider zu viel Zeit dabei.

Diese Pirschwege, so behaglich das Wort Weg auch in den Bergen klingt, darf man sich übrigens nicht etwa zu bequem denken. Sie sind meist immer nur angelegt vollkommen unerreichbare Klammen und Wände passiren zu können, und dort hinein zu pirschen, oder – wenn man auf die andere Seite will – weite, oft stundenlange Umwege, zu sparen. Das würde aber einestheils sehr viel und hier in den Bergen äußerst werthvolle Zeit kosten, und dann ist auch ein Anschleichen an die scheuen, mit so scharfen Sinnen begabten Gemsen an solchen Stellen ohne derartige Hülfe fast ganz unmöglich – wenn man nicht eben Tagelang darauf verwenden will und kann, sie zu durchkriechen. Die Spitzhacke hat dabei oft nur in sehr rauher Weise eine natürliche Ader des Felsens benutzt, dem Fuß geringen Halt zu bieten, oder das Jagdmesser über die Klippen hier nur einfach durch die Laatschen Bahn gehauen. Gar nicht selten aber ziehn sich diese sehr schmalen Pfade an schroffen wilden überhängenden Wänden schwindelnd hin, und der Wanderer muß sich wohl hüten dem Steine nicht nachzuschauen der von seinem Fuß berührt mit dumpfem langem – langem Fall die blaue Tiefe sucht.

Die Jäger sagen daß ein solcher Stein den Menschen nachziehe, und Unglücksfälle dadurch herbeigeführt, sollen allerdings schon vorgekommen sein, ja nicht einmal zu den Seltenheiten gehören. Die Ursache liegt aber auch dafür klar auf der Hand, denn während der Stein senkrecht an der Wand niederfällt muß er allmälig, je tiefer er fällt, mehr und mehr aus dem Gesichtskreis des Nachschauenden kommen der, um ihm mit den Augen zu folgen, gezwungen ist sich weiter und weiter nach Außen zu biegen. Dadurch kommt er mit dem schweren Oberkörper unmerklich über den Abgrund, und mag er so schwindelfrei sein wie er will, er muß das Gleichgewicht verlieren. Ueberhaupt ist das Steigen da oben an den Wänden herum manchmal wirklich, wie der Amerikaner sagt »viel zu interessant, um angenehm zu sein.«

12.
Das Gemsjoch

Dem Grasberg gegenüber, und der steilen Carwendelwand zu, zieht sich ein enges, von steilen Wänden eingedrängtes Thal. Die Scenerie ist hier viel wilder wie an der Riß, weil die Felshänge viel schroffere und deshalb auch weit weniger und nur stellenweis bewaldete Vorsprünge, zum unten vorbei quillenden Bach hinunter schieben. Sieht man dabei von dort zu ihnen auf, so hält man es auch wahrlich nicht für möglich, daß weder die Gemse, noch viel weniger ein keckes Menschenkind an ihnen fußen und sich ihren fast senkrechten Schluchten anvertrauen dürfe. Und doch bieten sie dem kühnen Gemsjäger nur geringes Hinderniß. Mit dem scharfen Eisen unter dem Fuß, den spitzen starken Stock in der Hand, laufen diese Bergmenschen furchtlos die schmale Bahn entlang, jede Hülfe die ihnen hie und da der Boden bietet mehr in einer Art von Instinkt als mit Vorbedacht benutzend. Ihre Uebung in dergleichen Werk, die ähnlichen Hindernisse die ihnen überall entgegenstehen, geben ihnen auch schon den raschen und höchst nöthigen Ueberblick, die besten – oft die allein möglichen – Stellen zum Uebergang rasch und unverzagt zu wählen und zu behaupten.

Dort zogen wir hinauf, dem engen Thal folgend, das hier durch die breiten Wände des kleinen Falken und Gemsjochs rechts und links gebildet wurde. Dicht an den Ufern eines ziemlich starken rauschenden Bergbachs, dessen breites steiniges Bett von der furchtbaren Gewalt Kunde gab mit der diese Wasser im Frühjahr nieder stürzen, und Alles mitnehmen, was sie in ihrem Wege finden, lag unser Pfad. Da plötzlich, wie durch Zauberei, war der Strom verschwunden, selbst unter unseren Füßen fort, und nur die gähe Stille um uns her, machte uns erstaunt niederschauen in das noch allerdings eben so breite und steinige, aber vollkommen trockene Strombett. Dies plötzliche Verschwinden war so merkwürdig, daß wir zwanzig oder dreißig Schritt zurückgingen, wo wir den hier etwa drei Fuß breiten, mächtig quellenden Bach von der kleinen Falkenwand herüber unter dem Geröll vorbrechen sahen, während ein schwächerer Zufluß von oben her, aber ebenfalls tief unter dem Gestein hervor zu kommen schien. So eigenthümlich es auch aussah und so sehr es uns im Anfang überraschte, so leicht erklärte es sich doch, denn diese steilen Wände lösen durch Lawinen und Thauwetter ununterbrochen kleinere oder größere Massen Steine los, und schleudern sie in das Thal hinab. Diese sogenannten Reißen, die aus Nichts als wilden unfruchtbaren toll durcheinander gestreuten Felsmassen und kleinerem Geröll bestehn und an manchen Stellen hunderte von Fußen hoch liegen, nehmen deshalb auch schon einen ungeheueren Flächenraum im Gebirge ein, und scheinen sich von Jahr zu Jahr zu vergrößern. Es läßt sich denken, daß sie dadurch oft ganze Bäche verschütten, die sich jetzt unter der lockeren Decke die Bahn suchen müssen. Eben so wenig unterliegt es einem Zweifel, daß durch diese ewigen Bergstürze und Abscheidungen des Gesteins die scharfen und schroffen Gipfel der höchsten Kuppen mit der Zeit eine Veränderung erleiden, und niedriger werden müssen; ihr Umfang ist nur zu gewaltig, als daß ein einzelnes Jahrhundert es auffallend bemerkbar machen sollte. So sieht die vollkommen senkrechte Carwendelwand, an deren Fuß ungeheuere Reißen, ja wirklich Berge von Steinen liegen, die das Herz eines Chausseesteinklopfers mit Entzücken füllen würden, gerade so von unten aus, als ob sie durch diese Abbrüche jährlich wenigstens einen Fuß an Höhe verlieren müsse. Kommt man aber an die Südseite der grasbewachsenen, allmählig aufdachenden Hänge hinauf, und berechnet erst ihre Höhe, dann begreift man freilich, wie eines einzigen Zolles Dicke, von der Wand abgeschält, ganze Berge von Geröll in's Thal hinab schleudern müssen. Wären es aber auch selbst zwanzig Fuß so würden sie doch kaum den oberen Rand verändern können.

Aufwärts jetzt, Freund Leser, aufwärts! Das ist ein mühsamer, langer Stieg das Gemsjoch hinan. Wetter nocheinmal, wie massenhaft sich das Gebirg hier aufthürmt und in Lanne und Felsgeröll aus dem bewaldeten Thal empor sich hebt. S'ist auch am Besten man sieht sich gar nicht um, und steigt nur ruhig, unverdrossen fort; einmal erreicht man den Gipfel doch.

Das Gemsjoch sollte getrieben werden und ich selber war – beiläufig gesagt der beste Platz – auf die höchste Kuppe hinauf beordert worden. Aufgescheuchte Gemsen nahmen gern gerad' dort hinüber ihren Wechsel. Schweres Steigen hatten indeß bei diesem Treiben die Jäger, die sich ihre Bahn an den steilen schroffen Hängen suchen mußten. Es dauerte auch lange, bis sich das Mindeste zeigte oder hören ließ, und ich lag wohl anderthalb Stunden lang ungestört auf der achttausend Fuß hohen Kuppe des Jochs – in deren Nachbarschaft alle Fenster und Thüren auf sein mußten, denn es zog furchtbar. Die Aussicht war aber wundervoll, und ich ließ den Blick frei über die herrlichen, mit Schnee dicht bedeckten Alpenriesen, den Großglockner und seine Nachbaren hinausschweifen, die unter ihrer weißfunkelnden Hülle in unbeschreiblicher Pracht die zackigen wilden Gipfel gen Himmel reckten.

Hinter mir, nach Norden hinauf, öffneten sich dagegen die Berge; das weite flache Land mit einzelnen weißen hervorragenden Gebäuden und kleinen Städtchen, wurde sichtbar, und im Süd-Westen lagen wild und zackig die steyrischen Alpen dazwischen, ein weites Meer von Felsenjoch und Graten. Was für ungeheuere Wogen reckten da die weißen Häupter, züngelnd, wie wirkliche schaumdurchwühlte Wellen empor.

Auf dem Gemsjoch selber lag, trotz der Höhe desselben noch kein Schnee, denn der darauf gelegene war durch die letzten warmen Tage wieder fortgeschmolzen. Merkwürdig ist es auch, daß dieser Theil der Alpen keine Gletscher hat – ein einziger kleiner ausgenommen der dort in der Nähe sein soll, den ich aber nicht sah. Ihre Höhe berechtigt sie vollkommen dazu, denn in der Schweiz reichen die Gletscher viel tiefer hinab, und sieben und achttausend Fuß hohe Kuppen sind dort drei Viertheile des Jahres mit Schnee bedeckt. Dazu mag aber auch wohl die zusammengedrängte Masse höherer Gebirge, die fortwährend ihre Schneekronen tragen und deshalb eine viel größere Kälte um sich her verbreiten, mit beitragen.

Eine große Anhäufung von Schnee und Eis muß in sehr natürlicher Folge eine solche Wirkung hervorbringen, wie wir den Unterschied z. B. außerordentlich auffallend in den beiden Continenten von Europa und Nordamerika sehn. Europa, das im Norden einen weit größeren Flächenraum an eisfreiem Meer, und deshalb die eigentliche Eisregion auf einem weit kleineren Raum zusammengedrängt hat, ist deshalb auch viel wärmer als Nordamerika, dessen breite Basis nach Norden zu, mit den ausgedehnten Süß-Wasser-Binnenlandseen und dem enormen Flächenraum Eis und Schnee bedeckter Regionen den Unterschied um viele Grade spüren läßt. Philadelphia z. B. das mit Neapel auf einem Breitegrad liegt, hat eben so strenge und strengere Winter, als wir im höchsten Norden von Deutschland. In Louisiana, das mit der Wüste Sahara gleiche Breite hat, ist leichter Schnee nichts Seltenes. Stehendes Wasser friert oft selber in New-Orleans das, nur wenige Fuß über der Meeresfläche, auf einer Breite mit Cairo liegt.

Von Gemsen war noch Nichts zu sehn, als ich aber so dalag fest in meinem Regenmantel gewickelt, die kalte Zugluft abzuhalten, konnte ich nicht umhin die kleinen dichten Büschel außerordentlich zarten feinen Grases zu bemerken, die um mich her ziemlich reichlich wuchsen. Ich pflückte von dem zunächst stehenden etwas ab, kostete es, und fand es nicht allein außerordentlich weich, sondern auch zuckersüß – so süß und angenehm in der That von Geschmack daß ich Alles, was ich um mich her erreichen konnte, rein abäste und Nebucadnezars Geschmack, der bekanntlich den Salat erfunden, ganz begreiflich fand – wenn er nämlich dort so treffliche Weide hatte.

Dicht neben mir, denn ich lag auf dem allerhöchsten gar nicht etwa sehr breiten Gipfel, ging es steil und bergetief hinab. Wie wild und furchtbar sah es dort unten aus. Die steile Nordwand dieses Jochs, die vielleicht einige tausend Fuß hoch ohne Absatz niederging, bestand allerdings nicht aus einem glatten Fels, sondern aus bröcklichem zerrissenem und zerklüftetem Gestein. Man hätte selber hineinklettern können, wäre den Zacken eben nur zu trauen gewesen; aber unter dem Fuß oder Griff brachen die wettermürben Brocken los, und dann – es schwindelte mir als ich in die dunkle, Wind durchbrauste fürchterliche Tiefe hinabsah, und ich wandte mich schaudernd ab.

Und doch giebt es Menschen die an diesen Wänden an denen ihr Leben wie an dünner Faser hängt, ihre kärgliche Nahrung suchen. Die Enzianwurzelgräber klettern dort, an die Gefahr gewöhnt und gegen sie vollkommen abgestumpft, mit einem Sack, die gefundenen Wurzeln hinein zu thun, und einer kleinen Hacke, sie aus ihrem rauhen Bett heraus zu heben, sorglos herum, und die Gemse selbst hebt staunend den Kopf, wenn sie an solchen Stellen einen Menschen sieht. Kameraden finden auch wohl dann und wann eine alte verrostete Hacke, einen halb verfaulten Sack, und werfen einen scheuen Blick in den Abgrund nieder. Selbst unter dem leisen Ave Maria aber, für die Seele des Verunglückten, dessen Gebeine dort in irgend einem Abgrund bleichen, schauen sie sich schon wieder nach neuen Wurzeln um – der da unten ist wohl aufgehoben.

Das waren Gemsen – vorsichtig hob ich den Kopf zwischen den wild umhergestreuten Steinen empor, und sah eins der schönsten Schauspiele, das sich der Gemsjäger nur wünschen und ersehnen kann.

Der Gipfel des Gemsjochs theilte sich in drei ungleiche Spitzen, von denen die beiden westlichsten die höchsten, die östlichste, die vielleicht tausend Schritt von der westlichsten entfernt ist, etwas, aber nur wenig niedriger liegt und in einen kleinen spitzen Kopf aufläuft.

Auf dieser Spitze, die vier Läufe dicht zusammengedrängt, den schönen Kopf hoch und sichernd gehoben, stand eine Gemse und etwa zwanzig Schritt weit unter ihr, während noch andere über den Rand des Abhangs, scheinbar aus der blauen Luft, heraufstiegen, befand sich das Rudel, im Ganzen vielleicht zwölf oder dreizehn Stück.

Die Wachtgemse stand voll und klar gegen den lichtblauen Himmel abgezeichnet, und die sichere Ruhe mit der das prachtvolle Thier den weiten Plan, auf dem es jede nahende Gefahr leicht und rasch erkennen konnte, als Schildwache oben für das ihr anvertraute Rudel überschaute, war ein Anblick, den ich im Leben nicht vergessen werde. Das Rudel selber, das jedenfalls durch einen der unten durchgehenden Treiber heraufgescheucht worden, schien sich indessen auch ganz auf seine Wache zu verlassen, und vollkommen sicher zu fühlen. Die jungen Thiere spielten mit einander, und die Alten pflückten hie und da an den süßen Grasbüscheln herum – mehr wahrscheinlich zum Desert und aus Naschhaftigkeit, als aus wirklichem Hunger.

Endlich stieg die Wachtgemse, gewöhnlich eine Geis, von ihrem hohen Standpunkt langsam nieder. Ob sie da unten wieder etwas Verdächtiges gewittert, oder sonst mehr Verlangen nach der Seite trug, auf der ich lauernd mit gespannter Büchse lag, aber plötzlich setzte sie sich an die Spitze des Zuges, und kam in kurzem Galop auf dem äußersten Rand des Berges ein Stück hin, verschwand dann in einer scharf eingeschnittenen Schlucht, die die beiden Kuppen von einander trennte, mit dem ganzen Rudel, und stieg klappernd und die lockeren Steine hinter sich ausstoßend, den kleinen Hang herauf, an dessen äußersten Rand ich, vollständig gedeckt, ihrer herzklopfend harrte.

Nun ist es eine alte Gemsjägerregel, die mir von allen Seiten wieder und wieder gegeben worden, nie auf ein ankommendes Rudel zu schießen. Erstlich kommen sie spitz, – immer schon ein böser Schuß; dann ist die erste im Zug jedesmal eine alte Geis, während die Böcke nachfolgen, und dann – ist es eben gar nicht nöthig. In solchem Fall, besonders wenn man gedeckt ist, muß man die ersten des Rudels erst vollständig vorüber lassen, ja womöglich ein Dritttheil desselben, und sich dann erst einen Bock heraussuchen, auf den man in solchem Fall auch viel ruhiger und sicherer schießt. Außerdem hat man bei solchem Verfahren auch noch die Gewißheit, daß die schon vorbeigesprungenen Gemsen unter keiner Bedingung wieder umkehren, und die anderen, die noch zurück sind, folgen ihnen, es mag auf sie geschossen werden so viel da will. Der zweite Schuß ist daher eben so sicher anzubringen als der erste.

Hätt' ich also dort oben meine Zeit ruhig abgewartet, so mußte das ganze Rudel auf kaum zehn Schritt an mir vorbei, und an Ausweichen war auf dem schmalen Kamm gar nicht zu denken. Wie ich aber das immer stärker werdende Klappern auf den Steinen hörte, das gerade so klang, als ob es links und rechts um mich her in allen Ecken und Spalten lebendig würde, da ging mir der Athem aus, das Herz fing an zu hämmern als ob es mit hinaus wollte, ebenfalls zuzusehn was da passire, und alle Warnungen und Rathschläge, alle guten Vorsätze, alle Erfahrungen selbst, waren in dem einen Moment unbeschreiblicher Aufregung und Leidenschaft vergessen. Die Büchse im Anschlag richtete ich mich in meinem Versteck auf, und wie die ersten Krickeln nur hinter den Steinen vorsahen, und ich den dunklen Schatten eines Körpers erkennen konnte, gab ich Feuer.

Ich weiß nicht einmal ob es geknallt hat – weiter Nichts als das wilde Hals-über-Kopf-Hinabstürzen der erschreckten Thiere hörte ich, die aber auch im nächsten Augenblick in der Schlucht verschwunden waren, und als ich dort nachsprang, und noch einmal hinter den Flüchtigen auf etwa zweihundertfünfzig Schritt – und ich muß zu meiner Schande gestehn, nachfeuerte, stob das ganze Rudel auseinander, und eilte wieder der Stelle zu, auf der ich sie zuerst gesehen hatte.

Allerdings sonderte sich ein Bock vom Rudel ab und rutschte, zu meiner innigen Freude, ein ganzes Stück den ziemlich steil da ablaufenden Hang hinunter, ob er aber vielleicht nur ausgerutscht war – und warum sollte das einer Gemse nicht auch geschehen können – oder mich gar damit verhöhnen wollte, ich weiß es nicht, spätere Nachsuche auf der Fährte ergab nicht einen Tropfen Schweiß, der auf dem grauen Geröll überall deutlich sichtbar gewesen wäre. Bald darauf schloß er sich auch wieder seinem Rudel an.

Gleich nach dem Schuß kam ein ganzer Flug Alpendohlen – sonst entsetzlich scheue Vögel, die den Jäger nicht auf hundert Schritt hinanlassen – um den Gipfel des Jochs herum. So wie sie mich da oben aufrecht stehen sahen flogen sie auf mich zu, kreisten mir, auf kaum zwanzig Schritt um den Kopf und stießen sogar nach mir, wobei mir ein paar so nahe kamen, daß ich sie fast hätte mit der Flinte schlagen können.

Die Alpendohle, oder auch Schneekrähe genannt, ist ein wunderhübscher zierlicher Vogel, etwa von der Größe einer Elster, wenn nicht noch etwas stärker, nur ohne die langen Schwanzfedern, mit bläulichem Schiller auf ihrem schwarzen Gefieder, hellgelbem Schnabel, grellrothen Ständern und gar so munteren braunen Augen. Ihr Pfeifen klingt auch fast melodisch, und wie sie munter und gesellig in den Alpen herumtummeln und in der Luft kreisend zusammen spielen, hab' ich sie immer gern gehabt. Jetzt aber kamen sie mir ungelegen. Das Pfeifen nach dem schlechten Schuß behagte mir auch nicht. Ich zielte auf den rasch über mir hinstreichenden Vogel, und schoß ihm mit der Kugel eine seiner Flügelfedern durch. Das nahmen jedoch die anderen sehr übel, begannen einen Heidenlärm, wobei sie sich übrigens in weiterer Entfernung hielten, und strichen dann nach unten. Gleich darauf fiel dort auch ein Schuß und unser Jagdgeber hatte einer der ebenfalls nach ihm stoßenden Krähen mit der Kugel Kopf und Hals abgeschossen.

Das ist Alles recht schön und gut – übereilt hat sich schon mancher sonst vollkommen ruhige alte Jäger und vorbeigeschossen auch. Der Schütze soll noch geboren werden, der da sagen kann er habe nie gefehlt, aber der Heimweg – der Abend nach solchem Fehlschuß. Wenn man gleich mit einem Satz darüber hinweg auf den nächsten Tag und in das nächste Treiben hinein springen könnte möcht's noch gehn, aber so überdenkt man die letzte unglückliche Scene wieder und wieder, hört den ganzen Abend, die ganze Nacht das Rudel über die Steine klappern, weiß jetzt ganz genau wie man es hätte machen sollen, und daß trotzdem der Augenblick im ganzen Leben nicht wiederkehrt, und ist mit einem Wort, in einer verzweifelten Stimmung.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 eylül 2017
Hacim:
170 s. 1 illüstrasyon
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Public Domain
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