Kitabı oku: «Eine Mutter», sayfa 27
Sie sollten nicht lange über das Geschehene in Zweifel bleiben.
»Es hilft nichts, wir können es nicht verheimlichen,« hörten sie den Hofmeister sagen, »der Stern des alten Hauses ist gesunken!«
Unten die Hausthür war geöffnet; fremde Männer trugen eine Bahre herein, auf der ein Sterbender lag.
Der alte Graf schritt die Treppe hinab, als ob er auf Luft gegangen wäre; er fühlte keine Stufe unter sich, er sah nichts als ein todtenbleiches Antlitz, das von dem Licht zweier Fackeln und darüber gehaltener Kerzen furchtbar deutlich erhellt wurde.
»George,« sagte er, und er selber hörte nicht einmal den Laut der Worte, »George, was ist geschehen?«
»Unterstützt meinen Vater,« sagte der Verwundete leise, »und dann tragt mich hinauf in mein Zimmer – vorsichtig, es thut gar zu weh!«
Zwei der Diener sprangen zum alten Herrn, aber nur den Armleuchter ließ er sich aus der Hand nehmen, den er noch fest und kräftig hielt; er selber stand aufrecht, die rechte Hand, in der er den Leuchter gehalten, noch immer in der nämlichen Stellung emporgehoben, und sein Blick haftete wie gebannt an dem bleichen Antlitz seines Sohnes.
»Was ist geschehen?« wiederholte er, als sich die Mutter mit einem gellenden Aufschrei an die Bahre des geliebten Kindes, an dem ihr Herz mit allen Fasern hing, warf.
Ein Arzt in Uniform begleitete den Trauerzug. Er konnte eben noch verhindern, daß die Unglückliche nicht auf den Verwundeten fiel und seine Schmerzen vergrößerte.
»Hinauf mit Euch, Leute,« rief er, »rasch in das Zimmer, daß der Kranke zu Ruhe kommt! Wollen Sie sich nicht der Dame annehmen?«
Die Worte galten dem Haushofmeister, der, kaum eines Gedankens fähig, neben dem Entsetzlichen stand.
Weitere Worte waren auch unnütz. Während der Arzt selber das Kopfende der Bahre mit unterstützte und alle Diener zusprangen, hoben sie dieselbe leicht und sicher empor und trugen sie rasch die Treppe hinauf in das Zimmer, wo sie den Unglücklichen gleich mit der Matratze, auf der er hierher geschafft worden war, auf sein eigenes Lager legten.
George, todtenbleich und matt, während die Mutter jetzt an seinem Bett kniete und seine Hand gefaßt hielt, war erschöpft und schloß die Augen, und der Graf, den Arm des Arztes ergreifend, sagte mit leiser, aber fester Stimme:
»Was ist vorgefallen? Sie sind verpflichtet, es mir zu sagen; ich muß Alles wissen!«
»Es kann auch leider kein Geheimniß bleiben, Herr Graf,« sagte der Arzt achselzuckend; »der junge Herr hatte heute Nachmittag um vier Uhr ein Rencontre mit dem jungen Grafen Bolten.«
»Mit Hubert?«
»Mit dem jungen Grafen Hubert; Graf Bolten hatte den ersten Schuß und traf seinen Gegner gleich zu furchtbar sicher. Bereiten Sie sich auf das Schlimmste vor,« flüsterte er ihm leise zu, »Rettung ist unmöglich, die Kugel hat die Lunge verletzt.«
Der Arm des Grafen sank wie gelähmt an seiner Seite nieder, als der Verwundete die Augen aufschlug und leise sagte: »Vater! – Mutter!«
»Mein George, mein liebes Kind, wir sind hier, wir sind bei Dir! Um Gottes willen, was fehlt Dir?«
»Es ist vorbei,« flüsterte der Sterbende, – »ich – kann nicht – mehr sprechen. Seid gut – mit Paula – lebt – wohl!«
Er schloß die Augen und ein Zucken lief über seinen ganzen Körper.
»George, George!« schrie die Mutter und warf sich über ihn. Er rührte sich nicht mehr, es war vorbei, und während der Graf, ein wahres Bild des Entsetzens, an seinem Lager stand und den Blick, wie durch einen Zauber gebannt, nicht von dem starren Antlitz des Todten nehmen konnte, lehnte der alte Haushofmeister in der Ecke und schluchzte laut.
27.
Die Recension
Am nächsten Morgen um zehn Uhr ging Rebe wieder, wie verabredet, zum Director Krüger, um dort das Repertoire für die nächste Vorstellung mit ihm zu besprechen. Er traf den Director in einer nicht geringen Aufregung, und als er nur das Zimmer betrat, rief ihm dieser schon, mit der Hand auf den Tisch zeigend, entgegen:
»Sehen Sie, habe ich Ihnen das nicht vorausgesagt? Jetzt können Sie die Folgen Ihres Leichtsinns erkennen.«
»Aber, bester Herr Director!«
»Haben Sie das Stadtblatt von heute Morgen schon gelesen?«
»Nein, noch nicht.«
»Na, dann machen Sie sich einmal ein Vergnügen. Da liegt der Wisch auf dem Tisch; Strohwisch thut sein Äußerstes.«
»In der That?« lächelte Rebe, indem er das Blatt aufnahm und hineinsah. »Aber es wird dann auch das Äußerste sein, und er ist nachher fertig.«
»Der? Noch lange nicht, da kennen Sie den nicht. Aber lesen Sie nur – nein, bitte, laut. Ich habe nur einen Blick darauf geworfen, weil mich der Grimm packte. Es ist wirklich ein malitiöser Kerl!«
Rebe las: »Theater in Haßburg. Hamlet, Prinz von Dänemark. Zur Feier…«
»Das können Sie überschlagen,« unterbrach ihn der Director, »das ist blos die Einleitung, und die Geschichte haben wir selber mit durchgemacht. Gleich da unten geht's an: Wir sind uns einer Versäumniß bewußt…«
»Ah, da. »Wir sind uns einer Versäumniß bewußt, dem Publikum nicht schon gestern über das Stück berichtet zu haben; aber wir müssen gestehen, daß wir volle vierundzwanzig Stunden gebraucht haben, um uns von unserem Erstaunen über das Gesehene und Erlebte zu erholen. Herr Horatius Rebe den Hamlet – wenn wir es nicht selber mit gelitten und ertragen hätten, wir würden es jetzt noch nicht glauben und das Ganze für einen wüsten, unnatürlichen Traum halten. Aber leider ist es nur allzu wahr, und wir müssen die Thatsache constatiren, daß Herr Horatius Rebe allerdings vorgestern Abend den Hamlet, diesen dänischen Prinzen, auf eine Weise mißhandelt hat, die unserem Nationalgefühl nichts zu wünschen übrig ließ. Wir geben auch zu, daß ohne Herrn Horatius Rebe eine Störung in der Vorstellung stattgefunden haben würde, das heißt, die ganze Vorstellung wäre unmöglich geworden. Aber war das Publikum nicht zehntausendmal besser daran, wenn es sein Geld zurück, als diesen entsetzlichen Hamlet vorgesetzt erhalten?
»Was wir dabei nicht begreifen, ist die bodenlose Selbstüberschätzung dieses jungen »Künstlers«, der es wagen konnte, ohne zu erröthen – denn er sah blaß aus, daß wir eine Zeit lang im Zweifel waren, welches der Geist sei – dem urtheilsfähigen und feingebildeten Haßburger Publikum eine solche Qual zu bereiten. Die Noth entschuldigt dies keineswegs, denn er konnte sich doch unmöglich einbilden, die geistvolle Auffassung eines Handor uns ersetzt zu haben – also was sonst? Er hat nur eine Rolle hergesprochen, damit das Stück gegeben werden konnte – nur damit kein rechtlicher Grund vorhanden war, dem Publikum das Eintrittsgeld zurückzuzahlen.
»Wir haben die Gutmüthigkeit des Publikums bewundert, daß es sich das gefallen ließ und sogar dem Delinquenten noch applaudirte; es sollte ihm das vielleicht in etwas die Angst vergüten, die er gehabt. Nun, Gott sei Dank, der Abend ist auch überstanden und wird hoffentlich nicht wiederkehren.
Laß, Vater, genug sein des grausamen Spiels.
»Herr Horatius Rebe mag ein recht lieber, braver Mensch und ein guter Bürger sein, aber wir können es ihm Schwarz auf Weiß geben, daß er ein sehr mittelmäßiger Schauspieler ist. Sein Hamlet war der Beweis dafür: keine Idee einer höheren Auffassung, keine Faser von Genialität, kein Funke jenes göttlichen Feuers, das die der Kunst Geweihten auch durchdringen und sie und dadurch den Zuschauer elektrisiren muß.
»Das Einzige, was uns Herr Rebe an jenem Abend gezeigt, ist, daß er ein gutes Gedächtniß hat; möge er deshalb nie vergessen, daß er seine ruhmreiche Laufbahn wohl noch immer auf einer kleinen Winkelbühne Deutschlands fortsetzen kann, daß es aber dem Haßburger Publikum nicht zugemuthet werden darf, einen solchen Genuß zum zweiten Male zu leiden. Wir warnen die Direction wohlmeinend vor einem solchen Mißbrauch des Vertrauens und hoffen, daß diese milde Rüge genügt hat, Herrn Horatius Rebe dem hiesigen kunstsinnigen Publikum nicht mehr gefährlich zu machen.
F. S.«
»Nun, wie gefällt Ihnen das?« sagte Krüger, als Rebe die Epistel beendet hatte und das Blatt wieder lächelnd auf den Tisch zurücklegte.
»Und sorgt Sie das wirklich, was ein Strohwisch schmiert?« sagte er. »Ich kann mir doch nicht denken, daß es auch nur den geringsten Einfluß auf das Publikum selber haben könnte; also lassen Sie ihn schreiben. Notiz darf man ja doch von einem solchen Menschen micht nehmen.«
»Das sagen Sie, lieber Rebe,« rief der Director; »aber ich kenne die Welt und mein Publikum besser, und ich versichere Ihnen, der Artikel hat Sie hier zu Grunde gerichtet.«
»Und wollen Sie es trotzdem versuchen?«
»Ja, wollen Sie es denn versuchen?« rief Krüger erstaunt. »Mann Gottes, ich gebe Ihnen mein Wort, daß Sie bei Ihrem ersten Auftreten ausgepfiffen werden!«
»Ich habe keine Furcht, Herr Director,« sagte Rebe ruhig und entschlossen. »Mit solchen schmutzigen Waffen kann ich allerdings nicht kämpfen und werde es nicht, aber wir können jetzt gleich an mir die Probe machen, ob das Publikum wirklich ein Urtheil für sich selber hat, oder ob es sich von jedem lumpigen Literaten leiten und an der Nase herumführen läßt.«
»Ändern Sie einmal die Welt.«
»Ich will sie nicht ändern, ich will sie nur kennen lernen.«
»Na, das Vergnügen können Sie haben,« nickte Krüger; »so viel will ich Ihnen aber sagen, ich habe Sie im Voraus gewarnt. Ich riskire nichts dabei, denn ich bekomme jedenfalls ein volles Haus, und bin auch noch immer erbötig, Sie für einen vollen Monat zu engagiren, aber mit der Bedingung: fallen Sie beim ersten Auftreten gründlich durch, so ist unser Contract gelöst.«
»Und soll Herr Doctor Strohwisch das Urtheil sprechen?« lächelte Rebe.
»Nein,« rief der Director, »Sie selber, denn nach der nächsten Vorstellung bleiben wir nicht lange im Zweifel. Das Gute hat es jedenfalls, daß wir genau wissen, woran wir sind.«
»Gut, ich nehme es an,« nickte Rebe; »ich bin fest entschlossen, dieser Nichtswürdigkeit zu begegnen, und hoffe das Beste.«
»Hoffen, lieber Freund, hoffen ist gar nichts,« sagte der Director. »Aber wollen Sie wenigstens dieses Mal einen guten Rath annehmen?«
»Und welchen, Herr Director?«
»Sie haben den ersten nicht befolgt und, will ich recht ehrlich sein, vielleicht auch gut daran gethan. Ein solcher Mensch wie dieser Strohwisch und alle diese Art Leute ist nicht zu kaufen, sondern nur zu miethen, das heißt, mit Einer Zahlung können Sie sich ihrer nie versichern. Sie brauchen immer Geld und sind unersättlich. Aber wenn es Ihr Stolz auch nicht zuließ, jenen Burschen zu bestechen, so glaube ich, werden Sie doch nichts dagegen haben, seine Pläne zu kreuzen.«
»Wenn das auf ehrenvolle Weise geschehen kann.«
»Ehrenvolle Weise?« sagte der Director, den Kopf ungeduldig herüber und hinüber werfend. »Wenn mich ein unreines Thier anrennt, so sehe ich, daß ich ihm ausweichen kann, und jede Weise ist dabei ehrenvoll, denn Selbsterhaltung bleibt das Hauptgesetz in der Natur. – Ehrenvoll? Nennen Sie es etwa ehrenvoll, wenn Sie den Abend ausgepfiffen werden?«
»Wenn es ohne mein Verschulden und ungerecht geschieht.«
»Und wer fragt danach? Ich bitte Sie um tausend Gottes willen, lassen Sie doch nur die verfluchten Redensarten und werden Sie vernünftig – ohne mein Verschulden und unrecht! Lassen Sie Jemanden auf einen falschen Verdacht hin einstecken und ihm den Kopf herunterschlagen, glauben Sie, daß ihm das nachher eine Beruhigung sein kann, daß es ohne sein Verschulden und ungerecht geschah? Lauter Redensarten; hier haben wir es mit der Sache selber zu thun, und wenn Sie Alles geschickt anfangen, läßt sich dem Musjö doch noch am Ende ein Paroli bieten.«
»Aber wie?«
»Das will ich Ihnen sagen; Geld kostet die Geschichte, weiter nichts. Einige Dutzend Freibillets sollen Sie von mir haben, dann engagiren Sie noch eine Anzahl kräftiger Kerle, die…«
»Mein lieber Herr Director,« unterbrach ihn Rebe, »auf solche Spitzfindigkeiten verstehe ich mich nicht; da wäre ein Mittel, meiner Meinung nach, eben so niedrig wie das andere.«
»Aber die größten Künstler thun es!« rief der Director in Verzweiflung.
»Das mögen sie mit ihrem Gewissen ausmachen,« sagte Rebe ruhig; »ich habe vielleicht, wie ich Ihnen gern zugestehen will, ganz eigenthümliche Begriffe von Ehre, aber meine Meinung ist auch die, daß solche literarische Blutegel gar nicht existiren könnten und elend zu Grunde gehen müßten, wenn Alle so dächten wie ich. Von mir sollen sie wenigstens nie auch nur eines Groschens Werth Unterstützung bekommen, und sind sie nur die Ursache, daß ich am Theater nicht vorwärts komme, gut, dann habe ich mir selber wenigstens keine Vorwürfe zu machen und kann nachher mit Ehren die Bühne verlassen.«
»Wieder »Mit Ehren«,« rief der Director ungeduldig. »Gut, dann machen Sie meinetwegen was Sie wollen, ich werde mir die Zunge nicht weiter daran verbrennen; Sie haben's nicht besser verlangt. Und worin also gedenken Sie das nächste Mal aufzutreten? Unser Repertoire kennen Sie ja.«
»Ich möchte Sie um den Fiesco bitten, Herr Director.«
»Fiesco, hm – meinetwegen; Eins ist so gut wie's Andere, und Fiesco auch eigentlich lange nicht da gewesen. Also nächsten Mittwoch, wenn es Ihnen recht ist, denn Sonntags bringt mir eine Posse mehr ein.«
»Und als zweite Rolle möchte ich Sie um den…«
»Thun Sie mir den Gefallen und lassen Sie uns wegen der zweiten Rolle noch nicht den Kopf zerbrechen. Erst wollen wir einmal sehen, wie die erste abläuft.«
»Sie scheinen kein rechtes Vertrauen zu haben.«
»Hab' ich auch nicht,« sagte Krüger, »weil ich meine Pappenheimer kenne. Also auf morgen werde ich die erste Probe ansetzen, Herr Rebe, Sie sind doch fertig?«
»Ich könnte die Rolle morgen Abend spielen.«
»Alle Wetter, Sie wären in der That ein brauchbares Mitglied! Handor mußte immer vierzehn Tage Zeit haben, und nachher haperte es noch. Überlegen Sie sich nur die Sache mit den Freibillets noch einmal; ich gebe Ihnen mein Wort…«
»Ich werde es mir überlegen, Herr Director,« unterbrach ihn Rebe, »und bei jeder Stunde Nachdenken finden, daß ich so und nicht anders handeln konnte.«
»Sehr schön, Herr Rebe,« sagte der Director trocken, »dann wollen wir einmal am nächsten Mittwoch sehen, wie dick die Mauer sein wird, an der Sie Ihren Kopf zu versuchen gedenken. Guten Morgen!«
»Guten Morgen, Herr Director!« sagte Rebe und verließ langsam und nachdenkend das Haus.
Während Rebe die Unterredung mit dem Director hatte, wurde bei Pfeffers ein ganz eigenes kleines Familienfest gefeiert.
Der Mutter kränklicher Zustand schien sich nämlich in den wenigen Tagen, ja, man konnte fast Stunden sagen, so wesentlich gebessert zu haben, daß Alles im Hause einen freundlicheren Charakter annahm. – War es die veränderte Diät gewesen? Der frühere Doctor, der Theaterarzt (der »Thierarzt«, wie ihn Pfeffer gewöhnlich nannte), der die Stelle durch Protection erlangt, hatte die arme Frau auf Gott weiß was curirt, und ihr fast jede Nahrung entzogen. Es war eine ganz neue, von ihm erfundene Hungercur, der, wie das Gerücht ging, bis jetzt erst wenige Menschen zum Opfer gefallen. Dadurch aber kam Henriettens Mutter von Tag zu Tag mehr herunter, bis sie zuletzt so schwach wurde, daß sie nicht einmal mehr aufrecht sitzen konnte.
Wenn aber Jeremias auf der Welt irgend etwas haßte, so war es Hunger, oder gar eine Hungercur, die den Körper natürlich so schwächen mußte, daß er sich gar nicht mehr, nicht einmal gegen den Arzt, helfen und schützen konnte. Er ruhte deshalb auch nicht, bis er Pfeffer, oder vielmehr Auguste bewog, einen andern Doctor herbeizuziehen, und dieser erklärte denn auch natürlich augenblicklich, daß sie der frühere ganz falsch behandelt habe und die Kranke bei einer noch kurze Zeit fortgesetzten ähnlichen Cur nicht sowohl ihrer Krankheit, als ihrem Magen erlegen wäre. Nahrhafte Speisen wurden verordnet, und Jeremias schleppte herbei, was nur aufzutreiben war: ein Glas stärkenden kräftigen Weins; eine Stunde später stand ein Dutzend Flaschen alten Portweins in der Stube, und dann wo möglich etwas Bewegung, vor der Hand noch im Zimmer, und so viel frische Luft als thunlich.
Half dieses Alles, oder war es mehr ein Gemüthsleiden gewesen, das auf der Seele der Kranken gelegen, aber schon seit gestern Abend trat eine entschiedene Änderung zum Besseren ein, und Henriette sang heute Morgen wie eine Haidelerche im Hause herum.
Die Mutter saß am geöffneten Fenster, denn nach der gestrigen stürmischen und kalten Nacht hatte sich die Luft gereinigt und die Sonne schien warm und klar. Jeremias war fort gewesen, um Rebe aufzusuchen und Näheres über seine weiteren Pläne und Aussichten zu hören, aber er traf ihn nicht in seiner Wohnung und mußte unverrichteter Sache wieder zurückkehren.
»Das ist ein ganz verzweifelter Mensch, Auguste,« sagte er, als er in dem kleinen Zimmer auf und ab ging und sich den kahlen Kopf kratzte, »wie ich gestern mit ihm sprach und ihm meine Hülfe in Allem, was Jettchen betraf, antrug, faßte er mich bei der Hand und sagte: »Mein lieber Herr Stelzhammer, ich danke Ihnen herzlich für Ihre guten und freundlichen Absichten, und Sie wissen, daß Jettchen's Besitz das Höchste ist, was ich erstrebe, aber ich bin auch fest entschlossen, ihn mir selber zu verdanken. Ich will mir später nie Vorwürfe machen können, daß ich durch meine Frau vorwärts gekommen sei.«
»Und da hat er ganz Recht,« sagte Pfeffer, der in diesem Augenblick eingetreten war und die letzten Worte hörte, »der Rebe ist ein ganzer Kerl, das sage ich noch einmal, und es thut mir jetzt schmählich leid, daß wir ihn früher so unter der Kanone behandelt. Na, wie geht's heute Morgen, Guste, besser? Donnerwetter, Du kriegst ordentlich wieder rothe Backen!«
»Die höchste Zeit, daß ich von Brasilien herüber kam,« rief Jeremias, »Ihr hättet sie hier heilig verhungern lassen.«
»Der verdammte Theaterfriseur,« fluchte Pfeffer, »na, komm Du mir über die Schwelle, ausgenommen zu einem Krankheits- oder Pensionirungsattest! Du meine Güte, wenn ich das erst einmal in Händen hätte und das vermaledeite Komödienspielen an den Nagel hängen könnte!«
»Wünsch' Dir die Zeit nicht heran, Fürchtegott,« nickte die Frau, »alt werden wir Alle früh genug, und doch zehntausendmal lieber von Morgens bis Abends arbeiten, als so da liegen und anderen Menschen zur Last fallen.«
»Zur Last fallen,« brummte Pfeffer, »wem bist Du schon zur Last gefallen, und laß Du das das Jettchen hören, – aber alle Wetter,« unterbrach er sich plötzlich, aus dem Fenster sehend, »kommt denn da nicht Fräulein Bassini wie ein orangefarbener Blitzstrahl angeschossen? Na, die muß eine Neuigkeit haben, da möchte ich meinen Hals darauf verwetten.«
»Kommt sie denn her?« fragte Jeremias.
»Eben ist sie in die Promenadenthür hineingefahren. Was das Frauenzimmer für eine Eile hatte!«
»Wer weiß, was sie hat,« sagte seine Schwester.
»Sicher nichts Gutes,« nickte Pfeffer, »sonst liefe sie nicht so rasch, darauf kannst Du Dich verlassen. Da ist irgend ein Unglück geschehen, oder der Teufel sonst wo los. Ich kenne meine Schwester.«
»Wenn Du nur immer 'was auf die arme Lise bringen kannst,« lächelte die Frau, »und Du hast sie doch lieb, und ich möchte keinem Andern rathen, Übles von ihr zu reden.«
»Wenn sie nur ein klein wenig Vernunft annehmen und sich nicht immer so verflucht lächerlich machen wollte,« sagte Pfeffer, »sonst ist sie ja gut genug, und auf's Theater paßt's. Sie spielt aber den ganzen ausgeschlagenen Tag Komödie, von dem Augenblick an, wo sie Morgens aufsteht, bis Abends, wenn sie wieder einschläft. Ein verrückteres Frauenzimmer ist mir in meinem Leben noch nicht vorgekommen.«
»Habt Ihr es schon gelesen?« rief in diesem Moment die besagte Dame, wie sie nur den Kopf zur Thür hereinsteckte, »habt Ihr das Schandblatt schon gesehen? Es ist himmelschreiend, daß so etwas nur die Censur passirt. Da könnte man ja eben so gut in Brasilien bei den Cannibalen leben.«
»Bitte,« meinte Jeremias.
»Nun, hab' ich es nicht gesagt?« lachte Pfeffer.
»Was hast Du gesagt, was ist vorgefallen?« rief die Schwester heftig.
»Na, das mußt Du doch am besten wissen. Was hast Du denn da für ein Zeitungsblatt in der Hand?«
»Habt Ihr das Stadtblatt noch nicht gelesen? Dann habt Ihr nichts gelesen,« rief Fräulein Bassini mit Emphase.
»So, und was steht darin?«
»Eine Kritik über Rebe.«
»Alle Wetter! Gut?«
»Da lies, mach' Dir ein Vergnügen,« sagte Fräulein Bassini, »hier, von Herrn Doctor Strohwisch, Deinem guten Freund.«
»Meinem guten Freund?« brummte Pfeffer, indem er das Blatt nahm und leise vor sich hinmurmelnd an zu lesen fing.
»Und habt Ihr schon gehört,« fuhr indessen Fräulein Bassini fort, um ja keine Zeit zu versäumen, »daß sich des Lumps, des Handor wegen die beiden jungen Grafen von Monford und Bolten gestern duellirt haben und Graf Bolten den Andern todtgeschossen hat?«
»Oh Du lieber Gott,« stöhnte Auguste, »die armen Eltern!«
»Ja, das ist nun nobel,« sagte die Schwester, »damit geben sie einander die Ehre wieder, daß sie sich abschlachten. Die ganze Stadt ist voll davon.«
»Und so reiche, vornehme Leute!«
»Ja, wie gut könnten die es haben; aber ob es wohl Jemand einmal weiß, wenn es ihm wohl ist. Gott bewahre, immer will er's noch wohler haben, bis er zuletzt drin sitzt. So reiche Menschen; sie sitzen ja im Geld, sie wissen nicht wie tief, und silberne Spucknäpfe sollen sie in den Zimmern haben; aber Hochmuth kommt vor dem Fall.«
»Alle Teufel!« rief Pfeffer, der indessen die Einleitung überflogen hatte und jetzt zu dem Kern des Ganzen kam. Jeremias stand neben ihm und sah ihm über die Schulter in's Blatt.
»Oh Du Lumpenkerl!« murmelte er leise vor sich hin, und ballte schon in Gedanken die Faust.
»Das ist ja ein sauberer Patron!«
»Wie? Nu, was habe ich gesagt?«
»Was schreibt er denn?« fragte Auguste.
»Kannst die Bescherung gleich lesen – ei Du Himmelhund, Du Verdammter! Wenn er ihm fünf Thaler in den Rachen geschoben hätte –«
»Ja, schieb einmal, wenn Du nichts hast,« sagte Fräulein Bassini.
»Das ist derselbe Musjö, dem ich einmal auf Rebe's Treppe begegnet bin,« rief Jeremias.
»Nein, da hört Alles auf,« schrie Pfeffer, »ei zum Teufel mit dem Wisch!« und damit knillte er das Papier zusammen und schleuderte es auf die Erde.
»Aber, Fürchtegott,« rief Fräulein Bassini erschreckt, »die Zeitung gehört ja dem Schuhmacher, meinem Hausherrn – was hat denn das arme Papier nur gethan?« – und sie hob es auf und glättete es wieder aus.
»Bitte, laß es mich einmal lesen,« sagte Auguste, und streckte die Hand danach aus.
»Ja, ich möchte es auch einmal haben,« meinte Jeremias, »kann man denn nicht so eine Nummer zu kaufen bekommen?«
»Gewiß, in der Expedition, aber das fehlte auch noch.«
»Ich möchte doch eine Nummer haben,« meinte der kleine Mann, indem er sich heftig die Hände rieb, »und wenn es nur das wäre, um jedes Mißverständniß zu vermeiden.«
»Mißverständniß?«
»Das ist schändlich,« sagte Henriettens Mutter, »wirklich boshaft, niederträchtig, und ich begreife nur nicht, daß sich das Publikum dies gefallen läßt. Er sagt ihnen doch darin mit dürren Worten: Ihr versteht Alle nichts, daß ihr so ein Wesen von dem Rebe macht, ich bin der allein Kluge!«
»Und so ein Lump kriegt ein Freibillet,« rief Pfeffer, »na, wenn ich Director wäre, ich wollte Dich befreibilletten!«
»Der Mensch wird außerdem jetzt Alles daran setzen, um den armen Rebe vollends zu ruiniren,« sagte Fräulein Bassini, »denn er darf jetzt ja nicht einmal mehr applaudirt werden, sonst hätte er nicht Recht gehabt.«
»Natürlich,« sagte Pfeffer, »was der jetzt thun kann, thut er.«
»Und ich glaube nicht einmal, daß ihn der Director nach der Recension wieder spielen läßt,« fuhr Fräulein Bassini fort, »ich kenne ihn, und was der für eine Angst vor diesem aufgesteckten Strohwisch hat, kann gar kein Mensch glauben.«
»Dann geschieht ein Unglück,« sagte Jeremias, und seine Stimme hatte etwas Feierliches, »dann geschieht wahrhaftig ein Unglück.«
»Na, was wird für ein Unglück geschehen,« brummte Pfeffer, »wer einmal Pech haben soll, verliert die Butter vom Brode.«
»Da kommt Jettchen,« rief die Mutter rasch, die das junge Mädchen draußen hörte, »thut die Zeitung weg; sagt ihr nichts davon, das arme Kind kränkt sich sonst zu sehr.«
Fräulein Bassini schob sie rasch in ihre Tasche, aber wie Jettchen eintrat, stockte das Gespräch, und Jeremias selber machte ein so bestürztes Gesicht, daß sie gleich wußte, es war etwas vorgefallen.
»Guten Morgen mitsammen,« rief sie lachend aus, sah aber Alle dann erstaunt im Kreise an und sagte: »Nun, was habt Ihr denn, Ihr seht mich ja Alle so merkwürdig an, was ist denn? Mutter, es ist irgend etwas geschehen?«
»Nichts, was uns beträfe, Kind,« fiel aber hier Fräulein Bassini ein, die sich noch am ersten faßte, »aber hast Du noch nichts von dem Unglück bei Monfords draußen gehört?«
»Leider ja,« nickte Jettchen traurig – »Du lieber Gott, so ein junges, hoffnungsvolles Blut, und in seinem frischesten Alter!«
»Kanntest Du den jungen Grafen?«
»Ich habe ihn draußen im Schlosse gesehen, als ich früher der Comtesse manchmal Arbeiten hinaufbrachte, und in letzter Zeit ist er auch manchmal mit Graf Rottack hier vorbeigeritten. Es war derselbe, Onkel, der damals dem armen Jungen hier vor dem Hause, dem Graf Bolten den Karren überritten hatte, Geld gab, um ihn für den Verlust zu entschädigen.«
»Und der Nämliche hat ihn jetzt todtgeschossen?«
»Und was für Strafe bekommt er nun?«
»Strafe?« sagte Fräulein Bassini, »solche vornehme Herren werden sie auch strafen! Übrigens ist er noch dieselbe Nacht fortgereist, und nun sucht ihn, wenn Ihr ihn haben wollt.«
»Aber was hast Du nur, Vater?« sagte Jettchen, die erstaunt Jeremias betrachtete. Dieser war indessen in der Stube, sich immer die Hände reibend, auf und ab gegangen, und so mit seinen eigenen Gedanken dabei beschäftigt, daß er die Frage nicht einmal gleich hörte.
»Was ich habe, Kind?« sagte er dann, als Jettchen die Worte wiederholte, »oh, oh, nichts, ich dachte nur in dem Augenblick gerade an 'was, ich habe noch etwas zu thun, beinah' hätte ich's vergessen. Also guten Morgen miteinander!«
»Wo willst Du denn hin, Jeremias?«
»Ich muß einmal nach Hause, ich komme nachher wieder!«
»Um zwölf Uhr essen wir.«
»Gut, ich werde kommen, sollte ich aber um zwölf Uhr nicht da sein, so wartet nicht auf mich, denn es ist doch möglich, daß ich Abhaltung bekäme,« und mit den Worten schoß er zur Thür hinaus.
»Was hat nur der Vater?« sagte Jettchen verwundert; »er sah so merkwürdig verstört, so zerstreut aus.«
»Gott weiß es,« brummte Pfeffer, »irgend noch ein paar brasilianische Schrullen vielleicht, die ihm im Kopf herumgehen! Laß ihn nur laufen, der findet sich wieder zurecht, dafür ist mir gar nicht bange. Wo warst Du, Jettchen?«
»Ich habe den Brautkranz fortgetragen,« sagte das junge Mädchen, »und jetzt gar nichts weiter zu thun, als den bestellten Kranz für Graf Rottack zu machen.«
»Das ist gescheidt, da kannst Du Dich endlich einmal ausruhen.«
»Aber die Zeit wird mir lang werden, und was hätte ich Alles zu thun bekommen können! Wie viele Arbeiten waren bestellt, aber Vater wollte es ja nicht leiden.«
»Ganz vernünftig von ihm, denn Du hättest Dich caput gearbeitet, das ist sicher. Nun aber sieh nach Deiner Küche, Schatz, daß wir 'was zu essen bekommen!«
»Ist Alles in Ordnung, Onkel,« nickte Jettchen, »brauche nur ein wenig nachzulegen, denn während es kochte, bin ich blos die zwei Schritt hinüber gelaufen. Punkt zwölf Uhr kann das Essen auf dem Tisch stehen.«
Jeremias stieg in einer unbeschreiblichen Stimmung die Treppe hinab, und niemand Anders war die Veranlassung dazu, wie der arme, unselige Recensent.
»Oh Du Federfuchser,« rief er dabei halblaut vor sich hin und ballte die gar nicht so unansehnliche Faust gegen das Treppengeländer, »oh Du verfluchter Federfuchser – hätt' ich Dich, wie wollt' ich Dich!« Aber er hatte ihn eben nicht, und es blieb ihm nichts weiter übrig, als Rebe aufzusuchen, um mit diesem zu besprechen, was sich etwa in der Sache thun ließ, denn daß sich etwas thun ließ, davon war er fest überzeugt.
Rebe fand er allerdings, aber bei ihm selber auch nicht die geringste Unterstützung in der Angelegenheit.
Rebe blieb dabei, daß die Persönlichkeit, von welcher der Angriff stamme, so tief unter ihm stehe, daß er gar nichts in der Welt mit ihm anfangen könne, und was das beträfe, gegen ihn zu agiren, so würde er sich dadurch mit diesem Strohwisch genau auf Eine Stufe stellen, daran sei also gar nicht zu denken. Die einzige Waffe, die er in Händen habe, sei die, dem Publikum durch seine Darstellung zu beweisen, daß Jener gelogen habe; weiter könne er nichts, weiter werde er nichts thun.
Jeremias suchte ihn darauf aufmerksam zu machen, daß er sein Fortkommen an hiesiger Bühne sichern wolle, und Rebe behauptete, das wäre nur dadurch möglich, daß er alle Chancen liefe. Aber sich jetzt und für Eine Vorstellung einen Erfolg sichern und damit alle übrigen noch in Frage gestellt lassen, käme ihm ungefähr ebenso vor, als ob Jemand über einen mächtigen Strom schwimmen wolle und zuerst in einem Teich versuche, ob er sich eine so lange Zeit über Wasser halten könne, bei dem Versuch aber Blasen unter die Arme binde. Er täusche Niemanden damit als sich selber, und müsse dann später dafür büßen.
Es war mit dem Menschen nichts anzufangen, denn er blieb hartnäckig dabei, daß er ehrenvoll siegen oder lieber seine Stellung aufgeben und anderswo beginnen wolle; denn nur dadurch könne er sich seine Selbstachtung und die Achtung anderer ehrenwerther Leute bewahren.
Jeremias mußte ihm ja wohl im Herzen Recht geben. Es war ganz hübsch und ehrlich gehandelt, aber dumm, stockdumm, wenn er das auch nicht gerade aussprach, und in voller Verzweiflung lief er endlich hinüber zu Director Krüger, um von diesem vielleicht eine andere Ansicht zu hören. Das Mittagessen bei Pfeffers hatte er lange vergessen und versäumt.
Hier fand er seinen Mann. Krüger, dem selber daran lag, daß sich Rebe am hiesigen Theater behaupten möge – denn wo fand er solchen ersten Liebhaber gleich für die Gage wieder, mit der er sicher die erste Zeit mit Rebe abschließen konnte –, gab Jeremias in Allem Recht und war so vollkommen in jeder Hinsicht seiner Meinung, daß ein Gespräch fast ganz unmöglich wurde.
Der Director theilte dem kleinen, lebendigen Fremden auch ganz aufrichtig seine eigenen Ansichten über den Recensenten mit; weshalb sollte er sich auch geniren? Strohwisch kostete ihm überhaupt jährlich viel Geld, und Jeremias begriff zuletzt nur das nicht, wie man sich noch mit einem solchen Menschen abgeben und in persönlichem Verkehr mit ihm stehen konnte.