Kitabı oku: «Eine Mutter», sayfa 28
»Lieber Gott,« sagte der Director, »was will ich dagegen thun? Soll ich mir mein ganzes Theater fortwährend schlecht machen lassen? Das Publikum bekäme doch zuletzt, wenn es das alle und alle Tage hörte und läse, einen Widerwillen dagegen und ginge mir schließlich gar nicht mehr hinein; deshalb zahle ich ihm das Blutgeld und stopfe ihm das Maul.«
»Also wann ist Fiesco?«
»Nächsten Mittwoch; wenn Sie etwas thun könnten – aber um Gottes willen, ohne daß es Rebe erführe, denn er würde die ganze Geschichte verderben –, so wäre es mir sehr angenehm, und auf meine Unterstützung dürfen Sie rechnen.«
»Aber in welcher Art?«
»Ich will Ihnen sagen, was ich fürchte,« erwiderte Krüger. »Ich fürchte, Strohwisch wird Anstalten getroffen haben, Herrn Rebe das nächste Mal auspfeifen zu lassen; er hat mir genau dasselbe schon einmal gemacht.«
»Aber das Publikum wird sich das nicht gefallen lassen.«
»Lieber Gott, alle Menschen erfreuen sich zuweilen an einem Skandal,« sagte Krüger, »und wenn nur drei oder vier in derartigen Arbeiten geschickte Leute vortheilhaft im Parterre placirt sind, so finden sie überall ein paar nichtsnutzige Jungen, die ihnen helfen. Sie glauben gar nicht, wie das Pfeifen ansteckt.«
»Hurrjeh,« sagte Jeremias, »vielleicht käme er selber hinein; wenn ich nur dann in der Nähe wäre!«
»Er selber würde sich wahrscheinlich ruhig verhalten, aber das Ganze dirigiren.«
»Na, warten Sie 'mal, dagegen ließe sich doch am Ende noch 'was thun. Apropos, haben Sie Polizei im Theater?«
»Auf die dürfen Sie nicht rechnen,« sagte der Director; »allerdings stehen ein paar Mann im Vorsaal, aber bei derartigen Gelegenheiten verhalten sie sich rein passiv.«
»Sehr schön,« sagte Jeremias, »weiter verlange ich nichts, und nun empfehle ich mich bestens!«
»Sie sind fremd hier in der Stadt, Herr Stelzhammer?«
»Fremd allerdings; aber ich glaube, ich weiß Jemanden, der mich unterstützen kann.«
»Darf ich fragen, wen?«
»Ihren Theaterdiener Peters.«
»Da sind Sie in vortrefflichen Händen,« lachte Krüger vergnügt; »aber lassen Sie ihn um Gottes willen nicht ahnen, daß ich von der Sache etwas weiß!«
»Haben Sie keine Sorge – bitte, bemühen Sie sich nicht, ich finde schon meinen Weg!« Und während der Director oben in seinem Zimmer, sich vergnügt die Hände reibend, auf und ab ging, stieg Jeremias langsam die Treppe hinunter.
Director Krüger wohnte zwei Treppen hoch, und jede Etage bestand aus zwei Abtheilungen Stufen, die in dem alten Hause ziemlich steil aufwärts führten, aber durch Seitenfenster hell erleuchtet wurden.
Jeremias war eben den ersten Absatz hinabgestiegen, als ein Herr dicht unter ihm die Treppe heraufkam und zu ihm aufsah. Der Fremde, welcher etwa einen Kopf größer als unser kleiner Freund sein mochte, stand noch drei oder vier Stufen unter ihm, als er den Kopf zu ihm empordrehte und Jeremias plötzlich halten blieb.
»Hurrjeh!« rief er aus, indem er sich so klein machte, daß er seinen Kopf ziemlich in eine Richtung mit dem die Treppe Heraufkommenden brachte und beide Hände dabei auf die Kniee stützte. »Habe ich nicht das Vergnügen, den Herrn Doctor Strohwisch vor mir zu sehen?«
»Das ist allerdings mein Name,« sagte der Herr. »Und mit wem hab' ich die Ehre?«
»Na, seh'n Sie einmal an,« rief Jeremias, ohne die Frage zu beantworten, »und so hübsch allein unter vier Augen! Da erlauben Sie mir vielleicht, Ihnen gleich zu sagen, mein lieber Herr Strohwisch, daß Sie ein ganz miserabler, erbärmlicher Dintenkleckser und Schubbejack sind!«
»Sie alberner Esel!« rief der Doctor, der gar nicht gleich wußte, über was er am meisten erstaunen sollte, über die kleine, geduckte, komische Gestalt, die vor ihm kauerte und die er deshalb auch, was persönliche Kraft anbetraf, bedeutend unterschätzte. »Was unterstehen Sie sich? Fort, oder ich werfe Sie die Treppe hinab!«
»So?« sagte Jeremias, der nur auf eine solche Einladung gewartet zu haben schien, drückte sich mit der Linken seinen Hut fest und hatte aber auch im nächsten Moment schon den Doctor beim Kragen, der sich wie ein Kind in seinem Griffe wand.
»Herr, lassen Sie mich los!« schrie er.
»Treppe hinunter – so?« rief Jeremias. »Wundervolle Idee – Kopf weg unten!« Und ehe der »Doctor« nur einen Hülferuf ausstoßen konnte, hatte er ihn herumgedreht, und wie ein Pfeil schoß er die Treppe hinab.
Jeremias' Blut war aber jetzt aufgeregt. Alberner Esel hatte er ihn genannt – was vorangegangen, zählte nicht – und die Recension geschrieben, und da unten kullerte er auf der Treppe herum. Unglücklich für ihn trug Doctor Strohwisch auch ein spanisches Rohr in der Hand, und Jeremias wußte eigentlich später gar nicht mehr recht, wie es gekommen war; ehe er sich aber auf etwas besann, war er die Stufen hinab unten bei seinem Schlachtopfer, hatte ihm den Stock aus der Hand gerissen und zerwalkte ihn dabei nach Herzenslust.
Strohwisch schrie um Hülfe und versuchte zuletzt, zur Verzweiflung getrieben, Gegenwehr; aber jetzt wurde Jeremias erst recht böse. In der Etage, wo er sich befand, wurden Stimmen laut, und um den Kampfplatz auf neutrales Gebiet zu verlegen, faßte er den Unglücklichen wieder beim Kragen und warf ihn vor sich her den nächsten Absatz hinunter, von wo nur noch eine niedere Stufenreihe bis zur Hausthür blieb, und hier folgte Fortsetzung.
Oben in der zweiten Etage stand Director Krüger, schaute über das Geländer hinab und hätte vor Wonne applaudiren mögen, wenn er es sich nur getraut hätte. Unten in der ersten Etage war das Dienstmädchen und dann der Herr Ober-Appellationsrath X. mit der Frau Ober-Appellationsräthin und Fräulein Tochter herausgekommen. An der Hausthür, da der Schall des Tumults hinausdrang, hatten sich ebenfalls Leute gesammelt und drängten zuletzt bis in's Haus hinein. Und oben auf dem ersten Absatze stand Jeremias und prügelte Strohwisch, bis er den Stock in Atome zerschlagen hatte und seinen Arm nicht mehr rühren konnte; dann warf er ihn den letzten Absatz hinunter, den Stummel des spanischen Rohrs, mit einem sehr zierlich geschnitzten Elfenbeinknopfe daran, hinter ihm her, und während er selber an ihm vorüberschritt, sagte er: »So, Herr Doctor, jetzt wünsche ich Ihnen wohl zu bekommen. Mein Name ist Jeremias Stelzhammer.«
»Herr Stelzhammer,« sagte da ein Mann in einem rothen Kragen, der sich indessen durch die immer anwachsenden Zuschauer in das Haus gedrängt hatte, »es thut mir leid, Sie in Ihrer Beschäftigung zu stören.«
»Bitte, ich bin eben fertig,« meinte Jeremias.
»Nun desto besser,« sagte der Mann; »aber nun ersuche ich Sie auch, einmal ein bischen mit mir zu kommen, denn ich habe hier auf Ruhe und Ordnung zu sehen.«
»Mein lieber Herr,« erwiderte Jeremias, jetzt nicht im Geringsten um die Folgen besorgt, denn er sah wohl, daß er es hier mit einem Polizeidiener zu thun hatte, »Ruhe herrscht jetzt, und daß der Herr da ordentliche Prügel besehen hat, wird er Ihnen selber bezeugen können. Ich hoffe, Sie sind nun befriedigt.«
»Doch nicht so ganz,« lachte der Gerichtsdiener, »Sie müssen mit.«
»Verhaften Sie den Kerl im Namen des Gesetzes!« schrie jetzt Strohwisch, der sich kaum von seiner Betäubung erholt hatte. »Ich bin hier auf die nichtswürdigste Weise von ihm angefallen und mißhandelt worden; mein Eigenthum ist dabei zerstört, mein Stock in Selbstvertheidigung zerschlagen, meine Hose zerrissen und beschmutzt…«
»Die Keile nennt er Selbstvertheidigung!« lachte Jeremias.
»Na,« meinte der Polizeidiener mit einem Blick auf die robuste Gestalt des Doctors, »Sie sehen mir allerdings aus, als ob Sie sich hätten wehren können; aber das ist einerlei, Sie mögen das Beide vor Gericht ausmachen.«
»Aber ich werde doch nicht…«
»Ja, Sie müssen auch mit,« sagte der Mann trocken; »ich kann hier nicht untersuchen, wer angefangen hat. Also bitte, machen Sie keine Umstände.«
Immer mehr Leute hatten sich indessen in das Haus gedrängt; denn was sieht das Publikum lieber, als eine Prügelei mit späterer Abführung der Betheiligten durch die Polizei, die gerade so dazu gehört, wie die Verlobung von zwei verliebten Paaren am Ende eines Lustspiels.
»Meine Herren,« sagte der Diener der öffentlichen Sicherheit zu den Eindrängenden mit jener Hochachtung, die er stets Leuten gegenüber beobachtete, gegen welche »noch nichts Gravirendes bekannt geworden«, »seien Sie so gut und gehen Sie nach Hause; Sie sehen, es ist Alles vorüber. Bitte, machen Sie Platz, es kann ja kein Mensch durch.«
Die Leute gaben langsam Raum; aber Doctor Strohwisch brauchte noch einige Zeit, um seine sehr derangirte Toilette etwas in Ordnung zu bringen. Er wollte auch noch Schwierigkeiten machen, mit einem Polizeidiener am hellen Tag durch die Straßen zu gehen, aber es half ihm nichts. Der Mann des Gesetzes blieb unerbittlich wie das Gesetz selber, und wenige Minuten später expedirte der würdige Beamte die beiden Übelthäter zum innigen Vergnügen einer Anzahl zerlumpt und anständig gekleideter Straßenjungen nach dem Rathhaus hin. –
Die Straße herab kam Graf Rottack. Er sah ernst und angegriffen aus, und als er dem Menschenknäuel begegnete, wollte er eben, vor der Berührung damit zurückscheuend, nach der andern Seite der Straße hinüberbiegen, als sein Blick auf Jeremias fiel und er erstaunt und verwundert stehen blieb.
»Aber, Jeremias, um Gottes willen, was haben Sie denn gemacht? Was ist vorgefallen?«
»Nur eine Kleinigkeit, Herr Graf,« lächelte der kleine Mann, aber doch etwas verlegen, in solcher Gesellschaft gerade von ihm betroffen zu werden; »ich und der Herr da geriethen ein wenig aneinander.«
»Ich leiste Bürgschaft für den Herrn,« sagte Felix zu dem Gerichtsdiener; »mein Name ist Graf Rottack.«
»Thut mir leid, Herr Graf,« erwiderte der Mann ruhig, »das hier nicht annehmen zu können. Meine Pflicht ist, die beiden Männer auf's Rathhaus hinaufzuführen und die Anzeige zu machen. Dort notirt dann der Herr Actuar den Fall, und wenn Sie mit hinaufgehen, so hat es nicht die geringste Schwierigkeit, daß der Gefangene augenblicklich auf freien Fuß kommt.«
»Schön.«
»Aber, bester Herr Graf!«
»Gehen Sie nur voran,« lächelte dieser, »denn escortiren möchte ich mich nicht gern lassen; ich folge Ihnen aber augenblicklich.«
Er zog sich zurück, denn einige der Zuschauer, die vielleicht gehofft hatten, daß irgend ein gewaltsames Einschreiten oder sonst ein amüsanter Zwischenfall eintreten könne, preßten näher. Das Rathhaus war nicht weit entfernt, und nachdem die beiden Feinde, nicht gerade zur Erbauung des ziemlich bös zugerichteten »Doctors«, noch eine Weile in dem Vorsaal hatten warten müssen, da gerade ein Dienstmädchen wegen versuchten Diebstahls verhört wurde, kamen sie endlich vor.
Die Verhandlung war übrigens eine kurze; Jeremias, der vorher seinen Vor- und Zunamen wie überhaupt eine kurze Lebensbiographie zu Protokoll geben und erklären mußte, daß er noch nie vor Gericht gestanden, leugnete nicht, den Doctor Strohwisch zuerst angefaßt und geprügelt zu haben, und da Graf Rottack jetzt ebenfalls vorgelassen wurde und erklärte, Bürgschaft für das Erscheinen des Herrn vor Gericht leisten zu wollen, so wurde der Delinquent entlassen.
Der Doctor, eine allbekannte Persönlichkeit in Haßburg, blieb noch oben, um seine Klage gegen den Überfall zu formuliren und gleich aufnehmen zu lassen.
»Aber nun sagen Sie mir um Gottes willen, Jeremias,« rief Rottack, als sie wieder zusammen auf der Straße waren, »was hat Sie denn zu einem solchen Gewaltstreich bringen können? Wir sind doch hier nicht mehr in Brasilien!«
»Mein lieber Herr Graf,« sagte der kleine Mann und schämte sich jetzt ein wenig der Rolle, die er gespielt, »Sie haben Recht – ich hätt's nicht thun sollen, aber die Galle lief mir über. Der Mensch war ein Recensent, und – da hab' ich noch einmal den Hausknecht herausgekehrt; aber ich verspreche es Ihnen, es soll zum letzten Mal geschehen sein, denn ich darf Ihnen doch keine Schande machen!«
»Und was, beim Himmel, haben Sie mit den Recensenten zu thun?« lachte Graf Rottack.
»Das ist weitläufig, das erzähle ich Ihnen ein andermal. Und wie geht es der Frau Gräfin?«
»Sie ist unwohl,« seufzte Felix; »manches Leid verwandter Freunde hat sie tief betroffen und angegriffen. Aber von Ihnen selber weiß ich gar nichts weiter, seit wir uns bei jenem Fräulein – wie hieß sie doch gleich?«
»Bassini.«
»Ja, ganz recht – bei jenem Fräulein gesehen. Haben Sie Frieden mit Ihrer Familie geschlossen? Sie hätten uns wohl einmal, als alten Freunden, Nachricht geben können.«
»Ich gestehe, daß ich wie ein schlechter Kerl gehandelt habe,« rief Jeremias; »aber erstens wußte ich nicht, ob ich Ihnen recht kam, und dann hab' ich die Zeit über so viel zu thun gehabt. Aber Gott sei Dank, es geht Alles recht gut, und wenn Sie es mir erlauben, so komme ich einmal in diesen Tagen und statte ausführlichen Bericht ab.«
»Das soll ein Wort sein, Jeremias,« sagte Graf Rottack, ihm die Hand reichend. »Glauben Sie mir, wir haben die alten Freunde noch nicht vergessen und viel zu wenig neue gefunden, um sie entbehren zu können.«
»Lieber Herr Graf…«
»Auf Wiedersehen, Jeremias!« Und Graf Rottack schritt, tief aufseufzend, die Straße hinab.
28.
Die Contremine
Der junge, hoffnungsvolle und in der Blüthe seiner Jahre dahingeraffte Graf George von Monford war begraben worden und damit die Tragödie, die einige Tage die Stadt beschäftigt, zu Ende gespielt. Sein Gegner, der junge Graf Bolten, schien seit der Zeit verschwunden; er hatte jedenfalls den Staat verlassen, und die Secundanten wurden verhört und sahen ihrer formellen Strafe entgegen, die ihnen aber jedenfalls leicht genug gemacht wurde.
Es ist auch eine eigene Sache um das Duell und die dagegen erlassenen Gesetze. Wir Alle sind wohl darüber einig, daß es eine gegen die Moralität verstoßende Sitte ist, wenn zwei Menschen in der Absicht, einander zu tödten, gegen einander auftreten. Wir finden es auch natürlich, daß der Staat eine Strafe darauf setzt, aber wie Wenige von denen, die wirklich gegen eine solche »Unsitte« streiten, würden sich selber ihr entziehen, wenn sie sich zu einem solchen Kampf gezwungen sähen!
Ich bin weit davon entfernt, Die zu tadeln, die aus moralischen oder religiösen Bedenken das Duell durchaus für sündlich halten und sich deshalb nicht schlagen. Es ist das eine Gewissenssache, über die kein Anderer ein Recht hat zu urtheilen – aber man soll auch Die nicht verdammen, die mit einem – möglicher Weise irrigen Ehrgefühl eine erlittene Beleidigung nur glauben durch Blut auswaschen zu können. Auch bei ihnen ist es eine Gewissenssache, und wenn hierbei eine Majorität entscheiden könnte, so wären sie ganz entschieden und unzweifelhaft im Recht.
Muth? – Es ist möglich, daß mehr moralischer Muth dazu gehört, eine Herausforderung abzulehnen, als sie anzunehmen; aber das Duell selber ist noch ein letztes Überbleibsel fast der alten, kräftigen Ritterzeit, wo der Mann auch für sein eigenes gutes Recht einstand und nicht um jeden Quark die Polizei belästigte. Das Duell hat manchen Übelstand, ja; mancher Streit wäre auch vielleicht ohne solch ein gewaltsames Mittel beizulegen gewesen, mancher Familie endloser Jammer, namenloses Leid erspart worden, aber trotzdem ist es in vielen Fällen nicht möglich, es zu vermeiden. Es ist ein anerkanntes Übel, aber ein nothwendiges, und nur eine Umwandlung unserer Ansichten und Meinungen könnte dem Zweikampf ein Ende machen.
Hier freilich hatte alte Sitte ein furchtbares und schweres Opfer gekostet, den einzigen Sohn des Hauses, das letzte Kind, und wie das Glück in früheren Jahren nicht müde geworden schien, all' seine Gaben mit verschwenderischen Händen über die von Tausenden beneidete Familie auszustreuen, so unerbittlich schritt jetzt das Unglück durch die verödeten Räume seine erbarmungslose Bahn, das Haus der Freude in ein Haus des Jammers wandelnd.
Der junge Graf war, von einem prächtigen Leichengepränge begleitet, in die Familiengruft beigesetzt worden, und wie die unglücklichen Eltern in das Schloß zurückkehrten, schien das sonst so gastfreie und allen geselligen Freuden geöffnete Haus in ein düsteres Kloster verwandelt zu sein.
Draußen das blitzende Thürschloß des Gartenthors deckte, der englischen Sitte nach, ein Trauerflor – der größte Theil der Dienerschaft war entlassen worden; der alte Graf wollte die vielen Menschen nicht mehr um sich sehen, die Fenster wurden verhängt und nur so weit geöffnet, um das nöthigste Tageslicht herein zu lassen, und die Gräfin selber lag gebrochen auf ihrem Bett.
Der Verlust Paula's hatte sie erschüttert, aber weit mehr ihren Zorn als ihren Schmerz erweckt; der Verlust des Sohnes, an dem ihr Herz mit aller Liebe hing, deren es nur fähig war, brach die Kraft, die sie bis dahin aufrecht gehalten, und sie gab sich jetzt so wild und rücksichtsvoll ihrem Grame hin, als sie den vorher hart und kalt in ihrer Brust zurückgehalten.
Das war ein trauriges Leben jetzt in dem sonst so fröhlichen Hause, und der alte Haushofmeister schlich wie ein Geist in den Räumen umher, als ob er die Verlorenen suche und ihren Verlust noch nicht glauben könne, noch nicht denken möge. So aufmerksam er aber dabei den Grafen selber bediente, so scheu hielt er sich von der bis dahin geliebten Herrin zurück, denn an dem Abend, an dem sie den Brief seiner lieben kleinen Comtesse kalt und erbarmungslos in die verzehrende Flamme warf, hatte sich sein Herz ihr entfremdet, und wieder und wieder zuckte ihm der Gedanke durch den alten Kopf, daß Gottes Strafgericht dafür das jetzt dem Untergang geweihte Haus betroffen habe.
Der Graf selber freilich brauchte fast keine Bedienung. Er verließ sein Zimmer nur dann und wann, um eine halbe Stunde auf der Terrasse auf und ab zu gehen und frische Luft zu schöpfen, fühlte sich aber so schwach, daß ihn ein Diener dabei unterstützen mußte. Er sprach auch wohl immer vom Reisen und befahl dem Haushofmeister drei-, viermal im Tage, die Koffer zu packen und Alles herzurichten, aber der Ober-Medicinalrath, der Morgens und Abends kam, schüttelte dazu mit dem Kopf.
Der Graf war unmittelbar nach den gehabten Aufregungen viel zu schwach, um jetzt an eine Reise denken zu können. Er mußte sich jedenfalls erst wieder, eine kurze Zeit wenigstens, erholen. In vier oder sechs Wochen ließ sich eher darüber reden. Jetzt brauchte er vor allen Dingen sorgsame Pflege und Ruhe.
Ruhe, Du großer Gott, Ruhe herrschte allerdings in dem Hause, aber die Ruhe des Grabes, und wie schon Jeder die Stätte der Trauer von selber mied, wurden selbst die wenigen Personen, die theilnehmend Trost spenden wollten, abgewiesen.
Auch Graf Rottack war hinaufgefahren, um den Unglücklichen sein inniges Beileid auszusprechen und vielleicht zugleich etwas Näheres über Paula's jetzigen Aufenthalt zu erfahren, um die sich Helene sorgte und abängstigte; aber weder Graf noch Gräfin nahmen einen Besuch an. Sie ließen der Nachfrage danken, fühlten sich aber jetzt zu leidend, um Fremde zu empfangen.
Rottack wandte sich sogar an den Haushofmeister, um von diesem etwas über den gegenwärtigen Aufenthalt der Comtesse zu hören. Lieber Gott, der alte Mann wußte selber nichts darüber und liebte seine Herrschaft viel zu sehr, das von ihr weiter zu erzählen, daß sie mit eigenen Händen die einzige Kunde ihres verlorenen Kindes vernichtet hätten – und ein weiterer Brief war doch nicht eingetroffen.
Graf Rottack mußte unverrichteter Sache wieder nach Haßburg zurückkehren.
Empört war er aber hier, in dem sogenannten Stadtblatt einen ganz gemeinen Artikel über die Verhältnisse des Monford'schen Hauses zu lesen, auf welches Doctor Strohwisch eine specielle Malice zu haben schien. Es ist wahr, der alte Graf hatte ihn früher nicht mit der Hochachtung behandelt, die er glaubte als Vertreter der Presse beanspruchen zu dürfen. Sein erster Besuch im Schlosse war allerdings angenommen, aber nicht einmal durch eine abgegebene Karte erwidert worden, sein zweiter schlug total fehl, und nicht eine einzige Einladung war an ihn, trotz aller »Feste und Gelage«, wie er es nannte, ergangen. Man hatte ihn vollständig ignorirt, und er konnte deshalb eine so günstige Gelegenheit, sich zu rächen, nicht unbenutzt vorüber lassen.
Leider verfehlte er aber dadurch vollkommen den beabsichtigten Zweck, denn die Familie Monford war in Haßburg wirklich beliebt gewesen. Die alten Herrschaften galten allerdings für stolz, aber kein Nothleidender hatte je ihre Thür unbeschenkt verlassen, alle Armen- und Wohlthätigkeits-Anstalten der Stadt waren von ihnen stets auf das Freigebigste bedacht worden, und der junge Graf und die Comtesse durch ihre Liebenswürdigkeit und ihr offenes, freundliches Betragen gegen Jeden, mit dem sie in Berührung kamen, allbeliebt in ganz Haßburg gewesen. Das furchtbare Schicksal der Eltern bei so schwerem Verlust trug dann ebenfalls noch dazu bei, alle Schatten in dem allerdings etwas übermüthigen Charakter der Gräfin selber zu verwischen; was mußte ihr Mutterherz jetzt empfinden. – Desto unangenehmer wurden die Leser fast ohne Ausnahme von der rücksichtslosen Schadenfreude berührt, mit welcher ein Leitartikel des Blattes das Unglück dieses edlen Hauses besprach.
Einen unglücklicheren Moment hätte Strohwisch auch nicht wählen können, wenn ihm wirklich ein Erfolg am Herzen lag, als in derselben Nummer den Versuch zu machen, die Entrüstung des Publikums gegen die Theaterdirection aufzurufen, die an diesem Abend die Keckheit haben wollte, ihnen Herrn Horatius Rebe nochmals als Fiesco aufzuzwingen, dem er ein gänzliches Fiasco prophezeite.
Das Blatt wurde Herrn Rebe unter Kreuzband in's Haus geschickt.
Jeremias hatte es ebenfalls gelesen, aber er ließ sich an dem ganzen Tag nicht bei Pfeffers blicken, sondern lief in einer merkwürdigen und an ihm sehr ungewöhnlichen Aufregung in der Stadt herum. Die Klagesache mit Strohwisch konnte es auch nicht sein, denn die war schon abgemacht und er dieses Mal mit einer nicht unbeträchtlichen Geldstrafe davongekommen. Er tauchte auch oft in abgelegenen Straßen in kleine, ganz unansehnliche Spelunken ein, mit deren Bewohnern er einige Zeit verkehrte, stieg in dem Hause in den dritten, in jenem in den vierten Stock hinauf, und entwickelte überhaupt eine Thätigkeit, wie er sie vielleicht seit seinen Dienstjahren in Brasilien nicht mehr gezeigt hatte.
Um zwölf Uhr suchte er dabei kein Hotel auf, um sich nach der ungewohnten Anstrengung zu restauriren, sondern eine ganz gewöhnliche, noch dazu außer dem Weg gelegene Bierkneipe und Schenkwirthschaft, wo er sich ein Glas Bier und eine Portion Graupen und Rindfleisch, die einzigen Gegenstände, die auf der Speisekarte standen, geben ließ.
Er hatte dort aber noch nicht lange gesessen – und es war dabei augenscheinlich, daß er Jemanden erwartete, denn er sah fortwährend nach der Thür – als Peters, der Theaterdiener, auf der Schwelle erschien, ihm ziemlich vertraut zunickte, seinen alten Hut an einen Nagel hing und sich dann, wie zu einem alten Bekannten, neben ihn setzte.
»Na, das ist gescheidt, Peters, daß Ihr kommt,« sagte Jeremias.
»Werde doch die Fütterung nicht versäumen,« bemerkte dieser, »wo sollte nachher die Kraft und Ausdauer herkommen!«
»Und Alles in Ordnung?«
»Alles; aber ich sage Ihnen, Herr Stelzhammer, ich fühle meine Beine nicht, und habe den letzten Groschen von dem Gelde ausgegeben!«
»Hier ist mehr,« nickte ihm Jeremias zu, indem er ihm eine Zwanziggulden-Note in die Hand drückte, »wenn es die Leute nur vernünftig anfangen, daß es nicht auffällig wird.«
»Na, da können Sie sich ganz auf mich verlassen, aber der Durst…«
»Kellner, zwei Glas Bier!«
»Darin, dächt' ich, hätt' ich einige Übung,« fuhr Peters fort, und wischte sich schon im voraus nach dem Bier den Mund, »Alles mit dem gehörigen Avec und zur rechten Zeit!«
»Und wenn welche pfeifen?«
»Desto besser, die werden hinausgefuhrwerkt. Übrigens habe ich mir noch einen Hauptkerl für derlei Sachen – ein außerordentlich nützliches Mitglied, wie unser Director sagt, hier um zwölf Uhr herbestellt, weil ich ihn nicht zu Hause traf.«
»So? kommt er?«
»Gewiß; es ist eine Art verdorbenes Genie, der Gelegenheitsgedichte und dergleichen macht und eigentlich mit dem »Doctor« befreundet; aber, lieber Gott, er hat immer Durst; Ihr Wohl, Herr Stelzhammer, und ein paar Gulden mehr auf die eine Seite können da schon 'was ausrichten!«
»Sie wissen, Herr Peters, daß es mir auf ein paar Gulden nicht ankommt.«
»Sehr hübsch von Ihnen, Herr Stelzhammer,« bemerkte Peters, »wollte, ich könnte dasselbe von mir sagen.«
»Wenn die Sache gut abläuft, soll es Ihr Schade gewiß nicht sein!«
»Was thut man nicht im Interesse der Direction,« bemerkte Peters bescheiden, »und wenn uns der Rebe nur ein klein wenig hilft, und ich bin fest überzeugt, er wird seine Sache gut machen, so – aber da kommt er,« stieß er plötzlich seinen Nachbar heimlich mit dem Ellbogen an. »Das ist der Hauptmatador von Allen – aber jetzt ruhig, daß er nichts merkt. Lassen Sie mich nur machen.«
Der Eintretende war eine ganz auffallende Erscheinung, ein baumstarker Mensch mit blonden Haaren und blauen, etwas verschwommenen Augen. Die Nase dabei ein wenig geröthet, das Gesicht unrasirt, ging er, in einen braunen, sehr abgetragenen Überrock, trotz der warmen Witterung, bis oben hin eingeknöpft, so daß auch nicht die Spur von reiner Wäsche sichtbar wurde. Den Hut hatte er dabei keck und zuversichtlich auf einem Ohr sitzen und in der Hand trug er ein dickes spanisches Rohr.
Wie er in die Thür trat, warf er einen Blick in das noch sehr spärlich besetzte Zimmer, bemerkte Peters, nickte ihm huldvoll zu, hing dann ebenfalls seinen Hut an den Nagel und setzte sich, ohne Jeremias weiter zu beachten, dem Theaterdiener gerade gegenüber.
»Wollen Sie mit essen?« fragte der etwas schmutzig aussehende Kellner ohne viele Umstände, »Graupen und Rindfleisch!«
»Danke – Glas Bier!« war die Antwort. »Nun, Peters, wie geht's? Was treibt Ihr?«
»Haben Sie denn schon gegessen, Herr Walther?« fragte dieser.
»Ich? – hm – nein – speise gewöhnlich später…«
»Na, aber dann zur Gesellschaft. – Heh, Kellner, Couvert für den Herrn!« rief Peters, der sich alle gesellschaftlichen Formen angeeignet hatte. »Die Herren kennen sich wohl noch nicht? Herr Walther, eine literarische Größe; Herr Stelzhammer, ein Kaufmann aus Brasilien!«
»Sehr angenehm, Ihre Bekanntschaft zu machen,« sagte Herr Walther mit einem völlig gleichgültigen Gesicht, indem er verlangend nach dem eben gebrachten Bier hinüber sah, und auch drei Viertel des Glases auf einen Zug leerte. »Was wollten Sie denn, Peters? Sie waren bei mir im Hause. Ich hatte einige Besuche zu machen.«
»Sind Sie schon auf heut Abend engagirt, Herr Walther?« fragte Peters, der weitere Umstände nicht für nöthig hielt.
Herr Walther nickte einfach, während er die für ihn bestellten Speisen in Empfang nahm und trotzdem, daß er sonst später speiste, mit außerordentlichem Erfolg zu bearbeiten begann.
»Alle Wetter,« rief Peters, »das wäre mir aber nicht lieb! Sie selber würden viel dabei versäumen, Herr Walther, denn es liegt uns viel daran, daß die Vorstellung heut Abend eine befriedigende ist!«
»So?« sagte Herr Walther.
»Aber vielleicht ließe es sich doch noch vereinigen.«
»Möchte wohl schwerlich gehen, Peters, – ich werde pfeifen,« sagte der Herr mit einer bodenlosen Ruhe.
Jeremias zuckte zusammen, Peters gab ihm aber unter dem Tisch einen Stoß mit dem Fuß.
»Hm,« meinte er dann, als ob in der Antwort nicht das geringste Außergewöhnliche gelegen hätte, »das ist dann freilich etwas Anderes. Schade, aber wenn's nicht ist, ist es nicht – Sie hätten indeß ein schön Stück Geld verdienen können!«
»Bah,« sagte Herr Walther verächtlich, und kaute das nicht ganz zarte Stück Rindfleisch, »was Ihr schön Stück Geld nennt – frei Entrée und einen halben Gulden Klopfgeld. Die andere Seite ist bequemer, dabei kann ich die Hände in den Taschen behalten.«
»Ja, halben Gulden,« lachte Peters, »da wäret Ihr dieses Mal schön angekommen – mit halben Gulden wird sich nicht befaßt, aber, wie gesagt, wenn's nicht ist, ist es nicht,« und dabei fiel er wieder über das Rindfleisch her.
Herr Walther saß ihnen eine Zeit lang schweigend gegenüber und sein Blick streifte dabei ein paar Mal Jeremias. Daß der mit darunter stak, hatte er im Nu weg, und der Mann sah noch dazu aus, als ob er zahlen könne. Er trank sein Bier aus.
»Kellner, unsere Gläser sind leer!« sagte Jeremias, und Peters nickte bestätigend mit dem Kopf. Der Riese machte eine halbe Verbeugung gegen den kleinen Mann, als Anerkennung seines Verdienstes um das öffentliche Wohl, nahm aber das Gespräch nicht wieder auf und schien die Sache an sich kommen zu lassen. Peters aber sagte auch nichts weiter, eine höchst überflüssige Bemerkung ausgenommen, daß er heute einen entsetzlichen Durst habe, und trank stark dabei.
»Kellner, unsere Gläser sind leer!« rief Jeremias wieder nach einer gar nicht etwa so langen Pause.
»Bitte,« sagte dieses Mal Herr Walther, schob aber doch dem Kellner sein geleertes Glas hin. Die Stille wurde ihm aber unheimlich – mit Essen waren sie fertig. Jeremias nahm seine Cigarrentasche heraus, zündete sich eine Cigarre an und offerirte dieselbe dann dem Gegenübersitzenden und Peters. Beide Herren acceptirten.
»Donnerwetter,« sagte Peters, »das ist 'was Feines – allen Respect!«
»Ausgezeichnet,« bemerkte Herr Walther, und blies den Rauch mit Kennermiene durch die Nase. Sein vis-à-vis stieg augenscheinlich in seiner Achtung; Strohwisch rauchte nichtswürdige Cigarren.
Der kleine Jeremias war aber ein praktischer Geschäftsmann und fühlte, daß jetzt die beiden würdigen Leute viel besser mit einander zu Stande kommen würden, wenn er nicht dabei wäre. Seine Gegenwart störte mehr, als daß sie half. Er stand auf und sagte: »Ach, lieber Herr Peters, Sie entschuldigen mich wohl; ich habe noch in der Nachbarschaft etwas zu thun und hole Sie in einer Viertelstunde wieder ab, berichtigt ist Alles – habe die Ehre« – und dabei drückte er dem Theaterdiener noch einen Zehngulden-Schein in die Hand, aber so, daß Herr Walther Zeuge der Bewegung sein mußte. Dann machte er einen kleinen Spaziergang, und zwar eine volle Viertelstunde. Als er aber wieder in die Schenke zurückkehrte, fand er Peters allein vor, der mit freudestrahlendem Gesicht hinter einem frischen Kruge Bier saß.