Kitabı oku: «Eine Mutter», sayfa 30
»Und er gehört Euch?«
»Ja, Bärbel. Aber nun geh wieder nach Hause. Sag' ihm, wenn ich heute spazieren ginge, würde ich bei Euch einmal vorkommen und, wenn er so sehr krank ist, sehen, ob sich etwas für ihn thun läßt.«
Bärbel knixte. Es war fast, als ob sie noch etwas sagen wollte; aber sie brachte nichts mehr heraus und schien auch froh, wieder fort zu kommen, denn die Sache mit dem Ring ging ihr doch noch immer im kleinen Kopf herum.
In einer merkwürdigen Unruhe aber verließ sie die Gräfin, denn kaum hatte sie die Thür hinter sich zugezogen, als sich diese in einen Fauteuil warf und, ihr Antlitz mit den Händen deckend, eine lange Weile regungslos sitzen blieb; dann sprang sie auf und betrachtete wieder den Ring – war es, daß ein Zweifel in ihr aufstieg, ob es der rechte sei? Sie hielt ihn gegen das Licht und prüfte ihn genau, und ging dann, während sie ihn an ihren Finger schob, mit unruhigen Schritten in dem Gemach auf und ab. Plötzlich, wie zu einem Entschluß gekommen, blieb sie am Tisch stehen und klingelte.
»Der Haushofmeister soll hereinkommen.«
Der Diener schloß die Thür wieder, und nach einer Weile kam der alte Mann und fragte, was die Gräfin befehle.
»Hußmann,« sagte die Frau, welche indessen ihre ganze eiserne Ruhe wiedergewonnen hatte, »was für ein Mensch ist das eigentlich, den in jener Nacht der Förster geschossen hat? Wo kommt er her und wie lange ist er schon da?«
»Ja, Frau Gräfin,« sagte der alte Mann achselzuckend, »viel Genaues bin ich auch nicht im Stande, Ihnen darüber zu sagen. Ich weiß nicht einmal seinen vollen Namen, denn hier auf dem Schlosse wurde er nur immer Fritz oder, wie ihn die Leute nannten, der alte Fritz, geheißen, der sich, wie alle derartigen Subjecte, im Lande herumtreibt und dort eine Zeit lang bleibt, wo er Beschäftigung findet.«
»Und wie lange ist er hier?«
»Es mögen jetzt drei oder vier Jahre sein, daß er in die Gegend kam, ich weiß es wirklich selber nicht einmal mehr genau; es war das Jahr, wo die Maulwürfe so überhand genommen hatten, und in deren Vertilgung zeigte er sich außerordentlich geschickt. Nachher war er einmal wieder von Zeit zu Zeit fünf bis sechs Monate verschwunden, dann kam er wieder. Jetzt mag er auf's Neue seit etwa zwei Monaten in der Gegend sein, und der Förster hatte ihn schon lange in Verdacht, daß er nicht blos den Maulwürfen und anderem Ungeziefer nachstellte; er war aber zu schlau, als daß er ihn erwischen konnte, und nur in – in jener Nacht mochte er sich vielleicht sicherer fühlen als sonst, und hatte wohl nicht geglaubt, daß der Förster auf seinem Posten wäre.«
»Und hat er sich zu Zeiten im Schlosse selber gezeigt?«
»Nie, Frau Gräfin. Es ist eigentlich ein sonderbarer Kauz; mit den Bedienten hat er nie verkehrt, und die haben ihn auch deshalb immer verspottet, daß er stolz wäre. Es scheint ein heruntergekommenes Subject, das vielleicht einmal bessere Tage gesehen hat. In der letzten Zeit fing er aber auch an, sich dem Trunk zu ergeben, und das muß ihn jetzt besonders so krank gemacht haben. Ich fragte vorhin den Doctor; er wird's nicht lange mehr machen. Der Brand ist zu der Wunde gekommen, und da sich das Bein nicht amputiren läßt, wird er wohl seinen letzten Jagdfrevel verübt haben. Mir thut's leid um den Förster, der kommt dadurch gewiß in Ungelegenheit, und hat sich doch nur seines eigenen Lebens gewehrt. Außerdem macht er sich ein Gewissen daraus den armen Menschen so schwer getroffen zu haben.«
Die Gräfin stand am Fenster und sah gedankenvoll hinaus. Der Haushofmeister blieb an der Thür. Sie hatte ganz vergessen, daß er im Zimmer war. Nach einer Weile fragte er endlich: »Befehlen Sie sonst noch etwas, Frau Gräfin?«
»Ich? – Nein – ja so – es ist gut, Hußmann; ich danke Euch!« Und der alte Diener verließ geräuschlos das Gemach.
Oben im kleinen Gärtnerhäuschen ging es mit dem Kranken recht schlecht. Der Ober-Medicinalrath war dort gewesen, hatte sich die Wunde angesehen und Alles, was bis jetzt dafür geschehen war, gutgeheißen. Aber es stellte sich schon wieder ein Fieber ein. Der Verwundete schien von einer merkwürdigen Unruhe erfaßt zu sein und klagte auch über Schmerzen im Körper, über ein krampfhaftes Gefühl in der Herzgegend. Der Ober-Medicinalrath verordnete Ruhe und Eisumschläge und als einzige Nahrung eine dünne Wassersuppe; dann nahm er Hut und Stock und verließ den Patienten.
Bärbel war zurückgekommen und zum Kranken hinauf gegangen; aber die alte Rosie saß noch im Zimmer, und sie wußte nicht, ob sie in deren Gegenwart etwas von dem Ring und der Frau Gräfin erwähnen durfte. Aber der Kranke kam ihr zu Hülfe.
»Rosie,« sagte er, »gebt mir doch einen Trunk frisches Wasser. Nein, nicht von dem,« fuhr er fort, als die Alte ihm aus dem Kruge einschenken wollte, »das steht schon so lange im Zimmer; bitte, holt mir frisches, gleich vom Brunnen.«
»Geh, spring einmal hinunter, Bärbel, und hol' frisch Wasser,« sagte die Alte; »Du hast junge Beine.«
»Nein, geht Ihr nur selber; die Bärbel soll mir indessen das Eis wieder auflegen, sie versteht's so gut.«
»Na, ich dächte, ich hätt's auch immer geschickt gemacht.«
»Ja, Rosie; aber bitte, laßt's jetzt einmal die Bärbel thun!«
»Na, meinetwegen; mir kann's recht sein.«
Die alte Person war ein wenig in ihrer Ehre gekränkt, aber sie nahm den Krug auf und humpelte damit, immer vor sich hin murmelnd, die Treppe hinab.
»Nun, Bärbel, hast Du's ausgerichtet?«
»Ja; ich hab's Euch ja versprochen.«
»Gutes Kind; und ihr selber gegeben?«
»Ja.«
»Und was sagte sie?«
»Sie wunderte sich, wie Ihr zu dem Ringe kämt. Habt Ihr ihn gefunden, Maulwurfsfänger?«
»Ja, Kind, ich hab' ihn gefunden im Park draußen. Und wird sie kommen? Sagte sie es Dir?«
»Sie will vorkommen, wenn sie spazieren geht, und sehen, ob es Euch an 'was fehlt.«
Der Kranke athmete tief auf.
»Bärbel!«
»Ja, wollt Ihr 'was?«
»Da unten an dem Bettpfosten hängt meine Weste; geh einmal hin, Kind.«
»Wollt Ihr sie haben?«
»Nein; in der linken Tasche steckt ein blanker Thaler. Hast Du ihn gefunden?«
»Ja, da ist er.«
»Behalt ihn, Bärbel, den sollst Du haben.«
»Den ganzen Thaler?«
»Thu' ihn in Deine Sparbüchse, Kind.«
»Aber darf ich denn das viele Geld behalten? Großvater zankt gewiß.«
»Behalt es mir zum Andenken, ich kann Dir ja doch sonst nichts geben, und Du hast mich so oft gepflegt.«
»Aber das muß ich dem Großvater sagen, heimlich darf ich ihn nicht behalten.«
»Sag's nur dem Großvater, Kind, er wird Dir's erlauben. So, und nun leg' mir das Eis auf; die Rosie wird gleich wiederkommen. Oh Gott, wie das feuert und klopft! Du wirst's nicht mehr oft zu thun brauchen, Bärbel.«
Es war fast, als ob das viele Sprechen oder auch vielleicht die gerade von dem Arzte verbotene Aufregung ihn übermäßig angegriffen habe. Er schloß die Augen, war sehr blaß geworden und lag still und regunglos auf seinem Bett.
Die Rosie wollte ihm das verlangte Wasser geben; aber er antwortete ihr gar nicht, und Bärbel selber schlich sich leise hinunter, um den Großvater im Park aufzusuchen und ihm das Geschenk zu zeigen.
Etwa nach einer Stunde öffnete der Kranke die Augen wieder und sah sich verstört um. Nur die Rosie war bei ihm im Zimmer.
Ob er 'was haben wollte? Nein; er schien unruhig, aber die alte Frau auch keine Person, gegen die er sich aussprechen konnte. Er schüttelte mit dem Kopf und horchte nur immer hoch auf, wenn sich unten im Hause etwas regte. Immer heftiger wurde dabei sein Fieber, und das vorher so bleiche Gesicht flammte jetzt ordentlich in wilder Gluth.
Die Rosie war wieder einmal hinunter gegangen, um etwas zu besorgen, als sie plötzlich rasch die Treppe heraufkam und mit ängstlicher Stimme sagte:
»Herr Du meine Güte, die gnädigste Frau Gräfin ist selber unten und will heraufkommen – die Ehre! Und wie's hier aussieht – na, die wird schön schauen! Aber wer hat daran auch gedacht?« Und dabei schob sie hastig Alles aus dem Wege, was sich eben nicht gut zeigen ließ, und wischte noch mit ihrer Schürze den einen dem Bett gegenüber stehenden Stuhl ab, auf dem sie gewöhnlich saß, als die Thür schon aufging und die hohe, stattliche Gestalt der Gräfin auf der Schwelle stand.
Das kleine Gemach hatte vielleicht noch nie so ärmlich ausgesehen, als in dem Augenblick, wo die elegante Gestalt der Dame in ihrem schwarzen rauschenden Seidenkleide darin erschien, und der ängstliche, scheue Blick, den sie darin umherwarf, zeigte, daß sie das fühlte. Aber im nächsten Moment haftete ihr Auge schon fragend und forschend auf dem Antlitz des Kranken, der, als er ihren Schritt auf der Treppe hörte, unwillkürlich emporgezuckt war, vom Schmerz gebannt aber in seine alte Lage zurücksank und finster die Zähne zusammengebissen auf seine Decke niederstarrte.
Ganz versteinert über die »hohe Ehre« stand indessen die Rosie in der Ecke und knixte nur einmal nach dem andern, um dem vornehmen Besuch ihre Ehrfurcht zu erweisen.
Aber die Gräfin, deren Blick nur über sie hinglitt, sagte leise: »Geh'n Sie hinunter, gute Frau, ich habe mit dem Kranken etwas zu sprechen.«
»Zu Befehl, Frau Gräfin.«
»Und kommen Sie nicht eher wieder herauf, bis ich Sie selber rufe.«
»Zu Befehl, Frau Gräfin.«
Die Alte war seelenfroh, da oben weg zu kommen, und wie ihr die Gräfin nur so viel Raum an der Thür ließ, daß sie hindurch konnte, ohne auf ihr Kleid zu treten, schoß sie die Treppe hinab.
Die Gräfin war mit dem Maulwurfsfänger allein; aber noch immer sprach sie kein Wort, noch immer haftete ihr Blick wie fragend und ungewiß auf den eingefallenen Zügen des vor ihr Liegenden, und erst als dieser keine Miene machte, sie anzureden, und nur wie krampfhaft in die Decke griff, sagte sie leise:
»Sie haben mich zu sprechen verlangt. Was kann ich für Sie thun?«
Der Maulwurfsfänger drehte langsam den Kopf nach ihr um, denn selbst diese Bewegung that ihm weh; dann aber flüsterte er, daß die Worte kaum zu dem Ohr der Gräfin drangen und trotzdem wie mit einem Schlage das Blut aus ihren Wangen jagten:
»Also hast Du den Ring wiedererkannt, Ottilie? Bist Du wirklich gekommen, um mir Lebewohl zu sagen?«
»Heiliger, allmächtiger Gott!« stöhnte die Gräfin und faßte ihr Herz mit beiden Händen, als ob sie es festhalten wolle in der Brust. »Wäre es denn möglich – wäre es wahr…?«
»Es ist wahr, Frau Gräfin,« sagte der Alte, indem ein bitteres Lächeln um seine Lippen spielte, »die Jammergestalt hier auf dem Bett, zerschossen und von Krankheit und Alter gebrochen, eigentlich auch schon halb verfault, mit dem schleichenden Tod in den Gliedern, ist Alles, was von dem einst so lebenslustigen und gefeierten Friedrich von Sitrop übrig geblieben. Wenig, nicht wahr? Verdammt wenig – und das Wenige selbst verstümmelt und mißhandelt!«
Die Frau stand, das Gesicht in den Händen bergend, mitten in der Stube; kein Laut kam über ihre Lippen, aber die ganze Gestalt zitterte und bebte, und des Alten Blick haftete fast wehmüthig und mitleidsvoll an ihr. Endlich fuhr er leise fort: »Setz' Dich, Ottilie – etwas näher zu mir; ich kann nicht so laut sprechen und fühle, daß ich auch nicht mehr lange sprechen werde. Ich weiß Alles, was Du fragen möchtest, ich will Dir Alles mit wenigen Worten sagen. Aber dann – mußt Du mir auch Eine Frage beantworten – nur eine einzige Frage, die mir lange Jahre am Leben gefressen hat und die ich – noch vor meinem Tode gelöst haben möchte. Setz' Dich, die Zeit vergeht und die Secunden fangen an kostbar zu werden.«
Die Gräfin machte eine Bewegung gegen das Bett, und der Spitz, der bis jetzt nur leise und fast unhörbar geknurrt hatte, schlug laut an. Der Maulwurfsfänger pfiff leise durch die Zähne und sagte dann: »Ruhig, Spitz, es ist vorbei; Du wirst jetzt abgelöst von Deinem Posten. Sei ruhig, mein Hund, ich bin's ja auch; hörst Du?«
Das kleine treue Thier knurrte zwar noch leise, aber es kauerte sich wieder unter dem Bett zusammen und winselte nur noch ein wenig, als die Gräfin fast mechanisch nach dem Stuhl griff und sich darauf niederließ. Dann lag er ganz still, schob die Schnauze wieder in seine langen Haare und blieb regungslos liegen, hielt aber immer noch die kleinen blitzenden, schwarzen Augen mißtrauisch auf das Kleid des fremdartigen Besuchs geheftet.
Auch der Kranke schien sich erst von der ungewohnten Anstrengung des Redens zu erholen; dann fuhr er langsam fort:
»Die Geschichte ist sehr kurz. Mein Vermögen brachte ich durch – im Spiel; arbeiten konnte und wollte ich nicht; in Frankreich, wohin ich flüchtete, fälschte ich einen Wechsel, um Geld zu bekommen, und wurde eingekerkert. Ich saß lange Jahre und kehrte, endlich freigelassen, nach Deutschland zurück; aber den Baron hatte ich im französischen Gefängniß oder vielmehr schon vor dessen Thür gelassen, leben mußte ich, Geld hatte ich keins, – das Einzige, was ich verstand, war das Spiel und die Jagd; Croupier mocht' ich nicht werden, so tief war ich doch noch nicht gesunken, zum Förster wollte mich Niemand, da« – ein bitteres, höhnisches Lächeln zuckte um die Lippen des Kranken – »benutzte ich eine frühere Passion von mir, das Fallenstellen, und – wurde Maulwurfsfänger. Sechs Jahre wanderte ich so in Deutschland umher, mich den Henker mehr um die übrige Welt scherend, bis es mir keine Ruhe mehr ließ, den Ort wieder aufzusuchen, wo…«
Er schwieg plötzlich; Todtenstille herrschte in dem kleinen Raum, nur das schwere Athmen der Frau unterbrach die Stille oder machte sie vielmehr noch unheimlicher.
»Das ist eigentlich Alles,« sagte der Kranke nach einer Pause. »Du kanntest mich nicht wieder; hübscher war ich auch nicht geworden, und mir machte es Spaß, so incognito gerade mit diesem Platz zu verkehren. Da begegnete ich neulich im Park einer jungen fremden Frau – wie ein Messer stach mir deren Anblick durch's Herz, – es war, als ob die langen Jahre zurück, statt vorwärts gegangen wären, und Du, Ottilie, wie ich Dich in all' Deiner Schönheit und Jugend gesehen, standest wieder vor mir, wie vor einem Vierteljahrhundert an derselben Stelle.«
Die Gräfin war aufmerksam geworden; ihre Hände sanken langsam in ihren Schooß, und das große Auge haftete fragend auf dem Sprechenden.
»Ich erfragte den Namen,« fuhr dieser endlich leise fort, »er klang mir fremd – Rottack – ich hatte ihn nie gehört.«
»Rottack?« hauchte die Frau.
Der Maulwurfsfänger nickte, und sein Blick hing forschend an ihren Zügen; aber er bekam keine Antwort. Angst und Schmerz lagen in ihrem Antlitz, aber die Lippen blieben unbewegt.
»Rottack,« wiederholte er endlich, »Helene Rottack. Aber Du mußt reden, Ottilie,« fuhr er heftiger fort, »die Zeit verfliegt, meine Pulsschläge sind gezählt, Du mußt meine Frage beantworten!«
»Und welche Frage ist das?«, hauchte die Frau, die sich dem alten, kranken Manne vollkommen willenlos gegenüber befand.
»Was ist aus dem Kind geworden?« sagte der Alte leise. »Als der Graf aus Westindien zurückkehrte, konnte ich Dir nicht wieder nahen, denn ich wußte, daß er mich haßte. Bald darauf mußte ich selber flüchten, schreiben durfte ich nicht – was ist aus dem Kind geworden, Ottilie?«
Die Frau barg ihr Gesicht wieder in den Händen, aber sie antwortete nicht, und fast mitleidig ruhte der Blick des Kranken auf ihr.
»Fürchte nichts,« sagte er endlich leise, »ich weiß, welches furchtbare Unglück Dich in der letzten Zeit betroffen hat. Ich hätte es vielleicht verhindern können,« setzte er düster hinzu. »Ängstige Dich nicht, daß diese Lippen, die so lange geschwiegen, jetzt plaudern könnten; ein Sterbender spricht zu Dir – was ist aus dem Kind geworden?«
»Es lebt!« hauchte die Gräfin.
»Es lebt?« rief der Kranke. »Und – und heißt Helene?«
Die Gräfin antwortete nicht, aber ohne zu ihm aufzusehen, neigte sie leise das Haupt.
»Gott sei Dank!« stöhnte der Mann. »Aber – mir wird auf einmal so wunderbar schwach zu Sinn – es flackert mir vor den Augen. Gieb mir Deine Hand, Ottilie – laß uns versöhnt scheiden – so, das ist lieb von Dir – Gott segne Dich – so – und nun geh – Du darfst nicht länger hier bleiben. Schick' mir die Rosie herauf – die Alte oder die Bärbel, wenn sie unten ist. Oh, mein Gott, wie das brennt – das Eis ist fortgeschmolzen und zu glühend heißem Blei geworden…«
Die Gräfin hatte ihm die Hand gereicht; sie war aufgestanden, und ihre Brust hob sich stürmisch, ihr Antlitz deckte Leichenfarbe. Sie wollte sprechen, aber sie konnte nicht. Willenlos, fast bewußtlos hatte sie bis jetzt in der Gegenwart des Furchtbaren gehandelt; was sie sich vorgenommen, ehe sie das Haus betrat, wie sie mit kalter Verachtung seiner Anklage begegnen, sein Erkennen verleugnen wolle – es war hingeschmolzen, als jene Jammergestalt auf dem Bett, der Schatten dessen, der einmal im Leben ihre ganze Seele füllte, vor ihr lag. Alte Erinnerungen, Reue, Zerknirschung und Mitleid bestürmten ihr Herz; aber ihre Kräfte verließen sie, die Luft hier drohte sie zu ersticken.
»Leb' wohl!« flüsterte sie, und wie von Furien gejagt, floh sie aus dem Zimmer hinaus in's Freie, in die Einsamkeit.
Draußen wurde ihr leichter. Wohl eine Stunde lang ging sie in dem weiten Park auf und ab. Endlich wandte sie sich wieder dem Schlosse zu und ging in ihr Zimmer hinauf.
Noch hatte sie nicht ihren Hut abgelegt, als es leise an die Thür klopfte.
»Herein!«
Bärbel stand auf der Schwelle. »Ach, Frau Gräfin,« sagte die Kleine, und die hellen Thränen liefen ihr an den Wangen nieder, »ich bin nicht hergeschickt, aber – ich – ich wollte Ihnen nur melden, daß der alte Maulwurfsfänger eben gestorben ist.«
»Todt?«
»Die Rosie sagt's. Er liegt kalt und starr auf dem Bett.«
Die Gräfin winkte mit der Hand; Bärbel verließ schüchtern das Zimmer. Die Gräfin Monford wankte zu ihrem Sopha, und Thränen – Thränen, die ersten, die sie seit langen Jahren vergossen, netzten ihr die Wangen.
Sie war glücklich, denn sie konnte weinen.
30.
Pfeffer dictirt einen Brief
Wochen vergingen und Monate. Die rauhen Herbststürme traten ein, Schnee fiel, und der Winter deckte die freundlichen Hügel und Gebirgszüge um Haßburg mit seiner weißen Decke und die Wasser mit Eis, und noch hatte die Monford'sche Familie mit keinem Menschen in der Stadt wieder verkehrt, noch hatte die Gräfin selber die Stadt nicht wieder betreten, oder auch nur einen einzigen Besuch selbst ihrer früheren intimsten Freunde angenommen.
Der Zustand des Grafen schleppte sich freilich auch nur langsam hin: die früher eingetretenen Schlaganfälle hatten sich mehrfach wiederholt, und so sehr Beide gewünscht haben mochten, diesen Ort, der jetzt für sie so furchtbare Erinnerungen trug, zu verlassen und eine andere Gegend, ein wärmeres Klima zu ihrem Aufenthalt zu wählen, so schüttelte doch der alte Ober-Medicinalrath dazu auf das Entschiedenste den Kopf und beharrte dabei, daß der Graf jetzt an eine Reise gar nicht denken dürfe, wenn er sich nicht muthwillig der größten Gefahr aussetzen wolle. Ihm bliebe vor der Hand nichts weiter übrig, als abzuwarten, ob sich sein sehr bedenklicher Zustand bessern würde, wozu er die Hoffnung keineswegs aufgegeben habe. Träte der Fall ein, dann würde er selber eine Reise nach Italien oder einem andern warmen Himmelsstrich dringend anrathen.
Ganz verändert war indessen die Gräfin selber geworden. Wie sie früher die Pflege des Kranken fast ausschließlich der Dienerschaft überlassen hatte, so wich sie seit jenem Tag, an welchem sie das Gärtnerhaus besucht, fast nicht mehr von dem Lager des Gatten, und wachte, wenn sich sein Zustand dann und wann verschlimmerte, halbe Nächte neben seinem Bett. Sie war auch viel freundlicher mit den Leuten selber geworden, und sogar der alte Haushofmeister, der ihr seit jenem Abend, wo sie den Brief verbrannte, lange Wochen durch wohl ehrerbietig, aber doch wie scheu ausgewichen war, fing an sich ihr wieder zu nähern und Mitleid mit ihr zu fühlen, denn er, vor allen Anderen, sah und fühlte die Veränderung zum Besseren, die mit ihr vorgegangen. Fiel sie doch mit einer wahren Hast über alle Briefe her, die ihr gebracht wurden, und legte sie dann traurig und oft mit einer unterdrückten Thräne bei Seite, wenn keiner von ihnen mehr die jetzt so heiß ersehnten Schriftzüge des verlorenen Kindes trug.
Aber Paula schien verschwunden; kein Brief von ihr war mehr eingetroffen, keine Zeitung nannte Handor's Namen, keine Nachforschung, die sie im Geheimen, besonders durch den Ober-Medicinalrath, anstellen ließ, führte zu irgend einem Resultat. Sie mußte todt sein oder Deutschland verlassen haben, denn alle Nachfragen blieben fruchtlos.
In Haßburg selber hatte man die Monford'sche Familie, die für Wochen lang das Tagesgespräch gebildet, fast vergessen. Eine Zeit lang wurde die Erinnerung daran wohl noch durch die nach dem Tode des Maulwurfsfängers gegen den Förster eingeleitete Untersuchung aufgefrischt, und dieser auch wegen Tödtung – aber mit mildernden Umständen, da er selber dabei verwundet worden – zu zwei Monaten Gefängnißstrafe verurtheilt. Jetzt hatte er diese abgesessen und Niemand sprach mehr davon oder dachte noch daran. –
Freundlicher hatten sich indessen die Verhältnisse in der Pfeffer'schen Familie gestaltet.
Rebe's Erfolg am hiesigen Theater konnte als gesichert betrachtet werden, denn nach der Aufführung des Fiesco wagte sich keine Opposition mehr heraus – oder wurde vielmehr nicht mehr bezahlt und fiel deshalb von selbst weg. – Strohwisch hatte Haßburg verlassen, und Rebe bekam dadurch freien Raum und ehrliches Spiel, sich seine Stellung am Haßburger Theater zu erkämpfen, was er ehrenvoll that. Nacheinander, aber von dem vorsichtigen Director immer noch nur von Monat zu Monat engagirt, trat er in den bedeutendsten und schwierigsten Rollen auf und zeigte sich bald als ein so talent- und geistvoller Schauspieler, daß ihn das Publikum immer lieber gewann und ihm jetzt allabendlich die deutlichsten und lebhaftesten Zeichen seines Beifalls gab.
Aber trotzdem veränderte er seine Lebensart nicht. Seine Gage war schon jetzt eine sehr anständige, und er hätte mit Leichtigkeit ein besseres Quartier nehmen und besser leben können. Das Rechtlichkeitsgefühl aber, das ihn bisher geleitet, führte ihn auch weiter, und wenn er schon offen und ehrlich um Henriettens Hand bei den Eltern angehalten und ihre freudige Einwilligung erlangt hatte, weigerte er sich doch, Henriette früher heimzuführen, als er sich selber so viel Geld erspart habe, um seiner Frau eine freundliche und angemessene Heimath gründen zu können.
Jeremias erbot sich allerdings augenblicklich, ihm jede verlangte und nöthige Summe vorzustrecken, aber Rebe wies Alles, wenn auch freundlich und dankend, doch entschieden zurück. Er wollte sich selber und aus sich selber heraus seinen eigenen Herd gründen, und Henriette hatte ihn deshalb nur um so lieber.
Darin stimmte er aber ganz mit Pfeffer überein, daß er jetzt bei Krüger auch auf einen bestimmten und längeren Contract dringen müsse, denn das Provisorium hatte lange genug gedauert. Rebe schrieb auch deshalb an Krüger, und heute war eine schriftliche Antwort eingelaufen, worin sich der Director in den schmeichelhaftesten Ausdrücken erbot, einen fünfjährigen Contract mit Rebe als erstem Liebhaber und Helden einzugehen, und ihm ein Concept desselben unter sehr annehmbaren Bedingungen beilegte.
Rebe hatte augenblicklich zustimmen wollen, Pfeffer that aber Einspruch und behauptete, daß in einer so wichtigen Angelegenheit auch nothwendiger Weise großer Kriegsrath gehalten werden müsse. Außerdem sei es nicht einmal gerathen, diesem »Blutsauger«, wie er seinen Director im vertraulichen Gespräch gewöhnlich nannte, zu zeigen, daß man augenblicklich zuschnappe, sobald er einen Brocken hinhielt. Er müsse zappeln, er müsse eine Zeit lang in Ungewißheit gehalten werden, dann erst dürfe man hoffen, auf einen andauernd guten Fuß mit ihm zu kommen; sonst setze er seinen Schlachtopfern doch augenblicklich wieder den Daumen auf's Auge.
Rebe wollte dagegen protestiren, aber es half ihm nichts; er wurde gerade nicht überstimmt, aber von Pfeffer überschrieen, und willigte endlich lächelnd in einen »großen Rath«, der an diesem Nachmittag bei Pfeffer zusammenkommen und Rebe's Entschluß bestimmen solle.
Pfeffer's Schwester, die sich merkwürdig in den letzten Monaten erholt hatte und schon tüchtig wieder im Hause wirthschaftete, arrangirte mit Jettchen einen großen Kaffee, und selbst Fräulein Bassini war dazu eingeladen worden und erschien, eine halbe Stunde vor der Zeit, im höchsten Staat und Putz, so daß Pfeffer augenblicklich in sein Zimmer stürzte, den alten Schlafrock abwarf, ein weißes, allerdings etwas »mitgenommenes« Halstuch umband und in seinen alten blauen Frack mit blanken Knöpfen hineinfuhr, dazu ein Paar schmutzige Glacéhandschuhe anzog, seinen Cylinderhut aufsetzte und der Schwester nun, in der linken Hand die lange Pfeife und an den Füßen noch immer die grüngestickten Schlapp-Pantoffeln, entgegen ging, um sie höchst förmlich zu begrüßen.
Pfeffer hielt denn auch, als Alle versammelt waren, in diesem Costüm seinen Vortrag, und Jeremias saß dabei und lachte, fing aber an mit dem Kopf zu schütteln, als sein Schwager Rebe aufzuhetzen begann, den Contract zurück zu weisen und höhere Bedingungen zu fordern. Die Gage war nämlich von Krüger selber so hoch gestellt, wie sie nur Haßburg mit seinen bescheidenen Verhältnissen zahlen konnte, und Jeremias protestirte heftig gegen jede solche Überschreitung des Möglichen. Pfeffer gab endlich nach.
»Gut, Kinder,« sagte er, während Fräulein Bassini daneben saß und an einem entsetzlich langen, brennend rothen Strumpf strickte, »ich habe nichts dagegen, wenn Rebe denn für eine solche Lumpengage bleiben soll, wo er in Berlin und Wien das Doppelte bekommen könnte…«
»Wenn nicht dort alle Stellen besetzt wären, Herr Pfeffer…«
»So habe ich auch nichts dagegen,« fuhr Pfeffer fort, »aber in Einer Sache müßt Ihr mir folgen – Rebe muß ihm einen derben Brief schreiben, in dem er den Contract allerdings annimmt, aber diesem Blutegel, diesem Krüger, auch zu verstehen giebt, daß er ihn durchschaut und sich seines Werthes vollkommen bewußt ist.«
»Aber, bester Herr Pfeffer,« sagte Rebe, »ich bin nicht im Stande einen Brief zu schreiben, in dem ich etwas Anderes sagen soll, als ich wirklich denke.«
»Dann werde ich Ihnen dictiren,« rief Pfeffer.
»Aber, Fürchtegott…« bat die Frau.
»Mach' mich nicht böse,« rief aber Pfeffer jetzt gereizt, »setzen Sie sich dahin, Rebe, dort liegt ein Briefbogen und Feder und Tinte, und fangen Sie an!«
»Aber willst Du das nicht lieber mir dictiren, Onkelchen?« bat Henriette, »Horatius kennt doch noch nicht so genau Deine Art und Weise.«
»Ach was, Art und Weise – er muß sich hinein finden, und so viel Verstand wird er doch wohl haben! Schreiben Sie, Rebe!«
Seine Schwester Auguste saß dabei und schüttelte lächelnd den Kopf, aber sie sagte kein Wort; ja, als Jeremias auch dagegen reden wollte, faßte sie nur seinen Arm und flüsterte: »Laß ihn nur machen! Er will nun einmal seinen Willen haben; das Jettchen wird schon Alles wieder in die Reihe bringen!«
Rebe schien nicht halb damit einverstanden, aber er mochte Pfeffer auch nicht böse machen, setzte sich also an den Schreibtisch, rückte sich den Bogen zurecht, tunkte die Feder ein und sagte: »Also, Herr Pfeffer?«
Fürchtegott Pfeffer ging noch immer – eine höchst possirliche Gestalt – mit seinem Frack und den grüngestickten Pantoffeln, wie der langen Pfeife – in der Stube auf und ab und blies den Rauch in kleinen hellen Wolken von sich.
»Sind Sie so weit?«
»Ja!«
»Gut! so fangen Sie an. Überschrift: Herrn Director Krüger hier, – Mohrengasse 42, erste Etage, rechts, – erste Etage, rechts. Haben Sie rechts?«
»Nur weiter, ich komme schon mit!«
»Also – Schafskopf…«
»Aber, Herr Pfeffer,« sagte Rebe und sah verwundert zu ihm auf.
»So schreiben Sie doch nur, ich verliere ja sonst den Faden.«
Rebe schüttelte mit dem Kopf, und Henriette stand, mit der Hand seine Stuhllehne gefaßt, und sah ihm lächelnd über die Schulter.
»Schreibe nur – schreibe,« flüsterte sie, und ein eigener Zug von Muthwillen zuckte ihr dabei über das liebe Antlitz.
»Haben Sie Schafskopf?«
»Ja, Herr Pfeffer!«
»Haben Sie endlich eingesehen, was ich Ihnen hier bin und leiste…«
»Aber,« wollte Rebe wieder remonstriren, Jettchen hielt ihm jedoch rasch den Mund zu und flüsterte wieder: »Schreibe nur!« Er wurde gar nicht klug aus ihr. Den Brief konnte er doch nicht dem Director schicken, das ging ja unmöglich an.
»Was ich Ihnen hier bin und leiste – haben Sie das?«
»Leiste,« wiederholte Rebe kopfschüttelnd.
»Das Lumpengeld, was Sie mir bieten, ist freilich kaum die Hälfte dessen, was ich verdiene…«
Rebe schrieb jetzt – er wollte wenigstens einmal sehen, was daraus würde, war aber fest entschlossen, nie in dieser Weise selber zu antworten.
»Haben Sie verdiene?«
»Verdiene…«
»Und in den zwei Monaten Urlaub, die Sie vernünftiger Weise eingeschoben…«
»Eingeschoben,« sagte Rebe.
»Werde ich das Dreifache herausschlagen – aber ich komme doch in der Zeit…«
»In der Zeit…«
»Aus der Schmiere hier fort…«
Rebe lachte, aber er schrieb weiter.
»Ich fühle, daß Sie mir mit dem Contract das Fell über die Ohren ziehen – über die Ohren ziehen – aber ich hoffe doch mit – dem Gelde auszukommen – Hol' Sie der Deubel – so, und nun Ihren Namen darunter.«
»Und den Brief soll ich fortschicken?«
»Gewiß!« nickte Pfeffer. – »Aber nun lesen Sie mir erst einmal vor, was Sie geschrieben haben.«
Rebe las: »Sie Schafskopf!«
»Ach, Donnerwetter – Unsinn!« rief Pfeffer.
»Ja, aber das haben Sie mir doch dictirt!«
»Aber Sie müssen doch,« brummte Pfeffer, – »den Teufel auch, Sie haben ja gar keinen Begriff vom Briefschreiben – da weiß Jettchen besser mit umzugehen – na, lesen Sie nur weiter!«
»Haben Sie endlich eingesehen,« las Rebe, »was ich hier bin und leiste? Das Lumpengeld, das Sie mir bieten…«
»Schwerenoth,« schrie Pfeffer und riß ihm das Blatt aus der Hand, »das wollen Sie doch nicht an den Director schreiben! Jettchen, setze Du Dich einmal hin – der Mensch ist so kindlich, als ob er gerade aus der Schule käme – Sie möchte ich zum Secretär haben!«
»Ja, lieber Onkel,« lachte Jettchen, und nahm Rebe's Platz ein, »nun dictire Du mir einmal.«
»Also, bist Du fertig?«
»Alles bereit.«
Pfeffer, Rebe's Brief in der Hand, dictirte nun dem jungen Mädchen genau dasselbe, was auf dem Blatte stand, und Jettchen schrieb. Als er wieder mit »Hol' Sie der Deubel« schloß, nickte Jettchen und stand auf.