Kitabı oku: «Eine Mutter», sayfa 31
»So, nun lies einmal vor.«
Jettchen las: »Hochverehrter Herr!«
Pfeffer nickte, »das klingt schon besser!«
»Recht herzlich freue ich mich, daß Sie Ihre Zweifel endlich besiegt haben und mir vertrauen. Ich nehme den mir gebotenen Contract mit Dank an und bin Ihnen besonders für den zweimonatlichen Urlaub verpflichtet, den ich nicht allein dazu benutzen kann, andere Bühnen zu sehen und dort mein Glück zu versuchen, sondern mich auch noch weiter auszubilden. Ich fühle, daß Sie mir mit dem Contract…«
»Das Fell über die Ohren ziehen,« sagte Pfeffer.
»… ein ehrendes Zeugnis meiner bisherigen Leistungen geben,« las Jettchen, »und hoffe auf ein recht freundliches künftiges Zusammenleben mit Ihnen und meinen Collegen.«
»Hol' Sie der Deubel,« nickte Pfeffer vergnügt.
»Hochachtungsvoll,« las Jettchen, »Ihr ergebenster Horatius Rebe.«
»Bravo!« rief Pfeffer, »der Brief hat Hand und Fuß. Sehen Sie, Rebe, von dem Mädel können Sie noch 'was lernen!«
»Ja, aber mein bester Herr Pfeffer,« lachte Rebe, »wenn Sie sagen: Hol' Sie der Deubel…«
»Meine ich immer »hochachtungsvoll«,« rief Pfeffer – »das versteht sich doch von selbst und sieht ein Kind ein!«
Jeremias hatte ruhig dabei gesessen und sich vortrefflich über Pfeffer's Briefdictiren amüsirt, als es plötzlich anklopfte und auf sein »Herein« ein Bedienter in Livrée auf der Schwelle erschien. Jeremias kannte übrigens die Livrée, es war die des Grafen Rottack.
»Sie entschuldigen – ist Herr Stelzhammer hier zu – ah,« unterbrach er sich, als er den kleinen Mann erkannte und ihm einen Brief überreichte – »wären Sie so freundlich, mir Antwort zu sagen?«
Jeremias brach den Brief auf. Er enthielt nur wenige Zeilen, in denen ihn Graf Rottack bat, sie doch, sobald es irgend anging, zu besuchen, da er dringend weitere Auskunft wünsche.
»Ist der Herr Graf jetzt zu Hause?«
»Allerdings, und wartet jedenfalls, bis ich ihm Antwort bringe.«
»Schön – dann sagen Sie ihm, ich würde gleich kommen.«
»Sehr wohl, Herr Stelzhammer,« und der Diener entfernte sich.
»Wegen der Geschichte?« fragte Pfeffer, als er fort war.
»Jedenfalls,« nickte Jeremias – »und hast Du nichts weiter von der Sache gehört?«
»Nichts weiter, als was die Lise erzählt hat.«
»Mit Handor?« meinte diese, »das ist sicher; die Ronelli, die vor einiger Zeit in Prag gastirte, jetzt aber schon lange wieder von da fort ist, hat mir selber geschrieben, daß er unter einem andern Namen dort aufgetreten, aber durchgefallen wäre. Wo er aber jetzt stecken mag, weiß Gott!«
»Und wie lange ist das her?«
»Ja, das schreibt sie nicht.«
»Kennen Sie denn Niemanden in Prag?«
»Keine Seele – wenn nur der Mauser noch hier wäre – der hat Verwandte in Prag und könnte es von dort gewiß leicht erfahren.«
»Der Mauser? – der Souffleur? Ist denn der fort?«
»Oh, schon über sechs Wochen – er hatte ja einen Zank mit dem Director und ging damals ab. Natürlich aber hat Keiner von uns je wieder etwas von ihm gehört.«
»Wenn ich den Brief nur einmal bekommen könnte,« sagte Jeremias.
»Es steht weiter nichts davon drin,« versicherte Fräulein Bassini. »Die Ronelli ist ja in Prag nur dreimal aufgetreten und dann nach Schwerin gegangen, und schrieb mir auch das Wenige nur, weil sie glaubte, daß es mich interessiren könne. Wenn nur der Mauser noch da wäre, der könnte uns gewiß weitere Auskunft verschaffen. Doch was liegt daran, wo sich der Lump, dieser Handor, jetzt aufhält, und ich möchte wirklich wissen, was der Graf mit dem zu schaffen hat.«
»Ich will wenigstens hören, was er verlangt,« sagte Jeremias, seinen Hut aufgreifend. »Sobald ich kann, komme ich zurück.«
Er fand den jungen Grafen Rottack schon seiner harrend, und dieser kam auf ihn zu, streckte ihm die Hand entgegen und rief: »Mein lieber Jeremias, ich bin Ihnen unendlich dankbar für Ihre Freundlichkeit. Wir haben Sie sehnsüchtig erwartet!«
»Mein bester Herr Graf!«
»Kommen Sie herein – Helene ist auch drin und will Sie sprechen – wir müssen zusammen berathen, was zu thun ist.«
Helene begrüßte den alten Freund in der That auf das Herzlichste – aber wie bleich und leidend sah sie aus – wo war das Feuer und Leben geblieben, das sonst aus ihren guten Augen sprühte – wie wehmüthig lächelnd reichte sie ihm die Hand, und wie ängstlich drängte sie danach, die Sache erledigt zu sehen, die jetzt ihre ganze Seele in Anspruch nahm: das Schicksal der armen Paula.
Rottack unterstützte sie darin. »Die Nachricht, die Sie uns neulich gaben, Jeremias,« rief er aus, »hat Bestätigung erhalten. Ich habe augenblicklich nach Prag an einen Freund geschrieben, und heute Morgen kam die Antwort. Ein Schauspieler, der sich dort Boslaw nannte und in Prag auftrat, scheint allerdings dieser unglückselige Handor zu sein, der jene Gegend jetzt unter einem falschen Namen bereist, möglicher Weise, um seinen Gläubigern keine Spur seines Aufenthalts zu geben. Das Gerücht nannte dort wenigstens jenen Namen.«
»Und wo steckt er jetzt? Ist er noch in Prag?«
»Das weiß Gott,« seufzte Felix – »von Prag scheint er fort zu sein.«
»Er kann es nicht gewesen sein,« rief Helene, »die Beschreibung jener Person, die er bei sich hatte, paßt doch wahrhaftig nicht auf Paula.«
»Hatte er Jemanden bei sich?« sagte Jeremias.
»Allerdings,« nickte Felix, »dieser Boslaw soll mit einem Frauenzimmer gereist sein, das er für seine Frau ausgab – eine kleine dicke Person, anscheinend eine Böhmin – aber Gott weiß, was da vorgegangen ist!«
»Es ist nicht möglich!« rief Helene unter vorquellenden Thränen.
»Frau Gräfin,« sagte Jeremias, »es ist Alles möglich auf der Welt, besonders das; denn daß sich eine anständige Dame nicht lange mit diesem – Lump glücklich fühlen konnte, war vorauszusehen. Aber was wollen Sie jetzt thun?«
»Sie sollen uns helfen, Jeremias!« rief Graf Rottack.
»Ich? – Aber wie?«
»Sie sind mit den Verhältnissen am Theater bekannt. Sie haben hier eine Menge von Leuten kennen gelernt und können dort rasch neue Bekanntschaften anknüpfen. Ich würde selber reisen, aber ich darf jetzt meine arme Helene nicht allein lassen; so thun Sie uns die Liebe und machen Sie den Versuch, ob Sie nicht an Ort und Stelle etwas Näheres erfahren können. Daß Sie praktisch sind, weiß ich – Sie werden nichts versäumen, und an Geld steht Ihnen zu Gebot, was Sie brauchen.«
»Mein lieber Herr Graf,« sagte Jeremias verlegen, »das ist eine ganz eigenthümliche Sache, und ob ich gerade zu so etwas passe, weiß ich wahrhaftig nicht. Wirklich den Fall gesetzt, daß ich sie finde, was kann ich thun? Wenn die junge Gräfin bei ihrem jetzigen Manne bleiben will, wie kann ich als ein vollkommen fremder Mensch sie daran hindern, und ihr Mann würde mich erst recht ansehen, wollte ich sie nur danach fragen. Ich glaube, ich geriethe da in eine höchst unglückliche Situation und müßte jedenfalls wieder unverrichteter Sache abziehen.«
»Sie sollen nichts thun, Jeremias,« rief Helene bittend, »als den Thatbestand erforschen – nur uns Gewisses über dort berichten, denn wir kennen keinen Menschen, auf den wir uns so fest verlassen könnten, als auf Sie.«
»Hm, das ließe sich schon eher hören,« nickte Jeremias, »abkommen könnte ich jetzt hier; was ich zu thun hatte, ist besorgt, und wenn ich wüßte, daß Ihnen damit ein Gefallen geschähe…«
»Ich würde Ihnen ewig dankbar dafür sein,« rief Helene.
»Topp! ich reise,« sagte Jeremias entschlossen – »Ihnen, Frau Gräfin, habe ich noch nie 'was abschlagen können, das wissen Sie wohl von alten Zeiten her – Apropos nichts wieder von Santa Clara gehört?«
»Wir haben Briefe erhalten,« sagte Felix, »aber es steht nichts darin, was Sie interessiren könnte – ausgenommen, daß die Colonie unter Sarno's Führung blüht und gedeiht und – ja, doch das Eine – daß Baron Jeorgy plötzlich verschwunden ist!«
»Durchgebrannt,« lachte Jeremias, – »nur ein Wunder, daß er sich so lange gehalten hat.«
»Und Director Sarno hat sich verheirathet,« sagte Helene.
»Hurrjeh!« rief Jeremias voller Erstaunen, indem er blitzschnell herumfuhr – »ob ich's ihm nicht immer prophezeit habe! Aber wen?«
»Ein junges, braves Mädchen, die Tochter eines Colonisten, die mit ihren Eltern einen der furchtbaren Parcerie-Verträge im Norden durchgemacht hatte,« sagte Felix.
»Und es geht ihm gut?«
»Vortrefflich – aber jetzt, Jeremias, ist keine Zeit mehr zu versäumen. Wenn Sie uns wirklich die Liebe erzeigen wollen, so müssen Sie unverweilt aufbrechen. Sind Sie mit warmen Kleidern versehen?«
»Hinlänglich – ich habe mich noch immer nicht wieder an die Kälte gewöhnen können und friere mordmäßig.«
»Und bei Ihnen zu Hause geht Alles gut?«
»Danke, ja! Meine selige Frau ist wieder ganz auf dem Zeug.«
»Ihre selige Frau?« lachte Helene.
»Ach ja so,« sagte Jeremias erschreckt; »weiß der liebe Gott, wie es kommt, aber das Wort fährt mir immer heraus. Es ist mir in einem fort, als ob mir die Frau schon einmal gestorben und jetzt erst wieder neu geboren wäre. Aber was kann's helfen,« setzte er seufzend hinzu, »geschehen ist nun einmal geschehen, und das einzige Glück, daß ich doch jetzt im Stande bin, Manches gut zu machen, was ich früher verdorben. Nachher gehe ich wieder nach Brasilien.«
»Sie wollen zurück?« rief Helene erstaunt.
»Es wird sich nicht anders machen – was soll ich hier, wenn ich das Mädel versorgt weiß – aber jetzt haben wir Anderes zu denken,« brach er kurz ab, »und, wie gesagt, wenn ich Ihnen damit dienen kann, brech' ich die Nacht noch auf – viele Vorbereitungen habe ich überdies nicht nöthig.«
»Und tausend Dank im Voraus,« rief Rottack, ihm die Hand herzlich schüttelnd, »Sie glauben nicht, welche Last Sie mir dadurch von der Seele nehmen.«
»Und wie heißt der Herr, der Ihnen von dort geschrieben?«
»Kommen Sie jetzt mit in mein Zimmer, Jeremias,« sagte der junge Graf, »dort gebe ich Ihnen alle in meinem Besitz befindlichen Notizen, und sobald Sie dort etwas Näheres erfahren, telegraphiren Sie augenblicklich.«
Jeremias bedurfte keiner großen Unterweisung, denn er fand sich außerordentlich leicht in Alles, also auch in das, was hier von ihm verlangt wurde. Dann ging er noch einmal zu Pfeffers, um diesen anzuzeigen, daß er auf acht oder zehn Tage verreisen werde, packte nachher seinen Koffer und erwartete dann unten auf dem Bahnhof den Abendzug, der zwischen neun und zehn Uhr durchkam.
31.
Jeremias auf Reisen
Es war bitterkalt die Nacht, und obgleich der März schon seit ein paar Tagen begonnen hatte, schien es doch fast, als ob der Winter noch gar nicht daran dächte, Abschied zu nehmen, oder doch wenigstens noch einmal zu guter Letzt zeigen wolle, was er könne.
Jeremias versuchte zu schlafen, aber es ging nicht; jede Viertelstunde stiegen Passagiere aus und ein, und die Schaffner schlugen dann jedesmal mit den Thüren, daß er immer wieder erschrocken emporfuhr. Und was ging ihm auch nicht Alles im Kopf herum! Brasilien, ja, in Brasilien war's jetzt freilich wärmer, und dort hätte er nicht so zu frieren brauchen – aber wieder dahin zurück? Früher hatte er sich dort allerdings wohl befunden, aber die deutschen freundlichen Verhältnisse auch fast vergessen gehabt. Jetzt, da er sie wiedergefunden, da er sich wohl darin fühlte, sollte er sie wieder verlassen und allein in die Fremde hinausziehen? Aber was wollte er hier? Sein Kind war jetzt bald versorgt und glücklich, und seine Frau – war es denn noch seine Frau, und er nicht rechtskräftig und für immer von ihr geschieden? Ja, so lange sie krank lag, konnte er sie besuchen und mit ihr verkehren; jetzt, da sie gesund und kräftig geworden und sich von Tag zu Tag mehr erholte, mußte das aufhören, das fühlte er selber, oder er brachte sie in das Gerede der Leute, die sich nicht leicht eine Gelegenheit entschlüpfen lassen, Übles von ihren Nebenmenschen zu denken und zu reden. Und sollte er in derselben Stadt mit ihr als Fremder leben? Das ging nicht, und es war das Allergescheidteste, er schiffte sich ruhig wieder nach Brasilien ein – Brasilien – Hundeleben dort, was ein Mensch nur aushalten mochte, wenn er nicht mehr in Deutschland existiren konnte.
Er wickelte sich fester in seine dicke Reisedecke, zog die Pelzstiefel noch höher herauf und drückte sich wieder in die Ecke. Er wollte schlafen. Das Grübeln und Nachdenken sollte der Teufel holen.
So verging die Nacht und der Morgen dämmerte endlich durch die fest und dick zugefrorenen Fenster des Coupés.
Jeremias beschäftigte sich jetzt eine Weile damit, sie mit Anhauchen wieder aufzuthauen, und brachte endlich glücklich ein kleines Loch zu Stande, durch das er hinaus in's Freie sehen konnte, gab es aber in Verzweiflung wieder auf, als er die trostlose, monotone Gegend entdeckte, durch die der Zug brauste. Schneefelder, so weit das Auge reichte; einzelne Züge von schwarzen Raben und dann und wann eine kleine, magere Kieferndickung; und dort drüben lag ein Dorf, ärmliche Hütten mit Strohdächern, aus denen der blaue Rauch in's Freie quoll. Die Aussicht lohnte nicht der Mühe, um sich fast die Seele aus dem Leib zu hauchen. Er ließ die Öffnung wieder zufrieren und bekümmerte sich nicht weiter um die Landschaft, bis der Zug endlich, etwa gegen Mittag, in Prag selber anhielt.
Er brauchte, dort angekommen, den halben Nachmittag, um sich erst wieder zu restauriren und ordentlich aufzuthauen, und benutzte indessen die Zeit, um sich aus dem Adreßbuch eine Anzahl Namen und Wohnungen abzuschreiben.
Gegen Abend ging er auf seine erste Wanderung aus, und zwar um zuerst jenen Herrn, einen Baron von Toggenburg, aufzusuchen, der dem Grafen Rottack geschrieben und an welchen ihm dieser einen Empfehlungsbrief mitgegeben. Dort aber, wie später beim Director des Theaters, erhielt er nur ganz unbestimmte, vage Nachrichten, die allein darin übereinstimmten, daß jener Boslaw, der wahrscheinliche Handor, Prag vor einiger Zeit wieder verlassen und sich nach Schlesien gewandt habe.
Was nun? Schlesien war groß, und auf ein solches Gerücht hin konnte er doch wahrhaftig nicht nach Schlesien reisen, um dort seine Nachforschung fortzusetzen.
Eine andere Sache, die ihn förmlich verwirrt machte, war die genaue Beschreibung der Person, die Boslaw bei sich gehabt: eine volle, üppige Gestalt, aber mit einem gemeinen sinnlichen Ausdruck in den Zügen, die besonders gern Champagner trank und in der kurzen Zeit ihres Aufenthalts hier eine Masse Schulden machte.
Das war auf keinen Fall die junge, bildschöne Comtesse Monford gewesen, und hatte wirklich Handor seinen Namen in Boslaw umgeändert, wo konnte er dann das junge, unglückliche Geschöpf zurückgelassen haben, das er aus seiner Eltern Haus entführt?
Jeremias ließ sich übrigens keine Mühe verdrießen und besuchte sogar verschiedene Mitglieder des dortigen Theaters, um von diesen Näheres über jenen Boslaw zu hören – vergeblich. Die Leute wußten ebenfalls nichts weiter, als daß der Herr Boslaw ein einziges Mal aufgetreten und, da er total mißfiel, schon am nächsten Morgen wieder abgereist sei – wohin? Lieber Gott, wer fragte hier danach! Vielleicht erfuhr er das auf der Polizei.
Das war ein neuer Anhaltspunkt – an die Polizei hatte Jeremias noch nicht einmal gedacht. Spornstreichs lief er dorthin, und wenn es auch einige Schwierigkeiten hatte, unter all' den Beamten endlich den richtigen aufzufinden, der ihm über derartige Fremde Auskunft geben konnte, so ließ er sich doch keine Mühe verdrießen, ja, saß selbst anderthalb Stunden mit einer wahren Engelsgeduld auf einer Bank im Vorsaal, zwischen lauter Galgengesichtern und Dienstmädchen, immer von der Seite angesehen und beflüstert, was er wohl ausgefressen haben mochte, daß er hier sitzen mußte, bis die Reihe an ihn kam – und dann auch umsonst.
Der betreffende Beamte brachte wirklich heraus, daß sich ein Schauspieler Boslaw vor einiger Zeit hier in Prag drei Tage mit seiner Frau, Kathi Boslaw, aufgehalten und im »König Wenzel« logirt habe, dann aber wieder abgereist sei. Sein Paß war jedenfalls in Ordnung gewesen; was kümmerten sich die Leute darum, wohin »derartiges Volk« zog, wenn es ihnen hier nicht zur Last fiel!
»König Wenzel« – dort war vielleicht noch eine Möglichkeit, etwas Näheres zu erfahren, und Jeremias versäumte auch diese nicht – und wieder vergebens. Der Wirth wußte von dem jetzigen Aufenthalt des Herrn Boslaw gar nichts; er wollte aber, er wüßte es, daß er den Herrn noch fassen könnte, der nach bezahlter Rechnung seinem Kellner noch eine Flasche Champagner abgeschwindelt und, ehe er es erfuhr, das Weite gesucht hatte. Er schimpfte dabei entsetzlich auf die Schauspieler, die seiner Meinung nach nur allein deshalb in der Welt herumzögen, um arme Wirthe zu betrügen und sich nachher in's Fäustchen zu lachen.
Über die Frau, als Jeremias diese erwähnte, wußte er nun gar kein Ende zu finden. Das sollte ein wahrer Drache gewesen sein, die mit seiner eigenen Frau schon in der ersten Stunde Skandal gehabt und sich bodenlos gemein betragen hätte.
»Und können Sie mir keine Spur angeben, wo ich den Menschen wieder auffinden möchte?«
»Aha, Ihnen ist er wohl auch durchgebrannt?« lachte der Wirth. »Ja, lieber Freund, und wenn Sie ihn träfen, was würd's Ihnen helfen? Das ist eine pauvre Wirthschaft bei dem Pärchen, wenn die Madame auch aufgedonnert genug geht; aber 's ist ja Alles falsch. Einen Brillantschmuck hat die Person, der eine sechstausend Gulden werth sein müßte, wenn er ächt wäre; aber wo sollte die solche ächte Steine herkriegen? Landsleute sind's.«
»Herr Boslaw?« sagte Jeremias.
»Nein, die Steine – böhmische, mein' ich. Wenn Sie meinem Rath folgen wollen, lassen Sie ihn laufen; 's kommt nichts bei der Sache heraus, und Sie verreisen mehr Geld und Zeit dabei, als die Lumperei werth ist.«
»Und wo sich Herr Boslaw früher aufgehalten hat, davon wissen Sie gar nichts?«
»Nein, ich bin auch nicht neugierig danach und weiß nur so viel, daß wir ihn hier nicht wieder zu sehen bekommen werden.«
Es war aus dem Mann nichts weiter heraus zu bekommen, und Jeremias begann einzusehen, daß er sich seine Winterreise nach Prag hätte sparen können, denn hier, an Ort und Stelle, erfuhr er nur einzig und allein die Bestätigung dessen, was sie schon in Haßburg über den Aufenthalt des Menschen in Prag gehört.
Und sollte er noch länger hier bleiben? Er wäre am liebsten gleich zurückgekehrt, aber dem Grafen Rottack lag die Sache so am Herzen, die liebe junge Gräfin hatte ihn so darum gebeten; er mußte jedenfalls noch ein paar Tage zugeben; möglich ja doch, daß er noch irgend Jemanden traf, der ihn auf eine bessere Spur bringen konnte. Er wollte es jedenfalls versuchen, denn er haßte nichts mehr, als so ganz nutz- und erfolglos in der Welt herumgefahren zu sein.
Nur allein von den Schauspielern selber konnte er aber hoffen, irgend etwas über diesen vermeintlichen Handor oder seine früheren Verhältnisse zu erfahren; er studirte deshalb einige Theaterzettel durch, um keinen zu übergehen, schlug die Wohnungen auf und trat dann seine Wanderung an, die ihn allerdings mit einigen sehr interessanten Persönlichkeiten zusammenbrachte, sonst aber auch nicht den geringsten Erfolg hatte. Einige behaupteten allerdings, jener Boslaw sei ihnen bekannt vorgekommen und jedenfalls ein routinirter Schauspieler, sein jetziger Name ihnen aber gänzlich fremd, und da er nie mit irgend Jemandem von ihnen, ausgenommen auf der einen Probe, verkehrt, habe man sich auch nicht weiter um ihn bekümmert.
Das war das nämliche Resultat überall, wohin er kam, bei den Herren wie bei den Damen, und die letzteren besonders verwahrten sich gleich von vornherein gegen die Möglichkeit, auch nur den entferntesten Umgang mit einem solchen »Paar« gehabt zu haben, wie jener Herr und Frau Boslaw.
Jeremias wurde dadurch immer unsicherer und zuletzt ganz fest überzeugt, daß er hier auf einer vollkommen falschen Fährte herumsuche, denn Handor selber – was er früher von ihm gesehen – hatte sich immer sehr anständig benommen, und seine junge Frau, die liebenswürdige Comtesse Paula, hätte ja alle Herzen im Sturm erobern müssen. Boslaw und Handor mußten also ganz entschieden zwei total verschiedene Persönlichkeiten sein, und unter solchen Umständen blieb es dann allerdings das Beste, nur wieder ruhig nach Haßburg zurückzukehren und von dort aus zu sehen, ob man nicht eine bessere Spur bekommen könne.
Einmal mit diesem Entschluß im Reinen und in dem vollen Bewußtsein, in dieser fremden Stadt sein Möglichstes gethan zu haben, um das in ihn gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen, packte er auch seinen Koffer wieder, zahlte seine Rechnung und ging hinaus auf den Bahnhof, um sein Billet zu lösen.
Das Wetter war bitter kalt, aber die Sonne schien hell und klar auf den knisternden Schnee nieder, und eine Menge Leute waren unterwegs, um den freundlichen Tag zu einem Spaziergang zu benutzen. Geputzte Menschen schritten überall an ihm vorüber oder er überholte sie; aber was kümmerten ihn die Fremden, er kannte doch keinen von ihnen, und eilte nur, ohne sich weiter umzusehen, dem Hausknecht nach, der in einem halben Trab, mit seinem Koffer aus der Schulter, vor ihm her lief.
»Herr Stelzhammer!« schrie ihm da plötzlich Jemand so laut und so nahe in die Ohren, daß er ordentlich zusammenfuhr und sich bestürzt umsah. Dicht neben ihm stand aber ein kleiner, schmächtiger Herr, etwas schäbig gekleidet, mit einer langen italienischen Cigarre im Munde, der ihn ganz erstaunt zu betrachten schien. »Ja, wo zum Teufel kommen Sie denn her?«
Jeremias würde das ausdruckslose Gesicht im Leben nicht wieder erkannt haben, wäre er nicht durch das unmäßige Schreien des Mannes an die Persönlichkeit erinnert worden.
»Herr Du meine Güte,« rief er aus, »habe ich nicht das Vergnügen, mit Herrn Mauser…?«
»Na versteht sich – kennen Sie mich noch?«
»Heh, Hausknecht! Heh, holla!« schrie Jeremias indessen hinter dem davongelaufenen Burschen her. »Entschuldigen Sie einen Augenblick, ich bin gleich wieder da – ich habe Ihnen etwas Wichtiges zu sagen!« Und wie ein Pfeil schoß er hinter dem vorangegangenen Hausknecht her, um diesen mit seinen Sachen wieder zurück in das Hotel zu dirigiren.
Mauser blieb indessen ordentlich verblüfft mitten auf der Straße stehen. Der kleine Fremde aus Haßburg hatte ihm etwas Wichtiges zu sagen und brannte dabei durch, als ob er vor der Polizei davonliefe! Er sah ihm kopfschüttelnd nach und überdachte sich eben, was möglicher Weise die Ursache eines so wunderlichen Betragens sein könnte, als Jeremias mit dem glücklich eingeholten Hausknecht, dem er schon unterwegs seine Ordre gegeben, zurückkehrte, sich um diesen auch gar nicht weiter kümmerte, sondern ohne Umstände den Souffleur unter den Arm faßte und zu ihm sagte:
»Herr Mauser, Sie haben einen schmählichen Durst, wie? Hab' ich nicht Recht? Man sieht's Ihnen an, einen Durst, der unter Brüdern fünf Gulden werth ist und den es Sünde wäre, mit Wasser zu löschen. Sie sind doch kein Kostverächter?«
»Bitte,« schrie Mauser, »nie im Leben gewesen, und habe auch wissentlich nichts gethan, um einen solchen Verdacht zu rechtfertigen.«
»Schön, dann kommen Sie mit mir,« rief Jeremias, »oder wenn Sie einen Platz wissen, wo vorzüglicher Wein zu haben ist – denn das hiesige Bier soll der Teufel holen, wann er Lust hat –, so führen Sie mich, daß wir ein halbes Stündchen mit einander plaudern können.«
»Trinken Sie gern Ungarwein?« fragte Mauser, dem das Wasser schon im Munde zusammenlief.
»Leidenschaftlich.«
»Brav, dann kommen Sie, dann bringe ich Sie zu einem Platz, an dem Sie ein Glas Adelsberger kosten sollen, nach dem Sie alle zehn Finger lecken – bildlich gesprochen, natürlich.«
»Guter Mensch,« sagte Jeremias gerührt, während sich die Vorbeikommenden schon um die Beiden sammelten, weil sie glaubten, es beginne dort eine Prügelei, so furchtbar schrie Mauser. Jeremias faßte ihn aber ohne Weiteres unter den Arm, und da ihm Mauser die Richtung bezeichnete, schritten sie zusammen über die Brücke und betraten bald darauf eins jener alten Schenklocale mit gewölbten, kellerartigen Räumen, wie sie sich in vielen alten Städten, besonders aber in Österreich finden, wo dann ein höchst mittelmäßiges Bier, aber ein ganz ausgezeichneter Wein verzapft wird.
Dort, Jeder vor der Hand mit einem Seidel wackern Adelsberger vor sich, saßen die Beiden, und Jeremias ergab sich jetzt in das Unvermeidliche, von seinem Gefährten halb taub geschrieen zu werden, nur um aus ihm heraus zu bekommen, was er wußte. Glücklicher Weise befanden sich aber in diesem Augenblick gar keine Gäste weiter in dem niedern, halbdunkeln Raum, denn zum Abendbier war es noch zu früh und das schöne, klare Wetter hatte sie alle in's Freie hinausgelockt.
Jeremias brauchte mit seiner Sache nicht hinter dem Berg zu halten, und nachdem er vor allen Dingen Mauser's Neugierde in Betreff Haßburger Neuigkeiten befriedigt hatte, erzählte er ihm geradezu, weshalb er hierher gekommen sei, und sich so gefreut habe, ihn anzutreffen. War also jener Boslaw wirklich der vermuthete Handor?
»Na, versteht sich,« schrie Mauser, wie Jeremias nur die beiden Namen zusammen nannte. »Ich sage Ihnen, mein lieber Herr Stelzhammer, der Musjö kriegte keinen schlechten Schreck, wie er mich hier als Souffleur fand, denn davon hatte er keine Ahnung, und ich mußte ihm in die Hand versprechen, Keinem vom hiesigen Personal seinen wirklichen Namen zu verrathen. Er habe, wie er meinte, seine Gründe, hier nicht gekannt zu sein, und darin log er gewiß nicht. Ich versprach's ihm auch, und hab's bis jetzt gehalten; wenn Sie aber apart deshalb hierher gereist kommen, so sehe ich nicht ein, weshalb ich's Ihnen verheimlichen soll. Was schert mich der Musjö Handor oder seine saubere Mamsell!«
»Aber das konnte doch unmöglich die junge Comtesse Monford sein! Heh, Mamsell, bitte noch um ein paar frische Seidel für uns; der Wein ist wirklich ausgezeichnet.«
»Freut mi, daß er Ihna schmeckt,« sagte das dralle Schenkmädel und nahm die leeren Seidelflaschen mit fort.
»Die? Bah!« rief der Mauser, der dem Mädchen freundlich zugenickt hatte. »Gott bewahre, wenn sie auch jetzt ihre Brillanten trägt. Das arme Geschöpf hat er ja schon lange sitzen lassen, weil sie krank und elend wurde.«
»Sitzen lassen?« rief Jeremias, fast von seinem Stuhl emporfahrend.
»Ih versteht sich, das war doch klar, daß er sich mit der nicht lange herumschleppen würde. 's ist ein gewissenloser Halunke.«
»Aber wo, um Gottes willen, bester Mauser? Wissen Sie nicht, wo sie zu finden ist? Gerade ihretwegen bin ich ja hier, was schert mich der Schuft, der Handor!«
»So?« sagte Mauser. »Ja, ob sie noch jetzt da sitzt, weiß ich nicht, vor zwei Monaten aber traf ich sie zufällig in einem kleinen, erbärmlichen Dorf, ein paar Meilen von hier: Hrzib.
»Wohl bekomm's Ihnen!« sagte Jeremias. »Und wissen Sie nicht, wie das Dorf hieß?«
Mauser sah ihn erstaunt an. »Ich nannte es Ihnen ja eben: Hrzib.«
»Wie?« rief Jeremias verblüfft.
»Hrzib!« wiederholte noch einmal Mauser mit einem ganz entschiedenen Kopfschleudern.
»Du meine Güte,« sagte Jeremias, »ich glaubte vorhin, Sie hätten geniest!«
»Ja, Sie müssen auch niesen, wenn Sie's aussprechen wollen,« versicherte Mauser; »ganz verfluchte Namen, die böhmischen, die Zunge geht Einem ordentlich entzwei.«
»Und wie weit von hier liegt das Dorf?«
»Ach, mit der Eisenbahn kommen Sie bald hin; aber garantiren kann ich Ihnen nicht, daß sie noch dort ist. Sie war damals krank im Wirthshause; ich sah sie in der Gaststube und hätte sie auch gern angeredet, aber sie zog sich so furchtsam vor mir zurück, daß sie mir leid that, und ich dachte mir auch, daß es ihr gerade nicht angenehm sein könnte, Jemanden aus Haßburg zu begegnen.«
»Und wie kommt man am besten dorthin?«
»Wie Sie hinkommen? Sie fahren bis Podiebrad mit der Bahn und nehmen sich dort einen Wagen oder Schlitten. Wo logiren Sie denn hier?«
»Im Schwarzen Roß.«
»Donnerwetter, Sie geben's fein; aber der Wirth dort kann Ihnen genau die Route beschreiben. Ich fürchte, Sie machen eine Metzgerfahrt, denn ich kann mir nicht denken, daß sich das arme Weibchen in dem Nest zwei Monate aufgehalten hat.«
»Und ihr Mann war damals bei ihr?«
»Gott bewahre, der bummelte in der Welt herum. Wie mir die Wirthsleute sagten, hatte er sie dort gelassen und versprochen, gleich zurückzukehren, war aber schon vierzehn Tage fort, und wie er jetzt hierher kam, trieb er sich mit einem so gemeinen Geschöpf herum – pfui Teufel!«
»Aber Sie nannten doch dort ihren Namen, daß die Leute in ihre Heimath schreiben konnten?« rief Jeremias.
»Wo's mich nicht juckt, kratz' ich mich nicht,« sagte Mauser; »wenn sie das wollte, konnte sie's selber thun. Werde mich hüten und mich in Familien-Angelegenheiten mischen – einmal gemacht, und nicht wieder.«
»Ob man wohl noch heut Abend hinkommen könnte?« sagte Jeremias, der keine Ruhe mehr hatte.
»Sie sind wohl toll!« rief Mauser; »es dämmert schon und die Nächte sind stockdunkel. Wenn Sie Nachts von Podiebrad fort wollten und bei dem Schnee vom Wege abkämen, könnten Sie Hals und Beine brechen. Wollen Sie absolut nachsehen, so fahren Sie morgen früh mit Tagesanbruch weg; nachher haben Sie den ganzen Tag vor sich. 's wird doch ein vergebener Gang sein, denn sie ist nicht mehr dort.«
»Und in welchem Wirthshause war sie?«
»In welchem? Glauben Sie, daß in dem Nest mehr wie eins ist? Ne, da können Sie nicht irre gehen.«
»Aber den Namen von dem verwünschten Ort behalt' ich in meinem Leben nicht. Wie hieß er?«
»Hrzib; na warten Sie, ich gehe nachher mit Ihnen in Ihr Hotel und beschreib' es dem Wirth selber. Das wird das Gescheidteste sein – wie?«
»Sie sind ein Goldmann, Herr Mauser; ich weiß nicht, wie ich es Ihnen danken soll.«
»Bitte,« schrie Mauser; »trinken wir noch ein Seidel?«
»Sechs, wenn Sie wollen,« rief Jeremias, »da ich heut Abend doch nicht mehr fahren kann; denn ich glaube selber, es ist am besten, ich warte bis morgen früh.«
»Denken Sie nur gar nicht daran.«
»Dann sind Sie auch heut Abend mein Gast, und Sie haben sich noch außerdem eine sehr wackere Familie zum höchsten Dank verpflichtet.«
»Reden wir nur gar nicht mehr davon,« schrie Mauser, äußerst vergnügt über die Aussicht eines fidelen Abends; »famoser Zufall, daß wir uns hier getroffen haben, und – Apropos, wie geht es denn Fräulein Bassini, Ihrer Fräulein Schwägerin? Sie soll leben, Herr Stelzhammer, Sie soll, hol' mich der Teufel, leben!«