Kitabı oku: «Hell und Dunkel. Eine Gemsjagd in Tyrol.», sayfa 8
Solchen Ruf versäumte Patrick nie, denn er bekam dort nicht allein stets eine ganze Portion gute Ermahnungen, sondern zuletzt, wenn man ihn zu Worte kommen ließ und er ein paar von seinen Schwänken einschieben konnte, auch stets einen ausgezeichneten „Bittern", wie ihn wirklich nur das Fräulein gegen Magenweh und andere häusliche Unfälle auszusetzen wußte.
Diesmal sollte er aber nicht mit bloßen Ermahnungen und weitläufigen Versprechungen davonkommen; das Fräulein blieb selbst gegen seine Betheuerungen unempfindlich und erklärte ihm rundheraus, daß es heute das letzte Mal sei, wo sie über die Beendigung dieser Arbeit spräche.
„Schämt Euch, Patrick!" sagte sie zuletzt, „schämt Euch in Eure Seele hinein, mich hier, die ich es immer so gut mit Euch gemeint habe, um ein klein Stück Arbeit, das Ihr, wenn Ihr nur wolltet, in einem einzigen Tage vollenden könntet, so viel zu quälen und zu ärgern, und so lange warten zu lassen, obgleich ihr wißt, daß ich die ganze Arbeit, wo es mich nur ein Wort kostete, um denselben Preis bis morgen Abend gethan kriegen könnte. Ich habe Euch also nun zum letzten Male rufen lassen und verlange von Euch zu wissen, ob Ihr die Arbeit bis spätestens heute über acht Tage wollt gethan haben oder nicht, und ich gebe Euch mein Wort, /118/ daß, falls Ihr es nicht thut, morgen über acht Tage Meister Sharpsaw, den ich nicht zweimal dazu aufzufordern brauche, dabei ist, und dann sind wir Beide geschiedene Leute."
So ernsthaft hatte das Fräulein noch nie mit ihm gesprochen, und da nun gar noch Dorothea gerade mit dem bewußten Bittern dazukam, konnte Patrick zwei solchen, von so verschiedenen Seiten und mit so verschiedenen Angriffswaffen, geführten Beweisgründen nicht länger widerstehen. Er acceptirte Ermahnungen wie Bittern und versprach, unter einem ganz besondern Grad von Rührung, dem Fräulein feierlich, daß bis heute über acht Tage Abends mit Sonnenuntergang - er behielt sich wohlweislich den letzten Termin offen - ihre Speisekammer gemacht sein solle, und Patrick O'Flannagan wäre der Mann, der sein Versprechen todt oder lebendig hielte.
„Pfui, Patrick," sagte aber, während Dorothea mit der linken Hand ein andächtiges und zugleich abwehrendes Kreuz schlug, das durch des Mannes endlich gegebenes Wort schon wieder bedeutend milder gestimmte Fräulein, - „Pfui, Patrick, wie könnt Ihr nur so häßliche gotteslästerliche Reden führen. Trinkt nicht so viel, und Ihr könnt noch lauge leben und manche Arbeit beginnen und fertig machen. Ihr seid aber Euer ärgster Feind mit der Flasche, und wenn Ihr das so fort treibt, möcht' ich Euch allerdings nicht für ein langes Leben gut stehen. - Unmäßigkcit tödtet die stärksten Naturen und wird auch die Eurige untergraben. Ja, ich weiß schon," sagte sie lächelnd, als Patrick eine betheuernde Bewegung machte, „Eure Vorsätze sind immer gut genug, aber ich will nun auch sehen, ob es wahr ist, daß Ihr Euer fest gegebenes Wort wirklich haltet, und bedenkt, daß es sonst das letzte Mal gewesen ist, daß ich Euch geglaubt habe."
„Fräulein," rief Patrick, nachdem er sein bisher still in der Hand gehaltenes Glas auf einen Zug geleert und auf den Tisch geschoben hatte - zugleich wohl darauf achtend, daß es wieder in Dorotheens Nähe und den Bereich der vollen, unter ihren Händen stehenden Flasche kam; - „Fräulein, wenn ich diesmal mein Wort nicht halte, dann sollen die Jungen unten im Dorfe mit Fingern auf mich /119/ weisen und mich den Lügner Patrick nennen, nein, noch schlimmer, ich will nicht eher wieder einen Bissen von Ihrem Brod, oder einen" - er hielt hier erst einen Augenblick inne, den ihm von Dorothea freundlichst zum zweiten Mal eingeschenkten Bittern zu sich herüber zu ziehen und, wie es schien, nur mit einer geschickten Handbewegung zu leeren - „oder einen Tropfen von Ihrem Schnaps trinken," fuhr er dann betheuernd und sich den Mund wischend fort, „bis ich Ihre Speisekammer fertig gemacht habe, schlechter, elendiger Kerl, der ich bin. Und todt oder lebendig, Fräulein, Sie haben einmal mein Wort, und Patrick O'Flannagan mag sonst sein, wie er will, aber sein Wort hält er, darauf können Sie sich verlassen."
Und damit drückte Patrick seinen alten Hut, den er bis jetzt unter den linken Arm gequetscht gehalten, wieder soviel als möglich in eine halbwege Facon zurück, machte erst gegen das Fräulein und dann gegen Dorothea (Patrick war viel zu sehr Irländer, diese Letztere zu versäumen) seine Abschiedsverbeugung und war im nächsten Augenblick durch die nächste Thür verschwunden.
Dorothea aber, als sie Patrick's Glas weggenommen und ein etwas kleineres, zierlich geschnittenes dafür auf den Tisch gesetzt hatte, denn das Fräulein mußte nach solcher Aufregung jedenfalls ihren Lebensgeistern ein klein wenig zu Hülfe kommen, schüttelte gar ängstlich und bedenklich mit dem Kopf und meinte, solche gotteslästerliche Reden wie „lebendig oder todt" gefielen ihr nun und nimmermehr. Damit käme nie etwas Gutes zuwege, und es sei ein altes, aber gutes Sprüchwort, man solle den Teufel nicht an die Wand malen. Der Patrick wäre ein ganz guter Mensch, aber er glaubte an keinen Gott, denn ob er nun Protestant sei oder „gar nichts", das käme doch auf Eins heraus, und sie fürchte, sie fürchte - es passire noch einmal etwas.
Das Fräulein lächelte aber darüber und versicherte Dorothea, Patrick sei ein ganz guter Mensch und ein noch besserer Sohn, wenn er nur das fatale Trinken wollte sein lassen, und so eine Rede sei, wenn auch gerade nicht in der Ordnung, doch nur so leicht hingeworfen, und der liebe Gott würde /120/ es schon nicht so genau damit nehmen. Und damit war die Sache für diesmal abgethan.
II.
Dienstag, Mittwoch und Donnerstag vergingen, ohne dass sich Patrick im Kloster blicken ließ. Das Fräulein schüttelte schon bedenklich den Kopf und machte sich allerlei arge Gedanken über den liederlichen Zimmermann; Dorothea hatte aber von Einem der Dorfleute gehört, daß er krank sei, und kam ordentlich ängstlich mit dieser Nachricht zu ihrer Herrin. Das änderte freilich die Sache, und Patrick O'Flannagan war also diesmal außer Schuld.
„Das wußte ich wohl," sagte Dorothea auch, ihn vertheidigend, „wenn Patrick nicht unwohl geworden wäre, hätte er gewiß schon seht sein Wort gehalten; er ist wohl ein bischen ein leichtsinniger junger Mensch" - Patrick war, beiläufig gesagt, achtunddreißig Jahre alt - „aber kein schlechter, und Sie sollen einmal sehen, Fräulein, so wie er nur wieder besser ist, kommt er mit Hobel und Säge angerückt. Dann ist er auch wie der Blitz mit der Arbeit fertig, denn ungemein schnell arbeiten kann der Patrick."
Die beiden guten alten Seelen beschlossen denn auch, es nicht allein dabei bewenden zu lassen, sondern den Mittag noch wurde eine gute, kräftige Suppe gekocht, und der Kutscher damit betraut, diese dem Kranken hinauszutragen und sich zugleich nach seinem Befinden zu erkundigen.
„Das kommt aber von seinem leichtfertigen, unregelmäßigen Leben," sagte das Fräulein, als Tommy, der Kutscher, mit dem großen steinernen Henkeltopf, den er vorsichtig in eine Pferdedecke eingeschlagen trug, befördert war, „wenn Patrick das böse, häßliche Trinken lassen wollte, wäre er ein ganz guter, brauchbarer Mensch. Das Trinken wird auch noch sein Tod sein, und er verdiente eigentlich gar nicht, daß
man sich so viel Sorge um ihn machte und so viel Mühe mit ihm gebe; was sollte aber nachher aus der armen alten Frau, seiner Mutter, werben? Patrick ist doch ein guter Bursche."
Es ist sonderbar, daß sich die Frauen so oft für liederliche Menschen interessiren. - Ist Einer ordentlich und anständig, nun so versteht sich das von selbst, daß er so ist, und es bekümmert sich Niemand um ihn; er thut ja nicht mehr als seine Pflicht und Schuldigkeit, und wer soll ihm das danken? - Die liederlichsten Subjecte dagegen finden beim schönen Geschlecht gerade die regste Theilnahme - an ihnen ist noch etwas zu retten, hier ist noch ein Körper und eine Seele dem zeitlichen und ewigen Verderben zu entreißen, und das milde und weiche Frauenherz fühlt sich besonders dazu hingezogen, ja einen ordentlichen Beruf in dergleichen Aufopferung und Hingebung. Man möchte wahrhaftig manchmal recht aus freien Stücken auch ein liederliches Subject werden, nur um schöne, liebe Frauenaugen in zarter Sorgfalt um uns betrübt und bemüht zu sehen.
Vor allen Dingen wollen wir aber jetzt erst einmal mit dem Kutscher nach Patrick's kleinem Haus gehen und sehen, wie sich unser vermeintlicher Kranker dort befindet.
Patrick O'Flannagan war nämlich nichts weniger als krank, sondern hatte nur ganz unverhofft an demselben Tag, wo er im Schlosse gewesen, von einem der benachbarten Dörfer ein paar Särge bestellt bekommen, die augenblicklich fertig gemacht werden mußten, und dabei so viel Geld verdient, daß er wieder recht gut eine Zeit lang auch ohne Arbeit auskommen konnte. Der nächste Dienstag war noch lange hin, und mit ein paar Bekannten fing Patrick, der sich wieder einen guten Vorrath von Whisky eingelegt hatte, an zu zechen und jubilirte Tag und Nacht fort, daß es eine Freude war. Das Gerücht, daß er krank sei, war auch auf sehr natürliche Art und Weise entstanden. Ein Mann aus dem Dorfe wünschte eine Säge zu borgen, - denn wenn sie nicht etwas von Patrick haben wollten, kam Keiner zu ihm hinaus: die alte Mrs. O'Flannagan aber, eine sechsundsiebzigjährige Frau, die nicht gern die Nachbarn wissen lassen wollte, daß ihr /122/ Sohn wieder einmal tüchtig angetrunken sei, fertigte ihn an der Thür mit der Antwort ab, Patrick O'Flannagan sei krank und sie könne keins von seinen Handwerkszeugen hergeben.
Als Tommy deshalb mit der Suppe vor dem Haus erschien und Einlaß begehrte, kam die alte Dame zuerst in nicht geringe Verlegenheit. Tommy aber war ein guter Freund Patrick's, und besonders was er in der Hand trug und was ihr so süß wie kräftige Fleischbrühe entgegenduftete, keineswegs so vor der Thür abzuweisen, wie Jemand, der eine Säge borgen wollte, und Tommy durfte eintreten.
„Bei Jesus, Tommy, acushla!" war das Erste, was dem erstaunten Tommy der sterbenskrank geglaubte Patrick entgegenjubelte, das Zweite aber ein volles Glas kochend heißer und vortrefflich gebrannter Whiskypunsch, den er zu Hause im Kloster nicht einmal zu riechen, viel weniger zu kosten bekam, und Tommy, außerdem kein Kostverächter und ein zu pfiffiger Bursche, um nicht zu wissen, daß Festtag wäre, wenn die Leute in die Kirche gingen, blinzelte mit dem rechten zugekniffenen Auge nach Patrick hinüber, und lieferte mit der einen Hand seine Suppe ab, während er mit der andern das dargereichte Glas annahm und auf einen Zug ausleerte.
„Und die Alte glaubt, Ihr seid sterbenskrank, Patrick," schmunzelte Tommy, als er nach wirklich nur sehr kurzer Nöthigung seinen Platz an dem kleinen Tisch neben den vier anderen schon vorhandenen Zechbrüdern eingenommen.
„Bin ich auch, Tommy - hick!" lallte Patrick, der heute einen fürchterlichen Schluckauf (außer seinem gewöhnlichen Schlucknieder) hatte - „bin ich auch, Tommy, ich habe das - hick - ich habe das hitzige Fieber, Tommy, hick – hick - und ich vertreibe es mir jetzt - hick - homöopathisch, wie die Doctoren sagen - hick - mein Junge!"
„Curioses Fieber das, Paddy," sagte Tommy, der schon seinen Hut ablegte und es sich anfing bequem zu machen - „curioses Fieber - kommt mir vor wie Kalklöschen, Paddy, - je mehr man dazugießt, desto hitziger wird's, Paddy!" /123/
„Und wie geht's denn der Alten im Kloster - hick?" frug Patrick jetzt, die Beine unter und die Arme auf den Tisch gerade vor sich ausstreckend und den Kopf ein ganz klein wenig mit einem recht schlauen Ausdruck in den rothen, aufgedunsenen Zügen zur Seite beugend und nach Tom hinüberwinkend. – „He, Tommy! hick - was macht die - hick - hick - was macht die gute alte Seele?"
Patrick entblödete sich nicht, das ehrwürdige alte Fräulein eine „gute alte Seele" zu nennen, und was das Schlimmste dabei war, Tom, der sonst einen unbeschreiblichen Respect vor seiner Herrin zu haben schien, entsetzte sich nicht im Mindesten darüber, sondern ließ sich sogar noch einmal einschenken und trank mit Patrick auf das Wohl dieser „guten alten Seele".
Das alte Fräulein im Schloß und Dorothea, ja selbst die Köchin, geriethen zuletzt, als der abgesandte Tom gar nicht wiederkam, in nicht geringe Besorgniß und wollten schon, wie es gegen Abend ging und selbst mit einbrechender Dämmerung der Bote noch nicht zurück war, einen andern Mann nach Patrick's Hütte hinübersenden. Gerade als die Drei oben zu solchem Kriegsrath beisammen waren, läutete es unten an der Thür. Das war Tom; Rosy sprang augenblicklich fort, ihm zu öffnen, und stieß ordentlich einen Schrei aus, als sie sein rothes Gesicht und seine starren Augen sah. Tom hatte aber noch gerade Besinnung genug, sich auf keine Erläuterungen einzulassen, ja Rosy wäre vielleicht sogar böse auf ihn geworden, denn er bot ihr nicht einmal auf seine gewöhnliche Art und Weise „Guten Abend", hätte er ihr nicht, das Tuch fest vor das Gesicht pressend, zugeflüstert, er fühle sich unwohl und glaube, Patrick's Krankheit sei ansteckend gewesen. Dann glitt er ihr unter den Händen weg, in sein Kämmerchen hinein und zu Bett, und als die alte Dorothea nach einiger Zeit unter Zittern und Zagen zu ihm ging und ihm eine Tasse Thee, den sie schnell bereitet hatte, brachte, lag er tief unter seine Bettdecke gedrückt und ließ sie sein Ge-/124/sicht nicht einmal sehen, so fror ihn - das Bett schüttelte ordentlich.
Glücklicher Weise sollten die armen Frauen aber diesmal mit dem bloßen Schreck davonkommen, denn am andern Morgen fühlte sich Tom schon wieder bedeutend besser und konnte sogar gegen zehn Uhr aufstehen und an seine gewöhnlichen Geschälte gehen.
Das war Freitag - von Patrick hörten sie den ganzen Tag nichts, aber am nächsten Mittag brachte eine Magd von dem Gute mit der gewöhnlichen Butter auch die Nachricht, daß Patrick O'Flannagan vor einer Stunde etwa vom Schlag gerührt und gestorben sei, und daß sie draußen im „Irischen Haus", wie seine kleine Hütte von den Dorfbewohnern gewöhnlich genannt wurde, schon ihre gebräuchlichen Weh- und Leichenklagen hielten.
In der Nachricht lag übrigens nichts Außerordentliches; Patrick war überall als ein starker, ja unmäßiger Trinker bekannt, und daß solche Leute sehr häufig der Schlag rührt, ist nicht Neues. Tom erschrak am meisten darüber, er hatte noch so kürzlich mit dem jetzt Todten einen so fröhlichen Nachmittag verlebt, und wenn er sich auch nicht verhehlen konnte, wie sehr er selber damals über die riesigen Mengen des starken Getränkes, die Patrick in sich hineingeschüttet, erstaunt gewesen sei, so war doch jetzt der Tod gar zu schnell und plötzlich in die Thür getreten, um sein ihm freilich schon längst verfallenes Opfer zu holen.
Für den Todten konnte nun freilich das Fräulein nichts mehr thun, er war Protestant und sie Katholikin - er durfte nicht einmal auf ihrem Kirchhof begraben werden, obgleich sie selber viel zu vernünftig darüber dachte, dagegen irgend eine persönliche Abneigung zu haben. Kaum eine halbe Meile auf der andern Seite des Irischen Hauses war aber eine kleine protestantische Kirche, wohin die alte Mrs. O'Flannagan regelmäßig zur Andacht ging, und dorthin mußte er also auch jedenfalls beigesetzt werden.
Von ihrem Fenster aus konnte sie eben noch das kleine, einsam gelegene Häuschen, gerade an der andern Seite eines niedern Weidendickichts, das zwischen dem Gut und dem /125/ Hause lag, sehen, und Sonntag Nachmittag wurde der Sarg vom andern Dorf herübergebracht, die Leiche hineingelegt und noch an demselben Abend zu ihrer letzten stillen Ruhestätte hinausgetragen.
Das Fräulein und Dorothea standen am Fenster, als die kleine Procession sichtbar wurde, und Dorothea faltete die Hände und sagte, während eine stille Thräne dem guten alten Mädchen in die Augen trat: - „Da tragen sie nun den armen, sonst immer so lustigen und muntern Patrick O'Flannagan auch in die kühle Erde; wie viele Särge hat er für andere Leute gezimmert, und jetzt liegt er selber in solch' einem kleinen Bretterhäuschen - Es ist doch eine schlimme Sache um das Sterben - und seine arme alte Mutter nun -"
„Der soll es, so lange sie lebt, an nichts fehlen," sagte das gute, alte Fräulein rasch -„laß nur die ersten Trauertage vorüber sein, Dorothea, nachher magst Du selber zu ihr hinübergehen und sie beruhigen, daß sie sich nicht etwa auch noch auf die paar Tage, die sie hier auf Erden zu wandeln hat, Nahrungssorgen macht."
„Ach, Fräulein!" sagte da plötzlich die alte Dorothea und trocknete sich die Augen, wobei sie sich wohl absichtlich etwas von ihrer Herrin abwandte - „ich bin vielleicht recht kindisch, - aber ich wollte doch, Patrick hätte das letzte Mal, als er hier in diesem gesegneten Zimmer war, nicht gesagt, er würde die Speisekammer da drin lebendig oder todt bis Dienstag fertig machen, das war doch eigentlich recht sündhaft gesprochen, und wenn ihn der Himmel nur nicht dafür gestraft hat."
Aufrichtig gesagt, hatte das Fräulein schon denselben Gedanken gehabt, natürlich wollte sie sich aber von ihrer Magd nicht auf einer solchen Schwachheit ertappen lassen, und sagte kopfschüttelnd:
„Bah, bah, bah, Dorothea! was sind das für Redensarten für ein vernünftiges Frauenzimmer. Das war allerdings eine alberne Rede von Patrick, und ich wollte jetzt selber, er hatte nicht gesagt, was er gerade gesagt hat, nicht etwa weil ich fürchte, sein Geist könne deshalb keine Ruhe /126/ haben," setzte sie lächelnd hinzu, fuhr aber gleich wieder ernster fort: „sondern weil es ihm möglicher Weise vor seinem Tode eine trübe Stunde gemacht hat, sein Wort nicht lösen zu können, denn Patrick O'Flannagan mochte in manchen Stücken wirklich so leichtsinnig sein wie er wollte, aber sein Wort, sobald er das einmal gegeben, hielt er. - Ich entbinde ihn aber hiermit feierlich davon!" sagte sie plötzlich etwas lauter, als das für Dorothea, die dicht neben ihr stand, gerade nöthig gewesen wäre, ja sie warf sogar einen etwas scheuen Seitenblick nach der Thür hinüber, die zu der noch unvollendeten Speisekammer hinausführte, und setzte dann hinzu: „Es ist also nicht nöthig, die Sache auch nur mit einem Wort weiter zu erwähnen. Ja, ich weiß nicht, ob ich nicht sogar besser thue, gleich hinüber nach dem nächsten Dorf zu schicken, um mir den andern Zimmermann, der sich mir angeboten hat, holen zu lassen, damit dieser die Arbeit vollende."
„Das ist wahr, Fräulein, ach das thun Sie!" rief Dorothea rasch; „dann haben wir hier unser Wort gebrochen und nicht die gehörige Zeit gewartet, und dann ist er vor Gott und der Welt davon entbunden."
Das Fräulein wollte aber die Sache von dieser Seite nicht aufgefaßt haben. Dorothea sollte nicht etwa glauben, daß sie selber so abergläubisch wäre, auch nur auf eine solche Idee scheinbar einzugehen, und sie sagte deshalb kurz abbrechend:
„Nein, es ist auch wahr - ich habe Patrick O'Flannagan versprochen, bis Dienstag Abend zu warten, und keine Entschuldigung, weshalb ich mein Wort nicht halten sollte; also bleibt es dabei. Den Mittwoch Morgen soll Tom hinübergehen und den andern Zimmermann herüberholen." /127/
III.
Ein irisches wake (Begräbnißfeier) ist wirklich in seiner Art eine Merkwürdigkeit und muß einmal mit angesehen sein, wenn man sich einen rechten, richtigen Begriff davon machen will. Die Leute kommen bei einem solchen „Wake", wie sie's nennen, allerdings zusammen, um über den Todten zu trauern, aber wenn das nicht besonders dabei gesagt wird, daß sie wirklich trauern, würde es aus ihrem ganzen Benehmen und Singen und Jubilaren wahrhaftig nicht zu schließen sein. Die Frauen, ja, wehklagen wohl um den Hingeschiedenen, und Mutter, Frau oder Schwester sitzen in der einen Ecke mit verhüllten Häuptern und ihr schriller Noth- und Schmerzensschrei dringt oft fast durch das Getobe der Zechenden. Die Männer aber thun gerade das Gegentheil von dem, was man bei einer Begräbnißfeier etwa von ihnen erwarten könnte, bei keinem andern Fest sind sie toller und ausgelassener, und ebenso wie bei anderen endet auch dieses gewöhnlich mit einer Schlägerei.
Die katholische Nachbarschaft kam deshalb auch dem Irischen Haus, so lange das Wake dauerte, und das war bis ziemlich spät in die Nacht, am Montag nicht zu nahe. Als Dorothea aber an dem Abend in ihr Kämmerchen ging, von dem sie ebenfalls über das Weidendickicht hinüber nach dem Irischen Haus sehen konnte, lag dies in Nacht und Dunkelheit verborgen, und Dorothea ging, sich heute andächtiger als je bekreuzigend, in ihr Bett und betete noch manches, manches Ave für die arme Seele Patrick O'Flannagan's.
Lange konnte sie auch nicht einschlafen; es war ihr heut Abend so merkwürdig ängstlich und beklemmt zu Muthe, und wohl drei- oder viermal fuhr sie, fast aufschreiend, im Bett in die Höhe, denn sie hätte drauf schworen wollen, sie höre den schweren, langsamen Schritt Patrick's auf der Treppe, wie er sonst gewöhnlich mit seinem Werkzeug anzukommen pflegte. Aber das war natürlich nur Täuschung ihrer überdies etwas erregten Phantasie, und sie mußte sich zuletzt /128/ immer selber gestehen, sie habe sich geirrt. Es hätte auch in der That Niemand die Treppe heraufkommen können; die Thür unten war fest verschlossen und verriegelt, der Kutscher Tom schlief im Stallgebäude, und von den drei Frauen, inclusive Rosy, wollte sich wohl Jede hüten, die Nacht irgend Jemandem die Thür aufzumachen.
Endlich schlief sie ein, aber dadurch war sie nur um Weniges gebessert, denn die ganze Nacht hörte sie fortwährend im Traum Hammer und Säge gehen und sah ein furchtbares Skelet auf einem der offenen Balken in der Speisekammer sitzen, und sägen und Nägel einschlagen, als ob das so seine natürliche und ganz altgewohnte Beschäftigung gewesen wäre. Die Aufregung mochte sie aber doch ermüdet haben, denn sie wachte über dem Traum nicht auf, sondern schlief, bis am nächsten Morgen die aufsteigende Sonne ihre ersten goldenen Strahlen gegen die Fenster warf.
„Jesus, Maria und Joseph!" schrie sie aber, als sie kaum die Augen geöffnet und gewissermaßen munter geworden war, und fuhr wie ein Blitz und mit einem Schreck, daß ihr die Glieder wie im Fieberfrost flogen, unter die Decke zurück. - Die Hintere Wand ihres Zimmers ging nämlich ebenfalls nach dem alten Saal zu und stieß dicht an den zur Speisekammer bestimmten Platz, und sie hätte das heilige Abendmahl darauf nehmen wollen, daß sie gerade da drüben, als sie nur den Kopf aus der Decke steckte, die schrillen, regelmäßigen Töne einer hin- und hergezogenen Säge gehört habe.
Erst unter der Decke fiel ihr nun wieder ein, was sie die Nacht eigentlich für entsetzliche Geschichten geträumt hatte und ihre Phantasie müsse ihr also noch so eine Art Nachspiel des Traumes im Halbwachen vorgespiegelt haben - aber es war so deutlich gewesen. Das Herz schlug ihr wie ein Schmiedehammer in der Brust, aber, lieber Gott, die helle Sonne stand ja am Himmel, und heraus mußte sie doch einmal. - Vorher indessen faltete sie - immer noch unter der Decke, unter der sie spurlos verschwunden blieb, - die Hände und betete ein frommes Ave Maria und „alle guten Geister" - dann noch eins, und dann ein drittes, und nun /129/ ein frommes „Mit Gott!" murmelnd, warf sie entschlossen die Decke von sich und richtete sich auf.
Sie wäre aber eben so gern wieder hinuntergefahren, hätte sie nur die Furcht gelassen, denn deutlich, unbezweifelbar tönten von der Speisekammer her: eins, zwei, drei, vier, fünf, sechs regelmäßige Hammerschläge, als ob Jemand ein Brett auf einen der Balken festnagele. Sie horchte mit der gespanntesten Aufmerksamkeit, und der kalte Schweiß trat ihr dabei auf die Stirn, denn sie gedachte in diesem Augenblick wieder ihres Traumes und des entsetzlichen Skelets, und es blieb kein Zweifel - in der Speisekammer wurde gearbeitet, sei das nun von einem lebendigen oder todten Zimmermann.
Hier aber allein auszuharren - das Furchtbare allein zu ertragen, vermochte sie nicht - mit einem Satz war sie aus dem Bett und an der Thür ihrer Herrin - Dorothea hatte in ihrem ganzen Leben keinen solchen Sprung gemacht, - dort aber in's Zimmer und auf deren Bett zu stürzen, die ebenfalls schon wach und leichenblaß darin saß, war das Werk eines zweiten Augenblicks, und sie rief jetzt mit durch die Angst erstickter Stimme:
„Oh Du lieber gütiger Heiland - er ist da - er ist gekommen - er hat Wort gehalten!"
Dieser Ausbruch von Verzweiflung, und vielleicht auch die Nähe eines menschlichen Wesens, gab aber dem Fräulein viel von ihrer Geistesgegenwart zurück. Sie faßte Dorotheen bei der Schulter, schüttelte sie sanft und sagte beruhigend und beinahe mit fester Stimme:
„Komm, komm, Dorothea, sei kein Kind - wer wird denn gleich das Schlimmste denken. Wir stehen in Gottes Hand und kein böser Geist könnte uns etwas anhaben - wir wissen aber noch gar nicht einmal ob das ein Geist ist, und mir fällt jetzt ein, daß die Leiter im Hofe ja immer noch angelehnt steht, durch welche die Maurer ihre Backsteine herausschafften. - Wer weiß, ob nicht Tom gestern zu dem andern Zimmermann gegangen ist und ihn bestellt hat. Er mag vielleicht geglaubt haben, daß die Speisekammer doch jetzt von dem andern Arbeiter fertig gemacht werden müßte, /130/ und hat ihn dann wahrscheinlich, ohne mich vorher noch einmal darum zu fragen, auf heute Morgen herbestellt. Der Mann nun, der uns nicht aus dem Schlafe stören und gern pünktlich sein wollte, ist durch's Fenster in den alten Saal hineingestiegen."
Das Fräulein hatte sich, während sie sprach, so in diese Idee hineingedacht, daß sie ihr selber wahrscheinlich erschien. Sie klopfte Dorotheen auf die Schulter und fuhr freundlich fort: „Komm, komm, Kind, sei nicht so närrisch, zieh Dich an und mach' Rosy die Thür auf; die pocht schon seit fünf Minuten draußen, als ob sie die Gefache einschlagen wollte. Schämst Du Dich nicht, so furchtsam zu sein?"
Dorothea fühlte sich durch diese fast unbefangene Aufmunterung wirklich so ermuthigt, daß sie aufstehen, schnell ihren Morgenrock überwerfen und die der Treppe zuführende äußere Thür aufschließen und aufriegeln konnte. Kaum war das aber geschehen, so wurde sie von der leichenbleich hereinstürmenden Rosy auch fast umgerannt, und die Köchin konnte nur mit zitternden Lippen, als sie zum Fräulein in's Zimmer stürzte, die Worte herausbringen:
„Haben Sie ihn gehört - er ist da - er ist gekommen!"
Das ominöse Sägen und Hämmern dauerte indessen ununterbrochen fort; Bretter wurden herüber- und hinübergeschoben, Nägel eingeschlagen, Planken abgesägt - und sie konnten deutlich die Stücke hinunter auf den Estrich fallen hören. Es war gar kein Zweifel mehr, daß irgend Jemand in dem alten Saale arbeitete, und das Fräulein suchte auch Rosy mit ihren schon oben angeführten Gründen zu beschwichtigen. Dafür sprach auch das, daß Patrick sonst immer, wenn er an der Arbeit war, ununterbrochen pfiff und sang und den Tact dazu hämmerte, daß es sich ordentlich gut anhörte, heute aber ging Alles still da drin her und das Geräusch des Handwerkszeugs war das einzige, was laut wurde.
Dazu aber - daß Tom nämlich einen andern Zimmermann bestellt haben sollte, schüttelte Rosy auf das Aengst lichste wie auf das Entschiedenste mit dem Kopf, und behauptete so bestimmt, dies wäre nicht geschehen, daß ihr /131/ Fräulein sich gar nicht erklären konnte, woher sie das wissen wollte. Rosy versicherte aber, Tom habe sich noch gestern Abend heißes Wasser bei ihr in der Küche geholt - und sie habe ihn gefragt, ob er an Geister glaube und ob ein Mensch, wenn er einmal ordentlich gestorben und begraben wäre und sechs Fuß unter der Erde läge, wieder heraufkommen und eine Speisekammer machen könne - und da habe ihr Tom auch gesagt, das wäre Unsinn und ein todter Mensch sei und bliebe todt, und sie - Rosy - solle einmal sehen, morgen früh, als wie heute, werde ihn das Fräulein nach dem andern Zimmermann schicken, und der nachher kommen und die Speisekammer fertig machen, und das wäre dann das Ende vom Geist. Das bewies doch jedenfalls, daß er bis jetzt noch nicht den andern gerufen hatte, und dieser unmöglich von selber kommen könne.
Das Fräulein machte jetzt, hierdurch selber wieder etwas außer Fassung gebracht, den sehr vernünftigen, aber deshalb nicht weniger unausführbaren Vorschlag, ehe man sich weiter ängstige, nachzusehen, wer eigentlich im Saale arbeite. Wer sollte aber nachsehen?
Dorothea weigerte sich hartnäckig, der Thür selbst auch auf nur fünf Schritt nahe zu kommen, und erklärte feierlich, lieber aus dem Fenster springen zu wollen, als im Zimmer zu bleiben, wenn Jemand nur Miene machen wolle, sie zu öffnen; ja Rosy verwarf selbst den Vorschlag, durch's Schlüsselloch zu sehen, als unmöglich.
„Heilige Mutter Gottes!" sagte sie und hielt sich schaudernd die Schürze vor's Gesicht - „wenn ich da so auf einer Seite in's Schlüsselloch hineinsehe und das Gespenst auf der andern - oh Du mein Heiland, es könnte das größte Unglück geben, und mir ist es schon bei dem bloßen Gedanken wie Blei in die Glieder geschlagen."
Das war auch eine schreckliche Idee, und dem Fräulein schauderte selber dabei - sie hätte es keinem andern Christenmenschen zumuthen mögen - was aber nun um des Himmels willen thun?
Rosy machte hier den ersten vernünftigen Vorschlag, sie wollte zu Tom hinuntergehen und den an das äußerste Ende /132/ des Hofes schicken - die Fenster im Saal waren noch alle offen, denn selbst die Rahmen standen, herausgenommen, in der einen Ecke desselben - und von dort aus konnte er jedenfalls die Stelle, wo „das Ding" arbeitete, übersehen und dann Nachricht bringen, was es sei und wie es aussähe.
Die Sache hatte weiter keine Schwierigkeit, als daß dann das Fräulein mit Dorothea allein hätte im Zimmer bleiben müssen, und nachdem die alte Dame bestimmt wußte, daß es kein anderer Zimmermann möglicher Weise sein konnte, wurde ihr selber, so ganz in der Nähe eines überirdischen Wesens und nur durch die dünne Thür von ihm getrennt, unheimlich und bange zu Muthe.