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Kitabı oku: «Unter Palmen und Buchen. Erster Band.», sayfa 4

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»In den Karten?«

»Dort unten an der Ecke trifft sie mit dem Coeurbuben zusammen – aber den kann ich nicht deutlich erkennen,« fuhr die Frau fort, ohne den Einwurf zu beantworten. »Er ist zu weit entfernt.«

»Also die Pike-Dame mit dem grünen Band auf der Haube,« nickte Pauline lächelnd, »da wäre schon eine ziemlich deutliche Spur gefunden, denn ich kenne eine junge Dame, die ein grünes Band auf der Haube trägt. – Wenn wir nur den Coeur Buben ausfindig machen könnten, dem sie das Gestohlene gegeben hat.«

»Das ist nicht so leicht,« sagte die Kartenschlägerin, die ihre Blätter indessen aufmerksam betrachtet hatte – »hier zieht sich eine lange Linie von Treff und Pike zwischen ihm und Ihrer Karte durch, Frau Hofräthin. – Er kann nur durch die Pike-Dame mit dem grünen Band ermittelt werden.«

»Der Wink ist deutlich genug, und ich werde ihn befolgen,« lächelte die Hofräthin – »herzlichen Dank Frau Heßberger – Sie haben mir gezeigt, daß Sie in Ihrer Kunst Meisterin sind« und dabei drückte sie der geschmeichelten Schusters Frau einen harten Thaler in die Hand.

»Und soll ich Ihnen auch sagen, was Sie wissen möchten, Frau Justizräthin?« wandte sich die Kartenkünstlerin jetzt an Auguste, die ein wohl aufmerksamer, aber bis dahin doch theilnahmloser Zuschauer des Ganzen gewesen war. Sie hatte dabei die über den Tisch gelegten Karten wieder zusammengerafft und fing von Neuem an zu mischen.

»Ich danke Ihnen sehr,« sagte aber Auguste, fast ängstlich, »ich – ich habe meine Freundin nur begleitet.«

»Und doch liegt Ihnen etwas auf dem Herzen, Kind, was Sie um Alles in der Welt davon herunter haben möchten,« fuhr die Frau geschwätzig fort, ohne sich irre machen zu lassen. – »Da heben Sie nur einmal ab, die alte Heßbergern weiß oft mehr, als andere Leute zu glauben scheinen.«

Augusten war es, als ob ihr Jemand einen Stich ins Herz gegeben. – Oh, wohl lag ihr etwas auf dem Herzen – aber was wußte die Frau davon – was konnte sie davon wissen.

»Heben Sie nur ab, Frau Justizräthin,« drängte die Alte »– es ist ja nichts Unrechtes, was man damit thut. – Was wir vom Schicksal nicht erfahren sollen, erfahren wir doch nicht, so viel Mühe wir uns auch damit geben.«

»So thu ihr doch den Willen,« lächelte Pauline – »oder soll ich für Dich abheben?«

»Nein, das muß die Frau Justizräthin selber thun,« wandte aber die Frau ein; »sonst bekommen wir nachher Confusion. So ists recht – danke Ihnen Madamchen; nun wollen wir gleich einmal sehen, ob wir Ihnen nicht helfen können« und in der alten Weise die Karten auslegend, bedeckte Sie mit ihnen den Tisch, schüttelte dabei aber, wie über die Reihenfolge erstaunt, langsam mit dem Kopf.

Auguste hatte fast willenlos ihren Wunsch befolgt, aber das Herz schlug ihr dabei so fieberhaft, die Brust war ihr so beengt, sie hätte jetzt Gott weiß was darum gegeben, nur von hier fort zu sein.

»Hm, hm, hm, hm« murmelte da die Alte vor sich hin, indem sie die Karten prüfend betrachtete und immer stärker dazu mit dem Kopf schüttelte, »das ist ja eine ganz wunderliche Geschichte – da geht Ihr Lebensfaden so glatt durch das halbe Spiel, und da kommt auf einmal ein fremder Mann mit einem grauen Rock dazwischen –.«

Auguste wollte sich krampfhaft von ihrem Stuhl heben, aber sie vermochte es nicht – willenlos brach sie zurück; Pauline jedoch bemerkte zu ihrem Schrecken, daß Leichenblässe ihre Züge deckte, und sie kaum im Stande war, sich noch aufrecht zu halten. Pauline behielt auch in der That nur eben noch Zeit zuzuspringen und sie zu halten, sonst wäre sie unfehlbar von ihrem Stuhl herabgestürzt. Trotzdem wurde sie nicht ohnmächtig; es schien nur als ob eine plötzliche Schwäche über sie gekommen sei und sie bat mit leiser Stimme um ein Glas Wasser. Darnach fühlte sie sich etwas gestärkt, aber jetzt bestand Pauline wieder darauf, daß sie des Schuhmachers Wohnung augenblicklich verließen – machte sie sich doch längst schon insgeheim Vorwürfe darüber, die Freundin überredet zu haben, sie hier herauf zu begleiten.

»Fühlst Du Dich stark genug Herz, mit mir fortzugehen?« frug sie leise, indem sie ihren Arm um Augusten legte.

»Ja, ja,« rief diese rasch und heftig, indem sie sich ohne Hülfe aufrichtete – »komm fort – mir ist es als wenn ich hier sterben müßte.«

»Bitte leuchten Sie uns,« bat Pauline, indem sie dabei Augusten umfaßt hielt.

»Aber beste Frau Hofräthin.«

»Wenn mir die Freundin hier krank wird, mache ich Sie dafür verantwortlich,« rief die kleine Frau heftig. – »Nehmen Sie Ihr Licht, rasch!«

Sie sprach das mit einem so befehlenden, ja drohenden Ton, daß die bis dahin noch so feierliche Frau Heßberger ganz beweglich wurde. Sie griff auch rasch ein Licht auf und während ihr Mann mit dem geleerten Suppennapf neben sich, noch an den letzten Versen seines endlosen Liedes brüllte, schritten die beiden Damen durch die Werkstätte. Aber erst draußen auf der Treppe, als Auguste wieder freie und frische Luft schöpfte, athmete sie auf und schweigend stiegen die Freundinnen in die untere Wohnung, wo sich die Justizräthin erschöpft in einen Stuhl warf.

»Aber lieber Herzensschatz,« nahm hier Pauline das Wort, nachdem sie sich vorher überzeugt hatte, daß sie allein im Zimmer waren – »wie, um Gottes Willen hat Dich das Gewäsch der alten Kaffeeschwester auch nur im Mindesten aufregen können. Du bist doch vernünftig genug an derlei Unsinn nicht wirklich zu glauben.«

»Wir hätten gar nicht hinauf gehen sollen,« sagte Auguste leise – »ich wußte vorher wie es werden würde.«

»Aber soll man sich denn nicht einmal derartige Dinge mit ansehen? Ist es denn nicht interessant zu beobachten wie die Menschen einander betrügen und wie sie betrogen sein wollen?«

»Aber hat sie Dir denn nicht von Deinem verlorenen Schmuck gesagt? Woher konnte Sie das wissen?«

»Woher?« lachte Pauline, »als ob derartiges Volk nicht überall herum spionirte, und mit ein klein wenig Mutterwitz begabt, leicht im Stande wäre, irgend etwas Glaubbares hinzustellen. Die Phantasie der Gläubigen trägt freiwillig dazu bei und der Ruf einer Prophetin ist fix und fertig. – Denkst Du nicht, daß sie bei meinen Dienstboten schon herum gehorcht hat, ja zehn gegen eins möchte ich wetten, daß ein' oder die andere Person schon bei ihr gewesen ist, um sich Raths zu erholen; aber das will ich schon herausbekommen, verlaß Dich darauf.«

»Und die Frau mit der grünen Schleife?«

»Es geht allerdings eine Wäscherin bei uns aus und ein,« sagte die Hofräthin, »die eine grüne Schleife auf der Haube trägt, und der wird sie oft genug begegnet sein. Ich habe aber nicht den geringsten Grund auf die in jeder Hinsicht achtbare Person irgend einen Verdacht zu werfen. Jedenfalls hat sie auch nur ganz auf gut Glück hin die genannt, eben so wie bei Dir den Mann im grauen Rock.«

»Nein, nein,« rief aber Auguste rasch und heftig und warf den Blick dabei scheu umher – »da liegt ein tieferes Geheimniß zum Grunde und das gerade drohte mir da oben die Besinnung zu rauben.«

»Es war so dumpf und heiß in der Stube, daß mir selber fast unwohl geworden ist,« sagte die Hofräthin.

»Der graue Mann existirt,« flüsterte da Auguste »und unerklärlich bleibt es mir, wie sie davon wissen konnte, denn gegen keinen Menschen in der Welt habe ich mich darüber ausgesprochen, als gegen meinen Mann.«

Pauline schüttelte mit dem Kopf, endlich sagte sie:

»Und darf ich wissen, was es damit zu bedeuten hat?«

»Ja,« hauchte Auguste – »aber nicht heute – nicht jetzt Pauline – ich bin schon überdies zu aufgeregt, und fürchte, daß – daß es noch mehr der Fall sein würde, wenn ich – jene wunderliche Erscheinung frisch herauf beschwören wollte. Morgen – morgen früh, wenn die Sonne scheint und alles licht und hell um uns ist – nicht jetzt – nicht jetzt.«

»Gut mein liebes Herz,« sagte Pauline, die gar nicht daran dachte sie jetzt zu drängen – »bis morgen kann ich Dir dann auch vielleicht von mir Auskunft geben, wie weit die Prophezeihung der Schusters Frau wirklich zutrifft und ob sie eben mehr weiß wie andere Leute.«

Auguste erwiderte nichts darauf: sie nickte nur schweigend mit dem Kopf und Pauline fühlte, daß sie ihr keinen größeren Gefallen thun konnte, als sie jetzt allein und ungestört zu lassen. Sie nahm auch kurzen Abschied von ihr und ging, sann aber unterwegs hin und her darüber, was der sonst so ruhigen Freundin geschehen sein müsse, um sie in eine so überreizte Stimmung zu versetzen, denn es war ja nicht möglich, daß die albernen Vermuthungen der Schusters Frau wirklich einen Einfluß auf sie ausgeübt haben sollten. Doch das gedachte sie morgen Alles herauszubekommen – heute ließ sich doch nichts mehr an der Sache thun.

Fünftes Capitel
Die böse Nacht

Als der Justizrath an diesem Abend um neun Uhr nach Hause kam, war seine Frau schon zu Bett gegangen. Sie hatte, wie das Mädchen sagte, heftige Kopfschmerzen gehabt und sich zeitig niedergelegt. Als Bertling hinüber ging, schlief Auguste und er trat noch in sein Arbeitszimmer, um die heute eingelaufene Correspondenz zu lesen und zu beantworten – hatte er doch den ganzen Tag keine Zeit dazu gefunden.

Es war bald halb zwölf Uhr, ehe er selber sein Lager suchte und die Frau schlief noch immer, aber unruhig. Sie schien zu träumen, hob den Arm und öffnete die Lippen, sprach aber Nichts und lag gleich darauf wieder still und ruhig. Sie hatte das in der letzten Zeit öfter gethan, auch wohl gesprochen, aber immer nur unzusammenhängende Worte, ohne sich später je eines Traumes bewußt zu sein, und Bertling beunruhigte sich also nicht weiter darüber. Unwillkürlich fiel ihm aber doch wieder jener wunderliche und so geheimnißvoll verschwundene Besuch ein, den er bis dahin vergeblich in der ganzen Stadt gesucht. War nicht die ganze Polizei nach dem Mann im grauen Rock ausgewesen, ohne auch nur auf die entfernteste Spur zu kommen? und schien es nicht fast, als ob er die Stadt in gerade so räthselhafter Weise verlassen hätte, wie damals Bertlings eigenes Zimmer?

Mit den Gedanken suchte der Justizrath sein Lager und war bald, von den vielen Arbeiten dieses Tages ermüdet, sanft eingeschlafen. – Seiner Meinung nach konnte er aber kaum die Augen geschlossen haben, als er seinen Namen rufen hörte:

»Theodor! – Theodor!«

Noch schlaftrunken richtete er sich empor – »Weckst Du mich Auguste?« frug er.

»Und Du kannst schlafen,« sagte die Frau mit vorwurfsvollem aber weichem Ton – »schlafen in der letzten Stunde, die wir noch beisammen sind?«

»Aber Auguste,« sagte der Mann erschreckt und war in dem einen Moment auch vollkommen munter geworden – »was hast Du nur – was sprichst Du da? Sicherlich hast Du geträumt – ich bin ja bei Dir Herz, wache nur ordentlich auf.«

»Ach ich war so glücklich,« sagte da die Frau, mit einem Ton, der ordentlich in seine Seele schnitt – »so glücklich die kurze Zeit mit Dir – und muß nun fort.«

Bertling wußte gar nicht wie er aus dem Bett kam, so rasch fuhr er in seine Kleider und zündete dann ein Licht an.

Auguste lag, die Augen geschlossen, die Arme vor sich ausgestreckt, aber die Hände gefaltet, in ihrem Bett und große helle Thränen liefen ihr über die Wangen. Bertling aber hielt das immer noch für einen einfachen, schweren Traum, der ja augenblicklich weichen mußte, so wie er sie nur weckte.

»Mein liebes Herz,« sagte er, seinen Arm um ihre Schultern legend – »wach auf, Du träumst ja nur –«

»Und hast Du schon Jemanden gesehen, der mit offenen Augen träumt?« sagte sie, sich im Bett aufrichtend und ihn groß ansehend – »Träumst Du denn jetzt?«

»Aber von was sprichst Du?«

Sie antwortete ihm nicht gleich. – Während er sich zu ihr auf die Bettkante setzte, hatte sein Fuß den Stuhl ein klein wenig verschoben und sie schien dem Geräusch zu horchen.

»Ich glaube sie kommen schon,« flüsterte sie scheu und faßte seinen Arm mit allen Kräften.

»Wer, mein Herz? wer?« bat der Mann, der jetzt peinlich besorgt um die Arme wurde, die wie er sich nicht mehr verhehlen konnte mit wachenden Augen phantasirte. »Wer soll denn jetzt mitten in der Nacht zu uns kommen?«

»Mitten in der Nacht? – ja es ist gerade zwölf Uhr vorbei,« flüsterte sie – »das ist die Zeit, in der die schwarzen Männer kommen und mich abholen. – Oh Gott,« seufzte sie dabei – »und jetzt hat mich Alles verlassen – selbst Theodor ist fort und ich allein kann mich ja nicht gegen sie wehren.«

»Aber beste Auguste« rief Bertling bestürzt – »was sprichst Du nur – ich bin ja bei Dir hier.«

»Fort – fort – wer bist Du?« – sagte sie und stieß ihn mit beiden Armen heftig von sich – »was willst Du hier – und wie kommst Du hier herein?«

»Aber ich bin es ja – Dein Theodor – kennst Du mich denn nicht?«

»Deine Stimme ist es – ja,« sagte die Frau, indem sie ihn ein paar Momente ruhig und fest betrachtete – »aber das Gesicht kenne ich nicht – das ist mir fremd – geh fort – geh fort!« und sie warf sich dabei zurück und barg ihr Gesicht im Kissen. Dort lag sie still und regungslos viele Minuten lang und Bertling wußte nicht, was er beginnen sollte. Vorsichtig legte er den Finger auf ihren Arm. – Der Puls ging vollkommen ruhig und eher langsamer als rascher wie gewöhnlich. – Vielleicht schlief sie jetzt ein; er wollte sie wenigstens unter keiner Bedingung stören, setzte das Licht fort, daß es ihr nicht auf die Augen scheinen konnte und ließ sich dann behutsam und geräuschlos auf einem Lehnstuhl nieder, um dort abzuwarten, ob sie noch einmal erwache.

So mochte er über eine Stunde gesessen haben und dachte gerade daran, das Licht auszulöschen und selber wieder zu Bett zu gehen, als er die Frau leise wimmern hörte.

Vorsichtig stand er auf – sie lag noch genau so wie vorher, nur das Gesicht hatte sie mehr nach oben gerichtet, damit sie frei athmen konnte, aber beide Augen hielt sie mit den Händen bedeckt und weinte still und leise.

»Auguste,« sagte der Mann da, indem er wieder zu ihr trat, »was hast Du nur? – Sage es mir – ich bitte Dich darum.«

Sie schien ihn nicht zu hören, aber ihr Weinen wurde heftiger und brach endlich in nicht laute, doch deutliche Klagen aus.

»Fort – fort muß ich von hier, wo ich so glücklich war!« wimmerte sie. – »Ach nur so wenig Jahre durfte ich mit Theodor zusammen sein und jetzt kommen die bösen schwarzen Männer und wollen mich fortschleppen und in die kalte häßliche Erde legen. – Oh was hab ich ihnen nur gethan? – Aber sie hassen mich hier – Alle – Keiner hat mich lieb – Keiner – und der Einzige, der mir gut war, Theodor, hat mich nun auch verlassen.«

»Auguste,« bat Bertling in Todesangst, »Du brichst mir das Herz mit solchen Reden. – Ich bin ja hier – bin bei Dir und werde Dich nie verlassen.« Dabei drückte er sie fest an sich und küßte ihre Stirn aber sie schien jetzt weder seine Worte zu hören, noch seine Berührung zu fühlen. Wieder lag sie viele Minuten lang still und regungslos, und nur das schwere Athmen verrieth, daß sie lebe – endlich fuhr sie leise fort:

»Oh daß Theodor von mir gegangen ist – er war so lieb, so gut mit mir – und ich habe ihn so oft gekränkt, aber es doch nie – nie böse gemeint. – Er mußte es doch wissen, wie ich ihn liebe – und doch ist er fort.«

»Aber ich bin ja bei Dir, Herz – so höre doch nur! hier lege Deine Hand auf mein Gesicht – fühlst Du denn nicht, daß ich bei Dir bin – daß ich Dich nie verlassen werde?«

»Ja – Alle haben mich verlassen,« rief die Frau eintönig – »und jetzt schleichen sich die schwarzen Männer herein und tragen mich fort – und wenn dann Theodor zurückkommt – wie er sich wundern wird, wenn ich nicht mehr da bin! und wie traurig wird er sein, – armer – armer Theodor.«

Bertling war außer sich. Er fühlte, daß alle seine Worte nichts halfen. Die Unglückliche hörte in diesem eigenthümlichen Zustand weder was er sagte, noch fühlte sie den um sie geschlagenen Arm und die heißen Thränen, die auf ihr Antlitz fielen und sich mit den ihrigen mischten.

Wieder lag sie eine halbe Stunde etwa in einem solchen fast bewußtlosen Zustand und mit geschlossenen Augen. Das Licht brannte düster und Bertling schritt leise zu der Lampe, um diese zu entzünden. Er glaubte, daß vielleicht helleres Licht die aufgeregten Sinne eher beruhigen würde. Wie er die Glocke aber wieder aufsetzte, wobei ein leicht klirrendes Geräusch nicht zu vermeiden war, richtete sich die Kranke plötzlich rasch und erschreckt empor und horchte mit weit geöffneten Augen der Thür zu.

»Was hast Du denn Auguste, – Was horchst Du so nach der Thür?« frug ihr Mann um sie zu beschwichtigen. Sie verstand jetzt was er sagte, ja schien ihn auch zu kennen und vergessen zu haben, daß sie früher über seine Abwesenheit geklagt und scheu erwiderte sie:

»Hörst Du denn nicht die Schritte auf der Treppe? – sie kommen um mich abzuholen und unten im Haus steht der graue Mann, der mich auch erwartet. Oh ich wußte ja, daß sie noch kommen würden, wenn es auch schon zwölf Uhr vorbei ist.«

»Aber mein liebes süßes Herz,« bat Bertling, der sich schon dadurch etwas beruhigt fühlte, daß er doch jetzt mit ihr reden konnte. – »Zwölf Uhr vorbei – es ist schon fünf Uhr und die Sonne wird gleich aufgehen.« – Er hoffte sie dadurch, daß er sie glauben mache, es sei Morgen, rascher zu beruhigen. Die Kranke aber schüttelte unwillig mit dem Kopf und rief:

»Täusche mich nicht – es fehlen nur noch ein paar Minuten an halb Zwei – sieh doch nach. –«

Bertling sah unwillkürlich nach seiner Uhr und Auguste hatte vollkommen recht. Sie wußte genau, welche Zeit es war. Ehe er ihr aber noch etwas erwidern konnte, nickte sie ernst und traurig mit dem Kopf und sagte:

»Ja – ja – so muß es sein – Du wirst jetzt oben wohnen und ich unten – und wir werden nie wieder zusammen kommen.«

»Aber, wo willst Du unten wohnen, mein Kind,« lächelte der Mann, der ihre Gedanken abzulenken suchte, – »das untere Logis hat ja der Doktor Pellert gemiethet.«

»Wer spricht denn davon,« sagte sie finster – »in der Erde, mein' ich – wenn sie mich begraben haben. Sie kommen ja gleich.«

»Aber meine Auguste!«

»Und ich war so glücklich« fuhr sie leise, mit zum Herzen dringender Stimme fort – »so unsagbar glücklich – aber nur für eine kurze – kurze Zeit. Jetzt muß es sein und ich will mich auch nicht länger sträuben – ich kann mich ja doch nicht gegen die vier schwarzen Männer wehren.«

»Und bin ich nicht hier Dich zu vertheidigen?«

»Was kannst Du gegen die viere ausrichten!« erwiderte sie kopfschüttelnd, »und sie sind stark – sehr stark. Aber ich habe nicht mehr viel Zeit – hier den Ring nimm mir vom Finger – den schwarzen Ring – den sollst Du Paulinen von mir geben.«

»Aber Auguste.«

»So nimm denn doch den Ring – sie kommen ja,« bat sie mit einer Stimme, die ihm durch Mark und Bein schnitt und es blieb ihm Nichts übrig, als ihrem Wunsch zu willfahren und ihr den Ring abzunehmen; fürchtete er doch sie durch Widerspruch nur noch so viel mehr aufzureizen. Wie er das aber gethan, stürzten ihm selber die Thränen aus den Augen und sie umfassend jammerte er: »Meine liebe – liebe Auguste.«

»Lebe wohl Theodor,« sagte sie da und schlang ihre Arme fest und fast krampfhaft um seinen Nacken – »lebe wohl und tausend, tausend Dank für alles Liebe und Gute, das Du mir gethan. –«

»Aber Du gehst ja nicht von mir – Du bleibst ja bei mir, nie – nie im Leben trennen wir uns mehr,« flüsterte der Mann in Todesangst.

»Es muß ja sein,« tröstete sie ihn leise – »weine deshalb nicht – oh Du hast es ja auch gut – Du kannst draußen im Sonnenlicht, auf der schönen Erde bleiben – aber mich – mich legen sie in das dunkle kalte Grab und ich bin noch so jung – so jung und schon sterben – oh es ist recht, recht hart.«

»Auguste – ich halte das nicht länger aus,« flehte der Mann, dem die Aufregung fast den Athem nahm – »so komm doch nur zu Dir – es ist ja Alles nur ein böser Traum.«

Unten auf der Straße rasselte in diesem Augenblick ein Wagen über das Pflaster; der Schall klang deutlich herauf.

»Da sind sie,« flüsterte die Kranke erbebend – »oh Gott wie schnell sie kommen – wie furchtbar schnell. – Jetzt muß ich fort – oh Gott, oh Gott schon jetzt. Nein ich will nicht – sie sollen mich nicht weg von Dir nehmen – ich will bei Dir bleiben« – und krampfhaft klammerte sie sich um seinen Hals. –

»Du gehst auch nicht fort Herz – nie im Leben lasse ich Dich,« – rief Bertling, – »wir bleiben ja beisammen – oh so komm doch zu Dir. – Hier – hier,« sagte er und griff ein neben dem Bett stehendes Glas Wasser auf, – »trink einmal Auguste – das wird Dir gut thun – trink einen langen Zug – viel – mehr noch, mehr.«

Er hatte sich fast gewaltsam von ihr losgemacht und ihr das Glas an die Lippen gehalten. Wie sie das Wasser daran fühlte nahm sie einen kleinen Schluck und als er es ihr wieder und wieder aufdrang, trank sie mehr, bis sie das ganze Glas geleert. Dabei sah sie ihn mit einem wilden verstörten Blick an.

»Meine Auguste« bat Bertling, ihr Haupt an sich pressend, »ist Dir jetzt besser? – kannst Du Dich besinnen?«

Sie drängte ihn langsam von sich – sah ihn an – blickte im Zimmer umher und sagte leise:

»Was ist denn mit mir vorgegangen?«

»Du hast geträumt Herz – schwer und furchtbar geträumt« rief ihr Gatte, »oh Gott sei ewig Dank, daß es vorüber ist.«

»Geträumt? – von was?« frug die Frau, die jetzt augenscheinlich ihre volle Besinnung wieder erlangt hatte. Bertling hütete sich aber wohl irgend eines ihrer Traum-Bilder auch nur zu erwähnen und ausweichend sagte er:

»Oh nichts, Herz – lauter tolles verworrenes Zeug; wild durch einander hast Du gesprochen von Gesellschaften, Theater, Kleidern, Besuchen und was weiß ich. –«

»Sonderbar,« flüsterte die Frau nachdenkend vor sich hin »ich kann mich doch auf gar Nichts mehr besinnen. Aber mir ist mein Kopf so schwer – so furchtbar schwer und die Augen brennen mir, als ob ich geweint hätte. Wie viel Uhr ist es?«

»Es wird bald zwei Uhr sein.«

»So spät schon und Du bist noch angezogen? – Du hast wohl wieder so lange gearbeitet?«

»Ja – ich hatte so viele Briefe zu schreiben – aber lege Dich jetzt hin und schlafe. Ich will auch zu Bett gehen.«

»Oh wie mir mein Kopf brennt – ich kann gar nicht mehr denken,« sagte die Frau und preßte ihre Stirne mit beiden Händen, – »am Ende werd ich noch krank.«

»Mach Dir keine Sorge mein Herz,« beruhigte sie aber der Mann, »morgen wird schon Alles wieder besser – wieder ganz gut sein. – Gute Nacht, mein Kind. –«

»Gute Nacht, Theodor,« sagte die Frau – legte sich auf die Seite und war auch in wenigen Minuten fest und sanft eingeschlafen.

Sechstes Capitel
Die Begegnung

Am nächsten Morgen, wo aber Auguste völlig gesund und mit keiner Ahnung des Geschehenen, nur mit etwas Kopfschmerzen erwachte, ging Bertling in aller Früh zu seinem Hausarzt, um diesem das Vorgefallene mitzutheilen. Er hatte ihm schon früher einmal von der fixen Idee Augustens gesagt, der Doctor nahm das aber damals – vielleicht auch nur um den Mann nicht zu beunruhigen – außerordentlich leicht und versicherte ihn, daß solche Fälle gar nicht etwa vereinzelt daständen. Es sei ein Blutandrang nach dem Kopf und viel Bewegung in freier Luft – vielleicht auch eine blutreinigende Kur das Beste dagegen. Keinesfalls sollte er sich Sorgen deshalb machen. – Heute jedoch, als der Arzt die Phantasien dieser Nacht erfuhr, in denen der »graue Mann« auch wieder seine Rolle gespielt, zeigte er sich schon bedenklicher und meinte, Gefahr sei nur in so fern vorhanden, daß die Phantasie der Kranken ihr noch einmal – und also zu dem gefürchteten dritten Mal – die Gestalt des Mannes im grauen Rock vorspiegeln könne, ehe man im Stande sei sie zu überzeugen, daß die erste Erscheinung weiter Nichts als ein Phantasiebild, die zweite aber ein wirklich menschliches Individuum gewesen sei – wie das aber zu thun, ohne daß man des Grauen habhaft werde, vermöge er nicht abzusehen, und daß der Graue nicht zu bekommen war, das wußte der Justizrath besser als irgend Jemand in der Stadt. Welche Mühe hatte er sich deshalb nicht schon gegeben und welchen Erfolg damit erzielt? – es war wirklich zum Verzweifeln.

Der Doctor versprach übrigens im Lauf des Vormittags bei der Justizräthin vorzusprechen, um sich selber einmal von ihrem Gesundheitszustand zu überzeugen. Vielleicht ließ sich dann auch das Gespräch – natürlich mit der gehörigen Vorsicht – auf das eigentliche Krankheitsobjekt lenken und möglich, daß ja doch die Vernunftgründe eines Dritten und völlig Unparteiischen irgend einen wohlthätigen Einfluß auf sie ausüben konnten.

Bertling seufzte tief auf, denn er am Besten fühlte das Trügerische einer solchen Hoffnung, aber was anderes ließ sich thun und auch dieser Versuch mußte gemacht werden, wenn er auch nicht das Geringste davon erhoffte. Er fürchtete sich aber, lange von zu Haus fortzubleiben, denn er wußte nicht, wie sich Auguste heute morgen nach der furchtbaren Aufregung der letzten Nacht befinden würde. Er bat also den Doctor seinen Besuch nicht zu lange zu verschieben und schritt dann sehr niedergeschlagen und den Kopf voll trüber, wirrer Gedanken die Straße hinab, in der Richtung seiner eigenen Wohnung zu. Er achtete dabei auch gar nicht auf die ihm Begegnenden und erst als Jemand an ihm vorüber ging, der ihn grüßte, faßte er unwillkürlich an seinen eigenen Hut und warf einen flüchtigen Blick auf ihn, ohne sich jedoch in seinem Gang aufzuhalten. Im Weiterschreiten fiel ihm aber der fast schüchterne Gruß des vollkommen fremden Mannes auf – wo hatte er nur das Gesicht – wie ein Messerstich traf es ihn plötzlich ins Herz – das war der Graue und mit dem Gedanken schon fuhr er auch herum und zurück, ihm nach – daß er dabei gegen eine alte würdige Dame anrannte und sie beinah über den Haufen geworfen hätte, fühlte er kaum, hielt sich wenigstens nicht einmal lange genug, auch nur zu einer Entschuldigung auf, denn mit peinigender Angst erfüllte ihn in dem Moment der Gedanke, daß ihm der Fremde wieder wie damals, selbst unter den Händen weg entschwinden könnte. Wenn er jetzt irgendwo in ein Haus getreten wäre – wenn er die nächste Quergasse erreicht hätte – nein – Gott sei ewig Dank – dort ging er noch und mit wenigen hastigen Schritten war er an seiner Seite.

Der Fremde, als er Jemanden neben sich halten sah, schaute auch zu ihm empor und der Justizrath hätte laut aufjubeln mögen, als er in dem ihm zugewandten Gesicht wirklich den Besuch von jenem Abend erkannte, dessen Züge sich ihm in der Zwischenzeit oh, nur zu scharf und deutlich eingeprägt. Er war aber auch fest entschlossen, den Mann jetzt nicht wieder los zu lassen, bis er ihn seiner Frau gebracht, und wenn er nicht gutwillig ging, ei dann hätte er selbst die Polizei zu Hülfe gerufen, sogar auf die Gefahr hin eine Klage wegen unverschuldeter Gefängnißhaft gegen sich anhängig gemacht zu sehen.

Der Fremde sah dabei etwas erstaunt, ja bestürzt zu ihm auf, denn er ebenfalls hatte den Justizrath gleich beim ersten Begegnen wieder erkannt und begriff jetzt natürlich nicht, was der Mann eigentlich von ihm wolle. Dieser ließ ihm aber nicht lange Zeit darüber nachzudenken und fast unwillkürlich die Hand auf seine Schulter legend (denn wenn er es sich auch nicht selber gestehen mochte, war es doch ein fast unbewußtes Gefühl, das ihn leitete, sich vor allen Dingen zu überzeugen, er habe es wirklich mit einem körperlichen Wesen zu thun), sagte er freundlich:

»Entschuldigen Sie, mein Herr, aber – hatte ich nicht das Vergnügen, Sie vor einiger Zeit einmal Abends auf ganz kurze Zeit bei mir zu sehen? – Ich bin der Justizrath Bertling – wenn Sie sich auf meine Person nicht mehr besinnen sollten?«

Der Mann schien etwas verlegen und sah den Justizrath fast wie scheu an; endlich stotterte er:

»Ich weiß in der That nicht –«

»Ich will Ihrem Gedächtniß zu Hülfe kommen,« fuhr aber der Justizrath in der neu erwachenden Angst fort, daß der Mann leugnen könnte oder er sich doch am Ende in der Person geirrt, »meine Frau kam damals gerade nach Haus und von einem leichten Unwohlsein ergriffen, wurde sie in der Thür ohnmächtig. Sie besinnen sich gewiß.«

»Herr – Herr Justizrath,« stammelte der Mann »ich – ich – kann nicht recht begreifen –«

Bertling, der nicht ohne Grund fürchtete, der Mann könne Bedenken tragen, sein damaliges rasches, und allerdings etwas rätselhaftes Verschwinden einzugestehen, denn wie konnte er wissen, in welchem Zusammenhang das mit der jetzigen Frage stand – suchte ihn nur vor allen Dingen darüber zu beruhigen. – »Lieber Herr,« sagte er, »Sie müssen mir vorher die Bemerkung erlauben, daß ich Ihre Antwort nur als eine mir persönlich erwiesene Gefälligkeit betrachte und ich sehe ein, daß es vorher nöthig ist, Ihnen die Beweggründe meines, Ihnen vielleicht sonderbar erscheinenden Betragens mitzutheilen. Aber wir können das nicht auf offener Straße abmachen, dürfte ich Sie deßhalb bitten mit mir einen kurzen Moment in jenes Caffeehaus zu treten; wir sind dort ungestört und ich gebe Ihnen mein Wort, daß Sie damit ein gutes Werk thun.«

Der Fremde war augenscheinlich in der größten Verlegenheit, wie denn auch sein ganzes Wesen etwas Schüchternes, ja Gedrücktes zeigte. Der Einladung konnte er aber nicht gut ausweichen. Mit einer ziemlich ungeschickten Verbeugung und ohne ein Wort zu erwidern, willigte er ein und schritt neben dem Justiz-Rath dem Caffeehaus zu. Bertling ließ ihn auch dabei nicht aus den Augen, denn er hatte immer noch das unbestimmte Gefühl, als ob ihm der eben so glücklich Aufgefundene durch einen der Trottoirsteine, wie durch eine Versenkung auf dem Theater verschwinden könnte, und wollte sich später keine Vernachlässigung vorzuwerfen haben.

Im Restaurationslocal endlich angelangt, ließ er zwei Tassen Caffee und Cigarren bringen und als Beides vor ihnen stand und der Kellner sich mit seiner Bezahlung zurückgezogen hatte, that Bertling das Vernünftigste, was sich unter diesen Umständen thun ließ und erzählte dem Fremden, ohne vorher eine weitere Frage an ihn zu richten, das seltsame Zusammentreffen eines Traumes seiner Frau mit seiner eignen Erscheinung, wobei sein plötzliches und unbeachtetes Verschwinden natürlich alle die überspannten Ideen der Kranken bestätigen mußte.

Der kleine Mann in dem dunklen Rock schien während dieses Berichtes ordentlich aufzuthauen. Zuerst hatte er die angezündete Cigarre nur schüchtern und mit der äußersten Spitze in den Mund genommen, daß er kaum daran ziehen konnte und seinen Caffee halb kalt werden lassen – jetzt begann er mit augenscheinlichem Behagen den Dampf des guten Blattes einzuziehen und that auch einen Schluck aus seiner Tasse und als der Justizrath ihm endlich gestand, daß er die ganze Stadt schon habe durch Polizei absuchen lassen, um seiner nur habhaft zu werden und seine arme Frau von ihrem unglückseligen Wahne zu befreien, lächelte er sogar still vor sich hin und leerte dabei seine Tasse bis zum letzten Tropfen. Bei der nun wieder an ihn gerichteten Frage des Justizraths, ob er es nicht gewesen sei, der ihn an jenem Abend besucht habe und zu welchem Zweck, wurde er allerdings wieder ein wenig verlegen und sogar roth, aber er leugnete nicht mehr und sagte:

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
28 eylül 2017
Hacim:
220 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain