Kitabı oku: «Unter Palmen und Buchen. Erster Band.», sayfa 9
Der Zug hielt, aber selbst jetzt noch war Hamilton einen Augenblick unschlüssig, ob er nicht lieber sitzen bleiben und bis nach Oberlahnstein und Coblenz mitfahren solle; denn ließ es sich denken, daß der Flüchtige gerade hier ausgestiegen sei? Derartige Menschen sind allerdings furchtbar leichtsinnig, und der alte Aktuar hatte am Ende doch Recht gehabt, wenn er ihm rieth, die Spielbank jedenfalls einmal ein Paar Stunden zu besuchen. Verloren war immer kaum viel Zeit dabei, denn kam er jetzt auch nach Coblenz, so mußte er doch die Nacht dort liegen bleiben, um bei dem Abgang des ersten Morgen-Zuges erst am Bahnhof zu sein. Er folgte also dem Rath des alten Mannes, stieg aus und ging in das dicht am Bahnhof gelegene Hotel zum Guttenberg, um dort erst etwas andere Toilette zu machen. Er wollte sich nämlich nicht der Gefahr aussetzen, daß er von dem schlauen Verbrecher zuerst erkannt würde, denn er zweifelte keinen Augenblick daran, daß Kornik ihn an jenem Abend eben so gut bemerkt habe, wie seinen Begleiter Burton, und ihm deshalb jetzt eben so rasch ausweichen würde, wie jenem.
In seiner Tasche trug er einen leichten hellen Sommerrock, den zog er an, setzte eine hellgrüne Brille auf und borgte sich noch außerdem vom Kellner einen Cylinderhut. Mit dieser ganz geringen Veränderung seiner Toilette, die er dadurch vervollständigte, daß er ein weißes Halstuch statt seines bisher getragenen schwarzen nahm, fühlte er sich ziemlich sicher, wenigstens nicht gleich auf den ersten Blick erkannt zu werden. Kornik hatte ihn ja überhaupt nur die kurze Zeit im Coupé gesehen, und ihn dabei keineswegs seiner Beachtung so besonders werth gehalten. Dann aß er etwas und hielt es nun an der Zeit, das jetzt besonders frequentirte Kurhaus zu besuchen.
Es war indessen völlig Nacht geworden; unterwegs traf er nur noch einzelne Leute, die vom Kurhaus weg über die Brücke in ihre am andern Ufer liegende Quartiere gingen, das Kurhaus selber aber war noch hell und brillant erleuchtet und auch in der That der einzige Platz in dem ganzen Badeort, den man Abends besuchen konnte und wo man Gesellschaft fand. Die anderen zahllosen Hotels schienen nur zum Essen zu dienen, denn in ihren Sälen versetzten riesige Tische, deren Zwischenraum vollständig mit Stühlen ausgefüllt war, jeden nur einigermaßen möglichen Platz. Man konnte sich in keinen von ihnen wohnlich fühlen.
Das Kurhaus dagegen vereinigte alles, was sich von Pracht und Eleganz nur denken ließ – ein reichhaltiges Lesezimmer mit bequemen Fauteuils, einen prachtvollen Saal zu Concerten oder Spiel- und Tanzplätzen der Kinder und Damen, und dann den unheilvollen Magnet für die Spieler, die grünen Tische, von denen der verführerische Klang des Metalls in alle harmlosen Spiele und Vergnügungen hinübertönte, und seine Opfer erbarmungslos an- und nachher auszog.
Es ist eine Schmach für Deutschland, daß wir noch diese vergoldeten Schandhöhlen in unseren Gauen dulden – es ist eine doppelte Schmach für die Regierungen, die sie begünstigen und gestatten, und alle die Opfer, die jährlich fallen, müssen einst auf ihren Seelen brennen.
Napoleon III. hat die Spielhöllen aus seinem Reich verbannt, und die Spieler damit über die Grenzen getrieben. Geschah das aber nur deshalb, daß sie in Deutschland ihre gesetzliche Aufnahme finden sollten? und müssen wir nicht vor Scham erröthen, wenn wir dieses französische Unwesen mit französischen Marken und Marqueuren im Herzen unseres Vaterlandes eingenistet finden? Aber es ist so. Trotz der gerechten Entrüstung, die allgemein darüber herrscht, müssen wir jetzt geschehen lassen, daß andere Nationen die Achseln darüber zucken und uns bedauern oder – verachten, müssen wir es geschehen lassen, sage ich, denn
»wollten wir alle zusammen schmeißen
wir könnten sie doch nicht Lügner heißen.«
Wenn wir es denn aber trotz allem und allem unter unseren Augen so frech fortgeführt sehen, so gehört es sich, daß sich jeder rechtliche Mann wenigstens dagegen verwahrt, diese Schandbuden gut zu heißen. Das Ausland möge erfahren, daß die deutsche Nation unschuldig ist an diesem Werk, und keinen Silberling von dem Blutgeld verlangt, das es einzelnen Fürsten einbringen mag. Hammerschlag auf Hammerschlag folge auf das Gewissen der Vertreter deutscher Nation, bis sie endlich wach gerüttelt werden – sie sollen sich wenigstens nicht beklagen dürfen, daß man sie nicht geweckt hätte.
Hamilton dachte freilich an nichts derartiges, als er das hell erleuchtete Portal betrat, an welchem ein gallonirter Portier und ein sehr einfach gekleideter Polizeidiener – zur Wache, daß das heilige Spiel nicht etwa gestört würde – auf Posten standen. Der Portier wollte übrigens Schwierigkeiten machen, als er Hamiltons hellen Rock sah – er schien ihm für die Spielhölle nicht anständig genug gekleidet, aber neben ihm schritt eine bis auf den halben Busen decoltirte Französin frech vorüber, welcher der Lakai eine tiefe, ehrfurchtsvolle Verbeugung machte. Hamilton wußte indessen, welchen Zauber in einem solchen Fall ein Guldenstück ausüben würde, und der augenblicklich zahm gewordene Portier schmunzelte auch so vergnügt darüber hinweg, daß seinem Eintritt nichts weiter im Wege stand.
Wenige Secunden später befand er sich, von dem jetzt dienstbaren Geist willig geleitet, im Lesecabinet, aus dem eine Thür unmittelbar in den großen Spielsaal führte.
Dort saßen nur ihm vollkommen fremde Menschen, ein langbeiniger Engländer, der gewissenhaft die Times durcharbeitete, ein kleiner beweglicher Franzose, der über dem Charivari schmunzelte, und ein Paar andere Badegäste, die gleichgültig und aus Langeweile die verschiedenen continentalen Zeitungen durchblätterten.
Er hielt sich dort nicht auf und öffnete die Thür, die in den Spielsalon führte, aber anfangs nur halb, um erst einen Ueberblick über die verschiedenen Gestalten zu gewinnen, und nicht früher gesehen zu werden, als er selber sah. Aber es hätte dieser Vorsicht nicht einmal bedurft, denn die dort Befindlichen hatten nur Ohr für den monotonen Ruf des Croupiers, nur Auge für den grünen Tisch, und die darauf genähten bunten Lappen. Wer kümmerte sich von allen denen um den einzelnen Fremden, wenn er nicht selber als stark Spielender – mit Glück oder Unglück blieb sich gleich – ihr Interesse für einen Augenblick in Anspruch nahm.
Hamilton trat an die Spieler dicht hinan, um die einzelnen Gesichter derselben mustern zu können – aber er fand kein bekanntes darunter. Es war ein buntes Gemisch von leidenschaftlich erregten, abstoßenden Physiognomien, unter denen sich nur hie und da die kalten speculirenden Züge alter abgefeimter, und ruhig ihre Zeit abwartender Spieler, auszeichneten. Auch viele »Damen« standen dicht von den Uebrigen gedrängt am Tisch, wenn solche Frauenzimmer den Namen von Damen überhaupt verdienen. Eine von diesen saß sogar neben dem Croupier – es war der Lockvogel der Gesellschaft, ein junges, üppiges Weib, tief decoltirt, mit dunklen vollen Locken und reichem Brillantschmuck; andere drängten, jede Weiblichkeit bei Seite lassend, zwischen die ihnen nur unwillig Raum gebenden Zuschauer hinein, um ihr Geld in wilder Hast auf eine Nummer zu schieben.
Hamiltons Blick streifte gleichgültig darüber hin, und wie er sich langsam selber um den Tisch bewegte, entging kein irgendwo eingeschobener Kopf seinem forschendem Auge. Da hörte er auch in einem kleineren Nebenzimmer das Klimpern des Geldes und die monotonen Worte: »le jeu est fait« – denen lautlose Stille folgte, und wollte eben auch jenes Gemach betreten, als er wie festgewurzelt auf der Schwelle blieb, denn dort stand Kornik – bleich wohl jetzt, von der Erregung des Spiels, und mit gierigem Blick an der abgezogenen Karte hängend – aber unverkennbar derselbe, mit dem er an jenem Tag gefahren. Er hatte es auch nicht einmal für nöthig gehalten, den verrätherischen Schnurrbart abzurasiren, oder sein Haar anders zu tragen, er mußte sich heute Abend hier vollkommen sicher fühlen. Nur die blaue Brille fehlte.
Im ersten Moment fürchtete Hamilton fast sich zu bewegen, daß nicht der Blick des Verbrechers ihn vor der Zeit traf. Aber es war das eine vollkommen nutzlose Angst, denn der Spieler hatte nur Augen für die vor ihm abgezogenen Karten – weiter existirte in diesem Moment keine Welt für ihn. Vorsichtig zog sich der Polizeiagent deshalb wieder zurück, bis er sich im Nebenzimmer gedeckt wußte, schritt dann durch den Saal und auf den dort stationirten Polizeidiener zu.
Mit wenigen Worten machte er diesem auch begreiflich was er wollte – derartige kleine Zwischenfälle kamen gar nicht etwa so selten in diesen Spielhöllen vor – und überraschte dabei den Portier auf das angenehmste, indem er ihm zwei große Silberstücke – er sah gar nicht nach, was – in die Hand drückte, mit dem Auftrag, so rasch als irgend möglich Polizeimannschaft zur Hülfe herbeizuholen. Die befand sich übrigens stets in der Nähe. Ein verzweifelter Spieler hatte sich wohl schon dann und wann einmal, zum Letzten und Aeußersten getrieben, an der heiligen Kasse selber vergriffen und nachher sein Heil in rascher Flucht gesucht, und dagegen mußten die Herren freilich geschützt werden. Wenn auch ein Raub, war das Geld doch ein gesetzlich gewonnener, und die Regierung fühlte sich verpflichtet, dessen Schutz zu überwachen.
Hamilton traute indessen seinem Mann da drinnen noch lange nicht genug, um ihn länger, als unumgänglich nöthig war, sich selber zu überlassen; er war ihm damals in Frankfurt auf zu schlaue Weise durch die Finger geschlüpft, während er ihn eben so sicher geglaubt wie gerade jetzt. Aber er selber kannte die Leidenschaft des Spiels noch viel zu wenig, um zu wissen, daß er in diesem einen viel sicheren Bundesgenossen hatte, als in einem schönen Weibe, und als er in Begleitung des Polizeidieners jenes Zimmer wieder betrat, stand Kornik noch eben so fest und regungslos, eben so nur in dem einen Gedanken der Karten absorbirt, an seinem Tisch, wie er ihn vorhin verlassen.
Der Polizeibeamte übereilte sich aber jetzt nicht im geringsten. Er wußte, daß ihm sein Opfer nicht mehr entgehen konnte, und hielt es für viel gerathener, den Herrn nicht früher zu beunruhigen, als er der herbeigerufenen Hilfe sicher war. Nur seine grüne Brille nahm er ab.
»Welcher ist es denn?« flüsterte ihm der dicht hinter ihm gehende Polizeidiener zu. Hamilton machte eine beschwichtigende Bewegung mit der Hand und trat dann, von jenem gefolgt, an Kornik hinan. Er stand jetzt so nahe bei ihm, daß seine Schulter die des Polen berührte, der aber nicht daran dachte, auch nur den Kopf nach ihm umzudrehen.
Jetzt hatte derselbe gerade gewonnen; es standen vielleicht 40 oder 50 Louisd'or auf dem grünen Tisch – er ließ den Satz stehen, die Karten fielen und der Croupier zog mit seiner hölzernen Schaufel das Gold ein.
Mit einem leisen, zwischen den Lippen gemurmelten Fluch schob sich Kornik seine Geldtasche vor, um wahrscheinlich neue Summen auf die trügerischen Blätter zu setzen, als er eine Hand auf seiner Schulter fühlte und Hamilton mit ruhiger, aber absichtlich lauter Stimme sagte:
»Sie sind mein Gefangener, im Namen der Königin.«
Der Pole wandte ihm jetzt rasch und erschreckt sein Antlitz zu und Leichenblässe deckte im Nu seine Züge, als er das nur zu wohl gemerkte Gesicht des Mannes aus Frankfurt neben sich sah. Aber auch nicht für ein Moment verlor er seine Geistesgegenwart, und dem Blick desselben kalt und ruhig begegnend, sagte er:
»Das Spiel hat Ihnen wohl den Verstand verwirrt – stören Sie mich nicht,« und in die Geldtasche greifend, wollte er, ohne den Fremden weiter zu beachten, sich wieder über den Tisch beugen, als sich Hamilton aber, seiner Sache zu gewiß, an den Polizeidiener wandte und sagte:
»Verhaften Sie den Herrn – ich werde Sie augenblicklich auf das Bureau begleiten.«
»Keine Störung hier, meine Herren, wenn ich bitten darf,« rief plötzlich ein kleines hageres Männchen, das schon bei den ersten Worten an den Spieltisch getreten war. »Wenn Sie etwas mit einander auszumachen haben, ersuche ich Sie, in ein Nebenzimmer zu treten.«
»Ich werde Sie nicht um Erlaubniß fragen, wenn ich Ihre Wirthschaft hier für einen Augenblick unterbreche,« sagte Hamilton trotzig – »ich habe ein Recht diesen Mann zu verhaften, wo ich ihn finde.«
»Dann führen Sie ihn ab, Polizeidiener,« sagte der Kleine in seinem braunen Rock ruhig – »oder ich mache Sie für jede Unordnung hier verantwortlich.«
»Ich habe mit den Herrn nichts zu thun,« rief der Pole trotzig, »was wollen Sie von mir? – lassen Sie mich los.«
Eine Anzahl von Menschen sammelte sich um die beiden, und die Spieler zogen ihr Geld ein, weil sie vielleicht einen Kampf und dadurch die Sicherheit ihrer Bank gefährdet fürchteten, denn es gab leider eine Menge von Menschen, die das dort aufgethürmte Geld für gestohlen hielten, und sich wenig Gewissen daraus gemacht hätten, es fortzuraffen.
»Bitte, meine Herren, gehen Sie in ein Nebenzimmer,« drängte aber jetzt nochmals der kleine Braune, »Sie sind dort vollkommen ungestört – Jean, Bertrand hierher – sorgen Sie für Ordnung.«
Der Pole warf den Blick umher; er sah sich augenscheinlich nach einem Weg zur Flucht um, aber Hamiltons Hand hatte seinen Arm wie eine Schraube gefaßt und der Polizeiagent sagte mit leiser, aber drohender Stimme:
»Es hilft Ihnen nichts. Flucht ist für Sie unmöglich. Sie sind mein Gefangener; ergeben Sie sich gutwillig, Sie haben keinen Ausweg mehr, und Wiederstand kann Ihre Lage nur verschlimmern.«
Es war einen Augenblick, als ob sich der Pole den drohenden Worten nicht fügen wolle, und fast unwillkürlich zuckte er mit der Hand empor. Aber ein umhergeworfener Blick mußte ihn überzeugen, daß er mit Gewalt nichts ausrichten könne, denn eine Menge von Neugierigen, die sich im benachbarten Salon umhergetrieben, hörten kaum die in einem Spielsaal ganz ungewohnten, lauten Stimmen, als sie hereindrängten, und den einzigen Ausgang vollständig verstopften.
Der eine Blick genügte, und verächtlich lächelnd aber mit voller Ruhe sagte der Mann:
»Hier herrscht jedenfalls ein Irrthum. Ich bin Graf Kornikoff, hier ist mein russischer Paß, und ich stelle mich damit unter den Schutz unseres Gesandten. Nassau ist mit dem russischen Thron verwandt und wird dessen Unterthanen nicht ungestraft beleidigen lassen.«
Mit den Worten nahm er ein Papier aus seiner Brusttasche und hielt es Hamilton vor.
»Es kann sein,« sagte dieser, »daß Ihr Paß in Ordnung ist. Die gefährlichsten Charaktere haben gewöhnlich die besten Pässe. In dem Falle werden Sie sich aber um so weniger weigern mir zu folgen, da ich bereit bin, Ihnen vollständige Genugthuung zu geben, wenn ich Sie ohne hinreichenden Grund verhaftet habe. Die Herren hier werden mir aber zugeben, daß man, auch selbst mit einem guten Paß versehen, doch stehlen kann, und auf die Klage eines Diebstahls verhafte ich Sie hiermit.«
»Gut denn, führen Sie ihn fort und übernehmen dabei die Verantwortung für alle Folgen,« sagte der kleine Herr mit dem braunen Rock ungeduldig – »aber Sie sehen doch ein, daß Sie hier das Spiel und Vergnügen völlig dabei unbetheiligter Herren und Damen nicht länger stören dürfen. Herr Polizeicommissar, ich bitte Sie, daß Sie diesem Unfug ein Ende machen, oder ich werde mich morgen ernstlich bei der Behörde deshalb beklagen.«
Der Polizeicommissar war in der That herbeigekommen, und Hamilton, der ihn an seiner Uniform erkannte, frug ihn leise:
»Wer ist denn dieser kleine Tyrann?«
»Einer der Spielpächter,« sagte der Mann mit einem verächtlichen Blick auf den Braunen, und setzte dann laut hinzu, »beklagen Sie sich bei wem Sie wollen, Monsieur, Sie werden uns aber hier wohl noch erlauben, unsere Schuldigkeit zu thun, selbst wenn Ihre achtbare Gesellschaft einen Augenblick gestört werden solle. Und Sie, mein Herr,« wandte er sich an den Gefangenen, »folgen Sie uns jetzt auf das Bureau – ich werde die Sache dort untersuchen.«
»Sie werden mir bezeugen, daß ich nicht den geringsten Wiederstand geleistet habe,« sagte der Pole ruhig – »kommen Sie, meine Herren. Ich wünsche noch an dem Spiel hier Theil zu nehmen, und je eher wir diese fatale Sache beendigen, desto besser.«
Damit wandte er sich entschlossen dem Ausgang zu – die Leute gaben ihm Raum und wenige Secunden später standen sie am Ausgang des Kurhauses.
»Es wäre besser, wir legten ihm Handschellen an,« sagte Hamilton, sich zu dem Polizeicommissar überbiegend.
»Er kann uns hier nicht entschlüpfen,« erwiederte dieser kopfschüttelnd – »und ich möchte keine Gewaltmaßregeln gebrauchen, bis ich die Sache näher untersucht habe.«
Der Pole schritt ruhig und festen Schrittes zwischen zwei Polizisten dahin – dicht hinter ihm folgte Hamilton mit dem Commissar, und eine Anzahl von Neugierigen schloß sich dem Zuge an, um zu sehen, was die Sache für ein Ende nähme. So schritten sie langsam durch den Kurgarten dem kleinen viereckigen Regierungsgebäude zu, das dicht an der Brücke liegt, und der Gefangene schien selber nichts sehnlicheres zu wünschen, als diese Scene bald zu Ende gebracht zu sehen.
»Haben wir noch weit?« frug er einen der ihn escortirenden Leute.
»Oh bewahre,« sagte dieser, indem er mit dem ausgestreckten Arm auf das vor ihnen liegende Gebäude zeigte, »das ist das Haus.« In demselben Moment stieß er aber auch einen Schrei aus, denn ein schwerer Schlag, jedenfalls mit einem sogenannten »life preserver« geführt, schmetterte ihn bewußtlos zu Boden, während der Gefangene mit flüchtigen Sätzen über die schmale Brücke hinüber eilte.
Aber er hatte flüchtigere Füße hinter sich. Wie ein Tiger auf seine Beute, so schoß Hamilton hinter ihm drein, und noch ehe er das Ende der Brücke erreichte, streckte er schon den Arm aus, um ihn am Kragen zu packen. Da wandte sich der zur Verzweiflung getriebene Verbrecher, und einen Revolver vorreißend, drückte er ihn gerade auf die Brust seines Verfolgers ab.
Hamilton wäre verloren gewesen, aber zu seinem Glück versagte die Schußwaffe, und ehe Kornik zum zweiten Male abdrücken konnte, schmetterte ihn der Schlag des Polizeimanns zu Boden. Aber selbst damit begnügte sich dieser nicht, und mit einer ganz außerordentlichen Gewandtheit faßte er ihm beide Hände, legte sie zusammen und wenige Secunden später knackten die vortrefflichen Darbies oder Handschellen in ihr Schloß und er wußte jetzt, daß er seinen Gefangenen sicher hatte.
»Alle Wetter,« sagte der nachkeuchende Polizeicommissar, »das war doch gut, daß Sie schneller laufen konnten.«
»Wenn Sie meinem Rath gefolgt wären, konnte uns das erspart werden,« meinte Hamilton finster, »denn ich verdanke mein Leben jetzt nur einem schlechten Zündhütchen.«
»Er hat schießen wollen?«
»Dort liegt der Revolver – Sie sehen, daß Sie es hier mit einem gefährlichen Verbrecher zu thun haben.«
»Da wollen wir ihn doch lieber binden.«
»Bitte, bemühen Sie sich nicht weiter – er ist fest und sicher. Sein Sie nur so gut und lassen ihn jetzt durch Ihre Leute in festen Gewahrsam bringen.«
VII
Die gerettete Unschuld
Mr. Burton befand sich an dem Morgen in einer fast fieberhaften Aufregung, denn wie er schon lange jeden Glauben an die Mitschuld des armen – oh so wunderbar schönen Weibes abgeschüttelt hatte, gingen ihm andere Pläne wild und wirr durch den Kopf. Immer aufs neue malte er sich den Augenblick aus, wo er sie in seinem Arm gehalten, wo seine Lippen zum ersten Mal in Angst und Liebe die ihrigen berührt, und nur der Gedanke quälte ihn noch, in welchem Verhältniß sie zu dem unwürdigen Menschen gestanden haben, wie sie mit ihm bekannt werden konnte. Hatte er sie unter seinem falschen Namen getäuscht? – ihrer Familie heimlich vielleicht entführt? – alle ihre Klagen schienen darauf hinzudeuten, wie verworfen mußte er dann – wie elend sie, die arme Unschuldige, Verrathene sein? und war es da nicht seine Pflicht, – wo er wenn auch selber unschuldiger Weise, all diesen Jammer über sie gebracht – ihr auch wieder zu helfen so gut er konnte? Er schien fest entschlossen, und von dem Augenblick an fühlte er sich auch wieder ruhiger und zufriedener.
James Burton, kaum zum Mannesalter herangereift, war ein seelensguter Mensch mit weichem, für alles Gute und Schöne leicht empfänglichem Herzen. Er hatte dabei – in den glücklichsten und unabhängigsten Verhältnissen erzogen – noch nie Gelegenheit bekommen, den Täuschungen und Wiederwärtigkeiten des Lebens zu begegnen. Weil er selber gut und ohne Falsch war, hielt er alle Menschen für eben so rechtlich und brav, und selbst an Korniks Schuld hatte er so lange nicht glauben mögen, bis auch der letzte Zweifel zur Unmöglichkeit wurde. Wie leicht vertraute er da diesen lieben treuen Augen – wie glücklich fühlte er sich selbst, daß es ihm verstattet gewesen, jenem holden Wesen den Schmerz und die furchtbare Seelenqual erspart zu haben, von dem zwar geschickten und tüchtigen, aber auch vollkommen rücksichtslosen Polizeimann examinirt zu werden. Er schämte sich jetzt fast vor sich selber, daß er ihr auch nur verstattet hatte, ihren Koffer auszupacken – wie niedrig mußte sie von ihm denken! – aber er war ja auch gar nicht im Stande gewesen, sie daran zu verhindern, so leidenschaftlich erregt zeigte sie sich nur bei der Möglichkeit eines Verdachts. Aber natürlich – wenn er sich in ihre Stelle dachte, würde er genau so gehandelt haben.
Die Stunde, die sie erbeten hatte, um sich nur von den ersten furchtbaren Eindrücken der über sie hereingebrochenen Catastrophe zu sammeln, verging ihm in diesen Gedanken rascher, als er es selbst geglaubt. Gewissenhaft aber bis zur letzten Minute ausharrend, stieg er dann wieder zu ihr hinab, klopfte leise an, und sah sich dem zauberischen Wesen noch einmal gegenüber.
Zeit zum Aufräumen schien sie allerdings noch nicht gefunden zu haben, denn die umhergestreuten Sachen der beiden Koffer lagen noch immer so wild und wirr durch einander, wie er sie verlassen hatte. Aber wer mochte ihr das verdenken? Auch in ihrem leichten, reizenden Morgenanzug war sie noch; – wenn unsere Seele zerrissen ist, wie können wir da an den Körper denken?
Trotzdem schien sie sich gesammelt zu haben. Sie sah etwas bleich aus, aber sie war ruhiger geworden, und dem Eintretenden lächelnd die Hand entgegenstreckend, sagte sie herzlich:
»Oh wie danke ich Ihnen, daß Sie, um den ich es wahrlich nicht verdient habe, mir diese zarte Rücksicht gezeigt. In dem Gedanken fand ich auch allein meinen Trost, daß Gott mich doch noch nicht verlassen haben könnte, da er Sie mir zugeführt.«
»Verehrte – liebe Frau,« sagte Burton bewegt, »sein Sie unbesorgt. Wenn auch in einem fremden Lande, steht Ihnen doch jetzt ein Landsmann zur Seite, und ich habe mir nur erlaubt, Sie jetzt noch einmal zu stören, um mit Ihnen gemeinschaftlich zu berathen, welche Schritte wir am besten thun können, um – das Geschehene gerade nicht ungeschehen zu machen, das ist nicht möglich, aber Sie doch jedenfalls aus einer Lage zu befreien, die Ihrer unwürdig ist. Um mir das zu erleichtern, muß ich Sie aber bitten, mir Ihr volles Vertrauen zu schenken. Nur dann bin ich im Stande die Maßregeln zu ergreifen, die für Sie die zweckmäßigsten sein würden. Daß es dabei nicht an meinem guten Willen fehlt, davon können Sie sich versichert halten.«
»Mein volles Vertrauen soll Ihnen werden,« sagte die junge Frau, leicht erröthend – »aber bitte, setzen Sie sich zu mir, Sie sollen alles erfahren – und nun,« fuhr sie fort, während sich Burton neben ihr auf dem Canapé niederließ, indem sie ihre Hand auf seinen Arm legte – »erzählen Sie mir vorher ausführlich, wie Sie dem Verbrecher auf die Spur gekommen sind, und welche Hoffnung Sie jetzt haben, ihn seiner Strafe zu überliefern. Es ist das Einzige jetzt, worauf ich hoffen kann, daß sein Geständniß Ihnen beweisen muß, wie doppelt nichtswürdig er an mir selber dabei gehandelt.«
»Aber, verehrte Frau,« sagte Burton etwas verlegen – »schon vorher theilte ich Ihnen alles mit, und der Eindruck, den die traurige Erzählung auf Sie machte –«
»Vorher,« sagte die junge Frau – »und in der entsetzlichen Aufregung, in der ich mich befand, tönten die Worte nur wie Donnerschläge an mein Ohr – ich begriff wohl ihre Furchtbarkeit, aber nicht ihren Sinn und vieles ist mir dabei unklar geblieben – besonders, welche Spur Sie jetzt von dem Verbrecher haben, daß Sie hoffen können ihn einzuholen, und wer der Herr ist, der ihn verfolgt.«
Der Bitte, während diese Augen so treu und vertrauend in die seinen schauten, konnte Burton nicht wiederstehen. Es war ihm dabei sogar Bedürfniß geworden, sich – ihr gegenüber – seines bisherigen eigenen Verhaltens wegen zu rechtfertigen, wobei er hervorhob, daß er mit der Verfolgung der Dame eigentlich gar nichts zu thun und Lady Clive im Leben nicht gesprochen habe, noch persönlich kenne. Auch von dem Schmuck selber wußte er nichts, als was ihm Hamilton darüber beiläufig mitgetheilt.
»Und jetzt?« frug die junge Dame weiter, die der Erzählung mit der gespanntesten Aufmerksamkeit gefolgt war – »wo jener Betrüger – dem Gott verzeihen möge, was er an mir gethan, und wie er mich doppelt verrathen hat – wo jener Betrüger geflohen ist, haben Sie noch Hoffnung, ihn wieder zu ereilen?«
»Allerdings,« sagte Burton – »Mr. Hamilton, mein Begleiter, ist einer der schlauesten und gewandtesten Detectivs Englands. Er spricht drei oder vier verschiedene fremde Sprachen, und hat schon daheim die scheinbar unmöglichsten Dinge ausgeführt. Dieser Kornik hatte außerdem viel zu kurzen Vorsprung, um mich nicht fest glauben zu machen, daß ihn Hamilton ereilt, da er noch dazu die unbegreifliche Unvorsichtigkeit beging, von hier mit Extrapost zu fliehen. Wir finden das aber so oft im Leben, daß schlechte Menschen irgend ein Verbrechen mit der größten und raffinirtesten Schlauheit ausführen, und jede Kleinigkeit, jeden möglichen Zufall dabei berücksichtigen, und nachher, wenn ihnen alles nach Wunsch geglückt, sich selber auf die plumpste Weise dabei verrathen.«
»Aber ehe er ihn eingeholt hat, kehrt er nicht hierher zurück?«
»Ich glaube kaum,« sagte Mr. Burton, »doch fehlt mir darüber jede Gewißheit. Er wird mir unter allen Umständen in der nächsten Zeit schon telegraphiren, denn ich habe ihm versprechen müssen, hier zu bleiben, bis er zurückkehrt.«
»Und glauben Sie, daß er den Verbrecher, wenn er ihn einholen sollte – mit hierher bringt?«
»Ich zweifle kaum – aber auch darüber bin ich nicht im Stande, Ihnen eine bestimmte Auskunft zu geben. Nur davon dürfen wir überzeugt sein, daß Mr. Hamilton alles in der praktischsten Weise ausführen wird, denn er versteht sein Fach aus dem Grunde. Hat er die Spur gefunden, so ist Mr. Kornik auch verloren.«
Es schien fast, als ob die junge Dame um einen Schatten bleicher wurde – und wer konnte es ihr verdenken, daß ihr die Erinnerung an den Mann, der sie so furchtbar hintergangen, entsetzlich war? Endlich sagte sie leise:
»Wenn sich das alles bestätigt, was Sie mir erzählt, verehrter Herr – und ich kann kaum mehr daran zweifeln, dann verdient er die Strafe, die ihn erreichen wird, im vollem Maße. Aber wie er auch Ihr Haus betrogen und hintergangen haben mag, es ist nichts im Vergleich mit dem, was er an mir und meinem zukünftigen Leben verbrochen.«
»Aber wie konnte er Sie so lange täuschen?« frug Burton und erröthete dabei fast selber über die Frage.
»Du lieber Gott,« seufzte die Unglückliche – »was weiß ein armes unerfahrenes Mädchen von der Welt? Er kam in meiner Eltern Haus, in das ihn zuerst mein Bruder eingeführt – es mögen jetzt zwei Monate sein – und sein offenes, heiteres Wesen gewann ihm mein Herz – sein angemaßter Rang schmeichelte meiner Eitelkeit. Er erzählte mir dabei von seinen Gütern in Polen, und wie glücklich – wie selig ihn mein Besitz machen würde, und ich – war schwach genug, es ihm zu glauben. Aber mein Vater verweigerte seine Einwilligung. Er kannte die Menschen besser, als seine thörichte Jenny. Er verlangte von Kornikoff den Ausweis eines hinreichenden Vermögens sowohl, wie die Erlaubniß seiner eigenen Eltern zu unserer Verbindung, und dieser, ungeduldig und stürmisch, drang in mich, mit ihm zu fliehen.«
Jenny barg beschämt ihr Antlitz in ihren Händen und James Burton hörte der Erzählung mit einiger Verlegenheit schweigend zu. Er hätte das liebliche Wesen so gern getröstet, aber es fielen ihm in diesem Augenblick um die Welt keine passenden Worte dafür ein und es entstand dadurch eine kurze peinliche Pause. Endlich fuhr die junge Frau, aber jetzt tief erröthend, fort:
»Schon unterwegs fing ich an, an dem Charakter meines Bräutigams zu zweifeln. Wir entkamen glücklich auf einem Dampfer, der nach Hamburg bestimmt war, und er hatte mir versprochen, daß jenes Fahrzeug in Helgoland anlegen würde, wo wir uns trauen lassen könnten – aber es legte nicht an, und in Hamburg, wo er ausging, um einen Geistlichen zu suchen, wie er sagte, kehrte er ebenfalls unverrichteter Sache zurück, versicherte mich aber, er habe bestimmt gehört, daß wir hier in Frankfurt – einer freien deutschen Stadt – unser Ziel leicht erreichen könnten. Ich folgte ihm auch hierher – immer noch als Braut – nicht als Gattin« – setzte sie mit leiser, kaum hörbarer Stimme hinzu – »und ich danke jetzt Gott, daß ich standhaft blieb und meinem guten Engel mehr folgte als jenem Teufel.«
Es wäre unmöglich, die Gefühle zu schildern, die James Burtons Seele bei dieser einfachen und doch so ergreifenden Erzählung bestürmten; sein Herz schlug hörbar in der Brust, und fast seiner selbst unbewußt, ergriff er mit zitterndem Arm die Hand seiner Nachbarin, die sie ihm willenlos überließ.
»Gott sei Dank,« flüsterte er endlich mit bewegter Stimme – »so brauche ich mir auch länger keine Vorwürfe zu machen, denn unser Erscheinen hier war ja dann nur zu Ihrem Heil.«
»Ihnen verdanke ich meine Rettung,« sagte da Jenny herzlich, und wie sie sich halb dabei zu ihm überbog, umfaßte er mit seinem Arm die bebende Gestalt des Mädchens. Aber nicht einmal auf ihre Stirn wagte er einen Kuß zu drücken, aus Furcht sie zu beleidigen, und sich gewaltsam aufrichtend, rief er leidenschaftlich bewegt aus:
»Dann ist auch noch alles, alles gut. Trocknen Sie Ihre Thränen, mein liebes, liebes Fräulein – die Versöhnung mit Ihren Eltern übernehme ich – übernimmt mein Vater, Sie kehren zu ihnen zurück und die Erinnerung an das Vergangene soll eine fröhliche Zukunft Sie vergessen machen.«