Kitabı oku: «Kontakt und Widerstand», sayfa 2

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Das gilt auch und sogar in noch stärkerem Maß für Paul Goodman. Heute, nachdem Goodmans literarische und politisch-philosophische Arbeit fast völlig in Vergessenheit geraten ist, ist es nur eine Frage der Zeit, wann er wieder für das, was er war und ist, anerkannt wird: nämlich als eine der einflussreichsten kritischen intellektuellen Stimmen in der Mitte unseres Jahrhunderts in Amerika und einer der vorbildlichsten Literaten. Es war – um einen Vorgriff auf den nachfolgenden Text zu wagen – ein unendlich großer Verlust für die Gestalttherapie und tragisch für unsere Zeit, dass Goodman nicht lange genug lebte, um seine brillante Eloquenz und sein umfassendes intellektuelles Wissen im Hinblick auf die verschiedenen Probleme (oder die verschiedenen Manifestationen des gleichen Problems) des Individuums in der Gesellschaft unserer Zeit zum Tragen zu bringen. Es gerät heute leicht in Vergessenheit, dass Goodman als prophetischer Kritiker zu seiner Zeit keineswegs eine einsame Stimme in der Wüste war. Im Gegenteil, er beeinflusste die gesamte Bandbreite der Befreiungsbewegungen der Fünfziger- und Sechziger-Jahre auf sehr umfassende und direkte Weise – einschließlich der Bewegung zur Befreiung der Psychotherapie von der schalen Begrenztheit Freudscher Ausbildungsinstitute (die heute teilweise wegen des konkurrierenden Einflusses des Gestaltmodells viel weniger schal sind). Er prägte schließlich die Gemüter einer ganzen Generation, die im Gegensatz zu den gesamten autoritären Kräften jener Tage ihre eigene innere Abscheu gegen einen obszönen Krieg wandte. Wenn Goodman zur Zeit der Entstehung dieses Buches noch gelebt hätte, wäre er lediglich so alt wie Präsident Reagan. Diesen Vergleich auch nur auszusprechen, heißt, das anzuprangern, was diese Gesellschaft in der Lage ist, ihren besten Männern und Frauen anzutun.

Und nun ein allerletztes Wort über die geschlechtsspezifische Sprache in diesem Buch. Die Menschen haben, von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen, eindeutig das eine oder andere Geschlecht. Die englische Sprache versorgt das weibliche Genus mit einer Reihe eigener Pronomen, während das männliche Genus sowohl für das männliche Geschlecht als auch für das Kollektiv und manchmal für unpersönliche Fälle steht. Wem dies letztlich am meisten zum Nachteil dient, ist unklar, wie bei so vielen Dingen der Genus-Politik. Die Schwerfälligkeit der Wiederholung von »er oder sie«, »sein oder ihr« usw. wird bereits in dieser Einführung deutlich. Die Verwendung von sie und ihre für das unpersönliche man ist auch verwirrend und inakzeptabel. Mit Entschuldigungen an alle Seiten und in der Hoffnung auf bessere Zeiten für die Sprache und für die Kultur folgt dieser Text der unbefriedigenden traditionellen Praxis in der Verwendung von er, sein und seinem, um sowohl den maskulinen als auch den generellen Fall auszudrücken.

Wie jedes andere Buch ist auch dieses Buch eine Unterhaltung oder die eine Seite einer Unterhaltung, die im Geist des Lesers fortgesetzt wird und die dann, wenn der Autor Glück hat, in irgendeiner Form der Erwiderung vervollständigt werden kann. Aber dieses Gespräch ist aus vielen vergangenen Gesprächen erwachsen, die den Grund für diese Figur beeinflusst und organisiert haben. Mein Dank gilt den folgenden Gesprächspartnern – Lehrern, Studenten, Kollegen und Freunden – für ihre kreative Zustimmung oder ihren Widerspruch, ihre Herausforderung und Unterstützung, die alle die gegenwärtige Kontaktfigur durchdrungen haben: Anne Alonso, Norm Berkowitz, Rennie Fantz, Isadore From, Murray Horwitz, Michel Katzeff, Frank Kelly, Carolyn Lukensmeyer, Bert Moore, Ed Nevis, Sonia Nevis, Bernie O’Brien, Patricia Papernow, Erv Polster, Jean-Marie Robine, dem verstorbenen Bill Warner, Joseph Zinker und Walter Grossmann, Mentor und lebendiges Modell des Goodmanschen Ideals eines leidenschaftlichen Intellektuellen und eines vollendeten Menschen; und am meisten von allen gilt mein Dank meiner professionellen Geprächs- und Lebenspartnerin Beverly Reifman.

Gordon Wheeler

1. Kapitel
Der Hintergrund in der Gestaltpsychologie
Gestalt und das Assoziationsmodell

Der Legende zufolge wurde die Gestaltpsychologie im Jahre 1910 irgendwo zwischen Hannover und Frankfurt in einem Eisenbahnzug erfunden (das genaue Datum und die Stunde könnten zweifellos rekonstruiert werden), als der Psychologe Max Wertheimer über das optische Verhalten der Leitungen und Masten des Telegrafensystems nachsann, das parallel zum Schienenstrang verlief (Wertheimer 1964). Je nachdem, ob der Zug schneller oder langsamer fuhr, erschienen die Masten zunächst als das, was sie waren (das heißt einzelne Masten in einer Reihe), dann als ein einziger Mast, der in einer Wellenbewegung vor- und zurücktrat, und dann wieder als ein einziger Mast, der an einem bestimmten Punkt außerhalb des Fensters zu gefrieren schien, während die Drähte selbst das Aussehen eines feststehenden Drahtes annahmen, der auf und ab wippte. Immer noch der Legende nach verließ Wertheimer in Frankfurt den Zug, ging in ein Spielwarengeschäft und kaufte ein Kinder-Stroboskop, um diese bekannten, aber merkwürdigen Effekte besser untersuchen zu können, da sie von der vorherrschenden Reflex-Lehre oder Assoziationspsychologie überhaupt nicht gut erklärt werden konnten. Das Ergebnis war zwei Jahre später der Text: »Experimentelle Studien über das Sehen von Bewegungen« (Wertheimer 1912), in dem er das Konzept eines »Phi«-Phänomens oder eines integrativen Prinzips darlegte, durch das der Organismus einzelne serielle Sinneseindrücke in eine einheitliche Wahrnehmung oder kontinuierliche Bewegung übersetzt; und so wurde die Gestalt-Schule geboren.

In Wirklichkeit verlief die Entwicklung natürlich viel allmählicher, mit einigem Auf und Ab, wie es bei theoretischen Durchbrüchen immer der Fall ist – sie war viel atomistischer oder »assoziativer« im Gegensatz zu diesem sehr gestaltmäßigen Mythos eines einzigen Augenblicks Newtonscher Einsicht. Das Problem atomisierter versus kontinuierlicher Wahrnehmung geht mindestens bis zu Zeno im fünften Jahrhundert vor Christus zurück, mit dessen berühmtem Paradox von der Schildkröte und dem Hasen (da sich die Schildkröte immer weiter vorwärts bewegt, wie langsam auch immer, während der Zeit, die der Hase braucht, um dahin zu gelangen, wo die Schildkröte vorher war, kann er die Schildkröte rein logisch gesehen scheinbar nie überholen). Die Schwierigkeit besteht hier in der scheinbaren Unvereinbarkeit von fragmentierten und kontinuierlichen Prozessen, ganz gleich wie klein die Fragmente sind, in die man das betreffende Wahrnehmungsphänomen zergliedert (wie das Assoziationsmodell es vorhatte). In der Mathematik wurde dieses Problem theoretisch erst nach ein paar tausend Jahren durch die Erfindung der Differentialrechnung durch Newton und Leibniz gelöst – also durch die Mathematik kontinuierlicher Funktionen. In der Psychologie geht die Verwendung des Begriffs »Gestalt« selbst – für diese und andere Probleme des assoziativen Ansatzes – auf v. Ehrenfels im Jahr 1890 zurück (es war auch v. Ehrenfels, der die Begriffe »Figur« und »Grund« in die Wahrnehmungspsychologie einführte, s. Koffka 1935). Mach selbst, der gewöhnlich als Begründer der modernen Psychologie angesehen wird, war nicht nur mit den »reinen assoziativen« oder Reiz-Reaktions-Mustern in seiner Forschung beschäftigt, sondern auch mit der umfassenderen Frage, wie es kommt, dass die Dinge uns so erscheinen, wie sie es tun (Petermann 1932, 3). In ähnlicher Weise widmeten sich Schumann (1900), Müller (1923), Krüger (1913, 1915) und besonders Martius (1912) alle der Qualität der »Ganzheit« in der Wahrnehmung und kritisierten auf verschiedene Weise die »atomistische« Theorie, die besagt, dass Wahrnehmung nur die Summe einer Reihe einzelner Stimuli sei, von denen jeder vermutlich eine bestimmte Gehirnzelle oder mehrere Zellen aktivieren würde – und verwendeten solche vereinheitlichenden Begriffe wie »Produktion«, »Kohärenz-Theorie«, »Komplexqualität« und sogar »Gestaltqualität«. Exner schrieb 1894 (im gleichen Jahr also, in dem Freud zum ersten Mal die »Abwehrmechanismen«, eine weitere »ganze Konfiguration« der Funktionsweise erwähnte, mit der ich mich eingehend in den nächsten Kapiteln befassen werde) folgendes: »Der ganze Eindruck, der durch ein Bild erzeugt wird, das über die Retina blitzt, wird durch die Erregung unzähliger und funktional unterschiedlicher Fasern ausgelöst. Dass wir trotzdem einen einheitlichen Eindruck gewinnen, in welchem die getrennten Sinneswahrnehmungen unbemerkt bleiben, ist in dem begründet, was ich das Prinzip zentraler Konfluenz nennen würde« (Exner 1894, 201). Exners »zentrale Konfluenz« kommt dem Phi-Phänomen von Wertheimer zwanzig Jahre später sicherlich sehr nahe.

Nach den Vorstellungen der »Wundt-Schule« oder der reinen Assoziationstheorie, die zur Jahrhundertwende vorherrschte, sollte Wahrnehmung folgendermaßen vor sich gehen: Ein bestimmter, unterscheidbarer Reiz in der Umgebung – sagen wir eine bestimmte Frequenz und Intensität von Licht, die von einem bestimmten Objekt ausgesandt wird und mit physikalischen Geräten messbar ist – trifft in einem bestimmten Winkel und mit einer bestimmten Energie auf die Retina. Dies löst Schritt für Schritt eine weitere neurologische Sequenz aus, die wiederum zu der Stimulierung einer bestimmten Gehirnzelle oder einem Muster von Zellen führt, welche dann entweder das geistige Bild »produzieren« oder irgendwie selbst dieses Bild »sind« (das Modell ist an dieser entscheidenden Stelle ein wenig unklar; siehe die Diskussion bei Koffka 1935; auch Köhler 1947). Die Theorie ist also in zweierlei Hinsicht »reduktionistisch«: Das heißt, das geistige Ereignis kann ganz exakt auf physische Ereignisse »außerhalb« reduziert werden und vice versa. Theoretisch zumindest sollte es also eine Eins-zu-Eins-Entsprechung zwischen äußerem Objekt und innerem Bild geben (oder zumindest zwischen innerem Bild und dem, was die Assoziationspsychologen den »unmittelbaren Reiz« nannten, in diesem Fall also das tatsächliche Maß und die Qualität des Lichtes, das auf die Oberfläche der Retina traf – da das »Ding an sich« als Reiz unter den unterschiedlichen Bedingungen des Lichts, der Distanz, der Luftqualität, der Bewegung usw. variieren kann).

Auf die Frage, wie eine endliche Zahl von Zellen der Netzhaut solch ein erstaunlich großes Spektrum von geistigen Bildern hervorbringen kann, ist die Antwort der Assoziationstheoretiker: durch eine Neukombination und Permutation unabhängiger Elemente, d.h. Zellen. Ein Bild zur Veranschaulichung könnte etwa das Telefonnetz einer großen Stadt sein, bei dem die Neukombination von lediglich zehn einfachen Reizelementen in einheitlich variierenden kleinen Ketten von jeweils sieben Elementen verantwortlich ist für alle Telefonverbindungen, sagen wir, von New York City mit ihren vielen Millionen verschiedener Möglichkeiten, ganz abgesehen von den möglichen funktionalen Erweiterungen, Konferenzschaltungen, Ruf-Weiterschaltungen, Wartepositionen, ja sogar Vermittlungshilfen und anderen Möglichkeiten, um die Ketten selbst neu miteinander zu verbinden. Wenn man drei weitere Elemente hinzunimmt, kann man ganz Nord-Amerika erfassen; noch einmal etwa fünf weitere Elemente, und man hat die ganze Welt versorgt. Auf diese Weise ist es möglich, wie die Assoziationstheoretiker behaupten, Konstrukte und komplexe Erinnerungen, sogar abstrakte Ideen und Problemlösungsmuster aus einer begrenzten Zahl einfacher einheitlicher und voneinander unterscheidbarer »Bausteine« durch komplexe Neukombinationen aufzubauen, ohne vage und tautologische »Geister in der Maschine« einführen zu müssen, die erklären, wie die Elemente sich organisieren.

Bei solchen Annahmen ist es natürlich, dass sich viele Laborforschungen nach diesem Paradigma auf die Phrenologie konzentrierten: Das heißt, wo genau im Gehirn könnten die Pfade und speziellen Zellen gefunden werden, in denen die einzelnen Sinneseindrücke »aufbewahrt« wurden, und wie wurden diese Zellen nach dem Reiz-Reaktions-Muster mit anderen kombiniert (vgl. die Diskussion dieser Art von Metaphorik als Forschungsorientierung in der Assoziationstheorie bei Goldstein 1939, 1940; auch bei Koffka 1935, bes. Kap. III). Viel von dieser Arbeit wurde, wie Goldstein hervorhob (1939) dann auch gar nicht in vivo durchgeführt, sondern beschäftigte sich mit Reaktionsmustern des Nervengewebes in vitro oder mit den Nervenreaktionen hirntoter Tiere, deren Gehirne entrindet worden waren und die tatsächlich die Art reiner »reizgebundener« Reaktionsmuster des assoziativen Modells demonstrierten, ganz ähnlich, wie sie Goldstein später bei bestimmten hirngeschädigten Kriegsveteranen im vorderen Hirnlappen finden sollte. Auf diese Weise tendierte das Arbeitsparadigma, wie immer in der Wissenschaft, dazu, den Forschungsansatz zu steuern – ein Phänomen, das übrigens durch die Gestaltspsychologie am besten erklärt werden kann. Die zugrundeliegenden Annahmen des Modells, die oft nicht überprüft werden, bestimmen auf fragwürdige Weise die Bedingungen und Vorgehensweisen der Forschung und die Art von Fragen, die gestellt werden – und daher auch die Befunde, die dann das Modell bestätigen. Dass die Gestaltforschung selbst dieser Art von ungeprüften Annahmen gegenüber nicht immun war, wird in der folgenden Erörterung deutlich werden.

Das Problem jedoch mit dieser Art eines »Netzwerk«- oder »Schaltkreis«-Modells als Erklärungsmetapher in der Assoziationstheorie ist, dass man sich das Gehirn nicht so vorstellen darf, dass es nur das Telefonnetz enthält mit seinen vielen tausend Kilometern Kabel und den verschiedenen Schaltfunktionen, sondern dass man in gewisser Hinsicht auch alle Telefonkunden mitdenken muss; nicht nur die Schaltungen, sondern die Botschaften, die durch diese Drähte gehen, die Gespräche, Bilder, Prozesse, Interaktionen, all diese sind auch irgendwie »im« Gehirn, und zwar scheinbar in einer organisierten und steuerbaren Weise. An diesem Punkt bricht die Assoziationsmetapher zusammen, und man ist geneigt zu fragen, wie man von solch einer vereinfachten und offensichtlich naiven Auffassung des geistigen Lebens jemals erwarten konnte, dass sie brauchbare und vollständige Erklärungen hervorbringen könnte für komplexe abstrakte, geistige Funktionen, die weit abseits von irgendwelchen »unmittelbaren Reizen« auf einer qualitativ anderen Ebene stattzufinden scheinen.

In aller Fairness muss gesagt werden, dass das ursprüngliche Modell selbst, trotz einiger überzogener Forderungen neuerer Behavioristen, wahrscheinlich niemals solche Ansprüche erhob. Die Assoziationstheorie war, ursprünglich zumindest, vor allem der Versuch, mit einigem tautologischen oder »mentalistischen« Ballast aufzuräumen, den die Psychologie von der Philosophie her mitgeschleppt hatte, deren Zweig sie bis noch vor einem Jahrhundert immer war (vor allem mit ihren aristotelischen Konstrukten, die Bewegungen der Motilität zuschrieben, Zweck der Zweckhaftigkeit, Willen der Intentionalität usw.). In ihrem Versuch, von der endlosen Erzeugung von Zirkelschlüssen wegzukommen, waren sich die Assoziationstheoretiker (wie die vorigen Zitate zeigen) selbst einiger der Begrenzungen ihrer eigenen Theorie sehr wohl bewusst (s.a. Mandler & Mandler 1964) und brachten ständig eigene Konstrukte zweiter und dritter Ordnung hervor wie z.B. Lernen, Erfahrung, Interpretation, selektive Aufmerksamkeit und Emotionalität, um die offensichtlichen Transformationen von Sinnesdaten nach ihrem »Eintritt« in das Nervensystem zu erklären (Koffka 1935). Wenn sich das Modell dennoch so lange halten konnte (vgl. Petermann 1933, der wahrscheinlich den letzten Versuch unternahm, es systematisch zu verteidigen), dann geschah dies wahrscheinlich aus vorwiegend zwei Gründen. Der erste liegt in der schlichten Tatsache, dass Empfindung, Wahrnehmung und Denken offensichtlich auf irgendeine Weise mit der Welt »realer« externer Reize verbunden sein müssen, weil sonst schwer einzusehen ist, wie der Organismus jemals erfolgreich mit der Umgebung, wenn auch auf unvollkommene Weise, interagieren können sollte. Und der zweite Grund besteht in den wissenschaftlich-philosophischen Verbindungen zwischen dem Assoziationsmodell und der Newtonschen Physik, die solch eine einfache und befriedigende Reduktion der komplexen Erscheinungswelt auf einige wenige grundlegende Kräfte und Partikel ganz nach dem Paradigma der Assoziationstheorie anbot. Wenn man nach dem Newtonschen Modell zumindest theoretisch jemals damit fertig würde, die genaue Position und Geschwindigkeit auch des letzten einzelnen Partikels des Elementarstoffs im Universum zu katalogisieren – dann wüsste man folglich wenigstens potentiell nicht nur alles, was irgendwo zu einer bestimmten Zeit im Universum geschieht, sondern auch alles, was jemals geschah und geschehen wird. Praktisch gesprochen würde man natürlich niemals alle Koordinaten auflisten können. Jedenfalls gäbe es aber kein theoretisches Hindernis gegenüber totalem Wissen, nur eines der Zeit und der Ressourcen. Kurz gesagt, die Geheimnisse des Universums wären aufgeschlüsselt, und der Mensch würde sich hinsichtlich der physischen Welt schnell auf eine Position der Allwissenheit zubewegen. Wenn die geistige Welt dann auch noch erobert werden könnte, wäre diese Position wahrlich gottähnlich.

Die verführerische Kraft dieses Eroberungs- und Steuerungsmodells ist offensichtlich; selbst heute noch können wir es als einen berauschenden, wenn auch verlorenen Traum nachempfinden. Verloren, weil die Physik selbst, die die frühen Psychologen (und auch einige nicht so frühe) als ihren Prüfstein und ihren Führer nahmen, bereits damals ironischerweise fast hinweggeschwemmt wurde, und zwar zunächst durch die allgemeine Relativitätstheorie nach der Jahrhundertwende und dann in noch niederschmetternderer Weise in den zwanziger Jahren durch Heisenbergs Unschärferelation, die beide für sich den Nachweis beanspruchten, dass solch ein absolutes Wissen seiner eigenen Natur zufolge unerreichbar sei.

Trotzdem und ungeachtet der Ungereimtheiten des Assoziationsmodells, auf das die Gestalt-Schule so heftig reagieren sollte, war es dennoch dieses Paradigma, das für die ungeheure Produktivität der behavioristischen Schule in all ihren vielfältigen Verzweigungen einschließlich der Anwendungen auf Psychotherapie in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts unmittelbar verantwortlich war. Ein starker Irrtum (wie Aquin sagte und wie Paul Goodman ihn in seinen Arbeiten, die ich in den folgenden Kapiteln erörtern werde, gern zitierte) ist immer besser als eine schwache Wahrheit; und nirgends ist dies offensichtlicher als in der wissenschaftlichen Forschung. Die Gestalt-Schule beanspruchte dagegen jene dritte Möglichkeit, nämlich eine starke Wahrheit erfasst zu haben, deren Konsequenzen ich im folgenden erörtern werde.

Die Gestalt-Schule – frühe Arbeiten

Wertheimers ursprünglicher Aufsatz von 1912 wich rückblickend betrachtet trotz alledem nicht allzu sehr von den Prinzipien der Assoziationstheorie ab. Zwar identifizierte er einen spezifischen »einheitlichen Prozess« – das Phi-Phänomen –, durch den die einzelnen Reize innerhalb des Subjekts in ein kontinuierliches Bild übersetzt wurden; und in dieser Hinsicht kann man sagen, dass er sich von der reinen »reizgebundenen« Position wegbewegt hatte. Aber diese »einheitlichen Prozesse« wurden selbst »in besonderer Weise auf der Grundlage einer einzigen Erregung konstruiert« (Wertheimer 1912). Dies ist mit anderen Worten wieder Exners zentrale Konfluenz, eine Art Verschmelzung (oder ein »Kurzschließen«, wie Wertheimer es ausdrückte) von einzelnen Erregungen des Rezeptors. Das heißt, die Betonung und die Steuerung in der Wahrnehmung wird immer noch den externen Reizen und ihren entsprechenden Eins-zu-Eins-Erregungen zugesprochen, die dann auf einem bestimmten Energieniveau »einen Sprung machen« und sich sozusagen in dem Kreislauf des Empfänger-Subjekts selbst vermischen. Dies ist wiederum wie bei vielen der einfacheren Modelle der Assoziationstheorie eine Sichtweise, die in vieler Hinsicht dem Alltagsverständnis entspricht: Das, was ich sehe, ist offensichtlich auf bestimmte und recht abhängige Weise mit dem verknüpft, was »da draußen« gesehen werden kann. Wie sonst könnte meine Welt so praktisch funktionieren, wie sie es tut? Beispielsweise steuere ich hauptsächlich mit meinen Augen; ich falle selten hin und fahre auch nicht gegen einen Baum. Mein Nervensystem »nimmt« daher das »auf« und verarbeitet es, was mehr oder weniger »dort« ist – wie die Assoziationstheoretiker behaupten. Die Frage ist nicht, ob dies geschieht, sondern wie es geschieht. In dieser Hinsicht hatte Wertheimer 1912 noch keinen sehr großen Schritt über die anerkannte Erklärung der Assoziationstheoretiker hinaus getan.

Aber es gab da einen kleinen Unterschied, und um diesen kleinen Unterschied hinsichtlich einer etwas komplexeren Rolle des Subjekts herum – wenigstens was die Erklärung der Wahrnehmungsprozesse gegenüber dem vorherrschenden Modell betraf – entwickelten sich rasch eine neue Denkrichtung und ein neuer Arbeitszusammenhang. Die jungen Psychologen Wolfgang Köhler und Kurt Koffka vereinten ihre Kräfte mit denen Wertheimers zunächst in Frankfurt und später in Berlin und begannen bald zusammen mit ihren Studenten und Schülern, eine Reihe von Schriften herauszubringen sowie Experimente und Argumente zu entwickeln, die alle das Ziel hatten, die viel größere Aktivität des »passiven« wahrnehmenden Subjekts hervorzuheben, als dies zuvor angenommen wurde, und die Unterordnung all dieser Aktivitäten unter bestimmte allgemeine Prinzipien der Organisation zu skizzieren. Sie gingen über die ursprüngliche Behandlung der Wahrnehmung kontinuierlicher Bewegung und des Phi-Phänomens hinaus und verlagerten ihren Fokus auf die allgemeinere Frage der Konfiguration selbst: Das heißt, wie kommt es, dass wir überhaupt »Dinge« in eigenständiger und abgrenzbarer Weise sehen, wie wir es normalerweise tun, aus der visuellen Kakophonie von Lichtreizen, die auf uns im Augenblick des Öffnens unserer Augen eindringen? Wie kommen wir, besonders in ungewöhnlichen (und daher, nahm man an, veranschaulichenden) Fällen wie zum Beispiel optischen Illusionen, Einschätzen der Größe und des Abstands oder begrenzter Sichtbarkeit und Skizzenhaftigkeit zu Gesamteindrücken von Dingen aus diesem Beschuss »ursprünglicher« Reize? In einer außerordentlich fruchtbaren, paradigmatischen Veränderung war die Antwort Wertheimers, dass eben dies nicht geschieht. Es sind gar nicht, so argumentierte er, die »ursprünglichen« Reize, die von den Wahrnehmungsorganen »aufgenommen« werden, sondern vielmehr die ganzen Konfigurationen. Im Hinblick auf den wahrnehmenden Organismus heißt das, dass das »sinnvolle Ganze« der Reiz ist (Wertheimer 1959). Von daher kommt das berühmte Gestalt-Diktum (Koffka 1935), dass das Ganze den Teilen vorausgeht. Diese ganzen Konfigurationen oder »Figuren« (um Ehrenfels’ Terminologie zu benutzen, die von der Gestalt-Schule übernommen wurde) können dann in untergeordnete Teile aufgegliedert oder analysiert werden; aber diese Teile haben selbst die gleichen Merkmale der Figur vor einem Grund – das heißt der ganzen Konfiguration: Wäre dem nicht so, könnten wir sie nicht »sehen«; das ist es, was »sehen« bedeutet. Wenn die ganze Konfiguration bruchstückhaft oder unterbrochen oder sonst irgendwie unvollständig ist, neigt das Subjekt dazu, dennoch das Ganze zu sehen (Köhler 1922; Wertheimer 1925) oder etwas zu unternehmen, um die fehlenden Teile zu ergänzen, oder es erfährt eine messbare Spannung und subjektive Frustration. Auf diese Weise sind wir »verdrahtet« (um eine spätere kybernetische Metapher zu verwenden); unter normalen Umständen rufen isolierte »ursprüngliche« Reize bei den Subjekten organisierte Reaktionen hervor, die über dem Niveau des »reinen Reflexes« oder Zuckens liegen (Goldstein 1940); »höhere«, besser organisierte Reaktionen können auch nicht aus den elementaren Zuckungen, die nach dem berühmten Bild des Assoziationsmodells aufgefädelt wären wie »Perlen auf einem Faden«, »aufgebaut« werden (Koffka 1935). Organisation, organisierte Figur, ist der ursprüngliche »Baustein« der Wahrnehmung und der Reaktion des Subjekts auf den Wahrnehmungsreiz. Daher sollte sich die Aufmerksamkeit der Forschung auf diese organisierte Figur – ihre Analyse, ihre Merkmale, ihre Gestalt, Struktur und Auflösung – richten.

An dieser Stelle sollte erwähnt werden, dass es in dieser frühen Phase der Gestalttheorie noch etwas unklar bleibt, ob die »organisierten Ganzheiten«, über die wir sprechen, »in« der Natur oder »in« dem Wahrnehmungsorganismus, also in der Struktur des Nervensystems selbst (oder vielleicht, wie wir heute eher sagen würden, in der Wechselbeziehung dieser beiden) gefunden werden. Mit anderen Worten – um die Richtung der nachfolgenden Gestaltforschung vorwegzunehmen (z.B. Lewin 1926) –, ist es das eigene Interesse des Subjekts oder irgend ein anderer subjektiver Drang, der bestimmte Formen, bestimmte Figur-Grund-Zergliederungen aus einem Feld organisiert, das für sich genommen fast unendlich formbar ist? Oder sind die Wahrnehmungsstrukturen, die Gestalten (im Original deutsch; Anm. d. Übers.), über die wir hier sprechen, bereits in der Umgebung vorgegeben?

Hinsichtlich dieser Frage blieb Wertheimer selbst für den Rest seines Lebens mehr oder weniger unschlüssig (Wertheimer 1961; Köhler 1959). In dieser frühen Phase seiner eigenen Forschung neigte Wertheimer mit seinen Kollegen sicherlich dazu, den Akzent bei dieser Interaktion auf die Seite der Umwelt zu legen. Ein großer Teil der Forschungsenergie wurde daher in die Bemühung investiert, die verschiedenen Merkmale und Eigenschaften der Gestalt oder des Figur-Grund-Prozesses abzugrenzen. In diesem Prozess brachte vor allem Wertheimer eine scheinbar endlose Reihe von »Gesetzen« über das »Verhalten« der Wahrnehmungsgestalten hervor. Die Gesetze der Nähe, der Gleichheit, der Geschlossenheit sowie die Prinzipien der Klarheit, Bestimmtheit, Einheit, Begrenztheit und Trennung, ja sogar abstrakte Kategorisierung selbst (was jedoch kein Erklärungsprinzip nach der Sichtweise der alten »mentalistischen« Konstrukte, wie ich sie oben erörterte, zu sein scheint) – all diese wurden zu unterschiedlichen Zeiten postuliert, und es wurden Versuche unternommen, sie in dem Bemühen zu messen (Köhler 1920, Koffka 1930), zu quantifizierbaren und voraussagbaren Regeln zu gelangen, wann eine gegebene Serie »ursprünglicher« Reize in der Umgebung zu einer Wahrnehmungsgestalt »zusammenfließt« und wann nicht. All diese Prinzipien in Wertheimers Modell (Köhler 1920, Petermann 1932) wurden dem Gesetz der Prägnanz untergeordnet, welches schlicht beinhaltete, dass die Wahrnehmung zu einer organisierten Form hin tendiert und dass die Organisation so »gut (d.h. einfach, kohärent) [ist], wie es unter den gegebenen vorherrschenden Umweltbedingungen möglich« ist (Koffka 1935, 110). Mit anderen Worten: die Ökonomie der Organisation, die bestmögliche Bedeutung oder Information in der einfachsten strukturellen Form. Die Übersetzung solcher Abstraktionen in objektive, quantifizierbare Maßeinheiten würde selbstverständlich eine schwierige, wenn nicht unlösbare Aufgabe darstellen.

Im Rückblick muss man sagen, dass diese ganze Forschungsrichtung, die uns heute als auf seltsame Weise von einem assoziationistischen oder sogar »mentalistischen« Geist durchzogen erscheinen mag, im großen und ganzen eine Sackgasse war. Trotz des farbigen Spektrums interessanter und sogar überraschender Wahrnehmungsprobleme, die heute normalerweise mit dem Namen Gestalt verbunden werden, gelang es Wertheimer und seinen Kollegen niemals, jenes Ziel quantifizierbarer Ergebnisse zu erreichen, von dem sie hofften, dass es ihre Psychologie auf das Niveau der »harten« Wissenschaften heben würde (Köhler 1947; Petermann 1932). Der Grund für diesen Fehlschlag lag in der tautologischen Natur der verschiedenen »Gesetze« und Aussagen selbst. Nehmen wir beispielsweise das übergreifende Gesetz der Prägnanz, von dem sich die anderen Gesetze ableiten lassen sollten. Indem die Gestalt-Schule behauptete, dass Wahrnehmungen organisierte Konfigurationen sind, nahm sie eine Verallgemeinerung von Daten vor, die zu einem großen Teil zumindest qualitativ verifizierbar waren. Indem sie von dieser Aussage auf das »Gesetz« schlossen, dass diese Konfigurationen »so gut wären, wie es die Umweltbedingungen erlaubten«, wurde implizit das Versprechen der Messbarkeit hinzugefügt. Aber was ist »gut«, und welches sind diese »vorherrschenden Bedingungen«? In der Praxis erwies es sich als unmöglich, diese Konzepte experimentell zu überprüfen, (außer was die Ergebnisse selbst betraf, d.h. die besondere Auflösung in Figur und Grund, die tatsächlich erreicht wurde). D.h., die abhängige Variable (»gute Gestalt«), die sich dem »Gesetz« zufolge mit der unabhängigen Variable (»vorherrschende Bedingungen«) verändern sollte, konnte nur in den Begriffen jener Bedingungen definiert werden und vice versa. Von der Absicht her sollte sich »gut« auf einen Zustand minimaler Energie beziehen (Köhler 1920; 1922) – in Analogie natürlich zu jenen bevorzugten Zuständen physikalischer Systeme, auf die die frühen Gestalttheoretiker ihr eigenes Modell zu gründen hofften. Diese »minimale Energie« konnte jedoch als Ergebnis nur vermutet, nicht gemessen werden – ganz ähnlich wie die »vorherrschenden Bedingungen« auch. Von diesen nahm man an, sie seien von der Art, dass sie genau jene bestimmten Figur-Grund-Auflösungen hervorbrachten, die tatsächlich von dem Subjekt erzeugt wurden, und nicht von anderen Faktoren.

Rückblickend können wir uns auch fragen, warum Wertheimer dazu neigte, die eine »vorherrschende Bedingung« aus seinen Überlegungen auszuklammern – das eigene Interesse, die Motivation oder das Bedürfnis des Subjekts –, die am ehesten messbar gewesen wäre, und warum er keinen definitorischen Weg aus den tautologischen Problemen, die mit dem Wort gut gegeben waren, anbot. (Das heißt, wenn »gut« wenigstens mit irgendeinem Ergebnis oder einer Bedürfnisbefriedigung des Subjekts in Beziehung hätte gesetzt werden können, dann wäre es unabhängig von den anderen experimentellen Variablen definierbar gewesen und hätte der Validierung der »Gesetze« besser dienen können.) Die naheliegende Antwort wäre, dass solch eine Berücksichtigung des innneren Zustandes des Subjektes der frühen Gestalt-Schule als »vitalistisch« erschienen wäre (Wertheimer 1925) – das heißt, man hätte vage und subjektive »innere Zustände« als erklärende Konstrukte im alten Sinne des Assoziationsmodells eingeführt. Tatsächlich zählten Interesse und selektive Aufmerksamkeit zu denjenigen Prinzipien, die die Assoziationstheoretiker anführten (Köhler 1925; Müller 1923), um die Organisation der ursprünglichen Empfindungen innerhalb des wahrnehmenden Subjekts zu erklären. Außerdem kommen, wie Goldstein später zeigen sollte (1939), Fragen des Interesses und der Bedürfnisse nicht so leicht oder nicht notwendigerweise unter Laborbedingungen für visuelle Wahrnehmung zum Tragen, bei denen Menschen (oder gelegentlich auch Tiere) einfach aufgefordert werden, über das zu berichten oder darauf zu reagieren, was sie sehen, im allgemeinen anhand von täuschenden oder mehrdeutigen Reizen, die keine besondere persönliche Bedeutung für die Versuchspersonen selbst haben.

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