Kitabı oku: «Kontakt und Widerstand», sayfa 3

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Dass der Akt oder der Prozess der Wahrnehmung sowie der Prozess der Auflösung der Wahrnehmung selbst von eigenständigem Interesse oder von einer Notwendigkeit für das Subjekt seien, stellte eine der entscheidenden Entdeckungen der Gestalt-Schule dar. Aber gerade deshalb fürchteten sich die Gestalt-Forscher der ersten Generation zweifellos davor, dass der reine zu untersuchende Prozess verzerrt oder verwischt worden wäre, statt geklärt zu werden, wenn man zu viele andere »Lebensnotwendigkeiten« zugelassen hätte, die über den faszinierenden und unvermeidbaren Tanz der Figur-Grund-Auflösung selbst hinausgegangen wären. Dies war schließlich ihr eigener, spezieller theoretischer Beitrag. Mit anderen Worten, wir haben hier wieder einen Fall, bei dem die Annahmen des Modells die Wahl des experimentellen Materials und die Bedingungen bestimmen – wobei die Ergebnisse dann dazu neigen, die ursprünglichen, teilweise ungeprüften Annahmen in ihren eigenen Begriffen zu bestätigen. Es erwies sich jedoch (im Gegensatz zu den reinen Behavioristen) niemals als möglich, eine besonders interessante oder nützliche Theorie der Persönlichkeit, der umfassenderen menschlichen Funktionsweisen, zu konstruieren, ohne auf die Berücksichtigung der Bedürfnisse oder Intentionen des betroffenen Subjekts selbst zurückzugreifen. Es ist daher nicht überraschend, dass genau in diesem vernachlässigten Bereich – selektive Aufmerksamkeit, Interesse und Bedürfnis – die nachfolgenden und äußerst fruchtbaren Erweiterungen des sich entwickelnden Gestaltmodells vorgenommen wurden; Erweiterungen, die Wertheimer selbst niemals ganz begriff, die aber für unsere weitere Diskussion der Erweiterung des Wahrnehmungsmodells der Gestalt für die Bereiche der Persönlichkeitstheorie und der Psychotherapie von entscheidender Bedeutung sein werden.

Die Erweiterung des Modells von Wertheimer

Zwischenzeitlich wurden im Rahmen der allgemeinen Gestaltbewegung beachtliche Anstrengungen unternommen, die immer noch vorherrschende Assoziationstheorie oder Wundt-Schule zu untergraben (Petermann 1932). Nehmen wir beispielsweise die scheinbar einfache Frage der subjektiven Wahrnehmung von Farben. Falls es jemals einen Bereich hätte geben können, in dem die reine Assoziationstheorie eine vollständige Erklärung hätte anbieten können, wäre es dieser gewesen. Das heißt, dass Farbe, weiße Beleuchtung vorausgesetzt, eine Qualität hätte sein müssen, die »rein« im Reizobjekt, falls es so etwas gibt, hätte vorhanden sein müssen. Außerdem ist die Lichtfrequenz leicht durch ein Spektrometer messbar. Im Falle von Weiß und Schwarz sollte die Reflexion oder Absorption des Lichtes durch das Reizobjekt gleichfalls objektiv messbar sein. Mit anderen Worten, wir »wissen« durch das Maß an Licht, das davon zurückgestrahlt wird und die Retina berührt, dass ein weißes Objekt weiß ist – und das gleiche gilt für das schwarze Objekt.

Eine ganze Reihe von Experimenten durch Katz, Gelb und andere zeigte jedoch, dass dies keineswegs der Fall ist – oder zumindest längst nicht so eindeutig, wie es das Assoziationsmodell vorherzusagen schien (Katz 1911; Gelb & Goldstein 1920; erörtert in Koffka 1935). Betrachten wir beispielsweise die Reihe, die als »Experimente mit dem weißen Tischtuch« bekannt ist (Koffka 1935, 110ff, 240ff). Den Versuchspersonen wurden zwei verschiedene Szenen gezeigt, entweder nebeneinander oder in Reihe. In dem einen Experiment erscheinen ein weißes Tischtuch und verschiedene andere Objekte darauf und drum herum. Im anderen ist die Szene die gleiche, nur dass das weiße Tischtuch durch ein schwarzes ersetzt wurde. Die Beleuchtung der beiden Szenen wird dann so verändert, dass das Maß an Licht, das von dem schwarzen Tischtuch abgestrahlt wird, tatsächlich größer ist als das Maß, das das weiße Tischuch abstrahlt. Mit anderen Worten: Eine Szene ist hell erleuchtet, die andere nur schwach beleuchtet. Und doch hatten, was gar nicht überraschte, die Versuchspersonen absolut keine Schwierigkeit zu erkennen, dass das weiße Tischtuch wirklich weiß und das schwarze schwarz war, und dies trotz der Tatsache, dass das schwarze Tischtuch tatsächlich dem »unmittelbaren Reiz« zufolge »weißer« war als das weiße und umgekehrt. Soviel zur direkten Entsprechung grundlegender, unmittelbarer Reize zu ihren zusammengesetzten Wahrnehmungseffekten. Aber was geht hier vor? Wie gelingt es der Versuchsperson, dieses »korrekte« Urteil in offenkundiger Zurückweisung der vorgegebenen Reiz-Bedingungen zu fällen? Offensichtlich ist da eine Art von Selektion und Organisation von Zeichen des »ganzen Feldes« am Werk, durch die die Versuchsperson zu einem relativierenden Urteil von Weiße gelangt, das auf den Beleuchtungsunterschieden verschiedener anderer »Bezugsreize« innerhalb der gleichen Szene gründet. In Koffkas damaligen Begriffen (1935, 250) konstruiert und nutzt die Versuchsperson eine »Gestalt«, die einen »Farbgradienten« einschließt, um das Wahrnehmungs-Urteil zu fällen – eine Interpretation, die sicherlich innerhalb des »Geistes der Gestalt« liegt, mit einer Betonung auf der Organisation der Wahrnehmung, die aber gleichzeitig den Begriff »Gestalt« in ganz anderer Weise verwendet, als es bis dahin üblich war – und eine Interpretation, die der aktiven, selektiven Rolle der Versuchsperson sehr viel mehr Bedeutung beimisst, als es zur damaligen Zeit nach dem Modell Wertheimers möglich gewesen wäre.

Und tatsächlich ist diese Art von kleinem oder auch wieder gar nicht so kleinem Sprung ohne jegliche Erklärung charakteristisch für das erste Jahrzehnt der Gestaltforschung. Es ist also keineswegs klar, dass das ursprüngliche Phi-Phänomen – die Integration getrennter »Empfindungen« in einem einheitlichen Wahrnehmungserlebnis – das gleiche ist wie die Auf lösung statischer visueller Reize im optischen Feld; der ursprüngliche Phi-Faktor scheint übrigens auch nicht aus Wertheimers frühen Experimenten mit dem Stroboskop zu folgen, die sich auf den Eindruck von Bewegung bei Reizen bezogen, die tatsächlich getrennt und stationär waren, während das Phi-Phänomen sich auf den gegenteiligen Fall zu beziehen schien. Die selektive Verwendung von verstreuten Zeichen im Feld wie bei den Tischtuch-Experimenten zur Erreichung eines besonderen Wahrnehmungs-Urteils ist offensichtlich auch nicht der gleiche Prozess wie derjenige, durch den die Figur sich aus einem stationären Grund in einem visuellen oder auditiven Feld »heraushebt«. In all diesen Fällen spielt sicherlich irgendeine Form oder ein Akt der Organisation mit. Nicht so klar ist, ob die Form in allen Fällen die gleiche ist, oder ob die Begriffe »Figur« und »Grund« in sinnvoller Weise für sie alle stehen können. Dieser Punkt wird in den folgenden Kapiteln noch bedeutsamer werden, wenn wir die Erweiterung dieser Konzepte auf die Persönlichkeitstheorie und Psychotherapie erörtern. Damals jedenfalls blieben Sprünge dieser Art bei den Versuchen der frühen Gestalttheoretiker, die Konsequenzen des neuen Paradigmas zu erweitern, unbemerkt – und übrigens auch auf Seiten der Kritiker bei den entsprechenden Versuchen, das neue Modell völlig vom Tisch zu wischen (vgl. Goldstein 1939 und Petermann 1932, mit Überblicken über die spätere Kritik dieser frühen Arbeit).

Nicht etwa, dass die Assoziationstheoretiker keine Antworten auf Fragen wie diese nach der Wahrnehmungsorganisation und dem Urteil gehabt hätten. Wie bereits oben angedeutet ist die Antwort, allgemein gesagt, Erfahrung (oder wie wir wahrscheinlich heute sagen würden, Lernen – vgl. beispielsweise Koffka 1915; und Köhler 1925). Zweifellos, so lautete die Antwort der Assoziationstheoretiker, zeigen Menschen alle diese interessanten und komplexen Prozesse; zweifellos neigen sie dazu, Bilder in Figur und Grund aufzuteilen, kontinuierliche Bewegung da zu sehen, wo keine ist, und vice versa, trickreiche optische Illusionen zu lösen und sogar komplexe Urteile über Farbe, Größe, Identität usw. zu fällen. Aber all dies sind gelernte Prozesse – oder betreffen den Komplex sekundärer Erweiterungen erlernter Prozesse (die wahrscheinlich immer noch durch reine Assoziation zusammenhängender Reize und Rezeptoren aufgebaut werden) –, und auf diese Weise widerlegen sie in keiner Weise die grundlegende Position der Assoziationstheorie, dass nämlich die Wahrnehmungs-/Kognitionserfahrung letztlich Stück für Stück auf einheitliche äußere Reize reduzierbar ist. Deshalb wurde es sehr wichtig für Gestalttheoretiker zu versuchen, Experi mente zu entwickeln, mit denen sie nachweisen konnten, dass einige komplexe Prozesse wenigstens »vorstrukturiert« oder im Organismus »enthalten« oder angeboren, und nicht lediglich das Resultat von Lernen (d.h. nicht vollständig auf äußere Reize reduzierbar) wären. Insbesondere Köhler war fasziniert von diesem Problem, das keineswegs leicht auf empirische Weise lösbar ist. Trotzdem kam er der Sache wenigstens in einer Reihe von Experimenten ganz nahe. Sie waren einfallsreich und so erschöpfend und typisch »Gestalt«, dass es sich lohnt, sie hier noch einmal genau anzuschauen; und sie waren für die allgemeine Psychologie in jener Zeit so verblüffend, dass sie mehrmals wiederholt werden mussten, bis die Ergebnisse allgemein akzeptiert wurden (Koffka 1935).

Das Problem war folgendes: Wir alle wissen, dass Dinge, die weiter weg sind, kleiner erscheinen – das heißt, sie präsentieren ein kleineres Bild auf der Retina – als die gleichen oder ähnliche Dinge in der Nähe. Dennoch haben wir wegen einer Reihe von Schlüsseln aus der Umgebung oder von innen (einschließlich beispielsweise Schärfe und Parallaxe) im großen und ganzen wenige oder gar keine Schwierigkeiten zu unterscheiden, welche Dinge in Wirklichkeit größer und welche lediglich näher sind und sogar in welchem Maße dies der Fall ist (ein Gestaltproblem des vierten Typs, wie er oben skizziert wurde). Überdies wird diese Fähigkeit, zu korrekten Urteilen über die relative Größe in Beziehung zu relativer Distanz zu gelangen, von vielen »niederen« Tieren geteilt – sogar von Vögeln, trotz des Fehlens des bifokalen Blicks als wesentliche Unterstützung für diese Aufgabe. Das kann man leicht zeigen, indem man Hühner darauf trainiert, beispielsweise zunächst auf die größere von zwei Scheiben zu picken und dann die größeren Scheiben in beträchtlich größerer Distanz von den Vögeln in Beziehung zu den kleineren legt (das heißt, man sorgt dafür, dass die kleineren Scheiben ein wesentlich größeres Netzhautbild hervorbringen). Im allgemeinen müssen die kleineren Scheiben einer Größe auf der Netzhaut entsprechen, die zwanzig- bis dreißigmal größer ist als die größere Scheibe, bevor die Hühner sich zu irren beginnen und in systematischer Weise die falsche Scheibe bevorzugen (Koffka 1935, 85 ff.).

Natürlich könnte dieser Befund, so interessant er für sich genommen auch sein mag, immer noch das Ergebnis von Lernen sein (und damit, zumindest möglicherweise, das Ergebnis eines rein assoziativen Prozesses, wenigstens in dem Maße, in dem man sich irgendein komplexes, erlerntes Verhalten überhaupt in dieser seriellen Weise aufgebaut vorstellen kann). Was Köhler tat, war, drei Monate alte Küken, die ihren Käfig niemals verlassen hatten, darauf zu trainieren, dass sie nur auf größere Scheiben pickten, und dann konfrontierte er sie mit der experimentellen Situation unter Umständen, bei denen man sich kaum vorstellen konnte, dass ihnen ein ähnliches Problem jemals zuvor begegnet war. Gemäß seiner Vorhersage und nun sogar ohne irgendwelche offensichtliche Gelegenheit vorherigen Lernens, zeigten die Küken keinerlei systematische Schwierigkeit beim »Wissen«, dass kleinere Bilder unter bestimmten Bedingungen größere Objekte in größerer Entfernung »bedeuteten« und vice versa. Überdies hielt dieser Befund bis zu Größenrelationen von zwanzig- bis dreißigmal an, vergleichbar jenen für »erfahrene« erwachsene Hühner (Köhler 1915). Entweder ging hier irgendein »angeborener« Organisationsprozess vor sich, oder aber die Fähigkeit der jungen Küken, dieses extrem komplexe Urteilsverhalten auf der Basis scheinbar vernachlässigbarer Erfahrung zu lernen, war so mächtig, dass es auf eine enorm starke Disposition für diese besondere Art des Lernens hinwies – was in etwa auf dasselbe hinausläuft, soweit es die Frage nach der Natur/Erziehung oder der »Vorverdrahtung« betrifft.

In dem Maß, in dem sich die Gestalt auf der Seite der Natur dieser Dichotomie einreihte – wobei der Assoziationismus notwendigerweise auf dem Erziehungspol lag –, hatte die Gestalt die Auseinandersetzung »gewonnen«. Im Rückblick soll hier angemerkt werden, dass sich das Gestaltmodell selbst im Verlauf der Auseinandersetzung und durch die Forschungsergebnisse etwas weiter in Richtung auf den »inneren« Pol einer etwas anderen Dichotomie hinbewegt hatte – das heißt die relative Betonung der »inneren« versus »äußeren« Faktoren in der Gestaltbildung – und damit weg von Wertheimers Forderung nach unabhängigen, objektiven, quantifizierbaren und messbaren Kriterien der »guten Gestalt« in der Umgebung, sofern ein Forscher sie erhalten könnte. Die nächsten Beiträge zur Erweiterung des Gestaltmodells, nämlich die von Kurt Lewin, brachten es noch weiter auf diesem Pfad voran und damit weiter in die Bereiche der Persönlichkeitstheorie und der psychotherapeutischen Anwendung entlang den Entwicklungslinien, die ich hier nachzeichne.

Das Modell Lewins

Lewins Beitrag bestand rückblickend betrachtet darin, dass er das Gestaltmodell aus der Laborsituation herausnahm und auf die viel komplexeren Bereiche des Alltagslebens anwendete. Diese Entwicklung kündigte sich bereits in einem sehr eindrücklichen frühen Text mit dem Titel »Kriegslandschaft« an, den der Autor schrieb, während er noch Dienst an der deutschen Westfront tat (Lewin 1917). Lewins Argumentationsrichtung war folgende: Wenn wir nicht gerade experimentelle Psychologen (oder Versuchspersonen in einem Labor) sind, verschwenden wir nicht viel Zeit unserer Problemlösungsenergie darauf, dass wir einfach still dasitzen und Urteile über Wahrnehmungsszenen bilden, die zweideutig oder sonstwie sind. Viel üblicher und viel instruktiver ist die Situation, bei der wir ein vorgegebenes Feld betreten oder in der wir bereits innerhalb einer bestimmten Umgebung in Bewegung sind, wobei Teile dieser Umgebung auch in Beziehung zu uns oder zueinander in Bewegung sein können. Unsere Aufgabe besteht dann darin, Wahrnehmungsurteile und andere Urteile zu nutzen, um das Feld zu bewältigen oder/und uns durch es hindurch zu bewegen, und dabei versuchen wir, bestimmte Ziele zu erreichen und ungünstige Ergebnisse zu vermeiden.

Nehmen wir beispielsweise die Bewegung einer Person innerhalb der Kriegszone, mit der sich Lewin tatsächlich beim Schreiben dieses Artikels beschäftigte (Marrow 1969). Ganz offensichtlich wird dieses Feld, die ganze Umgebung, von der Person für viel mehr herangezogen und genutzt, denn nicht nur als passiver und neutraler »Grund« für die Bildung von Wahrnehmungs-»Figuren«. Das Feld wird auch nicht nur als Quelle für Zeichen und Schlüssel für komplexe Wahrnehmungsurteile über Größe, Farbe, Identität usw. genutzt, obwohl all diese Prozesse natürlich ständig jederzeit ablaufen. Sondern über all das hinaus oder dem zugrundeliegend wird das ganze Feld oder der Grund vor der Organisation bestimmter Figuren organisiert – und zwar in diesem Fall gemäß der vorherrschenden Bedingung des Krieges. Das heißt, das wahrnehmende (und sich bewegende) Subjekt muss das Feld in eine Art mentale/verhaltensmäßige Landkarte auflösen, indem es (hoffentlich) die wichtigen Punkte für Sicherheit, Gefahr, Schutz, Auswege usw. im Hinblick auf seine eigenen Ziele im Feld hervorhebt. Im Rahmen unserer Gestaltterminologie ist diese Landkarte, diese Konfiguration selbst eine Art Figur, eine organisierte Wahrnehmung oder Gestalt – aber sicherlich eine Figur, die neu und viel komplexer organisiert ist, auf die und in Bezug auf die andere Figuren projiziert und ausgewertet werden. Nicht nur ein einzelnes begrenztes »Objekt« oder Bild (dessen Gestaltmerkmale mit den Reizen à la Wertheimer gegeben sein mögen), das aus einem neutralen Grund ohne gegenwärtige Bedeutung heraustritt, sondern vielmehr eine strukturierte Reihe solcher »Subfiguren« in lebendiger und sich verändernder Beziehung zueinander, zum »Grund« um sie herum und vor allem zu dem Subjekt selbst, während dieses sich bewegt oder unter ihnen wählt. Außerdem ist es diese Figur, diese Gestalt oder Landkarte und nicht irgendein undifferenziertes Feld, das dann im Laufe der Zeit als Grund für verschiedene aufeinanderfolgende Figuren dient – und das wiederum durch sie verändert werden kann, während sie auftauchen oder im Feld ausgewählt werden. Das heißt, die Wahrnehmungsgestalten in den »realen Lebenssituationen« tauchen nicht auf, verschwinden und folgen einander in linearer (oder »assoziativer«) Abfolge wie in der Laborsituation, sondern sie dauern an, koexistieren miteinander und interagieren in einer dynamischen und sich wechselweise strukturierenden Art.

Nehmen wir beispielsweise die Figur eines Heuschobers innerhalb oder gegenüber der Gestalt oder Landkarte der »Kriegslandschaft«. Je nach den momentanen Zielen des Subjekts – Überleben, Eroberung, Flucht, Wiedererkennen, Nahrungssuche, Rast usw. – kann der gleiche Heuschober als Bedrohung oder Schutz, als Deckung oder Hindernis wahrgenommen werden. Und noch darüber hinaus: Sein Wert und sogar seine Identität werden auf unterschiedliche Weise wahrgenommen, je nach dem, wo und wie es in Beziehung zu anderen wahrgenommenen Objekten auf der »Landkarte« liegt – Sichtlinien, Kampflinien, Distanz und Zugang usw. Wenn der Heuschober auf diese Weise wahrgenommen und lokalisiert wird (und der Definition zufolge evaluiert/kategorisiert wird), wird er zu einem Teil des veränderten und organisierten Grundes oder der Landkarte, und neue Figuren können dann in Beziehung dazu auftauchen. Wenn die Person zur Kampftruppe gehört, kann das ganze Feld oder die Landkarte zielorientiert – oder in Lewins späterem Ausdruck vektoriell (Lewin 1951) – in Beziehung zu den gegenläufigen Vektoren des Schlachtfeldes mit sich verändernden Vorwärts- und Rückwärtsbewegungen organisiert werden. Wenn die Person nicht zu den Kämpfenden gehört oder ein Deserteur oder ein Soldat auf Urlaub oder verliebt ist und seinen Weg durch das Kriegsgebiet zu einem Rendezvous sucht, wird die ganze Landkarte des Feldes entsprechend nach deren besonderen Interessen und Zielen reorganisiert werden.

Mit anderen Worten und um Lewins späteren, eleganten Ausdruck zu verwenden: Das Bedürfnis organisiert das Feld (1926). Alles, was im Feld wahrgenommen wird, stuft das Subjekt entweder als bedeutsam oder bedeutungslos ein, je nach den eigenen Bedürfnissen, und lädt es dann auf oder misst ihm einen positiven oder negativen Wert bei, je nachdem, ob das Wahrgenommene als potentielle Hilfe oder als Hindernis bei der Befriedi gung dieser Bedürfnisse wahrgenommen wird. Darüber hinaus werden untergeordnete Ziele und Figuren in Beziehung zu Zielen und anderen Figuren »höherer Ordnung« organisiert – wobei die »höchste« oder umfassendste Gestalt die Karte selbst oder die »Topologie« des aufgelösten Feldes ist (Lewin 1935). Aufgelöst wiederum entsprechend dem übergreifenden Ziel des Subjekts oder den Zielen im Feld.

Das Kriegsbeispiel ist natürlich in mancher Hinsicht ungewöhnlich, aber eine ganz ähnliche Analyse kann auf alltäglichere Situationen angewandt werden. Nehmen wir den Fall eines Studenten, der neu an ein College kommt. Seine Ziele mögen wenig definiert oder vielfältig sein, aber nehmen wir an, er hat ein klares Ziel, ein klares wahrgenommenes Bedürfnis, nämlich in vier Jahren mit einem annähernd guten Zeugnis abzuschließen, so dass er auf einem bestimmten Vergleichsniveau an einer Graduierten-Schule akzeptiert werden kann. Seine »Landkarte« des Campus, die sich teilweise aus diesem Ziel ergibt, wird sich sehr von der »Landkarte« eines anderen Studenten unterscheiden, dessen Ziele mehr auf Beziehungen oder eine Freundin ausgerichtet sind – oder die eher politisch, künstlerisch oder kriminell oder einfach wissenschaftlich usw. sind. Man kann sagen, dass jeder dieser Studenten innerhalb bestimmter Grenzen, die auf seine jeweilige »Landkarte« durch Merkmale und Beschränkungen der »objektiven« Umgebung eingezeichnet werden, in eine ganz andere »Schule« geht. Darüber hinaus hat jedes Subjekt, wie Goldstein in seinem nachfolgenden Werk behauptete (1940), vor allem jedoch auch das höherrangige Problem der Beziehung eines Bedürfnisses zu einem anderen, eines als wichtig wahrgenommenen Umweltmerkmals zu einem anderen sowie das Problem, dass sich die Aufforderungsqualitäten1 der in Wechselbeziehung miteinander stehenden Bedürfnisse und Merkmale im Laufe der Zeit verändern.

Obwohl all dies möglicherweise messbar ist, entspricht es jedoch einem starken Subjektivismus und ist daher genau von jenem Typ, den vor allem Wertheimer vermeiden wollte, als er das Gestaltmodell konstruierte und erweiterte (1925; s.a. Sherrill 1986). Wenn jeder Mensch aus den gleichen Elementen eine andere Gestalt oder »Landkarte« konstruiert, dann lässt man die Forderung danach hinter sich, jene verlässlichen messbaren Kriterien der Gestaltbildung in der Natur zu finden (um Wertheimers eigene Begriffe zu verwenden, 1922; 1925) – und damit auch die Hoffnung auf eine Psychologie, die vollständig auf Physik reduzierbar ist. Trotzdem scheint die Erweiterung des ursprünglichen Modells in Richtung auf die komplexe Interaktion zwischen Bedürfnissen und Feld im Rückblick eine natürliche Folge jener immer komplexer werdenden Forschungsfragen des Urteils, der Wahl und der Problemlösung (Koffka 1935), die bereits zuvor eine Tendenz hatten, das Modell von seiner früheren Betonung der externen Kriterien der Umwelt oder des Reizes wegzuverlagern. Gleichzeitig kann das neue Modell Lewins genutzt werden, um ein neues Licht auf einige der früheren Arbeiten unter dem Gestaltparadigma zu werfen. Nehmen wir beispielsweise Köhlers Arbeiten über die relative Größe und Distanz von Scheiben, bei denen er Hühner und Affen als Versuchstiere benutzte (1927). Entsprechend Lewins Vorstellungen können wir zu der ebenso einfachen wie entscheidenden Einschätzung gelangen, dass die Experimente mit den Hühnern, die ich zuvor ausführlich beschrieben habe, keinen Sinn ergeben, wenn man nicht in Betracht zieht, dass man mit einem hungrigen Huhn beginnt – denn ein sattes Huhn wird das unmittelbare Wahrnehmungsfeld nicht in größere oder kleinere Scheiben, die näher oder weiter weg sind, auflösen. Um noch einmal Lewins Behauptung zu wiederholen: Das Bedürfnis organisiert das Feld. Eine Betrachtung des Verhaltens müsste also einer vollständigen Gestaltperspektive zufolge das Wissen um die vorrangigen Bedürfnisse einschließen – oder, weniger subjektiv ausgedrückt, die vorexperimentellen Bedingungen (in diesem Fall den Hunger, der herbeigeführt wurde). Ein verschrecktes Huhn wird die Situation ganz anders organisieren und das Verhalten, an dem Köhler interessiert war, so oder so nicht zeigen können. Ähnlich ein sattes, durstiges oder brütendes Huhn usw.

Der Unterschied in der Betonung liegt hier nicht so sehr auf einem theoretischen Widerspruch, sondern auf einer Verlagerung der Diskussion von Fähigkeiten zu Verhalten – eine Unterscheidung, die später wichtig sein wird, wenn wir erläutern, dass das Modell der Gestaltpsychotherapie, wie es von Perls und Goodman entwickelt wurde, sich zu sehr auf Ausdrucksfähigkeit und zu wenig auf die tatsächliche Organisation des Feldes, im Leben des Menschen und seinem Verhalten, konzentriert. Schlicht gesagt ist Köhler am ersten dieser beiden Konzepte und Lewin am zweiten interessiert. Offensichtlich machen die Fähigkeiten eines Menschen (einschließlich der entscheidenden, aber theoretisch vernachlässigten Fähigkeit, diese Fähigkeiten zu organisieren) sein gesamtes Verhalten aus; genauso offensichtlich ist jedoch, dass nicht alle Fähigkeiten eines Menschen in einem gegebenen Augenblick – oder überhaupt – ihren Ausdruck im Verhalten oder in den Auflösungen der Wahrnehmung finden. Es ist also die alte Gestalt-versus-Assoziationismus-Frage auf einer höheren Ebene, die jetzt in den ver schiedenen Zweigen der Gestaltbewegung diskutiert wird: Nämlich, kann man annehmen, dass das komplexe Verhalten (und die Wahrnehmung) des Menschen lediglich aus elementaren Wahrnehmungsfähigkeiten irgendwie »aufgebaut« wird, oder müssen wir nicht von der Organisation bestimmter Fähigkeiten, bestimmter Figur-Grund-Auflösungen in Strukturen höherer Ordnung sprechen? Das ist der Kern der Argumentation, die Goldstein gegen das Assoziationsmodell erhob – und auch gegen einen großen Teil der frühen Gestaltarbeit (Goldstein 1940).

Die ursprüngliche Gestaltgeneration war andererseits überhaupt nicht glücklich über diese Erweiterungen ihres eigenen »objektiven« Modells für das »wirkliche Leben«, die subjektiven Bereiche in den Arbeiten Lewins und später auch Goldsteins, auch wenn sie diese Arbeiten selbst bewunderten (Koffka 1935, 345f). Nichtsdestoweniger muss eine vollständige Theorie der Persönlichkeit wie auch jedes Modell der Psychotherapie, das von solch einer Theorie abgeleitet wird, in der Lage sein, sich mit »wirklichem« Verhalten in diesem Sinne zu beschäftigen und nicht nur mit den verschiedenen Fähigkeiten oder dem »Laborverhalten«, die die »Bausteine« komplexerer und anspruchsvollerer Verhaltensmuster sein können oder auch nicht. Zumindest müsste gezeigt werden, dass, wenn die Theorie an dieser Stelle reduktionistisch sein soll, die Reduktion notwendig aus vollständigen Persönlichkeitstheorien folgt (eine rein immanente Kritik der frühen Freudschen Triebtheorie könnte tatsächlich um nur diesen Punkt herum vorgenommen werden). Dieser Punkt wird in den folgenden Kapiteln immer wieder aufgegriffen werden, wenn die Argumentation entwickelt wird, dass das Modell der Psychotherapie von Goodman und Perls, wie oben behauptet, zu einseitig auf eben diese frühe Laborforschung der Gestalt gegründet war und viel zu wenig auf Lewins und Goldsteins eher holistische Erweiterungen.

Schließlich bringt das Modell Lewins noch mindestens zwei weitere Konsequenzen mit sich, die wichtige Erweiterungen des eingeschränkteren Zugangs der »Labor-Gestalt« waren und die direkte Folgen bei der Anwendung des Modells auf Psychotherapie haben werden. Die erste dieser Konsequenzen hat mit der Tatsache zu tun, dass das Wertheimersche Gestalt-Modell wie das frühe Freudsche Modell (und zweifellos aus denselben Gründen der Fixierung auf die Naturwissenschaften) im wesentlichen ein Spannungsreduktions-Modell war. Als solches unterliegt es wegen seines tautologischen Denkens der gleichen Art von Kritik, wie sie für die »Gesetze« von Wertheimer ausgeführt wurde (s.a. Guntrip 1971 über die theoretischen Probleme des Spannungsreduktions-Modells). Die Spannungsreduktion ist nicht nur schwer zu definieren und zu messen, außer auf zirkuläre Weise (der Endzustand muss per Definition als Zustand geringerer Spannung angenommen werden), sondern es ergibt sich das zusätzliche Problem, dass lebende Organismen offensichtlich – zumindest zeitweise – Anstrengungen unternehmen, um Spannungsniveaus zu erhöhen, nicht zu vermindern (Goldstein 1940). Indem Lewin die Spannungsreduktion durch Bedürfnisbefriedigung ersetzt, beseitigt er zumindest die empirischen Widersprüche, wenn nicht gar die Probleme des Zirkelschlusses in der früheren Gestaltarbeit.

Eine zweite Schlussfolgerung der Arbeiten Lewins hängt mit der Problemlösung zusammen. Mit seiner Sichtweise des »Kartierens und Manövrierens« kommt Lewin tatsächlich der Behauptung nahe, dass das, was wir uns normalerweise als Problemlösung vorstellen, kein Sonderfall des Denkens ist, sondern das Paradigma jeder kognitiven Aktivität einschließlich der Wahrnehmung selbst. Wir haben bereits gesehen, wie die Gestalttheoretiker mit beträchtlichem Erfolg zu demonstrieren versuchten, dass scheinbar einfache Prozesse wie das Sehen von Form oder das Urteilen über Farben tatsächlich sehr differenzierte Auflösungen von komplizierten Reiz-»Problemen« durch den Menschen sind, auf die es offensichtlich eine Vielzahl unterschiedlicher »Antworten« gibt (tatsächlich sollten die frühen Arbeiten mit zweideutigen Reizen, welche die »Gestalt-Eigenschaften« in den Reizen selbst nachweisen wollten, eher diese subjektive Bandbreite veranschaulichen). Aber dies ist fast eine vollständige Definition des Problemlösens – und sie wird sogar noch nützlicher, wenn wir mit Lewin die Überzeugung hinzufügen, dass die »Lösungen« nicht alle gleich sind und dass die Kriterien für »richtige« und »falsche« Antworten von den verschiedenen Bedürfniszuständen des Menschen selbst herrühren (natürlich immer in Wechselbeziehung mit den Bedingungen des Umfeldes). Wenn wir dies wieder in Wertheimers eigene Begriffe zurückübersetzen, könnten wir sagen, dass Problemlösung als grundlegende Tendenz des wahrnehmenden Subjekts das Prägnanz-Gesetz in Aktion sei – nur dass die Bedürfnisbefriedigung jetzt das fehlende Kriterium für jenen schwierigen Begriff »gut« in der früheren Formulierung liefert. Eine neue Generation von Gestaltforschung, die auf dieser Perspektive aufbaute, konzentrierte sich von da an auf das Studium des Problemlösens selbst mit einem Schwerpunkt auf dem damit verbundenen Konzept der Einsicht, das für die psychotherapeutische Arbeit so wesentlich ist (Koffka 1935; Köhler 1940, 1947), sowie auf dem »Aufforderungscharakter« unterbrochener oder anderweitig unerledigter Probleme und Aufgaben (Zeigarnik 1927; Ovsiankina 1976). Diese beiden Forschungsthemen wurden in der psychotherapeutischen Präsentation des Gestaltmodells von Goodman und Perls, wie ich im dritten Kapitel erläutern werde, sehr bedeutsam.

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