Kitabı oku: «Lehrbuch der Psychotraumatologie», sayfa 10
Ronnie Janoff-Bulman hat in ihrer Arbeit „Shattered Assumptions“ (1992) diesen Aspekt der Traumaerfahrung eindrucksvoll dargestellt. Wir alle hegen bestimmte Grundannahmen, die sich bei kritischer Betrachtung als illusionär herausstellen, welche für uns aber gleichwohl lebensnotwendig sind. So zum Beispiel die „illusionäre“ Überzeugung, dass der Tod noch relativ fern ist und dass wir beispielsweise die nächste Stadtfahrt mit dem Auto überleben werden. Durch ein Erlebnis von → Todesnähe etwa werden wir in einer Weise „desillusioniert“, die man als übermäßig und insofern „dysfunktional“ bezeichnen kann. Ein gewisses Maß an Illusion scheinen wir zur Bewältigung unseres Alltagslebens zu benötigen. Übermäßiger Illusionsverlust hingegen führt zu jener Hoffnungslosigkeit und dem Verlust der Zukunftsperspektive, unter der viele Traumaopfer leiden. Nicht immer ist die Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses so radikal wie infolge der Todesdrohung. Manche Grundannahmen oder „Grundillusionen“ sind umgrenzt. So erschüttern „natürliche“ Katastrophen tendenziell Annahmen des → pragmatischen Realitätsprinzips, nämlich unsere sicherlich illusionäre Überzeugung, dass die Kräfte der Natur und der Technik prinzipiell beherrschbar seien. Beziehungs- und Orientierungstraumata sowie vom Menschen verursachte Desaster erschüttern hingegen Annahmen des kommunikativen Realitätsprinzips und das Vertrauen in die Verlässlichkeit der sozialen Welt. Besonders beim Menschen haben negative soziale Erfahrungen oft auch negative biologische Auswirkungen im Sinne eines „Abwärtseffekts“ im Mehr-Ebenen-Modell vom Aufbau der Wirklichkeit.
Von besonderem Interesse für die Fortentwicklung der Psychotraumtologie als Wissenschaft sind pathogenetische Konzepte, die geeignet sind, Übergänge zwischen den Ebenen des Modells verständlich zu machen. Ein weiteres Desiderat sind Konzepte, die zwei oder mehrere Ebenen „übergreifen“ und eine integrierende Verständnisbasis bereitstellen, ohne dabei notwendigerweise „reduktionistisch“ zu verfahren.
Von besonderer Bedeutung sind hier wie auch sonst in den Wissenschaften die Begriffe Energie und Information. Bekanntlich hat Freud für viele seiner Konzepte den Energiebegriff, teils metaphorisch, teils buchstäblich herangezogen, so auch beim Trauma, das er gelegentlich als Reizüberflutung mit unphysiologischen Energien umschreibt. Trauma lässt sich nach Freud schlagwortartig auch als „Energietrauma“ beschreiben: der psychische Apparat ist außerstande, die anflutenden traumatischen Reizenergien durch Gegenbesetzung zu „binden“. Zudem verwandte Freud wiederholt eine biologische Metapher zur Kennzeichnung der psychischen Traumatisierung, die vom „lebenden Bläschen“, dessen Schutzhülle durch anflutende unphysiologische Außenreize einen Einbruch erfährt (1920, Jenseits des Lustprinzips).
Lindy (1993) hat diese Metapher mit seinem ebenfalls der biologischen Ebene entnommenen Bild der „Traumamembran“ weiter ausgearbeitet. Die biologische Funktion einer Membran besteht darin, aus der Umgebung Nährstoffe ins Zellinnere einzulassen und Schadstoffe abzuweisen oder auszuscheiden. Das wird erreicht durch Durchlässigkeit der Membran, die den selektiven Transport von Molekülen erlaubt. Wird die Membran nun verletzt, so verliert sie ihre selektive Kapazität. Schadstoffe können von Nährstoffen nicht länger unterschieden werden und dringen ins Zellinnere ungehindert ein. Nährstoffe werden wieder ausgeschieden. Die geschädigte Membran verliert nicht nur ihre Reizschutz-Funktion, sondern erleidet eine Funktionsumkehr. Die → Traumatherapie muss in diesem Bild also nicht nur eine Barriere nach außen hin wieder aufrichten, um das Zellinnere bzw. den Binnenraum des Selbst zu schützen. Das Bild von der Traumamembran erfordert vielmehr, dass der Therapeut die Selektionsfähigkeit des Selbst unterstützt, die Fähigkeit zwischen schädlichen und nützlichen Umweltreizen zu unterscheiden. Fast unmerklich hat sich die Freudsche Metapher bei Lindy von der Energie zur Information hin verschoben. Denn die Auswahlfunktion der Zelle beruht auf intakter Analyse der Umwelt und entsprechender Informationsverarbeitung. Eine Störung der Informationsverarbeitung wäre demnach der zentrale pathogenetische Mechanismus des Traumas.
Diese „Revolution“ des Freudschen Traumakonzepts vom Energie- zum Informationstrauma hat, von der psychoanalytischen Fachwelt vergleichsweise unbemerkt, der nordamerikanische Psychoanalytiker und Traumaforscher Mardi Horowitz vollzogen (1979). Wir werden uns mit seinen Beiträgen in den folgenden Abschnitten noch ausführlich befassen. Die traumatische Situation konfrontiert den Organismus mit „unverträglicher“ Information, die seine Kapazität zur Informationsverarbeitung nachhaltig übersteigt. In zeitlicher Hinsicht spielt hier einmal das Überraschungsmoment eine Rolle, das dem Individuum oft keine Zeit lässt, sich auf die Lage einzustellen, die Information zu kategorisieren und wirksame Handlungspläne zu entwerfen.
Das zweite unverträgliche Moment der „traumatischen Information“ ist das Unerwartete oder vielleicht auch generell Unerwartbare der Erfahrung. Der verfügbare schematische Wissensbestand des Individuums ist für die Kategorisierung und Verarbeitung dieser Information nicht vorbereitet. Die traumatische Information ist das generell Unfassliche, das uns mit dem Grauen des Unbekannten erfüllt. Gelingende Traumaverarbeitung besteht demnach darin, die vorhandenen Schemata so lange umzuarbeiten, bis die traumatische Information „prozessiert“, in den vorhandenen Bestand der kognitiv-emotionalen Schemata integriert werden kann.
Die Reorganisation des schematischen Wissensbestands erfordert normalerweise einen langen Zeitraum der seelischen Arbeit, wofür „Trauerarbeit“ als Beispiel gelten kann. Wie Freud gezeigt hat, müssen beim Verlust einer geliebten Person die entscheidenden Situationen durchgearbeitet werden, die uns an die verlorene Person erinnern, so lange, bis das gesamte Person-Schema mit der Negation, einem Verneinungssymbol versehen ist. In der Trauerarbeit kommt deutlich auch ein „energetischer“ Aspekt zum Ausdruck, der auf die Leistung der seelischen Arbeit verweist (Deserno 1992). Es scheint uns daher sinnvoll, in einem gewissen, eingegrenzten Sinne auch den Freudschen Energiebegriff, verstanden als seelische Arbeit im Traumaverständnis, mitzudenken. Das Informationskonzept eröffnet jedoch darüber hinaus einen erweiterten Verständnishorizont, worin sich beispielsweise so anregende Studien wie die von Janoff-Bulman entwickeln konnten, die mit ihrem Konzept der „shattered assumptions“ ausdrücklich an Horowitz anschließt. Der Übergang von Energie zu Information entspricht auch der Passage durch das Mehr-Ebenen-Modell von „unten“ nach „oben“ hin. Während im physiko-chemischen Bereich der energetische Aspekt dominiert, kommt Information und Energie auf der biologischen Ebene annähernd die gleiche Bedeutung zu. Dagegen nimmt die Bedeutung der Informationsverabeitung auf der psychosozialen Ebene zu bis hin zur Semantik der menschlichen Sprache, worin der materielle Bedeutungsträger dem Zeichen nur noch konventionell zugeordnet ist.
Aus dem von Horowitz und Janoff-Bulman vertretenen Konzept des „Informationstraumas“ lässt sich die Vorhersage ableiten, dass ein kritisches Ereignis um so eher traumatisch wirken wird, je größer seine Distanz zu den Vorerwartungen der betroffenen Persönlichkeit ist. Aus verschiedenen Untersuchungen ist aber nun bekannt, dass Personen mit traumatischer Vorerfahrung leichter traumatisiert werden können als Personen ohne diese Vorerfahrung. Die kognitive Distanz zur „traumatischen Information“ als solche kann nicht ausschlaggebend sein, da das Trauma in gewissem Sinne sogar erwartet wird. Dieser Einwand wurde kürzlich von Brewin et al. (1996) erhoben. Hier bleiben also für das Konzept des „Informationstraumas“ einige kritische Fragen offen.
Unseres Erachtens spricht der Einwand zunächst für eine Längsschnittbetrachtung psychischer Traumatisierung, wie unser Verlaufsmodell sie vorschlägt. Trauma sollte nicht nur aktuell, sondern aus der Lebensgeschichte heraus verstanden werden. Dann zeigt sich oft, dass bereits die vorbestehende Traumatisierung nicht integriert werden konnte, sondern in einen → „traumatischen Prozess“ übergegangen ist. In diesem Fall wird das frühere Traumaschema durch eine zweite Erfahrung stimuliert, indem es die neue Erfahrung assimiliert. Alternativ hierzu oder auch parallel versagen die traumakompensatorischen Strategien. Die Ausdehnung der Traumaanalyse auf den Lebenslauf könnte die Hypothese des „Informationstraumas“ stützen, da sie ja jetzt an der primären traumatischen Erfahrung zu überprüfen wäre. Die spannende alternative Frage bleibt allerdings bestehen, ob eine wirklich verarbeitete traumatische Vorerfahrung nicht möglicherweise sogar eine „immunisierende“ Wirkung haben kann. An vereinzelten klinischen Erfahrungen könnten wir diese Annahme untermauern. Ergebnisse systematischer Forschung wären jedoch wünschenswert. In keinem Falle sollte das Konzept vom „Informationstrauma“ zu eng im Sinne der „Computer-Metapher“ verstanden werden (kritisch hierzu Howard Gardner 1985). Schließlich scheint es nützlich zu sein, „Informationstrauma“ pathogenetisch nicht nur als Voraussetzung, sondern auch als Ergebnis traumatischer Erfahrung zu sehen; nicht nur als Bedingung für Kontrollverlust und Hilflosigkeit, sondern in vielen Fällen als deren Folge.
Abschließend wollen wir den von Lindy angedeuteten pathogenetischen Mechanismus von der biologischen Metapher auf die psychosoziale Ebene übertragen. Es handelt sich dann um die „Funktionsumkehr“ eines Beziehungsschemas, das die Fähigkeit verliert, zwischen nützlichen und schädlichen Beziehungsangeboten zu unterscheiden und gleichzeitig noch die Grenzziehung zwischen Selbst und Außenwelt. Schädliche Einflüsse werden gezielt aufgegriffen und dem Selbst zugeschlagen, nützliche „Nährstoffe“ dagegen an die Umwelt abgegeben. Wie die „Traumamembran“ ist dieses → Schema durch die Umkehr seiner normalen Funktion gekennzeichnet. In Anlehnung an einen terminologischen Vorschlag von Bion (learning from experience), jedoch aus einem völlig anderen erkenntnistheoretischen Bezugssystem heraus wollen wir diese Variante eines Traumaschemas als → bizarres Schema bezeichnen. Bion (1962) spricht von einem „bizarren Objekt“, das gezielt aus sog. „Beta-Elementen“ zusammengesetzt sei, während die synthetisierende „Alpha-Funktion“ ausfällt oder gar in eine Art „Beta-Funktion“ verkehrt wird. Wir wollen hier in die Bionsche Terminologie nicht näher eintreten, die u. E. in mystifizierender Weise einige Aspekte traumatischer Erfahrung zum Ausdruck bringt, wie z. B. zusammenhanglose Sinneseindrücke, die sich einer synthetischen Symbolisierung entziehen oder auch widersetzen (vgl. Abschnitt 2.2). Bizarre Schemata arbeiten im Sinne einer falschen Synthesis. An die Stelle der Synthese von Subjekt und Objekt wie im Situationskreis-Modell tritt als Folge der traumatischen Erfahrung zum einen die schroffe Antithese von Subjekt- und Objektpol, im Falle des „bizarren Schemas“ aber zusätzlich noch die im Bild der Traumamembran beschriebene Funktionsumkehr. Ein klinisches Beispiel für diesen pathogenetischen Mechanismus ist das → Victimisierungssyndrom. Hier übernimmt das Opfer die Weltsicht des Täters, wertet sich ab und verurteilt sich, während es den Täter idealisiert und sich mit ihm identifiziert.
2.2.2 Zur Psychobiologie der peritraumatischen Erfahrung
Das pathogenetische Konzept des „Informationstraumas“ legt es nahe, auch die intrasomatische Teilstrecke von Rezeption und Motorik unter dem Gesichtspunkt der Informationsverarbeitung zu untersuchen. Es fördert die Verbindung von biologischer und psychosozialer Untersuchungsebene.
Ausgangspunkt der Überlegungen ist der Umstand, dass die Enkodierung traumatischer Situationskonstellationen in einem → Zustand höchster affektiver Erregung erfolgt. Wie vor allem Untersuchungen zur zustandsabhängigen Erinnerung (state dependent recall) nahelegen, werden über die Vermittlung neurohormonaler und anderer biochemischer Prozesse die traumatischen Gedächtnisengramme an die Physiologie des jeweiligen Erregungszustands gekoppelt und können hernach oft nur in Verbindung mit diesem wieder abgerufen werden. Hierzu ist eine Unterscheidung zwischen einem „heißen“ und einem „kühlen“ zentralnervösen Gedächtnissystem vorgeschlagen worden (Metcalfe u. Jacobs 1996). Während das kühle, alltägliche Gedächtnis der Hippocampusregion des limbischen Systems zugeordnet wird und den Kategorien von Raum, Zeit und Kausalität unterliegt, übt die Mandelkernregion (Amygdala) eine affektgeleitete Verstärkerfunktion aus: sie führt zur überwiegend sensorischen Speicherung der Reize im impliziten Gedächtnis entsprechend ihrer emotionalen Relevanz.
Die vital bedrohlichen, potenziell traumatischen Reize aktivieren u. a. die im Hypothalamus gelegenen Steuerungszentren des autonomen Nervensystems und führen zur Ausschüttung von Stresshormonen (Post et al. 1997). Dabei werden Hippocampusregion und cingulärer Cortex im extremen Erregungszustand eher gehemmt, so dass sie ihre Filterfunktion nicht länger erfüllen können.
Jetzt werden Wahrnehmungseindrücke nicht mehr kategorial erfasst und geordnet. Zusammenhanglose Sinnesfragmente, in denen olfaktorische (Gerüche), visuelle (Bildfragmente), akustische (Geräusche) und kinästhetische Eindrücke vorherrschen, treten an die Stelle geordneter Wahrnehmungsbilder. Diese Sinneseindrücke – die neurokognitiven Anteile des „Traumaschemas“ – bleiben über lange Zeit hinweg lebendig; sie scheinen im Gedächtnis wie „eingefroren“ zu sein. Werden sie erneut stimuliert, sei es über situative Reize oder das Wiederaufleben der peritraumatischen Stimmungslage, so kehren sie in intrusiven Erinnerungsbildern wieder, die oft über Jahre bis Jahrzehnte hinweg das gleiche Szenario wiederholen (Galley u. Hofmann 1998).
Der Charakter des Zeitlosen, Unveränderbaren dieser traumatischen Erinnerungsfragmente lässt sich hypothetisch darauf zurückführen, dass die Kategorisierung und Kontextualisierung der Sinneseindrücke misslingt, so dass lediglich akausale, zeit- und raumlose Erinnerungsfragmente reproduziert werden können.
Auch andere zentralnervöse Strukturen, die mit der Integration von emotionaler und kognitiver Information befasst sind, werden gegenwärtig auf evtl. Funktionsänderungen beim PTBS hin untersucht. So werden über den Balken (corpus callosum) Informationen der linken und rechten Hirnhemisphäre zusammengefasst und damit die Charakteristika des symbolischen, problemlösungsorientierten, analytischen (linkshemisphären) Denkens mit den ganzheitlichen Merkmalen von nonverbaler Kommunikation und Wahrnehmung (rechtshemisphärische Verarbeitung) zusammengeführt (Tab. 9). Ein Hinweis auf die Störung dieser Funktion zeichnet sich in Untersuchungen ab, die bei traumatischer Information eine ausgeprägte hemisphärische Lateralisation feststellen im Sinne einer erhöhten rechtsseitigen und einer verringerten Aktivität der linken Hemisphäre.
Mit Hilfe der Positronen-Emissions-Tomographie (PET) konnten Rauch et al. (1996) nachweisen, dass PTBS-Patienten, die experimentell mit ihrem individuellen Traumascript konfrontiert wurden, eine gesteigerte Aktivität in der rechten Hemisphäre zeigten, insbesondere in Amygdala, Insula und im medialen Temporallappen. Gleichzeitig wurde eine erhöhte Aktivität im rechten visuellen Cortex festgestellt. Die linke Hemisphäre hingegen, vor allem der linke inferiore Frontal-bereich, in dem sich das expressive Sprachzentrum (Broca-Zentrum) befindet, war vergleichsweise weniger aktiviert.
Diesen Befund kann man hypothetisch dahin interpretieren, dass die experimentell in die traumatische Situation zurückversetzten Versuchspersonen das Geschehen einerseits bildhaft wiederbelebten, andererseits aber weitgehend außerstande waren, es sprachlich zu fassen und mit ihrer persönlichen Lebensgeschichte in Verbindung zu bringen (Funktion der Broca-Zone). Der Befund entspricht weitgehend auch den häufigsten psychologischen Erfahrungsberichten von Traumapatienten, ihrem Zwang, die traumatische Situation quasihalluzinatorisch durchleben zu müssen, ohne sie in Worte fassen zu können, dem Ausgeliefertsein an einen bildhaft erlebten wortlosen Panikzustand (speechless terror). Prä-Post-Vergleiche nach einer Trauma-Psychotherapie (EMDR), die van der Kolk und Mitarbeiter (1997) durchführten, zeigen nach gelingender Therapie eine erhöhte Aktivität des cingulären Cortex, nicht aber eine Verringerung in der Aktivität des Amygdalum. Der Befund lässt sich hypothetisch dahin deuten, dass die traumatischen Eindrücke emotional zwar unverändert wirksam sind, jetzt jedoch zwischen Vergangenheit und Gegenwart, Erinnerung und aktueller Bedrohung unterschieden werden kann. Dabei scheint die selektive Aktivierung des cortex cingularis für die Differenzierung zwischen internaler und externaler Information ausschlaggebend zu sein. Eine sprachlich-symbolische Fassung der traumatischen Erfahrung ist bei diesem Vorgang besonders hilfreich.
Tabelle 9: Eigenschaften der Hemisphären
Eigenschaften der rechten Hemisphäre | Eigenschaften der linken Hemisphäre |
•beteiligt an Ausdruck und Verständnis globaler nonverbaler und emotionaler Kommunikationsformen (Stimmgebung, Gesichtsausdruck, bildhafte Darstellung)•ganzheitliche Kodierung über verschiedene Sinnesmodalitäten hinweg•die entwicklungsbiologisch frühe Reifung der rechten Hemisphäre stimmt mit der Bedeutung emotionaler Kommunikationsformen beim Kleinkind überein•eine möglicherweise enge Beziehung zum Amygdalum, das die Auswertung unter dem Gesichtspunkt emotionaler Relevanz vornimmt: freundlich vs. feindlich, sicher vs. bedrohlich•lediglich rudimentäre Fähigkeiten zu Syntax, Rationalität und analytischem Denken | •sequenzielle Verarbeitung von Informationen, operatives, problemlösendes Denken•erzeugt Worte und Symbole, die persönliche Erfahrungen in kulturell geteilte Bedeutungen übersetzen•Kategorisierung der Erfahrung durch Abstraktionsprozesse•Generativität, Erzeugen neuer Bedeutungen und Symbole |
Auch wenn einige der erwähnten Forschungsergebnisse aus „Simulationsstudien“ stammen, wie dem Symptom-Provokations-Experiment von Rauch und Mitarbeitern, so können wir doch mit der gebotenen Vorsicht Rückschlüsse auf die peritraumatische Erfahrung ziehen. Sie ist aller Wahrscheinlichkeit nach in dem Sinne „dissoziativ“, dass sensorische Komponenten erlebt und gespeichert werden ohne Bezug zu ihrer semantischen Referenz oder nur in vagem Bezug zu ihr. Die peritraumatische Erfahrung besteht oft lediglich in visuellen, olfaktorischen, auditiven oder kinästhetischen Eindrücken. In der Erinnerung können diese Wahrnehmungsfragmente oft nicht mit der traumatischen Szenerie in Verbindung gebracht werden und sind in diesem Sinne „dekontextualisiert“, von ihrem situativen Kontext abgelöst. Dennoch geben sie Aspekte der traumatischen Situation wieder, die sich nachträglich in den situativen Kontext detailgetreu einreihen lassen. In vielen Fällen beginnt die „Dekontextualisierung“ schon unmittelbar in der traumatischen Situation. Erlebnisphänomene wie Derealisierung und Depersonalisierung scheinen jene Ablösung von der Situation gewissermaßen vorwegzunehmen, die hernach für die Erinnerung vieler Traumapatienten charakteristisch ist. Diese Phänomene deuten physiologisch einmal darauf hin, dass die zentralnervösen „Filter“ oder, wie sie salopp genannt werden: „Flaschenhalsstrukturen“ (Markowitsch 1996) in ihrer Differenzierungsfunktion blockiert sind. Sie könnten ihrem psychobiologischen Sinn nach aber auch so verstanden werden, dass ein physiologisch verankerter Abwehr-mechanismus die extreme Bedrohung und mögliche Destabilisierung des psychophysischen Selbst in der kritischen Situation verhindert. Im Modell des Situationskreises lassen sich einige Phänomene der peritraumatischen → Dissoziation als „innere Fluchttendenz“ deuten: als antizipierte Auswirkung der Motorik in der Rezeptionssphäre.
Das Konzept des „Informationstraumas“ führt unter physiologischen wie psychologischen Gesichtspunkten zu einem komplementären Ergebnis. Auf beiden Ebenen scheint die Integration der traumatischen Erfahrung in die vorhandenen Schemata des Selbst- und Weltverständnisses bzw. die funktionell-neuronalen Strukturen zu misslingen. Ungeklärt ist bislang allerdings die genaue Wechselwirkung zwischen diesen Phänomenen. So kann die physiologische Teilstrecke der Informationsverarbeitung als Voraussetzung für die psychologische gesehen werden. Wenn die zentralnervöse Blockade aufgehoben ist und der Kontakt zu den kategorisierenden Hirnstrukturen (wieder) zustande kommt, kann die psychologische Verarbeitung auf dieser Voraussetzung aufbauen. Andererseits stellen sich in der Psychotherapie und in natürlichen Verarbeitungsprozessen möglicherweise auch „Abwärtseffekte“ (vgl. Abbildung 2) ein in dem Sinne, dass die sprachliche Kategorisierung oder „Rekategorisierung“ der traumatischen Erfahrung physiologische Integrationsprozesse erleichtert.
Ein Verfahren, das möglicherweise auf beiden Ebenen, der psychischen und der physiologischen parallele Integrationsprozesse fördert, ist das sog. „Eye Movement Desensitization and Reprocessing“ (EMDR) nach Shapiro (1995) Eine bildhafte und verbale Verarbeitung des Traumas soll durch rhythmische laterale Stimulation gefördert werden. Eine Hypothese zur Wirkungsweise besteht in der Annahme, dass laterale Stimulation, z. B. rhythmische seitliche Augenbewegungen, der traumabedingten Lateralisation entgegenwirkt und die Zusammenführung von links- und rechtshemisphärischer Information unterstützt.
2.3 Fassen des Unfasslichen – die traumatische Reaktion
Wir haben im vorigen Abschnitt versucht, das peritraumatische Erleben, die unmittelbare Erfahrung einer traumatischen Situation mit Hilfe des Situationskreis-Modells in ihrem psychobiologischen Funktionszusammenhang zu verstehen. Im Folgenden wenden wir uns dem postexpositorischen Zeitraum zu, den man auch als Einwirkungsphase der traumatischen Erfahrung bezeichnen kann. Die akute Bedrohung ist zwar vorüber, doch die Betroffenen stehen noch lange Zeit unter der Einwirkung des traumatischen Erlebnisses.
Die → traumatische Reaktion kann man analog etwa zur „Immunreaktion“ als einen komplexen Abwehrvorgang verstehen, in dem der psychophysische Organismus versucht, einen eingedrungenen Fremdkörper bzw. eingedrungene Mikroorganismen entweder zu vernichten und auszuscheiden oder aber zu assimilieren. Eine dritte Möglichkeit besteht darin, mit dem „Trauma“ als nicht assimilierbarem innerem „Fremdkörper“ weiter zu leben – eine Situation, die für Phase 3 im Verlaufsmodell der psychischen Traumatisierung, den traumatischen Prozess charakteristisch ist. Diese somatischen Metaphern können den Überblick über das komplexe psychophysische Traumageschehen erleichtern.
Einige Charakteristika der postexpositorischen → traumatischen Reaktion lassen sich aus den Überlegungen des vorigen Abschnitts ableiten. Die traumatische Erfahrung hat zu Ausnahmezuständen geführt, die von der Normalverfassung des Subjekts abgespalten oder dissoziiert sind. Diese können auch in der Einwirkungsphase fortbestehen. Solche Ausnahmezustände wurden in der Geschichte der Psychotraumatologie bisweilen als „hypnoid“ (schlafähnlich) oder tranceartig bezeichnet. In diesen werden Bruchstücke der traumatischen Erfahrung wiedererlebt. Piérre Janet sah dissoziierte Erlebniszustände oder Stimmungslagen als zentrale Traumafolge an (van der Kolk et al. 1989), während Freud sich später von der Zustandstheorie der Traumafolgen abwandte und sich der Ausarbeitung seiner Abwehrlehre widmete. Beide Zugangsweisen erscheinen aber nicht unvereinbar. Ein Pionier der Traumaforschung, dem es gelingt, die Abwehrlehre und Zustandstheorie miteinander zu verbinden, ist der nordamerikanische Psychoanalytiker Mardi Horowitz, dessen Konzept der traumatischen Reaktion im Folgenden dargestellt wird.
Nach Horowitz durchläuft die post-expositorische Reaktion mehrere Phasen, die jeweils nach einer normalen und einer pathologischen Variante unterschieden werden können. Die normale Reaktion bezeichnet Horowitz als „stress response“, die pathologische Variante stellt die traumatische Reaktion im engeren Sinne dar:
1.Die peri-traumatische Expositionsphase. Die normale Antwort sind Aufschrei, Angst, Trauer und Wutreaktionen. Der pathologische → Erlebniszustand ist gekennzeichnet durch Überflutung von den überwältigenden Eindrücken. Die betroffene Persönlichkeit wird von der unmittelbaren emotionalen Reaktion überschwemmt und befindet sich manchmal noch lange Zeit über in einem Zustand von Panik bzw. Erschöpfung, der aus den eskalierenden emotionalen Reaktionen entsteht.
2.Verleugnungsphase (bzw. -zustand). Die Betroffenen wehren sich gegen Erinnerungen an die traumatische Situation. Pathologische Variante: Extremes Vermeidungsverhalten, evtl. unterstützt durch Gebrauch von Drogen und Medikamenten, um den seelischen Schmerz nicht erleben zu müssen.
3.Phase (bzw. Zustand): Eindringen von Gedanken oder Erinnerungsbildern. Pathologische Variante: Erlebniszustände mit ständig sich aufdrängenden Gedanken und Erinnerungsbildern vom Trauma (intrusive Phänomene des PTBS).
4.Phase bzw. Erlebniszustand: Durcharbeiten. Hier setzen sich die Betroffenen mit den traumatischen Ereignissen und ihrer persönlichen Reaktion auseinander.
5.Relativer Abschluss (completion). Ein Kriterium ist die Fähigkeit, die traumatische Situation in ihren wichtigsten Bestandteilen erinnern zu können, ohne zwanghaft daran denken zu müssen.
Die pathologischen Varianten zu den Phasen 4 und 5 sind „frozen states“: erstarrte Zustände mit psychosomatischen Symptomen, wie körperlichen Missempfindungen verschiedener Art und Verlust der Hoffnung, die traumatische Erfahrung durcharbeiten und abschließen zu können; ferner Charakterveränderungen als Versuch, mit der subjektiv nicht zu bewältigenden traumatischen Erfahrung zu leben. Ausgedehnte Vermeidungshaltungen gehen mit der Zeit in phobische Charakterzüge über. Als ein allgemeines Merkmal traumabedingter Charakterveränderung kann die Störung von Arbeits- und Liebesfähigkeit angesehen werden.
Die bahnbrechende Arbeit von Horowitz zur Stress- und Traumatheorie „Stress response syndroms“ erschien zum ersten Mal im Jahre 1976. Sie kann als eine Pionierarbeit gelten, die dazu beigetragen hat, dass psychotraumatologische Syndrome wie die PTSD in das diagnostische Manual der Amerikanischen Psychiatrischen Gesellschaft Eingang fanden. Die Psychotraumatologie verdankt Horowitz zudem die Entdeckung des biphasischen Charakters der traumatischen Reaktion als eines zentralen psychobiologischen Verarbeitungsmechanismus.
Es handelt sich um den regelhaft wiederkehrenden Wechsel von Intrusion (Eindringen) und Verleugnung der traumatischen Erinnerungsbilder. Dieser zweiphasische Charakter der traumatischen Reaktion steht nach Horowitz im Dienste einer Tendenz zur Erledigung unvollendeter Handlungen (completion tendency, → Vollendungstendenz), die in der Psychologie auch experimentell untersucht wurde. Ein Beispiel sind die Experimente zum so genannten „Zeigarnik-Effekt“. Zeigarnik konnte zeigen, dass künstlich unterbrochene Handlungen bevorzugt wieder aufgenommen werden, sobald die Versuchspersonen Gelegenheit dazu finden. Begriffe, die mit diesen unerledigten Handlungen assoziiert waren, wurden in einem Gedächtnistest weit häufiger erinnert als solche aus anderen Assoziationsfeldern.
Die „completion tendency“ als Tendenz zur Wiederaufnahme und Vollendung unterbrochener Handlungen hat in der Wahrnehmungspsychologie eine Entsprechung in der Tendenz zur „guten Gestalt“. Auch der von Freud beschriebene „Wiederholungszwang“ folgt in seinem positiven, zukunftsgerichteten Aspekt der → Vollendungstendenz und lässt sich als Versuch verstehen, unbewältigte lebensgeschichtliche Erfahrungen zu einem Abschluss, einer relativen Vollendung zu bringen. Nach Piaget folgen die sensomotorischen Schemata einer Tendenz zur Selbstbetätigung durch Wiederholung, die er als Tendenz zur „reproduzierenden Assimilation“ bezeichnet. Vom Situationskreismodell her ist anzunehmen, dass immer neue Zyklen der hypothetischen Bedeutungsunterstellung und Bedeutungserprobung durchlaufen werden, um den unassimilierbaren Fremdkörper, den die traumatische Erfahrung bildet, in den semantischen Deutungsbestand oder das schematische Wissen der Persönlichkeit integrieren zu können.
Da die traumatische Erfahrung auf einem vital bedeutsamen Diskrepanzerlebnis beruht, kann sie vom psychischen System nicht auf Dauer ignoriert und gewissermaßen beiseite geschoben werden. Die Verleugnungsversuche des „denial state of mind“ sind langfristig zum Scheitern verurteilt.
Horowitz nimmt an, dass vital bedeutsame unerledigte Handlungen vom Typus des Traumas in einer Art Arbeitsgedächtnis (working memory) gespeichert werden, das gegenüber den alltäglichen Agenda und deren kognitiver Verarbeitung eine „Vorzugsschaltung“ genießt. Sobald die äußeren Verhältnisse und die kognitive Kapazität dies gestatten, dringen die Agenda des „working memory“ in die Bewusstseinssphäre, gleichsam in den „Arbeitsspeicher“ des psychischen Systems vor. Dabei handelt es sich um einen dynamischen, konflikthaften Vorgang mit instabilem Gleichgewicht. Personen beispielsweise, deren Traumaverarbeitungsprozess im Erlebniszustand der Verleugnung und Vermeidung fixiert ist, müssen mit der Zeit zu immer stärkeren Mitteln greifen, um den Eintritt der traumatischen Agenda in die Bewusstseinssphäre zu verhindern. Der Traumaverarbeitungsprozess ist hier pathologisch entgleist. Im günstigen Falle aber können im biphasischen Wechsel von Verleugnung und Intrusion die Agenda des „working memory“ schrittweise aufgearbeitet werden. Die (kognitiv-emotionalen) Schemata des bisherigen Selbst- und Weltverständnisses müssen dabei in einem oft langwierigen Prozess so lange modifiziert werden, bis die traumatische Erfahrung in den überdauernden schematischen Wissensbestand der Persönlichkeit integriert ist und der Verarbeitungszyklus zu einem relativen Abschluss kommt.