Kitabı oku: «Lehrbuch der Psychotraumatologie», sayfa 6

Yazı tipi:

Ausblick zur ICD-11. 2022 soll die ICD in der elften Version in Kratft treten, zum Zeitpunkt der Drucklegung liegt die neueste Version jedoch noch nicht vor. Die folgenden Hinweise beziehen sich auf die Vorschläge der Arbeitsgruppe zu belastenden Ereignissen (Maercker et al. 2013a; Maercker et al. 2013b) und den koordinierten Vorschlägen (World Health Organization 2017). Diese zielen auf eine starke Vereinfachung der Diagnostik mit dem Ziel einer Konzentration auf den vermuteten symptomatischen Kern des Störungsbildes, eine Reduktion von komorbiden Diagnosen und internationale Homogenisierung der Diagnostik ab. Im Bereich des PTBS werden Symptome wie Dysphorie oder Niedergeschlagenheit, Insomnie, Konzentrationseinschränkungen und Reizbarkeit nur noch als assoziierte Symptome gelistet. Als Kernkriterien werden Wiedererleben des Traumas, Vermeidung von Gedanken an das Trauma oder Situationen, welche an das Trauma erinnern könnten, und Hypervigilanz gelistet. Dies reduziert das PTBS erneut auf eine Störung im Angstspektrum und schließt externalisierende und anhedonische Symptome weitgehend aus.

Ein post-hoc-Vergleich der Diagnosekriterien anhand bekannter amerikanischer Stichproben zeigt, dass sich durch die ICD-11 Kriterien eine um 10 bis 30 Prozent reduzierte Prävalenz im direkten Vergleich zu DSM-5 Kriterien ergibt. Werden als Maßstab die Diagnosekriterien der ICD-10 herangezogen, ergibt sich gar eine 25 Prozent bis 50 prozentige Reduktion der Prävalenz (Wisco et al. 2016).

Eine Netzwerksanalyse, die anhand einer großen Stichprobe von amerikanischen Veteranen durchgeführt wurde, hatte zum Ziel, verknüpfte Kernelemente des PTBS zu definieren. Die Autoren fanden folgende Kernelemente: Anhaltende negative Emotionen, Unvermögen, positive Emotionalität zu erleben, Albträume, aktive Vermeidung externer Hinweise auf das Trauma, aktive Vermeidung von Gedanken an das Trauma und sich aufdrängende Gedanken und Erinnerungen (Mitchell et al. 2017). Es zeigt sich, dass nur die letztgenannten drei Elemente in den Vorschlägen zur ICD-11 Berücksichtigung finden und auch diese dort restriktiv ausgelegt werden sollen.

Das hier vorgeschlagene Prozessmodel lässt sich mit den ICD-11-Vorschlägen schwer vereinbaren. In der Abwägung der Nosologien bietet das DSM-5 deutlich umfassendere Diagnosemöglichkeiten unter Einbeziehung eines breiteren Spektrums an Symptomen, welche der Heterogenität der Ausprägung in dem hier vorgeschlagenen Prozessmodell der Erkrankungen eher gerecht wird.

Differentialdiagnose und Komorbiditäten der psychotraumatischen Belastungssyndrome. Differentialdiagnostische Kriterien sind vor allem gegenüber solchen Störungen von Interesse, die Ähnlichkeit oder Überschneidungen mit den psychotraumatischen Syndromen aufweisen. Gleichzeitig kann ein Patient jedoch auch unter beiden Störungen leiden (Komorbidität, gleichzeitiges Auftreten zweier Krankheiten). Von den Patienten mit PTBS erfüllen etwa 80% die Kriterien mindestens eines weiteren Störungsbildes.

Neben der schon erwähnten Anpassungsstörung überschneidet sich das bPTBS jeweils in einigen Symptomen mit Depression, Schizophrenie, Angststörungen und antisozialer Persönlichkeitsstörung. Die Ähnlichkeit einiger Symptome mit psychotischem Erleben hatte nach Arnold (1985) dazu geführt, dass nicht wenige Vietnamveteranen mit PTBS die Diagnose „paranoide Schizophrenie“ erhielten. Ihre intrusiven Erinnerungsbilder wurden als Halluzination bewertet und die erhöhte Wutbereitschaft der ehemaligen Soldaten auf paranoide Ideen zurückgeführt. Die Aufnahme des PTSD in das DSM-III hat diese Fehldiagnosen reduziert. Das Beispiel kann verdeutlichen, wie häufig vor Entwicklung der Psychotraumatologie Traumaopfer als schwer „gestört“, evtl. als psychotisch eingestuft wurden.

Mit der Major Depression im DSM-5 überschneiden sich folgende Symptome: Verlust von Interesse an Aktivitäten, Konzentrationsstörungen und Schlafstörungen. Die Differentialdiagnose ist hier schwierig, da sich eine depressive Stimmungslage auch aus den verbreiteten Phänomenen des Schuldgefühls, evtl. der Überlebendenschuld bei Traumaopfern ableiten lässt. Ein differenzielles Kriterium ist das Vorkommen prätraumatischer depressiver Episoden. Komorbiditäten zwischen Depression und psychotraumatischen Störungsbildern werden relativ häufig diagnostiziert. Die Major Depression nach DSM-5 beinhaltet keines der Symptome in Kategorie B und C, und nur wenige der Symptome der Kategorien D und E (Tabelle 2). Eine Major Depression sollte daher nur dann diagnostiziert werden, wenn diese Symptome nicht vorliegen.

Ein differentialdiagnostisches Kriterium zur Schizophrenie ist nach Arnold (1985) der Inhalt der dissoziierten Rückblenden und Erinnerungsbilder. Während diese beim PTBS die traumatischen Erfahrungen ausdrücken, lassen sich die schizophrenen Halluzinationen meist mit keiner konkreten Erfahrung in Zusammenhang bringen. Andererseits kann eine psychotische Episode selbst ein traumatisches Ereignis für den Betroffenen darstellen. McGorry et al. (1991) konnten bei annähernd der Hälfte von 36 stationär behandelten Patienten ein PTBS nachweisen, das sich in der Erholungsphase nach dem psychotischen Erleben entwickelte.

Überschneidungen mit der antisozialen Persönlichkeit bestehen in Impulsivität, feindseliger Haltung, unverantwortlichem Finanzgebaren und sexuellen Funktionsstörungen als Symptomen, die sich auch bei Traumapatienten finden. Unterschiede lassen sich vor allem an der Biographie der beiden Patientengruppen feststellen. Nach Arnold (1985) sind schon in Kindheit und Jugendzeit auftretende antisoziale Verhaltensweisen ein verlässlicher Hinweis auf die antisoziale Persönlichkeit. Komorbidität besteht jedoch häufig, da antisoziale Persönlichkeiten einen Lebensstil pflegen, der sie einem erhöhten Traumarisiko aussetzt. In jedem Falle ist das Auftreten dieser Symptome zeitlich nach einem traumatischen Ereignis ein Hinweis, der gegen eine Persönlichkeitsstörung spricht.

Auch mit Alkoholabusus ist eine erhöhte Komorbiditätsrate gegeben, die u. a. auf die Versuche von Traumapatienten zur Selbstmedikation zurückzuführen ist. Nach van der Kolk (1983) kann Alkohol Alpträume unterdrücken, das Erregungsniveau des autonomen Nervensystems reduzieren und nichttraumatische Phantasien fördern. Alkoholgenuss in begrenzter Menge kann so eine subjektive Symptomminderung initial nach der traumatischen Erfahrung bedingen. Es besteht jedoch die Gefahr der Gewöhnung, wenn keine anderen Verarbeitungsmöglichkeiten gefunden werden. Alkohol- oder Medikamentenabhängigkeit ist häufig ein Grund, weshalb sich Traumapatienten später in Behandlung begeben.

Um auszuschließen, dass PTBS-Symptome vorgetäuscht werden, kann einmal die Motivlage, zum anderen die Lebensgeschichte des Patienten herangezogen werden. In einigen psychologischen Tests wie dem MMPI gibt es zudem Kontrollskalen, die eine Tendenz zum Verschlimmern oder Übertreiben von Symptomen abzuschätzen erlauben.

Im Folgenden werden wir am Beispiel eines 53-jährigen Patienten, der Opfer eines Verkehrsunfalls wurde, einige Probleme von Diagnose und Differentialdiagnose verdeutlichen.

Klinisches Beispiel. Der Patient wurde auf Anordnung des Gerichts einer medizinisch-psychologischen Begutachtung unterzogen, als die gegnerische Unfallversicherung sich weigerte, für die somatischen und psychischen Störungen, die sich im Anschluss an den Unfall eingestellt hatten, aufzukommen. Er war mittlerweile, etwa 3 Jahre nach dem Unfall, arbeitsunfähig geworden, nachdem er zuvor als selbständiger Kleinunternehmer sehr erfolgreich tätig war und ca. 500.000 € Umsatz im Jahr erarbeitet hatte. Die Versicherung war bereit, ca. 3.000 € Schadensersatz zu leisten. Dem Gericht lagen bereits einige fachliche Stellungnahmen vor, von denen 3 den Zusammenhang mit dem Unfall anerkannten, während eine ihn bestritt und einen erblich bedingten Krankheitsprozess unterstellte, der sowohl die körperlichen wie die psychischen Symptome hervorgebracht haben sollte. Allerdings konnte dieser Gutachter kein Prodromalstadium der angenommenen Krankheit vor dem Unfall nachweisen, was für die Diagnose erforderlich gewesen wäre.

Das zweite ausführliche Gutachten nahm eine „unfallreaktive Somatisierungsstörung“ nach Rudolf (1991) an. Hier wird ein unbewusster Konflikt unterstellt, der durch den Unfall lediglich in unspezifischer Weise stimuliert wurde. Der Konflikt war allerdings im Gutachten nicht inhaltlich benannt worden. Von daher fragte das Gericht den neuen Gutachter, ob tatsächlich ein solcher unbewusster Konflikt vorläge.

Den Unfallhergang schildert der Proband (= Untersuchungspartner in einer psychodiagnostischen Untersuchung) folgendermaßen:

Hinter einem mit hoher Geschwindigkeit entgegenkommenden Lastwagen auf der Landstraße sei plötzlich ein PKW hervorgefahren, um zu einem Überholversuch anzusetzen. Herr R., so nennen wir den Probanden, hatte keine Möglichkeit mehr auszuweichen, da die Straße zu schmal war und die Geschwindigkeit aller drei Fahrzeuge zu hoch. Offenbar hatte der überholende PKW-Fahrer versäumt zu überprüfen, ob die Straße für das geplante Überholmanöver frei war. Der Proband berichtet dann, er habe jetzt von Fertigkeiten Gebrauch gemacht, die er früher bei einem Überlebenstraining für gefährliche Situationen im Straßenverkehr erworben hatte. Er sei ausgewichen unter äußerst riskanten Bedingungen und so sei es ihm gelungen, das Schlimmste zu vermeiden. Er riss den Wagen herum auf den Seitenstreifen, prallte gegen mehrere Bäume und kam zum Stehen an einem Baum, hinter dem die Böschung in einen etwa 8 m tiefer gelegenen Fluss abstürzte. Herr R. stemmte sich am Boden des Fahrzeugs mit dem rechten Fuß mit aller Kraft „symbolisch“ gegen diesen Abgrund. Er war dreimal heftig mit dem Kopf angestoßen und hatte sich ein Schädel-Hirn-Trauma zugezogen, wohingegen der Fahrer des entgegenkommenden Wagens unverletzt blieb. Beide hatten sich in einer sehr gefährlichen, lebensbedrohlichen Situation befunden. Dem entsprach auch das subjektive Erleben von Herrn R., wie er es im diagnostischen Interview schilderte.

Vor allem das plötzliche und völlig unvorhersehbare Auftauchen des entgegenkommenden Wagens hinter dem Lastwagen hervor gehöre zum Schrecklichsten, woran er sich erinnern könne, berichtet Herr R. Der Unfallgegner sei ihm mit vor Entsetzen „so weit wie Untertassen aufgerissenen Augen“ entgegengekommen, habe aber überhaupt nichts unternommen, um den Zusammenprall zu vermeiden. Ihm selbst sei in diesen Bruchteilen von Sekunden, vor allem unmittelbar nach dem gelungenen Ausweichmanöver, die Zeit stehen geblieben, und ein „Lebensfilm“ sei innerlich abgelaufen. Er habe sich so etwas nie vorstellen können. In den wenigen Augenblicken sei zunächst die Erinnerung an einen Bombenangriff aufgetaucht, den er mit viereinhalb Jahren miterlebte. Damals floh der Proband zusammen mit seiner Mutter zwischen brennenden Häusern und teilweise bizarr herumliegenden Leichen hindurch. Auch andere Ereignisse aus seinem Leben seien darin vorgekommen, wie z. B. die Erinnerung an seine Hochzeit, eine Schlägerei, Gedanken an verschiedene Freunde, lebende und tote, und das alles in diesen Bruchteilen von Sekunden, während er mehr oder weniger reflexartig versuchte, das Schlimmste zu vermeiden. Nach dem Unfall sei ihm noch sehr unangenehm das Verhalten des Unfallgegners aufgefallen, der ja auch schon während des Unfalls nichts zur Vermeidung des Schlimmsten beigetragen hatte. So habe dieser sich nicht einmal bei ihm bedankt, obwohl er ihm doch einiges zu verdanken gehabt habe. Der Proband fügt noch hinzu, er sei in diesen wenigen Augenblicken seines Lebensfilms wohl tatsächlich nahe an den Tod herangekommen.

Dieses Unfallerleben spiegelt sich auch in einem der Alpträume, von denen Herr R. seither regelmäßig nachts heimgesucht wird und aus denen er schweißgebadet erwacht. Es rasen zwei Autofahrer aufeinander zu, aber, wie der Proband sagt, „normal“, d. h. ohne ein Überlebenstraining in brenzligen Verkehrssituationen. Der Patient sieht wie in Großaufnahme den Motor des gegnerischen Fahrzeugs auf sich zukommen: „Ich sehe den Motor, sehe mich blutüberströmt, den anderen auch, wie wenn ich über der ganzen Sache schweben würde; dann werde ich plötzlich hellwach, habe Kopfweh bis zu Sehstörungen, zittere, stehe auf und kann mich erst beruhigen, wenn meine Frau in der Nähe ist.“

Die Symptome des Kopfschmerzes und der Sehstörung, die im Traum vorkommen, hatten sich auch in Wirklichkeit unmittelbar nach dem Unfall eingestellt. Der Kopfschmerz hatte sich mit der Zeit bis zur Unerträglichkeit gesteigert. Die Sehstörung bestand in Doppeltsehen und führte dazu, dass der Proband sich optisch zeitweise nicht mehr orientieren konnte. Um die sich ebenfalls steigernde Angst vorm Autofahren zu überwinden, zwang er sich zeitweise, auch unterstützt durch eine Verhaltenstherapie, zu größeren Fahrten, wurde aber durch das Doppeltsehen und die Kopfschmerzen so sehr behindert, dass er nur etwa 10 km pro Stunde zurücklegen konnte.

Untersuchungsergebnisse. Bei der neuropsychologischen Untersuchung ergab sich vor allem ein Defizit im nichtverbalen Kurzzeitgedächtnis, erfasst u. a. mit dem „Recurring-Figures-Test“, das auf eine Beeinträchtigung der frontokortikalen Funktionen verweist. Dieses Teilergebnis fiel aus dem sonstigen intraindividuellen Leistungsniveau des Probanden heraus. Aber auch einige andere Merkmale lagen im unteren Grenzbereich. Das Ergebnis war insgesamt typisch für den Residualzustand nach einem Schädel-Hirn-Trauma, wie er nach den mittlerweile vergangenen 3 Jahren zu erwarten war. Es legt aber auch nahe, dass die kognitiven Funktionen unmittelbar nach dem Unfall erheblich stärker beeinträchtigt waren. Diese Annahme deckt sich mit der Selbstschilderung des Probanden. Bei seinen Klagen über Orientierungsschwierigkeiten im Straßenverkehr erwähnte er, dass ihm „alles zu schnell“ gehe, er nicht mitkomme usf. Solche Klagen sind für Patienten typisch, die unter Störungen der Konzentration und des visuellen Kurzzeitgedächtnisses leiden. Herr R., der gewohnt war, schwierige Situationen durch Energie, Entschlossenheit und Tatkraft zu meistern, konnte sich auf seine eigenen Wahrnehmungsmöglichkeiten nicht mehr verlassen. Dies hat sicherlich zur weiteren Verunsicherung des Patienten beigetragen, zu depressiven Selbstzweifeln an seiner Fähigkeit, sich in der Welt zurechtzufinden.

Auch unter psychotraumatologischen Gesichtspunkten ergab sich ein deutlicher Zusammenhang zwischen der nachfolgenden Angstsymptomatik und dem konkreten Unfallgeschehen. Angstauslösend im Straßenverkehr waren für Herrn R. in der postexpositorischen Zeit entgegenkommende Lastwagen. Es wiederholte sich in den fortbestehenden Ängsten also die Unfallsituation, als hinter dem Lastwagen, bis dahin unsichtbar, plötzlich der entgegenkommende Wagen hervorkam. Der Umstand, dass Herr R. sich nur noch symbolisch mit dem rechten Fuß gegen den „Abgrund“, gegen die Gefahr stemmen konnte, in den viel tiefer gelegenen Fluss zu fallen, kehrt in der Angst auf Leitern und erhöht gelegenen Positionen wieder, unter denen der Proband ebenfalls leidet. Wenn er auf einer Leiter steht, muss er sich mit dem rechten Fuß und dem Bein gegen irgendeinen Halt stützen, um die Angst einigermaßen unter Kontrolle zu bekommen. Auch kann er sich auf diesen Erhöhungen nur halten, wenn er das rechte Gesichtsfeld abdeckt, beispielsweise mit einer klebenden Binde, als müsste er sich auch hier gegen den Sturz in den Abgrund absichern, wie er beim Unfall beinahe geschehen wäre. Ein deutlicher Zusammenhang mit dem Unfallgeschehen liegt ferner im Inhalt des zuvor geschilderten Alptraums. Dieser stellt dar, was hätte geschehen können, wenn Herr R. nicht dem Unfallgegner geistesgegenwärtig und trainiert ausgewichen wäre. Auch die Dissoziierung von Körper und Geist, das „über der Sache schweben“, wie es im Traum geschieht, gehört zu den traumakompensatorischen Mechanismen in einer lebensbedrohlichen Belastungssituation.

Der wiederkehrende Alptraum mit seinem deutlich auf den Unfall bezogenen Inhalt ist zugleich eines der Kriterien des bPTBS. Das erste der vier Kriterien, das außergewöhnliche, evtl. lebensbedrohliche Ereignis ist mit dem Unfall gegeben. Auch das zweite, intrusive Erinnerungsbilder, trifft auf Herrn R. zu. Er erlebt wiederkehrende, eindringliche, belastende Erinnerungen an das Ereignis und wiederkehrende, erschreckende Träume, in denen das Unfallgeschehen sogar noch bedrohlicher als in der Realität erscheint.

Kriteriengruppe drei erfasst das dauerhafte Vermeiden von Reizsituationen, die mit dem Trauma verbunden sind (avoidance, denial). Zumindest drei Symptome finden sich bei Herrn R. Er versucht, Gedanken oder Gefühle zu vermeiden, die mit dem Trauma in Verbindung stehen. Er bemüht sich, Handlungen oder Situationen zu vermeiden, die Erinnerungen an das Trauma wachrufen. Er hat eine depressiv gefärbte, gegenüber dem vortraumatischen Zustand veränderte Zukunftsperspektive.

Die vierte Kriteriengruppe umfasst Symptome erhöhter Schreckhaftigkeit und Erregbarkeit vs. emotionale Abstumpfung. Hier zeigt Herr R. vier Symptome der ersten Teilgruppe, nämlich Einschlafschwierigkeiten, Irritierbarkeit und Wutausbrüche, Konzentrationsschwierigkeiten und erhöhte Schreckhaftigkeit. Die meisten dieser Symptome wurden bereits in dem Erlebniszusammenhang beschrieben, in dem sie während des Interviews vom Probanden erwähnt wurden.

Aufgrund der Exploration und des Interviews trifft auf Herrn R. die Diagnose „chronifiziertes PTBS“ zu. Diese Diagnose wurde auch unterstützt durch die Ergebnisse der Impact of Event Scale (IES, Horowitz et al. 1979). In der angewandten Version wurden zwei der Traumadimensionen erfasst: Intrusion und Verleugnung (Hütter und Fischer). In beiden weist das Testergebnis von Herrn R. Höchstwerte auf; 27 von 28 möglichen Punkten in der Dimension „Intrusion“ und 28 von 32 möglichen Punkten in „Avoidance-Denial“.

Diagnose. Chronifiziertes psychotraumatisches Belastungssyndrom (im Sinne von DSM und ICD) infolge eines unverschuldeten Verkehrsunfalls. Ein Schwerpunkt der Symptomatik liegt im Bereich phobischer und depressiver Reaktionen. Es besteht ein neuropsychologisches Residualsyndrom nach unfallbedingtem Schädel-Hirn-Trauma mit symptomatischem Schwerpunkt im Bereich des nichtverbalen Kurzzeitgedächtnisses.

Ein unbewusster Konflikt, der schon aus der Kindheit stammt und durch den Unfall lediglich reaktiviert worden wäre, besteht bei Herrn R. nicht. Zumindest ist in der prätraumatischen Vorgeschichte kein Hinweis zu erkennen auf eine Kindheitsneurose oder bedeutsame Störungen der Kindheits- oder Erwachsenenentwicklung. Der Fall von Herrn R. weist jedoch verschiedene Risikofaktoren für ein chronisches PTBS auf, wie sie auch in einem anderen Bereich der speziellen Psychotraumatologie, nämlich bei Opfern von Gewaltverbrechen, festgestellt wurde. Zu diesem Ergebnis kommen Untersuchungen im Rahmen des Kölner Opferhilfe Modellprojekts (KOM; Fischer et al. 1998), welches das Deutsche Institut für Psychotraumatologie als gemeinnütziger Verein zusammen mit der Universität Köln und dem Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales Nordrhein Westfalen betreibt. Die Risikofaktoren sind durch einige situative und lebensgeschichtliche Merkmale bestimmt, die möglicherweise auch auf Unfallpatienten zutreffen. Dazu gehören:

Subjektives Erleben von Todesangst bzw. von → Todesnähe; ungünstige postexpositorische Erfahrungen, wie sie Herr R. zum Beispiel mit dem Unfallgegner und der gegnerischen Versicherung machen musste; starke peritraumatische Dissoziationstendenzen (Lebensfilm, Schweben über dem Unfallgeschehen); traumatische Vorbelastungen in der Lebensgeschichte. Ein weiteres Merkmal, eine relativ lange zeitliche Erstreckung der traumatischen Situation, das vor allem bei den Opfern von Gewaltverbrechen prognostisch diskriminiert, war bei Herrn R. nicht gegeben.

Mit dem Kriterium einer lebensgeschichtlich vorausgehenden Traumatisierung kommen wir zurück auf die Erinnerung an die Bombennacht des etwa vierjährigen Jungen, die bezeichnenderweise ganz am Anfang des „Lebensfilms“ in der Erinnerung wieder auftaucht. Der Proband war mit seiner Mutter aus der bombardierten Stadt geflohen, hatte die Zerstörung der Häuser und den Tod von Menschen erlebt und möglicherweise auch damals schon Todesangst empfunden, zumindest aber eine „Erschütterung“ seines „Selbst- und Weltverständnisses“ im Sinne unserer Definition des Traumas, eine tief greifende Verunsicherung, gegen die er möglicherweise kompensatorisch eine sehr aktive Lebensform entwickelt hatte, wie aus der Anamnese zu entnehmen war. Als ältester Sohn hatte er sich in besonderer Weise für die Mutter und die jüngeren Geschwister verantwortlich gefühlt, eine Haltung, die er später auf seine Frau und die eigene Familie übertrug. Das → traumakompensatorische Schema besteht also in der ständigen Bemühung um Schutz und Fürsorge für andere, eine Lebensform, die durch die dem Unfall folgende eigene → Hilflosigkeit abrupt blockiert wurde. Alles kompensatorische Bemühen kann nicht verhindern, dass die völlig unvorhersehbare Lebensbedrohung wiederkehrt. In sehr eindrucksvoller Weise tritt im peritraumatisch dissoziierten → Traumaschema daher die Kindheitsbedrohung als erste Erinnerung im „Lebensfilm“ wieder auf. Allerdings versagen im Nachhinein die gewohnten kompensatorischen Mechanismen. Herr R. bemüht sich verzweifelt, seine berufliche Tätigkeit wieder aufzunehmen, wird jedoch durch die anhaltenden Störungen daran gehindert und überfordert sich hoffnungslos. Das → ZTST besteht demnach darin, eine vergleichbare, dem Traumaschema assimilierte Bedrohung erleiden zu müssen, ohne jedoch für das aktive, geistesgegenwärtige Verhalten Anerkennung zu finden und ohne den Ausweg einer Kompensation durch Arbeit und Leistung, der wiederum Schutz und Sicherheit (für andere) garantiert. Der Zusammenbruch der bisherigen kompensatorischen Mechanismen ist die zentrale „Bruchstelle“ in der Dynamik des Traumageschehens. Sie ist allerdings auch der Ansatzpunkt für die therapeutische Intervention, die aber leider nicht sehr effektiv gewesen zu sein scheint.

Die letzten Ausführungen greifen auf einige Konzepte vor wie → Traumaschema, die in späteren Abschnitten ausführlich entwickelt werden. Eine Verständnishilfe ist über das Glossar möglich.

Einige allgemeinere Bemerkungen möchten wir noch zu dem evtl. „vorbestehenden Konflikt“ bei Herrn R. machen, wonach das Gericht in diesem Gutachtenfall in folgender Formulierung fragt: „Ist der Unfall nur eine seinem Wesen nach auswechselbare Ursache, nur ein Kristallisationspunkt, der unbewusst zum Anlass genommen wird, sich der Verantwortung für die eigene Lebensführung insofern zu entziehen, als (der Proband) sich den Belastungen des Erwerbslebens nicht mehr zu stellen braucht? Oder dazu, andere latente innere Konflikte zu kompensieren?“

Mit seiner Diagnose einer „unfallreaktiven Somatisierungsstörung“ nach Rudolf hatte einer der Gutachter diese Frage des Gerichts positiv entschieden, ohne allerdings den Konflikt inhaltlich zu benennen. Hier zeigt sich u. E. eine Gefahr bei der Verwendung des Konfliktbegriffs, die möglicherweise auch mit der Terminologie des „Aktualkonflikts“ für die „Operationalisierte Psychodynamische Diagnostik“ (OPD) verbunden ist (zur Diskussion vgl. Heuft et al. 1997). Der „Konflikt“ verselbständigt sich zu einer Entität, die ein schwer überschaubares Eigenleben gewinnt, und die traumatische Erfahrung reduziert sich parallel dazu auf einen mehr oder weniger „beliebigen Anlass“, konfliktuöse „Wünsche“ zu befriedigen. Dieser Fall ist natürlich vorstellbar, müsste aber besonders diagnostiziert werden. Die Verwendung des Konfliktbegriffs kann verwirren. Unsere oben entwickelte psychotraumatische Rekonstruktion zeigt eine davon unterschiedliche Verbindung von traumatischer Vorbelastung und aktuellem Trauma. Die aktuelle traumatische Erfahrung erscheint hier nicht als mehr oder weniger „beliebiger“ Anlass zur Aktualisierung eines latenten Konflikts. Sie wirkt im Gegenteil durch ihre assimilative Ankopplung an das frühere Traumaschema, wie der „Lebensfilm“ bei Herrn R. eindrucksvoll zeigt. Stammt das Traumaschema aus der Kindheitserfahrung, so wird es sich oft als besonders „akkommodationsresistent“ erweisen, was beispielsweise die fortschreitende Generalisierung und Ausbreitung der Phobie bei Herrn R. erklären kann. Es ist, als würde das Selbst nachträglich feststellen: „Deine lebenslange Flucht vor jener Hilflosigkeit und Bedrohung, der du schon als Kind ausgesetzt warst, war vergebens. Jetzt hat dich das eingeholt, was du immer vermeiden wolltest.“

Die lebensgeschichtliche Rekonstruktion der traumatischen Erfahrung in einer spezifisch psychotraumatologischen Begrifflichkeit und Dynamik kann also die Wirkung einer aktuellen traumatischen Situation auf dem Hintergrund der Lebensgeschichte verständlich machen, ohne sie auf einen mehr oder weniger beliebigen „Anlass“ zu reduzieren. Das Konfliktkonzept bei Rudolf und in der OPD steht in der Gefahr, die Kontinuität der lebensgeschichtlichen Erfahrung zu unterschätzen und könnte den Anschein einer relativ beliebigen Verknüpfung von Aktualtrauma und Lebensgeschichte fördern, wie er in der kritischen Frage des Gerichts bei Herrn R. zum Ausdruck kommt.

Auch juristisch besteht hier natürlich ein bedeutsamer Unterschied. Wird das Trauma „unbewusst zum Anlass genommen“, sich einer Verantwortung zu entziehen, so besteht wenig Grund zu einer Kompensationsleistung und Unterstützung für das Opfer. Lässt sich mit einer geeigneten Heuristik hingegen ein direkter Zusammenhang zwischen traumatischer Vorbelastung und Aktualbelastung aufzeigen, vermittelt über das → ZTST und den Punkt → maximaler Interferenz, so besteht kein Anlass, die verantwortliche Instanz von Schadensersatzansprüchen zu entlasten. Um eine somatische Metapher zu verwenden: Wenn sich jemand bei einem unverschuldeten Verkehrsunfall ein Bein bricht, das schon zuvor einmal gebrochen war, so wird kaum jemand auf die Idee verfallen, wegen seiner „Vorschädigung“ das Opfer verantwortlich zu machen und den Verursacher von Kompensationsleistungen zu entlasten. Im psychologischen Bereich kann die sog. „Vorschädigung“ allerdings zu solchen Konsequenzen führen, sobald sie nämlich unscharf gefasst oder so ausgedehnt wird, dass das aktuelle Trauma als lediglich akzidenteller Auslöser für eine bereitliegende Disposition, ev. sogar eine unbewusste Absicht des Opfers zur Selbstschädigung verstanden wird. Auch wenn es derartige Fälle gibt, so sollten Diagnosen doch in einer Begrifflichkeit ausgeführt werden, die den Unterschied zwischen der situationsabhängigen Ausbildung und lebensgeschichtlichen Kontinuität von Traumaschemata einerseits und einem „Konflikt“ im Sinne einer situationsunabhängigen Persönlichkeitsdisposition andererseits hinreichend deutlich zum Ausdruck bringt.

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
957 s. 46 illüstrasyon
ISBN:
9783846387696
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Metin PDF
Ortalama puan 4, 2 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin PDF
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin PDF
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin PDF
Ortalama puan 4,3, 3 oylamaya göre
Metin PDF
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Ses
Ortalama puan 0, 0 oylamaya göre
Metin
Ortalama puan 5, 1 oylamaya göre