Kitabı oku: «Hamburgische Dramaturgie», sayfa 32
Vierundneunzigstes Stueck Den 25. Maerz 1768
Und so viel von der Allgemeinheit der komischen Charaktere und den Grenzen dieser Allgemeinheit nach der Idee des Hurd!—Doch es wird noetig sein, noch erst die zweite Stelle beizubringen, wo er erklaert zu haben versichert, inwieweit auch den tragischen Charakteren, ob sie schon nur partikular waeren, dennoch eine Allgemeinheit zukomme: ehe wir den Schluss ueberhaupt machen koennen, ob und wie Hurd mit Diderot, und beide mit dem Aristoteles uebereinstimmen.
"Wahrheit", sagt er, "heisst in der Poesie ein solcher Ausdruck, als der allgemeinen Natur der Dinge gemaess ist; Falschheit hingegen ein solcher, als sich zwar zu dem vorhabenden besondern Falle schicket, aber nicht mit jener allgemeinen Natur uebereinstimmet. Diese Wahrheit des Ausdrucks in der dramatischen Poesie zu erreichen, empfiehlet Horaz149 zwei Dinge: einmal, die Sokratische Philosophie fleissig zu studieren; zweitens, sich um eine genaue Kenntnis des menschlichen Lebens zu bewerben. Jenes, weil es der eigentuemliche Vorzug dieser Schule ist, ad veritatem vitae propius accedere;150 dieses, um unserer Nachahmung eine desto allgemeinere Aehnlichkeit erteilen zu koennen. Sich hiervon zu ueberzeugen, darf man nur erwaegen, dass man sich in Werken der Nachahmung an die Wahrheit zu genau halten kann; und dieses auf doppelte Weise. Denn entweder kann der Kuenstler, wenn er die Natur nachbilden will, sich zu aengstlich befleissigen, alle und jede Besonderheiten seines Gegenstandes anzudeuten, und so die allgemeine Idee der Gattung auszudruecken verfehlen. Oder er kann, wenn er sich diese allgemeine Idee zu erteilen bemueht, sie aus zu vielen Faellen des wirklichen Lebens, nach seinem weitesten Umfange, zusammensetzen; da er sie vielmehr von dem lautern Begriffe, der sich bloss in der Vorstellung der Seele findet, hernehmen sollte. Dieses letztere ist der allgemeine Tadel, womit die Schule der niederlaendischen Maler zu belegen, als die ihre Vorbilder aus der wirklichen Natur, und nicht, wie die italienische, von dem geistigen Ideale der Schoenheit entlehnet. 151 Jenes aber entspricht einem andern Fehler, den man gleichfalls den niederlaendischen Meistern vorwirft und der dieser ist, dass sie lieber die besondere, seltsame und groteske als die allgemeine und reizende Natur sich zum Vorbilde waehlen.
Wir sehen also, dass der Dichter, indem er sich von der eigenen und besondern Wahrheit entfernet, desto getreuer die allgemeine Wahrheit nachahmet. Und hieraus ergibt sich die Antwort auf jenen spitzfindigen Einwurf, den Plato gegen die Poesie ausgegruebelt hatte und nicht ohne Selbstzufriedenheit vorzutragen schien. Naemlich, dass die poetische Nachahmung uns die Wahrheit nur sehr von weitem zeigen koenne. Denn, der poetische Ausdruck, sagt der Philosoph, ist das Abbild von des Dichters eigenen Begriffen; die Begriffe des Dichters sind das Abbild der Dinge; und die Dinge das Abbild des Urbildes, welches in dem goettlichen Verstande existieret. Folglich ist der Ausdruck des Dichters nur das Bild von dem Bilde eines Bildes und liefert uns urspruengliche Wahrheit nur gleichsam aus der dritten Hand. 152 Aber alle diese Vernuenftelei faellt weg, sobald man die nur gedachte Regel des Dichters gehoerig fasset und fleissig in Ausuebung bringet. Denn indem der Dichter von den Wesen alles absondert, was allein das Individuum angehet und unterscheidet, ueberspringet sein Begriff gleichsam alle die zwischen inne liegenden besondern Gegenstaende und erhebt sich, soviel moeglich, zu dem goettlichen Urbilde, um so das unmittelbare Nachbild der Wahrheit zu werden. Hieraus lernt man denn auch einsehen, was und wie viel jenes ungewoehnliche Lob, welches der grosse Kunstrichter der Dichtkunst erteilet, sagen wolle; dass sie, gegen die Geschichte genommen, das ernstere und philosophischere Studium sei: [Greek: philosophoteron kai spoudaioteron poiaesis historias estin]. Die Ursache, welche gleich darauf folgt, ist nun gleichfalls sehr begreiflich: [Greek: ae men gar poiaesis mallon ta katholou, ae d' historia ta kath' ekaston legei].153 Ferner wird hieraus ein wesentlicher Unterschied deutlich, der sich, wie man sagt, zwischen den zwei grossen Nebenbuhlern der griechischen Buehne soll befunden haben. Wenn man dem Sophocles vorwarf, dass es seinen Charakteren an Wahrheit fehle, so pflegte er sich damit zu verantworten, dass er die Menschen so schildere, wie sie sein sollten, Euripides aber so, wie sie waeren: [Greek: Sophochlaes ephae, autos men oious dei poiein, Euripidaes de oioi eisi].154 Der Sinn hiervon ist dieser: Sophokles hatte, durch seinen ausgebreiteten Umgang mit Menschen, die eingeschraenkte enge Vorstellung, welche aus der Betrachtung einzelner Charaktere entsteht, in einen vollstaendigen Begriff des Geschlechts erweitert; der philosophische Euripides hingegen, der seine meiste Zeit in der Akademie zugebracht hatte und von da aus das Leben uebersehen wollte, hielt seinen Blick zu sehr auf das Einzelne, auf wirklich existierende Personen geheftet, versenkte das Geschlecht in das Individuum und malte folglich, den vorhabenden Gegenstaenden nach, seine Charaktere zwar natuerlich und wahr, aber auch dann und wann ohne die hoehere allgemeine Aehnlichkeit, die zur Vollendung der poetischen Wahrheit erfodert wird.155
Ein Einwurf stoesst gleichwohl hier auf, den wir nicht unangezeigt lassen muessen. Man koennte sagen, 'dass philosophische Spekulationen die Begriffe eines Menschen eher abstrakt und allgemein machen, als sie auf das Individuelle einschraenken muessten. Das letztere sei ein Mangel, welcher aus der kleinen Anzahl von Gegenstaenden entspringe, die den Menschen zu betrachten vorkommen; und diesem Mangel sei nicht allein dadurch abzuhelfen, dass man sich mit mehrern Individuis bekannt mache, als worin die Kenntnis der Welt bestehe; sondern auch dadurch, dass man ueber die allgemeine Natur der Menschen nachdenke, so wie sie in guten moralischen Buechern gelehrt werde. Denn die Verfasser solcher Buecher haetten ihren allgemeinen Begriff von der menschlichen Natur nicht anders als aus einer ausgebreiteten Erfahrung (es sei nun ihrer eignen, oder fremden) haben koennen, ohne welche ihre Buecher sonst von keinem Werte sein wuerden.' Die Antwort hierauf, duenkt mich, ist diese. Durch Erwaegung der allgemeinen Natur des Menschen lernet der Philosoph, wie die Handlung beschaffen sein muss, die aus dem Uebergewichte gewisser Neigungen und Eigenschaften entspringet: das ist, er lernet das Betragen ueberhaupt, welches der beigelegte Charakter erfodert. Aber deutlich und zuverlaessig zu wissen, wieweit und in welchem Grade von Staerke sich dieser oder jener Charakter, bei besondere Gelegenheiten, wahrscheinlicherweise aeussern wuerde, das ist einzig und allein eine Frucht von unserer Kenntnis der Welt. Dass Beispiele von dem Mangel dieser Kenntnis bei einem Dichter, wie Euripides war, sehr haeufig sollten gewesen sein, laesst sich nicht wohl annehmen: auch werden, wo sich dergleichen in seinen uebriggebliebenen Stuecken etwa finden sollten, sie schwerlich so offenbar sein, dass sie auch einem gemeinen Leser in die Augen fallen muessten. Es koennen nur Feinheiten sein, die allein der wahre Kunstrichter zu unterscheiden vermoegend ist; und auch diesem kann, in einer solchen Entfernung von Zeit, aus Unwissenheit der griechischen Sitten, wohl etwas als ein Fehler vorkommen, was im Grunde eine Schoenheit ist. Es wuerde also ein sehr gefaehrliches Unternehmen sein, die Stellen im Euripides anzeigen zu wollen, welche Aristoteles diesem Tadel unterworfen zu sein geglaubt hatte. Aber gleichwohl will ich es wagen, eine anzufuehren, die, wenn ich sie auch schon nicht nach aller Gerechtigkeit kritisieren sollte, wenigstens meine Meinung zu erlaeutern dienen kann."
Fuenfundneunzigstes Stueck Den 29. Maerz 1768
"Die Geschichte seiner Elektra ist ganz bekannt. Der Dichter hatte in dem Charakter dieser Prinzessin ein tugendhaftes, aber mit Stolz und Groll erfuelltes Frauenzimmer zu schildern, welches durch die Haerte, mit der man sich gegen sie selbst betrug, erbittert war und durch noch weit staerkere Bewegungsgruende angetrieben ward, den Tod eines Vaters zu raechen. Eine solche heftige Gemuetsverfassung, kann der Philosoph in seinem Winkel wohl schliessen, muss immer sehr bereit sein, sich zu aeussern. Elektra, kann er wohl einsehen, muss, bei der geringsten schicklichen Gelegenheit, ihren Groll an den Tag legen, und die Ausfuehrung ihres Vorhabens beschleunigen zu koennen wuenschen. Aber zu welcher Hoehe dieser Groll steigen darf? d.I. wie stark Elektra ihre Rachsucht ausdruecken darf, ohne dass ein Mann, der mit dem menschlichen Geschlechte und mit den Wirkungen der Leidenschaften im ganzen bekannt ist, dabei ausrufen kann: Das ist unwahrscheinlich? Dieses auszumachen, wird die abstrakte Theorie von wenig Nutzen sein. Sogar eine nur maessige Bekanntschaft mit dem wirklichen Leben ist hier nicht hinlaenglich, uns zu leiten. Man kann eine Menge Individua bemerkt haben, welche den Poeten, der den Ausdruck eines solchen Grolles bis auf das Aeusserste getrieben haette, zu rechtfertigen scheinen. Selbst die Geschichte duerfte vielleicht Exempel an die Hand geben, wo eine tugendhafte Erbitterung auch wohl noch weiter getrieben worden, als es der Dichter hier vorgestellet. Welches sind denn nun also die eigentlichen Grenzen derselben, und wodurch sind sie zu bestimmen? Einzig und allein durch Bemerkung so vieler einzeln Faelle als moeglich; einzig und allein vermittelst der ausgebreitetsten Kenntnis, wieviel eine solche Erbitterung ueber dergleichen Charaktere unter dergleichen Umstaenden im wirklichen Leben gewoehnlicherweise vermag. So verschieden diese Kenntnis in Ansehung ihres Umfanges ist, so verschieden wird denn auch die Art der Vorstellung sein. Und nun wollen wir sehen, wie der vorhabende Charakter von dem Euripides wirklich behandelt worden.
In der schoenen Szene, welche zwischen der Elektra und dem Orestes vorfaellt, von dem sie aber noch nicht weiss, dass er ihr Bruder ist, koemmt die Unterredung ganz natuerlich auf die Ungluecksfaelle der Elektra und auf den Urheber derselben, die Klytaemnestra, sowie auch auf die Hoffnung, welche Elektra hat, von ihren Drangsalen durch den Orestes befreiet zu werden. Das Gespraech, wie es hierauf weitergehet, ist dieses:
Orestes. Und Orestes? Gesetzt, er kaeme nach Argos zurueck—
Elektra. Wozu diese Frage, da er, allem Ansehen nach, niemals zurueckkommen wird?
Orestes. Aber gesetzt, er kaeme! Wie muesste er es anfangen, um den Tod seines Vaters zu raechen?
Elektra. Sich eben des erkuehnen, wessen die Feinde sich gegen seinen Vater erkuehnten.
Orestes. Wolltest du es wohl mit ihm wagen, deine Mutter umzubringen?
Elektra. Sie mit dem naemlichen Eisen umbringen, mit welchem sie meinen Vater mordete!
Orestes. Und darf ich das, als deinen festen Entschluss, deinem Bruder vermelden?
Elektra. 'Ich will meine Mutter umbringen, oder nicht leben!'
Das Griechische ist noch staerker:
[Greek: Thanoimi, maetros aim' episphaxas' emaes].
'Ich will gern des Todes sein, sobald ich meine Mutter umgebracht habe!'
Nun kann man nicht behaupten, dass diese letzte Rede schlechterdings unnatuerlich sei. Ohne Zweifel haben sich Beispiele genug ereignet, wo unter aehnlichen Umstaenden die Rache sich ebenso heftig ausgedrueckt hat. Gleichwohl, denke ich, kann uns die Haerte dieses Ausdrucks nicht anders als ein wenig beleidigen. Zum mindesten hielt Sophokles nicht fuer gut, ihn so weit zu treiben. Bei ihm sagt Elektra unter gleichen Umstaenden nur das: 'Jetzt sei dir die Ausfuehrung ueberlassen! Waere ich aber allein geblieben, so glaube mir nur: beides haette mir gewiss nicht misslingen sollen; entweder mit Ehren mich zu befreien, oder mit Ehren zu sterben!'
Ob nun diese Vorstellung des Sophokles der Wahrheit, insofern sie aus einer ausgebreitetem Erfahrung, d.i. aus der Kenntnis der menschlichen Natur ueberhaupt, gesammelt worden, nicht weit gemaesser ist, als die Vorstellung des Euripides, will ich denen zu beurteilen ueberlassen, die es zu beurteilen faehig sind. Ist sie es, so kann die Ursache keine andere sein, als die ich angenommen: dass naemlich Sophokles seine Charaktere so geschildert, als er, unzaehligen von ihm beobachteten Beispielen der naemlichen Gattung zufolge, glaubte, dass sie sein sollten; Euripides aber so, als er in der engeren Sphaere seiner Beobachtungen erkannt hatte, dass sie wirklich waeren<—".
Vortrefflich! Auch unangesehen der Absicht, in welcher ich diese langen Stellen des Hurd angefuehret habe, enthalten sie unstreitig so viel feine Bemerkungen, dass es mir der Leser wohl erlassen wird, mich wegen Einschaltung derselben zu entschuldigen. Ich besorge nur, dass er meine Absicht selbst darueber aus den Augen verloren. Sie war aber diese: zu zeigen, dass auch Hurd, so wie Diderot, der Tragoedie besondere, und nur der Komoedie allgemeine Charaktere zuteile und demohngeachtet dem Aristoteles nicht widersprechen wolle, welcher das Allgemeine von allen poetischen Charakteren, und folglich auch von den tragischen, verlanget. Hurd erklaert sich naemlich so: der tragische Charakter muesse zwar partikulaer oder weniger allgemein sein, als der komische, d.i. er muesse die Art, zu welcher er gehoere, weniger vorstellig machen; gleichwohl aber muesse das wenige, was man von ihm zu zeigen fuer gut finde, nach dem Allgemeinen entworfen sein, welches Aristoteles fordere.156
Und nun waere die Frage, ob Diderot sich auch so verstanden wissen wolle?—Warum nicht, wenn ihm daran gelegen waere, sich nirgends in Widerspruch mit dem Aristoteles finden zu lassen? Mir wenigstens, dem daran gelegen ist, dass zwei denkende Koepfe von der naemlichen Sache nicht Ja und Nein sagen, koennte es erlaubt sein, ihm diese Auslegung unterzuschieben, ihm diese Ausflucht zu leihen.
Aber lieber von dieser Ausflucht selbst, ein Wort!—Mich duenkt, es ist eine Ausflucht, und ist auch keine. Denn das Wort allgemein wird offenbar darin in einer doppelten und ganz verschiedenen Bedeutung genommen. Die eine, in welcher es Hurd und Diderot von dem tragischen Charakter verneinen, ist nicht die naemliche, in welcher es Hurd von ihm bejahet. Freilich beruhet eben hierauf die Ausflucht: aber wie, wenn die eine die andere schlechterdings ausschloesse?
In der ersten Bedeutung heisst ein allgemeiner Charakter ein solcher, in welchen man das, was man an mehrern oder allen Individuis bemerkt hat, zusammennimmt; es heisst mit einem Worte, ein ueberladener Charakter; es ist mehr die personifierte Idee eines Charakters, als eine charakterisierte Person. In der andern Bedeutung aber heisst ein allgemeiner Charakter ein solcher, in welchem man von dem, was an mehrern oder allen Individuis bemerkt worden, einen gewissen Durchschnitt, eine mittlere Proportion angenommen; es heisst mit einem Worte, ein gewoehnlicher Charakter, nicht zwar insofern der Charakter selbst, sondern nur insofern der Grad, das Mass desselben gewoehnlich ist.
Hurd hat vollkommen recht, das [Greek: katholou] des Aristoteles von der Allgemeinheit in der zweiten Bedeutung zu erklaeren. Aber wenn denn nun Aristoteles diese Allgemeinheit ebensowohl von den komischen als tragischen Charakteren erfodert: wie ist es moeglich, dass der naemliche Charakter zugleich auch jene Allgemeinheit haben kann? Wie ist es moeglich, dass er zugleich ueberladen und gewoehnlich sein kann? Und gesetzt auch, er waere so ueberladen noch lange nicht, als es die Charaktere in dem getadelten Stuecke des Jonson sind; gesetzt, er liesse sich noch gar wohl in einem Individuo gedenken, und man habe Beispiele, dass er sich wirklich in mehrern Menschen ebenso stark, ebenso ununterbrochen geaeussert habe: wuerde er demohngeachtet nicht auch noch viel ungewoehnlicher sein, als jene Allgemeinheit des Aristoteles zu sein erlaubet?
Das ist die Schwierigkeit!—Ich erinnere hier meine Leser, dass diese Blaetter nichts weniger als ein dramatisches System enthalten sollen. Ich bin also nicht verpflichtet, alle die Schwierigkeiten aufzuloesen, die ich mache. Meine Gedanken moegen immer sich weniger zu verbinden, ja wohl gar sich zu widersprechen scheinen: wenn es denn nur Gedanken sind, bei welchen sie Stoff finden, selbst zu denken. Hier will ich nichts als Fermenta cognitionis ausstreuen.
Sechsundneunzigstes Stueck Den 1. April 1768
Den zweiundfunfzigsten Abend (dienstags, den 28. Julius) wurden des Herrn Romanus "Brueder" wiederholt.
Oder sollte ich nicht vielmehr sagen: "Die Brueder" des Herrn Romanus? Nach einer Anmerkung naemlich, welche Donatus bei Gelegenheit der "Brueder" des Terenz macht: Hanc dicunt fabulam secundo loco actam, etiam tum rudi nomine poetae; itaque sic pronunciatam, Adelphoi Terenti, non Terenti Adelphoi, quod adhuc magis de fabulae nomine poeta; quam de poetae nomine fabula commendabatur. Herr Romanus hat seine Komoedien zwar ohne seinen Namen herausgegeben: aber doch ist sein Name durch sie bekannt geworden. Noch itzt sind diejenigen Stuecke, die sich auf unserer Buehne von ihm erhalten haben, eine Empfehlung seines Namens, der in Provinzen Deutschlands genannt wird, wo er ohne sie wohl nie waere gehoeret worden. Aber welches widrige Schicksal hat auch diesen Mann abgehalten, mit seinen Arbeiten fuer das Theater so lange fortzufahren, bis die Stuecke aufgehoert haetten, seinen Namen zu empfehlen, und sein Name dafuer die Stuecke empfohlen haette?
Das meiste, was wir Deutsche noch in der schoenen Literatur haben, sind Versuche junger Leute. Ja das Vorurteil ist bei uns fast allgemein, dass es nur jungen Leuten zukomme, in diesem Felde zu arbeiten. Maenner, sagt man, haben ernsthaftere Studia oder wichtigere Geschaefte, zu welchen sie die Kirche oder der Staat auffodert. Verse und Komoedien heissen Spielwerke; allenfalls nicht unnuetzliche Voruebungen, mit welchen man sich hoechstens bis in sein fuenfundzwanzigstes Jahr beschaeftigen darf. Sobald wir uns dem maennlichen Alter naehern, sollen wir fein alle unsere Kraefte einem nuetzlichen Amte widmen; und laesst uns dieses Amt einige Zeit, etwas zu schreiben, so soll man ja nichts anders schreiben, als was mit der Gravitaet und dem buergerlichen Range desselben bestehen kann; ein huebsches Kompendium aus den hoehern Fakultaeten, eine gute Chronike von der lieben Vaterstadt, eine erbauliche Predigt und dergleichen.
Daher koemmt es denn auch, dass unsere schoene Literatur, ich will nicht bloss sagen gegen die schoene Literatur der Alten, sondern sogar fast gegen aller neuern polierten Voelker ihre, ein so jugendliches, ja kindisches Ansehen hat, und noch lange, lange haben wird. An Blut und Leben, an Farbe und Feuer fehlet es ihr endlich nicht: aber Kraefte und Nerven, Mark und Knochen mangeln ihr noch sehr. Sie hat noch so wenig Werke, die ein Mann, der im Denken geuebt ist, gern zur Hand nimmt, wenn er, zu seiner Erholung und Staerkung, einmal ausser dem einfoermigen ekeln Zirkel seiner alltaeglichen Beschaeftigungen denken will! Welche Nahrung kann so ein Mann wohl z.E. in unsern hoechst trivialen Komoedien finden? Wortspiele, Sprichwoerter, Spaesschen, wie man sie alle Tage auf den Gassen hoert: solches Zeug macht zwar das Parterre zu lachen, das sich vergnuegt so gut es kann; wer aber von ihm mehr als den Bauch erschuettern will, wer zugleich mit seinem Verstande lachen will, der ist einmal dagewesen und koemmt nicht wieder.
Wer nichts hat, der kann nichts geben. Ein junger Mensch, der erst selbst in die Welt tritt, kann unmoeglich die Welt kennen und sie schildern. Das groesste komische Genie zeigt sich in seinen jugendlichen Werken hohl und leer; selbst von den ersten Stuecken des Menanders sagt Plutarch,157 dass sie mit seinen spaetern und letztern Stuecken gar nicht zu vergleichen gewesen. Aus diesen aber, setzt er hinzu, koenne man schliessen, was er noch wuerde geleistet haben, wenn er laenger gelebt haette. Und wie jung meint man wohl, dass Menander starb? Wieviel Komoedien meint man wohl, dass er erst geschrieben hatte? Nicht weniger als hundertundfuenfe; und nicht juenger als zweiundfunfzig.
Keiner von allen unsern verstorbenen komischen Dichtern, von denen es sich noch der Muehe verlohnte zu reden, ist so alt geworden; keiner von den itztlebenden ist es noch zur Zeit; keiner von beiden hat das vierte Teil so viel Stuecke gemacht. Und die Kritik sollte von ihnen nicht eben das zu sagen haben, was sie von dem Menander zu sagen fand?—Sie wage es aber nur, und spreche!
Und nicht die Verfasser allein sind es, die sie mit Unwillen hoeren. Wir haben, dem Himmel sei Dank, itzt ein Geschlecht selbst von Kritikern, deren beste Kritik darin besteht,—alle Kritik verdaechtig zu machen. "Genie! Genie!" schreien sie. "Das Genie setzt sich ueber alle Regeln hinweg! Was das Genie macht, ist Regel!" So schmeicheln sie dem Genie: ich glaube, damit wir sie auch fuer Genies halten sollen. Doch sie verraten zu sehr, dass sie nicht einen Funken davon in sich spueren, wenn sie in einem und ebendemselben Atem hinzusetzen: "Die Regeln unterdruecken das Genie!"—Als ob sich Genie durch etwas in der Welt unterdruecken liesse! Und noch dazu durch etwas, das, wie sie selbst gestehen, aus ihm hergeleitet ist. Nicht jeder Kunstrichter ist Genie: aber jedes Genie ist ein geborner Kunstrichter. Es hat die Probe aller Regeln in sich. Es begreift und behaelt und befolgt nur die, die ihm seine Empfindung in Worten ausdruecken. Und diese seine in Worten ausgedrueckte Empfindung sollte seine Taetigkeit verringern koennen? Vernuenftelt darueber mit ihm, so viel ihr wollt; es versteht euch nur, insofern es eure allgemeinen Saetze den Augenblick in einem einzeln Falle anschauend erkennet; und nur von diesem einzeln Falle bleibt Erinnerung in ihm zurueck, die waehrend der Arbeit auf seine Kraefte nicht mehr und nicht weniger wirken kann, als die Erinnerung eines gluecklichen Beispiels, die Erinnerung einer eignen gluecklichen Erfahrung auf sie zu wirken imstande ist. Behaupten also, dass Regeln und Kritik das Genie unterdruecken koennen: heisst mit andern Worten behaupten, dass Beispiele und Uebung eben dieses vermoegen; heisst, das Genie nicht allein auf sich selbst, heisst es sogar lediglich auf seinen ersten Versuch einschraenken.
Ebensowenig wissen diese weise Herren, was sie wollen, wenn sie ueber die nachteiligen Eindruecke, welche die Kritik auf das geniessende Publikum mache, so lustig wimmern! Sie moechten uns lieber bereden, dass kein Mensch einen Schmetterling mehr bunt und schoen findet, seitdem das boese Vergroesserungsglas erkennen lassen, dass die Farben desselben nur Staub sind.
"Unser Theater", sagen sie, "ist noch in einem viel zu zarten Alter, als dass es den monarchischen Szepter der Kritik ertragen koenne.—Es ist fast noetiger, die Mittel zu zeigen, wie das Ideal erreicht werden kann, als darzutun, wie weit wir noch von diesem Ideale entfernt sind.—Die Buehne muss durch Beispiele, nicht durch Regeln reformieret werden.—Raisonnieren ist leichter als selbst erfinden."
Heisst das, Gedanken in Worte kleiden: oder heisst es nicht vielmehr, Gedanken zu Worten suchen, und keine erhaschen?—Und wer sind sie denn, die so viel von Beispielen und vom Selbsterfinden reden? Was fuer Beispiele haben sie denn gegeben? Was haben sie denn selbst erfunden? —Schlaue Koepfe! Wenn ihnen Beispiele zu beurteilen vorkommen, so wuenschen sie lieber Regeln; und wenn sie Regeln beurteilen sollen, so moechten sie lieber Beispiele haben. Anstatt von einer Kritik zu beweisen, dass sie falsch ist, beweisen sie, dass sie zu strenge ist; und glauben vertan zu haben! Anstatt ein Raisonnement zu widerlegen, merken sie an, dass Erfinden schwerer ist als Raisonnieren; und glauben widerlegt zu haben!
Wer richtig raisonniert, erfindet auch: und wer erfinden will, muss raisonnieren koennen. Nur die glauben, dass sich das eine von dem andern trennen lasse, die zu keinem von beiden aufgelegt sind.
Doch was halte ich mich mit diesen Schwaetzern auf? Ich will meinen Gang gehen und mich unbekuemmert lassen, was die Grillen am Wege schwirren.
Auch ein Schritt aus dem Wege, um sie zu zertreten, ist schon zu viel.
Ihr Sommer ist so leicht abgewartet!
Also, ohne weitere Einleitung, zu den Anmerkungen, die ich bei Gelegenheit der ersten Vorstellung der "Brueder" des Herrn Romanus158 annoch ueber dieses Stueck versprach!—Die vornehmsten derselben werden die Veraenderungen betreffen, die er in der Fabel des Terenz machen zu muessen geglaubet, um sie unsern Sitten naeher zu bringen.
Was soll man ueberhaupt von der Notwendigkeit dieser Veraenderungen sagen? Wenn wir so wenig Anstoss finden, roemische oder griechische Sitten in der Tragoedie geschildert zu sehen: warum nicht auch in der Komoedie? Woher die Regel, wenn es anders eine Regel ist, die Szene der erstern in ein entferntes Land, unter ein fremdes Volk; die Szene der andern aber in unsere Heimat zu legen? Woher die Verbindlichkeit, die wir dem Dichter aufbuerden, in jener die Sitten desjenigen Volkes, unter dem er seine Handlung vorgehen laesst, so genau als moeglich zu schildern; da wir in dieser nur unsere eigene Sitten von ihm geschildert zu sehen verlangen? "Dieses", sagt Pope an einem Orte, "scheinet dem ersten Ansehen nach blosser Eigensinn, blosse Grille zu sein: es hat aber doch seinen guten Grund in der Natur. Das Hauptsaechlichste, was wir in der Komoedie suchen, ist ein getreues Bild des gemeinen Lebens, von dessen Treue wir aber nicht so leicht versichert sein koennen, wenn wir es in fremde Moden und Gebraeuche verkleidet finden. In der Tragoedie hingegen ist es die Handlung, was unsere Aufmerksamkeit am meisten an sich ziehet. Einen einheimischen Vorfall aber fuer die Buehne bequem zu machen, dazu muss man sich mit der Handlung groessere Freiheiten nehmen, als eine zu bekannte Geschichte verstattet."