Kitabı oku: «Drogen und soziale Praxis - Teil 2: Das Drogenthema und wie es in Berufsfeldern der sozialen Arbeit auftaucht», sayfa 4

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2.3.2Medikamentenmissbrauch: Ein Phänomen mit vielen Facetten

Leider bietet sich ein breites Spektrum von Substanzen auch für den Medikamentenmissbrauch an: Von Amphetaminen, Aufputschmitteln und Appetitzüglern über Abführmittel und Schmerzmittel bis hin zu Schlaf- und Beruhigungsmitteln. Missbraucht werden manchmal auch Nasentropfen bzw. -sprays, Antidepressiva oder dämpfende Neuroleptika (Mittel zur Behandlung von Psychosen), die zwar keine Abhängigkeit auslösen, aber zum Teil Absetzeffekte hervorrufen (vgl. Holzbach 2011, S. 12). Unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs gilt es auch Substanzen in den Blick zu nehmen, die sowohl im Spitzen- als auch im Breitensport als Dopingmittel eingesetzt werden (u. a anabole Steroide wie Anabolika und andere Testosteronabkömmlinge, synthetische Wachstumshormone aus der Tiermedizin, Schmerzmittel).

Missbrauch von Medikamenten: Oft still und unerkannt

Allen gemeinsam ist, dass der Missbrauch von Medikamenten zunächst versteckt und wenig offensichtlich ist. Er ist deshalb weder für Außenstehende noch für Ärzte deutlich zu erkennen: Die Betroffenen haben keine „Fahne“, keinen von außen erkennbaren Rausch, die Medikamente sind klein, lassen sich gut verstecken und unauffällig einnehmen, Organschädigungen können selten als typische Hinweise gelten und stellen sich zudem erst nach einer gewissen Zeit ein. Ein Teil des Medikamentenmissbrauchs entwickelt sich zudem im Zuge einer regulären Behandlung und wird deshalb weder durch die Betroffenen noch vom sozialen Umfeld in Frage gestellt.

Merkenswert: Zentrales Kriterium eines Medikamentenmissbrauchs ist der nicht bestimmungsgemäße Konsum von Medikamenten. Dabei kann das Nicht-Bestimmungsgemäße in der Zwecksetzung, der Dosierung, der Länge der Medikamenteneinnahme oder in allen drei Dimensionen zusammen bestehen.

Bei der Beurteilung eines Medikamentenmissbrauchs kommen also sehr verschiedene Aspekte in Betracht. Diese sorgen dafür, dass die Problemlagen in Bezug auf einen nichtbestimmungsmäßigen Umgang mit Medikamenten sehr unterschiedlich sein können.

2.3.3Mit Medikamenten als Krücke durch den Alltag

Viele Fälle von Medikamentenmissbrauch entwickeln sich nach Abschluss einer medizinischen Behandlung. Durch diese haben die Betroffenen die Wirkmuster bestimmter Medikamente kennen- und schätzen gelernt. In der Regel geht es um Medikamente, die in Abhängigkeit von der Dosis angstlösend, aufheiternd, entspannend, beruhigend und schlafanstoßend wirken – Effekte, die sich nun selbstverständlich im Alltag einstellen sollen.

Selbst wenn die Behandlung der Erkrankung oder Störung längst abgeschlossen ist, wollen die Patienten nicht mehr auf diese pharmakologischen Helfer verzichten: Der eine versucht, von seinem beruflichen Stress herunterzukommen, der andere kaschiert mit dem Griff in die Pillenschachtel seine Nervosität; viele langen zu, um ihrem wiederkehrenden Kopfschmerz zu entfliehen; manche wollen mit dem Helfer aus der Packung die psychische Talfahrt nach einem schweren Schicksalsschlag bremsen oder suchen Trost nach Enttäuschung und bei Einsamkeit. Was genau die Menschen auch antreibt, allen gemeinsam ist, dass der Medikamentenkonsum sich nicht mehr durch die Behandlung einer Krankheit oder Störung rechtfertigt, sondern zu einer Krücke bei der Bewältigung des Alltags geworden ist.

Insbesondere nach langen Krankheitsphasen ist verständlich, dass es vielen Klienten oft nicht von Heut auf Morgen gelingt, ein Behandlungsende ohne Schwierigkeiten und Probleme zu bewältigen. Deshalb gehört nicht nur der Medikamentenkonsum während einer Behandlung zu den Bereichen, denen Aufmerksamkeit und Unterstützung zuteilwerden muss.

Merkenswert: Beratung und Hilfe brauchen auch die Übergänge zwischen dem Abschluss/Ende einer medikamentösen Verordnung und der selbstständigen Bewältigung des Alltags. Da dieser nunmehr wieder ohne Rücksichtnahmen und mit all seinen Leistungsanforderungen zu bewältigen ist, kann es zu Überforderungen kommen, die den Wunsch nach einem fortgesetzten Medikamentenkonsum aufkommen lassen können.

In einem Alltag mit wenigen Pillen ankommen

Soziale Arbeit sollte deshalb Hilfe und Unterstützung geben, um erstens nach einer längeren Schonung durch Krankheit sowohl Belastungen als auch Belastbarkeit schrittweise aufzubauen. Augenmerk sollte zweitens auch der Umgang mit den bis dahin verordneten Medikamenten haben. Zu fragen ist zum Beispiel, wie eine bis dahin regelmäßige Medikamenteneinnahme beendet werden kann, welche Übergangsregelungen getroffen werden sollten und mit welchen psychosozialen Maßnahmen sich der endgültige Verzicht auf Medikamente unterstützen lässt.

„Meine Medikamente“: Oft mehr als das Schlucken einer Substanz

Zu berücksichtigen ist zugleich, dass auch der Medikamentenkonsum symbolisch aufgeladen ist (vgl. Drogen und soziale Praxis, Band 1, „Symbolischer Konsum psycho-aktiver Substanzen“).

Das bedeutet, dass Patienten mit der Einnahme ihrer Medikamente oft viel mehr verbinden, als nur das Befolgen einer ärztlichen Therapieanweisung. Fortgesetzter Medikamentenkonsum vermittelt oft auch emotionale Zuwendung, die Kranke in unserer Kultur in der Regel erhalten. So sichert z. B. eine öffentlich praktizierte Medikamenteneinnahme nicht nur die Aufmerksamkeit der Anwesenden, sondern drängt Krankheit, Leiden und Maßnahmen der Behandlung als Gesprächsthemen geradezu auf, schafft Vertrautheit zwischen den Gesprächspartnern und sichert Austausch und Gesprächsstoff, wenn es keine weiteren interessanten Themen gibt.

Für andere ist die Tatsache, dass zu der empfohlenen Behandlung ein massiver Einsatz von Medikamenten gehört, eine unverzichtbare Bestätigung, dass sie in der Tat ernsthaft erkrankt sind. Sie fühlen sich auf diese Weise mit ihrem Leiden ernstgenommen und machen dies an der Menge, dem Preis und am Aufwand der Einnahmeregeln fest. Wieder andere sehen in der übergenauen Einhaltung aufwendiger Therapieempfehlungen ihre einzige Chance, selbst aktiv etwas gegen ihre Erkrankung zu tun.

Schließlich glauben viele Patienten insbesondere nach längeren Zeiten einer Medikamenteneinnahme, dass nach deren Absetzen sofort wieder Verschlechterungen ihres Befindens eintreten werden und bestehen auf eine Fortsetzung der Verordnung. Die nach Beendigung der medikamentösen Behandlung umgehend gemeldete Verschlechterung scheint ihnen sogar Recht zu geben. Die Annahme, nicht auf die Verordnungen verzichten zu können, wird auf diese Weise zu einer kaum auflösbaren Gewissheit, auch wenn es gute Gründe für die Vermutung gibt, dass sich ein Placebo-Effekt eingestellt hat, der sich leider in einer Verschlechterung der Situation bei Behandlungsende zeigt.

Merkenswert: Auch die Einnahme von Medikamenten kann nicht nur als das Einverleiben einer chemischen Substanz verstanden werden. Der Medikamentenkonsum ist in unserer Kultur symbolisch aufgeladen und kann darüber hinaus eine Reihe sozialer Funktionen erfüllen. Deshalb kommen der Berufsgruppe der Sozialarbeiter wichtige Aufgaben zu, um den Umgang des Klienten mit seinen Medikamenten zu reflektieren und gemeinsam mit diesem an der Aufdeckung der mit dem Medikamentenkonsum auch verbundenen psychosozialen Botschaften, Symbole und Wirkungserwartungen mitzuwirken.

Auf die Dringlichkeit eines professionellen Umgangs auch von Sozialer Arbeit mit dem Thema Medikamentenmissbrauch verweisen u. a. die steigenden Verordnungen auf Privatrezept. Ganz offensichtlich gehen Betroffene, Apotheker und Ärzte eine gewisse Komplizenschaft ein, um bei Leidenszuständen, die von den Betroffenen vorgetragen werden, eine pharmakologische Lösung zu ermöglichen – oft jedoch gegen psychologisches und medizinisches Wissen.

2.3.4Wenn Medikamente zu „Partyhits“ werden

Viele psychoaktive Substanzen, die heute als Genussmittel verwendeten werden, sind zunächst als Medikamente auf die historische Bühne getreten. Erst nach längerer Zeit wurde in bestimmten subkulturellen Bezügen entdeckt, dass sich diese oder jene Substanz auch für Zwecke eignet, die nicht mit einer medizinischen Behandlung in Verbindung stehen. Diese „Entdeckungen“ halten bis heute an. Sie sorgen dafür, dass auch Medikamente immer wieder nach ihrer Eignung für andere Vorhaben getestet werden. Es geht dann eher um einen Konsum, der eingebettet ist in sehr verschiedene Freizeittätigkeiten und das, was damit angestrebt wird: Spaß, Vergnügen, Geselligkeit, Erholung, Entspannung, Unterhaltung, außeralltägliche Erfahrungen, Grenzüberschreitungen, Distinktions- und Achtungsgewinne im sozialen Umfeld u. ä.

Die repressiven betäubungsmittelrechtlichen Regelungen treiben zusätzlich an, sich auf dem legalen und halblegalen Medikamentenmarkt umzuschauen und so den Risiken von Schwarzmarkt und Strafverfolgung bei illegalisierten Substanzen zu entkommen. In der Folge findet man den Missbrauch von Medikamenten nicht nur in genussdominierten Zusammenhängen wie Feier-und Ausgehkulturen, sondern beispielsweise auch im Sport- und Fitnessbereich, wo es um Leistungsparameter wie Körperoptik, Kraft und Ausdauer geht.

Zu Risiken und Nebenwirkungen frag den DJ oder Trainer?

Übersehen wird dabei, dass Medikamente keineswegs harmlos sind und ihre Anwendung bei gesunden Menschen zu physiologischen Ungleichgewichten mit kurz- und langfristige Folgen führt. Oft setzen die verfügbaren Fertigarzneien ein fachkundiges Urteil voraus, um zu einer Dosierung zu finden, die die physische und psychische Konstitution des Konsumenten berücksichtigt und ungewollte Nebenwirkungen möglichst gering hält. Deshalb gehören sie nicht in die Hände von Laien.

Die komplexen physiologischen Wechselwirkungen, die der Wirkung der Medikamente zugrunde liegen, sorgen zudem dafür, dass immer ganze Organsysteme und Organe mit diesen Therapeutika überschwemmt und mit deren Verstoffwechslung belastet werden. Schon deshalb ist die Frage berechtigt, ob die erstrebten Wirkungen des Freizeitkonsums tatsächlich in Relation zu den Nebenwirkungen stehen, die Medikamente immer auch haben.

Merkenswert: Soziale Arbeit findet in vielen Berufsfeldern statt, in denen sie auf Klienten trifft, die weit entfernt von Behandlungsnotwendigkeiten sind und dennoch Medikamente konsumieren. In bestimmten kulturellen Milieus und sozialen Bezügen werden Medikamente für Effekte und Freizeittätigkeiten eingesetzt, durch die diese attraktiver, abwechslungsreicher und interessanter werden sollen. Sozialarbeiter sollten im Blick behalten, dass sie in den Lebenswelten und damit auch im Freizeitbereich ihrer Klienten auch auf den nichtbestimmungsgemäßen Umgang mit Medikamenten treffen und sich dazu mit den Klienten auseinandersetzen können.

Das Drogenthema ist also viel zu kurz gefasst, wenn es sich auf den Umgang der Klienten mit den gesellschaftlich akzeptierten Genussmitteln (Kaffee, Alkohol, Nikotin) und illegalisierten psychoaktiven Substanzen beschränkt. Medikamentenmissbrauch im Freizeitbereich hat sogar viele Ähnlichkeiten mit dem Freizeitgebrauch anderer psychoaktiver Substanzen.

Mit einer gesamten sozialen Bezugsgruppe arbeiten

Der Missbrauch von Medikamenten unterscheidet sich im Freizeitbereich in der Regel deutlich von dem im Rahmen einer medizinischen Behandlung: Ist der Konsum durch behandelte Patienten eher eine isolierte, rein individuelle Handlung, wird der nicht-bestimmungsgemäße Konsum von Medikamenten im Freizeitbereich in der Regel in kulturelle Rituale und Funktionen eingebunden.

Dem sozialen Umfeld kommt dabei fast immer eine vorbereitende und assistierende Rolle zu: Es initiiert die Konsumentscheidung des Einzelnen, trägt diese und gibt Unterstützung bei der Umsetzung. Fast immer gibt es in diesen sozialen Bezügen Personen, die bereits Erfahrungen mit der Beschaffung und dem Konsum bestimmter Medikamente gesammelt haben und diese an andere weitergeben. Dabei führen negative Effekte in der Regel dazu, auf eigene Konsumerfahrungen zu verzichten. Gesammelte positive Erfahrungen werden dagegen nicht nur als Knowhow innerhalb der sozialen Gruppen und kulturellen Milieus weitergegeben; sie motivieren den Einzelnen zudem, sich über Zweifel und Unsicherheiten hinwegzusetzen und mit einem Griff zu entsprechenden Medikamenten den Beispielen im sozialen Umfeld zu folgen. In eingeschworenen Netzwerken wie z. B. Trainingsgruppen und unter Fitness-Studio-Mitgliedern kommen zur guten Zugänglichkeit, zu leichten Beschaffungsmöglichkeiten und zu der Vermittlung von Knowhow in der Regel auch mehr oder weniger subtil ausgeübte Konsumzwänge, die den Einzelnen schließlich seine Konsumentscheidung treffen lassen.

Merkenswert: Im Freizeitbereich beschließt keine Person für sich allein, unter strikter Geheimhaltung und ohne kommunikativen Austausch bestimmte Medikamente ohne einen Behandlungsbedarf für die Realisierung bestimmter Freizeitbedürfnisse einzusetzen. Soziale Arbeit, die in diesen Bezügen tätig wird, muss sich deshalb mit den jeweiligen kulturellen Mustern und kollektiven Wirklichkeitssichten auseinandersetzen, in denen der jeweils praktizierte Medikamentenmissbrauch stattfindet. Nur auf diese Weise lassen sich Anknüpfungspunkte finden, um mit glaubwürdigen Informationen über die Risiken aufzuklären und zumindest für ein Risikomanagement und die Beachtung von Safer-Use-Regeln zu werben.

In diesem Zusammenhang verdienen beispielsweise die beobachtbaren Driftprozesse Beachtung, die in bestimmten Bezügen (z. B. unter (Freizeit-) Sportlern) zunächst relativ harmlos mit Vitaminpillen und Nahrungsergänzungsmitteln beginnen. Diese sind geeignet, ein Nachdenken anzuregen über den Sinn und die Grenzen künstlicher Lebensmittel, einer pharmakologisch designten Seele und/oder chemisch geformter Körper.

2.3.5Medikamentenabhängig oder langzeitbedürftig?

In Expertenkreisen gibt es Einigkeit dazu, dass beim Konsum bestimmter Medikamente eine Abhängigkeit entstehen kann, die sich in ihren physischen, psychischen und sozialen Auswirkungen nur bedingt von anderen Abhängigkeitserkrankungen unterscheidet. Unterschiedliche Positionen gibt es allerdings dazu, ob die sogenannte „Low-Dose-Dependency“ in das Formenfeld der Sucht eingeordnet und folgerichtig auch wie eine andere Suchterkrankung behandelt werden sollte.

Die rein körperliche Niedrigdosisabhängigkeit

Die Abgrenzungen zwischen einem Langzeitkonsum im Niedrigdosisbereich und einer Abhängigkeit sind schwierig, wohl auch, weil die Grenzen fließend sind. Klienten mit einem solchen niedrigdosierten Langzeitkonsum von Medikamenten mit Abhängigkeitspotenzial entsprechen kaum den Kriterien des ICD 10 und des DSM-IV (vgl. auch Drogen und soziale Praxis, Bd. 1, „ICD-10 und DSM und die Diagnose Abhängigkeit), die für die Diagnose einer Abhängigkeit zwingend festgelegt sind.

Eine solche Niedrigdosisabhängigkeit bewegt sich, wie der Name schon sagt, im Bereich einer niedrigen Dosis2 und wird von den Betroffenen selbst in der Regel als unproblematisch erlebt. Diese Dosis wird über lange Zeit beibehalten, regelmäßige Dosissteigerungen werden nicht eingefordert und auch die Entwicklung einer Toleranz lässt sich nicht beobachten. Deshalb stellt sich das Gesamtbild zunächst unauffällig und unproblematisch dar und nichts scheint dagegen zu sprechen, an dieser Medikation weiterhin festhalten.

Allerdings erinnern die Schwierigkeiten bei der Reduktion oder beim Absetzen dieser schon lange eingenommenen Medikamente an eine klassische Suchtproblematik. Diese zeigen sich in schweren Entzugserscheinungen bis hin zu akut lebensbedrohlichen Zuständen, die sich aus einer sich schleichend einstellenden rein körperlichen Abhängigkeit ergeben.

Merkenswert: Oft ist weder den Betroffenen selbst noch den sie behandelnden Ärzten bewusst, dass die mögliche Ursache bestimmter, immer wieder auftretender Beschwerden der zwar niedrig dosierte, aber schon zu lange fortbestehende Konsum bestimmter Medikamente ist. Für eine Reihe Medikamente ist bekannt, dass durch eine zu lange, ununterbrochene Einnahme selbst dann eine rein körperliche Abhängigkeit entstehen kann, wenn diese in geringen Dosierungen eingenommen werden (vgl. dazu Tabelle: Medikamente mit Abhängigkeitspotenzial).

In der Regel haben diese Klienten bezüglich ihres Medikamentenkonsums keinen Leidensdruck, solange eine regelmäßige Versorgung mit diesen Langzeitmedikamenten gesichert ist. Allerdings kann durch fehlende Einnahmepausen auch nicht erfahren werden, wie sehr bereits eine körperliche Abhängigkeit entwickelt wurde. Insofern besteht der Handlungsauftrag der Klienten an den Arzt auch fast immer darin, unproblematisch und mit möglichst wenigen Nachfragen die gewünschten Verordnungen auszustellen. Damit wird allerdings eine verhängnisvolle Entwicklung in Gang gesetzt.

Arzneistoffe aus der Gruppe der Benzodiazepine


Wirkstoff Handelsname (z. B.) mg Diazepam Äquivalenzdosis
Alprazolam Tafil 1,5
Bromazepam Lexotanil 6
Brotizolam Lendormin 0,5
Chlordiazepoxid Librium 20
Clobazam Frisium 20
Clonazepam Rivotril 2
Clotiazepam Trecalmo 5
Diazepam Faustan
Diazepam Valium
Dikaliumclorazepat Tranxilium 20
Flunitrazepam Rohypnol 0,75
Flurazepam Dalmadorm 30
Loprazolam Sonin 1,5
Lorazepam Tavor 2
Lormetazepam Noctamid 1,5
Medazepam Rudotel 20
Midazolam Dormicum 7,5
Nitrazepam Mogadan 5
Nordazepam Tranxilium 20
Oxazepam Adumbran 30
Prazepam Demetrin 20
Temazepam Planum 20
Tetrazepam Musaril 50
Triazolam Halcion 0,5
Zolpidem Stilnox 20
Zopiclon Ximovan 15

Die angegebene Menge entspricht in ihrer Wirkung 10 mg Diazepam bzw.

30 mg Oxazepam.

Tabelle: Medikamente mit Abhängigkeitspotenzial (vgl. Holzbach 2011a)

Merkenswert: Soziale Arbeit sollte einen Einblick in Symptome und Hinweiszeichen haben, die auf eine Niedrigdosisabhängigkeit deuten. Auf dieser Grundlage kann sie:

 Ihren Klienten erstens dabei helfen, Fehldeutungen ihrer Symptome zu korrigieren und Zusammenhänge zwischen bestimmten Nebenwirkungen und einem langanhaltenden Medikamentenkonsum zu erkennen.

 Zweitens Veränderungswünsche anregen und bekräftigen, weil die Entwicklung negativer Effekte des Medikamentenkonsums und die davon ausgehenden Gefährdungen nunmehr besser verstanden werden.

 Und drittens darauf hinwirken, dass die Klienten für die notwendigen Veränderungen eine passende multiprofessionelle Unterstützung erhalten.

Phasenverläufe in der Entwicklung einer Niedrigdosisabhängigkeit

Hilfreich bei der Deutung von Hinweiszeichen auf eine Niedrigdosisabhängigkeit ist ein Phasenmodell, das für den Benzodiazepin- und Non-Benzodiazepine (u. a. Zolpidem, Zolpiclon, Zaleplon - oft auch Z-Drugs genannt) Langzeitkonsum entwickelt wurde (vgl. Holzbach 2009). Es beschreibt Entwicklungen, die typisch sind für diejenigen Schlaf- und Beruhigungsmittel, die am häufigsten verschrieben werden.

Phase 1: Wirkumkehr und relative Entzugserscheinungen

Toleranz führt zur Dosissteigerung

Die Phase 1 ist geprägt durch relative Entzugserscheinungen und Effekte einer Wirkumkehr. Diese ungewollten und von schlecht informierten Patienten und Ärzten oft missverstandenen Nebenwirkungen entstehen, wenn sich durch regelmäßige Medikamenteneinnahme eine physiologische Gewöhnung ausprägt. In der Folge baut sich eine Toleranz auf (zu Toleranz siehe: Drogen und soziale Praxis, Bd. 1, „Körperliche Anzeichen von Abhängigkeit“). Das bedeutet, dass nunmehr für die erstrebten gleichen Wirkungen eine zunehmend größere Medikamentenmenge nötigt wird. Dies erklärt, weshalb der Patient nach erfolgter Gegenregulierung des Körpers auf die erneute Medikamentenmenge umgehend Wünsche nach einer erneuten Dosissteigerung entwickelt. Auf Grund dieser Zusammenhänge treibt der Patient in eine Dosissteigerung hinein, die oft erhebliche Ausmaße haben kann.

Symptome eines Benzodiazepin-Langzeitkonsums

 Gefühlserleben abgeschwächt

 Gereizte Verstimmungszustände

 Fähigkeit zur Selbstkritik abgeschwächt

 Vergesslichkeit und geistige Leistungsminderung

 Konfliktvermeidung

 Überforderung in bzw. Vermeidung von neuen oder belastenden Situationen

 gestörtes Körpergefühl/verminderte körperliche Energie

 muskuläre Schwäche, ggf. mit Reflexverlust

 Appetitlosigkeit

 Vermeidung des Themas Tabletten/heimliche Einnahme

(vgl. Holzbach 2011a)

Leiden unter Unterdosierung

Verbleibt der Patient jedoch auf der ursprünglich verschriebenen Dosierung, ist er nach erfolgter physiologischer Gegenregulierung bald „unterdosiert“. Dieser Zustand macht sich in relativen Entzugserscheinungen bemerkbar und äußert sich in einer breiten Symptompalette: Unruhe, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen, Gereiztheit u. ä.

Leider werden diese Symptome jedoch in vielen Fällen nicht als Hinweiszeichen auf eine Niedrigdosisabhängigkeit mit Wirkverlust und Wirkumkehr verstanden. Sie werden eher als Verschlechterung der Grunderkrankung gedeutet, weshalb die Medikamenteneinnahme eher fortgesetzt und die Dosis sogar noch gesteigert wird.

Entzug nicht als solcher erkannt

Ähnliche Missverständnisse entstehen, wenn die Einnahme der schon lange konsumierten Medikamente eingestellt wird. Haben in der Verordnungszeit bereits physiologische Gewöhnungsprozesse stattgefunden, so stellen sich mit einem Stopp der Medikamenteneinnahme umgehend die oben beschriebenen Entzugssymptome ein. Werden diese wieder falsch als Fortbestand des Grundleidens interpretiert, rechtfertigen sich daraus ein Fortsetzen der Medikamenteneinnahme und eine Dosiserhöhung.

Zunächst scheint sich die Richtigkeit diese Annahme sogar zu bestätigen, denn in der Regel führt die erneute Medikamenteneinnahme zunächst zu einer Milderung der relativen Entzugssymptome. Allerdings wird damit das Entstehen anderer Folgen einer Langzeiteinnahme vorangetrieben. Diese machen sich typischerweise mit einem Apathie-Syndrom bemerkbar.

Phase 2: Apathie und geistige Schwerfälligkeit

Die Phase 2 entwickelt sich schleichend über Monate und Jahre. Deshalb wird selten daran gedacht, dass die auftretenden Symptome etwas mit dem nunmehr schon lange anhaltenden und oftmals immer wieder gesteigerten Medikamentenkonsum zu tun haben.

Die Wirkung der eingenommenen Schlaf- und Beruhigungsmittel steht nun deutlich im Vordergrund und macht sich in einem typischen Dreierlei bemerkbar: Emotionale Abstumpfung, fehlende körperliche Energie und Einschränkungen in der geistigen Leistungsfähigkeit (vgl. Holzbach 2011, S. 15):

 Die emotionale Abstumpfung zeigt sich in einer mangelnden emotionalen Schwingungsfähigkeit, durch die der Patient weder Trauer, Ärger oder Bedrückung spürt, noch sich freuen, amüsieren, lieben und in positive Geschehnisse emotional involviert sein oder daran anteilnehmen kann: Alles wird auf einem Durchschnittsniveau wahrgenommen, das kaum noch Ausschläge hat. Vielen Patienten nehmen diese Veränderungen oft mit Bedauern wahr, können sie aber nicht erklären und deshalb auch nicht verändern

 Ähnlich leidvoll wird auch die schwindende Energie und der fehlende Antrieb vermerkt. Sowohl der Betroffene selbst als auch Außenstehende registrieren, dass die Betroffenen sich körperlich schlapp fühlen und sich kaum noch zu Aktivitäten aufraffen können.

 Zu diesen psychischen Einschränkungen kommen schließlich auch noch deutliche Verringerungen in der geistigen Leistungsfähigkeit. Diese zeigen sich insbesondere in abnehmenden Fähigkeiten, mit Problemen und neuen Situationen umgehen zu können und in geringeren Konzentrations- und Gedächtnisleistungen.

Diese Trias kann auch bei vielen anderen Erkrankungen auftreten (z. B. Depressionen) oder als Alterserscheinungen gedeutet werden. Gerade weil sie so unklar ist, dauert es oft lange, bis der Bezug zum Langzeitkonsum der Medikamente hergestellt wird.

Phase 3: Ausgeprägte Hoch-Dosis-Medikamentenabhängigkeit

Medikamentenabhängigkeit kann sich unerkannt und unbehandelt aber auch zu einer schweren Abhängigkeit mit physischen, psychischen und sozialen Folgen entwickeln. Insbesondere, wenn neue Quellen zu einer kaum kontrollierten Verfügbarkeit der Medikamente führen, besteht die Gefahr, dass die Dosis rasch gesteigert wird.

Schwere und komplexe Folgen bei High-Doses-Abhängigkeit

In ihrer Grenzenlosigkeit und in ihren Konsequenzen ist eine so außer Kontrolle geratene High-Doses-Medikamentenabhängigkeit durchaus mit anderen Abhängigkeitserkrankungen vergleichbar: Es kommt zu einem Wirkverlust des Medikaments, weshalb die Dosis zu oft extremen Mengen erhöht wird. Immer wieder manifestieren sich parallel bestehende Erkrankungen oder werden durch den langfristigen Konsum eher verstärkt, als dass die Medikamente tatsächlich nachhaltig helfen. Durch die Medikamenteneinnahme ausgelöste schwerwiegende kognitive und emotionale Störungen beeinträchtigen die Funktionsfähigkeit im Alltag. Stürze, Verletzungen und stationäre Notfallaufnahmen sind nur ein Hinweis auf derartige Schwierigkeiten. Oft wird auch die Fähigkeit zur Selbstwahrnehmung und Selbstkritik beeinträchtigt. Zu diesem Bündel negativer physischer und psychischer Faktoren können schließlich auch soziale Konsequenzen hinzukommen. Dazu gehören als Folge von Verhaltens- und Persönlichkeitsveränderungen soziale Konflikte und die Abnahme oder die Gefährdung der Arbeitsfähigkeit, die schließlich in einer Aufgabe/dem Verlust des Arbeitsplatzes münden können.

Merkenswert: Eine Medikamentenabhängigkeit kann zu schwerwiegenden Einbrüchen in der Lebensqualität und der Lebensfreude der Betroffenen führen. Sie ist deshalb als ernstzunehmende Erkrankung wahrzunehmen; ihre Bewältigung kann auch von Sozialer Arbeit psychosozial unterstützt werden.

In einem späten Stadium einer Hoch-Dosis-Abhängigkeit (High-Doses-Dependency) haben sich in vielen Fällen physische, psychische und soziale Entwicklungen vollzogen, die eine spezialisierte suchttherapeutische Behandlung nötig werden lassen. Hier erhält der Betroffene Zeit, Gelegenheit und fachliche Unterstützung, um die komplizierten und oft auch mit anderen Problemen verwobenen Themen zu bearbeiten, die den Medikamentenkonsum schon so lange antreiben.

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22 aralık 2023
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