Kitabı oku: «Organisation C.», sayfa 3

Yazı tipi:

»Wie haben Sie Hartmut Gensch kennengelernt?«

»Beim Tanzen. Er fiel mir auf, weil er so schneidig aussah.«

Erwin schnaubte.

»Komm, du musst zugeben, dass er eine gute Figur gemacht hat. Und tanzen konnte er auch.«

Erwin Overbeck offensichtlich nicht, das jedenfalls war die unterschwellige Botschaft, die Hendrik heraushörte.

»Wie war Ihr Verhältnis zu dem Ermordeten?«

»Rein platonisch. Wir waren … Na ja, wir mochten uns.«

»Sie waren nicht verlobt?«

»Wie kommen Sie darauf? Natürlich nicht. Ab und zu sind wir miteinander ausgegangen, das stimmt schon, tanzen, ins Café, solche Dinge. Manchmal hat er mich auch von der Arbeit abgeholt. Aber das war nichts Ernstes. Vielleicht hat Hartmut sich mehr erhofft. Ich glaube, er fand mich attraktiv.« Sie drehte sich nicht zu Erwin um, aber ihre Worte waren zweifellos für ihn bestimmt.

»Die Mutter von Herrn Gensch behauptet etwas anderes.«

»Ich wette, die alte Schachtel hat Ihnen erzählt, ich hätte es getan«, sagte Erwin.

Diesmal wandte sich Gregor ihm zu und sah ihn durchbohrend an. »Zu Ihnen kommen wir gleich. Im Augenblick unterhalte ich mich mit Fräulein Bredow.«

Erwin hielt seinem Blick, wenn auch mühsam, stand.

Ada fing an, nervös an ihrer Perlenkette zu nesteln.

»Ein Geschenk von Herrn Gensch?«, fragte Gregor.

Sie ließ die Kette los, als habe sie sich verbrüht. »Nein, sie … sie ist von Erwin.«

»Herr Gensch hat Ihnen Geschenke gemacht, nicht wahr?«

»Ein- oder zweimal. Kleine Aufmerksamkeiten, mehr nicht.«

»Keinen Schmuck? Kleider?«

»Ich glaube … Es kann sein, dass ein Kleid darunter war.«

»Unter den ein, zwei Dingen, die Sie von ihm bekommen haben?«

»Sie hat doch schon gesagt, dass Sie nichts mit ihm hatte. Also hören Sie auf, sie zu belästigen«, fuhr Erwin Overbeck auf.

Der Blick, mit dem Gregor ihn bedachte, war reines Eis. Hendrik fragte sich, warum sein Bruder den Mann nicht hinauskomplimentierte. Andererseits war es natürlich aufschlussreich, wie das Paar während der Befragung aufeinander reagierte.

»Sie haben zwei Möglichkeiten«, sagte Gregor. »Erstens: Sie verhalten sich ruhig, bis Sie an der Reihe sind. Zweitens: Sie verlassen dieses Zimmer.«

»Und wenn ich weder das eine noch das andere tue?«

»Dann gibt es als dritte Möglichkeit noch ein Apartment in der ›Roten Villa‹, mit Aussicht auf Gitterstäbe.«

Ada versuchte, die Wogen zu glätten. »Ja, gut, vielleicht waren es auch ein paar mehr Geschenke. Es war mir unangenehm. Er war ein netter Kerl, meistens jedenfalls. Aber ich war nicht an ihm interessiert.«

»Es hat kein … Austausch von Zärtlichkeiten stattgefunden?«

Sie zögerte mit der Antwort. Diesmal zuckten ihre Augen in Erwins Richtung, auch wenn sie sie rasch wieder unter Kontrolle brachte. »Er … hat mich einmal geküsst.«

Gregor sagte nichts.

»Na gut, vielleicht auch ein paarmal mehr. Er konnte ganz süß sein. Aber es war immer harmlos.«

»Es blieb also bei Küssen? Sie haben sich nicht verlobt? Keine Pläne für die Zukunft geschmiedet?«

Sie schüttelte energisch den Kopf. »Ich bin doch nicht blöd. Hartmut hatte keine Zukunft. Er wurde überall gefeuert, wegen seiner großen Klappe. Er dachte immer, die Welt schuldet ihm was. Einmal habe ich ihn bei Tietz untergebracht, aber das fand er unter seinem Niveau und hat das auch deutlich gezeigt. Bei den Albatros-Werken ist er ebenfalls rausgeflogen.«

»Warum?«

»Er hat einem Buchhalter den Kieferknochen gebrochen. Angeblich ging es um die Ehre der Armee.«

»Wenn er keiner geregelten Arbeit nachging – und nach allem, was ich mitbekommen habe, sind die Genschs nicht so reich, dass sie von Erspartem zehren können –, wovon hat er dann gelebt?«

»Keine Ahnung. Stimmt schon, es ist ein bisschen seltsam. Zumal er sein Geld nie beisammenhalten konnte. Wenn er mal was verdient hat, war’s im Nu weg.«

»Haben Sie sich keine Gedanken gemacht, wovon er Ihre Geschenke bezahlt hat?«

Sie machte eine unbestimmte Kopfbewegung.

Gregor ließ es dabei bewenden und wandte sich Erwin zu, dem man ansah, dass er wie auf glühenden Kohlen saß. »Nun zu Ihnen. Zunächst einmal: Was tun Sie hier, wenn ich fragen darf?«

»Ich mache die Abrechnungen für Herrn Bredow, den Vater von Fräulein Ada, wenn Sie nichts dagegen haben.«

»Aha. Was tun Sie beruflich?«

»Ich arbeite in einer Bank.«

»Und woher kannten Sie Hartmut Gensch?«

»Aus dem Krieg. Später waren wir zusammen beim Oberschlesischen Selbstschutz.«

»Wie sah Ihr Verhältnis zueinander aus?«

»Wir waren Kameraden. Sind gemeinsam durch so manche Scheiße gegangen, erst an der Marne, dann in Schlesien.«

»Wenn Sie befreundet waren – hat er Sie mal um Geld angepumpt?«

»Nee. Ich hätt‘ ihm auch keins gegeben. Hab‘ selber nischt.«

»Und wann haben Sie und Fräulein Bredow sich kennengelernt?«

»Hartmut hat sie mitgebracht, zu einem Hoffest.«

»Hier?«

»Nebenan. Heiko hat das organisiert. Heiko Brehm. Wir waren zusammen in Frankreich, ehe ihn eine Kugel erwischte.«

»Sie drei waren in derselben Einheit?«

»Nur kurz. Heiko hat’s erwischt, gleich nachdem Hartmut kam. Aber die beiden kannten sich von früher.«

»Wann war dieses Hoffest?«

»Im Sommer letzten Jahres. Juni, glaube ich.«

»Am zwölften«, sagte Ada und errötete.

»Und da haben Sie sich ineinander verliebt?«

Erwin zuckte die Achseln.

Gregor sah Ada an.

»Wir haben uns gut verstanden.«

»War Herr Gensch nicht eifersüchtig?«

»Und wie! Er hat mir eine Szene gemacht. Es war peinlich. Ich habe ihm ganz schön den Kopf zurechtgesetzt.«

»Wie hat er es aufgenommen, dass Sie sich von ihm ab- und Herrn Overbeck zuwandten?«

»Hab‘ ich ja nicht. Ich bin nicht so eine, die jedem gleich um den Hals fällt. Wir sind ein paarmal spazieren gegangen, und einmal hat Erwin mich in den Lunapark eingeladen, mehr war nicht. Richtig kennengelernt haben wir uns erst später, nachdem Hartmut verschwunden war.«

»Was dachten Sie, als Herr Gensch nicht wieder auftauchte?«

»Wie meinen Sie das?«

»Na, Sie müssen doch irgendeine Vermutung gehabt haben, was passiert ist.«

»Zuerst hab‘ ich angenommen, er hätte endlich eine Stelle angetreten. Bei seiner Mutter anrufen wollte ich nicht. Die mag mich nicht. Aber als er dann immer länger wegblieb … Ich dachte, er hätte vielleicht Schwierigkeiten und ist untergetaucht.«

»Schwierigkeiten?«

»Na ja, wegen Geld. Oder weil er sich wieder mit wem geprügelt hat.«

»Und Sie?« Diese Frage ging an Erwin.

»Warum sollte ich mir darüber Gedanken machen? Hartmut war sei eigener Herr.«

»Die Mutter von Herrn Gensch behauptet, Sie wären in der Nacht vor seinem Verschwinden mit ihm zusammen gewesen.«

»Na ja, das stimmt wohl. Wir sind durch die Wirtshäuser gezogen.«

»Gab es einen besonderen Grund?«

»Wir haben den Tod von Erzberger gefeiert.«

»Sie haben – was?«

»Tun Sie doch nicht so! Das ganze Land hat aufgeatmet, als dieses Schwein endlich weg war. Wir haben darauf getrunken, dass Deutschland einen seiner Schädlinge los ist.«

Fassungslos ließ Hendrik den Skizzenblock sinken. Sicher, der frühere Finanzminister Erzberger war nicht beliebt gewesen, und gewissenlose Zeitungsschmierer hatten sogar seine Ermordung noch mit Genugtuung kommentiert, aber eine solche Verrohung … »Warum dieser Hass?«

»Na, hören Sie mal! Der Erzberger, dem verdanken wir das Reichsnotopfer. Und für den Zusammenbruch 1918 war er auch verantwortlich, da können Sie jeden fragen, das sagt Ihnen jeder.«

»Und bereichert hat er sich«, stimmte Ada zu, »und Steuern hinterzogen und Meineide geschworen.«

»Lesen Sie Helfferichs Schriften, da steht alles genau drin. Jetzt hat der Kerl seinen Lohn. Der wird kein Unheil mehr anrichten. Kugelrund, aber nicht kugelfest.« Erwin lachte. »So wie dem muss es allen Volksverrätern ergehen. Mit Stumpf und Stiel muss man dieses Schieberpack ausrotten. Den Wirth, den Scheidemann, den Rathenau und wie sie alle heißen.«

»Aufsichtsrathenau«, spottete Ada, auf die Beteiligung des Außenministers an einer schier unüberschaubaren Anzahl Firmen anspielend.

Erwin Overbeck fixierte Hendrik mit scharfem Blick. »Das passt Ihnen wohl nicht? Sie sind auch so‘n Bolschewist, wie? Hab‘ ich mir schon gedacht.«

»Kommen wir zum Fall zurück«, sagte Gregor.

Erwin grinste, lehnte sich provozierend auf der Couch zurück und summte den Kehrreim eines Liedes. Hendrik kannte es. Im Oberschlesischen Selbstschutz waren die Soldaten angeblich im Takt dazu marschiert, und auch in den Straßen Berlins konnte man es immer wieder hören: Knallt ab den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau

»Wo waren sie überall?«, fragte Gregor scharf.

Hendrik schrieb die Namen der Gaststätten mit, die Erwin nannte.

»Nicht in Halensee? Oder Schmargendorf?«

»Was sollen wir denn da?«

»Das hoffte ich, von Ihnen zu erfahren. Immerhin ist Ihr Kamerad im Grunewald gefunden worden. Alkoholisiert.«

»Wir haben uns irgendwann getrennt. Er war schon ziemlich abgefüllt, aber er wollte unbedingt noch weiter. Sie wissen schon, die neue Polizeistunde ausnutzen.«

Richtig, September letzten Jahres! Da durften die Gaststätten ihren Schankbetrieb zum ersten Mal bis ein Uhr nachts ausdehnen.

»Und Sie?«

»Ich hatte genug. Es war ja nicht mal Wochenende, und ich musste am nächsten Morgen wieder früh raus.«

»Wie spät war es, als sie sich von ihm verabschiedeten?«

»Weiß nicht. Muss so gegen elf gewesen sein.«

»Wie war Herr Gensch den Abend über? Benahm er sich ungewöhnlich?«

»Nee. Eigentlich wie immer.«

»Worüber sprachen Sie?«

»Über Politik.« Erwin grinste wieder. »Wird Ihnen nicht gefallen, was wir sagten.«

»Hat er Andeutungen gemacht, dass er vorhatte zu verschwinden? Oder sich mit jemandem zu treffen?«

»Nee. Kann ich mir auch nicht vorstellen, so voll wie der war.«

»Das heißt also, an jenem Abend gegen elf haben Sie ihn zuletzt gesehen?«

»Wie Sie das wieder erfasst haben …«

»Und Sie, Fräulein Bredow?«

»Am Tag vorher. Er hat mich von der Arbeit abgeholt.«

»Irgendwelche besonderen Zwischenfälle? Zerstreutheit, Furcht, Zukunftspläne?«

»Nein. Nur, dass … Na ja, er sagte, er würde mir einen Pelzmantel schenken.«

»Einen Pelzmantel? Bei seinen finanziellen Verhältnissen?«

»Deswegen habe ich ihn auch nicht ernst genommen. Aber er hat nicht aufgehört damit. Immerzu Andeutungen gemacht: ›Bald bin ich wieder flüssig‹ und so.«

»Haben Sie eine Ahnung, auf welche Weise er zu Geld kommen wollte?«

»Nein. Aber ich würde nicht viel auf sein Gerede geben. So was hat er andauernd gesagt. Er war ein netter Kerl, aber ein Angeber.«

War es wirklich nur Angeberei? Oder ein wertvoller Fingerzeig? Bloßes Geschwätz oder eine Spur, die zu krummen Geschäften führen konnte, zu Raub, Betrug, Unterschlagung? Hendrik fuhr sich durchs Haar, ohne zu merken, dass er es dabei zerzauste. Neun Monate war der Mord bereits her, und sie hatten nichts in der Hand als Vermutungen.

6

Heiko Brehm war anders, als Hendrik ihn sich vorgestellt hatte. Er erwartete einen weiteren aufgeblasenen Wichtigtuer, einen typischen Frontkämpfer, einen Kerl wie ein Marschtakt. Doch der Mann, der ihnen die Tür öffnete, war eher ein Volkslied: brummige Stimme, schaukelnder Gang, Vollmondgesicht. Jemand, von dem man erwartete, dass er im nächsten Augenblick eine Torte hinter seinem Rücken hervorzauberte und einem alles Gute zum Geburtstag wünschte.

Als er hörte, dass sie wegen Hartmut Gensch gekommen waren, nahm sein Gesicht einen besorgten Ausdruck an. »Ist er wieder aufgetaucht? Hat er … Ist ihm etwas zugestoßen?«

»Er wurde ermordet.«

Heiko nickte. »Hab‘ mir schon so was in der Art gedacht. Einfach sang- und klanglos zu verschwinden, sah ihm gar nicht ähnlich.«

»Nein? Seine Mutter sagt –«

»Ach, seine Mutter! Nehmen Sie’s mir nicht übel, aber seine Mutter ist die Letzte, auf deren Meinung ich was geben würde.«

»Wie meinen Sie das?«

»Sie ist … Na ja, sie gehört eher in ein vergilbtes Foto als ins wirkliche Leben, wenn Sie verstehen, was ich meine. Hartmut hielt es nie lange zu Hause aus. Wann immer er konnte, hat er sich davongemacht. Nichts war seiner Mutter gut genug, immer sollte er schneller, weiter, besser sein als die anderen.«

»Warum ist er nicht ausgezogen?«

»Kein Geld. Vielleicht auch aus Pflichtgefühl.«

»Nun, bevor wir weiter über die Genschs reden, erzählen Sie uns doch bitte etwas über sich. Was sind Sie von Beruf, wenn ich fragen darf?«

»Ich arbeite bei der Reichspost, am Schalter. Nichts Besonderes, aber man hat sein Auskommen.«

»Leben Sie allein?«

»Kann ich mir nicht leisten. Ich hab‘ zwei Kostgänger, Brüder. Sind im Augenblick allerdings wegen einer Familiensache in Regensburg.«

Hendrik sah sich in der Wohnung um. Bei Heiko Brehm hatte ebenfalls alles seine Ordnung, aber das lag wohl eher daran, dass er nicht viel sein Eigen nannte. Die dürftige Garderobe, die spärlichen Möbel, das zusammengewürfelte Geschirr, alles deutete auf finanzielle Probleme hin. Vielleicht setzte er aber auch nur andere Prioritäten, denn auf dem Küchentisch standen Gläser mit exotischen Gewürzen und vier Sorten Wein, und auf einer Anrichte befand sich ein Grammophon.

»Herr Gensch und Sie kennen sich seit Ihrer Kindheit?«, fragte Gregor.

»Sind zusammen zur Schule gegangen. Später waren wir in derselben Kompanie.«

»Was war er für ein Mensch?«

»Unkompliziert. Geradeheraus, das war es, was mir an ihm gefiel. Manchmal ein bisschen grob.«

»Grob?«

»Na ja, er leistete sich schon mal den einen oder anderen Scherz mit den Jungen in der Schule. Aber ich hatte in der Hinsicht nie Probleme mit ihm.«

»Könnten Sie diese Scherze näher erläutern?«

»Er hat gern mit Waffen hantiert, schon als Bub. Manchmal benutzte er Mitschüler als lebende Zielscheiben. Er war ein guter Schütze, es bestand keine Gefahr, aber das wussten die ja nicht. Einmal hat er einen Streit dadurch beendet, dass er seinen Gegner zu einem Spiel auf Leben und Tod zwang.«

»Wie meinen Sie das?«

»Also, er besaß so einen Trommelrevolver, da hat er alle Patronen bis auf eine rausgenommen und dann die Trommel gedreht, sodass keiner wusste, wo die Kugel steckte. Dann musste jeder der beiden die Waffe an seine Schläfe halten und abdrücken. Man nennt das ›Russisches Roulette‹, hab‘ ich mir sagen lassen, warum auch immer. In Wahrheit war natürlich keine Kugel im Lauf, aber der andere hat sich vor Schiss fast in die Hose gemacht.«

»Verstehe. Standesdünkel waren ihm auch nicht eben fremd, oder?«

»Das trifft auf die meisten von denen zu.«

»Denen?«

»Die Truppe. Die Kriegskameraden.«

»Gehören Sie denn nicht dazu?«

»Ach, wissen Sie, Herr Kommissar, ich bin ein schlichter Mensch. Gut essen und trinken, dazu ein bisschen Musik und Tanz, schon bin ich zufrieden. Das Politisieren liegt mir nicht. Bei den meisten Jungs geht es doch den ganzen Tag nur um Politik.«

»Sie waren so was wie ein Außenseiter?«

»Das nun nicht gerade. Ich mag Leben in der Bude. Hab‘ für Stimmung gesorgt, und dass wir immer was zu lachen hatten, selbst in den schwersten Stunden.«

»Sie meinen, im Krieg?«

»Klar. In irgend so‘m Dorf an der Front hab‘ ich zum Beispiel Wein und Wurst organisiert und einen Franzosen gefangen genommen, der Quetschkommode spielen konnte. War eine Riesengaudi. Der eine oder andere hat ein bisschen blöd geguckt, als ich dem Franzen auch was vom Wein spendiert habe, aber sie haben mich nicht gehindert. Leben und leben lassen, ist mein Motto.«

Hendrik, der die Aussagen mitprotokollierte, beugte sich über seinen Skizzenblock und entwarf eine Karikatur von Heiko Brehm mit dem Kopf eines Bären, der sich Honig von der Schnauze leckt.

»Ja, und dann natürlich Weihnachten 1914 – aber das war, bevor der Hartmut dazukam.«

»Sie meinen die Verbrüderungen an der Front? Ist an den Gerüchten etwas dran?«

»Gerüchte?« Heiko lachte. »Na ja, die Herren Offiziere hören das nicht so gern, jedenfalls die meisten. Haben versucht, die Vorfälle zu vertuschen. Aber, ja, ich war dabei. In Flandern. Erst haben wir Weihnachtsbäume aufgestellt und dann gesungen: Die Wacht am Rhein, Stille Nacht … Die Tommys haben sich revanchiert und ebenfalls gesungen. Irgendwann sind wir raus und haben uns im Niemandsland getroffen. Tabak getauscht, Konserven, Schals. Uniformknöpfe als Souvenirs. War wie ein Albdruck, der einem von der Seele genommen wird. Kein Robben im Dreck mehr, kein Kriechen über Leichen, kein Verhaken im Stacheldraht. Aufrechter Gang.« Er lachte wieder. »Am nächsten Tag schleppten die Schotten einen Fußball an, und dann ging’s los. Wir haben 3:2 gewonnen. Eine Riesengaudi, sag‘ ich Ihnen.«

»Ich habe davon gehört. Aber ich dachte …« Gregor schüttelte den Kopf, wie um sich zur Besinnung zu rufen. »Es war von einem Hoffest die Rede, das Sie veranstaltet haben sollen – waren da viele Kriegskameraden anwesend?«

»Nee. War eben ein Hoffest. Hauptsächlich Leute aus‘m Haus, ein paar Nachbarn, vielleicht noch zwei, drei Freunde. Der Hartmut, halt.«

»Stimmt es eigentlich, dass Herr Gensch Geldschwierigkeiten hatte?«

»Wundern würd’s mich nicht. Wenn der mal was besaß, ist es ihm gleich wieder durch die Finger gerutscht. Er war immer überzeugt, jeden Moment einen gut bezahlten Posten im Finanzministerium zu bekommen wie sein Vater. Irgendwie hat er nie kapiert, dass sich die Zeiten geändert haben.«

»War er beliebt?«

»Er war nicht gerade der Mittelpunkt jeder Gesellschaft, aber auch kein Einzelgänger. Den einen oder anderen hat er sicher mit seiner hochfahrenden Art vergrätzt. Doch im allgemeinen kam er klar.«

»Und Freunde? Hatte er Freunde?«

»Den Erwin, natürlich, Erwin Overbeck. Ich würde mich auch zu seinen Freunden zählen, obwohl wir uns nicht oft sahen. Ich hab‘ in meiner Welt gelebt, und er in seiner. Seine, das waren die alten Kameraden. Wie gesagt, immerzu politisieren und auf die Regierung schimpfen. Ich bin auch kein Freund dieser Novemberverbrecher. Die Republik ist ein korrupter Sumpf, der zum Himmel stinkt. Aber lasse ich mir deswegen das Leben vergällen? Nee, dazu isses zu kurz.«

»Erzählen Sie mir etwas über Herrn Overbeck. Kennen Sie ihn gut?«

»Gut ist übertrieben. Ich weiß bloß, dass sein Vater Offizier war. Einer von denen, die nach dem Krieg wegen dem Versailler Vertrag entlassen wurden. Der Erwin ist dann nach Berlin, weil er hoffte, hier bessere Chancen zu haben. Hat studiert, Jura. Er hat’s nicht leicht gehabt, ganz ohne finanzielle Unterstützung. Eine Zeitlang hat er in einem Bretterschuppen gehaust, hab‘ ich gehört, hinter einer Militärbaracke. Um Geld zu sparen. Im Sommer auch mal im Freien. Später ist er von Wartesaal zu Wartesaal vagabundiert, bis die Polizei ihn aufgriff. Inzwischen wohnt er billig irgendwo zur Untermiete und erledigt dafür alle anfallenden Reparaturarbeiten. Mit dem Essen lief es ähnlich: Er hat einen Sport daraus gemacht, seinen Hunger auszuhalten. Hat sich so diszipliniert, dass er nur einmal am Tag was brauchte.«

»Das muss ihm schwer gefallen sein.«

»Nicht wirklich. Er ist so ein Typ, wissen Sie. Einer, der sich selbst an die Zügel nehmen kann. Ich glaube, was er am drückendsten fand, waren die sozialen Unterschiede zu den reichen Studenten. Er musste halt nebenbei arbeiten. Das hat ihm zu schaffen gemacht. Das mit dem Essen … Ich glaube fast, er hält das auch heute noch so. Will sein Leben nicht von der Nahrungsmittelknappheit bestimmen lassen, verstehen Sie? Na ja, wer Feldküchenessen gewohnt ist, dem macht das vermutlich nichts aus. Obwohl …« Er schlug mit der flachen Hand auf seinen Bauch. »Für mich wär‘ das nichts. Zu viel Pflicht, zu wenig Genuss. Ich brauch‘ meinen Wein, meine Kartoffeln, meine Wurscht.«

»Jetzt arbeitet er in einer Bank, habe ich gehört?«

»Sein Vater hat ihm den Posten verschafft.«

»Waren Sie mit Herrn Overbeck in Oberschlesien?«

»Nee. Ich hatte die Schnauze voll vom Kämpfen. Dass die verdammten Polen eins aufs Maul kriegen, finde ich gut, aber das sollen man die Jüngeren machen, die noch voller Saft und Kraft sind. Ich glaub‘, der Erwin war auch nicht lange dabei. Als die Stelle bei der Bank frei wurde, hat er Oberschlesien und Studium sausen lassen und mit beiden Händen zugegriffen. Jeder muss heute sehen, wo er bleibt.«

»Wie war das nun mit dem Hoffest? Wie kam es überhaupt dazu?«

»Das Ganze war meine Idee. Die Stimmung hier im Haus war ja kaum noch zu ertragen. Überall laufen die Leute mit so ‘ner Fresse rum, und es wird und wird nicht besser. Wundert einen ja auch nicht. Mein Nachbar hat seine Stellung verloren und weiß nicht, wie er seine siebenköpfige Familie durchbringen soll. Die Söhne der Witwe von oben sind im Krieg gefallen, und ihre kümmerliche Rente reicht hinten und vorne nicht. Unterernährung, Tuberkulose, Kinder, die an Skorbut leiden – na ja, was erzähle ich. Ist Ihnen ja nischt Neues. Wenn man hier ins Haus reinkam, hatte man das Gefühl, auf ‘ner Beerdigung zu sein. Bei so was geh‘ ich ein wie ‘ne Primel. Also hab‘ ich ein bisschen gewirbelt. Erst waren alle skeptisch, aber dann sind sie doch gekommen. Der eine hat ein Brot rausgerückt, der andere ein paar Gläser eingemachte Gurken. Die Witwe hat sogar ‘ne Kartoffeltorte gebacken. Wir haben Girlanden aufgehängt und Lampions, die Kinder kamen mit Laternen … Ich hab‘ mein Grammophon runtergebracht, und nach einer halben Stunde hatten alle vergessen, wie schlecht es ihnen ging, und lachten und tanzten um die Wette. Selbst der olle Griesgram aus‘m zweiten Stock mit seinem Holzbein hat ‘ne flotte Sohle hingelegt und immerzu geschluchzt, er kann nicht glauben, dass er wieder tanzt.«

»Und Hartmut Gensch war auch da.«

»Nicht gleich. Er kam ein paar Stunden später, als wir alle schon einen sitzen hatten.«

»Allein?«

»Er brachte seine neue Braut mit, die Ada.«

»Wissen Sie, ob die beiden verlobt waren?«

»Keine Ahnung. Aber so, wie die aneinander geklebt haben, würd‘ ich mal sagen, die waren schwer verschossen.«

»Sie waren also nicht zurückhaltend, was den Austausch von Zärtlichkeiten betrifft? Befangen, wegen der vielen Leute?«

»Befangen? Mann, wenn Sie die Knutscherei gesehen hätten …« Er lachte.

»Erwin Overbeck war auch auf dem Fest?«

»Ja.«

»Hat er sich amüsiert?«

»Er macht sich nicht viel aus Feiern. Aber, ja, im Laufe des Abends ist er dann doch aufgetaut.«

»Bevor oder nachdem Fräulein Bredow kam?«

»Ach, darauf wollen Sie hinaus. Na ja, was soll ich sagen, Sie wissen sicher, dass die beiden ein Paar sind. Ja, der Erwin hat sich um sie bemüht.«

»Und sie?«

»Es hat ihr gefallen. Es ist nichts Unschickliches vorgefallen, verstehen Sie, kein Kuss oder eine unrechte Berührung oder so was. Es war nur, wie sie aufeinander reagiert haben.«

»Und Herr Gensch?«

»War ziemlich geladen. Er wollte gehen, sie wollte nicht, schließlich hat er sie angebrüllt, sie hat zurückgebrüllt, und da musste ich dazwischengehen. Sie haben sich aber wieder versöhnt und sind bis zum Schluss geblieben. Und, bevor Sie fragen, der Zwischenfall hat der Freundschaft zwischen Hartmut und Erwin keinen Abbruch getan.«

»Wann haben Sie Herrn Gensch zuletzt gesehen?«

»Irgendwann im Sommer. So etwa Juli, schätze ich. Es war jedenfalls heiß. Wir sind uns auf der Straße begegnet, haben ein paar Minuten gequatscht. Wir wollten uns mal wieder treffen, aber es ist nie was draus geworden. Er war dauernd auf Achse.«

»Wieso? Was hat er gemacht?«

»Keine Ahnung. Arbeit gesucht, nehme ich an.«

Gregor stellte noch ein paar belanglose Fragen und ließ sich den Namen des Schülers geben, den Hartmut Gensch zu Russischem Roulette gezwungen hatte, dann verabschiedeten er und Hendrik sich.

Unten, auf der Straße, sah der Kommissar seinen Bruder herausfordernd an. »Und? Wie ist deine Meinung zu dem Fall?«

»Also, ehrlich gesagt, ich kann überhaupt keine klare Linie entdecken. Für mich ist das alles Kraut und Rüben.«

»Das beruhigt mich ja. Ich hätte gewettet, dass du irgendeine Sentenz von einem deiner Philosophen parat hättest, mit der sich der Fall im Handumdrehen aufklärt.«

»Hör schon auf! Du weißt genau, dass ich deine Fähigkeiten als Kriminalist nicht in Zweifel ziehe. Sagen wir: Von Zeit zu Zeit kann es hilfreich sein, die Dinge von einer Außenseiterposition zu betrachten.«

»Und was sagt der Außenseiter?«

»Es deutet alles darauf hin, dass Erwin Overbeck es getan hat. Aber warum sollte er Hartmut Gensch aus dem Weg räumen, wo Fräulein Bredow doch klar gemacht hat, wo ihre Prioritäten liegen?« Hendrik kratzte sich am Kopf. »Was ist mit dir? Glaubst du, dass er es war?«

»Er bleibt natürlich mein Hauptverdächtiger. Schon, weil ich zur Zeit keinen anderen habe. Aber, ehrlich gesagt: Ich habe schon viele Morde aus Eifersucht gesehen. Was da im Grunewald geschehen ist, kommt mir eher wie eine Hinrichtung vor.«

7

Humorvoll? Mataphorisch? Sachlich?

Frustriert legte Hendrik seinen Federhalter beiseite und schloss das Tintenfass. Wie sollte das letzte Kapitel seines Buches aussehen? In welcher Stimmung wollte er die Leser entlassen? Solange er sich darüber nicht im Klaren war, hatte es keinen Sinn weiterzuarbeiten. Dabei wünschte er sich nichts sehnlicher, als dieses Werk, dem er drei Jahre seines Lebens gewidmet hatte, endlich abzuschließen.

Was will die Philosophie? erzählte die Geschichte des Denkens von der Antike bis heute und trat leidenschaftlich dafür ein, die Thesen berühmter Philosophen als Sprungbrett zur eigenen Auseinandersetzung mit den großen Lebensfragen zu nutzen, ein Ansatz, der, so fand Hendrik, angesichts der obligatorischen Klassikerverehrung durchaus Sprengkraft besaß. Als Leitmotiv hatte er einen Satz von Voltaire vorangestellt: Die nützlichsten Bücher sind diejenigen, die den Leser zu ihrer Ergänzung auffordern.

Einen Franzosen zum Mottogeber zu wählen, würde dem Verkauf seines Buches natürlich nicht gerade förderlich sein. Aber darüber konnte er sich später Gedanken machen. Erst einmal hatte er andere Sorgen. Wie sollte er sein Werk beenden? Mit einem Appell, sich nicht von großen Namen einschüchtern zu lassen und keine vorgefertigten Antworten zu übernehmen? Wenn die Leser das im Laufe der Kapitel nicht von selbst begriffen hatten, war ohnehin alles zu spät. Mit einer Art Zusammenfassung und einem Ausblick in die Zukunft? Furchtbar akademisch!

Wenn nur Diana schon zu Hause wäre! Vielleicht hatte sie eine zündende Idee.

Hendrik sah aus dem Fenster zur Matthias-Kirche hinüber. Ob die Schäden des Blitzeinschlags vom Sonntagabend schon repariert waren? Kaplan Lampe hatte erzählt, dass der Blitz aufgrund des Eisens im Glockenturm vom Blitzableiter abgesprungen war und zwei Löcher ins Mauerwerk geschlagen hatte. Alle elektrischen Sicherungen und Zähler waren beschädigt. Hör auf, du willst dich ja nur von deinem Problem ablenken!

In der Hoffnung auf einen Fingerzeig blätterte Hendrik sein Manuskript durch. Er war zufrieden mit dem, was er bisher geleistet hatte. Sein Sokrates, sein Leibniz, sein Schopenhauer waren keine verstaubten Denkmäler, sondern Menschen, die nach Antworten suchten. Er hatte von Epikur erzählt, der mit vierzehn in der Schule hörte, dass am Anfang der Welt das Chaos entstand, und wissen wollte, woraus. Von Augustinus, dem sein ausschweifendes Leben nicht mehr genügte, der sich selbst zum Rätsel wurde. Von Montaigne, der sich aus der Öffentlichkeit in einen Turm zurückzog, um dort neun Jahre lang seine Seele zu erforschen. Von Initialzündungen, die Menschen dazu brachten, um Erkenntnis zu ringen. Er glaubte an Kierkegaards Satz: Nur von Verwandelten können Wandlungen ausgehen. Es war ein sehr persönliches Buch geworden. Ein Buch voller Leidenschaft und Sehnsucht. Vermutlich würde die akademische Welt es verreißen.

Zurück zum Problem. Humorvoll? Mataphorisch? Sachlich? Vielleicht konnte ihn ein Blick in ein Philosophielexikon inspirieren. Hendrik griff nach einem der Bücher im Regal über dem Schreibtisch – und verharrte mit seinem Arm in der Luft.

Das Regal!

Geschlagene fünfzehn Sekunden blieb er in dieser unnatürlichen Position sitzen, ohne auch nur einen Muskel zu regen. Selbst seine Augen standen still und fixierten einen Schatten an der Wand. Das einzige, was sich bewegte, war sein Verstand. Der jedoch jagte um Ecken, probierte aus, verglich, verwarf.

Als endlich alles zusammenpasste, lief ein Zittern durch seinen Körper, der Arm sank herab. Äußerlich ruhig schob Hendrik seinen Stuhl zurück, stand auf, ging zur Tür. Der Grad seiner Aufgeregtheit war daran abzulesen, dass ihm nicht einmal in den Sinn kam, eine Jacke überzuziehen.

Zum Glück war es draußen mild, trotz vorgerückter Stunde und eines frischen Nordwestwindes. Aber selbst bei zwanzig Grad Minus wäre Hendrik nicht umgekehrt. Die Schlussfolgerungen, zu denen er gelangt war, zwangen ihn vorwärts. Sollte er auf die Bahn warten? Nein, dazu fehlte ihm die Geduld. Er schnappte sich sein Fahrrad und trat in die Pedale.

Am Potsdamer Platz verursachte er beinahe einen Unfall mit einem Elektromobil der Meierei Bolle, weil er weder nach rechts noch nach links sah, als er über die Kreuzung jagte. Er war viel zu sehr damit beschäftigt, im Geist jeden Quadratzentimeter der Gensch’schen Wohnung abzusuchen, um noch Kapazitäten für so profane Dinge wie Verkehrsregeln freizuhaben.

Erst, als das Polizeipräsidium vor ihm auftauchte, kam ihm der Gedanke, dass er vorher hätte anrufen sollen, um herauszufinden, ob sein Bruder nicht schon Feierabend hatte. Einerlei, jetzt war es ohnehin zu spät.

Er hatte Glück: Gregor war da.

»Das Regal!«, keuchte Hendrik.

»Dir auch einen guten Abend. Zivilisierte Umgangsformen sind dir wohl fremd?«

Zu einer anderen Zeit hätte sich Hendrik über diese Retourkutsche amüsiert, aber im Augenblick machte ihn alles ungeduldig, was die praktische Umsetzung seines Geistesblitzes verzögerte. »Der Schreibtisch! Das Licht!«

Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.

₺289,96

Türler ve etiketler

Yaş sınırı:
0+
Hacim:
250 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783753197685
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
Serideki İkinci kitap "Kriminalroman aus der Weimarer Republik"
Serinin tüm kitapları

Bu kitabı okuyanlar şunları da okudu