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Kitabı oku: «Die Sagen des klassischen Altertums», sayfa 19

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Theseus und Phädra

Theseus stand jetzt auf dem Wendepunkte seines Glücks. Gerade ein Versuch, dasselbe nicht nur auf Abenteuern zu suchen, sondern es sich an seinem eigenen Herde zu gründen, stürzte ihn in schwere Drangsal. Als der Held in der Blüte seiner Taten und in den ersten Jünglingsjahren die Geliebte seiner Jugend Ariadne ihrem Vater Minos aus Kreta entführte, wurde diese von ihrer kleinen Schwester Phädra begleitet, welche nicht von ihr weichen wollte und, nachdem Ariadne von Bakchos geraubt worden war, den Theseus nach Athen begleitete, weil sie nicht wagen durfte, zu ihrem tyrannischen Vater zurückzukehren. Erst als ihr Vater gestorben war, ging das aufblühende Mädchen in ihre Heimat Kreta zurück und erwuchs dort in dem Königshause ihres Bruders Deukalion, der als der älteste Sohn des Königes Minos die Insel jetzt beherrschte, zu einer schönen und klugen Jungfrau heran. Theseus, der nach dem Tode seiner Gemahlin Hippolyte lange Zeit unvermählt geblieben war, hörte viel von ihren Reizen und hoffte, sie an Schönheit und Anmut seiner ersten Geliebten, ihrer Schwester Ariadne, ähnlich zu finden; Deukalion, der neue König von Kreta, war auch dem Helden nicht abhold und schloß, als Theseus von der blutigen Hochzeit seines thessalischen Freundes zurückgekehrt war, ein Schutz-und-Trutz-Bündnis mit den Athenern. An ihn wandte sich nun Theseus mit seiner Bitte, ihm die Schwester Phädra zur Gemahlin zu geben. Sie wurde ihm nicht versagt, und bald führte der Sohn des Aigeus die Jungfrau aus Kreta heim, die wirklich von Gestalt und äußerer Sitte der Geliebten seiner Jugend so ähnlich war, daß Theseus die Hoffnung seiner jungen Jahre im späteren Mannesalter erfüllt glauben konnte. Damit zu seinem Glücke nichts fehlen konnte, gebar sie in den ersten Jahren ihrer Ehe dem Könige zwei Söhne, den Akamas und den Demophoon. Aber Phädra war nicht so gut und treu, als sie schön war. Ihr gefiel der junge Sohn des Königes, Hippolytos, der ihres Alters war, besser als der greise Vater. Dieser Hippolytos war der einzige Sohn, den die von Theseus entführte Amazone ihrem Gemahl geboren hatte. In früher Jugend hatte der Vater den Knaben nach Trözen geschickt, um ihn bei den Brüdern seiner Mutter Aithra erziehen zu lassen. Wie er erwachsen war, kam der schöne und züchtige Jüngling, der sein ganzes Leben der reinen Göttin Artemis zu weihen beschlossen und noch keiner Frau ins Auge geschaut hatte, nach Athen und Eleusis, um hier die Mysterien mitfeiern zu helfen. Da sah ihn Phädra zum ersten Male; sie glaubte ihren Gatten verjüngt wiederzusehen, und seine schöne Gestalt und Unschuld entflammte ihr Herz zu unreinen Wünschen; doch verschloß sie ihre verkehrte Leidenschaft noch in ihre Brust. Als der Jüngling abgereist war, erbaute sie auf der Burg von Athen der Liebesgöttin einen Tempel, von wo aus man nach Trözen blicken konnte und der später Tempel der Aphrodite Fernschauerin genannt ward. Hier saß sie tagelang, den Blick auf das Meer gerichtet. Als endlich Theseus eine Reise nach Trözen machte, seine dortigen Verwandten und den Sohn zu besuchen, begleitete ihn seine Gemahlin dorthin und verweilte geraume Zeit daselbst. Auch hier kämpfte sie noch lange mit dem unlautern Feuer in ihrer Brust, suchte die Einsamkeit und verweinte ihr Elend unter einem Myrtenbaume. Endlich aber vertraute sie sich ihrer alten Amme, einem verschmitzten und ihrer Gebieterin in blinder und törichter Liebe ergebenen Weibe an, die es bald über sich nahm, den Jüngling von der strafbaren Leidenschaft seiner Stiefmutter zu unterrichten. Aber der unschuldige Hippolytos hörte ihren Bericht mit Abscheu an, und sein Entsetzen stieg, als ihm die pflichtvergessene Stiefmutter sogar den Antrag machen ließ, den eigenen Vater vom Throne zu stoßen und mit der Ehebrecherin Zepter und Herrschaft zu teilen. In seinem Abscheu fluchte er allen Weibern und meinte schon durch das bloße Anhören eines so schändlichen Vorschlags entweiht zu sein. Und weil Theseus gerade abwesend von Trözen war — denn diesen Zeitpunkt hatte das treulose Weib erwählt, — so erklärte Hippolytos, auch keinen Augenblick mit Phädra unter einem Dache verweilen zu wollen, und eilte, nachdem er die Amme gebührend abgefertigt, ins Freie, um im Dienste seiner geliebten Herrin, der Göttin Artemis, in den Wäldern zu jagen und so lange dem Königshause nicht wieder zu nahen, bis sein Vater zurückgekehrt sein würde und er sein gepeinigtes Herz vor ihm ausschütten könnte.

Phädra vermochte die Abweisung ihrer verbrecherischen Anträge nicht zu überleben. Das Bewußtsein ihres Frevels und die unerhörte Leidenschaft stritten sich in ihrer Brust; aber die Bosheit gewann die Oberhand. Als Theseus zurückkehrte, fand er seine Gattin erhängt und in ihrer krampfhaft zusammengeballten Rechten einen von ihr vor dem Tode abgefaßten Brief, in welchem geschrieben stand: ›Hippolytos hat nach meiner Ehre getrachtet; seinen Nachstellungen zu entfliehen ist mir nur ein Ausweg geblieben. Ich bin gestorben, ehe ich die Treue meinem Gatten verletzt habe.‹ Lange stand Theseus vor Entsetzen und Abscheu wie eingewurzelt in der Erde. Endlich hub er seine Hände gen Himmel und betete: »Vater Poseidon, der du mich stets geliebt hast wie dein leibliches Kind, du hast mir einst drei Bitten freigegeben, die du mir erfüllen wollest und deine Gnade mir erzeigen unweigerlich. Jetzt gemahne ich dich an dein Versprechen. Nur eine Bitte will ich erfüllt haben: Laß meinem Sohn an diesem Tag die Sonne nicht mehr untergehen!« Kaum hatte er diesen Fluch ausgesprochen, als auch Hippolytos, von der Jagd heimgekehrt und von der Rückkehr seines Vaters unterrichtet, in den Palast einging und der Spur des Weheklagens nachgehend vor das Antlitz des Vaters und die Leiche der Stiefmutter trat. Auf die Schmähungen des Vaters erwiderte der Sohn mit sanfter Ruhe: »Vater, mein Gewissen ist rein. Ich weiß mich einer Untat nicht schuldig«. Aber Theseus hielt ihm den Brief seiner Stiefmutter entgegen und verbannte ihn ungerichtet aus dem Lande. Hippolytos rief seine Schutzgöttin, die jungfräuliche Artemis, zur Zeugin seiner Unschuld auf und sagte seinem zweiten Heimatlande Trözen unter Seufzern und Tränen Lebewohl.

Noch am Abende desselben Tages suchte den König Theseus ein Eilbote auf und sprach, als er vor ihn gestellt war: »Herr und König, dein Sohn Hippolytos sieht das Tageslicht nicht mehr!« Theseus empfing diese Botschaft ganz kalt und sagte mit bitterem Lächeln: »Hat ihn ein Feind erschlagen, dessen Weib er entehrt, wie er das Weib des Vaters entehren wollte?« »Nein, Herr!« erwiderte der Bote. »Sein eigener Wagen und der Fluch deines Mundes haben ihn umgebracht!« »O Poseidon«, sprach Theseus, die Hände dankend zum Himmel erhoben, »so hast du dich mir heute als ein rechter Vater bezeigt und meine Bitte erhört! Aber sprich, Bote, wie hat mein Sohn geendet, wie hat meinen Ehrenschänder die Keule der Vergeltung getroffen?« Der Bote fing an zu erzählen: »Wir Diener striegelten am Meeresufer die Rosse unseres Herrn Hippolytos, als die Botschaft von seiner Verbannung und bald er selbst kam, von einer Schar wehklagender Jugendfreunde begleitet, und uns Rosse und Wagen zur Abfahrt zu rüsten befahl. Als alles bereit war, hub er die Hände gen Himmel und betete: ›Zeus, mögest du mich vertilgen, wenn ich ein schlechter Mann war! Und möge, sei ich nun tot oder lebendig, mein Vater erfahren, daß er mich ohne Fug entehrt!‹ Dann nahm er den Rossestachel zur Hand, schwang sich auf den Wagen, ergriff die Zügel und fuhr, von uns Dienern begleitet, auf dem Wege nach Argos und Epidaurien davon. Wir waren so ans öde Meergestade gekommen, zu unserer Rechten die Flut, zur Linken von den Hügeln vorspringende Felsblöcke, als wir plötzlich ein tiefes Geräusch vernahmen, unterirdischem Donner ähnlich. Die Rosse wurden aufmerksam und spitzten ihr Ohr; wir alle sahen uns ängstlich um, woher der Schall käme. Als unser Blick auf das Meer fiel, zeigte sich uns hier eine Welle, die turmhoch gen Himmel ragte und alle Aussicht auf das weitere Ufer und den Isthmos uns benahm; der Wasserschwall ergoß sich bald mit Schaum und Tosen über das Ufer, gerade auf den Pfad zu, den die Rosse gingen. Mit der tobenden Welle zugleich aber spie die See ein Ungeheuer aus, einen riesenhaften Stier, von dessen Brüllen das Ufer und die Felsen widerhallten. Dieser Anblick jagte den Pferden eine plötzliche Angst ein. Unser Herr jedoch, ans Lenken der Rosse gewöhnt, zog den Zügel mit beiden Händen straff an und gebrauchte desselben, wie ein geschickter Steuermann sein Ruder regiert. Aber die Rosse waren läufig geworden, bissen in den Zaum und rannten dem Lenker ungehorsam davon. Aber wie sie nun auf ebener Straße fortjagen wollten, vertrat ihnen das Seeungeheuer den Weg; bogen sie seitwärts zu den Felsen um, so drängte es sie ganz hinüber, indem es den Rädern dicht zur Seite trabte. So geschah es endlich, daß auf der andern Seite die Radfelgen auf die Felsen aufzusitzen kamen und dein unglücklicher Sohn kopfüber herabgestürzt und mitsamt dem umgeworfenen Wagen von den Rossen, die ohne Führer dahinstürmten, über Sand und Felsgestein geschleift wurde. Alles ging viel zu schnell, als daß wir begleitenden Diener dem Herrn hätten zu Hilfe kommen können. Halbzerschmettert hauchte er den Zuruf an seine sonst so gehorsamen Rosse und die Wehklage über den Fluch seines Vaters in die Lüfte. Eine Felsecke entzog uns den Anblick. Das Meerungeheuer war verschwunden, wie vom Boden eingeschlungen. Während nun die übrigen Diener atemlos die Spur des Wagens verfolgten, bin ich hierhergeeilt, o König, das jammervolle Schicksal deines Sohnes dir zu verkünden!«

Theseus starrte auf diesen Bericht lange sprachlos zu Boden. »Ich freue mich nicht über sein Unglück; ich beklage es nicht«, sprach er endlich nachsinnend und in Zweifel vertieft. »Könnte ich ihn doch lebend noch sehen, ihn befragen, mit ihm handeln über seine Schuld«. Diese Rede wurde durch das Wehgeschrei einer alten Frau unterbrochen, die mit grauem, fliegendem Haar und zerrissenem Gewande herbeieilend die Reihen der Dienerschaft trennte und dem Könige Theseus sich zu Füßen warf. Es war die greise Amme der Königin Phädra, die auf das Gerücht von Hippolytos’ jämmerlichem Untergange, von ihrem Gewissen gefoltert, nicht länger schweigen konnte und unter Tränen und Geschrei die Unschuld des Jünglings und die Schuld ihrer Gebieterin dem König offenbarte. Ehe der unglückliche Vater recht zur Besinnung kommen konnte, wurde auf einer Tragbahre von wehklagenden Dienern sein Sohn Hippolytos, zerschmettert, aber noch atmend, in den Palast und vor seine Augen getragen. Theseus warf sich reumütig und verzweifelnd über den Sterbenden, der seine letzten Lebensgeister zusammenraffte und an die Umstehenden die Frage richtete: »Ist meine Unschuld erkannt?« Ein Wink der Nächststehenden gab ihm diesen Trost. »Unglückseliger getäuschter Vater«, sprach der sterbende Jüngling, »ich vergebe dir!« und verschied.

Er wurde von Theseus unter denselben Myrtenbaum begraben, unter welchem einst Phädra mit ihrer Liebe gekämpft und dessen Blätter sie oft, in der Verzweiflung an den Ästen zerrend, zerrissen hatte und wo nun, als an ihrem Lieblingsplatz, auch ihre Leiche beigesetzt war; denn der König wollte seine Gemahlin im Tode nicht entehren.

Theseus auf Frauenraub

Durch die Verbindung mit dem jungen Helden Peirithoos erwachte in dem verlassenen und alternden Theseus die Lust zu kühnen und selbst mutwilligen Abenteuern wieder. Dem Peirithoos war seine Gattin Hippodameia nach kurzem Besitze gestorben, und da auch Theseus jetzt ehelos war, so gingen beide auf Frauenraub aus. Damals war die nachher so berühmt gewordene Helena, die Tochter des Zeus und der Leda, die in dem Palaste ihres Stiefvaters Tyndareos zu Sparta aufwuchs, noch sehr jung. Aber sie war schon die schönste Jungfrau ihrer Zeit, und ihre Anmut fing an, in ganz Griechenland bekanntzuwerden. Diese sahen Theseus und Peirithoos, als sie auf dem genannten Raubzuge nach Sparta kamen, in einem Tempel der Artemis tanzen. Beide wurden von Liebe zu ihr entzündet. Sie raubten die Fürstin in ihrem Übermut aus dem Heiligtum und brachten sie zuerst nach Tegea in Arkadien. Hier warfen sie das Los über dieselbe, und einer versprach dem andern brüderlich, ihm, wenn das Los ihn verfehle, zum Raub einer andern Schönheit behilflich zu sein. Das Los teilte die Beute dem Theseus zu, und nun brachte dieser die Jungfrau nach Aphidnai im attischen Gebiete, übergab sie dort seiner Mutter Aithra und stellte sie unter den Schutz seines Freundes. Darauf zog Theseus weiter mit seinem Waffenbruder und beide sannen auf eine herkulische Tat. Peirithoos entschloß sich nämlich, die Gemahlin Plutos, Persephone, der Unterwelt zu entführen und sich durch ihren Besitz für den Verlust Helenas zu entschädigen. Daß ihnen dieser Versuch mißglückte und sie von Pluto zu ewigem Sitzen in der Unterwelt verdammt wurden, daß Herakles, der beide befreien wollte, nur den Theseus aus dem Hades erretten konnte, ist schon erzählt worden. Während nun Theseus auf diesem unglücklichen Zuge abwesend war und in der Unterwelt gefangen saß, machten sich die Brüder Helenas, Kastor und Pollux, auf und rückten in Attika ein, um ihre Schwester Helena zu befreien. Indessen verübten sie anfangs keine Feindseligkeiten im Lande, sondern kamen friedlich nach Athen und forderten hier die Zurückgabe Helenas. Als aber die Leute in der Stadt antworteten, daß sie weder die junge Fürstin bei sich hätten noch wüßten, wo Theseus sie zurückgelassen, wurden sie zornig und schickten sich, mit den sie begleitenden Scharen, zum wirklichen Kriege an. Jetzt erschraken die Athener, und einer aus ihrer Mitte, mit Namen Akademos, der das Geheimnis des Theseus auf irgendeine Art erfahren hatte, entdeckte den Brüdern, daß der Ort, wo sie verborgen gehalten werde, Aphidnai sei. Vor diese Stadt rückten nun Kastor und Pollux, siegten in einer Schlacht und eroberten den Platz mit Sturm.

Zu Athen hatte sich inzwischen auch anderes begeben, was für Theseus ungünstig war. Menestheus, der Sohn des Peteos, ein Urenkel des Erechtheus, hatte sich als Volksführer und Schmeichler der Menge um den leerstehenden Thron beworben und auch die Vornehmen aufgewiegelt, indem er ihnen vorstellte, wie der König sie dadurch, daß er sie von ihren Landsitzen in die Stadt hereingezogen, zu Untertanen und Sklaven gemacht habe. Dem Volk aber hielt er vor, wie es, dem Traume der Freiheit zulieb, seine ländlichen Heiligtümer und Götter habe verlassen müssen und, statt von vielen guten einheimischen Herren abhängig zu sein, einem Fremdling und Despoten diene. Wie nun die Nachricht, Aphidnai sei von den Tyndariden genommen, Athen mit Schrecken erfüllte, da benützte Menestheus auch diese Stimmung des Volkes. Er bewog die Bürger, den Söhnen des Tyndareos, welche die Jungfrau Helena, ihren Wächtern entrissen, mit sich führten, die Stadt zu öffnen und sie freundlich zu empfangen, da dieselben nur gegen Theseus, als den Räuber des Mädchens, Krieg führten. Und tatsächlich zeigte sich, daß Menestheus wahr gesprochen hatte: denn obgleich sie durch offene Tore in Athen einzogen und alles dort in ihrer Gewalt war, so taten sie doch niemand etwas zuleide, verlangten vielmehr nur, wie andere vornehme Athener und Verwandte des Herakles, in den Geheimdienst der eleusinischen Mysterien aufgenommen zu werden, und zogen dann mit ihrer geretteten Helena, von den Bürgern, die sie liebten und ehrten, zur Stadt hinausgeleitet, wieder in ihre Heimat.

Theseus’ Ende

Inzwischen war Theseus, von Herakles befreit, aus dem Hades zurückgekehrt. Ruhe war ihm auch jetzt nicht auf dem Thron beschieden; denn als er das Ruder das Staates wieder ergriff, brachen Empörungen gegen ihn aus, an deren Spitze immer Menestheus stand, welcher hinter sich die Partei der Edeln hatte, die immer noch von Pallas, seinem Oheime, und dessen besiegten und erschlagenen Söhnen sich die Pallantiden nannten. Diejenigen, welche ihn vorher gehaßt hatten, verlernten allmählich auch die Furcht vor ihm, und das gemeine Volk hatte Menestheus so verwöhnt, daß es, anstatt zu gehorchen, immer nur geschmeichelt werden wollte. Anfänglich versuchte nun Theseus gewaltsame Mittel; als aber aufwieglerische Umtriebe und offene Widersetzlichkeit alle seine Bemühungen vereitelten, da beschloß der unglückliche König, seine unbotmäßige Stadt freiwillig zu verlassen, nachdem er schon vorher seine Söhne Akamas und Demophoon heimlich nach Euböa zu dem Fürsten Elephenor geflüchtet hatte. In einem Flecken von Attika, Gargettos genannt, sprach er feierliche Verwünschungen gegen die Athener aus, da, wo man noch lange nachher das Verwünschungsfeld zeigte; dann schüttelte er den Staub von seinen Füßen und schiffte sich nach Skyros ein. Die Einwohner dieser Insel hielt er für seine besonderen Freunde, denn der König besaß darauf ansehnliche Güter, die er von seinem Vater geerbt hatte.

Damals war Lykomedes Beherrscher von Skyros. Zu diesem ging Theseus und bat sich von ihm seine Güter aus, um auf denselben seinen Sitz zu nehmen. Aber das Geschick hatte ihn einen schlimmen Weg geführt. Lykomedes, sei es, daß er den großen Ruf des Mannes fürchtete, sei’s, daß er mit Menestheus in geheimem Einverständnisse war, dachte darauf, wie er den in seine Hände gegebenen Gast, ohne Aufsehen zu erregen, aus dem Wege räumen könnte. Er führte ihn deswegen auf den höchsten Felsengipfel der Insel, der schroff in das Land hinaussprang. Er wollte ihn, war sein Vorgeben, die schönen Güter, die sein Vater auf dem Eilande besessen hatte, mit einem Blick überschauen lassen. Theseus, oben angekommen, ließ seine Augen freudig über die herrlichen Gefilde streifen: da gab ihm der treulose Fürst einen Stoß von hinten, daß er über die Felsen hinabstürzte und nur sein zerschmetterter Leichnam in der Tiefe ankam.

Zu Athen war Theseus von dem undankbaren Volke bald vergessen, und Menestheus regierte, als wenn er den Thron von vielen Ahnen ererbt hätte. Die Söhne des Theseus zogen mit dem Helden Elephenor als gemeine Krieger vor Troja. Erst als dort Menestheus gefallen war, kehrten sie nach Athen zurück und brachten das Zepter des Königtums wieder in ihre eigne Hand.

Viele Jahrhunderte später sollte es kommen, daß die Athener Theseus als ihren Heros verehrten; als sie nämlich bei Marathon die schwere Schlacht gegen die Perser schlugen, da stieg der alte Recke aus dem Grabe, um gerüstet mit seinen alten Waffen, an der Spitze seines Volkes, gegen die Barbaren zu kämpfen. Darum befahl das Orakel von Delphi den Athenern, des Theseus Gebeine zu holen und ehrenvoll zu bestatten. Aber wo sollten sie dieselben suchen? Und wenn sie auch auf der Insel Skyros das Grab gefunden hätten, wie sollten sie seine Überreste aus den Händen roher und den Fremden unzugänglicher Barbaren erlosen? Da geschah es, daß der berühmte Athener Kimon, der Sohn des Miltiades, auf einem neuen Feldzuge die Insel Skyros eroberte. Während er nun mit großem Eifer das Grab des Nationalheros aufsuchte, bemerkte er über einem Hügel einen Adler schwebend. Er machte halt an dieser Stelle und sah bald, wie der Vogel herabschoß und die Erde des Grabhügels mit seinen Krallen aufscharrte. Kimon erblickte in diesem Zeichen eine göttliche Fügung, ließ nachgraben und fand tief in der Erde den Sarg eines großen Leichnams, daneben eine eherne Lanze und ein Schwert. Er und seine Begleiter zweifelten nicht daran, des Theseus Gebeine gefunden zu haben. Die heiligen Überreste wurden von Kimon auf ein schönes Kriegsschiff mit drei Ruderbänken gebracht und in Athen mit Jubel, unter glänzenden Aufzügen und Opfern empfangen. Es war, als ob Theseus selbst in die Stadt zurückkehrte. So bezahlten nach Jahrhunderten die Nachkommen dem Begründer der Freiheit und Bürgerverfassung Athens den Dank, den ihm eine schnöde Mitwelt schuldig geblieben war.

Fünftes Buch Teil 3

Die Sage von Ödipus


Des Ödipus Geburt, Jugend, Flucht, Vatermord

Laïos, Sohn des Labdakos, aus dem Stamme des Kadmos, war König von Theben und lebte mit Iokaste, der Tochter eines vornehmen Thebaners, Menökeus, lange in kinderloser Ehe. Da ihn nun sehnlich nach einem Erben verlangte und er darüber den delphischen Apoll um Aufschluß befragte, wurde ihm ein Orakelspruch des folgenden Inhalts zuteil: »Laïos, Sohn des Labdakos! Du begehrest Kindersegen. Wohl, dir soll ein Sohn gewährt werden. Aber wisse, daß dir vom Geschicke verhängt ist, durch die Hand deines eigenen Kindes das Leben zu verlieren. Dies ist das Gebot von Zeus, dem Kroniden, der den Fluch des Pelops, dem du einst den Sohn geraubt, erhört hat«. Laïos war nämlich in seiner Jugend landesflüchtig und im Peloponnese am Hofe des Königs als Gast aufgenommen worden. Er hatte aber seinem Wohltäter mit Undank gelohnt und Chrysippos, den schönen Sohn des Pelops, auf den nemäischen Spielen entführt. Dieser Schuld sich bewußt, glaubte Laïos dem Orakel und lebte lange von seiner Gattin getrennt. Doch führte die herzliche Liebe, mit welcher sie einander zugetan waren, trotz der Warnung des Schicksals beide wieder zusammen, und Iokaste gebar endlich ihrem Gemahl einen Sohn. Als das Kind zur Welt gekommen war, fiel den Eltern der Orakelspruch wieder ein, und um dem Spruche des Gottes auszuweichen, ließen sie den neugebornen Knaben nach drei Tagen mit durchstochenen und zusammengebundenen Füßen in das wilde Gebirge Kithairon werfen. Aber der Hirte, welcher den grausamen Auftrag erhalten hatte, empfand Mitleid mit dem unschuldigen Kinde und übergab es einem andern Hirten, der in demselben Gebirge die Herden des Königs Polybos von Korinth weidete. Dann kehrte er wieder heim und stellte sich vor dem Könige und seiner Gemahlin Iokaste, als hätte er den Auftrag erfüllt. Diese glaubten das Kind verschmachtet oder von wilden Tieren zerrissen und die Erfüllung des Orakelspruchs dadurch unmöglich gemacht. Sie beruhigten ihr Gewissen mit dem Gedanken, daß sie durch die Aufopferung des Kindes dasselbe vor Vatermord behütet hätten, und lebten jetzt erst recht mit erleichtertem Herzen.

Der Hirte des Polybos löste indessen dem Kinde, das ihm, ohne daß er wußte, woher es kam, übergeben worden war, die ganz durchbohrten Fersen der Füße und nannte ihn von seinen Wunden Ödipus, das heißt Schwellfuß. So brachte er ihn nach Korinth zu seinem Herrn, dem Könige Polybos. Dieser erbarmte sich des Findlings, übergab ihn seiner Gemahlin Merope und zog ihn als seinen eigenen Sohn auf, für den er auch am Hofe und im ganzen Lande galt. Zum Jünglinge herangereift, wurde er dort stets für den höchsten Bürger gehalten und lebte selbst in der glücklichen Überzeugung, Sohn und Erbe des Königs Polybos zu sein, der keine anderen Kinder hatte. Da ereignete sich ein Zufall, der ihn aus dieser Zuversicht plötzlich in den Abgrund der Zweifel stürzte. Ein Korinther, der ihm schon längere Zeit aus Neid abhold war, rief an einem Festmahle, von Wein überfüllt, dem ihm gegenübergelagerten Ödipus zu, er sei seines Vaters echter Sohn nicht. Von diesem Vorwurfe schwer getroffen, konnte der Jüngling das Ende des Mahles kaum erwarten; doch verschloß er seinen Zweifel selbigen Tag noch kämpfend in der Brust. Am andern Morgen aber trat er vor seine beiden Eltern, die freilich nur seine Pflegeeltern waren, und verlangte von ihnen Auskunft. Polybos und seine Gattin waren über den Schmäher, dem diese Rede entfallen war, sehr aufgebracht und suchten ihrem Sohn seine Zweifel auszureden, ohne ihm jedoch dieselben durch eine runde Antwort zu heben. Die Liebe, die er in ihrer Äußerung erkannte, war ihm zwar sehr erquicklich, aber jenes Mißtrauen nagte doch seitdem an seinem Herzen, denn die Worte seines Feindes waren zu tief eingedrungen. Endlich griff er heimlich zum Wanderstabe, und ohne seinen Eltern eine Wort zu sagen, suchte er das Orakel zu Delphi auf und hoffte, von ihm eine Widerlegung der ehrenrührigen Beschuldigung zu vernehmen. Aber Phöbos Apollo würdigte ihn dort keiner Antwort auf seine Frage, sondern deckte ihm nur ein neues, weit grauenvolleres Unglück, das ihm drohte, auf. »Du wirst«, sprach das Orakel, »deines eigenen Vaters Leib ermorden, deine Mutter heiraten und den Menschen eine Nachkommenschaft von verabscheuungswürdiger Art zeigen«. Als Ödipus dieses vernommen hatte, ergriff ihn unaussprechliche Angst, und da ihm sein Herz doch immer noch sagte, daß so liebevolle Eltern wie Polybos und Merope seine rechten Eltern sein müßten, so wagte er es nicht, in seine Heimat zurückzukehren, aus Furcht, er möchte, vom Verhängnisse getrieben, Hand an seinen geliebten Vater Polybos legen und, von den Göttern mit unwiderstehlichem Wahnsinne geschlagen, ein verruchtes Ehebündnis mit seiner Mutter Merope eingehen. Von Delphi aufbrechend, schlug er den Weg nach Böotien ein. Er befand sich noch auf der Straße zwischen Delphi und der Stadt Daulia, als er, an einen Kreuzweg gelangt, einen Wagen sich entgegenkommen sah, auf dem ein ihm unbekannter alter Mann mit einem Herolde, einem Wagenlenker und zwei Dienern saß. Der Rosselenker, zusamt dem Alten, trieb den Fußgänger, der ihnen in den schmalen Pfad gekommen war, ungestüm aus dem Wege; Ödipus, von Natur jähzornig, versetzte dem trotzigen Wagenführer einen Schlag. Der Greis aber, wie er den Jüngling so keck auf den Wagen anschreiten sah, zielte scharf mit seinem doppelten Stachelstabe, den er zur Hand hatte, und versetzte ihm einen schweren Streich auf den Scheitel. Jetzt war Ödipus außer sich gebracht: zum erstenmal bediente er sich der Heldenstärke, die ihm die Götter verliehen hatten, erhub seinen Reisestock und stieß den Alten, daß er sich schnell rücklings vom Wagensitze herabwälzte. Ein Handgemenge entstand; Ödipus mußte sich gegen ihrer drei seines Lebens erwehren; aber seine Jugendstärke siegte, er erschlug sie alle, bis auf einen, der entrann, und zog davon.

Ihm kam keine Ahnung in seine Seele, daß er etwas anderes getan als aus Notwehr sich an einem gemeinen Phokier oder Böotier mit seinen Knechten, die ihm samt demselben ans Leben wollten, gerächt habe. Denn der Greis, der ihm begegnet, trug kein Zeichen höherer Würde an sich. Aber der Gemordete war Laïos, König von Theben, der Vater des Mörders, gewesen, der auf einer Reise nach dem pythischen Orakel dieses Weges zog; und also war die gedoppelte Weissagung, die Vater und Sohn erhalten und der sie beide entgehen wollten, an beiden vom Geschick erfüllt worden. Ein Mann aus Platäa, mit Namen Damasistratos, fand die Leichen der Erschlagenen am Kreuzwege liegen, erbarmte sich ihrer und begrub sie. Ihr Denkmal aus angehäuften Steinen mitten im Kreuzwege sah nach vielen hundert Jahren noch der Wanderer.

Yaş sınırı:
12+
Litres'teki yayın tarihi:
30 ağustos 2016
Hacim:
390 s. 1 illüstrasyon
Telif hakkı:
Public Domain
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