Kitabı oku: «Die Sagen des klassischen Altertums», sayfa 20
Ödipus in Theben, heiratet seine Mutter
Nicht lange Zeit, nachdem dieses geschehen, war vor den Toren der Stadt Theben in Böotien die Sphinx erschienen, ein geflügeltes Ungeheuer, vorn wie eine Jungfrau, hinten wie ein Löwe gestaltet. Sie war eine Tochter des Typhon und der Echidna, der schlangengestalteten Nymphe, der fruchtbaren Mutter vieler Ungeheuer, und eine Schwester des Höllenhundes Kerberos, der Hyder von Lerna und der feuerspeienden Chimära. Dieses Ungeheuer hatte sich auf einen Felsen gelagert und legte dort den Bewohnern von Theben allerlei Rätsel vor, die sie von den Musen erlernt hatte. Erfolgte die Auflösung nicht, so ergriff sie denjenigen, der es übernommen hatte, das Rätsel zu lösen, zerriß ihn und fraß ihn auf. Dieser Jammer kam über die Stadt, als sie eben um ihren König trauerte, der — niemand wußte, von wem — auf einer Reise erschlagen worden war und an dessen Stelle Kreon, Bruder der Königin Iokaste, die Zügel der Herrschaft ergriffen hatte. Zuletzt kam es, daß dieses Kreon eigener Sohn, dem die Sphinx auch ein Rätsel aufgegeben und der es nicht gelöst hatte, ergriffen und verschlungen worden war. Diese Not bewog den Fürsten Kreon, öffentlich bekanntzumachen, daß demjenigen, der die Stadt von der Würgerin befreien würde, das Reich und seine Schwester Iokaste als Gemahlin zuteil werden sollte. Eben als jene Bekanntmachung öffentlich verkündigt wurde, betrat Ödipus an seinem Wanderstabe die Stadt Theben. Die Gefahr wie ihr Preis reizten ihn, zumal da er das Leben wegen der drohenden Weissagung, die über ihm schwebte, nicht hoch anschlug. Er begab sich daher nach dem Felsen, auf dem die Sphinx ihren Sitz genommen hatte, und ließ sich von ihr ein Rätsel vorlegen. Das Ungeheuer gedachte dem kühnen Fremdling ein recht unauflösliches aufzugeben, und ihr Spruch lautete also: »Es ist am Morgen vierfüßig, am Mittag zweifüßig, am Abend dreifüßig. Von allen Geschöpfen wechselt es allein mit der Zahl seiner Füße; aber eben wenn es die meisten Füße bewegt, sind Kraft und Schnelligkeit seiner Glieder ihm am geringsten«. Ödipus lächelte, als er das Rätsel vernahm, das ihm selbst gar nicht schwierig erschien. »Dein Rätsel ist der Mensch«, sagte er, »der am Morgen seines Lebens, solang er ein schwaches und kraftloses Kind ist, auf seinen zween Füßen und seinen zwo Händen geht; ist er erstarkt, so geht er am Mittage seines Lebens nur auf den zween Füßen; ist er endlich am Lebensabend als ein Greis angekommen und der Stütze bedürftig geworden, so nimmt er den Stab als dritten Fuß zu Hilfe«. Das Rätsel war glücklich gelöst, und aus Scham und Verzweiflung stürzte sich die Sphinx selbst vom Felsen und zu Tode. Ödipus trug zum Lohne das Königreich von Theben und die Hand der Witwe, welche seine eigene Mutter war, davon. Iokaste gebar ihm nach und nach vier Kinder, zuerst die männlichen Zwillinge Eteokles und Polyneikes, dann zwei Töchter, die ältere Antigone, die jüngere Ismene. Aber diese vier waren zugleich seine Kinder und seine Geschwister.
Die Entdeckung
Lange Zeit schlief das grauenhafte Geheimnis, und Ödipus, bei manchen Gemütsfehlern ein guter und gerechter König, herrschte glücklich und geliebt an Iokastes Seite über Theben. Endlich aber sandten die Götter eine Pest in das Land, die unter dem Volke grausam zu wüten begann und gegen welche kein Heilmittel fruchten wollte. Die Thebaner suchten gegen das fürchterliche Übel, in welchem sie eine von den Göttern gesandte Geißel erblickten, Schutz bei ihrem Herrscher, den sie für einen Günstling des Himmels hielten. Männer und Frauen, Greise und Kinder, die Priester mit Ölzweigen an ihrer Spitze, erschienen vor dem königlichen Palaste, setzten sich um und auf die Stufen des Altars, der vor demselben stand, und harrten auf die Erscheinung ihres Gebieters. Als Ödipus, durch den Zusammenlauf herausgerufen, aus seiner Königsburg trat und nach der Ursache fragte, warum die ganze Stadt von Opferrauch und Klagelaut erfüllt sei, antwortete ihm im Namen aller der älteste Priester: »Du siehest selbst, o Herr, welches Elend auf uns lastet: Triften und Felder versengt unerträgliche Hitze; in unsern Häusern wütet die verzehrende Seuche; umsonst strebt die Stadt aus den blutigen Wogen des Verderbens ihr Haupt emporzutauchen. In dieser Not nehmen wir unsere Zuflucht zu dir, geliebter Herrscher. Du hast uns schon einmal von dem tödlichen Zins erlöst, mit welchem uns die grimmige Rätselsängerin zehntete. Gewiß ist solches nicht ohne Götterhilfe geschehen. Und darum vertrauen wir auf dich, daß du, sei es bei Göttern oder Menschen, uns auch diesmal Hilfe finden werdest«. »Arme Kinder«, erwiderte Ödipus, »wohl ist mir die Ursache eures Flehens bekannt. Ich weiß, daß ihr kranket; aber niemand krankt im Herzen so wie ich. Denn mein Gemüt beseufzt nicht nur einzelne, sondern die ganze Stadt. Darum erwecket ihr mich nicht wie einen Entschlummerten aus dem Schlafe, sondern hin und her habe ich im Geiste nach Rettungsmitteln geforscht, und endlich glaube ich eines gefunden zu haben. Denn mein eigener Schwager Kreon ist von mir zum pythischen Apollo nach Delphi abgesandt worden, daß er frage, welch Werk oder welche Tat die Stadt befreien kann«.
Noch sprach der König, als auch Kreon unter die Menge trat und den Bescheid des Orakels dem Könige vor den Ohren des Volkes mitteilte. Dieser lautete freilich nicht tröstlich: »Der Gott befahl, einen Frevel, den das Land beherberge, hinauszuwerfen und nicht das zu pflegen, was keine Säuberung zu sühnen vermöge. Denn der Mord des Königes Laïos laste als eine schwere Blutschuld auf dem Lande«. Ödipus, ganz ohne Ahnung, daß jener von ihm erschlagene Greis derselbe sei, um dessen willen der Zorn der Götter sein Volk heimsuche, ließ sich die Ermordung des Königs erzählen, und noch immer blieb sein Geist mit Blindheit geschlagen. Er erklärte sich berufen, für jenen Toten Sorge zu tragen, und entließ das versammelte Volk. Sodann ließ er ins ganze Land die Verkündigung ausgehen, wem irgendeine Kunde von dem Mörder des Laïos geworden wäre, der sollte alles anzeigen; auch wer in fremdem Lande darum wüßte, dem sollte für seine Angabe der Lohn und Dank der Stadt zuteil werden. Der dagegen, der für einen Freund besorgt schweigen und die Schuld der Mitwissenschaft von sich abwälzen wollte, der sollte von allem Götterdienst, vom Opfermahle, ja von Umgang und Unterredung mit seinen Mitbürgern ausgeschlossen werden. Den Täter selbst endlich verfluchte er unter schauerlichen Beteurungen, wünschte ihm Not und Plage durch das ganze Leben an und zuletzt das Verderben. Und das sollte ihm widerfahren, selbst wenn er am Herde des Königes verborgen lebte. Zu allem dem sandte er zwei Boten an den blinden Seher Tiresias, der an Einsicht und Blick ins Verborgene fast dem wahrsagenden Apollo selber gleichkam. Dieser erschien auch bald, von der Hand eines leitenden Knaben geführt, vor dem Könige und in der Volksversammlung. Ödipus trug ihm die Sorge vor, die ihn und das ganze Land quäle. Er bat ihn, seine Seherkunst anzuwenden, um ihnen auf die Spur des Mordes zu verhelfen.
Aber Tiresias brach in einen Wehruf aus und sprach, indem er seine Hände abwehrend gegen den König ausstreckte: »Entsetzlich ist das Wissen, das dem Wissenden nur Unheil bringt! Laß mich heimkehren, König; trag du das Deine und laß mich das Meine tragen!« Ödipus drang jetzt um so mehr in den Seher; und das Volk, das ihn umringte, warf sich flehend vor ihm auf die Knie. Als er aber auch so keine weitern Aufschlüsse geben zu wollen bereit war, da entbrannte der Jähzorn des Königs Ödipus, und er schalt den Tiresias als Mitwisser oder gar Fausthelfer bei der Ermordung des Laïos. Ja, nur des Sehers Blindheit halte ihn ab, diesem allein die Untat zuzutrauen. Diese Beschuldigung löste dem blinden Propheten die Zunge. »Ödipus«, sprach er, »gehorche deiner eigenen Verkündigung. Rede mich nicht, rede keinen aus dem Volke fürder an. Denn du selbst bist der Greuel, der diese Stadt besudelt! Ja, du bist der Königsmörder, du bist derjenige, der mit dem Teuersten in fluchwürdigem Verhältnisse lebt«.
Ödipus war nun einmal verblendet: er schalt den Seher einen Zauberer, einen ränkevollen Gaukler; er warf Verdacht auch auf seinen Schwager Kreon und beschuldigte beide der Verschwörung gegen den Thron, von welchem sie durch ihre Lügengespinste ihn, den Erretter der Stadt, stürzen wollten. Aber nur noch näher bezeichnete ihn jetzt Tiresias als Vatermörder und Gatten der Mutter, weissagte ihm sein nahe bevorstehendes Elend und entfernte sich zürnend an der Hand seines kleinen Führers. Auf die Beschuldigung des Königes war indessen auch der Fürst Kreon herbeigeeilt, und es hatte sich ein heftiger Wortwechsel zwischen beiden entsponnen, den Iokaste, die sich zwischen die Streitenden warf, vergeblich zu beschwichtigen suchte. Kreon schied unversöhnt und im Zorn von seinem Schwager.
Noch blinder als der König selbst war seine Gemahlin Iokaste. Sie hatte kaum aus dem Munde des Gatten erfahren, daß Tiresias ihn den Mörder des Laïos genannt, als sie in laute Verwünschungen gegen Seher und Seherweisheit ausbrach«.Sieh nur, Gemahl«, rief sie, »wie wenig die Seher wissen; sieh es an einem Beispiel! Mein erster Gatte Laïos hatte auch einst ein Orakel erhalten, daß er durch Sohneshand sterben werde. Nun erschlug aber jenen eine Räuberschar am Kreuzweg, und unser einziger Sohn wurde, an den Füßen gebunden, ins öde Gebirge geworfen und nicht über drei Tage alt. So erfüllen sich die Sprüche der Seher!« Diese Worte, die die Königin mit Hohnlachen sprach, machten auf Ödipus einen ganz andern Eindruck, als sie erwartet hatte. »Am Kreuzweg«, fragte er in höchster Gemütsangst, »ist Laïos gefallen? O sprich, wie war seine Gestalt, sein Alter?« »Er war groß«, antwortete Iokaste, ohne die Aufregung ihres Gatten zu begreifen, »die ersten Greisenlocken schmückten sein Haupt; er war dir selbst, mein Gemahl, von Gestalt und Ansehen gar nicht unähnlich«. »Tiresias ist nicht blind, Tiresias ist sehend!« rief jetzt entsetzenvoll Ödipus, dem die Nacht seines Geistes auf einmal, wie durch einen Blitzstrahl, erleuchtet ward. Doch trieb ihn das Gräßliche selber, weiter danach zu forschen, als müßten auf seine Fragen Antworten kommen, welche die schreckliche Entdeckung auf einmal als Irrtum darstellten. Aber alle Umstände trafen zusammen, und zuletzt erfuhr er, daß ein entronnener Diener den ganzen Mord gemeldet habe. Dieser Knecht aber habe, sowie er den Ödipus auf dem Throne sah, flehentlich gebeten, ihn so weit als möglich von der Stadt weg auf die Weiden des Königes zu schicken. Ödipus begehrte ihn zu sehen, und der Sklave wurde vom Lande hereinbeschieden. Ehe er jedoch noch ankam, erschien ein Bote aus Korinth, meldete dem Ödipus den Tod seines Vaters Polybos und rief ihn auf den erledigten Thron des Landes.
Bei dieser Botschaft sprach die Königin abermals triumphierend: »Hohe Göttersprüche, wo seid ihr? Der Vater, den Ödipus umbringen sollte, ist sanft an Altersschwäche verschieden!« Anders wirkte die Nachricht auf den frömmeren König Ödipus, der, obgleich er noch immer gerne geneigt war, den Polybos für seinen Vater zu halten, es doch nicht begreifen konnte, wie ein Orakel unerfüllt bleiben sollte. Auch wollte er nicht nach Korinth gehen, weil seine Mutter Merope dort noch lebte und der andere Teil des Orakels, seine Heirat mit der Mutter, immer noch erfüllt werden konnte. Diesen Zweifel benahm ihm freilich der Bote bald. Er war derselbe Mann, der vor vielen Jahren das neugeborne Kind von einem Diener des Laïos auf dem Berge Kithairon empfangen und ihm die durchbohrten und gebundenen Fersen gelöst hatte. Er bewies dem Könige leicht, daß er nur ein Pflegesohn, wiewohl Erbe des Königes Polybos von Korinth sei. Ein dunkler Trieb nach Wahrheit ließ den Ödipus nach jenem Diener des Laïos verlangen, der ihn als Kind dem Korinther übergeben hatte. Von seinem Gesinde erfuhr er, daß dies derselbe Hirte sei, der, von dem Morde des Laïos entronnen, jetzt an der Grenze das Vieh des Königes weide.
Als Iokaste solches hörte, verließ sie ihren Gemahl und das versammelte Volk mit einem lauten Wehruf. Ödipus, der sein Auge absichtlich mit Nacht zu bedecken suchte, mißdeutete ihre Entfernung. »Gewiß befürchtet sie«, sprach er zu dem Volke, »als ein Weib voll Hochmut, die Entdeckung, daß ich unedlen Stammes sei. Ich aber halte mich für einen Sohn des Glückes und schäme mich dieser Abkunft nicht!« Jetzt erschien der greise Hirte, der aus der Ferne herbeigeholt worden war und von dem Korinther sogleich als derjenige erkannt wurde, der ihm einst den Knaben auf dem Kithairon übergeben hatte. Der alte Hirt aber war ganz blaß vor Schrecken und wollte alles leugnen; nur auf die zornigen Drohungen des Ödipus, der ihn mit Stricken zu binden befahl, sagte er endlich die Wahrheit: wie Ödipus der Sohn des Laïos und der Iokaste sei, wie der furchtbare Götterspruch, daß er den Vater ermorden werde, ihn in seine Hände geliefert, er aber ihn aus Mitleid erhalten habe.
Iokaste und Ödipus strafen sich
Aller Zweifel war nun gehoben und das Entsetzliche enthüllt. Mit einem wahnsinnigen Schrei stürzte Ödipus davon, irrte in dem Palast umher und verlangte nach einem Schwert, um das Ungeheuer, das seine Mutter und Gattin sei, von der Erde zu vertilgen. Da ihm, wie einem Rasenden, alles aus dem Wege ging, suchte er gräßlich heulend sein Schlafgemach auf, sprengte das verschlossene Doppeltor und brach hinein. Ein grauenhafter Anblick hemmte seinen Lauf. Mit fliegendem und zerrauftem Haupthaar erblickte er hier, hoch über dem Lager schwebend, Iokaste, die sich mit einem Strang die Kehle zugeschnürt und erhängt hatte. Nach langem Hinstarren nahte sich Ödipus der Leiche mit brüllendem Stöhnen, ließ das hoch aufgezogene Seil zur Erde herab, daß sich die Leiche auf den Boden senkte. Wie sie nun vor ihm ausgestreckt lag, riß er die goldgetriebenen Brustspangen aus dem Gewande der Frau, hob sie hoch in der Rechten auf, fluchte seinen Augen, daß sie nimmer schauen sollten, was er tat und duldete, und wühlte mit dem spitzen Gold in denselben, bis die Augäpfel durchbohrt waren und ein Blutstrom aus den Höhlen drang. Dann verlangte er, ihm, dem Geblendeten, das Tor zu öffnen, ihn herauszuführen, ihn dem ganzen Thebanervolk als den Vatermörder, als den Muttergatten, als einen Fluch des Himmels und ein Scheusal der Erde vorzustellen. Die Diener erfüllten sein Verlangen, aber das Volk empfing den einst so geliebten und verehrten Herrscher nicht mit Abscheu, sondern mit innigem Mitleid. Kreon selbst, sein Schwager, den sein ungerechter Verdacht gekränkt hatte, eilte herbei, nicht um ihn zu verspotten, wohl aber um den fluchbelasteten Mann dem Sonnenlicht und dem Auge des Volkes zu entziehen und ihn dem Kreise seiner Kinder anzuempfehlen. Den gebeugten Ödipus rührte soviel Güte. Er übergab seinem Schwager den Thron, den er seinen jungen Söhnen aufbewahren sollte, und erbat sich für seine unselige Mutter ein Grab, für seine verwaisten Töchter den Schutz des neuen Herrschers; für sich selbst aber begehrte er Ausstoßung aus dem Lande, das er mit doppeltem Frevel besudelt, und Verbannung auf den Berg Kithairon, den schon die Eltern ihm zum Grabe bestimmt hatten und wo er jetzt leben oder sterben wollte, je nach der Götter Willen. Dann verlangte er nach seinen Töchtern, deren Stimme er noch einmal hören wollte, und legte seine Hand auf ihre unschuldigen Häupter. Den Kreon segnete er für alle Liebe, die dieser ihm, der es nicht um ihn verdient hätte, erwiesen, und wünschte ihm und allem Volke bessern Schutz der Götter, denn er selbst erfahren hatte.
Darauf führte ihn Kreon in das Haus zurück, und der jüngst noch verherrlichte Retter Thebens, der mächtige Herrscher, dem viele Tausende gehorchten, der Ödipus, der so tiefe Rätsel erforscht und so spät erst das eigene furchtbare Rätsel seines Lebens gelöst hatte, sollte, einem blinden Bettler gleich, durch die Tore seiner Vaterstadt und an die Grenzen seines Königreichs wandern.
Ödipus und Antigone
In der ersten Stunde der Entdeckung wäre der schnellste Tod dem Ödipus der liebste gewesen, ja er hätte es als eine Wohltat aufgenommen, wenn das Volk sich gegen ihn erhoben und ihn gesteinigt hätte. Und so schien ihm auch die Verbannung, um welche er flehte und welche sein Schwager Kreon ihm bewilligte, als ein Geschenk. Als er aber in seiner Finsternis zu Hause saß und der Zorn allmählich auskochte, da fing er auch an, das Gräßliche zu empfinden, was das Herumirren eines blinden Verbannten in der Fremde mit sich führen mußte. Die Liebe zur Heimat begann mit dem Gefühle wieder zu erwachen, daß er für nicht beabsichtigte und nicht mit Bewußtsein begangene Verbrechen teils durch den Tod Iokastes, teils durch die Blendung, die er an sich selbst vollzogen habe, doch eigentlich genug bestraft sei, und er scheute sich auch nicht, den Wunsch, zu Hause zu bleiben, gegen Kreon und seine eigenen Söhne Eteokles und Polyneikes laut werden zu lassen. Aber da zeigte sich, daß die Rührung des Fürsten Kreon nur eine vorübergehende gewesen und auch seine Söhne eine harte und selbstsüchtige Gemütsart hatten. Kreon nötigte seinen unglücklichen Verwandten, auf seinem ersten Beschlusse zu verharren, und die Söhne, deren erste Pflicht doch war, dem Vater zu helfen, verweigerten ihm ihren Beistand. Ja fast ohne daß ein Wort gewechselt wurde, gab man ihm den Bettelstab in die Hand und stieß ihn zum Königspalaste von Theben hinaus. Nur seine Töchter fühlten kindliches Erbarmen mit dem Verstoßenen. Die jüngere Tochter Ismene blieb im Hause ihrer Brüder zurück, um hier soviel als möglich der Sache des Vaters zu dienen und gleichsam der Anwalt des Entfernten zu sein. Die ältere, Antigone, teilte mit dem Vater die Verbannung und lenkte die Schritte des Blinden. So zog sie mit ihm auf schwerer Irrfahrt herum, schweifte unbeschuht und ohne Speise mit ihm durch die wilden Wälder; Sonnenhitze und Regenguß hielt die zarte Jungfrau mit dem Vater aus, und während sie zu Hause bei den Brüdern die beste Pflege genießen konnte, war sie im Elende zufrieden, wenn nur der Vater satt wurde. Sein Wille war anfangs gewesen, in einer Wüstenei des Berges Kithairon das elende Leben zu fristen oder zu endigen. Doch weil er ein frommer Mann war, wollte er auch diesen Schritt nicht ohne den Willen der Götter tun, und so pilgerte er vorher zum Orakel des pythischen Apollo. Hier ward ihm ein tröstlicher Spruch zuteil. Die Götter erkannten, daß Ödipus wider seinen Willen sich gegen die Natur und die heiligsten Gesetze der Menschengesellschaft versündigt hatte. Gebüßt mußte ein so schweres Vergehen freilich werden, wenn es auch unfreiwillig war; aber ewig sollte die Strafe nicht währen. Darum eröffnete ihm der Gott: »Nach langer Frist zwar, aber endlich doch harre seiner die Erlösung, wenn er zu dem ihm vom Schicksale bestimmten Lande gelangt wäre, wo die ehrwürdigen Göttinnen, die strengen Eumeniden, ihm eine Zufluchtsstätte gönnten«. Nun war aber der Name Eumeniden, die Wohlwollenden, ein Beiname der Erinnyen oder Furien, der Göttinnen der Rache, welche die Sterblichen mit einem so begütigenden Namen ehren und besänftigen wollten. Der Orakelspruch lautete rätselhaft und schauerlich. Bei den Furien sollte Ödipus für seine Sünden gegen die Natur Ruhe und Erlösung von seiner Strafe finden! Dennoch vertraute er auf die Verheißung des Gottes und zog, dem Schicksal überlassend, wann die Erfüllung eintreten sollte, in Griechenland herum, von seiner frommen Tochter geleitet und gepflegt und vom Almosen mitleidiger Menschen erhalten. Immer bat er nur um weniges und erhielt auch nur weniges. Aber er begnügte sich damit jedesmal; denn die lange Dauer seiner Verbannung, die Not und seine eigene edle Sinnesart lehrten ihn Genügsamkeit.
Ödipus auf Kolonos
Nach langer Wanderung, bald durch bewohntes, bald durch wüstes Land, waren die beiden eines Abends in einer sehr milden Gegend bei einem anmutigen Dorfe mitten im lieblichsten Haine angekommen. Nachtigallen flatterten durch das Gebüsch und sangen mit süßem Schall; Rebenblüte duftete; mit Oliven- und Lorbeerbäumen waren die rauhen Felsstücke, welche die Gegend viel mehr schmückten als entstellten, überkleidet. Der blinde Ödipus selbst hatte durch seine übrigen Sinne eine Empfindung von der Anmut des Ortes und schloß aus der Schilderung seiner Tochter, daß derselbe ein geheiligter sein müsse. Aus der Ferne stiegen die Türme einer Stadt auf, und ihre Erkundigungen hatten Antigone belehrt, daß sie sich in der Nähe von Athen befänden. Ödipus hatte sich, von dem Wege des Tages müde, auf ein Felsstück gesetzt. Ein Bewohner des Dorfes, der vorüberging, hieß ihn jedoch bald diesen Sitz verlassen, weil der Boden geheiligt sei und keinen Fußtritt dulde. Da erfuhren denn die Wanderer bald, daß sie sich im Flecken Kolonos und auf dem Gebiet und in dem Haine der alleserspähenden Eumeniden niedergelassen, unter welchem Namen die Athener hier die Erinnyen verehrten.
Nun erkannte Ödipus, daß er am Ziele seiner Wanderung angekommen und der friedlichen Lösung seines feindseligen Geschickes nahe sei. Seine Worte machten den Koloneer nachdenklich, und er wagte es jetzt schon nicht mehr, den Fremdling von seinem Sitz zu vertreiben, ehe er den König von dem Vorfall unterrichtet hätte. »Wer gebietet denn in eurem Lande?« fragte Ödipus, dem in seinem langen Elende die Geschichten und Verhältnisse der Welt fremd geworden waren. »Kennst du den gewaltigen und edlen Helden Theseus nicht?« fragte der Dorfbewohner, »ist doch die ganze Welt voll von seinem Ruhme!« »Nun, ist euer Herrscher so hochgesinnt«, erwiderte Ödipus, »so werde du mein Bote zu ihm und bitte ihn, nach dieser Stelle zu kommen; für so kleine Gunst verspreche ich ihm großen Lohn«. »Welche Wohltat könnte unsrem König ein blinder Mann reichen?« sagte der Bauer und warf einen lächelnden, mitleidigen Blick auf den Fremdling. »Doch«, setzte er hinzu, »wäre nicht deine Blindheit, Mann, du hättest ein edles, hohes Aussehen, das mich zwingt, dich zu ehren. Darum will ich dein Verlangen erfüllen und meinen Mitbürgern und dem Könige deine Bitte melden. Bleibe so lange hier sitzen, bis ich deinen Auftrag ausgerichtet habe. Jene mögen dann entscheiden, ob du hier verweilen kannst oder gleich wieder weiterwandern sollst«.
Als sich Ödipus mit seiner Tochter wieder allein sah, erhub er sich von seinem Sitze, warf sich zu Boden und ergoß sein Herz in einem brünstigen Gebete zu den Eumeniden, den furchtbaren Töchtern des Dunkels, und der Mutter Erde, die eine so liebliche Wohnung in diesem Haine aufgeschlagen. »Ihr Grauenvollen und doch Gnädigen«, sprach er, »zeiget mir jetzt nach dem Ausspruche Apollos die Entwicklung meines Lebens, wenn anders ich in meinem mühseligen Dasein nicht immer noch zuwenig erduldet habe! Erbarmet euch, ihr Kinder der Nacht; erbarme dich, ehrenwerte Stadt Athenes, über das Schattenbild des Königs Ödipus, der vor euch steht, denn er selbst ist es nicht mehr!« Sie blieben nicht lange allein. Die Kunde, daß ein blinder Mann von Ehrfurcht gebietendem Aussehen sich in dem Furienhaine gelagert, den zu betreten Sterblichen sonst nicht vergönnt ist, hatte bald die Ältesten des Dorfes, welche die Entweihung zu hindern gekommen waren, um ihn versammelt. Noch größerer Schrecken ergriff sie, als der Blinde sich ihnen als einen vom Schicksale verfolgten Mann zu erkennen gab. Sie fürchteten, den Zorn der Gottheit auf sich zu laden, wenn sie einen vom Himmel Gezeichneten länger an diesem heiligen Orte duldeten, und befahlen ihm, auf der Stelle ihre Landschaft zu verlassen. Ödipus bat sie inständig, ihn von dem Ziele seiner Wanderschaft, das ihm die Stimme der Gottheit selbst angewiesen habe, nicht zu verstoßen; Antigone vereinigte ihre Flehen mit dem seinen. »Wenn ihr euch der grauen Haare meines Vaters nicht erbarmen wollet«, sprach die Jungfrau, »so nehmet ihn doch um meiner, der Verlassenen, willen auf; denn auf mir lastet ja keine Schuld. Eilet, bewilliget uns eure Gunst unverhofft!« Während sie solche Zwiesprache pflegten und die Einwohner zwischen Mitleid und Furcht von den Erinnyen in ihrem Entschlusse zweifelhaft hin und her schwankten, sah Antigone ein Mädchen, auf einem kleinen Rosse sitzend, das Angesicht mit einem Reisehut vor der Sonne geschützt, heraneilen. Ein Diener, gleichfalls zu Rosse, folgte ihr. »Es ist meine Ismene«, sagte sie in freudigem Schrecken, »schon glänzt mir ihr liebes, helles Auge! Gewiß bringt sie uns neue Kunde aus der Heimat!« Bald war die Jungfrau, das jüngste Kind des verstoßenen Königs, bei ihnen angelangt und vom Saumrosse gesprungen. Mit einem einzigen Knechte, den sie allein treu befunden, hatte sie sich von Theben aufgemacht, um dem Vater Nachricht von dem Stande der dortigen Angelegenheiten zu bringen. Dort waren seine Söhne von großer, selbstverschuldeter Not bedrängt. Anfangs hatten sie die Absicht, ihrem Oheime Kreon den Thron ganz zu überlassen; denn der Fluch ihres Stammes schwebte ihnen drohend vor Augen. Allmählich aber, je mehr ihres Vaters Bild in die Ferne trat, verlor sich diese Regung; das Verlangen nach Herrschaft und Königswürde und mit ihm die Zwietracht erwachte bei ihnen. Polyneikes, der das Recht der Erstgeburt auf seiner Seite hatte, setzte sich zuerst auf den Thron. Aber Eteokles, der jüngere, nicht zufrieden, abwechslungsweise mit ihm zu herrschen, wie der Bruder vorschlug, verführte das Volk und stieß den älteren Bruder aus dem Lande fort. Dieser, so ging in Theben das Gerücht, war nach Argos im Peloponnes entflohen, wurde dort der Schwiegersohn des Königes Adrastos, verschaffte sich Freunde und Bundesgenossen und bedrohte seine Vaterstadt mit Eroberung und Rache. Zugleich aber war ein neuer Götterspruch ruchbar geworden, welcher dahin lautete, daß die Söhne des Ödipus ohne ihn selbst nichts vermögen; daß sie ihn suchen müßten, tot oder lebendig, wenn ihr eigenes Heil ihnen lieb wäre.
Dies waren die Nachrichten, welche Ismene ihrem Vater brachte. Die Koloneer horchten staunend, und Ödipus hub sich hoch empor von seinem Sitze: »Also steht es mit mir«, sprach er, und königliche Hoheit strahlte von dem blinden Angesichte; »bei dem Verbannten, bei dem Bettler sucht man Hilfe? Nun, da ich nichts bin, werde ich erst ein rechter Mann?« »So ist es«, fuhr Ismene in ihren Nachrichten fort. »Auch wisse, Vater, daß eben deswegen unser Oheim Kreon in ganz kurzer Zeit hierherkommen wird und daß ich mich sehr beeilt habe, ihm zuvorzukommen. Denn er will dich überreden oder fangen, wegführen und an die Grenzen des thebanischen Gebietes stellen, damit der Orakelspruch sich zu seinen und unsers Bruders Eteokles Gunsten erfülle und deine Gegenwart die Stadt doch nicht entweihe«. »Von wem weißt du alles dieses?« fragte der Vater. »Von Opferpilgern, die nach Delphi ziehen«. »Und wenn ich dort sterbe«, fragte Ödipus weiter, »werden sie mich in thebischer Erde begraben?« »Nein«, erwiderte die Jungfrau, »das duldet deine Blutschuld nicht«. »Nun«, rief der alte König entrüstet, »so sollen sie auch meiner niemals mächtig werden! Wenn bei meinen beiden Söhnen die Herrschsucht stärker ist als die kindliche Liebe, so soll ihnen auch der Himmel nie ihre verhängnisvolle Zwietracht löschen; und wenn auf mir die Entscheidung ihres Streites beruht, so soll weder der, welcher jetzt den Zepter in Händen hat, auf dem Throne sitzen bleiben noch der Verjagte je sein Vaterland wiedersehen! Nur diese Töchter sind meine wahren Kinder! In ihnen ersterbe meine Schuld, für sie erflehe ich den Segen des Himmels, für sie bitte ich euch um euren Schutz, mitleidige Freunde! Gewähret ihnen und mir euren tätigen Beistand; und ihr erwerbet dadurch eurer Stadt eine mächtige Brustwehr!«