Kitabı oku: «Im Schatten des Wolfes», sayfa 7
3.
Wulf hatte den gesamten Weg nicht aufhören können nachzudenken. Sein Kopf war schwer von Gedanken, vor Sorgen, die er sich eingestehen musste. Die Nachrichten der anderen Schiffsbauer verhießen nichts Gutes. Sein Vater und Leif hatten Recht behalten, was diesen Kark betraf. Er stellte eine ernstzunehmende Gefahr dar. Eine Gefahr, die jeden Tag an Macht und Einfluss gewann. Eine Gefahr, die keine Skrupel kannte, gegen die eigenen Leute intrigierte, sie gegeneinander aufhetzte. Die Geschichte schien sich zu wiederholen. Damals hatte sie zwei Brüder auf ewig entzweit und drei Reiche erschaffen, von denen eines seitdem ohne König auskam und die anderen beiden den Brüdern gehörten. Aber wie würde diese Geschichte enden?
Seine eigenen Leute fürchteten Eilaf und vor allem den Einfluss Harolds auf ihn. Doch eine Einmischung würde von beiden nicht erfolgen. Eher würden sie zusehen, wie Wiglif von einem seiner eigenen Männer gestürzt würde. Die Folgen hielten sie für geringfügig. Ein Machtwechsel, nichts weiter. Doch die Schiffsbauer aus dem Westdorf sagten anderes. Sie sprachen von Plänen, die alle drei Dörfer betrafen. Kark war gierig und er wusste um die Schwächen seiner Gegner. Die einen ohne Führer, die anderen mit einem leichtfertigen Führer und falschen Beratern. Im Weg stand ihm nur noch ein greiser Mann, ohne Erben, verbittert, ohne Augen für die Wahrheit.
Nachdem Wulf auf dem Rückweg zwei Fische geangelt hatte, die, wie er hoffte, von seiner Frau zubereitet werden würden, hatte er schweren Schrittes das letzte Stück des Weges in Angriff genommen. Morgen würde er Sleip etwas bewegen und ihn mitnehmen. Heute hatte er ihm nach der Überfahrt den warmen Stall gegönnt. Viel hatten die Schiffsbauer zu dieser Jahreszeit nicht zu tun. Es war üblich, in der kleinen Hütte am Strand am Feuer zu sitzen und sich bei einigen Schnitzereien auszutauschen. Nur manchmal arbeiteten sie bei gutem Wetter unten am Strand. So wäre es heute gewesen, doch da Arnulf ihnen von Wulfs Ankunft erzählt hatte, beschlossen sie stattdessen Neuigkeiten auszutauschen. Wulf war nicht entgangen, dass einige der Nordmänner voll Hoffnung auf seine Rückkehr gewartet hatten. Sie glaubten, er könnte seinen Vater beeinflussen, etwas zu unternehmen. Arnulf hatte ihn bei der Beantwortung der indirekten Frage mehr als deutlich studiert, sich an die vergangene Nacht und ihr Gespräch erinnert. Wulf hatte nachgedacht, lange. Er berichtete ohne Zögern vom Besuch seines Vaters am Morgen, erzählte, dass er sehr wohl von der Gefahr, die von Kark ausging, wusste, sie jedoch insofern unterschätzte, dass er meinte, nur durch gespielten Zusammenhalt würde Kark abgeschreckt werden. Die Entrüstung der Nordmänner ob der fehlenden Sorge um seinen Bruder hatte das Gespräch auf die Vergangenheit gelenkt, ließ die Älteren unter den Männern alte Geschichten ausgraben, die glücklichere Zeiten beschrieben.
Wulf konnte Arnulfs Blick lange Zeit nicht vergessen. Enttäuschung. Hoffnung. Zorn. Vertrauen. All das hatte Wulf darin lesen können. Die Antwort hatte Arnulf nicht gefallen, aber er wusste auch, wie schwer es war, einem jähzornigen Mann Vernunft beizubringen, einem Vater zu sagen, dass sein Sohn Unruhe stiftete und ihn falsch beriet.
Wulf betrat das Haus, stand kurze Zeit später wieder draußen. Das Haus war leer. Er ging hinter das Haus, zum Bach. Auch dort war sie nicht. Er suchte die Umgebung sorgfältig ab, ließ den Blick in jede Richtung schweifen, die untergehende Sonne warf messerscharfe Schatten auf den Schnee. Er fand Spuren, kurze Schritte, kleine Schuhe. Sie war nicht schnell gelaufen, vielleicht hatte sie sich nur die Füße etwas vertreten wollen. Er sah zurück. Sleip zu satteln, raubte ihm zuviel Zeit, außerdem wäre er schneller zu Fuß, da sie keinen Weg eingeschlagen hatte, sondern querfeldein gegangen war. Sie hatte kein Gepäck, die Tiefe ihrer Abdrücke entsprach ihrem normalen Gewicht mit etwas mehr Kleidung.
Sie war nicht weggelaufen, nicht eine Sekunde glaubte er daran. Diese Frau war zu vernünftig, zu schlau, um sich auf ein solches sinnloses Unterfangen einzulassen. Doch eine Tracht Prügel würde er ihr heute Abend trotzdem verpassen. Ohne weiteres Zögern folgte er den Spuren im Schnee.
4.
Robyn wollte nicht einmal wissen, wer die beiden Nordmänner waren, die sie im Wald jagten wie eine Beute. Ob Harold sie geschickt hatte? Hatte sie sich hier so schnell Feinde geschaffen? Oder waren sie einfach nur zufällig auf der Lichtung gewesen und nun auf ein Vergnügen mit ihr aus? Oder wollten sie sie rauben, wie die Männer in Jorvik? Waren es gar Männer aus jenem Dorf?
Eines stellte sie eindeutig fest. Sie kamen weitaus schneller vorwärts als sie. Ihnen schien der tiefe Schnee weniger Schwierigkeiten zu bereiten als ihr. Sie wagte nicht mehr hinter sich zu blicken. Zu sehr fürchtete sie, damit wieder den Abstand zu verkürzen. Sie hatte sich längst verlaufen, lief nur noch ungefähr in die Richtung, die sie für die richtige hielt. Die Sonne war in ihrem Rücken, sie musste irgendwann dem Dorf wieder nahekommen. Das Schnaufen der beiden riesigen Nordmänner hallte bis zu ihr, sie wollte wimmern, vor Angst um Hilfe rufen, doch sie konnte nicht, sie musste weiterlaufen, erreichte schließlich dichteren Wald. Der Schnee lag nicht ganz so hoch, an weiten Stellen sah sie blanken Waldboden, mit Nadeln übersäht, die ihre Schritte schluckten. Hier konnte sie wieder etwas Abstand gewinnen, da es ihr leichter fiel unter den tief hängenden Zweigen und Ästen hindurch zulaufen. Die Riesen hatten mehr Schwierigkeiten.
Sie wischte sich geschwind die Tränen und den Schweiß von den Augen, überlegte ob sie nur für einen Moment stehen bleiben konnte, um Luft zu holen.
Als sie den nächsten Baum im Laufen passierte, lief sie genau in einen Arm, der sie hinter den Baum zog. Eine Hand legte sich auf ihren Mund, der Arm drückte sie an die Person, sie fühlte das Kratzen eines Bartes an ihrem Ohr.
»Verflucht seiest du, Nixe, für diese Unüberlegtheit.«
Wulf nahm die Hand von ihrem Mund, als sie ihn erkannte, ließ sie zu Luft kommen. Sie musste schon eine Weile verfolgt worden sein. Sie war völlig außer Atem, er fühlte ihre Rippen allzu deutlich bei jedem ihrer Atemstöße.
»Kein Wort, Nixe«, zischte er in ihr Ohr, »tu nur, was ich sage.«
Sie hatte sich vor Angst in den Arm gekrallt, der sie umschlungen hielt. Wie von Sinnen klammerte sie sich nun an seiner Hand fest und nickte heftig.
Wulf dankte ihr innerlich für ihr Vertrauen. Es würde es einfacher machen, hier heil herauszukommen.
Er lauschte kurz den beiden Männern aus dem Westdorf. Sie hatten ihre Beute verloren, unterhielten sich scheinbar in einiger Entfernung, berieten, wie sie weiter verfahren sollten. Sie würden auf keinen Fall aufgeben. Eine solch günstige Gelegenheit bot sich ihnen selten. Kaum verirrte sich dieser Tage eine Maid in die Wälder um das Westdorf. Sie alle wussten um die Gefahr hier und die Gier der Männer im Westdorf, denen Frauen fehlten.
Wulf überlegte kurz. Er hatte eine Axt dabei, ansonsten nichts, was als Waffe dienen konnte. Er wollte sie nicht umbringen, nur musste er zumindest einen von ihnen so verletzen, dass der andere aufgeben würde. Er tötete keinen von denen. Gut möglich, dass es Männer waren, mit denen er aufgewachsen war. Für ihn waren sie keine Feinde, nur Männer, denen ein guter Führer fehlte, die unter falschem Einfluss standen und verzweifelt waren.
Er riskierte einen Blick zurück, Robyn passte sich der Bewegung an, harrte abwartend. Sie wusste, er überlegte sich die beste Taktik. Dann, als die Stimmen der beiden Männer verstummten und sie sich scheinbar trennten, um einen größeren Radius bei der Suche nach ihr abdecken zu können, lehnte er sich wieder nahe zu ihr.
»Lauf nach links, Nixe, in dieser Richtung liegt das Haus. Lass dich nicht abschrecken, du wirst ziemlich genau in die Arme des einen laufen, aber bis dahin hoffe ich, den anderen schon so erwischt zu haben, dass er umdreht, um ihm zu Hilfe zu kommen. Verstanden?«
Sie nickte, holte tief Luft, straffte sich.
»Dummes, kluges Mädchen.«
Er lockerte den Griff um sie, ließ sie laufen und hörte im selben Moment das Geschrei der beiden Männer, die sich wieder an ihre Fersen hefteten. Nicht lang und er konnte sehen, wie Robyn einen Haken schlug, um dem sich nähernden Riesen zu entwischen. Sie hatte ihm ohne zu hadern vertraut.
Wulf verbannte den Gedanken, dass sie einen sehr wunden Punkt in seinem Leben darstellen würde, für den Augenblick. Die Tatsache dessen war so schnell und heftig innerhalb nicht einmal eines Tages über ihn gekommen, dass er zweifelte, ob er jemals herausfand, warum dem so war. Derartige Gefühle für eine Frau hatten ihn bisher nur einmal in seinem Leben ergriffen und sie waren genauso unerklärlich gewesen wie jetzt.
Der zweite Nordmann passierte ihn in nur kurzer Entfernung. Wulf musste ihm nicht lange nachjagen, einige Schritte und er warf den Nordmann von hinten zu Boden, ohne dass dieser ihn vorher gehört oder gesehen hatte. Zuerst versuchte er, den Nordmann ohne die Axt bewusstlos zu schlagen. Mit einem dumpfen Aufprall landeten sie in dem Gemisch aus Nadeln und Schnee. Der Überraschte drehte sich auf den Rücken, um zur Gegenwehr überzugehen. Keiner von beiden konnte den Arm oder das Handgelenk des anderen packen. Als es geschah, wälzten sie sich über den Boden und drehten sich bis sie vor einen Baumstamm stießen. Schnee rieselte auf sie, Der Nordmann prustete die angehaltene Luft heraus, schwang sich auf und wollte Wulf von sich stoßen. Doch Wulf duckte sich unter ihm hindurch, sprang ein Stück entfernt auf, nur um wieder auf den Anderen loszugehen. Sie stießen mit der Wucht zweier Hünen aufeinander, rangen wiederum, doch keiner der beiden unterlag der Kraft des anderen. Schließlich stießen sie sich voneinander ab und blickten sich in die Augen. Es gebrauchte keiner Worte. Sie akzeptierten die Stärke des anderen, das Durchhaltevermögen. Beide nahmen ihre Axt vom Gürtel. Vielleicht würde diese Waffe eine Entscheidung bringen.
5.
Robyn rechnete damit, dass der Nordmann sie bald eingeholt haben würde. Und nichts, was sie an ihren Marsch hierher erinnerte, kam in Sicht. Der Wald sah noch immer gleich aus, keine Laubbäume erschienen, nur Nadelbäume, Kiefern, Tannen, Fichten, aber keine Eiche, wie in der Nähe des Hauses.
Sie hechtete über das wenige Unterholz, duckte sich unter tiefhängenden Ästen hindurch, aber der Nordmann hatte die bessere Kondition.
Dann plötzlich krachte etwas in weiter Ferne. Metall schlug auf Metall. Zum ersten Mal meinte Robyn, den Abstand vergrößern zu können. Vielleicht würde Wulfs Taktik doch aufgehen. Aber mit einem hatte sie nicht gerechnet.
Wie versteinert blieb sie plötzlich stehen. Zitternd drehte sie sich um. Ihr Verfolger lief zurück. Er würde seinem Kameraden zu Hilfe eilen. Und Wulf würde es mit zwei Gegnern zu tun bekommen.
Sie hörte ihren eigenen Atem rasseln, die Wolken vernebelten ihre Sicht. Fast hätte sie den Nordmann aus den Augen verloren. Sie hatte keine Zeit um nachzudenken. Sie tat, was sie in diesem Moment für richtig hielt.
Sie hastete dem Nordmann hinterher, in ihrer Verzweiflung musste sie für einige Augenblicke fast hysterisch dabei wimmern. Nun verfolgte sie den Nordmann.
Die Metallstöße waren nicht verklungen, sie hörte sie in regelmäßigen Abständen, je näher sie ihnen kam, in sich verkürzenden Abständen. Sie wusste nicht, was sie tun würde, wenn sie Wulf erreichte. Es erschien ihr Wahnsinn zu denken, sie könnte ihm eine Hilfe sein. Aber weiterlaufen und ihn hierzulassen, diese Wahl hatte es nicht gegeben. Er war hierhergekommen, um sie zu suchen. Zu retten. Schon wieder.
Robyn machte die drei Silhouetten aus, die sich in unmissverständlichen Bewegungen maßen. Wulfs Schläge mit der Axt schienen ihr weitaus treffsicherer, doch er würde sich nicht lang gegen zwei andere Äxte behaupten können. Wut stieg in ihr auf. Ehre hätte es dem anderen geboten, nicht einzugreifen. Doch scheinbar war deren Wut über die verpasste Beute größer gewesen.
Sie schlug erneut einen Haken, um sich dem einen Nordmann von hinten nähern zu können. Die Konzentration der Männer lag ganz und gar beim Kampf, so dass ihr Auftauchen erst bemerkt wurde, als es zu spät war. Wulf traute seinen Augen nicht, als er sie aus dem Unterholz auf den einen der Nordmänner zuspringen sah.
»Robyn, nicht!« Doch seine entsetzten Worte konnten sie nicht mehr aufhalten. Ohne jeden Plansprang sie mit einem Satz los umklammerte den Hals des einen. Dieser ließ augenblicklich die Axt fallen, um sich der unerwarteten Last zu entledigen. Doch Robyn krallte sich mit aller Macht an ihm fest, ließ dumpf aufschreiend seine Faustschläge an ihren Seiten zu und versuchte mit ihren Beinen seinen Leib zu umschlingen, um ihn aus dem Gleichgewicht zu bringen. Die Metallschläge erklangen indes weiter, diesmal meinte Robyn noch schneller, noch heftiger als zuvor.
Als sie merkte, dass sie dem stämmigen Nordmann die Luft nicht abdrehen konnte, da ihre Kraft nicht ausreichte, griff sie ihm stattdessen in die Haare. Sie zog daran, spürte wie sie sich von der Kopfhaut lösten, zerrte umso mehr an ihnen. Der Nordmann, der sie noch immer mit den Fäusten bearbeitete, schrie mit einem Mal los und schritt rückwärts. Für einen Moment glaubte Robyn, er würde endlich das Gleichgewicht verlieren, doch mit der Wucht des Aufpralls, der daraufhin folgte, zerstörte sich ihre Hoffnung. Der Stumpf, der aus einem Baumstamm herausragte, bohrte sich tief in das weiche Fleisch oberhalb ihrer Hüfte. Sie konnte nicht einmal schreien, der Schmerz raubte ihr die Stimme. Sie biss sich auf die Lippe. Wie ein Stein fiel sie zu Boden, spuckte ihr Blut aus, fing Wulfs Blick auf, folgte ihm. Ihre Hand berührte ein bearbeitetes Holzstück. Den Griff einer Axt. Sie schloss die Augen, unterdrückte den Schmerz, umfasste im selben Atemzug den Griff und holte aus, ohne zu sehen, wohin sie schlug. Der Nordmann war viel zu überrascht, um der Schneide auszuweichen. Robyn durchschnitt seinen Unterschenkel mit all der Kraft, die ihr Wulfs Blick noch hatte geben können. Sie rollte weg, um nicht von ihm begraben zu werden. Das Blut spritzte aus dem Bein, der Nordmann stöhnte auf, als er auf die Erde sank. Der Andere warf einen unsicheren Blick auf Wulf.
Robyn verlor keine Zeit, als sie sah, dass Wulf und der andere den Kampf abbrachen. Sie wartete nicht erst, dass Wulf ihr beim Aufstehen half. Sie hievte sich gekrümmt auf, fasste Wulfs Hand, der sie erbarmungslos durch den Wald zog. Die Unsicherheit der beiden Nordmänner hatte sie wahrscheinlich vor schlimmerem bewahrt.
6.
Der Lauf erschien Robyn endlos. Sie dachte an die beiden Nordmänner, fragte sich, warum sie den Kampf fast einhellig, wenngleich unsicher, beendet hatten. Wulf hatte nicht töten wollen. Dies schien ihr sicher. Kannte er die Männer vielleicht? Von früher? Aus vergangenen Zeiten, als sie alle noch ein Reich gewesen waren? Warum hatten sie sie rauben wollen? Um dem anderen Reich ihre Überlegenheit zu zeigen? Um es zu reizen? Herauszufordern?
Ihr Kopf schmerzte. Es gab so vieles, was sie nicht verstand. Doch die Folgen dessen, was heute passiert war, ließen sie daran zweifeln, ob sie den Mut aufbringen würde, Wulf in nächster Zeit danach zu fragen. Er ging in einigem Abstand vor ihr, versicherte sich aber fortwährend ihres Zustandes, indem er einen Blick über sie gleiten ließ. Sie wusste, er würde sehr wütend auf sie sein. Sie fürchtete sich vor der Rückkehr ins Haus. Ihre Ahnungslosigkeit hatte sie heute weit mehr kosten können als ein paar Schürfwunden. Wenngleich Robyn den Aufprall am Baumstamm weniger leicht abtun konnte, als sie zugab. Die Bewegung hatte bisher verhindert, dass sie den Schmerz allzu sehr spüren konnte. Später jedoch würde er sich einstellen.
Da sah sie das Haus vor sich auftauchen. War dankbar dafür. Die Furcht vor Wulfs Zorn verschwand für den Moment. Sie folgte Wulf hinein, entledigte sich gespielt geschäftig der Sachen, die sie in der Nähe des Feuers zum Trocknen hängte. Wulf tat es ihr gleich, doch seine Wut ließ nicht lang auf sich warten.
»Was hast du dir dabei gedacht!«, blaffte er sie an. »Ich hatte gesagt, du sollst dich im Haus umsehen ... im Haus, verstehst du! Bei allen Göttern, wie konntest du nur dort hinausgehen? Nicht ins Dorf, wo Menschen sind ... nein, die Angelsächsin gibt sich nicht mit nordischem Gesindel ab, geht im Wald spazieren ...«
»Ihr seid kein Gesindel ...«, wehrte sie sich.
»Was?«
Sie drehte sich zu ihm.
»Ich sagte, ihr seid kein Gesindel.«
Die angelsächsischen Worte klangen in Wulfs Ohren für den Moment wie ein Hohn. Er fuhr in seiner eigenen Zunge fort.
»Wieso bist du in den Wald gegangen? Warum nicht dorthin, wo Menschen sind? In den Wald! Auch noch in den westlichen Wald! Du musst verrückt gewesen sein ...«
»Ich-ich wollte doch nur nach Kräutern suchen ...«
»Im Schnee? Bei verfluchter klirrender Kälte ...« Wulf schien sie wirklich für nicht ganz klar im Kopf zu halten. Sie wollte ihm erklären, dass das nicht stimmte.
»Ich meine, ich wollte mich nur einmal umsehen. Für das Frühjahr, dann kann ich dort Kräuter sammeln ...«
Wulf kam auf sie zu, packte ihre Schultern.
»Wag es nicht noch einmal, einen Fuß in diesen Wald zu setzen. Wag es nicht, hörst du?«
Robyn schüttelte eingeschüchtert den Kopf, biss sich auf die blutige Lippe.
»Ich verspreche es, wenn es dein Wunsch ist.« Ihre Stimme war nicht lauter als ein Flüstern.
»Wag es nicht«, wiederholte er nochmals, etwas ruhiger, doch nach wie vor drohend.
»Nein ...« Ihre Stimme versagte endgültig. Er ließ von ihr ab.
»Mach uns etwas zu essen. Ich habe uns Fisch gefangen.« Wulf setzte sich, betrachtete sie vom Feuer aus kurz. Sie hatte verstanden, er hatte ihr genug Angst gemacht. Angst war eine nicht zu unterschätzende Waffe. Nach heute würde sie sich vom Wald fernhalten. Bis in alle Ewigkeit. Noch einige Augenblicke stand sie dort, starrte ins Leere, dann rührte sie sich, wandte sich dem Fisch zu und den anderen Sachen, die Wulf bei den Schiffsbauern eingetauscht hatte. Erst jetzt, da sein Blick zurück zum Feuer ging, fiel ihm die Veränderung im Haus auf. Sie war nicht untätig gewesen.
Der zerborstene Tisch stand an der hinteren Wand und wartete darauf von ihm repariert zu werden. Sie hatte sich Geschirr zusammengesucht, Teller, Becher, in zweifacher Ausführung, einige Töpfe und Platten. In einer Ecke sammelte sie in einem Korb schmutzige Wäsche, daneben lag Seife, außerdem hatte sie in einer Kiste eine Kräuteressenz gefunden, die Dora für ihr Haar benutzt hatte. Es gab noch einige Dinge von ihr hier, und Wulf wusste ganz plötzlich, woran ihn der Geruch ihres Haares vorhin, als er sie im Wald gefunden hatte, erinnert hatte. An seine erste Frau. Und doch roch sie damit anders. Ihr Haar war fülliger, weicher, das Haar einer Frau, die es seit langer Zeit sorgfältig pflegte, ohne selbstgefällig zu sein. Robyn hatte draußen Hosen, eine Tunika und einen Umhang getragen, keine langen Gewänder wie es Dora grundsätzlich getan hatte. Sie wäre nie in den Wald gegangen, um nach Kräutern zu suchen. Das hatte sie andere machen lassen.
Um das Lager hatte sie die Felle verteilt, die Arnulf für ihn hiergelassen hatte. Seine Sachen hatte sie in der Kiste verstaut, die beiden darauf liegenden Bücher studiert. Er konnte es sehen, er wusste, sie hatte sie angesehen. Seine erste Frau, wenngleich aus einer adligen Familie, hatte weder lesen noch schreiben können. Mit ihr jedoch würde er über Bücher reden können. Sie musste einer höher stehenden Familie entstammen, sonst hätte man ihr nie gestattet, lesen zu lernen. Sie kannte sich offensichtlich mit Kräutern aus. Ob sie ein Kloster besucht hatte?
Der Geruch von gutem, heißen Wein mit Wacholderbeeren stieg in seine Nase. Sie reichte ihm einen Becher. Er nahm ihn wortlos entgegen. Der Wein senkte sich wie auch das Feuer wohlwollend auf sein erzürntes Gemüt. Wenig später nahm er einen weiteren Geruch wahr. Der Fisch röstete am Feuer, während Robyn einige getrocknete Beeren in Honig erwärmte.
Wer hatte sie gelehrt zu kochen? Nonnen? Dazu tat sie all dies zu lässig, zu unverkrampft. Es schien ihm, dass sie für jemanden gesorgt hatte. Einen Mann?
Seine Augen folgten ihren Bewegungen, während sie den Fisch aufschnitt, die besten Stücke auf einen Teller legte, die Honigsoße mit den herben Beeren darüber goss und ein Stück Brot die Soße darauf aufsaugen ließ. Sie schmeckte ein letztes Mal die Soße ab, in dem sie ihre Finger ableckte. Es fand ihre Zustimmung, denn erst dann reichte sie Wulf den Teller.
Das Essen mundete vorzüglich. Er hegte keinen Zweifel daran, dass sie sich in dieser Weise vorher um jemanden gekümmert hatte. Nur um wen?
Sie starrte gedankenverloren in die Glut des Feuers und schob ab und an ein Stück Fisch in ihren Mund. An wen dachte sie in diesem Moment?
Er stellte den Teller beiseite, nahm sich ein Stück Holz von den Resten des Tisches und begann am Feuer zu schnitzen. Sie ging derweil hinaus, um das Geschirr zu waschen. Als sie wiederkam, erkannte sie bereits die groben Formen eines Hammers an dem Stück Holz, das Wulf bearbeitete. Sie schenkte Wulf nochmals von dem Wein ein, legte dann die inzwischen trockenen Sachen zusammen, doch nicht etwa für den morgigen Tag. Sie landeten bei der schmutzigen Wäsche. Sie suchte frische Kleidung für ihn heraus, legte sie auf die Kiste und sah die Kleider durch, die Annija ihr mitgegeben hatte. Dabei fiel ihr Blick auf die Axt, die er vorhin abgelegt hatte. Wulf hatte sie auf dem Marsch zurück im Schnee sorgfältig gereinigt. Das Blut daran war verschwunden. Ihr Finger glitt an der Klinge entlang, sie konnte noch immer fühlen, wie sie durch den Unterschenkel des Mannes gefahren war.
»Es tut mir leid, Wulf«, sagte sie leise, worauf er das Schnitzen unterbrach, »ich wollte nichts Böses. Es war dumm von mir, doch ich dachte, wenn ich mich etwas umschaue, kann ich im Frühjahr und Sommer leichter Kräuter finden und kann sie trocknen und später verwenden. Ich habe nicht geglaubt, dass ich mich und auch dich dadurch in Gefahr bringen könnte.«
Er war hinter sie getreten, beobachtete ihre Hand auf der glänzenden Klinge der Axt.
»Eine gefährliche Waffe, Nixe«, sagte er. Kein Funken Zorn war in seiner Stimme zurückgeblieben, er hatte ihr verziehen. »Keine Waffe für eine Frau,« Er umfasste ihr Handgelenk und tastete die Muskeln daran ab, »auch wenn du sie vorhin äußerst geschickt geführt hast...«
Seine Nähe ließ Robyn merkwürdig nervös werden. Schon einmal hatte ein Mann, ein Nordmann, so hinter ihr gestanden, sie berührt. Andere Männer hatten sich um sie bemüht, aber niemanden hatte sie je wieder so nah an sich herangelassen. Ihre seltsame Zuneigung zu Wulf hatte sie bisher nicht vor ihm zurückschrecken lassen. Bis auf einmal. Ihre Lippen gehörten diesem einen Nordmann in ihrer Vergangenheit. Und sie würde nicht bereit sein, sie einem anderen zu schenken. Auch nicht Wulf.
»Unsere Frauen erlernen den Gebrauch einer Waffe«, meinte Wulf, »es ist wichtig, zuviel Streit und Unmut herrscht zuweilen unter den nordischen Völkern. Bis vor vielen Jahren war das hier nicht so. Die Frauen konnten ein unbeschwertes Leben auch ohne Waffen führen. Doch jetzt nicht mehr.«
Robyn neigte ihren Kopf etwas, als er nicht weiterredete. Wulf sah die sich leicht kräuselnden Haare in ihrem Nacken. Er konnte nicht anders, als seine Lippen darauf zu senken. Sie zuckte zusammen, ließ aber auch die Axt los. Er umfasste ihre Hand, drückte sie mit seiner eigenen an ihren Körper.
»Ich sollte dir beibringen, eine Waffe zu gebrauchen«, murmelte er in ihren Hals. Seine Lippen wanderten hinauf, verweilten unterhalb ihres Ohres. »Was macht deine Verletzung, Nixe?« »Es-es geht, sehr gut so-sogar ...«, stammelte sie. Darauf hatte Wulf gehofft. Robyn schnappte hilflos nach Luft, als er ihr Ohr küsste, vorsichtig, doch mit nicht zu unterschätzender Absicht. Sie fühlte sich wiederum genau beobachtet. Er testete, wie weit er gehen konnte. Und sie wusste, er würde es jeden weiteren Tag ergründen.
»Nixe«, hauchte er in ihr Ohr. »Deine Handgelenke, so zart sie sind, könnten eine Axt führen. Ich überlasse dir die Wahl. Ich kann dich auch den Umgang mit einem Bogen lehren oder den mit einer Lanze.«
»Hältst du das für nötig?« Sie wollte ihre Stimme so normal wie möglich klingen lassen, doch bemerkte wie anders ihre Stimme klang, während er sie küsste. Jeder Herzschlag schien darin mitzuschwingen.
»In Anbetracht dessen, dass mein Bruder ein Auge auf dich geworfen hat und da wir in ständigem Streit mit den anderen Dörfern hier liegen, halte ich es für eine gute Idee.«
»Dein Bruder würde es nicht wagen ...« Sie sprach nicht zu Ende.
»Du hast ihn selbst erlebt. Nicht einmal die Anwesenheit unseres Vaters, geschweige denn die meinige, hat ihn abgehalten, dir nachzustellen.«
Wulf bemerkte ihre Veränderung, während sie von Harold sprachen. Nichts von ihrer Anschmiegsamkeit war geblieben. Sie stand stocksteif da, und eine Kälte kroch ihre Haut hinauf, die Wulf ahnen ließ, dass sie in keiner Weise schuld an Harolds Treiben war.
»Ich werde noch einmal nach Sleip sehen.« Er ließ von ihr ab.
Robyn stand noch eine Weile unschlüssig da und betrachtete die Axt. Sie war sich nicht sicher, ob es eine gute Idee war, doch sie glaubte Wulf und vertraute seinem Urteil. Sie strich über ihren Hals und fühlte der Spur seiner Lippen nach. Sein Annähern bereitete ihr Angst und Genuss zugleich. Für einen kurzen Augenblick ergriff ihre Angst davor die Oberhand. Sie schlug ihre Hände vor das Gesicht, um nicht aufzuschluchzen. Sie wollte ihm keinesfalls ihre Schwäche zeigen. Niemand durfte sie so sehen. Sie presste ihre Augen zu, ließ den Schmerz der Wunden, die der Nordmann verursacht hatte, zu, damit er sie ablenkte von dem Gedanken an den einen Nordmann, dem sie vor langer Zeit mehr als nur einen Kuss geschenkt hatte.
Robyn fasste sich schnell, auch aufgrund der Schmerzen. Sie zog sich aus und spürte wie wenig sie sich noch bewegen konnte. Die Wunde über der Hüfte pochte wie ein Amboss unter den Schlägen eines Hammers. Da die Wunde nicht nässte, streifte sie die Tunika darüber. Sehen konnte sie sie nicht.. Sie musste sich selbst den Mund dabei zu halten, um nicht zu wimmern wie ein Kind. Sie holte sich zwei Decken und ließ sich am Feuer auf der kleinen Bank nieder. Sie ächzte leise, ehe sie eine bequeme Position gefunden hatte.
Wulf kam wenig später von draußen herein. Er hatte sich noch etwas umgesehen, aber es blieb ruhig, so dass er annehmen musste, dass die beiden Nordmänner es nicht gewagt hatten, Verstärkung zu holen, um sie weiter zu verfolgen. Doch irgendwann, befürchtete Wulf, würden sie auch die Wachen nicht mehr abhalten, Frauen aus den anderen Dörfern zu rauben. Die Schiffsbauer aus dem Westdorf berichteten von mehr und mehr Männern, die in den Wäldern umherzogen, immer auf der Suche nach einer Frau, die Reisig sammelte oder im Sommer Beeren. Wie lange die Einigkeit unter den Schiffsbauer unter den gegebenen Umständen noch Bestand hatte, wusste Wulf nicht. Bis jetzt hatten sie sich aus all dem heraushalten können. Aber wie lange noch würde das ohne Vorwürfe möglich sein? Wie lange, bevor einer der Schiffsbauer selbst betroffen war?
Etwas von seinem Groll kehrte zurück, als er sie auf der Bank vor dem Feuer liegen sah. Ob es ihr gefiel oder nicht, ihre Ehe vollzogen war oder nicht, ihr Platz war neben ihm auf dem Lager. Er legte seinen Umhang ab, zog seine Stiefel unwillig aus, ging zu ihr, um sich zu ihr herabzubeugen.
»Dies ist nicht der Platz einer Ehefrau«, sagte er, während sie ihn leicht schlaftrunken ansah, und zog die beiden Decken weg. Er fasste unter ihre Knie und ihren Oberkörper und hob sie hoch. Sie fuhr zusammen.
»Wulf, nein ...« Sie krümmte sich in seinen Armen vor Schmerz, wischte sich aber gleichzeitig wütend eine Träne fort.
»Was...« Wulf setzte seine Frage nicht fort. Er erinnerte sich an den Kampf mit dem Nordmann und legte sie auf das Lager, wo sie sich selbst schnell auf den Bauch drehte, um ihren Rücken etwas zu beugen.
»Wulf, nein«, protestierte sie erneut, als er ohne Zögern ihre Tunika nach oben schob.
»Nichts, was deine Liebhaber nicht schon gesehen haben, Nixe«, meinte er spöttisch. Er blieb jedoch für den Moment unempfindlich für ihre nackten Beine und den Rest, der sich ihm zeigte. Sein Blick blieb an dem faustgroßen, schwarzen Bluterguss über ihrer Hüfte hängen.
»Der Baumstamm, nicht wahr?«
Robyn spürte seine Hand den Erguss umkreisen. Sie nickte in ihre aufgestützten Arme.
»Nixe, du hättest etwas sagen können«, meinte er.
»Es macht nichts«, murmelte sie in den Hemdsärmel hinein.
Ein Lächeln glitt über sein Gesicht. Seine Frau war stark und er schätzte das an ihr.
Erst jetzt gestattete er sich, sie von oben bis unten anzublicken und genoss, was er sah. Mit Ausnahme der unschönen Wunde und der anderen dunklen Flecken, die zeigten, wo ihr Körper die Faustschläge des Mannes abgekommen hatte. Es war besser, dass sie das Lächeln nicht bemerkte. Es hätte sie zu diesem Zeitpunkt vielleicht erschreckt, wie viel ehrliche Zuneigung sich darin widerspiegelte. Sie beide waren noch nicht bereit dafür.
»Der Erguss ist nur in der Mitte etwas aufgeschürft. Soll ich die Salbe von Annija darauf tun?«
Robyn überlegte kurz. Annija war die Frau mit den Zauberhänden. Ob er sie an ihrem ersten Abend besucht hatte?