Kitabı oku: «Im Schatten des Wolfes», sayfa 6
1.
Robyn schrak auf. Wulf saß neben ihr, frisch rasiert, das Haar feucht, seine Kleidung ausgetauscht gegen eine neue Tunika und enge Hosen. Sie roch Seife, Holz und frische eisige Luft von draußen. Er hatte sie an der Schulter wachgerüttelt. Erst jetzt bemerkte sie die angelehnte Tür und den Lärm draußen.
»Geh nach nebenan, nimm die Decke mit, schnell«, zischte er und drückte ihr die Dose mit der Salbe in die Hand.
Robyn gehorchte ihm ohne Gegenfrage. Sie stieg aus dem Lager, schwankte kurz, tappte jedoch über die Felle durch den Raum und wartete nicht, bis das Schwindelgefühl nachließ. Sie hatte es schlimmer in Erinnerung. Das Pochen in ihrem Kopf hatte auch aufgehört. Ein ungutes Gefühl überkam sie, als sie die Tür hinter sich schloss. Die Unruhe draußen bedeutete Gäste. Gäste, die sie eigentlich bewirten müsste als neue Herrin in diesem Haus. Aber Wulf hatte sie nicht umsonst fortgeschickt. Und die Stimmen, die kurz darauf erschollen, ließen sie in die hinterste Ecke des Raumes zum Pferd weichen. Der mächtige Rappe, misstrauisch gegenüber allem Fremden, ließ sie gewähren. Der Geruch seines Herrn haftete ihr an. Er sorgte sich um sie und Sleip konnte die Sorge an ihr riechen.
Wulf öffnete seinem Vater die Tür und ließ ihn eintreten. Er hatte fast damit gerechnet, ihn zu sehen. Nach Harolds und seiner Schlägerei gestern Nacht überraschte es ihn nicht. Eilaf folgten Harold selbst und Leif mit entschuldigendem Blick. Zwei Begleiter blieben draußen bei den Pferden.
»Verzeih, Vater, dass ich euch nichts anbieten kann, ich wollte mir heute erst meine Sachen und Vorräte besorgen.«
Eilaf hatte sich derweil umgesehen. Er war lange nicht hier gewesen. Außer dass alles eine Weile nicht bewohnt worden war, hatte es sein Sohn verstanden, sich ein Heim herzurichten. Er war ein begabter Schiffsbauer als auch Tischler, der mehr Möbelstücke besaß als alle hier. Ein Luxus, der einzige, den Wulf sich je gegönnt hatte. Eilaf war zu stolz gewesen, um ihn je um Anfertigungen für die große Halle zu bitten, seinem eigentlichen Zuhause, dem er entsagt hatte, sobald er alt genug gewesen war, nur um dann nach Byzanz geschickt zu werden. Eilaf wusste, er würde nie zu Wulf durchdringen können, ihre Differenzen waren einfach zu groß, die Kühle zwischen ihnen selbst für andere spürbar. Doch er hatte nie aufgehört zu glauben, dass sein Einfluss auf seine anderen beiden Söhne gut war. Er würde es ihm nie sagen können, aber er bewunderte Wulfs Mäßigung und Disziplin. Harold und Leif hatten nichts davon. Harolds Maßlosigkeit in allen Dingen war allgemein bekannt und gefürchtet, Leifs Schwäche war seine Unsicherheit, sein fehlender Wille, sich einer Sache zu verschreiben und voll und ganz hinter ihr zu stehen.
Eilaf wandte den Blick seinem Ziehsohn zu. Seine Haut war fast so dunkel wie die eines Sarazenen, die Augen groß und ruhig. Er verbarg ausgezeichnet, dass er den Besuch missbilligte. Allein seine nachfolgenden Worte würden ihn verraten. Er hatte die Arme verschränkt und hielt abwartend dem Blick stand. Eilaf betrachtete die sehnigen Hände, die sich in all den Jahren oft bewiesen hatten, die, anders als seine eigenen, schreiben konnten, nicht nur Runen, sondern auch andere Sprachen. Er wäre ein ausgezeichneter Berater für Harold in der Kriegsführung als auch bei Verhandlungen.
Eilafs Gesichtszüge spannten sich sichtbar an. Er verdrängte jene Gedanken, kehrte zurück zu dem eigentlichen Grund seines Kommens. Es gab Dinge zu klären nach gestern Nacht. Eilaf hatte sich gewünscht, die Brüder hätten ihren Zwist etwas beigelegt und Wulf hätte die Zeit genutzt, um sich einige Sachen durch den Kopf gehen zu lassen. Doch Harold hatte dafür gesorgt, dass der alte schwelende Zwist zwischen den beiden dort begann, wo er vor fünfzehn Monaten bei Wulfs letztem Besuch geendet hatte.
»Etwas Met wirst du hoffentlich für einen alten Mann haben«, meinte Eilaf und ließ sich bei dem Feuer auf einer Bank nieder.
»Natürlich, Vater.« Wulf schenkte ihm ein, reichte ihm das Horn.
»Für mich auch, wenn du gestattest«, grinste Harold.
Wulfs Augen verengten sich.
»Du wirst in diesem Haus nur geduldet, weil Vater hier ist ...«
Harolds Grinsen verschwand schnell, er ging zwei Schritte auf Wulf zu, um ihn zu provozieren, doch Eilaf gebot ihnen Einhalt.
»Haltet den Mund und schweigt«, rief er aufgebrachter als beabsichtigt. Er nahm einen tiefen Schluck aus dem Horn, zog sich den Umhang enger um die Schultern, obwohl es in dem Raum warm genug war.
»Bei Odin, ihr seid Brüder, vergesst das nicht.«
Weder Harold noch Wulf antwortete darauf. Sie maßen sich stumm, jeder der beiden denselben Gedanken in Zorn eingebettet. Keiner von ihnen empfand auch nur annähernd brüderliche Zuneigung.
Harold selbst spiegelte den Hass seines Bruders auf ihn unmissverständlich wider. Seine Nase, seine Oberlippe, alles war blau geschwollen. Er würde für ein paar Tage entstellt sein und zudem das Gespött der Leute.
»Ich wünschte, du hättest dieses Mädchen ertrinken lassen, Wulf. Sie ist einen Tag hier und trägt schon Schuld an eurem Streit. Etwas, was ich unbedingt vermeiden wollte.«
Eilaf sah vom Feuer auf, während er das sagte.
»Sie trägt keine Schuld, in keiner Weise, Vater«, entgegnete Wulf.
»Harold behauptet, sie hätte ihm schöne Augen gemacht, als ihr gestern in der Halle ward.«
»Ist das so? Ich denke, Harold überschätzt den Eindruck, den er auf Frauen macht.«
»Sag das noch mal ...«
Diesmal war Harold nicht mehr zu halten, auch von Eilaf nicht. Wulf wollte die Kühnheit seines älteren Bruders fast bewundern, ihn erneut herauszufordern. Jedoch hielt er es mehr für den Leichtsinn eines haltlosen Säufers. Er fing Harolds Faustschläge geschickt ab. Eine Weile rangen sie miteinander, bis Wulf genug hatte und Harold die Luft abdrückte, was nach nur wenigen Sekunden die gewünschte Wirkung hatte.
Eilaf, der entrüstet aufgestanden war, sah beide Söhne zornig an.
»Harold, geh hinaus und hol dir etwas frische Luft. Deine Anwesenheit hier führt zu nichts.«
Leif, der all dem still gefolgt war, öffnete die Tür. Harold verließ schnaufend das Haus, gab sich für den Moment geschlagen.
Eilaf setzte sich wieder, stieß den Atem aus, nahm erneut einen Schluck aus dem Horn.
»Ist die Ehe vollzogen?«, wollte er dann ruhig wissen.
Wulf lachte auf, ohne jeden Humor, kalt und zynisch. Er wusste genau, worauf sein Vater hinauswollte.
»Hast du es dir etwa anders überlegt? Gestern noch schienst du überzeugt, dass es das Richtige sei, sie mir zur Frau zu geben. Wie schnell du deine Meinung geändert hast. Lass mich raten, Harold hätte sie wohl gern als Zeitvertreib? So wie Dora?«
»Wie kannst du behaupten, dass er ...«
Wulf ließ ihn nicht aussprechen. Er schnellte nahe an ihn heran.
»Hast du jemals meinen toten Sohn erblickt? Hast du?«
»Was soll die Frage?«
Wulf ließ sich nicht beirren.
»Er hatte rote Haare.« Wulf besah sich die ergrauten Haare seines Vaters, die noch immer rötlich schienen, so wie jetzt im Schein des Feuers.
Eilafs Lippen pressten sich aufeinander, er schaffte es nicht, den Blick seines Ziehsohnes zu erwidern.
»Davon wusste ich nichts.«
»Dann sind wir schon zwei, Vater.«
Wulf suchte kurz den Blick seines zweiten Bruders. Leif jedoch schüttelte den Kopf. Dann sah Wulf zurück zu seinem Vater.
»Und – nein. Meine Frau hat Harold gestern keine schönen Augen gemacht. Er kam hierher aus alter Gewohnheit.«
Wulf drehte sich ab, kehrte hinter das Feuer zurück, betrachtete den alten Mann am Feuer. Er wollte und konnte kein Mitleid für ihn empfinden. Die Uneinigkeit seiner Söhne hatte auch er zu verantworten. Vor allem seit Einar, sein ältester Sohn, tot war, war Wulfs und Harolds Hass aufeinander gestiegen. Und Eilaf hatte nichts getan, um dies zu ändern. Manchmal hatte sich Wulf gefragt, ob Eilaf Harold überhaupt noch gewachsen war.
»Du tätest gut daran, Harold zu sagen, er soll sich in Zukunft von ihr fernhalten«, sagte Wulf nach einer Weile, »sie gehört mir, auf deinen Wunsch und ich akzeptiere das. Er sollte sich nicht selbst zum Gespött der Leute machen und einer Frau nachjagen, die seinem Bruder gehört.«
»Harold versucht scheinbar mit allen Mitteln, seine eigene Frau loszuwerden«, kommentierte Leif, »da sie ihm keinen Erben schenkt.«
Wulf sah ihn an, überlegte kurz.
»Sie sind seit sechs Jahren verheiratet. Eine lange Zeit ...«
»Zeit genug, um sich anderweitig zu vergnügen, auch mit der Frau seines Bruders«, Leif sah zu Boden, »oder mit jeder anderen.«
»Ingrid?« Als Wulf den Namen aussprach, nickte Leif, blickte nicht auf.
»Und ich hätte sie fast geheiratet. Wie dumm ich war. Weiber. Sie sind alle gleich. Solange es zu ihrem Vorteil geschieht, werden sie mit jedem Mann das Lager teilen.«
Eilaf stieß seinen Atem vernehmbar aus. All das schien unwichtig im Vergleich zu jenem wirklichen Problem, das ihn beschäftigte, das sie alle etwas anging.
»Wulf«, sagte er, »ich wünsche, dass du dich öfters in der Halle blicken lässt. Es würde einen guten Eindruck machen, wenn uns die Leute wieder öfter zusammen sehen.«
»Glaubst du allen Ernstes, dass sie diese Taktik nicht durchschauen werden?«, erwiderte Wulf. »Sie wissen, dass wir uns in dieser einen grundlegenden Sache nicht einig sind und uns nie einig sein werden.«
»Ich verstehe nicht, warum du es so gering erachtest, Thronerbe zu sein und damit etwas zu bewirken.«
»Das hat damit nichts zu tun. Ich denke nur nach wie vor, dass dieser Thron einem anderen gehört und nicht dir.«
»Verflucht seiest du, Wulf!« Eilaf stand wütend auf und stampfte um das Feuer. »Wiglif wäre gar nicht fähig uns zu führen. Er kann ja nicht einmal seine eigenen Leute unter Kontrolle halten. Die Zustände im Westdorf geraten immer mehr außer Kontrolle. Dieser Kark schart mehr und mehr Männer um sich. Ich befürchte irgendwann wird er Wiglif stürzen, dann haben wir ein ernstzunehmendes Problem.«
»Ist denn dieser Kark so gefährlich?« Wulf spürte nicht zum ersten Mal, dass seine jahrelange Abwesenheit dazu geführt hatte, dass er über einige Vorfälle und Zusammenhänge unzureichend informiert war.
Leif antwortete für seinen Vater.
»Er hat sich erst als Günstling des Königs hochgearbeitet, dann vor einigen Monaten wandte er sich plötzlich gegen den König. So weit ich gehört habe, spaltet sich das Westdorf immer mehr in zwei Lager. Und falls es Kark gelingt, die Macht im Westdorf an sich zu reißen, ist es sehr wahrscheinlich, dass sein nächster Schritt ein Angriff auf uns oder das Süddorf sein wird.«
»Verstehst du nun, warum wir unbedingt Zusammenhalt demonstrieren müssen?«, wollte Eilaf wissen.
»Du redest von Zusammenhalt? Dass ich nicht lache! Was muss noch geschehen, dass du ...« Er sah kurz auf Leif und verbesserte sich. »Dass ihr seht, dass dies der falsche Weg ist? Solange du auf diesem Thron sitzt, der rechtmäßig Wiglif gehört, solange wird es hier nie Einigkeit geben. Nie. Niemals. Ist dieser Kark so gefährlich, dann könnt ihr nur zusammen etwas gegen ihn unternehmen. Genauso gegen Tryggvason. Aber ich sage dir das seit vielen Jahren und ich habe aufgegeben, daran zu glauben, dass ihr je Vernunft annehmen werdet. Wenn du es wünscht, werde ich zur Halle kommen, aber es wird nichts an meiner Einstellung ändern. Und die Leute wissen das, Vater. Bei den Göttern, sie wissen es seit fünfzehn Jahren und länger.«
Wulfs Atem war aufgebracht, vermischte sich mit dem knackenden Feuer. Nur langsam beruhigte er sich wieder. Eilaf und er standen sich gegenüber. Es war Eilaf der zuerst den Blick niederschlug. Worte sagte, die ein Vater einem Sohn nie sagen sollte.
»Bei den Göttern, ich hätte dich damals verbrennen lassen sollen.« Er sprach so voll Zorn, so voll Bitterkeit wie Wulf ihm antwortete.
»Das hättest du, Vater. Wie recht du hast ...«
Er wandte sich ab.
»Es ist besser, ihr geht jetzt. Was gesagt werden musste, ist gesagt«, knurrte Wulf.
Noch ehe Eilaf und Leif jedoch zur Tür geschritten waren, durchbrach Lärm die verbitterte Stille im Raum. Eilige Schritte erklangen, der unterdrückte Schrei des Mädchens, dann wurde die Zwischentür aufgerissen und Robyn stürzte in das Zimmer. Sie beging in diesem Moment einen fatalen Fehler - doch war es ihre einzige Möglichkeit. Sie lief schutzsuchend hinter Wulf, machte sich Harold endgültig zum Feind und gab das Vertrauen, dass sie zu Wulf hatte, preis. Und Wulf ließ in diesem Augenblick die Tatsache zu, dass seine Frau einen wunden Punkt für ihn darstellen würde. Die Entscheidung traf er schnell und merkwürdig frei von Widerstreben.
Harold konnte nicht verbergen, was er im Stall versucht hatte zu tun. Er kam ins Zimmer, besah sie noch immer gierig, aber auch zornig, ob der erneuten Abfuhr.
»Wag es nicht, sie anzufassen, Harold«, stieß Wulf zwischen den Zähnen hervor, »sie gehört mir.«
»Solange Dora noch im ersten Rausch war, einen Thronerben geheiratet zu haben, gehörte sie auch dir. Aber ihre Einstellung hat sich auch schnell wieder geändert, nachdem sie herausfand, wen sie wirklich geheiratet hatte«, schnaufte Harold.
»Du irrst, Bruder, ich hatte meine Einstellung geändert. Dora war es nicht wert, ihr eine Sekunde nachzutrauern. Sie hatte meine Einwilligung in diese Zwangsehe und den Respekt davor missbraucht und bekommen, was sie verdiente.«
»Ah, die Werte des Kommandanten der Leibgarde des Kaisers von Byzanz«, Harolds verneigte sich spöttisch, »ich hatte ganz vergessen, wie tugendhaft mein Bruder ist. Aber lass dir gesagt sein, Wulf, das war nicht der einzige Grund, warum deine Frau in meine Arme flüchtete. Sie war königstreu, wenn du verstehst, was ich meine.«
»Raus«, sagte Wulf kalt. Dann, an seinen Vater gewandt: »Du hättest besser getan, ihn nach Byzanz zu schicken, vielleicht hätte er dann etwas Mäßigung und Disziplin gelernt.«
»Zumindest steht er auf der richtigen Seite«, grollte Eilaf ihm und ging hinaus. Harold folgte seinem Vater boshaft lächelnd. Nur Leif blieb kurz zurück.
»Es wäre gut, dich einmal in der Halle zu sehen«, meinte er.
»Es wird nichts ändern, Leif, gar nichts«, stieß Wulf hervor, wandte sich diesmal auch von ihm ab, »schließ die Tür hinter dir.«
Leif presste seine Lippen aufeinander und folgte den beiden nach draußen. Die Tür schlug er wütend zu.
Das Schnaufen der Pferde und das Knirschen unter ihren Hufen verklang alsbald in der eisigen Luft. Drinnen legte Wulf etwas Holz nach. Dann besah er Robyn. Er konnte Harolds Begierde recht gut nachvollziehen. Die Nixe atmete nach wie vor heftig, ihr Körper zeichnete sich dabei unter der Tunika ab und ein Mann hätte aus Stein sein müssen, um nicht darauf zu reagieren. Harold jedoch besaß keinerlei Zurückhaltung, Wulf indes hatte es schon immer besser verstanden, sich zu zügeln.
Er ging zu ihr hinüber, legte eine Hand unter ihr Kinn, drehte ihren Kopf zur Seite, besah sich das Ohr. Die Schwellung war leicht zurückgegangen, auch sonst schien sie unversehrt.
»Du solltest dir langsam etwas Ordentliches anziehen, Nixe, wenngleich ich finde, dass dir meine Tunika weitaus besser steht. Aber wie du siehst, bist du nicht sicher in diesem Aufzug. Auch vor mir nicht mehr lange, fürchte ich.«
Er ließ ihr Kinn nicht los, blickte in ihre braunen, gläsernen Augen. Sie schreckte nicht zurück vor ihm, ließ die Berührung ohne Gegenwehr zu.
»Was ...« Sie schluckte, ihre Stimme war rau vom langen Schweigen. »Was meinte dein Vater damit, als er sagte, er hätte dich verbrennen lassen sollen?«
»Hast du alles gehört?«
»Mein anderes Ohr hört noch ganz gut«, gab sie zu. Wulf lächelte, etwas sehr Seltenes. Ihre Lage hatte sie nach anfänglichen Schwierigkeiten nicht verzweifeln lassen. Hier zu leben, hieß diese Welt verstehen zu müssen. Und sie war klug genug gewesen, sehr aufmerksam zu lauschen, um sich die Stücke dieser Welt zusammenzusetzen.
»Eine Ironie eigentlich«, antwortete er dann, »so wenig wie du wolltest, dass ich dich rette, so wenig wollte ich, dass mich Eilaf aus den Trümmern meines brennenden Elternhauses rettete.«
Er konnte beobachten, wie sie Teile zusammensetzte, Schlüsse zog und ihn dabei sehr genau studierte, ihren Blick über seinen Bart und seine Haare streichen ließ.
»Er ist nicht dein richtiger Vater?«
»Gut erkannt, Nixe«, erwiderte er, ihrer Schlussfolge aufgrund der Haarfarbe Rechnung tragend, »wenngleich es keinerlei Auswirkung auf meine Rechte und Pflichten hat. Es mag dir nicht so scheinen, aber hier spielt das Blut keine so große Rolle. Es genügte, dass Eilaf mich als seinen Sohn anerkannte.«
»Warum hat dieser Wiglif das nicht auch mit einem Kind getan, das ihm zugetan war? Dann hätte er doch auch wieder einen Anspruch auf den Thron!«
»Nixe ...«, Wulf vergaß seine Wut für einen Moment, zu sehr überraschte ihn ihre Auffassungsgabe, Doch sie verstand sein Zögern falsch und zog diesmal einen falschen Schluss, der seinen Zorn viel zu schnell wiederkehren ließ.
»Verzeih, ich sollte das nicht fragen ...«
Robyn spürte diese Veränderung. Seine Hand wanderte über ihre Wange und ihr unverletztes Ohr, ergriff ihren Hinterkopf, zog sie unvermittelt zu sich heran.
»Hör nicht auf zu fragen«, zischte er sie an, »hör nie auf zu fragen! Und wenn du all das, was hier vorgeht, verstehst, dann urteile.«
Robyn fühlte, dass sie ihm diesmal nicht entweichen konnte, falls er sie küsste. Doch statt ihren Mund berührten seine Lippen nur ihren Mundwinkel. Ihre Hand schnellte vor, um sich an seinem Hemd festzuhalten. Sie wusste nicht, ob der Schwindel von ihrer Verletzung herrührte oder er sie ausgelöst hatte. Sie bemerkte, dass er ihre Reaktion sehr genau aufnahm, unweigerlich mit jener gegenüber Harolds verglich. Wulf hielt es für ihre Vernunft, doch Robyn wusste ganz plötzlich, dass es nicht allein Vernunft war. Sie fürchtete sich jedoch vor der Zuneigung, die sie ihm gegenüber empfinden könnte. Sie verstand sich nicht.
Er ließ von ihr, sein Zorn hatte ihn bereits zu weit gehen lassen. Jedoch hatte ihre Reaktion ihm gezeigt, dass sie durch ihre Vernunft und ihr Einsehen vielleicht eine ganz gute Ehe führen würden. Zumindest in dieser Hinsicht. Was ihr Urteil betraf, würde er abwarten. Er konnte ihr verbieten, frei wählen zu dürfen, doch er entschied sich dagegen. Er scheute ihre Klugheit nicht. Er würde sie wählen lassen.
Während er seinen Umhang anlegte, stand sie noch immer hinter dem Feuer.
»Schau dich heute etwas um, wenn dir danach ist. Alles hier gehört auch dir, also zögere nicht, es dir anzusehen und zu benutzen. Ich bin in ein paar Stunden wieder hier.«
Ein kalter Luftzug umhüllte Robyn, dann hatte er die Tür wieder geschlossen. Sie war allein.
2.
Es war klirrend kalt geworden, doch Robyn hatte genügend warme Kleidung gefunden, um sich auch außerhalb des Hauses umzusehen. Die frische Luft tat ihr gut, die Schwellung am Ohr war weiter zurückgegangen, die Salbe wirkte, wenngleich sie nicht in der Lage gewesen war, die Kräuter darin zu identifizieren. Wer auch immer sie zubereitet hatte, schien sehr geschickt im Umgang mit Kräutern und der Herstellung von Tinkturen und Salben. Sie würde Wulf bei Gelegenheit nach der Person fragen.
Robyn stapfte weiter, folgte keinem bestimmten Ziel, wollte sich nur eine Weile umsehen. Nicht im Dorf, das wagte sie nicht, aber der Wald interessierte sie. Ath hatte ihr genügend darüber beigebracht, so dass sie bald einige verschneite Sträucher und Bäume identifizieren konnte, andere sah sie zum ersten Mal. Doch die ihr bekannten gaben ihr Hoffnung im Frühjahr einige Kräuter und Wurzeln zu finden, mit denen sie arbeiten konnte. Die Idee war ihr im Haus gekommen, während sie sich dort etwas umgesehen hatte. In einer Kiste hatte sie einige getrocknete Kräuter gefunden. Sie wollte Wulf bitten, ihr zu gestatten, weitere zu sammeln, damit sie selbst Salben und ein paar andere Heilmittel herstellen konnte. Sie wusste, dass die Nordmänner mit allem Handel betrieben, vielleicht konnte sie ihn damit unterstützen. Sie hatte erschreckt festgestellt, dass Gedanken einer Ehefrau und ihre Pflichten sie beschäftigten. Dann jedoch musste sie an ihren Vater denken. Er hatte sich in noch so schweren Situationen zurechtgefunden, hatte ihnen Gutes abgewonnen, sie nüchtern über sich ergehen lassen. Er hatte ihr beigebracht, Tatsachen zu akzeptieren. Jedem war es erlaubt verzweifelt zu sein, in der Stunde der Not keinen Ausweg zu sehen. Aber Wulf hatte sie aus dem Wasser befreit. Und er hatte ihr eine zweite Chance gegeben. Er hatte sie akzeptiert, eine Zwangsehe, eine Angelsächsin, den Groll seines Bruders, seines Vaters. Sie musste das auch. Ath hätte sich der Situation genau so angepasst, versucht klar zu denken, in die Zukunft zu schauen.
Sie entdeckte einen weiteren ihr bekannten Strauch. Sie wusste aus Erfahrung, dass in seiner Nähe einige Kräuter und Pflanzen wuchsen, die sie später verwenden konnte. Sie sah sich um. Hier standen die Bäume noch dicht beieinander, aber weiter Richtung Westen wurde es lichter. Birken wuchsen dort, eine kleine Lichtung tat sich auf. Dann blickte sie zurück. Sie kannte den Weg noch immer. Ihre Orientierung hatte nicht nachgelassen, dem Sonnenstand zufolge war sie auch nicht lang unterwegs. Sie wusste, sie würde bald umkehren müssen, wenn Wulf zurückkam. Beruhigt schlug sie den Weg zur Lichtung ein. Die Sonne, die bald die obersten Wipfel der Bäume berühren würde, schien ohne den Hauch von Wärme auf sie herab. Doch Robyn hatte sich genug bewegt, sie spürte keine Kälte, obgleich ihr die Kälte in diesem Land fremd erschien. Sie roch das Meer in der Nähe, die Luft war feuchter, doch eisig. Der Wind, den das Meer brachte, konnte das Wetter scheinbar schnell ändern. Eigenartig schien ihr auch die Tatsache, dass die Einbuchtung, durch die sie an den Strandabschnitt des Dorfes gelangt waren, nicht zugefroren war. Ob eine warme Strömung das Wasser frei von Eis hielt?
Robyn zog ihren Schal enger, der ihren Kopf und ihr Gesicht schützte, und ging den Rand der Lichtung ohne bestimmtes Ziel ab. An einer Stelle scharrte sie den Schnee etwas beiseite und beugte sich näher darüber, als der Grund sichtbar wurde. Wie sie vermutet hatte, gab es noch etwas vergilbtes Gras darunter, einiges sogar noch grün. Sie nahm ihre Hände zu Hilfe und schaufelte etwas mehr Schnee weg. Nichts.
Sie ging weiter, versuchte sich die Lichtung im Sommer vorzustellen. Eigenartig. Es bereitete ihr keine Mühe. Sie blieb stehen, lauschte ihrem Atem, der in kleinen Wolken vor ihr aufstieg. Ein leises Geräusch, doch voll Frieden und Reinheit. Ansonsten nichts. Kein Laut. Nur Stille. Sie schloss die Augen. Nach einer Weile konnte sie die Gräser zischen hören, während sie sich dem Wind beugten. Die Bäume, die wunderschönen Birken rauschten bei jedem Windstoß, dann schwiegen sie wieder. Für einen Moment hörte sie Kinderlachen und schrak aus ihrem Tagtraum, schrak daraus wie nach einem heftigen Schlag. Doch der Gedanke verflüchtigte sich so schnell wie er gekommen war. Sie stand wieder fast knietief im Schnee, schaute über die karge, gleißende Lichtung. Dann sah sie plötzlich einen Schatten hinter einer Birke, der sich erst bewegte, um dann wieder still zu verharren. Es war genug, um sie davonlaufen zu lassen. Sie war nicht allein auf dieser Lichtung.