Kitabı oku: «Homeward Bound», sayfa 4

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Micha schluckte und zog eine Grimasse. »Swift, ich… ich bin verhaftet worden.«

Swift zog die Augenbrauen hoch. »Ja«, sagte er bedächtig. »Aber Rhett meinte, es wäre ein Missverständnis gewesen. Du wusstest nicht, was dieser Kerl plante. Er hat dich ausgetrickst und da reingezogen.«

Micha blinzelte einige Male. »Das wusstest du alles schon?«

Swift rieb ihm mit den Daumen über die Schultern. »Ja. Und es tut mir leid, dass dir das passiert ist. Aber ich verstehe es. Wir vertrauen dir immer noch. Ich beurteile die Menschen danach, was sie hier und jetzt tun.« Er lächelte. »Und ich habe einen Mann erlebt, der liebevoll und geduldig zu dem Kind war, das heute der wichtigste Mensch in meinem Leben geworden ist. Ja. Du kannst mich und Imogen jederzeit besuchen. Sie hat gerade viel Aufregung in ihrem Leben gehabt und ich bin mir sicher, sie wird sich über ein bekanntes Gesicht freuen.«

Micha rieb sich nickend die Augen. Swift trat zur Seite, bevor es noch peinlicher wurde. Es hatte sich so richtig angefühlt, Micha an den Schultern zu halten.

Hoffentlich behielt er recht. Micha lächelte ihm verhalten zu. »Vielen Dank.«

»Kein Problem«, versicherte ihm Swift. Es war schön, mit Micha so offen reden zu können. Er hielt offensichtlich noch viel Schmerz in sich zurück, aber seine Abwehrhaltung ließ langsam nach. »Wollen wir Imogen suchen?«

Michas Gesicht hellte sich auf. Es war herzerwärmend.

»Ja«, sagte er und hob seine Kiste wieder auf. »Sie wird sich über ihre neuen Sachen so freuen!« Micha machte eine Pause und sah sich auf dem Dachboden um. »Ich weiß, Darcy hat gesagt, du könntest dir Peppers Sachen nehmen, aber… Imogen liebt Piraten und Entdeckungen und Raumschiffe und so. Wollen wir noch nach den Kisten von Charles suchen? Dass sie ein Mädchen ist, heißt noch lange nicht, dass sie keine Dinosaurier mag.«

Swift atmete auf. »Wow«, sagte er und fühlte wieder den Kloß im Hals. »Du kennst sie schon besser als ich. Mein Gott.«

»Sorry«, entschuldigte sich Micha hastig.

»Du musst dich nicht entschuldigen«, sagte Swift und blies die Backen auf. »Ich habe mir seit heute Morgen schon Dutzende Male gesagt, es gäbe keinen Grund zur Panik und ich müsste nur einen Schritt nach dem anderen machen. Aber ich bin es gewohnt, alles genau zu planen. Alles! Es dauert immer einige Zeit, bis ich mich an eine neue Situation gewöhnt habe. Und diese Zeit habe ich jetzt nicht. Imogen ist hier. Jetzt. Und sie braucht mich.«

Micha lächelte mitfühlend. »Würde es dir helfen, wenn ich dir sage, dass du das prima machst? Und…« Er biss sich auf die Lippen. »… wenn ich dir irgendwie helfen kann, wäre mir das eine Ehre. Ich habe momentan noch keinen Job und falls du einen Babysitter brauchst, dann… Nun, dann springe ich gerne ein.«

Eine merkwürdige Wärme breitete sich in Swifts Magen aus. Wie Micha ihn ansah… Er war nicht sicher, wie er Michas Blick interpretieren sollte, aber sein Herz schlug schon wieder diese kleinen Purzelbäume.

»Danke«, sagte er aufrichtig. »Ich glaube, auf dieses Angebot komme ich noch zurück.«

Kapitel 6

Micha

Micha konnte es schaffen. Jedenfalls redete er sich das ein. Er holte tief Luft, hielt sich an der Kante der Theke fest und starrte die Kasse an. Er musste sich erst daran erinnern, dass sie nicht sein Feind war.

Er war das gewohnt. Er hatte in Seattle in Bars gearbeitet. Trotzdem kam ihm diese Schicht im Diner seiner Eltern vor wie eine Mischung aus Hirnoperation und Atomwissenschaft. Er durfte sie nicht im Stich lassen und Mist bauen.

Micha hatte als Teenager, wie jedes andere Familienmitglied auch, oft im Diner ausgeholfen. Ob in den Sommerferien oder als Teilzeitjob – sie trugen alle dazu bei, damit im Sunny Side Up immer alles wie am Schnürchen lief. Micha holte wieder tief Luft. Aus der Küche drang der köstliche Geruch der Bratkartoffeln, die Dad dort zubereitete. Micha schaute in die zufriedenen Gesichter der Gäste, die sich angeregt unterhielten.

Der Diner war das Herz der Stadt. Hier verabredeten sich junge Paare, hier fanden Geschäftsessen statt oder man traf sich einfach nur zum Plausch mit Freunden. Seit über zwei Generationen wurden hier die Einheimischen genauso freundlich willkommen geheißen wie Zugezogene oder Fremde, die nur auf der Durchreise waren.

Im Gegensatz zu seiner Familie war es Micha nicht leichtgefallen, sich in Pine Cove heimisch zu fühlen. Trotzdem war er unglaublich stolz auf die Leistung seiner Eltern.

Er drückte die Finger durch und bediente die Tasten in der richtigen Reihenfolge, um die Bestellung einzugeben. Seine Schicht näherte sich bereits dem Ende und er musste nicht mehr lange durchhalten.

»Alles in Ordnung, Onkel Micha?«

Er schaute auf. Es war seine Nichte Rona, die ihn freundlich anlächelte. Sie ging noch zur Schule – vorletzte Klasse – und half an mehreren Tagen in der Woche für einige Stunden aus. Rona hatte Logans kastanienbraune Haare und Sommersprossen, aber das schiefe, glückliche Lächeln ihrer Mutter. Sie schob einige Geldscheine in die Trinkgelddose und nahm zwei Speisekarten von dem Stapel, der auf der Theke lag.

Weder Rona noch ihre Familie waren auf das Geld angewiesen, das sie hier verdiente. Aber sie war – wie Swift und Rhett – ein sehr kontaktfreudiger Mensch. Sie machte diese Arbeit gern und die Perkins legten Wert darauf, ihren Kindern schon früh Verantwortung zu übertragen und Arbeitsmoral beizubringen.

Micha musste zugeben, dass er auch gerne mit Menschen zu tun hatte. Er machte sich nur allzu oft Gedanken, was sie wohl von ihm halten mochten – vor allem im Sunny Side Up. Er wollte nämlich keinesfalls den Ruf seiner Familie schädigen, indem er eine falsche Bestellung auslieferte oder unabsichtlich einen Gast verärgerte.

Doch das war nicht passiert. In wenigen Minuten war seine Schicht zu Ende und er konnte mit Fug und Recht behaupten, ehrliches Geld für ehrliche Arbeit verdient zu haben. Es war schon einige Monate her, seit er das letzte Mal so stolz auf sich gewesen war.

Micha schüttelte den Kopf und lächelte Rona an. »Alles bestens. Danke.«

Sie zwinkerte ihm zu und machte das Zeichen für Gern geschehen.

Carlee, ihre jüngere Schwester, hatte einen angeborenen Hörschaden und die ganze Familie hatte sich zusammengetan, um so schnell wie möglich die amerikanische Gebärdensprache zu lernen. Sie wechselten oft zwischen den beiden Sprachen oder machten die passenden Gebärden zu ihren Worten, auch wenn Carlee nicht in der Nähe war.

Micha wurde an Swift erinnert und sein Herz fing an zu pochen.

Seit ihrem Gespräch auf dem Dachboden waren zwei Tage vergangen und Micha konnte immer noch nicht aufhören, daran zu denken. Er spielte das Erlebnis – die guten Augenblicke wie die schlechten – immer wieder in seinem Kopf ab wie einen Film. Swift hatte… ihn verwirrt.

Micha konnte verstehen, warum Swift Bammel hatte, nachdem er so plötzlich Vater geworden war. Aber Micha hatte es ernst gemeint, als er sagte, dass Swift ein guter Vater sein würde. Swift sorgte sich um die Menschen und würde seine neue Rolle meistern. Micha war allerdings erstaunt darüber, wie Swift über ihn selbst gesprochen hatte.

Er spielte die Worte immer wieder in seinem Gedächtnis ab. Swift schien regelrecht beeindruckt gewesen zu sein. Als wäre es eine so große Sache, die Gebärdensprache zu lernen. Micha wusste genau, wie es war, wenn man sich allein fühlte und niemanden hatte, mit dem man reden konnte. Er hätte niemals zugelassen, dass seine Nichte das erleben müsste. Nicht, solange er es verhindern konnte.

Es war ein gutes Gefühl gewesen, von Swift so gelobt zu werden.

Und dann waren da noch diese anderen Worte, die sich in Michas Kopf festgesetzt hatten und die er kaum fassen konnte.

»Ich verstehe es. Wir vertrauen dir immer noch.«

Wie konnte Swift den Mist einfach so beiseitewischen, den Micha gebaut hatte? Hatte er nicht verstanden, dass Micha nur deshalb einer Haftstrafe wegen Beihilfe entgangen war, weil es sein erstes Vergehen war? Hatte Rhett es ihm nicht richtig erklärt?

Es lief alles auf das Gleiche hinaus – Micha war wie vor den Kopf geschlagen und fühlte sich vielleicht sogar etwas bedroht durch die Tatsache, dass ein so netter Mensch wie Swift etwas mit ihm zu tun haben wollte. Swift hatte nämlich darauf bestanden, dass er und Micha ihre Handynummern austauschten, bevor er gestern mit seiner Mom und Imogen das Haus verließ.

Und dann hatte er Textnachrichten geschickt.

Es war lächerlich, denn obwohl sie sich nur einige nichtssagende Nachrichten geschickt hatten, las Micha sie wieder und wieder durch. Sie waren herzerwärmend und beruhigten seine Nerven, wenn er über seine unsichere Zukunft nachdachte und darüber, wie ihm die Kontrolle über sein Leben entglitten war. Swifts Worte gaben ihm Halt im Hier und Jetzt. Sie gaben ihm sogar fast so etwas wie Hoffnung.

Und deshalb umarmte er seinen Dad in der Küche des Sunny Side Up zum Abschied und ging hinaus in die kühle Abendluft, wo er sofort sein Handy einschaltete, um die letzten Nachrichten noch einmal durchzulesen.

Und entdeckte eine brandneue Nachricht von Swift, als er auf den Bildschirm schaute.

Michas Herz pochte, als er Swifts Namen las. Früher hatten sie nie miteinander telefoniert. Micha fühlte sich seltsam bestätigt – als wäre er endlich ein erwachsener Mann mit erwachsenen Freunden, die Kinder und einen Beruf hatten.

Hey, Kumpel. Du hast nicht zufällig Zeit, oder?

Wie kryptisch. Die Nachricht war erst eine halbe Stunde alt. Micha hatte noch gearbeitet, sonst hätte er sie früher beantwortet. Trotzdem bekam er beinahe ein schlechtes Gewissen, weil er Swift hängen lassen hatte.

Jetzt schon! Ich habe gerade meine Schicht im SSU beendet. Alles okay?

Er blieb verlegen auf dem Bürgersteig stehen. Am Horizont ging die Sonne unter. Micha schaffte es nicht, den Bildschirm länger als einige Sekunden blockiert zu lassen, dann aktivierte er ihn wieder und sah nach, ob schon die blinkenden Punkte aufgetaucht waren, die anzeigten, dass Swift an einer Antwort schrieb.

Nach einigen erschöpfenden Minuten des Hin und Hers, die Micha entsetzlich an den Nerven zehrten, fingen die Punkte endlich zu blinken an. Er schnappte nach Luft, verschluckte sich und musste abwinken, als einige Passanten besorgt stehen blieben. Es war hoffnungslos, aber er konnte nicht verhindern, wie aufgeregt er reagierte. Und das nur, weil Swift sich die Zeit nahm, ihm zu schreiben.

Wir haben eine Krise. Ich bin fix und alle. Ich könnte Unterstützung brauchen.

Micha hielt die Luft an und starrte auf den Bildschirm. Seine erste Reaktion war Mitleid. Er wusste sehr gut, wie traumatisch die Gefühlsausbrüche eines Kindes sein konnten. Sie fingen einfach zu schreien an, weil sie sich nicht besser artikulieren konnten. Und jetzt bat ihn Swift um Hilfe, obwohl Micha betont hatte, dass seine Geschwister schon Eltern waren und mehr Erfahrung mit Kindern hatten. Es war ein so erhebendes Gefühl für ihn, dass er sich nicht mehr darum scherte, ob er vielleicht nur Swifts zweite, dritte oder gar vierte Wahl war. Wenn sonst niemand greifbar war, hatte Micha Zeit für ihn. Pops war so nett gewesen, ihn bei der Versicherung seines Autos auf die Liste der Fahrer setzen zu lassen, sodass er sogar sein eigenes Transportmittel hatte, um auf die andere Seite der Stadt zu fahren.

Micha hatte noch nie jemanden gerettet. Er war anderen Menschen immer nur zur Last gefallen. Die Vorstellung, jetzt ausnahmsweise nützlich sein zu können, war berauschend. Und sie kam überraschend. Weil Micha gar nicht erst infrage stellte, ob er helfen konnte oder nicht. Vielleicht wusste er innerlich, dass Swift recht hatte. Micha konnte gut mit Kindern umgehen.

Ich bin gleich da. Wo wohnst du? Soll ich etwas mitbringen?

Micha war komplett pleite, aber es kam ihm nicht wie eine überflüssige Ausgabe vor, für Swift oder Imogen Geld auszugeben. Wenn er ihnen über die ersten Tage hinweghelfen konnte, wollte er sich nicht lumpen lassen.

Nein. Es wäre einfach nur toll, wenn du kommst. Ich könnte schreien!

Michas Herz schlug einen Purzelbaum.

Swift wollte ihn sehen.

Nicht so, schalt er sich. Aber es war schön, diese Vorstellung für einen flüchtigen Augenblick zu genießen.

Swift schickte sofort seine Adresse. Micha lief zu Pops' Auto und gab schon auf dem Weg dorthin die Adresse in sein Handy ein, um sich die Fahrtroute anzeigen zu lassen. Der Wegbeschreibung nach hatte er vier Minuten Zeit, um sich wieder zu beruhigen und mit der Tatsache abzufinden, dass Swift Coal ihm Aufmerksamkeit schenkte.

Micha hielt sich zurück und drückte nur einmal kurz auf den Klingelknopf, als er vor Swifts Haus stand. Es war ein hübsches, einstöckiges Haus mit einer kleinen Treppe, die auf eine überdachte Veranda führte. Die Holzwände und das Dach waren graublau gestrichen, die Fenster und die Kanten an den Hausecken weiß. Der Vorgarten war mit Holzschnitzen bestreut und der kleine Weg zur Veranda mit rundlichen Steinen gepflastert. Hinterm Haus war ein grüner Rasen zu erkennen.

Es fühlte sich wie ein Zuhause an, auch wenn es etwas klein war. Es hatte Herz. Imogen hatte Glück, in dieses Haus gekommen zu sein. Micha hätte diese Chance sofort beim Schopf gepackt.

Er war in seine Gedanken versunken, als vor ihm die Haustür aufgerissen wurde.

Michas Kopf wurde sofort wieder klar, als er die Panik in Swifts Gesicht sah. Leichter Brandgeruch schlug ihm entgegen und von weiter hinten im Haus war jämmerliches Heulen zu hören.

»Oh, Gott sei Dank«, krächzte Swift. Er trug eine Jogginghose und ein altes, ausgewaschenes T-Shirt der Pine Cove Lumberjacks. Seine blonden Haare waren feucht und kringelten sich um die Ohren. Swift schluckte und warf einen besorgten Blick nach hinten. »Es wird immer schlimmer.«

Micha wusste, wenn die Lage völlig außer Kontrolle geriet, gab es nur ein wirksames Hilfsmittel. Brie war darin besonders gut und Pops hatte auch sofort dazu gegriffen, als er Micha letzte Woche aus dem Gefängnis abholte.

Micha überlegte nicht lange. Er ging auf Swift zu und umarmte ihn wie einen seiner Brüder.

»Alles gut«, sagte er beruhigend und rieb ihm über den Rücken, ohne sich darum zu kümmern, dass Swift die Umarmung nicht erwiderte. »Du schaffst das schon. Kinder sind manchmal so.« Swift blinzelte wie eine Eule, als Micha ihn wieder losließ. »Was ist eigentlich passiert?«

Swift holte zitternd Luft. Es war ein merkwürdiges Gefühl, diesen großen, starken Mann so hilflos zu sehen. Swift war aus Sorge um Imogen mit den Nerven am Ende. Genau das hatte Micha gemeint, als er von einem guten Vater sprach.

Swift nickte. »Komm rein«, sagte er und trat zur Seite. Micha putzte sich auf der Fußmatte sorgfältig die Schuhe ab und betrat das Haus.

Dann blieb er stehen.

Oh. Wow. Er erkannte das Problem sofort.

Er befand sich in einem Flur, der zur Küche führte. Rechts waren das Wohnzimmer und ein Badezimmer. Links befanden sich die beiden Schlafzimmer. Das Haus mochte von außen rustikal wirken – wie die meisten Häuser der Stadt –, aber innen hatte Swift ihm seinen Stempel aufgedrückt.

Die Wände waren – wie außen – graublau mit weißen Leisten. Auf den Tischen standen silberfarbener Nippes und Schalen mit Glaskieseln und an den Wänden hingen moderne Spiegel und gerahmte Bilder. Überall befanden sich kleine Lautsprecher und die Lichtschalter waren aus Chrom. Das Haus war offensichtlich rundum verkabelt und hatte in jedem Zimmer Medienanschlüsse.

Es war das Haus eines Erwachsenen. Es war so sauber und aufgeräumt, dass Micha sich fragte, ob Swift jedes Objekt mit dem Maßband positioniert und ausgerichtet hatte. Es gab nicht ein einziges Staubkörnchen. Alles wirkte leicht unterkühlt.

Eine Fünfjährige und ihre Katze waren in ein perfektes, makelloses Haus verpflanzt worden – mehr ein Hotel als ein Ort, an dem wirklich jemand lebte. Nicht, dass Micha jemals in einem solchen Haus gewesen wäre. Aber er kannte sie aus dem Fernsehen.

Wie aufs Stichwort kam Butter aus dem Nichts in den Flur geschossen und sprang wie ein Ninja auf einen der kleinen Tische.

Es war der Tisch mit der Kristallvase.

Das Entsetzen musste sich deutlich in seiner Miene abgezeichnet haben, denn Swift riss die Augen auf, wirbelte herum und… sah gerade noch, wie Butter mit der Tatze nach der Vase schlug.

»Nein!«, krächzte Swift. »Böse Katze!« Er machte einen Schritt auf sie zu und Butter hob zum zweiten Mal die Pfote. Die Vase kam ins Wanken. Butter sah Swift an, als wollte er fragen: Und was gedenkst du, dagegen zu unternehmen? »Butter«, knurrte Swift. »Untersteh dich und… Nein!«

Er hechtete auf Butter zu. Der Kater stieß sich mit den Pfoten von der Vase ab und sprang auf den Boden. Die Vase folgte ihm in freiem Fall und zersprang in tausend Scherben.

Micha schlug sich japsend die Hände vors Gesicht.

Imogens Weinen verstummte schlagartig. Ohrenbetäubende Stille breitete sich aus. »Es tut mir so leid«, flüsterte Micha. »War sie sehr teuer?«

Swift stöhnte aus voller Brust und rieb sich ungläubig die Augen. Seine Hand war mit Pflastern übersät, die er zweifellos Butters Krallen zu verdanken hatte. »Die Vase ist mir egal«, sagte er traurig. »Aber der ganze Boden ist mit Scherben übersät, die Katze hasst mich und meine Tochter weint unaufhörlich. Jedenfalls hat sie das, oder?«

Unglücklicherweise war in diesem Moment wieder ein herzerweichendes Schluchzen zu hören und ein frustrierter Schrei klang aus dem Wohnzimmer. Micha sackte das Herz in die Magengrube. »Pass auf… Mach dir keine Sorgen wegen der Scherben. Die haben wir im Nullkommanichts aufgesaugt.«

Er zeigte mit dem Kopf in Richtung des Heulens. »Und wodurch ist das ausgelöst worden?«

Swift rieb sich den Nacken. »Ich wollte ihr Abendessen kochen, aber sie will nichts anderes essen als Gettios. Was immer das auch sein mag«, erklärte er niedergeschlagen. »Und dann sagte sie, ihre Mom würde ihr immer diese Gettios machen und sie müsste nicht in die Schule gehen.« Er knabberte nachdenklich auf seiner Unterlippe herum. »Morgen ist ihr erster Schultag.«

Micha hatte Mitleid mit ihm. Swift war offensichtlich vollkommen unvorbereitet ins kalte Wasser geworfen worden. »Der Anfall ist absolut normal, wenn man bedenkt, was sie in letzter Zeit mitgemacht hat. Ist es das erste Mal, dass sie so reagiert?«

Swift nickte. »Ich wusste nicht, was ich mit ihr anfangen sollte. Ihr Zimmerarrest geben? Ich weiß, sie muss vieles erst verarbeiten. Aber sie muss auch essen und morgen in die Schule gehen.«

Micha nickte voller Mitgefühl. »Wollen wir mit ihr reden?«

Swift sah mit großen Augen zwischen dem Scherbenhaufen und dem Wohnzimmer hin und her, dann nickte er auch. Micha wollte ihm auf die Schultern klopfen und ihm versichern, dass sie nicht in eine Schlacht ziehen mussten und es schon nicht so schlimm kommen würde. Aber das Selbstvertrauen, das vorhin auf der Veranda zu der Umarmung geführt hatte, war wie vom Erdboden verschwunden. Nur seine übliche Schüchternheit war ihm geblieben.

Also lächelte er Swift nur zurückhaltend an. »Wir schaffen das schon. Komm jetzt.«

Sie näherten sich vorsichtig dem Wohnzimmer. Micha warf einen kurzen Blick in die Küche, aber die Herdplatten schienen alle abgeschaltet worden zu sein. Was immer auch so angebrannt gerochen hatte, stellte keine Gefahr mehr dar. Eine Sorge weniger.

Das Wohnzimmer ähnelte – wie der Flur – mehr einer Galerie oder der Lobby eines Hotels als einem Zuhause. Alles war einfarbig und hart mit scharfen Kanten. Jedenfalls war es das gewesen, bevor eine Spielzeugkiste auf dem Holzfußboden explodiert war. Als wäre eine Bombe eingeschlagen, lagen überall Puppen, Dinosaurier, Malbücher und Springseile verstreut. Micha sah Swift an, der nur das Gesicht verzog.

»Tut mir leid, dass es hier so unordentlich ist«, flüsterte er.

»Mann«, sagte Micha und das Selbstvertrauen von vorhin meldete sich wieder zurück. »Du hast jetzt ein Kind. Das bisschen Unordnung ist noch gar nichts.« Swift blinzelte ungläubig, als wäre ihm dieser Gedanke bisher noch nicht gekommen.

Imogen lag zusammengerollt auf dem Sofa und schniefte. Ihr Gesicht war rot geweint und die Brille war ihr von der Nase gerutscht und auf den Boden gefallen. Sie hielt Butter, der vor ihr auf dem Sofa lag, fest an sich gedrückt. Er musste nach seiner Vandalismusattacke direkt zu ihr gerannt sein. Jetzt drehte er den Kopf zu den beiden Eindringlingen um und funkelte sie zornig an, als wollte er sagen: Wie könnt ihr meiner Prinzessin so etwas antun? Vielleicht war er deshalb über die Blumenvase hergefallen. Vielleicht hatte er Swift dafür bestrafen wollen, Imogen zum Weinen gebracht zu haben.

Micha hob beschwichtigend beide Hände in die Luft, als er sich dem Sofa näherte. Er wollte die Katze und das Kind nicht noch mehr aufregen. »Hey, Imogen«, sagte er leise und rollte sich die Ärmel seines T-Shirts hoch, um seine Tattoos zu zeigen. »Erinnerst du dich noch an mich?«

Imogen schniefte und holte zitternd Luft, als sie die Tattoos sah. »Onkel Micha«, sagte sie mit belegter Stimme. »Hallo.«

Micha lächelte freundlich. Obwohl sie sichtlich aufgeregt war, hatte sie ihre guten Manieren nicht vergessen. »Hallo.« Er kniete sich vor dem Sofa auf den Boden, hob die Brille auf und setzte sie ihr vorsichtig auf die rote Nase. Dabei hielt er sich von Butter fern, der mit dem Schwanz schlug und die Ohren gefährlich nach hinten gelegt hatte.

»Was ist denn hier passiert?«

»Ich will Gettios!«, schrie sie mit bebenden Lippen und Tränen in den Augen.

Micha hatte keine Angst vor ihr. Kinder meinten es oft nicht so. Ihr Schreien war meistens nur ein Zeichen der Hilflosigkeit, weil sie von ihren Gefühlen überwältigt wurden. Sie waren ganz anders als Erwachsene, bei denen man oft mit Hintergedanken rechnen musste.

»Ich will?«, sagte Micha und zog die Augenbrauen hoch. »So bekommst du gar nichts. Wie wäre es, wenn du es mit Machst du mir bitte SpaghettiOs, Daddy? versuchst?«

Hinter Micha ging Swift ein Licht auf. »Oh.«

Micha lächelte. Er hatte die Lösung des Rätsels auch erst gefunden, als Imogen das Wort laut sagte.

Imogen holte bebend Luft und biss sich auf die Lippen. »Machst du mir bitte SpaghettiOs, Daddy? Danke.« Ihre Stimme klang etwas verzagt, aber schon viel ruhiger.

Swift gab ihr jedoch keine Antwort. Micha drehte den Kopf zu ihm um und nickte ihm unauffällig zu. Er konnte den blauen Augen ansehen, dass Swift keine SpaghettiOs im Haus hatte. Aber das war kein Problem. Sie konnten improvisieren oder schnell in den Laden fahren und welche kaufen.

Normalerweise hätte Micha Swift geraten, Imogen nach ihrem Wutanfall nicht nachzugeben. Doch in diesem Fall war es anders. Ihre Welt war auf den Kopf gestellt worden und sie sehnte sich nach etwas Vertrautem. Außerdem hatte sie Swift höflich darum gebeten, nachdem Micha es von ihr verlangt hatte. Seiner Meinung nach hatte sie dafür eine Belohnung verdient.

Swift sah ihn einen Moment an, dann zuckte sein Mund in der Andeutung eines Lächelns und er atmete aus. »Hey, mein Häppchen«, sagte er zu Imogen und kniete sich neben Micha vors Sofa. »Ich habe nicht dieselben SpaghettiOs wie Mommy. Aber die sind ja auch Imogen und Mommys spezielles Abendessen, nicht wahr? Darf Daddy dir andere Spaghetti machen? Mit Käse?«

Imogens braune Augen weiteten sich. »Ich esse gerne Käse«, sagte sie ernst.

»Prima«, erwiderte Swift, durch und durch erleichtert.

Imogen hickste und streichelte Butter über den Kopf, der genießerisch schnurrte. Offensichtlich spürte er, dass sein Frauchen sich wieder beruhigt hatte, obwohl er Micha und Swift immer noch finster anblickte. »Es tut mir leid, dass ich so geschrien habe, Daddy«, sagte Imogen mit aufrichtigem Bedauern in der Stimme.

»Schon gut, mein Häppchen«, sagte Swift. Micha gefiel der neue Kosename und Imogen ging es offensichtlich genauso, weil sie ihren Vater anstrahlte. »Es hilft Daddy, wenn du wie ein großes Mädchen sprichst. Ich bin sehr stolz auf dich.«

Imogen senkte den Blick und schaute eine Weile auf den Boden. »Mommy schreit oft«, murmelte sie. »Und sie wirft Sachen. Aber nicht meine Sachen. Danach ist sie traurig, wenn sie kaputt sind.«

Micha hatte einen Kloß im Hals. Er hatte nicht gefragt, welche Probleme Imogens Mutter hatte, aber Rhett meinte, es wäre wohl eine Mischung aus Depressionen und Alkoholismus. Micha war nur froh, dass sie es nicht an Imogen ausgelassen hatte, obwohl es für das Kind trotzdem hart gewesen sein musste. Imogen reagierte vermutlich sehr empfindlich, wenn etwas zu Bruch ging. Als Butter die Vase von der Kommode geworfen hatte, war sie durch das Geräusch vermutlich an ihre Mutter erinnert worden.

Swift leckte sich über die Lippen und suchte nach einer passenden Antwort.

»Mommy ist an einem Platz mit vielen netten Ärzten und Krankenschwestern, mein Liebling. Sie gibt sich ganz viel Mühe, damit es ihr bald wieder besser geht. Dann kann sie zu dir zurückkommen.« Imogen blinzelte hinter ihrer rosa Brille und nickte dann ernst. Swift lächelte. Ein glücklicher und entspannter Swift war wunderschön. »Willst du zu mir kommen?«, fragte er seine Tochter und streckte die Arme aus.

Imogen schnappte nach Luft und kam vom Sofa direkt in die Arme ihres Dads gekrabbelt. Unglücklicherweise scheuchte sie damit Butter auf und ließ Micha schutzlos zurück.

Micha erstarrte und sah der Katze in die Augen, die mit dem Schwanz schlug und bedrohlich knurrte. Micha traute sich nicht, auch nur einen Finger zu rühren.

»Braaaves Kätzchen«, flüsterte er.

Heute musste Michas Glückstag sein. Butter ließ ihn links liegen, sprang vom Sofa und… machte sich mit seinen Krallen über die Polster her.

»Oh nein, Butter!«, schrie Swift und klatschte laut in die Hände. Micha und Imogen zuckten erschrocken zusammen und Butter stob in Richtung Flur davon.

»Mann, du brauchst einen Kratzbaum. Dringend«, sagte Micha kopfschüttelnd.

Swift zog die Augenbrauen hoch. »Oh, das ist eine gute Idee.«

Gott stehe ihm bei. Er war so vollkommen ahnungslos. Es war schon komisch. Swift hatte so viele jüngere Geschwister und war immer für sie da gewesen – und doch war er in vieler Hinsicht immer noch komplett ahnungslos.

Vielleicht waren es vor allem die praktischen Dinge?

»Willst du deine Spielsachen aufräumen, während Daddy und Onkel Micha das Abendessen kochen?«, schlug Micha Imogen vor, die sich übers Gesicht rieb und schon wieder lächelte. Es war besser, sie aus dem Flur fernzuhalten, solange die Scherben noch nicht aufgesaugt waren. Hoffentlich war Butter auch so klug gewesen. Imogen nickte und Micha schlug sich mit der Hand an die Stirn. »Halt!«, rief er, als wäre ihm gerade noch etwas eingefallen. »Erst musst du mir dein Lieblingsspielzeug zeigen!«

Imogen schlug die Hände zusammen, drehte sich auf der Stelle um und stürzte sich auf ein kleines Piratenschiff aus Plastik. »Das hier! Ich bin die Kapitänin und wir segeln um die Welt und entdecken neue Blumen und besuchen fremde Völker. Schau nur! Es ist wie dein Bild!« Sie zeigte stolz auf Michas Tattoo und brachte ihn damit zum Lächeln.

»Genauso ist es«, stimmte er ihr zu. »Okay. Was meinst du wohl, wie schnell du hier aufräumen kannst?«

»Super-super-schnell!«

Micha riss den Mund auf. »So schnell? Na gut. Daddy und Micha sind in der Küche, ja? Du kannst uns rufen, wenn du uns brauchst.«

Sie nickte, drückte sich das Piratenschiff an die Brust und fing an, mit ihrer freien Hand die Barbiepuppen fein ordentlich in einer Reihe aufzustellen.

Micha schaute auf, als er Swift mit einem erleichterten Lächeln auf den Lippen vor sich stehen sah. Swift holte einen Staubsauger, einen Handfeger und ein Kehrblech aus dem Schrank im Flur. Sie fegten und saugten den Flur und innerhalb weniger Minuten waren die Scherben verschwunden. Der kleine Tisch stand zwar jetzt leer, aber wenigstens war der Fußboden keine Gefahr mehr. Micha brachte die Scherben auf dem Kehrblech nach draußen, wo er sie direkt in die Mülltonne kippte. Dann folgte er Swift zurück ins Haus und in die Küche und…

… hatte plötzlich ein komisches Gefühl im Bauch. Mit Imogen darüber zu reden, war einfach. Aber jetzt war er mit Swift allein. Selbst Butter hatte sich verzogen. Micha hatte keine verdammte Ahnung, was er zu Swift sagen sollte.

Swift lehnte sich an die Anrichte, fuhr sich mit den Fingern durch die blonden Haare und lachte erleichtert.

»Verdammt aber auch«, flüsterte er so leise, dass Micha ihn kaum verstehen konnte. »Das war unglaublich«, fuhr er dann etwas lauter fort. »Du bist ein Genie. Wie hast du das nur gemacht?«

Micha lächelte schüchtern und steckte die Hände in die Hosentaschen. »Äh… Übung. Ich bin froh, dass ich dir helfen konnte. Ich nehme an, Rhett und die anderen waren beschäftigt?«

Swift sah ihn verwirrt an. »Was? Nein.« Er lachte. »Mann, ich habe dich zuerst angerufen. Ich hoffe, es stört dich nicht. Aber die anderen muntern mich nur auf: Du schaffst das schon, Kumpel! Sie verstehen mich nicht, wenn mich die Nerven im Stich lassen. Du hörst mir zu.«

Er beugte sich vor und fasste Micha am Ellbogen. Micha hatte immer noch die Ärmel hochgekrempelt und Swifts Hand berührte seine nackte Haut. Es war fast, als würde ein elektrischer Funke zwischen ihnen überspringen. Micha biss sich auf die Lippen und unterdrückte den Schauer, der ihm durch den Leib fuhr. Er durfte jetzt nicht selbst die Nerven verlieren.

Swift hatte seine Hilfe gewollt? Nicht die der anderen?

Wow.

Swift öffnete den Kühlschrank und stellte die Kochzutaten auf die Anrichte. »Willst du ein Bier?«

Micha blinzelte. Jetzt war er es, der Swift verwirrt anschaute. »Oh, äh… ich dachte, ich gehe wieder?«

Swifts Kopf tauchte über der Kühlschranktür auf. Er wirkte erstaunt, vielleicht sogar etwas verletzt. »Oh«, sagte er nickend und fummelte an der Verpackung der Butter. »Du hast vermutlich noch etwas vor.«

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