Kitabı oku: «Kaufhausgeflüster und andere Geschichten», sayfa 2

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Erst jetzt wurde ihr bewusst, dass sie nicht mehr dazu gekommen war, zu fragen, ob es ein Junge oder ein Mädchen sei. So entsetzt, so erbost war sie darüber, dass der beiläufig mitgebrachte Vertreter, der sicher Jasmins neuer Arbeitgeber ist, ihr ohne Skrupel einen Versicherungsvertrag aufschwatzen wollte. »Pfui, Teufel«, schimpfte sie laut vor sich hin und in die Trauer über die verlorene Freundschaft mischte sich eine gehörige Portion Zorn.

Jahre später, in denen sich für Cordula neue und beständigere Freundschaften gebildet hatten, war sie noch immer auf derselben Arbeitsstelle geblieben. Heute erlebte sie beim Dekorieren ihrer Figuren etwas Eigenartiges. Es geschah auf einem Podest im Innenraum des Warenhauses, unmittelbar an der Rolltreppe. Da beobachtete sie einen kleinen Jungen, der ihr viel Spaß bereitete. Neugierig schaute er ihr zu und stellte schon bald viele Fragen, die alle mit »Warum?« anfingen, so dass auch sie sich nach einer Weile herausgefordert sah, ihn zu necken. Erst nur ein wenig, dann etwas heftiger. Aber wie verschlug es ihr die Sprache, als der Kleine ihr herzhaft ins Gesicht lachte. So ausdauernd, so kraftvoll, dass sie eine Gänsehaut bekam. Das gab es doch gar nicht! Der Kleine konnte nicht aufhören! Und sie stand da, gelähmt, unfähig, etwas zu sagen oder zu tun.

Sich aufrichtend ließ sie den Blick über die gesamte Etage schweifen und erblickte weiter hinten die große, nun frauliche Gestalt mit dem noch immer fülligen schwarzen Haar. Mit einem leichten Stups schickte sie den lachenden Jungen zu seiner Mutter.

Gut verpackt

Äußerliche Auffälligkeiten? Diese gab es an ihm kaum und das fand er ärgerlich. Nein, er fand es deprimierend, der etwas klein geratene, beinahe schmächtige Mann. Ungezählt viele hoffnungslose Tage hatte er, die ihn nicht recht in Gang kommen ließen. Es war aber, als wollte seine Stimme den Mangel an figürlicher Größe ausmerzen und dazu hatte sie eine spektakuläre Höhe erklommen. Diese sonderbare Kombination – zu kleiner Mann mit zu hoher Stimme – geriet innerhalb des Kollegenkreises wiederholt ins belächelte Abseits. Nur zu gern hätte seine Stimme all das verhindert, doch wusste sie nicht wie. So rannte sie, als renne sie vor sich selbst davon, verhaspelte sich dabei und endete regelmäßig in rasanten Überschlägen.

Da der Veränderung dieses Umstandes einfach nicht beizukommen war, gab sich der unscheinbare Mann in all seinem Tun außerordentlich viel Mühe. Seinem Wunsch, dies über nobel konservative Kleidung zu erreichen, stellte er immerfort einen zu großen Rahmen zur Verfügung, sowohl in zeitlicher Ausdauer, als auch im finanziellen Vermögen. Und wirklich: Diese Mühen machten ihn durchaus tageslichttauglich. Noch niemals, auch nicht bei seinem Eintritt in die Firma, in das große Städtische Kaufhaus, war ihm das wichtiger gewesen als heute. Hatte er sich doch nun ein Mädchen auserwählt, eines, das ihn schon seit Monaten beflügelte und ihm unaufhörlich seine Gedanken durcheinanderwirbelte, nur – jene holde Weiblichkeit nahm keinerlei Notiz von ihm. Das brachte ihn fast um! Unermesslich war das Ausmaß seiner Sehnsuchtsträume und mehr und mehr wuchs mit ihr eine Vorstellungskraft, die ihn gerade nachts heimsuchte. Seit neuestem sah er sich im Traum sogar schon als Model! Von allen, selbst weniger gut Gesonnenen bewundert! Er trug die brandneuesten Kollektionen im Schlafe, schon bevor sie erschienen. Hatte sich längst vor aller Augen auf dem Laufsteg hin und her wandeln sehen, Jacken öffnend, sich umdrehend und manchmal auch mit jenem, seinem erträumten Mädchen am Arm. Immer wieder aber wachte er ernüchtert und mit heißbegehrendem Wunsch auf, ergebnislos. Stattdessen verbrauchte er, stets schweißgebadet, ein reichhaltiges Sortiment Nachtwäsche. Völlig gestresst stieg der Träumer jeden Morgen in den guten Anzug, ging gewohnheitsgemäß auf Arbeit, sah die Ersehnte erneut und hätte sie am liebsten angefleht, konnte aber seine Stimme meist im letzten Moment noch maßregeln.

Doch gab er nicht auf. Wollte er sie für sich gewinnen, musste er etwas finden, womit sie zu beeindrucken wäre. Die vorläufigen, eher belanglosen Wortwechsel, die sie immer wieder miteinander führten, genügten ihm natürlich nicht. Sie peinigten ihn. Dann, nachts, fragte es in ihm: Soll das alles gewesen sein? Und das Gefühl, ihr nicht groß, nicht wert genug zu sein, kroch schmerzlich an ihm hoch. Woran auch sollte sie in ihm den unübersehbaren Aufsteiger erkennen? Und jeder neue Arbeitstag, an dem er sie in seiner Nähe wusste, machte ihn konfus. Verzweifelt sann er darüber nach, was zu tun sei, um ihr ein nachhaltiges, entscheidendes Erlebnis zu bieten. Eines Tages und ohne dass ihm der Zeitpunkt bewusst war, entschloss er sich, alles auf eine Karte zu setzen.

Die feenhaft langhaarige Blonde stand, wie ein Bild, angelehnt an einer Säule zwischen den Verkaufsständen und schaute zu ihm herüber. Ja, er täuschte sich nicht, sie schaute zu ihm herüber. Jetzt oder nie, spornte er sich an. Denn es war Aktionstag. Aktionstag aller Hartschalenkoffer seiner geliebten Markenfirma. Das musste den Kunden beigebracht werden, es sollte einschlagen, sie überzeugen, sie mussten weggehen wie warme Semmeln, die Koffer. Wegen ihr. Er wagte einen zweiten Blick in jene Richtung, ja, er konnte sich ihrer Anwesenheit immer noch gewiss sein. Sie stand an der Säule. Da griff er zum Mikrofon: »Meine Damen und Herren, haben Sie heute schon mal vor Ihre Türe geschaut? Nein? Noch nicht? Da steht er nämlich. Wer? Ihr lang ersehnter Urlaub, den Sie sich so verdient haben. Ich weiß zwar nicht, wohin Sie fahren werden, aber eines ist sicher: Sie brauchen dazu einen Koffer. Nicht den, den Sie zu Hause verstaubt irgendwo in einer Ecke finden, nein, Sie brauchen einen optischmodischen Koffer, einen, der Akzente setzt und der Ihrem Urlaub gewachsen ist. Einen, auf den Sie sich unbedingt verlassen können, einen, der nur zu Ihnen passt. Sie verstehen nicht, was ich meine? Ich werde es Ihnen zeigen!«

Rasch trug er mehrere Koffer sichtbar guter Qualität zusammen. Er wählte gezielt verschiedene Farben, dass es ihm selbst so vorkam, als strahle ihn der Stapel an. Alles schichtete er gekonnt übereinander, denn es galt mit seinem selbst erdachten Härtetest zu beweisen, dass alle diese Koffer in punkto Haltbarkeit unübertroffen wären. Dafür musste er, um nötige Höhe zu gewinnen, sich die Kundentreppe zu Nutze machen. Aufgeregt, aber mit ganzem körperlichen Einsatz und dem Mikrophon noch in der Hand, vollführte er von dort aus, von den mittleren Stufen, einen ersten schwungvollen Sprung und landete – er hielt die Luft an – genau inmitten aller ihn erwartenden Koffer. Sie waren ihm gefällig, es gelang. Die Koffer blieben heil. Die Kunden blieben stehen.

Beim zweiten Mal war sich der kleine Mann gewiss, auch das Vertrauen des himmlischen Herrn erworben zu haben, und setzte daher seine Aktion verstärkt fort. Er stieg noch eine Stufe höher. »Hätten Sie das für möglich gehalten? Mit diesen Koffern kann Ihnen keiner was, ich garantiere Ihnen, die halten lebenslang, schauen Sie, die überleben Sie sogar!«. Mit diesem Satz stand er, einem Steh-auf-Männchen gleich, schon wieder fest mit beiden Beinen neben den Koffern. Sich offenbar einem Ritual bewusst, drehte er sich um, lief schleunigst um die heruntergefallenen Koffer herum, die einen großen Kreis hatten entstehen lassen und stapelte sie erneut auf. Er wagte nach dem zweiten sofort den dritten Versuch. Und diesmal krachte es donnergleich. Das Mikro, das er fest umklammerte, verbreitete das Krachen verstärkt. Was für ein aufsteigendes Geräusch in sämtliche Etagen hinauf! Wieder war das Ergebnis höchst beeindruckend: Die Koffer waren willig, spielten mit, blieben heil. Die Kunden standen still.

Inzwischen hatte sich eine beachtliche Traube gebildet. Es geriet etwas in Bewegung am Kofferstand, einige Kunden kauften schon, andere drängten dahin. Der Erfolg? Beachtlich. War bisher mit Koffern je in diesem Hause solcher Umsatz gemacht worden? Und weil das lautstarke Bravourstück auch an der Geschäftsführung nicht vorbeiging, erfuhr der kleine Mann seine Beförderung. Blitzartig hatte es sich bis in die letzte Lagerhalle verbreitet, wer, was für ein Kerl er war und wenn irgendwelche Sonderaktionen irgendwie eines außergewöhnlichen Anspruchs bedurften, zog man ihn heran, natürlich. So etwas geschah häufiger, als es ursprünglich anzunehmen gewesen wäre und seit neuestem hat er auch eine feenhafte, langhaarige blonde Assistentin an seiner Seite.

Und eigenartig – nun hat er auch eine entspannte Stimme, die er irgendwann etwas tiefer wiederfand, als er selbst erwartet hätte. Und sie vermittelte jenen entbehrten Hauch von Männlichkeit …

Kaufhausgeflüster

Gewohnte gegenwärtige Dinge, die sich dem Alltag fügen, erscheinen einem unbewusst so selbstverständlich, dass sie keiner mehr wahrnimmt. Schlagartig hatte Elke das gedacht, als sie die Veränderung festgestellte. Nicht im Traum wäre ihr eingefallen, dass das Ganze plötzlich diesen Wirbel auslösen würde! Na ja, es war freilich ohne erkennbaren Grund und ohne jegliche Erklärung geschehen …

»Was ist denn hier los?« Mit diesen Worten begann es und Elke sah sich im ganzen Raum um. Geschockt. Sie stand ganz allein in der eigens für Angestellte ausgewiesenen Damentoilette. Hier, im großzügig gehaltenen, immer gesäuberten Vorraum der diskreten Örtchen, wähnte sich schon seit Jahr und Tag Spiegel für Spiegel jeweils einem Waschbecken zugehörig. Ihre Flächen waren poliert, glänzten und leuchteten, dass es eine Freude war! Vermutlich erschien das sogar der Deckenbeleuchtung passabel, denn auch die strahlte ihre Spiegel luxuriös an. All das war ein unbeachteter Normalzustand gewesen. Niemand hätte dem je Bedeutung beigemessen, denn keiner hatte tatsächlich registriert, wie viele Spiegel das waren – bis zu jenem Vormittag.

Die Örtchen waren zwar immer noch wie üblich nutzbar. Auch dem anschließenden Prozess des Händewaschens konnte man sich weiter ungezwungen hingeben. Jedoch dem gewohnten, längst in Auge und Netzhaut übergegangenen Blick in den Spiegel – ihm war der Garaus gemacht worden! Er war nicht mehr möglich. Die Spiegel waren weg. Wer hatte sich bloß daran vergriffen? Dass die Ränder der ehemals weißen Raufasertapete es regelrecht von der Wand herunterschrien: Hier hingen sie einst ordentlich in einer Reihe! Spiegel an Spiegel! Oh hätte man die Faszination doch besser gewürdigt! Jetzt nämlich strotzten nur derbe schwarze, fest eingedübelte Haken trotzig, ja ordinär heraus und zeugten deutlich von den nicht mehr spiegelnden Tatsachen.

Allerlei Gerüchte machten die Runde. Wer wohl hatte in heutiger Zeit – die alles im Überfluss bietet und manchmal gar verschwendet – solche Spiegel nötig? Oder war dies wieder einer neuen Sparmaßnahme geschuldet, die es nun durchzustehen galt?

Wie dem auch war, man munkelte allernasenlang über das »Für« und »Wider«, über die absolute oder relative Notwendigkeit des In-den-Spiegel-Schauens. Eine Kollegin meinte, sie könne den jetzigen Umstand mit ihrem Arbeitsleben kaum noch vereinbaren, da ihr Chef, der ihr einst vertraulich angedeutet hatte, sie müsse zu den Paradiesvögeln des Unternehmens gehören, einen sehr hohen Stellenwert auf das konstant gepflegte Aussehen lege. Was ihr so nicht mehr möglich war.

Elke, die der Kollegin gern geholfen hätte, begab sich schnurstracks auf die andere, die Kundentoilette, um zu erfahren, ob auch dort gespart worden war. Einige Gemüter konnte sie anschließend besänftigen: Hier zeigte man sich großzügiger: Die Kunden durften sich noch spiegeln. Und doch, vermutete Elke, könnte es sich um eine neu eingefädelte Kürzung handeln. Jedenfalls war ihr keine bessere Erklärung eingefallen. Wie oft hatte man von Ereignissen erfahren, die beim Sparen nicht immer alle Personen in gleichem Maße einbezogen. Zudem sind die Kunden sowieso das allerkostbarste Gut.

Noch einen weiteren Umstand gab es, mit dem sich die Frauen gegenseitig trösteten: Auf der Personaltoilette der Herren nämlich, soviel ließ der verschmitzte Koch beim Mittagessen zufällig durchsickern, waren auch keine Spiegel mehr. Damit wurde die Empörung der betroffenen Damenwelt gedämpft, geschlechterspezifische Vorurteile hatten also keine Oberhand gewinnen können. Es amüsierten sich Männlein wie Weiblein gleichermaßen weiter über den fragwürdigen Zustand. Trotzdem waren und blieben die ins Gerede geratenen Spiegel einfach verschwunden. Eine Woche, eine zweite, eine dritte …

Anderen Dingen gebührte nun die Zuwendung. Im Warenhaus rückte, wie schon lange angekündigt, ein Kongress heran, der sich mit der maximalen Auslastung von Arbeitsmitteln und -methoden beschäftigen sollte. Weswegen sämtliche Ecken geräumt, geputzt und gewienert wurden. Alle überboten sich dabei in ihrer Emsigkeit, auch Elke und ihre Kolleginnen; ganz besonders aber die Sekretärin. Sogar die Handwerker und selbst der Koch schien plötzlich dem Putzen erlegen zu sein. Dass der magische Tag schon bald heranrückte, spürte man sowohl an all der Eile hier und dort, als auch an der Geschäftigkeit. Woher kam nur dieser Eifer? Alles rotierte. In der Tat geschah das auch ganz oben, wo bisher die Verwaltung immer sehr geziemend waltete, dort schien man gar noch eine Spur breiter zu laufen. Was sich in der Realität als schwierig erwies, zumal der lange Gang, der sämtliche Türen zeigte, hinter denen die hohen Damen und Herren hin und wieder sichtbar wurden, in diesem Teil des Warenhauses äußerst schmal war. Eigentlich immer schon. Jeder wusste das. Nun aber, wo es alle besonders eilig hatten, spürte man, dass Enge und Eile schlecht miteinander vereinbar sind. Jetzt jedenfalls war der Flur stets mit allerlei quirligen Menschen gefüllt, diese lange schmale Flucht, die überdies am Tagungszimmer endete. Unentwegt wanderte gerade der Hausverantwortliche hin und her, um für die entsprechende Beleuchtung zu sorgen, ihm folgte Elke, die für die Blumen zuständig war, und hinter ihr ging die Sekretärin, die in letzter Minute noch versuchte, den gefährlich hohen Aktenstapel, der angefordert worden war, von einem Zimmer zum anderen zu bugsieren. Der Stapel versperrte ihr dabei fast gänzlich die Sicht. Nichtsdestotrotz konnte sie aber auf ihre alte Gewohnheit setzen, diesen Gang zu kennen, ihn schon unzählige Male gegangen zu sein, und andere haben ja auch Augen im Kopf …

Doch das Unvermeidliche geschah. Gerade bis zur vorletzten Tür war die Sekretärin gekommen, als sie plötzlich jemand anstieß und sie dabei derart rempelte, dass sie den Stapel reflexartig an die Wand drückte. Die Brust tat ihr dabei weh. Doch das war ihre einzige Chance, alles zu retten! Noch war ihr das Geschehen gar nicht begreiflich, da erblickte sie den Koch.

»Du liebe Güte, das hätte ja mit uns eine mächtige Karambolage werden können!« Sie atmete erleichtert aus: Glück gehabt!

Der Koch nicht.

Der war sprachlos, konnte das Ganze immer noch nicht fassen und lief gerade Gefahr, die Kontrolle über sich zu verlieren. Weinte. Dicke Tropfen, so rund, dass sie den kleinen Käsebällchen ähnelten, sie landeten auf seinem, jetzt schräg gehaltenen Tablett. Fielen aber nach und nach auch noch auf den Boden, wohin das andere Tablett geflogen war. Elke und die Sekretärin wollten den Koch beruhigen. Aber es war, als setzte dessen Verstand aus. Er hatte doch alles auf Erfolg gesetzt. Tagelang entworfen! Und nunmehr waren daraus seine kleinsten Wunder der Welt entstanden – verlockende, unwiderstehliche Kanapees, ein Werk höchster kreativer Künste. Und dieses, sein Werk – ach, da lag es ihm jetzt zu Füßen! Eine Herausforderung, die ihn zehn Jahre jünger gemacht, die ihn derart belebt hatte, dass er seit Tagen genau auf diesen Augenblick brannte, wie es ihn gejuckt hatte, all dies auch eigenhändig zu servieren. Wie gewandt, wie prächtig hatte er beide Tabletts in Kopfhöhe rechts und links neben sich geführt! Beinahe hatte er die Flurbreite damit ausgefüllt, machte aber nichts. Er war ja gerufen worden. Natürlich wusste er, dass er jetzt gewandt und schnell sein musste. Hatte über seine Findigkeit noch leicht gelächelt und gleich die erprobte Haltung angenommen, die er bisweilen vorsorglich trainiert hatte, und die ihn nun zwar erst in den Konferenzraum, später aber zum erhofften höheren Gehalt hätte führen sollen: Betont aufrecht gehend, den Blick hin und her wendend, aber nur das Kunstwerk hypnotisch fixierend! Galant passierte er so die Länge des Ganges, aber gerade, als seine Füße sich nahe der Konferenztür glaubten, war er in diesen Sauseschritt geraten und ausgerechnet da war es schon zu spät!

Schicksalhaft waren sie beide, Sekretärin und Koch, zusammengeprallt.

Elke, die mit den Blumenbuketts beschäftigt war, konnte sehr genau wahrnehmen, wie er direkt vor der Konferenztür auf die Knie gefallen war, wie er schlotterte, wie sein ganzer Körper angsterfüllt zu zittern begann. Langsam immer farbloser werdend, stierte der Koch noch immer beide Tabletts an, die im Zeitlupentempo eine riskante Schräglage erreicht hatten, die die Küchenkünste einfach herab- und zusammenrutschen ließen.

Unaufhaltsam ging endgültig alles vorüber, ging alles verloren! War erst das eine Tablett schmetternd auf den Boden geklatscht, rutschte ihm das zweite auch noch aus der Hand.

»Tsching«.

Da aber war es, als wäre der Koch mit diesem klirrenden Geräusch wachgeworden. Er fackelte nicht lange, wischte sich mit dem Ärmel der weißen Kochjacke über das leichenblasse und feuchte Gesicht, fing sich, rappelte sich beherzt hoch und machte sich auf und davon. Zurück in die Küche! Jetzt musste schnellstens was Neues entstehen – und er hatte auch schon eine Idee.

Elke, die Sekretärin und alle, die durch den Aufprall hellhörig geworden und herausgekommen waren, betrachteten das Unheil auf dem Boden jetzt genauer. Nanu, was waren das denn für Splitter? Verbarg sich hinter dem Verschmierten nicht ein Glanz? Leise überkam ihnen eine Ahnung. Und zum Vorschein kam, wovon die schmackhaften Happen heruntergeglitten waren: Von ein- und denselben Spiegeln, die seit Wochen jeder suchte!

Eine halbe Stunde später – er hatte allen Küchenkräften inzwischen fast Unmögliches abverlangt – konnte man den Koch abermals mit belegtem silberfarbenem Tablett in Richtung Konferenztür laufen sehen. Diesmal aber hatte er nur ein Tablett dabei und nahm zudem den Gang viel ruhiger, schließlich war die Tagung bereits in vollem Gange. Er war also seiner Pflicht der Verköstigung etwas verspätet doch noch nachgekommen. Nur, ob ihm daraus eine Gehaltserhöhung erwachsen war, ist nicht belegt, womöglich auch zu bezweifeln. Dass der Koch der Belegschaft damit jedoch lange Stoff zum Spötteln geben wird, war so glasklar, wie die Spiegel, die als Silbertabletts Verwendung fanden. Ein wenig beneidete der Koch diese Spiegel schon. Weil die sich ihrer hohen Berufung nicht einmal bewusst waren.

Das Los

Wenigstens ist die Tuschelei zu Ende. Kurz und knapp, ehe die austauschbaren Gesichter der Anzugsherren verschwanden, war es erklärt worden: Aus und vorbei! Alle bisherigen Überlegungen und Anstrengungen schienen umsonst gewesen. Selbst das letzte Mittel, das des Gesundschrumpfens, hatte sich nicht mehr bewährt. Nicht, dass das Unternehmen selbst pleite wäre, nein – nur gerade dieser Zulieferbetrieb wird abgestoßen, es gibt neue, bessere, an anderen, besseren Standorten. Plötzlich schwebt über jeden Angestellten sein Los. Das muss er ziehen, ob er nun ein Spieler ist oder nicht. Als ginge sie nie zu Ende, so klingt in allen die letzte Rede nach, dem Riss einer Langspielplatte vergleichbar, blieb nur das noch unmissverständlich im Ohr: »Bewerben Sie sich, warten Sie nicht zu!« Was für ein komischer Ausdruck in den alten Bundesländern manchmal benutzt wird, fanden sie. Nein, sie warten nicht zu. Sie, die Menschen der ersten Kategorie nehmen ihr Schicksal mit Elan in die Hand, manchem genügen drei Tage, um die seit vielen Jahren ausgeübte Tätigkeit hinter sich zu lassen, um mit Sack und Pack in andere Bundesländer zu ziehen. Für immer, natürlich.

Bestärkt in unternehmerischer Denkart und nominiert mit den bestmöglichen Referenzen können sie sich, die Spieler der ersten Kategorie, damit zu Gewinnern zählen.

Andere aber, auch junge Leute, beschleicht Verunsicherung. Gerade erst auf Ausbildung gesetzt, wollten sie ihren Standpunkt nun festigen und müssen schon erfahren, dass erfolgreiche Probezeit Versprechen nicht einlöst, kein Garant für Arbeit ist. So gehören die Auszubildenden eher zur zweiten Kategorie, es trifft sie empfindlicher und härter, das Los – manche zum ersten, andere gar zum wiederholten Male. Die lassen dann wütende Worte ab, »Strick nehmen« ist deutlich herauszuhören. Da hakt der Betriebsrat ein, versucht, noch ungelenk in diesen Dingen, sein Möglichstes, geht ans Äußerste. Tatsächlich weist er Erfolge auf: Die Ausbildung derer, die »unsere Zukunft« sind, kann in ferneren Städten garantiert werden. Freilich müssen sie dazu mobil sein, doch wenn sie mit Neugier ausgestattet sind, dann haben auch sie ein Los gezogen, auf das sie setzen können.

Und die Übriggebliebenen?

Die dritte Kategorie, die schlagartig unbrauchbar gewordene, stellt die zahlenmäßig größte Gruppe – und wird zwangsabgewickelt. Verhaftet geblieben sind die Menschen, die nicht locker genug mit der neuen Situation umgehen können, weil ihre besondere familiäre Situation Mobilität nicht zulässt. Schwerbeschädigte etwa, Lebensgefährten kranker Partner, Mütter kleiner Kinder. Für sie gibt es die finanzielle Abfindung, eine kurze Überbrückung scheint abgesichert, der Sozialstaat macht‘s möglich. Und dann? Es heißt, es läge in ihrem eigenen Ermessen, ob und wie sie woanders neu einsteigen.

Gut gelingt es denjenigen, die schon geübt im Umgang mit heiklen Situationen sind. Mancher kann geschickt in seinem Los ein Freilos finden und mit geübter Hand ein zweites Mal ziehen. So treten aus der dritten Kategorie auch jene hervor, die plötzlich kühn selbständig werden und schlummernde Ideen wachrütteln. Ihr Treibstoff heißt Hoffnung, weil viele Lose auch Gewinner hervorbringen …

Aber die, die dann noch übrig bleiben, die Nieten?

Über die spricht keiner mehr.

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