Kitabı oku: «Warum es so schwierig ist, in die Hölle zu kommen», sayfa 4

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Gregor der Große und die ewige katholische Krise
Worin wir erfahren, wie die schlimmste aller katholischen Krisen in himmlischer Schönheit endete.

Es war nicht etwa nur so ein Coronavirus. Es war die Pest. Die große Justinianische Pest. Schon hatte sie ein Drittel der Einwohner Italiens dahingerafft. Jetzt im Jahr 590 brach sie in Rom erneut aus. Als genüge nicht die Hungersnot, als genügten nicht die zahllosen Flüchtlinge, die vor den Langobarden aus Norditalien nach Rom geflohen waren. Und dann die Hiobsbotschaft: Den Papst selbst hat Gott nicht beschützt: Pelagius II starb an der Pest.

Nicht in einem streng geheimen Konklave, nein, „per acclamationem populi“, durch einhelligen Zuruf des Volkes, haben die Römer seinen Nachfolger gewählt: den Mönch Gregor. In Calvins Lehrbuch des protestantischen Glaubens, in der „Institutio religionis christianae“, rühmt der Reformator ein Jahrtausend danach den Gewählten und nennt ihn den „letzten guten Papst“. Dabei hat doch keiner sonst das Papsttum so gehasst wie Calvin.

Vielleicht hat er in Gregor den Schicksalsverwandten erkannt. Beide, Calvin in Genf, Gregor in Rom, haben sich mit Händen und Füßen dagegen gewehrt, das angetragene Amt anzutreten. Nichts sei er als ein „armer, ängstlicher Wissenschaftler“, hielt Calvin den Genfern entgegen, als Reformator völlig ungeeignet. Ein Mönch als Papst, wie das gutgehen könne, hielt Gregor den Römern entgegen. Für jene Zeit nämlich waren Mönch und Papst Gegensätze wie etwa für uns Künstler und Manager.

Die Römer hatten ihn wohl gewählt, weil er der letzte war, der noch Roms untergegangene Größe zu verkörpern schien. Denn er stammte aus dem Geschlecht der Anicier, das zwei Kaiser und einen Papst hervorgebracht hatte. Doch er selber hielt sich für ungeeignet – und er war es. In seiner Jugend hatte er kaum anderes erlebt als die Pest und die Verwüstung Roms durch Goten und Vandalen. Deshalb war er Mönch geworden, um sich abseits einer kaputten Welt der Schau der göttlichen Dinge zu widmen.

Wohl hatte ihn Papst Pelagius aus dem Kloster geholt und als seinen Nuntius zum Kaiser nach Konstantinopel entsandt. Mit Ruhm bedeckt hat er sich dort nicht. Mit seiner mönchischen Lebenseinstellung passte Gregor nicht in die Pracht des byzantinischen Hofs.

Die Lage der katholischen Kirche schätzte er selber so ein: „Ein alter zertrümmerter Kahn ist das, in den von allen Seiten die Wellen hereinschlagen und dessen morsche Planken, gepeitscht von einem wütenden Orkan, den baldigen Untergang ankündigen.“ Das Steuer dieses untergehenden Schiffes herumzureißen, traute er sich nicht zu.

Doch als die Römer ihn einfach nicht losließen, ging es ihm so, wie es Calvin ging, als diesen die Genfer einfach nicht losließen: Im Amt wächst der Ungeeignete zum Geeigneten. Aus der kleinen, eingekesselten Stadt Genf heraus wird Calvin zum Reformator der weiten, Englisch sprechenden Welt. Ganz ähnlich, ein Jahrtausend zuvor, der schicksalhafte Weg des einzigen Papstes, den Calvin gemocht hat. Gregor, der erste Mönch auf dem Stuhl Petri, wächst an der Aufgabe heran zu Gregor dem Großen.

Nach dem erneuten Ausbruch der Pest glaubten die meisten in Rom, das Ende der Welt stehe unmittelbar bevor. Gregor selber hielt, anders als wir heute, die Pest für eine göttliche Strafe. Die ganze Stadt rief er zum Bußgang vor Santa Maria Maggiore zusammen. Als dort der neue Papst die Arme zum Himmel hob, sahen sie es alle, die Römerinnen und die Römer: Über dem Mausoleum Kaiser Hadrians erschien der Erzengel Michael. Das hoch erhobene Schwert des göttlichen Zorns steckte er in die Scheide zurück. Die verzweifelte Stadt schöpfte neuen Mut. Dem Grabmal Hadrians aber gaben die Römer den Namen, den es heute noch trägt: die „Engelsburg“.

Die Hungersnot dagegen hielt Gregor nicht für ein göttliches, sondern für ein kriminelles Verhängnis. Aus besseren Zeiten besaß Rom noch weite Latifundien in Sizilien. Doch das Getreide, das früher nach Rom geschifft wurde, diente inzwischen der Bereicherung örtlicher Beamter. Gregor setzte sie ab. Als neue Aufseher schickte er seine Mönche aus. Die setzten der Korruption in Sizilien ein Ende. Und so nahmen auch in Rom die Hungersnöte ein Ende.

Das Schlimmste waren die Langobarden. Von all den barbarischen Völkern, die Westeuropa verheerten, waren sie die brutalsten. Bedrohlich näherten sie sich Rom. Eine Weile behalf sich Gregor mit Schutzgeldzahlungen, welche die Langobarden umso lieber annahmen, als sie wussten, dass Rom schon von den Goten und den Vandalen verwüstet worden war und also nicht mehr viel zu plündern übrigblieb. Doch dann kam dem Papst ein epochaler Gedanke. Die beiden Könige der Langobarden, Authari und Agilulf, waren brutale Machtmenschen, auf die zuzugehen keinen Sinn hatte. Aber war da nicht noch jemand anders?

Theodolinde hieß die Königin der Langobarden und war sehr schön. Vor allem war Theodolinde intelligent. Unvergleichlich intelligenter als die beiden Brutalixe, mit denen sie nacheinander verheiratet war. Ihr war klar, dass ihr Volk keine Zukunft hatte, wenn es weiter mordend und plündernd durch Europa zog. Sie wollte, dass die Langobarden dort, wo sie jetzt waren, im Norden Italiens, heimisch würden. Anders als ihr Volk war sie bereits katholisch getauft. Sie suchte das Gespräch mit dem Papst. Der Papst seinerseits suchte das Gespräch mit ihr. In Konstantinopel hatte er die bittere Erfahrung gemacht, dass man sich am byzantinischen Hof für das Schicksal Roms nicht mehr besonders interessierte und militärischer Schutz durch den Kaiser nicht zu erwarten war.

Der Briefwechsel zwischen Gregor und Theodolinde ist erhalten. Er bleibt ein zeitloses Monument dafür, dass ein Mann und eine Frau zusammen die schlimmsten Probleme lösen können, vorausgesetzt, beide lassen ihre Intelligenz sprechen.

So gelingt Gregor ein Friedensvertrag mit den Langobarden, bei dem beide Seiten gewinnen. Die Lombardei wird, nach ihnen benannt, zur Heimat der Langobarden. Papst Gregors kirchenpolitischer Horizont aber weitet sich zum grand design. Ins gotische Spanien streckt er seine diplomatischen Fühler aus. Vor allem gehen seine Briefe nach Gallien zu den Franken.

In seinem römischen Hauskloster wählt er vierzig Mönche aus und gibt ihnen den Auftrag, England zu bekehren. Ausdrücklich verlangt er, dass sie zuerst die Sprache der Engländer lernen. Wo die Bekehrung gelingt, sollen sie heidnische Tempel nicht zerstören, sondern im Innern umgestalten zu christlichen Kirchen. Gregors England-Mission verläuft so verheißungsvoll, dass danach von England aus auch die Bekehrung der Deutschen beginnen kann.

Der protestantische Papsthistoriker Erich Caspar hat Gregor als die „Grenzgestalt“ zwischen Antike und Mittelalter bezeichnet. Mit ihm endet die Antike, weil er sich notgedrungen abwendet vom alten römischen, byzantinisch verfremdeten Reich. Das Mittelalter beginnt, weil sich der Papst den eingewanderten germanischen Völkern zuwendet. Rom, eben noch abgesunken zu einem provinziellen Wurmfortsatz von Konstantinopel, wird aufsteigen zur Mater et Magistra, zur geistlichen Ordnungsmacht über den neuen westeuropäischen Staaten.

Vierzehn Jahre ist Gregor Papst gewesen. Unvergleichlich, was er in dieser kurzen Zeit seinem schwächlichen, schon bald auf den Tod kranken Körper abgerungen hat. Verändert hat sich dabei auch seine Lebenseinstellung. In seiner Jugend war er Mönch geworden, um sich von aller weltlichen Aktivität abzuwenden. Jetzt finden sich in seinen Schriften ganz andere Sätze, etwa dies: „Zu den Höhen der Kontemplation geht der Aufstieg über die Stufen der Aktivität.“

In einem freilich ist Gregor dem Mönchtum treu geblieben. Vorrang vor jedem anderen Tun des Menschen hat für ihn, im Sinne des heiligen Benedikt, der Gottesdienst.

Den alten römischen Ritus hat Gregor restauriert als religiösen Staatsakt des Papsttums, römisch nüchtern und feierlich zugleich. Der Messe hat er jene klassische Struktur gegeben, die sich bis zum 2. Vatikanischen Konzil erhalten wird.

Ein rechter Christ, meinen manche, sei nur, wer genau so bete wie der Papst. Dieser Irrglaube stammt nicht von Gregor. Erst Karl der Große hat ihn, ein Jahrhundert später, in die Welt gesetzt. Der Franke wollte, dass in seinem Reich alle einheitlich beten. Das Messbuch Gregors des Großen hielt er für das ideale Instrument politischer Uniformierung.

Gregor selber hat anders gedacht. In einem erhaltenen Brief bittet er seine England-Missionare, sie sollten noch in Gallien, schon vor der Landung in England, erkunden, ob nicht manche Elemente des gallischen Ritus besser zu den Engländern passen als das römische Erbe.

In der Geschichte der Kirche hat es kaum eine schwerere Zeit gegeben als jene Jahre, in denen Gregor gelebt hat. Doch was uns als lebendige Erinnerung daran bleibt, ist eine Überfülle himmlisch leichter, paradiesisch schöner Melodien. Die „schönste Musik nächst dem Schweigen“ ist der Gregorianische Choral.

Warum heißt er so? Darüber streiten die Gelehrten. Sicher ist der Choral älter, zugleich aber auch jünger als Gregor. Jahrhunderte schon vor diesem Papst war dies der Kultgesang der römischen Kirche. Mit einer Fülle von Melodien. Doch weil es noch keine Notenschrift gab, war es schwierig, die heiligen Gesänge unverfälscht weiterzugeben. Mit dem Niedergang Roms wurde das noch schwieriger. Obwohl ursprünglich das Volk mitsang und die schönsten Stücke dem Solisten vorbehalten waren, wurde der päpstliche Chor immer wichtiger: als der Ort, wo die Kenner und Könner der musikalischen Tradition unter sich waren. Persönlich hat Gregor die Chöre im Lateran und im Vatikan gefördert. In seinen letzten Jahren, als er bettlägerig war, hat er darauf bestanden, dass beide Chöre in seinem Krankenzimmer übten. Lange danach wurde noch der Stock gezeigt, mit dem der Papst auf die Sänger eindrosch, wenn auch nur ein einziger falscher Ton erklang.

Wahr ist anderseits, dass der Gregorianische Choral seine endgültige Form erst nach Gregor finden wird: in den blühenden Benediktiner-Abteien des Frankenreichs, in Metz und in Sankt Gallen. Dort auch ist die Legende entstanden, Gregor habe nicht selber komponiert, vielmehr habe sich die Taube des Heiligen Geistes auf seine Schulter gesetzt und ihm die wundersamen gregorianischen Melodien ins Ohr gesungen.

III. Himmlische Momente des katholischen Mittelalters
Bruder Franz und Schwester Armut
Worin wir lernen, unsere Vorurteile gegen die Heilige Inquisition zu überwinden.

Gibt es etwas Traurigeres, meine Schwestern und Brüder, als wenn Christen sich streiten um Hab und Gut? Gibt es etwas Beschämenderes als den Hader in der Gemeinde, wenn einer reicher sein will als der andere?

Ja. Schlimmer noch, viel schlimmer wird der Streit, wenn ein Christ ärmer sein will als der andere. Wenn keiner mehr dem anderen die Armut gönnen mag. Höret die Geschichte vom großen „Armutsstreit“, der ein Jahrhundert lang die Christenheit so erschüttert hat, dass sich zum Schluss die Frömmsten gegenseitig qualvoll ums Leben brachten.

Schuld an allem war der heilige Franziskus. Wohl ist der Poverello hoch zu preisen für seine inbrünstige Liebe zur heiligen „Schwester Armut“. Für etwas anderes aber müssen wir Franziskus tadeln. Als er im Jahre 1209 eine begeisterte Schar gleichgesinnter Brüder um sich sammelte, unterließ er es, in der neuen Gemeinschaft für Ordnung zu sorgen. Statt sich den Kopf zu zerbrechen über so unerquickliche Fragen wie Organisation und Programm, verlor der heilige Franz seine Zeit mit schönen Visionen und Ekstasen.

Wie so ganz anders war da doch der heilige Dominikus. Zu gleicher Zeit wie der heilige Franziskus hat auch er einen Orden gegründet, sogar einen ganz ähnlichen. Doch war der heilige Dominikus klug genug zu wissen, dass eine Ordensgründung nur gelingt, wenn der Stifter ganz klar, nüchtern und wirklichkeitsnah zu Werke geht. Zu keiner einzigen Vision hat er sich hinreißen lassen, der heilige Dominikus. Mit christlicher Nüchternheit hat er von morgens bis abends nichts als Arbeit zugewiesen, Ämter verteilt, Regeln aufgestellt. So ausgezeichnet organisiert war der Dominikanerorden beim Tode des Stifters, dass er, frei von inneren Problemen, alsbald im Dienst der Päpste eine Fülle hoher Ämter übernehmen konnte, ja schließlich sogar das höchste Amt nächst dem Stuhl Petri. Wir nennen es heute die heilige Glaubenskongregation. Damals nannten wir es noch die Heilige Inquisition.

Während so die Söhne des heiligen Dominikus, dank guter Organisation, eine verantwortungsvolle Aufgabe übernahmen, boten zu gleicher Zeit die Söhne des heiligen Franz der Welt ein beschämendes Bild anarchistischer Verwirrung. Das Traurigste an dem Streit in Assisi war, dass er einem Wort Jesu Christi galt. Lukas 9. Kapitel, 3. Vers: „In illo tempore“, sprach Jesus zu seinen Jüngern: „Nichts führet bei euch, weder Stab noch Tasche, weder Brot noch Geld.“

Wie ist das zu verstehen? Als wörtliche Anweisung, wortwörtlich gar? Oder nur symbolisch, im Sinne einer inneren, geistigen Einstellung, so wie der Herr selber es anzudeuten scheint, wenn er nicht „Selig die Armen“ sagt, sondern – Matthäus 5. Kapitel, 3. Vers: „Selig die Armen im Geiste“?

Der eigensinnige Bruder Georg von Neapel, der hitzköpfige Bruder Matthäus von Narni, besonders der vorlaute Bruder Johann von der Kapelle – jeder unter den ersten Brüdern in Assisi wusste es besser als der andere, jeder hielt sich für den einzig wahren Armen. Den heiligen Franz selber fragen konnte man nicht, er war abgesegelt nach Ägypten, um dort den Sultan zu bekehren.

Als der Höllenstreit um die Armut in Assisi nicht einmal mehr am Nil zu überhören war, kehrte Franz überstürzt zurück, sah nun wohl ein, dass er etwas falsch gemacht hatte, und versuchte, dem heiligen Dominikus nacheifernd, seine Gemeinschaft endlich ernsthaft zu organisieren. Aber es war zu spät. Der Wurm war drin im Franziskanerorden, die beiden Regeln von 1219 und 1223 stifteten nur neue Verwirrung, und als der heilige Franziskus im Jahr 1226 starb, zerbrach seine Brüderschaft in zwei einander gnadenlos bekämpfende Fraktionen.

Auf der einen Seite die Realos, die nur arm sein wollten im Geiste, nicht in der Materie. Das war die „Fortschrittspartei“ um Bruder Elias. Auf der anderen Seite die Fundis um Bruder Cäsarius von Speyer mit der beachtenswerten These, entweder sei ein Mönch arm in der Materie oder er sei reich. Nicht zu vergessen der heilige Antonius von Padua, der zwischen den beiden streitenden Lagern zu vermitteln suchte und deshalb von beiden die schlimmsten Prügel bekam. Die einzigen, die gar nichts taten, sondern einfach nur kopfschüttelnd zusahen, waren die Dominikaner oder, wie sie nun immer häufiger genannt wurden, die Ehrenwürdigen Väter von der Heiligen Inquisition.

Zuerst schienen die Realos um Bruder Elias zu siegen. Kein Wunder, hatten sie doch für sich die fürchtenswerte Macht des Geldes. Aus dem prallen Säckel von Bruder Elias ist zum Beispiel die wunderschöne Basilika von Assisi bezahlt worden. Dann aber, unter Bruder Johann von Parma, triumphierten die Fundis. Kein Wunder, hatten sie doch für sich die einzige Waffe, die noch fürchtenswerter ist als das Geld, die moralische Empörung. Und je länger der Streit ins Land ging, von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, desto mehr vergaßen beide Fraktionen, worum es eigentlich ging.

Ursprünglich hatte man sich noch um relativ sachliche Fragen gestritten, zum Beispiel ob Arbeiten der wahre Ausdruck der Armut sei oder Betteln, ob der Franziskanerorden Weinberge besitzen, ob er Vermächtnisse annehmen dürfe. Als aber das 14. Jahrhundert begann, wandte sich der Streit einem ungleich modischeren Thema zu: Spieglein, Spieglein an der Wand, wer ist der Ärmste im ganzen Land?

Woran kann man sehen, welcher unter den Brüdern der ärmste ist? Der heilige Franz hatte für seinen Orden gar keine Mönchskutte gewollt. Ihm genügte das Alltagskleid der armen Leute in der Toskana, ein brauner Rock. Seinen Jüngern aber gelang es, diese Nicht-Kutte wiederum zur Kutte zu stilisieren, indem sie sie, nach Art der Benediktiner, bis zu den Knöcheln hinab verlängerten und mit einer spitzen, ehrfurchtgebietenden Kapuze versahen.

Jetzt plötzlich stellten die Fundis diese mühselig errungene Kleiderordnung im Franziskanerorden wieder in Frage. Die Armut eines Mönchs, behaupteten sie, sei daran zu erkennen, dass er seinen Rock kürzer trage als andere Mönche.

Midi statt Maxi. Diese neue religiöse Mode war gefährlich. Genügte es nämlich, seine Kutte beliebig zu kürzen, um andere Mönche an Armut zu übertrumpfen, so war nicht einzusehen, warum der Trend an den Waden, ja an den Knien haltmachen sollte. Eine kleine, radikale Minderheit von Franziskanern, Fratizellen genannt, erkühnte sich zum Mini. Auf kirchenlateinisch gesagt: Die Mönchskutte wurde modisch gekürzt „usque ad nates – bis zu den Arschbacken“.

Bisher hatten die Dominikaner nur kopfschüttelnd zugesehen. Jetzt mussten sie, so leid es ihnen tat, eingreifen. Als erste Warnung für alle anderen Wirrköpfe im Orden des heiligen Franz verbrannten die Dominikaner 114 Mini-Franziskanerchen auf dem Scheiterhaufen der Heiligen Inquisition.

Laut regte sich jetzt im Franziskanerorden die schweigende Mehrheit. War es nicht eine unerträgliche Schande, dass die Dominikaner bei den Franziskanern Ordnung machen mussten? „Ordnung machen, das können wir selber!“ 1316, auf dem Generalkapitel in Neapel, wählte die schweigende Mehrheit der Franziskaner einen starken Mann als Ordensgeneral: Michael von Cesena.

Bruder Michael machte Ordnung nach dem ältesten Rezept der Welt: Nach innen handelte er reaktionär, nach außen redete er progressiv. Während er also mit eiserner Faust im ganzen Franziskanerorden die Maxi-Mode wiederherstellte, ja eigenhändig in Marseille die letzten vier Mini-Franziskaner den Dominikanern auf den Scheiterhaufen lieferte, spielte Michael von Cesena nach außen den begeisterten Fundi.

Anlass bot ihm der „theoretische Armutsstreit“, der in der Provence zwischen Franziskanern und Dominikanern ausgebrochen war. Ein radikaler Franziskaner, Berengarius von Perpignan, hatte dort die Gläubigen aufgewiegelt mit der irren Behauptung, Jesus und die Apostel hätten „kein Portemonnaie gehabt“ („non habuisse loculos“). Der Inquisitor der Narbonne, der Dominikaner Johannes von Belna, stellte ganz nüchtern und sachlich richtig, dass der Heiland sehr wohl ein Portemonnaie gehabt habe. Statt sich zu fügen, machte der Franziskaner daraus einen Grundsatzstreit: Dass Jesus Christus und die Apostel weder Geld noch Gut besaßen, sei „dogma sanum et catholicum – gesundes katholisches Dogma“.

Dieser vermessene kleine Provinz-Franziskaner war noch gar nicht verbrannt, da ließ sich der Ordensgeneral hinreißen zu einem Schritt von selbstmörderischer Verblendung. 1322, auf dem Generalkapitel der Franziskaner in Perugia, ließ er das neue dogma sanum et catholicum einstimmig und feierlich vom ganzen Orden beschließen.

Jetzt war der Papst herausgefordert. Selbst in der Schwäche seines Exils zu Avignon konnte Johannes XXII unmöglich zulassen, dass der Franziskanerorden an seiner Stelle Dogmen proklamierte. Zuerst bestellte der Papst bei einem der berühmtesten Theologen des Dominikanerordens, bei Magister Herveus, ein theologisches Gutachten, in dem zweifelsfrei bewiesen wurde, dass Jesus Christus nicht nur ein Portemonnaie besaß, sondern sogar auch in Immobiliengeschäften tätig war.

Heißt es nicht zum Beispiel bei Markus im 2. Kapitel 1. Vers, dass Jesus, obwohl er selber in Nazareth wohnte, in Kapharnaum „in seinem Haus“ aufgetaucht sei? Hausbesitzer Jesus. Plötzlich verstehen wir, warum der Heiland soviel unterwegs war. Wie jeder verantwortungsvolle Immobilienbesitzer musste Jesus Christus überall selbst nach dem Rechten sehen.

Gestützt auf diese gesicherte Erkenntnis, fällte Johannes XXII am 12. November 1323 in dem Sendschreiben „Cum inter nonnullos“ die unfehlbare Entscheidung: „Anathema sit – Wer hartnäckig behauptet, Jesus Christus und die Apostel hätten weder Geld noch Gut besessen, der sei im Banne und er sei verflucht.“

Zu dieser unfehlbaren Entscheidung ist der persönliche Auftritt Michaels von Cesena vor Papst Johannes XXII nur ein beschämendes Nachspiel. Fünf Jahre lang hatte der verstockte Franziskanergeneral sich geweigert, seinen Irrtum einzusehen. Auch am 9. April 1328, zu Füßen des päpstlichen Throns, zeigte er keine Reue. Im Gegenteil, er schrie dem Heiligen Vater ins Gesicht, von einem Papst, der 25 Millionen Golddukaten in die eigene Tasche gewirtschaftet habe, sei in Sachen Armut keine gerechte Entscheidung zu erwarten. Laut päpstlichem Protokoll verlor in diesem Augenblick leider auch der Heilige Vater selbst die Nerven. „Heu te temerarium, insanum, haereticum! “, schrie er den Franziskaner an. „Du unverschämter Spinner und Ketzer“, „eheu te serpentem in sinu Ecclesiae nutritum – du Schlange am Busen der Kirche! “

Liebe Christinnen und Christen! Brauche ich lange zu erzählen, wie dieser unselige Franziskaner auf der abschüssigen Bahn der Ketzerei in immer tiefere Schande fiel? Wie er feige aus Avignon floh, noch bevor die Ehrwürdigen Väter Dominikaner ihn an seinem Maxirock packen und ihn verbrennen konnten? Wie er nach Rom floh und dort einen gütigen, alten, weltfremden Ordensbruder, Petrus von Corbario, frevelhaft dazu überredete, sich zum Gegenpapst aufrufen zu lassen? Wie er später vor dem gerechten Zorn des wahren Papstes zum Kaiser floh? Wie er, der verblendete Armutsapostel, sich ganz zum Schluss in München noch, ob ihr’s glaubt oder nicht, verstrickt hat in schmierige, schmutzige Geldgeschäfte?

Nein, wir wollen den ketzerischen Franziskaner nicht verurteilen. Aber wir wollen ihn vergessen. Allezeit ins Gedächtnis geschrieben sei uns dagegen das dogma sanum et catholicum, das die Ehrwürdigen Väter Dominikaner von der Heiligen Inquisition für uns erdacht haben und das Papst Johannes XXII aus Avignon unfehlbar verkündet hat: Besitz und Eigentum sind etwas Köstliches, und Geld im Portemonnaie zu haben, ein Segen Gottes.

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