Kitabı oku: «Der eiserne Gustav», sayfa 7

Yazı tipi:

3 Eva trifft einen Bekannten

Es war Eva eigentlich ganz recht, daß sie von Vater und Bruder getrennt worden war. Sie hatte nichts dazu getan, aber als es geschah, hatte sie sich auch nicht übermäßig angestrengt, die Ihren wiederzufinden. Sie schob sich lachend mit der Menge fort, jetzt in der anderen Richtung, die Linden abwärts, dem Brandenburger Tor zu …

Das Geschwätz der beiden hatte sie bloß gelangweilt, immer nur Erich und Otto, ewig bloß Krieg und Zusammenhalt. Pustekuchen! Jetzt sollten sie wohl noch näher aufeinanderhocken, eine einzige Verwandtschaft und Liebe – sie hatte von den letzten eingezogenen Wochen die Nase wahrhaftig voll! Und überhaupt Krieg – wieso denn Krieg? Dies war erst einmal Mobilmachung – und so viel hatte sie in letzter Zeit auch schon begriffen, daß Mobilmachung kein Krieg war.

Aber wenn Krieg so wurde, wie heute Mobilmachung aussah, dann war er eine großartige Sache! Noch nie hatte sie die Männer so aufgekratzt gesehen, mit so leuchtenden Augen! Ein kleiner Dicker, ein Uralter, sicher schon vierzig, mit Knebelbart, faßte sie plötzlich um die Taille. »Na, Kleene?! Freuste dir ooch? Ick freu mir!«

Und war schon weiter, ehe sie noch protestieren konnte.

»Kriegsbraut gesucht, die mir noch schnell die Socken stopft!« rief ein junger Mann, krähend. Und alle lachten.

Es war herrlich, sich von diesem Gewoge treiben und wiegen zu lassen, es war Feststimmung!

Eine Hand legte sich von hinten auf ihre Schulter, eine etwas heisere Stimme fragte: »Na, Frollein, immer noch jut zuweje?«

Sie fuhr herum, und erschrocken sah sie in ein Gesicht, das sie einmal kurze Minuten gesehen und nicht vergessen hatte, in ein bräunliches, freches Gesicht mit schwarzem Schnurrbart.

»Was wollen Sie?« rief sie. »Ich kenn Sie gar nicht – lassen Sie mich gefälligst los!«

Der junge Mann lächelte. Er sah sie an und sagte: »Det macht ja nischt, wenn Se mir nich kennen – denn werden Se mir eben kennenlernen!«

»Lassen Sie mich zufrieden! Oder ich rufe einen Schutzmann!«

»Na, rufen Se doch, Frollein, rufen Se! Ick helf Ihnen jerne rufen. Oder wollen wa zusammen zu einem jehn, wie, wat? Det macht mir jar nischt, so ein Blauer – blau is immer meine Lieblingsfarbe jewesen. Sie haben auch ein hübschet blauet Kleid an, Frollein.«

Eva war immer eine richtige Berliner Göre gewesen, frech und vorlaut. So leicht konnte ihr niemand Angst einjagen. Aber jetzt hatte sie Angst, ihre Frechheit verging vor der Selbstsicherheit dieses Kerls, seiner kalten Großschnäuzigkeit, der unverschämten Art, mit der er ihr Kleid antippte, gerade auf der Brust. Und zwischen den Brüsten hing …

»Bitte, lassen Sie mich gehen«, bat sie schwach. »Es muß eine Verwechslung sein …«

»Natürlich laß ick Ihnen jehn«, antwortete er lachend. »Jehn is bei die Hitze jesund. Kommen Se man, Frollein, ick jeh ooch’n Stückchen.« Und er faßte sie ungeniert unter den Arm. »Wat die Affen sich haben«, fuhr er überlegen fort, »bringen sich um, vor Bejeisterung, bloß weil se in’n Krieg dürfen. Als wenn se det nich einfacher hätten, det Abschlachten, vorm Spiegel mit’m Rasiermesser. – Nee«, sagte er abschließend, »so was is nischt for uns – wir sind mehr für Lebeschön, wat, wie?«

»Bitte …«, flehte sie eindringlich. »Lassen Sie mich gehen, ich kenn Sie doch gar nicht!«

»Mächen!« flüsterte er. Plötzlich hatte sich sein lächelndes Gesicht verändert, er sah sie mit einem bösen, kalten Zorn an. »Mach mir keene Zicken! Seit vier Wochen loof ick Berlin ab nach dir, nu find ick dir endlich – denkste, ick laß dir nu wieder loofen?«

Er sieht sie drohend an, und unter dieser Drohung erzittert sie und schweigt.

»Denkste, ick hab dir die Sachen in deine dußlije Marchttasche gesteckt, von der det Bild an alle Litfaßsäulen klebt, damit du se behältst? Nee, Frollein, so doof sind wir nich … Det mußte mir allet fein wieder abliefern …«

Er sah sie an, und sie, gegen ihren Willen, sie nickte …

»Und wenn de abjeliefert hast, denn sind wir noch lange nich fertig miteinander! So eine wie dich ha’ick schon lange jesucht, frisch aus Mutters Mottenkiste, det erleichtert mir mein Jeschäft … Wat denkste, wie fein ick dir anlernen tu! Du wirst noch ’ne janz jroße Nummer – aufm Alex werden se sich dein Bild einrahmen: Det is nämlich die, die mit ’nem Juwelendiebstahl bei Wertheim anjefangen hat!«

»Bitte nicht!« flehte sie. »Die Leute …«

In ihrem Kopf arbeitete es fieberhaft. Es mußte möglich sein, sich von ihm loszureißen und im Gedränge zu verschwinden … Sie wartete nur auf den Augenblick, wo der Druck seines Armes einmal nachließ …

»Also, wie heißte denn?«

»Eva …«, sagte sie schwach.

»Na, und wie denn weiter, meine süße, kleene Eva?«

»Schmidt!«

»Na natürlich doch, Schmidt! Ha’ick doch jleich jedacht – Meier wäre mir auch zu jewöhnlich jewesen! – Und wo wohnste denn, Frollein Schmidt?«

»In der Lützowstraße.«

»Also in de Lützowstraße, feine Jejend, wie? Und wo haste denn die Dingerchen, die feinen, blanken, glitzrigen, du weeßt schon. Zu Hause, wat?«

»Habe ich auch!« sagte sie kühn. Sie war jetzt fest entschlossen, ihm, sobald es paßte, mit der freien Hand in die Augen zu fahren, sie würde ihn kratzen, loskommen …

»Also zu Hause«, wiederholte er höhnisch. »Auch ne jute Jejend, bei euch zu Hause, wat, wie? Und wo haste sie denn da? Wohl unterm Kopfkissen, wat?«

»Nein«, sagte sie. »Im Gewicht von der Hängelampe.«

»Im Jewicht von der Hängelampe«, wiederholte er nachdenklich. »Det is jar nich so schlecht, du hast ja Talente für deinen Beruf! Det Vasteck haste dir nich eben erst ausjedacht. Du hast also schon früher jeklaut, wat?«

Sie antwortete nicht, wütend über ihren Fehler.

Und wieder kommt bei ihm dieser plötzliche Übergang von lachendem, grinsendem Hohn zu brutaler, nackter Drohung. Sein dunkles Gesicht nahe ihrem weißen, flüstert er mit heiserer Stimme: »Un nu will ick dir ma erzählen, wat jespielt wird, mein Frollein Schmidt aus de Lützowstraße mit de Hängelampe! Kuschen wird jespielt, Parieren wird jespielt – wenn ick pfeife, kommste, vastanden?! Vastanden – du? Sieh mir an, du – Nutte!« Sie sieht ihn an, zitternd.

»Du Nutte von einem Dieb, du!« sagt er zwischen den Zähnen. »Du feinet Frollein – Eva – Hackendahl!«

Er sieht sie triumphierend an, er kostet mit Wonne ihr Entsetzen, als sie merkt, es gibt kein Entrinnen, er kennt ihren Namen. Es gibt keine Flucht …

Er genießt seinen Triumph. Aber da er sie so vollständig unterworfen sieht, nur noch schneeweiß und zitternd, verliert sich sein Zorn. Der Sieger wird großmütig.

»Ja, da staunste«, sagt er lachend. »Mußte dir eben keinen alten Herrn anschaffen, der deinen Namen über de halben Linden tutet! Siehste, ick bin ja nich so, ick tu nich, als könnt ick hexen. Det war doch dein Vater, der so rief …?«

Sie nickt.

»Wenn ick dir wat frage, haste zu antworten! Sag ja!«

»Ja …«

»Sag: ›Ja, Eugen!‹«

»Ja – Eugen.«

»Jut – und nu, wo wohnste wirklich? Aber mach mir nich noch mal Schwindel, ick versprech dir, für jedesmal, wo de mir anschwindelst, schlag ick dir alle Knochen kaputt! Und ick tu’s …«

Sie ist überzeugt, daß er es tun wird, ihr Kopf sucht nach einem Ausweg und findet doch keinen …

»Wo wohnt ihr?«

»Frankfurter Allee.«

»Wo da?«

»Der Fuhrhof …«

Er pfeift durch die Zähne. »Ach, der is det, der mit de Droschken? Den kenn ick doch, die janze Zeit grüble ick: Die Wachtmeisterfresse kennste doch! Aber da krieg ick ja ein feinet Frollein Braut, da krieg ick ja ein prima Vahältnis, det is ja jroßartig …« Er ist plötzlich sehr aufgeräumt. »Und nu paß uff, Kleene … Evchen …«

Sie zittert wieder.

»Kuck bloß nich so ängstlich. Vor mir brauchste doch keene Angst haben, ick bin der jutmütigste Kerl von janz Berlin, ein wahrer Trottel bin ick – wenn de tust, wat ick dir sage. Also heute abend um neune biste an der Ecke von der Großen und Kleenen Frankfurter Straße. Vastehste?«

Sie nickt, aber als sie eine Bewegung bei ihm sieht, sagt sie rasch: »Ja – Eugen.«

»Die blanken Dingerchen, du weeßt schon, die brauchste nich extra mitzunehmen, weil de se nämlich schon mit hast … So doof mußte nich noch mal sind, ’nem ausjekochten Jungen zu erzählen, se sind im Jewicht von der Hängelampe, wo ick die janze Zeit det Band in deinem Ausschnitt sehe …«

Wieder erblaßt sie.

»Aber ick bin nich so, die Sore nehm ick dir ab, wat willste ooch damit? Tragen kannste die Dinger doch nich, und du fällst bloß rein damit. Aber ick jeb dir mal wat anderes, wat de tragen kannst, ooch schöne Sachen – ick hab es ja dazu …

Und überhaupt, Mächen«, und jetzt drückt er ihren Arm, aber zärtlich, »det wird ’ne janz prima Sache mit uns beiden, da mußte dir nich vor ängsten, wir werden noch manche jute Stunde miteinander haben.«

Er lacht kurz, ihr Arm liegt jetzt still in seiner umspannenden Hand. »Nur eins: Parieren mußte, da hilft dir nischt – un wenn ick oben uff de Siejessäule sage: Spring!, denn springste, sonst kenn ick mir nich vor Wut.«

Er läßt sie plötzlich los, sieht sie prüfend an. »Haste Angst, wie, wat?«

Sie nickt langsam, Tränen in den Augen.

»Det jibt sich, Evchen«, sagt er, oberflächlich tröstend. »Zuerst hat jede Angst jehabt, aber det jibt sich. Un mach mir keene Dummheiten mit Rennen uff de Polizei – da schlag ick dir langsam tot, heute oder in zehn Jahren.«

Er lacht kurz, nickt noch einmal und befiehlt dann: »Marsch, nach Haus!«

Ehe sie sich noch besinnen kann, ist er fort.

4 Der Abgeordnete und Erich

In einem Zimmer im ersten Stock eines Hauses an der Jägerstraße geht ein schwerer, schwärzlicher Mann in Hemd und Hose auf und ab. Er geht auf und ab, er pfeift dabei die Marseillaise, seine Füße in ledernen Hausschuhen gehen sachte über den mit Linoleum belegten Boden.

Ab und zu tritt der Mann ans Fenster und sieht auf die Jägerstraße hinunter, die auch etwas von dem Trubel abbekommen hat, der an diesem ersten Mobilmachungsnachmittag Unter den Linden herrscht. Dann schüttelt der Mann den Kopf, er pfeift leiser, aber er marschiert weiter.

Nun fliegt draußen die Etagentür auf. Rumm! Rumm! schlägt sie zu, eilige Schritte kommen, die Tür wird mit einem Ruck geöffnet, und in ihrem Rahmen steht rasch atmend, mit geröteten Wangen Erich Hackendahl.

Der schwere dunkle Mann sieht den jungen Menschen ernst an. »Nun …?« fragt er.

Erich ruft nur: »Mobil!«

Der Mann sieht ihn weiter unverwandt an, er nimmt dabei die Weste vom Stuhl und fängt an, sie überzuziehen. »Das war zu erwarten«, sagt er schließlich langsam. »Aber mobil heißt noch nicht Krieg!«

»Ach, Herr Doktor!« ruft Erich noch immer ganz atemlos. »Die Menschen sind ja so begeistert! Sie haben gesungen: ›Nun danket alle Gott‹. Ich habe auch mitgesungen, Herr Doktor.«

»Warum sollen sie nicht begeistert sein?« fragt der Doktor und fährt in die Jacke. »Es ist doch etwas Neues! – Und dann hat wahrscheinlich ihr strahlender Kaiser wieder einmal geredet, von schimmernder Wehr, von Feinden in aller Welt …«

»Nichts! Nichts! Nichts von alledem!« ruft der Junge. »Ganz falsch, Herr Doktor! Ein Schutzmann ist aus dem Portal gekommen, ein ganz einfacher Blauer, und hat die Mobilmachung bekanntgemacht. Es war herrlich!«

»Er ist ein großer Theatermann, euer Heldenkaiser«, sagt der schwere Mann ungerührt. »Jetzt macht er es also mit der altpreußischen Schlichtheit – er hat Friedrich den Einzigen kopiert. Aber, Junge, Erich, merkst du denn nicht, daß du ihm auf den Leim gehst – du kennst doch seine leidenschaftliche Liebe für Prunk und Trara! Und plötzlich ein einfacher Schutzmann – das ist doch alles Mache!«

»Es war aber keine Mache, als wir den Choral sangen«, antwortete der Junge, fast trotzig.

»Und hast du dir denn nicht die Leute angesehen, die da sangen? Das war doch nicht das Volk, mein Sohn, nicht der Arbeiter, der die Werte schafft. Das waren dicke Bürger, und wenn die ihrem Gott für die Mobilmachung danken, so danken sie ihm für das große Geschäft, das sie wittern. Das ganz große Geschäft, Kriegsgewinne aus der Leiche des Bruders …«

»Oh, pfui, pfui, Herr Doktor!« rief Erich leidenschaftlich. »Sie sind ja nicht dabeigewesen! Die haben nicht an Geschäft gedacht, die haben an Deutschland gedacht, das bedroht ist, von Rußland, von Frankreich, vielleicht sogar von England …«

»Überlege doch ruhig, Erich«, sagte der dunkle Mann, ungerührt von dem Ausbruch des Jungen. »Du hast doch einen guten Verstand, denke doch einmal nach! Wenn wir jetzt mobil machen, bedrohen wir doch wieder die anderen, und vielleicht steht zur gleichen Stunde der Arbeiter an der Newa und an der Seine und fühlt sein Vaterland bedroht, nun aber von uns!«

Erich stand betroffen, nachdenklich. »Die anderen …«, fing er an.

Der Mann lächelte. »Jetzt willst du sagen, Erich, daß die anderen angefangen haben – wie die Kinder einander bei der Mutter verklagen. Wir sind aber keine Kinder mehr, Erich. Der Arbeiter, Erich, hat kein anderes Vaterland als die Arbeiterschaft der ganzen Welt …«

»Aber Deutschland …!«

»Deutschland, Erich, ist heute noch ein Land, in dem der Arbeiter rechtlos ist. ›Arbeite und kusche‹ ist hier die Losung. Der deutsche Arbeiter hat nur einen Freund auf der Welt, das ist der Arbeiter in Frankreich, der Arbeiter in Rußland – und auf den soll er schießen?« Plötzlich jäh: »Wir sind hundertzehn sozialdemokratische Abgeordnete im Reichstag – wir bewilligen die Kriegskredite nicht, wir sagen nein. Mit uns sagt nein fast ein Drittel des deutschen Volkes.«

»Ich habe am Schloß gestanden«, fing Erich nach einer Pause wieder hartnäckig an. »Ich habe sie singen hören, ich habe mitgesungen, Arbeiter haben mitgesungen. Es kann keine schlechte Sache sein, die uns so begeistert hat …«

»Es ist eine schlechte Sache. Du bist jetzt berauscht, Erich, aber es ist ein schlimmer Rausch. – Du weißt noch nicht, was das ist, ein Krieg, wenn Menschen Menschen erschießen, wenn es einer Mutter Sohn erlaubt ist, einer anderen Mutter Sohn zu töten, zu verstümmeln …«

»Und wissen Sie denn, was das ist: Krieg?« rief Erich.

»Ich weiß es. Seit meiner Jugend habe ich für den Arbeiter gekämpft, auch das war ein Krieg, es gab alle Tage Tote, Verstümmelte … Aber ich habe gewußt, wofür ich kämpfte, dafür, daß der deutsche Arbeiter, und mit ihm der Arbeiter der Welt, ein wenig glücklicher, ein wenig leichter lebte. Wofür kämpft ihr? Sag es doch!«

»Für die Verteidigung Deutschlands!«

»Aber was ist denn dein Deutschland?! Hat es ein Haus für seinen Sohn, tägliches Brot für ihn, auch nur das Recht auf Arbeit?! Soll er sein verwanztes Bett verteidigen, den Schutzmann, der ihm seine Versammlungen auflöst? Das hat er in der ganzen Welt, dafür braucht er kein Deutschland!«

»Es muß falsch sein, was Sie sagen«, antwortete Erich. »Ich kann es nicht mit Worten sagen, aber ich fühle das: Deutschland ist noch etwas anderes … Und wenn der Arbeiter wirklich nur ein verwanztes Bett hat, wie Sie sagen, so wird er mit ihm in Deutschland unter Deutschen glücklicher sein als in der ganzen anderen Welt …«

Sie standen eine Weile schweigend, auf der Straße schwoll der Jubel und Trubel und sank wieder, schwoll und sank, es war wie Brandung des Meeres …

Der große Mann bewegte sich, wie aus einem Traum. »Du mußt jetzt gehen, Erich«, sagte er ganz ruhig. »Ich kann dich nicht länger bei mir behalten.«

Erich machte eine Bewegung.

»Nein, Erich, ich schicke dich nicht im Ärger fort. Aber ich bin Abgeordneter der Sozialdemokratischen Partei, ich kann keinen Kriegsbegeisterten als Sekretär um mich haben. Das geht nicht. Als du vor vier, fünf Wochen zu mir kamst, ratlos, hilflos, da dachte ich, ich könnte dir helfen. Du würdest einer der Unseren werden, ein Mitarbeiter am großen Werk der Befreiung der Arbeiterschaft …«

»Sie waren sehr gut zu mir, Herr Doktor«, sagte Erich stockend.

»Du hattest Schlimmes getan, Erich, und du wolltest noch Schlimmeres tun, das Schlimmste, was ein Mensch tun kann: dich wissentlich, willentlich in den Dreck legen und verkommen. Ich kannte dich aus den Debattierversammlungen, ich kannte deinen schnellen, scharfen Geist, etwas Kritisches, das dich mit deinem behaglichen Daheim unzufrieden sein ließ. Du schienst mir ein Umstürzler, ein Rebell – und wir brauchen Rebellen.«

Erich machte eine hastige Bewegung, besann sich und schwieg.

»Du willst sagen«, sprach der Abgeordnete, »daß du noch immer ein Rebell bist. Aber du bist es nicht, denn du willst in einen Krieg ziehen, der die bestehende schlechte Ordnung verteidigt. Denn du willst doch mit, nicht wahr? Kriegsfreiwilliger – ja?«

Erich nickte trotzig. »Ich muß«, sagte er. »Ich fühle, das Volk will diesen Krieg, nicht ich allein!«

»So?« fragte der Abgeordnete spöttisch. »Wollen wir jetzt schon einen Krieg? Ich dachte, wir verteidigen uns. Nun, wir Sozialdemokraten jedenfalls wollen ihn nicht, wir werden gegen Regierung und Kriegskredite stimmen. So werden die Arbeiter in aller Welt tun – und es wird aus sein mit euerm Krieg!«

Er schnippte mit den Fingern.

»Es wird nicht aus sein mit dem Krieg – und ihr werdet auch für den Krieg stimmen!« rief Erich. »Sie haben ja das Volk noch gar nicht gesehen, Sie sitzen auf den Büros, auf Fraktionsversammlungen, aber das Volk, das Volk …«

»Natürlich«, sagte der Mann, »nun erzähle mir noch, daß ich das Volk nicht kenne. – Aber, Erich, wir wollen uns doch nicht im Streit trennen. Du wirst jetzt nach Haus gehen, Erich. Hier«, er schloß den Schreibtisch auf, »sind die vierhundertachtzig Mark, die du mitgebracht hattest – gib sie deiner Schwester zurück. – Es ist gleichgültig«, rief er ungeduldig, »ob das Geld deiner Schwester rechtmäßig gehört oder nicht, du sollst unbelastet von uns heimkehren – dorthin. Und hier hast du achtzig Mark für deinen Vater – du kannst sie unbesorgt nehmen, es ist ungefähr das, was ich als dein Gehalt gedacht hatte, du hast sie redlich verdient.« Leiser: »Ich habe mich immer gefreut, wenn ich dich hier sah …«

»Sie sind sehr gut zu mir, Herr Doktor«, sagte Erich wieder.

»Nein, ich bin nicht gut zu dir. Ich dürfte dich nicht gehen lassen – in dieses Abenteuer. Aber ich habe keine Zeit, um dich zu kämpfen. Jetzt muß dieser Krieg verhindert werden, das ist mein Kampf.«

Sie standen einen Augenblick schweigend.

»Vielleicht auf Wiedersehen, Erich!« sagte der Doktor dann freundlich.

»Auf Wiedersehen, Herr Doktor«, antwortete Erich leise.

5 Abendessen bei Hackendahls

Zum erstenmal seit langen Wochen hatte die Familie Hackendahl wieder einmal vollzählig um den Abendbrottisch gesessen, und der alte Vater hatte so wenig eisern in die Runde geschaut, wie es ihm nur möglich war. Alles war wirklich vergeben und vergessen, keinerlei unangenehme Fragen waren gestellt worden. Was der Friede veruneinigt hatte, der nahende Krieg hatte es zusammengeführt.

Sophie war auch heimgekommen, vom Krankenhaus war sie auf einen Sprung herübergelaufen, zu erfahren, welche Veränderungen der Krieg der Familie Hackendahl bringen würde.

»Also Otto rückt schon morgen früh ein«, berichtete Vater Hackendahl zufrieden, »und Erich werden sie wohl auch gleich dabehalten, wenn er sich freiwillig stellt. Und Sophie, du denkst also auch bald an die Front zu kommen, wenn du auch erst Lehrschwester bist?«

»Und ich«, rief Bubi. »Du sagst nein, Vater, aber ich sage, sie nehmen mich doch. Jetzt wird jeder Mann gebraucht.«

Alle lachten, und Hackendahl meinte: »Es wäre schlimm um uns bestellt, wenn wir schon Kinder wie dich brauchten! Das haben wir Gott sei Dank noch nicht nötig. – Aber, hört mal, denkt ihr denn gar nicht an mich?!«

»An dich, Vater? Wieso?«

»Na, ich werde mich doch natürlich auch freiwillig melden.«

»Aber, Vater, du bist doch ein alter Mann!«

»Ich alt? Ich bin erst sechsundfünfzig! Was ihr könnt, kann ich noch allemal!«

»Aber dein Geschäft, Vater – die Droschken!«

»Was geht mich das Geschäft an? Jetzt geht das Vaterland vor. Nein, Kinder, das ist ausgemacht, ich gehe mit.«

»Immer hat Vater gesagt«, jammerte die Mutter, »er kann sich nicht einen Tag freinehmen, das Geschäft geht nicht ohne ihn. Und jetzt plötzlich kann er ganz einfach in den Krieg!«

»Wirst du dich eben um das Geschäft kümmern, Mutter!« Wieder lachten sie.

»Ich meine das im Ernst. Wer, denkt ihr denn, soll jetzt all die Arbeit von den Männern machen, die ins Feld ziehen? Doch nur ihr Frauen! Das wird schon gehen, Mutter. Eva hilft dir. – Was ist mit dir, Eva, du sitzt so blaß da und redest keinen Ton …?«

»Ach, nichts, Vater. Es ist wohl nur die Hitze und das Gedränge beim Schloß gewesen …«

»Vater«, fing Heinz wieder an. »Ob ich wohl noch mitkomme? Wie lange, denkst du denn, kann der Krieg dauern …?«

Wieder lachte der Vater. »Du Grünschnabel! Sechs Wochen, höchstens bis Weihnachten – dann bist du immer noch dreizehn! Nein, Weihnachten feiern wir schon wieder zu Hause. Bei den modernen Kampfmitteln …«

So ging die Unterhaltung. Aber Vater Hackendahl merkte gar nicht, daß es eigentlich nur er war, der sprach, daß die anderen alle recht seltsam schwiegen.

Mit gesenktem Kopf saß Erich am Tisch, jawohl, nun war er wieder zu Hause, es war alles vergeben und vergessen. Das Geld war zurückgezahlt worden, morgen würde er zum Direktor gehen und sich wegen Zeugnis und Abschlußprüfung erkundigen – und dann zu den Soldaten! Wie eh und je saß er in der Familie, sie trugen ihm nichts nach – aber schon jetzt, nach einer kurzen Stunde, lag es wie ein Druck auf ihm, es würgte ihn im Halse. Diese altgewohnten, diese bis zum Überdruß gesehenen Gesichter, das ewige Jammern der Mutter, die Art, wie der Vater das Messer benutzte, der ständige Pferdestallgeruch um Otto – ach, es war eine Kette, die sich an sein Bein legte!

Als er beim Anwalt gewesen war, hatte er einfach nicht verstehen können, daß er, Erich, ein gemeiner Hausdieb gewesen war, feige Geld gestohlen hatte, um damit zu Alkohol und Weibern zu laufen … Nun saß er wieder hier, und schon verstand er es. Man tat hier ja alles, nur um aus dieser Umgebung herauszukommen, aus diesem Mief und Muff jämmerlichster Kleinbürgerlichkeit! War das derselbe Krieg, von dem Vater jetzt so platt und dumm daherredete (»Wir werden sie schon dreschen, die Rothosen!«), und der Krieg, von dem er zum Anwalt gesprochen hatte? Nein, es war ein ganz anderer Krieg! Dies hier, dies Heim, diese Menschen waren nicht zu verteidigen, so etwas mußte man einreißen, das war nicht Deutschland!

Eva, die Stumme, die Blasse, Eva aber, die sonst immer mit dem Munde vorweg war, saß vor ihrem Teller, sie stocherte mit der Gabel, das Essen quoll ihr im Munde. Von ferne hörte sie die anderen reden. Das war so weit weg, aber sie mußte um neun Uhr an der Ecke von der Großen und der Kleinen Frankfurter Straße sein – und der Vater erlaubte nie, daß sie nach dem Abendessen noch fortging.

Aber, wenn sie an eine Ausrede denken wollte, verwischte sich gleich alles. Sie konnte ihre Gedanken nicht festhalten. Das bräunliche Gesicht mit dem kleinen schwarzen Schnurrbart und den bösen schwarzen Augen schob sich dazwischen. – »Du Nutte!« hatte er gesagt. Keiner hatte je so zu ihr gesprochen, aber wenn es einer getan hätte, sie hätte ihn bloß ausgelacht. Wenn sie es auch mit den Männern nicht so genau nahm, das hatte sie noch nie getan, und so war sie auch keine Nutte. Er aber nahm sie von Anfang an so, und in seinen Händen würde sie immer so sein, er würde sie dazu machen …

Unausweichlich, unentrinnbar stieg ihr Schicksal vor ihr auf. Flüchtig muß sie daran denken, daß ihr Erich kurz vor dem Abendessen »ihr Geld« wiedergegeben hat, mit einer verlegen gemurmelten Entschuldigung – sie muß daran denken, wie groß sie jetzt dastände, fast fünfhundert Mark und so viel kostbaren Schmuck … Aber an der Ecke der Kleinen und Großen Frankfurter Straße flackert die Gaslaterne im Sommerabend, Eugen – Eugen! – pfeift, und sie kommt. Eugen sagt: Lad ab!, und sie lädt ab. Eugen befiehlt: Leg dich hin!, und sie legt sich hin!

Aber das dritte Kind? Aber der Otto? Er ist der einzige von den sieben Personen, die um den Abendbrottisch sitzen, der sein Schicksal für die nächsten Tage genau kennt, in diesen Tagen, da alles allen so ungewiß ist. Er stellt sich morgen, er wird eingekleidet, verladen …

Er steigt die Treppe hinauf, er drückt zweimal auf den Klingelknopf – und dann? Und dann?!

Der Gustäving, der Junge, der wird dann schon schlafen, aber nur um so schlimmer! Allein, ohne Ablenkung, werden sie einander gegenüberstehen, und sie wird fragen: Und dein Versprechen? Die Papiere? Die Trauung? Gustäving …?

Sein Hirn arbeitet langsam, es überlegt, daß die Papiere wohlgeordnet in des Vaters Schreibtisch liegen, für jedes Kind gibt es eine Mappe. Morgen früh, direkt, ehe er in die Kaserne geht, wird Vater den Schreibtisch aufschließen und ihm geben, was er haben muß: den Militärpaß also, den Geburtsschein, den Taufschein … Ja, braucht er die denn …?

Und sein Kopf verliert den Weg über dieser Frage: Was braucht er für Papiere? Was braucht er für Papiere für das Militär, und was für Papiere für den Pastor? Aber er hat ja gar keine Zeit für den Pastor, direkt, wenn er die Papiere hat, muß er in die Kaserne. Ein Pastor aber braucht viel Zeit, Traukutsche und Orgel, Rede und Hochzeitszeugen – und sie haben ja noch nicht einmal Ringe!

Hilflos sieht er hoch. Er schaut in die Gesichter von Geschwistern und Eltern, er bewegt die Lippen, fast erlöst denkt er bei sich: Das werde ich ihr sagen: Wir haben ja noch keine Ringe! Und wer keine Ringe hat, den kann man doch auch nicht trauen, das verstehst du doch, Tutti?

»Was redest du denn, Otto?!« ruft Bubi übermütig. »Ich glaube, der redt mit dem Mann im Mond!«

Alle lachen, und der Vater sagt: »Der Otto ist schon gar nicht mehr bei uns. Der sagt sich schon die Felddienstordnung her. Oder die Kriegsartikel. Nicht wahr, Otto?«

Otto murmelt etwas, und die anderen vergessen ihn gleich wieder, wie sie ihn immer gleich vergessen. Nein, denkt er, es ist unmöglich, den Vater schon heute abend um die Papiere zu bitten, und wenn es möglich wäre, so hätte es keinen Zweck, denn nachts wird man nicht getraut, und morgen früh ist keine Zeit mehr …

Der alte Vater Hackendahl, der eiserne Gustav, sitzt so recht behaglich am Abendbrottisch der wiedervereinten Familie und fühlt: Es ist alles noch wieder gut geworden, alle sind wieder heimgekehrt, wie es sich gehört.

Aber er irrt sich, er fühlt sich nur darum so behaglich, weil er nichts weiß von seinen Kindern. Alle denken sie fort, alle empfinden den Familienzwang lästig, allen brennt der Boden unter den Füßen. Aber Hackendahl merkt nichts von alledem, und er ist darum baß erstaunt, als sich seine Familie sofort nach dem Mahlzeit-Sagen zerstreuen will.

»Aber, Kinder!« ruft er vorwurfsvoll. »Ich denke, wir sitzen alle noch ein bißchen gemütlich zusammen. Bubi holt eine Kanne Bier und ein paar Zigarren, und wir quatschen noch ein bißchen! So jung kommen wir doch nicht wieder zusammen!«

Sophie aber muß sofort ins Krankenhaus und Otto zum Rappen mit der Nasenblesse, der ein heißes Bein hat und gekühlt werden muß. Erich aber will unbedingt noch zum Schloß, ob es Neues gibt, und Eva möchte ihn ein Stück begleiten – sie denkt, ihre Kopfschmerzen gehen in der Abendluft fort.

So bleibt nur Bubi – und der muß natürlich ins Bett. Da er aber heftig protestiert, so gibt dies willkommenen Anlaß zu einem gewaltigen militärischen Befehlsaufwand. Bubi wird nach allen Regeln der Kunst »gestaucht«, und als das vorüber ist, als Bubi heulend im Bette liegt, entdeckt Hackendahl, daß seine anderen Kinder indessen verschwunden sind.

Nur die Mutter sitzt behaglich im Korbsessel am Fenster, sieht in den sinkenden Abend und jammert zufrieden: »Das war mal wieder ein schönes Abendessen, Vater. Aber der gekochte Schinken hatte einen kleinen Stich von der Hitze – hast du das gemerkt, Vater? Und zu fett war er auch. Ich sage Eva immer, sie soll gekochten Schinken bei Hoffmann holen, aber sie hört ja nicht.«

Vater Hackendahl geht in den Stall, wird er wenigstens mit Otto noch ein bißchen schwatzen können!

Yaş sınırı:
18+
Hacim:
840 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783961188826
Yayıncı:
Telif hakkı:
Bookwire
İndirme biçimi:
epub, fb2, fb3, ios.epub, mobi, pdf, txt, zip