Kitabı oku: «Der eiserne Gustav», sayfa 8

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6 Wenn ich wiederkomme …!

Aber Otto ist nicht im Stall. Er ist über die beiden Höfe gegangen, und nun steigt er wirklich die Treppen empor, die vielen Treppen bis hinauf in den fünften Stock, die wie eine Aufgabe vor ihm gelegen haben. Er ist wohl schwach und ohne Eigenwillen, aber darum ist er noch kein Drückeberger. Er steigt die Treppen hinauf, er ist nicht zu Haus geblieben, er hat dem Rappen mit der Nasenblesse nicht das entzündete Bein gekühlt, das hat er dem Rabause aufgetragen.

Als Otto oben im fünften Stock ist, seufzt er nur einmal schwer auf. Aber er zögert nicht, er drückt zweimal auf den Klingelknopf der Gertrud Gudde, Schneiderin. Er muß eine ganze Weile warten, ehe Tutti an die Tür kommt, Tutti, die schon geschlafen hat, mit aufgelöstem Haar, in einem wolligen Morgenrock.

»Du, Otto?!« ruft sie ganz erstaunt. »Jetzt noch?«

Es stellt sich heraus, daß sie noch nichts weiß. Sie ist den ganzen Tag nicht aus dem Haus gekommen. Eine Zeitung liest sie nicht – und ihre Anproben sind ohne Absage ausgeblieben.

»Mobil«, sagt Otto nur. Er sieht sie scheu an. Dann sagt er: »Ich muß gleich wieder weg. Vater weiß nicht, daß ich fort bin.«

»Was ist das: mobil?« fragt sie ängstlich. »Heißt das Krieg?«

»Nein, nicht. Es heißt, daß ich morgen in die Kaserne muß.«

»Mußt du wieder dienen? Soldat sein? Aber warum, wenn es keinen Krieg gibt? – Es ist doch nicht Krieg?!«

»Nein, Tutti.«

»Aber warum mußt du dann in die Kaserne?«

»Vielleicht«, versucht er zu erklären, was er selber nicht genau versteht, »vielleicht bekommen die anderen Angst, wenn sie sehen, wieviel Soldaten wir haben.«

»Darum mußt du in die Kaserne?«

»Vielleicht – ich weiß doch nicht. Mobil heißt: Ich muß wieder dienen.«

»Wie lange denn?«

»Das weiß ich auch nicht …«

Stille, lange Stille. Er sitzt mit gesenkten Augen da, er schämt sich, daß er sie angelogen hat, alle haben davon geredet, daß es Krieg wird. Er aber sagt ihr immer bloß, daß mobil nicht Krieg ist. Vielleicht ist es die letzte Stunde, die sie so zusammensitzen …

Sie hat nachgegrübelt. Nun fragt sie: »Was sagt der Vater?«

»Ach, der …«

»Was sagt er, Otto?«

»Der ist doch immer noch wie beim Militär …«

»Er sagt, daß Krieg wird …?«

Otto nickt langsam.

Lange Stille.

Dann kommt ihre Hand zu der seinen über den Tisch. Seine Hand will ausweichen, aber sie wird gefangen. Erst widerstrebt sie, dann fügt sie sich in die kleine Hand mit den zerstochenen, harten Fingerkuppen der Näherin.

»Otto«, bittet sie, »sieh mich doch an …«

Wieder will die Hand entweichen, und wieder läßt sie sich halten.

»Otto!« bittet Tutti.

»Ich schäme mich so …«, flüstert er.

»Warum denn, Otto? Hast du Angst vor dem Militär?«

Er schüttelt hastig den Kopf.

»Vor dem Krieg …?«

Wieder Kopfschütteln.

»Aber warum schämst du dich denn, Otto?«

Er spricht nicht, er macht wieder einen Versuch, seine Hand zu befreien, er sagt: »Ich glaube, ich muß gehen.«

Sie kommt rasch um den Tisch, sie setzt sich auf seinen Schoß. Sie flüstert: »Komm, sag es mir ganz leise, warum du dich schämst …«

Er hat nur einen einzigen, idiotischen Gedanken im Kopf. »Ich glaube, ich muß nach Haus«, sagt er und will sich von ihr frei machen. »Vater schilt sonst …«

Sie hat ihre Arme um seinen Hals gelegt. Nur schwach glimmt der Lebensfunke in ihr, aber rein. »Mir kannst du doch sagen, warum du dich schämst, Ottchen«, flüstert sie. »Ich schäme mich ja auch nicht vor dir …«

»Tutti«, sagt er. »Ach, Tutti … Ich taug ja nichts. Vater …«

»Ja, sag … sag, Otto!«

»Ich habe die Papiere nicht …«

»Welche Papiere?«

»Die Papiere! Ich habe solche Angst – Vater erlaubt es nie!«

Lange, lange Stille. Sie liegt so ruhig an seiner Brust, klein, schwach, zerbrechlich … Als schliefe sie. Aber sie schläft nicht, sie hat die Augen weit geöffnet, diese Augen mit dem sanften und doch glühenden Taubenblick … Sie versucht, seinen Augen zu begegnen, seinen scheuen, blassen Augen …

Plötzlich steht er auf. Er hält sie im Arm, er trägt sie wie ein Kind. Mit ihr auf dem Arm geht er im Zimmer herum, sie vergessend, sich vergessend, alles …

Er murmelt mit sich, er spricht leise. »Ja, du«, sagt er etwa, »du denkst, du bist was. Aber daß der Rappe lahmt, das habe ich gesehen und nicht du … Und daß der Piepgras dich beschummelt, das weiß nur ich, nicht du … Aber das ist es nicht. Du willst überall sein, nicht nur in Haus und Stall, auch in Erich willst du sein und in Heinz und in Mutter. Was jeder Kutscher denkt, das willst du wissen, und es darf nur das sein, was du denkst. Als Junge habe ich mir mal eine kleine Wassermühle gebaut und sie unter der Leitung laufen lassen, und du hast mir die Wassermühle zertreten und gesagt, das ist Dreck, das braucht zuviel teures Wasser – das habe ich nie vergessen …

Du und deine Kinder … Aber deine Kinder wollen dich alle nicht, und ich will dich am wenigsten! Mich, denkst du, hast du am festesten, aber mich hast du gar nicht, nichts von mir. Bloß, daß ich tue, was du willst, damit ich dein Geschrei nicht mehr hören muß …«

»Otto! Otto! Was redest du?« ruft sie in seinem Arm.

»Ja, du bist auch da. Ich weiß, du bist da, meine Gute, meine Einzige, mein ganzes Glück. Die Einzige, die mich nie getreten hat! Aber ich habe dich nie allein gehabt, auch hier ist er immer gewesen, noch drinnen, wenn wir beieinanderlagen, noch drinnen …«

»Otto! Otto!!«

»Aber wenn es jetzt wirklich Krieg gibt, und ich mit muß, so will ich beten, daß mir ein Arm oder ein Bein abgeschossen wird, daß ich nicht mehr in seinem verfluchten Stall arbeiten muß, unter seinen Augen, daß ich irgendwoanders hingehen kann, wo ich ihn nicht sehe, ihn vergesse …«

»Otto, er ist doch dein Vater!«

»Mein Vater …? Er ist bloß der eiserne Gustav, wie die Leute sagen, und er ist noch stolz darauf! Aber man soll nicht stolz darauf sein, daß man eisern ist, denn dann ist man kein Mensch und kein Vater! Ich will nicht mehr nur sein Sohn sein, ich will ein eigener Mensch sein! Ganz wie die anderen alle!«

Einen Augenblick stand er aufgerichtet, schon verfiel er. »Aber es wird nichts, es wird nie etwas … Ich habe gedacht, wenn Krieg wird, werde ich den Mut haben, zu Vater zu gehen. Aber auch jetzt wird es nicht.«

»Otto, mach dir doch um die Trauung keine Gedanken! Ich habe es doch nicht meinetwegen gesagt! Wir sind immer glücklich gewesen, das weißt du doch!«

»Glücklich, glücklich …«

»Ach, Otto, es hat doch Zeit, wir lassen uns trauen, wenn du wiederkommst …«

»Wenn ich wiederkomme …!«

7 Pferdemusterung

Es ist Morgen, sieben Uhr morgens. Morgen eines Wochentages, Arbeitstages.

Aber auf dem Hackendahlschen Fuhrhof stehen alle Droschken unbespannt nebeneinander, Gepäckdroschken und offene Droschken, Droschken erster und zweiter Klasse. Sie stehen nebeneinander, als ruhten sie aus, als gebe es keine Arbeit mehr für sie …

Die Kutscher laufen umher in Sonntagsanzügen, sie ziehen die Pferde aus dem Stall. Vater Hackendahl steht an der Hofpumpe, er mustert jeden Gaul, sieht nach, ob er gut genug geputzt ist, läßt die Hufe schmieren, einen Trensenzügel verschnallen … Die Pferde sind aufgeregt wie die Menschen, es macht sie unruhig, daß sie ihr gewohntes Geschirr nicht tragen. Sie werfen den Kopf, sie sehen nach den leeren Droschken hinüber, sie wiehern …

»Hoffmann!« ruft Hackendahl dröhnend. »Kämm deiner Liese die Mähne noch mal durch! Zieh ihr’n Scheitel, mein Junge, dann sieht sie gleich schmucker aus!«

»Jawoll, Herr Hackendahl, det sich ein Franzose in sie verliebt!«

»Oder bei de Russen kricht se Läuse! Die jehen dann immer den Scheitel ruff un runter un singen: ›Ach, Niki, ach, Niki, wie biste doch so süß!‹«

»Ruhe!« befiehlt Hackendahl mit Donnerstimme in das brausende Gelächter hinein. Aber auch er ist aufgeregt und vergnügt, es ist ein großer Tag für ihn. »Maul halten! – Rabause, sind jetzt alle draußen?«

»Jawoll, Herr Hackendahl, zweiunddreißig Pferde. Elf Stuten, zwanzig Wallache und dann der Klopphengst …«

»Den Klopphengst werden sie jedenfalls nicht nehmen …«, sagt Hackendahl nachdenklich.

»Sie werden die mehrsten nich nehmen, Herr Chef«, meint Rabause tröstend. »Unsere Pferde sind zu leicht fürs Militär.«

»Ein Stücker zwanzig möchte ich auch behalten. Was denkt ihr, mit was ihr hier Droschke fahren wollt? Droschke muß auch im Kriege sein.«

»Und wo werden Sie die Kutscher hernehmen, Herr Chef? Elf Mann sind bloß noch da, die anderen sind schon alle bei den Preußen.«

»Als Kutscher nehmen wir junge Leute!«

»Junge Leute wird’s bald auch nich mehr geben, Herr Chef, die Jungen stellen sich doch alle freiwillig …«

»Na, dann muß Muttern eben auf den Bock«, ruft Hackendahl lachend. »Dann müssen die Frauen fahren, wenn die Männer weg sind …«

»Herr Chef, Herr Chef, Sie machen ja Witze!« ruft Rabause auflachend. »Wenn ick mir das so vorstelle, Ihre Frau mit Ihrem Lackpott auf dem Bock – und dann die Leine in der Hand – nee, das möchte ich wirklich noch erleben …«

»Dann los!« befiehlt Hackendahl mit Stentorstimme. »Abmarsch! – Komm, Bubi!« ruft er zum Fenster hinauf. »Wenn du noch mit willst, wird’s Zeit!«

Heinz verschwindet aus dem Fenster, die Mutter winkt von oben, halb weinend, halb stolz. Es ist ein nie gesehener Anblick: Alle Pferde der Tag-und Nachtschicht verlassen gemeinsam den Fuhrhof, einhundertachtundzwanzig Hufeisen klappern auf dem Steinpflaster, die Schwänze wehen, die Köpfe werden geworfen … Jawohl, es ist ein stolzer Anblick, es ist das letztemal, daß der Fuhrhof Hackendahl nach Wohlhabenheit und Fülle aussieht …

»Warum hat denn die Eva nicht aus dem Fenster gesehen?« fragt Vater Hackendahl, etwas unzufrieden. »So was sieht das Mädchen doch nicht alle Tage!«

»Ach, die! Die sitzt wieder in ihrem Zimmer, die ist ja komisch, Vater.«

»Weißt du denn nicht, was mit ihr los ist, Bubi? Sie ist doch ganz verändert!«

»Ich weiß, daß ich nichts weiß!« zitiert der Gymnasiast seinen Klassiker. »Aber mir schwant, Vater, daß sie sich einen angelacht hat – und vielleicht muß der auch in den Krieg!«

»Die Eva? Unsinn! Das müßte ich doch wissen!«

»Du, Vater?«

»Wieso nicht? Was meinst du denn?«

»Ach, gar nichts, Vater!«

Eine Weile gehen die beiden schweigend nebeneinander. Auf der Fahrbahn der Frankfurter Allee klappern die Pferdehufe. Die Menschen auf der Straße bleiben stehen, sie schmunzeln bei dem Anblick, das ist doch noch etwas: Pferde, die in den Krieg ziehen.

Hackendahl trägt eine Mappe mit Papieren unter dem Arm, die Gestellungsbefehle der Musterungskommission für seine Pferde. Er schreitet langsam und würdig neben seiner Truppe, bei den Straßenkreuzungen eilt er voran, um zu sehen, ob die Nebenstraßen auch frei sind. Er winkt und mahnt: »Franz, verlier den Schimmel nicht!« – »Immer Schritt halten. Hoffmann!«

Bubi ist noch beschäftigter. An jeder Litfaßsäule bleibt er stehen, er liest die Aufrufe, stürzt hinter dem Vater her und berichtet: »Du, Vater, der Kriegszustand ist jetzt erklärt!« – »Vater, der Kaiser hat gesagt, er kennt keine Parteien mehr, nur noch Deutsche. Sind die Roten denn nun nicht mehr rot?«

»Das wollen wir erst mal abwarten, wie die im Reichstag abstimmen. Der Kaiser hat ein viel zu gutes Herz, der denkt immer, alle sind so anständig wie er.«

»Du, Vater, die Bevölkerung wird gewarnt, sie soll auf Spione aufpassen. Vater, woran erkennt man denn Spione?«

»Das werden wir schon sehen! Halt nur immer die Augen offen, Bubi! So ein Verräter verrät sich gleich durch sein schlechtes Gewissen, der kann keinen grade ansehen.«

»Komm, Vater, wir wollen mal aufpassen, wer uns entgegenkommt. Wenn die nun ausspionieren, wieviel Pferde eingezogen werden, das ist doch möglich, Vater!«

Aber er vergißt es gleich wieder. »Vater! Vater!!«

»Ja doch – was ist denn schon wieder, Bubi! Ich muß auf die Pferde aufpassen!«

»Hast du das von den Goldautos gelesen, Vater? Die Russen sollen ja drei Autos mit Gold im Lande haben, und wir sollen sie anhalten. Vater, drei ganze Autos voll Gold!«

»Die kommen nicht mehr über die Grenze!« sagt der Vater befriedigt. »Den Russen ist der Krieg erklärt! Da sind die Grenzen zu.«

»Aber wenn die nun zu den Franzosen rüberfahren? Den Franzosen haben wir doch noch nicht den Krieg erklärt. Warum denn noch nicht, Vater? Die Franzosen sind doch der Erbfeind!«

»Das wird schon alles der Reihe nach kommen«, erklärt Hackendahl. »Nur nicht drängeln! Die Franzosen kommen auch noch ran – und vor allem die Engländer! Die wollen uns bloß unsere Flotte und die Kolonien nehmen, die sind ja so neidisch, die Brüder …«

Immer dichter ist das Gedränge geworden. Wenn man zu Anfang nur da und dort einen einsamen Fleischer-oder Gemüsegaul sah, den sein Herr zur Musterung führte, jetzt sieht man Pferde über Pferde. Die Brauereien bringen ihre schweren belgischen, die Tattersalls ihre leichten ostpreußischen Pferde. Herrschaftskutscher mit Backenbärten führen Hannoveraner Kutschpferde – denn 1914 glauben noch lange nicht alle feinen Leute, daß ein Automobil wirklich fein ist, sondern schwören auf ihre Equipage.

Und in all dem Lärm und Gedränge begrüßen sich Bekannte, die Droschkenkutscher rufen ihre Kollegen an, Schultheiß-Fahrer sprechen mit den Riebeck-Leuten und machen ihnen die Gäule schlecht, die Fleischer, deren Pferde immer am aufgeregtesten sind – sie sollen einer Sage nach alle Tage Ochsenblut zu saufen bekommen und davon so feurig sein –, die Fleischer treffen schon Verabredungen untereinander: »Wenn se deinen nehmen, fahr ick dir dein Fleisch. Un wenn se meinen nehmen, fährst du mir meins!« (Sie ahnen noch nicht, wie wenig Fleisch sie in gar nicht langer Zeit zu fahren haben werden.) Auch Hackendahl sieht Bekannte genug: die kleinen Krauter, die mit ein oder zwei Droschken fahren, den Inhaber des Begräbnisinstitutes, dem er bei Hochkonjunktur mit Rappen aushilft, den Möbelfritzen von schräg gegenüber, dem seine Gäule immer so schnell pflasterlahm werden.

»Tach, Orje, det is heute ein Betrieb …«

»Ne Masse Schinder mang …«

»Na, die schicken uns alle mit unsern Zossen wieder heeme. Wat sollen se denn mit uns? Sie haben erst mal ihre Anspannung.«

»Haste schon gehört? Die Franzosen sollen Fliegerbomben auf Stuttgart geworfen haben.«

»Ick muß mir morgen ooch stellen – mein Jeschäft ist hops.«

»Wat denkste, wat zahlen die einem so for de Kröpels? Die müssen einem doch jewissermaßen ein Aufjeld jeben, weil man doch den Verdienstausfall hat.«

»Du willst wohl am Kriege noch verdienen? Schäm dir wat, oller Kriegsgewinnler! Det jibt es in dissem Kriege aber nich!«

»Und wovon soll Muttern leben?«

Ja, Hackendahl hat zu tun, er muß auf seine Pferde aufpassen, und er muß seine Bekannten begrüßen. Er ist ein angesehener Mann in seinem Viertel und in seinem Beruf, die Leute hören ihm zu, wenn er was sagt. Sie nicken mit dem Kopf: »Jawohl, das ist richtig, was der eiserne Gustav gesagt hat, das ist ein Aufwaschen, den Engländer kloppen wir ooch noch auf de Finger. Wozu haben wir denn Tirpitzen seine Flotte …?«

Aber nun biegen sie von der Straße ab. Hier ist, zwischen letzten Mietskasernen, ein großer, freier Platz. Sonst wurde hier ein kleiner Wochenmarkt abgehalten, aber jetzt sind Pfähle eingerammt, Balken mit Ringen darübergelegt, zum Anketten der Pferde. Militär ist da, Militär in Drillich und Offiziere in voller Uniform und das – ja, was ist das? »Was stellt denn der vor? Kennst du die Uniform?«

»Ja, wie sehen die denn aus?«

»Wat is denn det für ’ne Uniform?!«

Hackendahl nickt verständnisvoll mit dem Kopf. Er als altgedienter Mann kann die richtige Auskunft geben: »Feldgrau!«

Feldgrau! Das Wort fliegt von Mund zu Munde, es ist etwas Neues: feldgrau. Nein, sie werden in diesem Kriege nicht die gewohnten bunten Uniformen tragen, sie werden feldgrau sein …

»Aber warum denn bloß?! Det is doch schade! Det sieht doch nach jar nischt aus!«

»Mensch, quassel noch – det se’ne Schießscheibe abjeben!«

»Det wird sich Willem schon richtig mit Moltken überlegt haben!«

»Nu haben die Franzosen wohl auch keine roten Hosen mehr an? Det is aber schade! Ick habe mir so jedacht: Aus deinem ersten Jefangenen machste dir ’ne rote Weste …«

Unterdes hat die Musterung längst angefangen, ununterbrochen werden Namen aufgerufen.

»Nu mal ein bißchen Trab! – Galopp! Schön! Beine sind gesund. Heh, nehmen Sie ihm mal das Bein hoch – ist der Huf nicht geborsten?«

Der Tierarzt schaut dem Gaul ins Maul, sieht die Zähne nach. »Acht Jahre«, sagt er.

»Den hab ick aber vor sechse jekooft, Herr Oberveterinärrat!«

»Acht!«

»Train! Stangenpferd. Zweite Gruppe …«, schnarrt ein Offizier abschließend.

Ein Schreiber schreibt, ein Soldat nimmt dem Besitzer die Zügel aus den Händen. »Nee, Mensch, die Trense behalten wir. Haste nich gelesen, auf dem Gestellungsbefehl: mit Stallhalfter?«

Der Besitzer hält eine Anweisung in den Händen. »Dreihundertfünfzig Mark – kucke mal, Gustav, dreihundertfünfzig Mark für meine Braune. Das is nicht schlecht bezahlt, das is anständig!«

»Ganz reell«, sagt Gustav. »Nicht zuviel und nicht zuwenig, ganz reell – wie alles beim Militär.«

Nun kommt auch sein Stall dran. Pferd auf Pferd wird vorgeführt … Hackendahl führt nicht selbst vor, das hat er nicht nötig, dafür hat er seine Leute, er ist ein großer Mann. Und so fühlt er sich auch – er gibt dem Vaterland, er gibt ihm nicht nur Söhne, er gibt ihm auch Pferde, Besitz. Er kann in dieser Stunde etwas opfern, das macht ihn zufrieden.

Er steht bei der Gruppe der Offiziere, hinter ihm steht Heinz. Bubi kann die Offiziere nicht glücklicher ansehen, als es der Vater tut. Das ist der alte stramme Ton, geschnarrt oder genäselt, aber sachlich kurz, Entschließungen im Bruchteil einer Minute. Kein endloses Weibergetratsch, kein: Kommste heute nich, dann kommste morgen!

Ein Offizier funkelt Hackendahl durch sein Einglas an. »Was stehen Sie hier rum. Mann? Was horchen Sie hier? Machen Sie sich nicht verdächtig!«

»Das sind meine Pferde«, sagt Hackendahl erklärend.

»Ihre Pferde? Na schön! Meinethalben! Was haben die Gäule gemacht?«

»Droschke gefahren, Herr Oberleutnant!«

»Droschke? Werden was anderes zu fahren kriegen, hähä! Aber gut im Stand – Pferdeverstand, was?«

»Wachtmeister bei den Pasewalker Kürassieren gewesen, Herr Oberleutnant!«

»Altgedienter Mann, Pferdeverstand, merkt man! Bißchen leicht, bißchen klein – aber in Ordnung!«

Ja, daß die Hackendahlschen Pferde in Ordnung waren, das merkte man wirklich. Stück für Stück ging weg, es machte Hackendahl ganz stolz.

»Au, Vater, die nehmen ja alle!« flüsterte Heinz aufgeregt. »Womit sollen wir denn Droschke fahren?«

»Danach wird jetzt nicht gefragt. Hauptsache, das Militär bekommt, was es braucht.«

»Was ist denn mit dem Schimmel, Wachtmeister?« fragte der Offizier wieder. »Junges Tier, aber ohne Mumm. Hat nichts in den Knochen?«

»Zu Befehl, Herr Oberleutnant! Vor fünf Wochen mit ’nem Auto überjagt, Schreck gehabt – ist seitdem nicht wieder zurechtgekommen. War mein Bester!«

»Auto? Böse Sache! Das heißt – na ja, Gäule jedenfalls vornehmer. – Untauglich, der Schimmel!«

Ja, der Schimmel wurde untauglich. Auch den Klopphengst wiesen sie zurück. Und dann nach und nach noch drei Pferde. »Ganz nett – aber zu alt! Halten einen Vormarsch nicht mehr aus.«

»Zu Befehl, Herr Oberleutnant!«

Hackendahl bekam seine Anweisung, es war eine Anweisung auf eine sehr hohe Summe. Viel Geld, die Pferde, die für Hackendahls gearbeitet, von denen sie gelebt hatten, in Geld umgesetzt. Es war viel und wenig, eine hohe, fünfstellige Zahl – aber es war auch Hackendahls Lebensarbeit, das, was er aufgebaut, für das er geschuftet hatte, als Zahl auf ein Blatt Papier niedergeschrieben.

Er sah auf das Blatt, er dachte daran, wie er Pferd für Pferd Tag um Tag besorgt hatte, wie er, ehe er sich zu einem Kauf entschloß, zehn-, zwanzigmal gelaufen war, gehandelt hatte. Er dachte daran, wie er den Kutschern auf der Pelle gesessen hatte, daß sie die Pferde nicht überjagten, wie er oft beobachtend hinter einer Litfaßsäule gestanden und aufgepaßt hatte, daß die Pferde auch während der Wartezeiten gefüttert und getränkt wurden. Die Pferde, der Stall, das Fuhrgeschäft – sie waren sein Lebensinhalt gewesen, seit es das Militär nicht mehr sein konnte. Es war so leer in ihm …

»Hoffmann, ihr findet mit den Pferden allein nach Haus. Ich gehe mit Heinz noch ein Stück.«

»Jawohl, Herr Hackendahl.«

»Spannt gleich ein, wenn ihr zu Haus seid. Heute sind Droschken knapp – und wir müssen sehen, daß wir ein bißchen was verdienen.«

»Der Schimmel auch, Herr Hackendahl?«

»Jawohl, der Schimmel auch. Du kannst ihn selber nehmen, Hoffmann.«

»Machen wir, Herr Hackendahl.«

»Komm, Bubi, wir gehen noch ein Stück raus. Mir ist heute so.«

»Ja, Vater.«

»Der Soldat dort sollte den Braunen nicht so kurz am Trensenstrick nehmen, der Gaul war ein bißchen empfindlich im Maule.«

Aber es war egal, es waren nicht mehr seine Pferde – sie gehörten nun dem Vaterland.

Yaş sınırı:
18+
Hacim:
840 s. 1 illüstrasyon
ISBN:
9783961188826
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