Kitabı oku: «Der eiserne Gustav», sayfa 6

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18

Wie alle Abende hatte der eiserne Gustav auf seinem Fuhrhof gestanden, hatte mit den heimkehrenden Tagesdroschken abgerechnet und die Nachtdroschken zur Arbeit hinausgeschickt, wie alle Abende. Vielleicht war er noch ein wenig wortkarger als sonst gewesen, aber darauf war nicht viel geachtet worden heute, in der allgemeinen Aufregung. Denn aufgeregt waren die Droschkenkutscher an diesem Abend.

»Es gibt Krieg!« hatten die einen gesagt.

»Quatsch!« hatten die anderen gerufen. »Der Kaiser ist gleich wieder von Kiel weiter gedampft – der würde hübsch nach Berlin kommen, wenn es Krieg gäbe!«

»Aber die Kieler Regatta ist abgesagt.«

»Weil Trauer ist, nicht wegen Krieg. Er ist doch mit dem verwandt.«

»Der ›Lokalanzeiger‹ hat geschrieben ...«

»Du mit deinem dusseligen Skandalanzeiger! Der ›Vorwärts‹ sagt, wir haben hundertzehn Sozialdemokraten im Reichstag, und die sind sich mit den Proletariern der Welt einig: Wir wollen keinen Krieg.«

»Ruhe!« befahl Hackendahl.

»Wir bewilligen keinen Pfennig für die Kriege von den Kapitalisten ...«

»Ruhe da!« befahl Hackendahl noch einmal. »Auf meinem Hof will ich solch Geschwätz nicht hören.«

Sie schwiegen, aber hinter seinem Rücken flüsterten sie weiter, und das kümmerte ihn diesmal nicht, sosehr es ihn sonst geärgert hätte. Es freute ihn heute auch nicht die Tageskasse, die wieder ungewöhnlich hoch war: Man merkte, es war etwas los in Berlin. Die Leute waren unruhig, sie hielten es nicht aus in ihren Wohnungen, sie liefen auf die Straße, sie fuhren vom Reichstag zum Schloß, vom Schloß zum Kriegsministerium, vom Kriegsministerium ins Zeitungsviertel. Sie wollten etwas hören, etwas sehen. Aber das Schloß war dunkel, die Jacht des Kaisers fuhr mit ihrem Herrn dem Nordkap zu – nur wenn die Wache mit klingendem Spiel aufzog, konnten sie jubeln.

Der alte Hackendahl verbat sich rotes Geschwätz auf seinem Hof, dann kassierte er weiter. Die Tageslosung war reichlich, aber das eine ärgerte ihn nicht, das andere freute ihn nicht, und das Kriegsgeschwätz interessierte ihn, den alten Militär, nicht! – Er dachte immer nur: Mein Erich ist fort! Grade, als ich ihn aus dem Keller holen wollte, ihm sagen wollte, er kann wieder zur Schule gehn, es ist alles in Ordnung, grade da ist er fort!

Es wird still auf dem Hof, die Tageskutscher sind nach Haus gegangen, und die Nachtkutscher sind zu ihrer Arbeit gefahren. Hackendahl sieht am Haus hoch, es ist hier draußen noch dämmrig, aber im gemeinsamen Schlafzimmer brennt schon Licht, Mutter geht wohl schon ins Bett. Er könnte auch ins Bett gehen, aber er dreht kurz um und geht in den Stall.

Rabause schüttet den Pferden das zweite Futter, er sieht den Chef kurz von der Seite an, räuspert sich, als wollte er etwas sagen, und schweigt.

Ein wenig weiter hin reibt Otto ein Pferd mit dem Strohwisch trocken. Der Kutscher hat es überjagt, um einen Zug zu erreichen und ein Trinkgeld von einer Mark zu verdienen. Hackendahl stellt sich dazu und sieht sich gedankenlos die Reiberei an. »Der Bauch, Otto, vergiß den Bauch nicht!« ruft er schließlich scharf.

Otto wirft einen kurzen, trüben Blick auf den Vater und reibt dann kräftig den Bauch des Pferdes. Das kitzelt den Gaul, er fängt unruhig an zu tänzeln, er schnaubt ...

»Fester!« ruft der Vater. »Du denkst wohl, der Gaul ist ein Mädchen?«

Es ist der alte Unteroffizierston, gewohnheitsmäßig hingesagt, wieder wirft Otto einen Blick auf den Vater. Der Blick kommt aus einem geröteten, verschwollenen Auge, der Vater hat sofort zugeschlagen, als er erfuhr, daß Otto den Erich befreit hatte. Otto ist gar nicht dazu gekommen, den von Tutti eingelernten Satz zu sagen, so rasch und schwer schlug der Vater zu.

Der Vater sieht fast mit Haß auf den reibenden Sohn. Ohne die voreilige Rettungstat dieses Bengels hätte der Vater Erich befreit, und alles wäre in Ordnung gewesen. Einmal tut der Schlappschwanz was aus eigenem Antrieb, ein einziges Mal, und sofort verdirbt er alles.

Der Vater sieht mit Zorn und Haß auf seinen Ältesten. »Heb ihm das Bein!« schreit er. »Siehst du nicht, daß du dem Schinder weh tust?!«

Der Sohn hebt das Bein, legt es sich übers Knie und reibt weiter. »Du machst heute Stallwache«, befiehlt Hackendahl. »Ich will dich nicht in meinem Hause schlafen haben.«

Der Sohn reibt weiter.

»Du sollst Stallwache machen!« schreit der Vater. »Hast du mich nicht verstanden?!«

»Jawohl, Vater«, sagt der Sohn, militärisch laut und deutlich, wie es ihm beigebracht worden ist.

Der Vater sieht den Sohn noch einmal mit blitzendem Auge an, er überlegt, ob er noch irgend etwas sagen soll, ihm den Grad seiner Verachtung begreiflich zu machen. Aber er läßt es. Der ist viel zu weich, er wird immer gehorsam »Jawohl, Vater« sagen, er ist ohne Gegenwehr, wie er auch nicht einmal den Arm hebt, wenn er ins Gesicht geschlagen wird. Ein Schwamm, man kann ihn füllen und ausdrücken, wie man will, er verändert sich nicht.

Hackendahl dreht sich um und geht aus dem Stall. Als er an dem alten Rabause vorbeikommt, der noch mit seiner Futterschwinge läuft, sagt er gnädig: »Wenn du ausgefüttert hast, kannst du nach Haus gehen und dich ausschlafen. Du hast heute frei, Rabause.«

Der Futtermeister sieht ihn von der Seite an, diesmal wagt er es und tut den Mund auf: »Ich habe am Tag geschlafen, Herr Chef«, krächzt er. »Ich brauche in der Nacht keinen Schlaf – der Otto braucht ihn.«

Hackendahl blitzt den Rebellen ärgerlich an, er wünscht keinen Verteidiger seines Sohnes. Der Sohn soll sich selbst verteidigen, wenn ihm Unrecht geschieht. Aber ihm geschieht kein Unrecht.

»Und übrigens habe ich die Kellerschlösser mit aufgeschlagen, Herr Chef«, erklärt Rabause. »Ich fand es auch richtig.«

»So?« fragt Hackendahl langsam. »So ...? Und nun denkst du altes Saufloch, ich hau dir auch in die Fresse wie dem Otto?! Das möchtest du wohl – daß du dich groß und beleidigt fühlen kannst, was? Aber den Gefallen tu ich dir nicht – du bist bloß ein Schlappscheißer, genau wie dein geliebter Otto, Schlappscheißer alle beide! Wie ihr mich ankotzt!«

Fast zitternd vor Zorn sieht er den alten Mann an. »Um zehn bist du aus dem Stall und schläfst zu Hause, verstanden?!« schreit er noch einmal. »Der – der – der –« Er zeigt mit dem Finger nach hinten. »Der – soll wachen!«

Krachend fliegt die Stalltür hinter ihm zu.

19

Zwanzig Schritt her den Hof, zwanzig Schritt hin den Hof – die Nacht sinkt, die brausende Stadt wird ruhiger, aber es will nicht ruhig in ihm werden, immer schlimmer, alles immer schlimmer! Nicht einmal aus eigenem Antrieb hat der Otto den Bruder befreit; das Aas, die Saufgurgel, der Rabause hat es ihm vorgemacht, und er ist bloß wieder mal hinterhergelaufen, wie er sein ganzes Leben lang hinterhergelaufen ist! Und so etwas bleibt einem im Hause, und der Lebendige, der Geliebte läuft im Zorne fort!

Der läuft geldlos in die Welt, ohne Nahrung, ohne Heim; ohne allen Rückhalt ist er jeder Gefahr der Großstadt ausgesetzt – was wird aus ihm?

Hamburger Schiffsjunge, französischer Fremdenlegionär, Selbstmörder im Landwehrkanal – und das wenigste ist, daß er sich seinen Lieblingssohn auf einer Tiergartenbank schlafend vorstellt. Die Schutzleute jagen ihn immer wieder auf, denn es ist verboten, im Freien zu schlafen! Der verlorene Sohn bei den Säuen, wahrhaftig, von ihm ist im Neuen Testament die Rede – aber kein Wort steht dort davon, wie dem Vater in all der langen Trennungszeit zumute war!

Hackendahl macht kehrt, er geht eilig die Treppe hinauf, über den Flur, tritt in das Schlafzimmer. »Wo ist Erich?«

Mutter ist zusammengeschreckt, sie wälzt sich hoch, sie starrt ihn an. »Was hast du denn, Vater? Du erschreckst einen ja!«

»Wo Erich ist, will ich wissen!«

»Aber ich weiß es nicht! Er hat mir doch nicht mal adieu gesagt, ehe er weglief ...«

Sie hält inne. Sie fürchtet, sie hat jetzt ihren Anteil an der Flucht verraten, aber er achtet gar nicht darauf. Er will nur wissen, wo Erich geblieben ist.

»Das ist nicht wahr!« ruft er böse. »Du weißt, wo Erich ist.«

»Bestimmt nicht! Ich mache mir doch auch solche Sorgen! Otto hat noch nach ihm gesucht, aber da war er schon fort ...«

Hackendahl denkt nach. »Es ist doch nicht wahr«, sagt er. »Erich würde so nicht weglaufen. Hast du ihm Geld gegeben?«

»Nichts! Keinen Pfennig!« jammert sie. »Ich habe doch gar kein Geld, das weißt du doch, Vater!«

Jetzt ist er ganz fest überzeugt, daß sie lügt. Sie haben Erich irgendwo versteckt. Erich, er kennt doch Erich! Der wird doch nicht ohne Geld weglaufen!

»Ich werde es schon herausbekommen, du!« sagt er drohend und verläßt ganz plötzlich ihr Zimmer, geht hinüber in das Zimmer der Töchter ...

Dort ist es schon fast dunkel. Eva liegt in ihrem Bett. Sie hat im letzten Tagesschein mit ihren Schmucksachen gespielt, sie hat die Ringe aufprobiert, die Broschen auf das Nachthemd gesteckt, o so schön!

Als sie heute mittag nach Haus gekommen war, die Geschichte von dem bestohlenen Versteck in der Hängelampe erfuhr, das sie für ihr undurchdringliches Geheimnis gehalten hatte – und nun wußten alle davon, oh, sie wäre fast geplatzt vor Wut! Sie wäre am liebsten zur Polizei gegangen, sie hätte ihn angezeigt, den Bruder, diesen gemeinen Verbrecher!

Aber da war dieser Schmuck in der Tasche des Kleiderrocks! Nur jetzt nichts mit der Polizei zu tun haben! Sie hat mit zitterndem Herzen die Schilderung des Juwelendiebstahls in der Zeitung gelesen. Man ist natürlich davon überzeugt, daß der junge Mann und das junge Mädchen zusammengehörten, daß die beiden raffiniert zusammenarbeiteten. Man hat auch schon die Markttasche gefunden ...

Nein, nur Stille und Ruhe – leise gleiten die Schmucksachen durch ihre Hände, das macht sie glücklich. Erst am Morgen hat sie gedacht, daß sie ihren Anteil an den schönen Dingen des Lebens haben will – und nun besitzt sie schon etwas, nun besitzt sie schon viel! Sie wird diesen Schatz nie wieder hergeben! Sie wird stille sein!

Sie hört den Schritt des Vaters auf dem Gang, seine scheltende, die weinerliche Stimme der Mutter. Rasch steckt sie die Schmucksachen in ein Beutelchen. An einer dünnen, festen Schnur hängt das Beutelchen zwischen ihren Brüsten. Nun dreht sie sich um zur Wand und stellt sich schlafend ...

Der Vater steht auf der Schwelle des Schlafzimmers, er lauscht. Von je hat er so auf den Schlaf der Kinder gelauscht, er kennt jedes Geräusch, weiß sofort, wenn sie sich verstellen ...

»Eva!« ruft er scharf. »Du schläfst nicht. – Wo ist Erich?«

»Ich weiß doch nicht, Vater ...«

»Doch, du weißt es. Sag mir sofort, wo Erich ist.« Fast bittend: »Sei doch vernünftig, Evchen, ich will ihm doch nichts tun. Ich möchte bloß wissen, wo er ist.«

»Ich weiß es wirklich nicht, Vater! Ich war doch einholen, als das ganze Theater war. Bestimmt, Vater, ich würde es dir sagen; ich hätte ihn überhaupt nicht rausgelassen!«

Ja, diese Tochter ist nun des Vaters Meinung: Erich hätte nicht fort gedurft. Aber seltsam, so geäußert ist es dem Vater auch wieder nicht recht.

»Ich will gar nicht wissen«, sagt er, »was du denkst. Paß morgen auf, ob Erich kommt oder irgendeine Botschaft schickt, und sag mir sofort Bescheid.«

»Ja, Vater.«

»Tust du es auch?«

»Ja doch, Vater!«

»Gut.«

Hackendahl wendet sich, will schon gehen, da erst wird ihm klar, daß das zweite Bett in diesem Zimmer unbesetzt ist. Er fragt: »Sophie hat schon wieder Nachtdienst?«

»Sophie? Ja, hat dir denn Mutter nicht gesagt, daß Sophie auch weg ist?!«

»Was heißt weg?!«

»Na, zu ihren frommen Schwestern doch! Sie ist doch heute mittag für ganz ins Krankenhaus gezogen! Mit Sack und Pack. Wir sind ihr ja wohl nicht fromm genug. Wir streiten uns zuviel, hat sie gesagt!«

»So!« antwortet der Vater bloß. »So! – Na, gute Nacht, Evchen.«

Langsam zieht er die Tür zu, lange steht er auf dem Gang. Schlag auf Schlag, immer schlimmer, zwei Kinder an einem Tage verloren: Und auch Sophie hat mir nicht adieu gesagt! Was habe ich ihnen denn getan, daß sie mich so behandeln?! Nun gut, ich bin streng gewesen, ein Vater muß streng sein! Ich bin vielleicht noch nicht streng genug gewesen! Jetzt sehe ich erst, wie weich sie sind, wie sie gleich ausreißen, wenn es schwierig wird! Die hätten Soldaten sein müssen! Die Zähne zusammen, nicht mit der Wimper gezuckt – und durch!

Er steht da, lange, lange, seine Gedanken gehen hin und her, anklagend, grollend, zornig. Aber so viel er auch bedenkt, er wird nicht weich, er gibt nicht nach! Sie haben ihm schwere Wunden geschlagen, aber er klagt nicht wegen der Wunden, er klagt, daß Kinder eines Vaters Feinde sein können, ihn aus dem Hinterhalte schlagen.

Nein, er gibt nicht nach, der eiserne Gustav strafft den Rücken, er setzt den gewohnten, abendlichen Rundgang fort. Er verkriecht sich nicht in Bett und Wehleid, er geht in das Schlafzimmer der Söhne.

Der Schritt hallt, fahl leuchten die Betten – von dreien sind hier zwei unbesetzt ...

»Guten Abend, Vater«, sagt Heinz.

»Guten Abend, Bubi. Schläfst du noch nicht? Es ist schon längst Schlafenszeit.«

»Ich werd schon noch einschlafen, Vater. Du läufst ja auch noch rum und stehst drei Stunden früher auf als ich.«

»Ein alter Mann braucht wenig Schlaf, Bubi.«

»Du bist doch noch kein alter Mann, Vater!«

»Doch!«

»Bestimmt nicht.«

»Doch!«

»Nein.«

Der Vater geht durch das Zimmer, er setzt sich im Halbdunkel auf des Jungen Bett, er fragt ganz kameradschaftlich, gar nicht väterlich: »Hast du 'ne Ahnung, Bubi, wo der Erich hin ist?«

»Keine Ahnung, Vater. Du machst dir wohl Sorgen?«

»Ja; die hier bei uns wissen auch nicht, wohin er ist?«

»Glaub ich nicht. Aber ich kann ja morgen mal in der Penne horchen. Vielleicht weiß einer von seinen Freunden was.«

»Das tu, Bubi.«

»Das tu ich, Vater.«

»Und du könntest mal zum Herrn Direktor gehen. Ich hatte ihm versprochen, den Erich morgen wieder zur Schule zu schicken. Daraus wird ja nun nichts. Du mußt ihm das erklären ...«

»Ach, Vater ...«

»Was?«

»Ich möchte morgen lieber nicht zum Direx gehen ...«

»Warum denn nicht? Du sollst doch nicht Direx sagen!«

»Och – vielleicht hat er 'ne Pieke auf mich. Wir haben uns nämlich heute ein bißchen gekloppt, einer aus meiner Klasse und ich, und Kunze hat uns aufgeschrieben und sagt, er meldet uns dem Direx – dem Direktor.«

»Warum habt ihr euch denn gekloppt?«

»Ach, nur so. Der hat immer so 'ne Schandschnauze, da muß er mal was draufkriegen.«

»Und hat er was draufgekriegt?«

»Aber feste, Vater! Aber nach Noten! Zum Schluß hat er nur noch nach Luft geschnappt und immerzu Pax geschrien.«

»Was heißt denn Pax?«

»Ach, Pax heißt Friede. Das schreit man, wenn man zu Kreuze kriecht.«

»So – na, Bubi, deswegen kannst du dem Direktor ruhig meine Bestellung ausrichten. Der Herr Direktor und ich haben nämlich aus dem Fenster gesehen, wie ihr euch gekloppt habt.«

»Au fein! Ich hatte schon 'nen Bammel, eine Vier im Betragen wäre kummervoll.«

Einen Augenblick ist Stille. Der Vater ist ganz ruhig und friedlich geworden bei diesem Sohn.

»Na, also schön, Bubi, vergiß das nicht. Und schlaf auch gut!«

»Schlaf du auch gut, Vater. Wegen Erich mach dir bloß keine Gedanken. Der ist schlauer als du und ich und der Direktor zusammen – der Erich kommt immer durch.«

»Gute Nacht, Bubi.«

»Gute Nacht, Vater.«

Zweites Kapitel.
Ein Krieg bricht aus
1

Es ist der 31. Juli 1914.

Dicht gedrängt bis tief in den Lustgarten hinein steht seit dem frühen Morgen die Menge am Kaiserlichen Schloß, über dem die gelbe Kaiserstandarte weht, das Zeichen für die Anwesenheit des obersten Kriegsherrn. Unaufhörlich fluten die Menschen ab und zu; sie warten eine Stunde oder zwei, dann gehen sie wieder an ihre täglichen Verrichtungen, die doch nur eilig, nur obenhin erledigt werden, denn auf jedem lastet die Frage: wird Krieg?

Vor drei Tagen hat das verbündete Österreich Serbien den Krieg erklärt – was wird nun geschehen? Wird die Welt ruhig bleiben? Ach, ein Krieg unten auf dem Balkan, ein Riesenreich gegen das kleine Serbenvolk – was kann das schon viel bedeuten? Aber sie sagen ja, Rußland macht mobil, der Franzose rührt sich – und was wird England tun?

Die Luft ist heiß, es wird immer schwüler. Es saust und braust in der Menge. Am Vormittag soll der Kaiser vom Schloß herab gesprochen haben – aber noch lebt Deutschland mit aller Welt in Frieden. Es gärt und braust – ein Monat ist vergangen mit Ungewißheit, mit Hin und Her, unverständlichen Verhandlungen, mit Drohungen und Friedensversicherungen, die Nerven der Menschen sind durch das lange Warten zermürbt. Jede Entscheidung ist besser als dieses schreckliche, dieses ungewisse Warten.

Durch die Menge drängen sich Verkäufer mit Würstchen, Zeitungen, Eis. Aber sie verkaufen nichts, die Leute haben keine Zeit zu essen, sie wollen auch nicht mehr die Nachrichten vom Morgen lesen, die längst überholt, unwahr geworden sind. Sie wollen die Entscheidung! Sie reden abgerissen, erregt miteinander, jeder weiß etwas. Aber dann – mitten im Gespräch – verstummen sie, alles vergessend starren sie zu den Fenstern des Schlosses hinauf. Zu dem Balkon, von dem heute vormittag der Kaiser gesprochen haben soll ... Sie versuchen, durch die Scheiben zu spähen, aber die blitzen, blenden in der Sonne; und wo sie hindurchspähen können, sehen sie nur gelbe, matte Vorhänge hängen.

Was geht dort drinnen vor? Was wird in jenem Dämmer beschlossen – über jeden Wartenden, Mann für Mann, Weib für Weib, Kind für Kind? Sie haben vierzig Jahre im Frieden gelebt, sie können es sich nicht vorstellen, was das ist: ein Krieg ... Aber doch ahnen sie, daß ein Wort aus dem stummen, verschlossenen Haus dort alles ändern kann, ihr ganzes Leben. Und sie warten auf dieses Wort, sie fürchten es, und sie fürchten doch auch, daß es ausbleiben könnte, daß so viele Wochen Wartens umsonst durchwartet sein könnten ...

Plötzlich wird es ganz still in der Menge, als halte sie den Atem an ... Es ist nichts geschehen, noch ist nichts geschehen, nur die Turmuhren schlugen, von nah und fern, schnell und langsam, hoch und mit tiefem Brummton: Es ist fünf Uhr ...

Noch ist nichts geschehen, sie stehen und warten atemlos ...

Da öffnet sich das Tor des Schlosses, sie sehen es aufgehen, langsam, langsam – und heraus tritt: ein Schutzmann, ein Berliner Polizist, in der blauen Uniform, mit Pickelhaube ...

Sie starren ihn an ...

Er klettert auf eine Treppenbrüstung, er bedeutet ihnen, daß sie still sein sollen.

Aber sie sind ja still ...

Der Schutzmann nimmt langsam den Helm ab, hält ihn vor die Brust. Sie verfolgen atemlos jede seiner Bewegungen, obwohl es nur ein ganz gewöhnlicher Schutzmann ist, wie sie ihn alle Tage auf allen Straßen Berlins sehen ... Und doch prägt er sich ihnen unauslöschlich ein. – Sie werden in den nächsten Jahren ungeheure und schreckliche Dinge sehen müssen, aber sie werden nie vergessen, wie dieser Berliner Schutzmann seinen Helm abnahm, ihn vor die Brust hielt!

Der Schutzmann tut den Mund auf, ach, sie hängen an seinem Munde – was wird er sagen? Leben oder Tod, Krieg oder Frieden?

Der Schutzmann tut den Mund auf und sagt: »Auf Befehl Seiner Majestät, des Kaisers, teile ich mit: Die Mobilmachung ist befohlen.«

Der Schutzmann schließt den Mund, er starrt über die Menge, dann setzt er ruckartig – wie eine Puppe – den Helm wieder auf.

Einen Augenblick schweigt die Menge, schon fängt es in ihr zu singen an, einzelne. Hunderte, Tausende von Stimmen vereinen sich: »Nun danket alle Gott, mit Herzen, Mund und Händen ...«

Ruckartig, wie eine Puppe, nimmt der Schutzmann den Helm wieder ab.