Kitabı oku: «Wege zur Rechtsgeschichte: Das BGB», sayfa 7

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Ökonomisch zielte die Rechtseinheit auf die Beseitigung von Handelshemmnissen. Gleiches Recht schafft Vertrautheit in die auch zuhause gewohnten Regeln und fördert den Handel. Leistungen sind leichter vergleichbar. Rechtliche Risiken sind vertraut. Territoriale Handelshemmnisse wie Zölle entfallen. Man kann dies als Chance deuten oder, wie Caroni, als Risiko, je nachdem, welche Lebensform man idealisiert: regional oder global. Zentral für dieses Ziel war das klare Bekenntnis der Gesetzesverfasser für die allgemeine Rechtsfähigkeit. Schon im Vorentwurf zum Allgemeinen Teil des BGB formulierte Albert Gebhard 1881 in § 41:

Die Rechtsfähigkeit des Menschen beginnt mit seiner Geburt und endigt mit seinem Tode.

Jeder lebende Mensch war fähig, Träger von Rechten zu sein. Bei aller verbleibenden Ungleichheit zwischen Mann und Frau, Jung und Alt, ehelichem und nichtehelichem Kind: Im Grundsatz stand der Markt allen offen. Dieser Bereich der Rechtsvereinheitlichung betraf vor allem das Vermögensrecht, also insbesondere das Schuld- und Sachenrecht. Aus diesem Grund war zunächst darüber nachgedacht worden, nur das Vermögensrecht zu vereinheitlichen, also nicht das Personenrecht, was weite Teile des Familien- und Erbrechts umfasste. In der Reichsverfassung hatte man im Zivilrecht in Art. 4 Ziff. 13 dem Reich nur die Gesetzgebungskompetenz für das Obligationenrecht (Schuldrecht), das Handelsrecht und den Zivilprozess eingeräumt. Schuldrecht und Handelsrecht waren traditionell die Bereiche des Zivilrechts, die für den Aufbau eines gemeinsamen Marktes vordringlich vereinheitlicht werden mussten. Nicht zufällig hatte man sich bereits 1861, vor der Reichsgründung, auf ein Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch geeinigt und 1866 fast eine Rechtsvereinheitlichung im Schuldrecht zustande gebracht (Dresdner Entwurf eines Obligationenrechts, 1866). Viele der drängenden Ordnungsprobleme des Privatrechts um 1871 waren so in Teilen zu erreichen: das oft uneinheitliche Vertragsrecht, das Recht der privatrechtlichen Organisationen, Monopol und Kartellfragen, das Wettbewerbsrecht, das Kapitalmarktrecht, das sich formierende Arbeitsrecht. Gerade ökonomisch war es aber kaum vorstellbar, das Sachenrecht weiter den Territorien zu belassen. Das Eigentumsrecht musste vereinheitlicht werden, etwa in der Frage des gutgläubigen Erwerbs. Die Grundpfandrechte waren zersplittert. Nur in Preußen existierte ein umfassendes Grundbuch. Genügte das? Im Reichstag nahm man eine Debatte wieder auf, die schon im Norddeutschen Bund begonnen hatte. Man stritt darum, ob die Zuständigkeit des Reiches auf das Sachenrecht und dann auch auf das Familien- und Erbrecht übertragen werden sollte. Als auf Antrag der Reichstagsabgeordneten Johannes von Miquel und Eduard Lasker am 4. Dezember 1873 das Reich die Gesetzgebungskompetenz für das gesamte Zivilrecht zugesprochen bekam (sog. Lex Miquel/Lasker), rückten also Felder in den Blick der Rechtseinheit, deren Vereinheitlichung nicht lediglich ökonomisch erklärt werden konnte: das Familien- und Erbrecht. In diesem Bereich war die Rechtszersplitterung besonders stark und zugleich der Zwang zur Vereinheitlichung oft gering. Wenn auch hier Rechtseinheit gefordert wurde, dann ging es nicht nur um Einheit des Rechts, sondern um Einheit durch Recht. Das Deutsche Reich sollte auch dadurch als kulturelle Einheit gefestigt werden, dass die Lebensverhältnisse im Reich vereinheitlicht wurden. Die Idee war alt: 1814 hatte der Heidelberger Professor Anton Friedrich Justus Thibaut für eine nationale Kodifikation gekämpft und dabei ein soziales, nicht ein ökonomisches Argument in den Vordergrund gestellt:

Gleiche Gesetze erzeugen aber gleiche Sitten und Gewohnheiten, und diese Gleichheit hat immer zauberischen Einfluß auf Völkerliebe und Völkertreue gehabt.98

Indem das BGB die Privatrechtseinheit umfassend in Angriff nahm, war es Teil der „inneren Reichsgründung“. Es stand neben Bereichen wie dem Strafrecht (StGB 1871), dem Prozess und der Gerichtsverfassung (ZPO und GVG von 1877) und Gesetzen über die Grundfunktion des Staates: einheitliche Staatsymbolik (Reichsadler, Flagge, Feiertage), Währung, Maße und Gewichte, Zölle und Steuern, Eisenbahn, Post und Telegraf, Aufbau einer Reichsverwaltung, Eisenbahnwesen, Militär und Außenpolitik. Schon damit war klar, dass Rechtseinheit ein politisches Projekt mit ökonomischen und sozialen Zielen war. Der eingangs herausgestellte Unterschied zwischen Rechtseinheit oder Reform erweist sich schnell als ein vordergründiger Gegensatz: Rechtseinheit war Reform, freilich eine Reform ohne vorgegebenes politisches Ziel.

2.2.1.3.2 Rechtsvereinheitlichung in der Kommissionsarbeit

Die Erste BGB-Kommission trug die Hauptlast dieser Reform durch Rechtsvereinheitlichung. Sie legte im Dezember 1888 den Ersten Entwurf vor. Dieser blieb die Basis des BGB, wurde aber nach kritischer Diskussion in der Öffentlichkeit von der Zweiten Kommission (1890–1895), vom Reichsjustizamt und vom Reichstag stark überarbeitet, bevor er 1896 vom Reichstag verabschiedet wurde. Während die späteren Teilnehmer am Gesetzgebungsprozess politische Einzelentscheidungen der Ersten Kommission korrigierten, musste diese aus vielen Einzelrechten überhaupt erst ein Gesetz konstruieren. Hier musste Rechtseinheit legislatorisch umgesetzt werden. Ausgangspunkt der Beratungen waren Vorentwürfe, die einzelne Kommissionsmitglieder seit 1873 ausarbeiteten. Sie waren auch nach landsmannschaftlicher Herkunft ausgewählt worden und sollten so die wichtigsten deutschen Territorien vertreten. Zunächst waren es also einzelne, mit der Gesetzgebungstechnik vertraute Richter und Ministerialbeamte, die versuchten, das Recht zu vereinheitlichen. Als die Erste Kommission begann, zunächst an drei Tagen pro Woche Vorschrift für Vorschrift den späteren Ersten Entwurf zu diskutieren, lagen ihnen die Vorentwürfe zum Allgemeinen Teil (Albert Gebhard, Baden), zum Sachenrecht (Reinhold Johow, Preußen), zum Familienrecht (Gottlieb Planck, Preußen) und zum Erbrecht (Gottfried von Schmitt, Bayern) vor. Der Redaktor des Schuldrechts, Franz von Kübel (Sachsen), starb vor Beginn der Beratungen zum Schuldrecht und konnte keinen vollständigen Entwurf vorlegen. Für die von ihm nicht mehr ausgearbeiteten Teilbereiche griff die Kommission auf den von Kübel mit ausgearbeiteten sächsischen Entwurf eines Obligationenrechts von 1866 zurück.

Der Vorsitzende der Ersten Kommission und Präsident des Reichsgerichts, Eduard von Pape, beschrieb 1879 die Aufgabe, die man diesen Vorentwürfen stellte:

Es galt, das innerhalb des Deutschen Reichs bestehende, in mancher Hinsicht sehr abweichende Recht mit Zuverlässigkeit zu ermitteln, eine nicht geringe Zahl von Rechtsinstitutionen in ihren verschiedenen Gestaltungen sowie die tatsächlichen Verhältnisse, welche die abweichenden Entwicklungen und Ausgestaltung hervorgerufen haben, zu ergründen, sorgfältig zu prüfen und zu erwägen, inwiefern hinsichtlich des einen oder anderen Rechtsinstituts ohne wesentliche und empfindliche Nachteile und ohne schädliche Einwirkung auf die Landesverfassung und das öffentliche Recht für dieses oder jenes Gebiet ein einheitliches Recht sich begründen lassen, bei fast allen Materien auf die in Deutschland herrschenden, in weitem Umfang der verschiedenartigen großen Rechtssysteme einzugehen behufs Vorbereitung der Entscheidung, welchem Systeme zu folgen sei, für eine große Zahl von rein juristischen Fragen über den gegenwärtigen Stand der Rechtswissenschaft vollständigen Aufschluss zu gewinnen, bei der Benutzung der neueren wissenschaftlichen Forschungen mit weiser Vorsicht zu verfahren und vor gefährlichen Neuerungen sich zu hüten, und wegen der unmeßbaren Vorteile, welche, wie in der neueren Zeit zu Genüge erkannt ist, für den Gesetzgeber aus der vergleichenden Rechtswissenschaft entspringen, auch das ausländische Recht in größtem Umfange zu erforschen.99

Die Entscheidungsgrundlage war für jeden Mitarbeiter damit extrem groß. Ein irgendwie formales Verfahren der Vereinheitlichung gab es nicht. Rechtseinheit bedeutet also stets die Entscheidung zwischen mehreren Möglichkeiten. Den Druck, den das auf die Kommissionsmitarbeiter ausübte, verdeutlichte Viktor von Liebe, Hilfsarbeiter Johows bei der Erstellung des Vorentwurfs für das Sachenrecht:

Die neuen Gesetzgebungen sowie auch die Doktrin [lies: Rechtswissenschaft] gehen so auseinander, dass es rein unmöglich ist, sich darauf zu beschränken, dass man eine mittlere Proportionale des gegenwärtig geltenden Rechts zieht. Man wird gedrängt, seinen eigenen Weg zu gehen: nur bleibt die ewige Grundlage das römische Recht. […] Bei alledem lastet auf den Redaktoren und auch den unter Ihnen stets mit ziemlichem Spielraum arbeitenden Hilfsarbeitern eine Last und Verantwortung, mit welcher die Verantwortlichkeit für eine einzelne Entscheidung in der Praxis nicht zu vergleichen ist.100

Von Anfang an standen die BGB-Verfasser daher vor dem Problem, dass die ihnen gestellte Aufgabe, die Rechtseinheit ohne andere politische Zielvorgaben zu verwirklichen, dazu zwang, eigenständig ein solches politisches Programm zu verfolgen. Ohne politische Kriterien der Auswahl ging es nicht. Irgendwelche Vorwegabsprachen über ein politisches Gesamtziel gab es in der Kommission nicht. Die politischen Präferenzen der einzelnen Kommissionmitglieder waren durchaus verschieden. In der Tendenz standen sich eher wirtschaftsliberal geprägte preußisch-norddeutsche Kommissionsmitglieder und etwas konservativere Mitglieder der süddeutschen Staaten gegenüber. Bei vielen Einzelfragen halfen diese allgemeinen Einstellungen wenig. Woran orientierten sich die Mitglieder?

Im Gutachten der Vorkommission waren für den häufigen Fall, dass im Reich widersprüchliche Regelungen existierten, zwei Orientierungen gegeben worden: Die Entscheidung müsse dann „in erster Linie nach Rücksicht des Bedürfnisses und der Zweckmäßigkeit, in zweiter Linie nach juristisch-logischer Folgerichtigkeit getroffen“ werden.101 Mit „Bedürfnis“ wurde ein Terminus genutzt, den bereits Savigny 1814 als Hauptquelle der Rechtsentstehung formuliert hatte.102 Für Kommissionsmitglieder wie Gottlieb Planck waren die „Bedürfnisse des Lebens“ daher auch selbstverständliche Richtschnur des Gesetzesverfassers. Was diese „Bedürfnisse“ des Lebens, der Praxis etc. waren, blieb stets vor allem deswegen dunkel, weil erst mit der aufkommenden Rechtssoziologie in den 1890er Jahren von Juristen begonnen wurde, die Wirklichkeit auszuzählen, zu messen und zu beobachten, nicht einfach nur zu behaupten. Attestierte „Bedürfnisse“ waren daher weiterhin Versuche, der Wirklichkeit irgendwie intuitiv ihren Sinn zu entnehmen. Damit waren auch die Kommissionmitglieder auf ihr Verständnis ökonomischer und sozialer Zusammenhänge angewiesen. Dies bedeutete zumeist eine Wirklichkeitsprobe am Schreibtisch.

Für den Redaktor des Erbrechts, Gottfried von Schmitt, ist untersucht, zu welchen Schwierigkeiten dies führte. Während er die Gesetzgebung und rechtswissenschaftliche Literatur durchweg breit zitierte und diskutierte, zwangen ihn grundsätzliche politische Angriffe auf das Privaterbrecht überhaupt, also die Forderung, Erbrecht abzuschaffen, auf rechtspolitisches Terrain, auf dem er sich nicht Zuhause fühlte. Er nahm die ökonomischen Debatten unter französischen St. Simonisten, deutschen und schweizerischen Sozialisten und der zeitgenössischen Nationalökonomie zur Kenntnis. Eine inhaltliche Auseinandersetzung damit vermied er jedoch in seinem Vorentwurf. Stattdessen formulierte er eine eigene Ansicht, für die er sich von einigen Rechtsphilosophen passende Zitate herausgriff, die oft wenig mit dem zu tun hatten, was diese Philosophen vertraten. Die Mitglieder der Ersten Kommission wurden zu politischen Entscheidungen gezwungen, denen sie nach Ausbildung und Herkommen nicht immer gewachsen waren und bei denen sie sich bisweilen sichtlich unwohl fühlten. Rechtsvereinheitlichung bedeutete für die Erste BGB-Kommission also eine schwierige Mischung zwischen dem, was in Gesetzgebung, Lehre und Rechtsprechung einhellig anerkannt wurde, und der eigenen Entscheidung von Streitfällen danach, was sie selbst für lebensnah, praktikabel und ökonomisch und sozial sinnvoll hielten. Erst im späteren Verlauf der BGB-Debatten wurden diese Zweckmäßigkeitsbehauptungen mit den sich hier oft versteckenden Konflikten zwischen verschiedenen Interessengruppen konfrontiert. Nun schalteten sich Lobbyverbände in die Debatte ein. Beispiele sind das Königlich Preußische-Landes-Ökonomie-Kollegium, in dem Agrarier ihre Interessen einbrachten, aber natürlich auch die politischen Parteien, die sich nach 1889 intensiv mit dem Ersten Entwurf auseinandersetzten. Für die Erste Kommission blieb es dagegen zunächst bei der Einschätzung der Lebenswirklichkeit durch die Kommissionsmitglieder. Auch ein zweites Entscheidungskriterium war ihnen jedoch vorgegeben worden: Die Entscheidung von Konfliktfällen sollte, wenn auch in zweiter Linie, nach juristisch-logischer Folgerichtigkeit getroffen werden. Dies verweist auf das zweite Kriterium von Benthams Kodifikationsbegriff: die Vollständigkeit. In dieser Frage waren die Kommissionsmitglieder und besonders die Verfasser der Vorentwürfe unter ihnen Spezialisten: Es ging um Gesetzestechnik.

Literatur: Rainer Schröder, Abschaffung oder Reform des Erbrechts. Die Begründung einer Entscheidung des BGB-Gesetzgebers im Kontext sozialer, ökonomischer und philosophischer Zeitströmungen, Ebelsbach 1981; Hans Schulte-Nölke, Das Reichsjustizamt und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Frankfurt a. M. 1995; Thomas Vormbaum, Die Sozialdemokratie und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, 2. Aufl. Baden-Baden 1997; Michael Damnitz, Bürgerliches Recht zwischen Staat und Kirche. Mitwirkung der Zentrumspartei am Bürgerlichen Gesetzbuch, Baden-Baden 2001; Michael Wolters, Die Zentrumspartei und die Entstehung des BGB, Baden-Baden 2001; Rüdiger Hansel, Jurisprudenz und Nationalökonomie. Die Beratungen des BGB im Königlich Preußischen-Landes-Ökonomie-Kollegiums 1889, Köln 2006; Petra Zrenner, Die konservativen Parteien und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Münster 2008; Dorothea Steffen, Bürgerliche Rechtseinheit und Politischer Katholizismus, Paderborn 2008.

2.2.2 Vollständigkeit

2.2.2.1 Vollständige Regelung des Privatrechts?

Benthams zweite Forderung nach Vollständigkeit („complete“) umfasste zunächst die umfassende Ersetzung des bisherigen Rechts durch die Kodifikation. Dies betraf einerseits die Verdrängung aller anderen Gesetze durch eine Kodifikation und andererseits den Ausschluss konkurrierender Rechtsquellen, also insbesondere ein Verbot von Gewohnheitsrecht und Richterrecht. In keinem dieser Punkte setzte das BGB Benthams Forderungen um. Auch für den Teilbereich des Bürgerlichen Rechts hatte das BGB nie die Aufgabe, das ältere Gesetzesrecht vollständig zu verdrängen. 1873 galt im Deutschen Reich bereits eine ganze Reihe von Gesetzen im Zivilrecht, deren Fortgeltung durch das BGB nicht in Frage gestellt werden sollte und bis 1900 kamen viele weitere hinzu. Schon vor 1871 hatte man im Handelsrecht gemeinsame Gesetze erlassen: 1848 trat die Allgemeine Deutsche Wechselordnung in Kraft, 1861 hatte man sich auf ein Allgemeines Deutsches Handelsgesetzbuch geeinigt. In vielen Bereichen hatten Einzelgesetze auch Grundstrukturen des Bürgerlichen Rechts gelegt, in die das BGB sich einpassen musste. Beispiele sind die Gewerbeordnung (1869), der Markenschutz, das Urheberrecht (seit 1870), das Gesetz gegen Wucher (1880), das Genossenschaftsgesetz (1889), das GmbH-Gesetz (1892), das Abzahlungsgesetz (1894), das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (1896). Hinzu kam, dass man im späteren Einführungsgesetz den Ländern in vielen Bereichen Kompetenzen beließ (Art. 55–152 EGBGB).

Strenger war man zunächst beim Gewohnheitsrecht. Die Erste BGB-Kommission verneinte ausdrücklich, dass neben dem BGB noch Gewohnheitsrecht bestehen könne (§ 2 des Ersten Entwurfs von 1888). Demgegenüber setzte sich in der weiteren Beratung die Ansicht durch, dass jedenfalls ein reichsweit gebildetes Gewohnheitsrecht nicht ausgeschlossen werden dürfe. Ansonsten blieb die Frage gesetzgeberisch unentschieden und überließ der Rechtswissenschaft die Option, ob sich künftig noch neues (gemeines, nicht partikulares) Gewohnheitsrecht bilden könne.103 Da schon im 19. Jahrhundert Gewohnheitsrecht vor allem in Form eines Gerichtsgebrauchs (usus fori) aufgetreten war, war damit zugleich zur Frage des Richterrechts Stellung genommen. § 1 des Gerichtsverfassungsgesetz (GVG) von 1877 stellte klar:

Die richterliche Gewalt wird durch unabhängige, nur dem Gesetz unterworfene Gerichte ausgeübt.

Damit war einer Präjudizienbindung, also der Bindung an die Entscheidung anderer Gerichte, eine Absage erteilt. Die richterliche Entscheidung galt immer nur für den konkreten Fall. Angesichts des nicht expliziten Ausschlusses des Gewohnheitsrechts blieb für Richterrecht jedoch die Chance, durch einen gleichbleibenden Gerichtsgebrauch Recht zu setzen. Aus § 1 GVG folgte freilich, dass dies nicht contra legem geschehen durfte. Entscheidend für das Verhältnis von Gesetzes- zu Richterrecht war demnach, welche Spielräume das Gesetz dem Richter bot. Und dabei zeigte sich schnell, dass das BGB von Anfang an auf einen rechtswissenschaftlichen Richter als Partner, nicht als Diener setzte. Dies folgte zunächst daraus, dass dem Richter und der Rechtswissenschaft eine Vielzahl einzelner Fragen zur eigenständigen Beantwortung überlassen wurde. Schon die Erste Kommission hatte die Aufgabe bekommen „zu scheiden, was dem Gesetzgeber und was der Wissenschaft zukommt“.104 Sie folgte Jherings Diktum „Der Gesetzgeber soll nicht konstruieren“,105 und verzichtete weitgehend auf Definitionen und Begriffsbestimmungen, auf die Normierung selbstverständlicher Konsequenzen aus allgemeinen Sätzen, auf Lehrsätze und dogmatische Begründungen der gefundenen Lösungen. Selbst Schlüsselbegriffe wie der des Schuldverhältnisses zu definieren, blieb „der Wissenschaft überlassen“.106 Im späteren Verlauf der Gesetzgebungsarbeiten war es vor allem das Reichsjustizamt, das nochmals viele, lediglich belehrende Sätze ohne direkten Regelungsgehalt strich, etwa die Konstruktion der Forderungsübertragung in § 294 I E I: „Die Uebertragung kann auf einem Vertrag zwischen dem bisherigen und dem neuen Gläubiger (Abtretung) oder auf gerichtlicher Anordnung oder unmittelbar auf dem Gesetz beruhen“.107 Auch ob die Leihe ein Konsensual- oder Realvertrag war, wurde nun bewusst offengelassen.108 Dass schon in einem solchen Verzicht erhebliche Spielräume für Wissenschaft und Justiz lagen, machte Planck deutlich:

Noch mehr gilt dies da, wo es sich um die juristische Konstruktion des Rechtssatzes oder um Konsequenzen eines solchen handelt, die im Gesetzbuche nicht ausdrücklich festgestellt sind. In dieser Beziehung muß der Wissenschaft völlig freier Spielraum gelassen werden und können die Ansichten derjenigen, welche an dem Gesetzbuche mitgearbeitet haben, keine größere Beachtung in Anspruch nehmen, wie die Ansichten anderer Juristen.109

Hinzu kam, dass der Gesetzgeber viele Einzelfragen auch inhaltlich der Entscheidung von Wissenschaft und Praxis übergab. Die Voraussetzungen der Konkretisierung der Gattungsschuld sei „der Wissenschaft und Praxis zu überlassen“,110 für die Vorteilsausgleichung gelte: „Die Praxis wird uneingeengt durch eine gesetzliche Vorschrift, auch fernerhin im Einzelfalle sich zurechtfinden“.111 Beim Zubehör hieß es: „Der Entw. beschränkt sich daher auf einige zweifellose Beispiele und läßt im Übrigen der Wissenschaft und Praxis das Feld frei“.112 Beim Mitverschulden hieß es: „Ein Blick auf die Praxis lehrt, daß die Fälle im Leben zu verschiedenartig liegen, als dass durch eine Vorschrift eine für alle Fälle passende Regel gegeben werden könnte. […] Es ist daher am ratsamsten, dem Richter möglichste Freiheit in der Beurteilung des konkreten Falles zu lassen.“113 Für die Frage der Konnexität beim Zurückbehaltungsrecht stellte die Kommission klar: „Der Entwurf hütet sich jedoch, dieses Erfordernis durch spezielle Beschreibung oder Aufstellung von Kategorien näher zu präzisieren. Der Richter soll unbehindert sein, im Einzelfall durch Prüfung aufgrund des erwähnten Prinzips es zu entscheiden.“114 Diese Entscheidungen folgten keinem durchgängigen Konzept, sondern reagierten pragmatisch darauf, dass man diese Fragen als noch ungeklärt einstufte und daher einer künftigen Meinungsbildung in der Rechtswissenschaft Raum ließ. Hintergrund konnte aber auch sein, wie beim Aspekt des Mitverschuldens, dass man eine Aufzählung einzelner Fälle für nicht zielführend hielt. Bisweilen konnte man sich auch auf keine Formulierung einigen, so etwa bei der Frage der Drittschadensliquidation.115 Es ergaben sich jedenfalls oftmals bewusste Gesetzeslücken, die dem Richter der Entscheidung übergaben.

Noch weiter ging der Gesetzgeber in den Generalklauseln, also insbesondere in den §§ 157, 226, 242, 826 BGB. Hier folgte die Freiheit des Richters zunächst zwanglos daraus, dass dies gemeinrechtlichem Herkommen entsprach. Die guten Sitten (boni mores) als Grenze der Wirksamkeit eines Rechtsgeschäfts waren unzweifelhafter Kernbestand des Gemeinen Rechts, aber auch des liberalen Vertragsdenkens. Dies nun in einem gegenüber dem Gemeinen Recht viel präziseren Gesetz zu kodifizieren, ließ in der Ersten Kommission gleichwohl kurzzeitig Zweifel aufkommen, ob man damit die erhoffte Bindung des Richters nicht über Gebühr auflöse. Zum späteren § 138 Abs. 1 BGB verdeutlichten die Motive: „Die Vorschrift stellt sich als ein bedeutsamer gesetzgeberischer Schritt da, der vielleicht nicht ohne Bedenken ist. Dem richterlichen Ermessen wird ein Spielraum gewährt, wie ein solcher großen Rechtsgebieten bisher unbekannt ist. Fehlgriffe sind nicht ausgeschlossen. Bei der Gewissenhaftigkeit des deutschen Richterstandes darf in dessen unbedenklich darauf vertraut werden, dass die Vorschrift im Ganzen und Großen nur in dem Sinne angewendet werden wird in dem sie gegeben ist.“116 Gleichwohl stand § 138 BGB nie in ernsthaftem Zweifel.

Die bona fides, also Treu und Glauben, hatte bereits im heutigen Römischen Recht und über das antike Vorbild hinaus, dem Richter die Möglichkeit geboten, das „freie richterliche Ermessen“117 bei der Auslegung der vertraglichen Einigung umfassend zu berücksichtigen. Auch strengrechtliche Klagen, wie etwa die Klage aus einem Wechsel, waren nicht dagegen geschützt, im Einzelfall mittels einer exceptio doli generalis, einer Arglisteinrede, vom Richter unter Berufung auf die bona fides verwehrt zu werden. Während der Gesetzesdebatten stellte die Übernahme einer exceptio doli generalis in das BGB lange die Außengrenze dessen dar, was man dem Richter zuzubilligen gewillt war. Noch das Reichsjustizamt und die Zweite Kommission lehnten die Aufnahme einer solchen ausdrücklich ab, weil eine solche Bestimmung die Gefahr in sich schließe, dass der Richter, „statt sich von klaren scharfen Entscheidungsgründen leiten zu lassen, einem dunklen, reinen subjektiven Rechtsgefühl“ folge.118 Demgegenüber war die Berücksichtigung der bona fides im Vertragsrecht von Anfang an unstrittig119 und wurde dann vom Reichsjustizamt im späteren § 242 BGB auf jede schuldrechtliche Leistungspflicht erweitert120 und auch für die Auslegung noch gesondert geregelt (§ 157 BGB).121 In beiden Fällen stellte man der richterlichen Einschätzung freilich stets die „Verkehrssitte“ an die Seite, die ihm dabei helfen sollte, seine Wertungen im gesellschaftlichen Konsens abzusichern.

Die bei Treu und Glauben deutlich werdende Tendenz, die richterliche Freiheit auszuweiten, zeigte sich im Verlauf der Gesetzgebungsdebatten auch an anderer Stelle. Ein Schikaneverbot wurde zunächst nur für das Eigentum als Absatz zwei zum späteren § 903 BGB 1900 beschlossen und dann, nach hitziger Debatte im Reichstag, durch § 226 BGB als allgemeine Rechtsausübungsschranke normiert.122 In diesem Kontext wurde auch der heutige § 826 BGB entscheidend erweitert. Zunächst war man davon ausgegangen, dass die Ausübung eines subjektiven Rechts nie eine sittenwidrige Schädigung sein könne, und hatte deshalb in § 705 E I nur von einer „kraft der allgemeinen Freiheit an sich erlaubten Handlung“ gesprochen. Im Reichstag fiel diese Begrenzung parallel zur Ausweitung des Schikaneverbotes, sodass mit § 826 BGB dem Richter eine allgemeine Grenze der Rechtsausübung zugewiesen wurde, die der alten exceptio doli generalis nahekam. Schon Zeitgenossen sahen klar, dass mit solchen Entscheidungen das BGB dem Richter viel Spielraum gewährte. Mit Blick auf die Nennung von Treu und Glauben in § 157 BGB fand Rudolph Sohm 1895 bereits ein „feuriges Schwert“ im Gesetz, mit dem die deutsche Praxis „durch alle anderen Paragraphen des Vertragsrechts hindurchzuschlagen imstande“ sei.123

Freilich sollte der Rückblick von heute aus nicht dazu verleiten, die gerade in Generalklauseln bereitgestellten Spielräume zu einer generellen Herrschaftszuweisung an die Justiz hochzustilisieren. Es ging um Einzelfragen und bei den Generalklauseln um die gesetzgeberische Einsicht, dass man bisweilen genötigt sei, „die Gesichtspunkte, nach welchen die rechtliche Folge sich bestimmt, noch allgemeiner zu fassen und innerhalb gewisser Grenzen auf das billige, oder wie in solchen Fällen gewöhnlich gesagt zu werden pflegt, auf das richterliche Ermessen zu verweisen“.124 Die vom Gesetzgeber bewusst eingebauten Überdruckventile änderten nichts daran, dass es zum unverzichtbaren Ziel einer Kodifikation gehörte, wenigstens die ihm zugewiesenen Bereiche möglichst vollständig regeln zu können. Dies war zunächst eine Frage der Gesetzestechnik.

Literatur: Horst Heinrich Jakobs, Wissenschaft und Gesetzgebung im bürgerlichen Recht nach der Rechtsquellenlehre des 19. Jahrhunderts, Paderborn 1983, S. 152 ff.; Jan Schröder, Das Verhältnis von Rechtsdogmatik und Gesetzgebung in der neuzeitlichen Rechtsgeschichte (am Beispiel des Privatrechts), in: Okko Behrends u. Wolfram Henckel (Hgg.), Gesetzgebung und Dogmatik, Göttingen 1988, S. 54 f.; Hans Schulte-Nölke, Das Reichsjustizamt und die Entstehung des Bürgerlichen Gesetzbuches, Frankfurt a. M. 1995, S. 287 ff., 337 ff.; HKK/Haferkamp, § 138, Tübingen 2003, Rn. 4 f.; HKK/Haferkamp, §§ 226–231, Tübingen 2003, Rn. 12 ff.; Hans-Peter Glöckner, Positive Vertragsverletzung, Frankfurt a. M. 2006, S. 258 ff.; Nadia Al-Shamari, Die Verkehrssitte im § 242 BGB: Konzeption und Anwendung seit 1900, Tübingen 2006; HKK/Haferkamp, § 242, Tübingen 2007, Rn. 41 ff.

2.2.2.2 Lückenlosigkeit?

Wie wollte das BGB eine möglichst umfassende Regelung erreichen? Ging man gar von Lückenlosigkeit aus?

Üblicherweise wird hier das Preußische Allgemeine Landrecht von 1794 als ein gescheiterter Versuch einer solchen lückenlosen Durchregelung interpretiert. In dem Bestreben, möglichst viele Fälle zu erfassen, hatte man dort zu einer heute berüchtigten Kasuistik gegriffen. Ein Beispiel bietet die Frage, welche Sachen als Zubehör vom Erwerb der Hauptsache miterfasst sind. Das ALR führte insgesamt 54 Einzelfälle an. So hieß es für das Zubehör einer Bibliothek (I 2):

§ 96. Zu einer Bibliothek werden auch die Repositorien und Schränke gerechnet, in welcher die Bücher sich befinden.

§ 98. Bildsäulen und andere Sachen, die außer den Behältnissen, bloß zur Auszierung des Zimmers bestimmt waren, sind keine Pertinenzstücke der Bibliothek […].

§ 99. Dagegen werden Erd- und Himmelskugeln, Landkarten, Zeichnungen und Kupferstiche, sie mögen gebunden oder ungebunden seyn, zur Bibliothek gerechnet.

§ 100. Kupferstiche hingegen, die im Rahmen gefaßt sind, gehören nicht zur Bibliothek.

Es liegt auf der Hand, dass die scheinbare Präzision solcher Bestimmungen in Wahrheit mehr Lücken als geregelte Fälle produziert. Jede unübliche Bibliotheksausschmückung war nicht geregelt. Schon im 19. Jahrhundert machte man sich daher über diese Art Vollständigkeit lustig. Oft übersehen wurde dabei, dass ALR I 2 flankierend noch eine zweite Regelungstechnik nutzte: die abstrakte Regel.

§ 42. Eine Sache, welche zwar für sich selbst bestehen kann, die aber mit einer andern Sache in eine fortwährende Verbindung gesezt worden, wird ein Zubehör oder Pertinenzstück derselben genannt.

§ 43. Unbewegliche Sachen, die mit einer anderen unbeweglichen Sache durch die Natur verbunden worden, machen mit ihr nur Eine Substanz aus.

§ 44. Dagegen sind sowohl bewegliche als unbewegliche Sachen, die einem andern Ganzen durch die Handlungen oder Bestimmung eines Menschen zugeschlagen werden, für ein Zubehör derselben anzusehn.

Damit standen allgemeine Regeln bereit, die der Richter nutzen konnte, wenn die Einzelfälle den zu entscheidenden Fall nicht betrafen. Sie waren abstrakt formuliert, verwendeten Oberbegriffe wie „Sache“, „Handlung“, „Mensch“. Es gab also durchaus Vorgaben für ungeregelte Fälle. Der Nachteil einer solchen Regelungstechnik lag darin, dass solche Begriffe unanschaulich, juristisch, der Bevölkerung unverständlich blieben. Das ALR strebte also einen Kompromiss an. Für viele Fälle bot es Lösungen an, die so untechnisch und konkret formuliert waren, dass der Nichtjurist sie leicht verstehen konnte. Für die verbliebenen Fälle griff das Gesetz auf abstrakte Formulierungen zurück, die für den Fachjuristen konzipiert waren. Damit lag das ALR ganz auf einer Linie mit der fast einhelligen Gesetzgebungstheorie des 18. Jahrhunderts. Gerade wenn man den Richter an das Gesetz binden wollte, dann ging dies nicht über kasuistische Einzelfallregelungen, die zwangsweise Lücken produzierten. Man brauchte „allgemeine Grundsätze“, die das, was der Gesetzgeber wollte, abstrakt formulierten. Nach der Ansicht der Verfasser des ALR lag der Vorteil begleitender Kasuistik darin, unproblematische Fälle sicher zu regeln und zugleich die abstrakte Regel durch Beispiele zu erläutern. Das Zusammenspiel zwischen Grundregel und Einzelfällen galt als größtmögliche Sicherheit der Bindung des Richters.

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