Kitabı oku: «Unternehmensstrafrecht und Unternehmensverteidigung», sayfa 3
Anmerkungen
[1]
Sutherland S. 7.
[2]
Zu diesem Zusammenhang siehe Boers MSchrKrim 2001, 335, 341; Theile (2009), S. 27 ff.
[3]
Sutherland S. 4 f.
[4]
Otto MSchrKrim 1980, 397, 399; ders. Jura 1989, 24, 25; Volk JZ 1982, 82, 85. Ferner Baumann JZ 1983, 935, 936; Hassemer StV 1990, 328, 330; Herzog (1991), S. 111; Schubarth ZStW 92 (1980), 80, 105.
[5]
Baumann JZ 1983, 935, 936; Geerds (1991), S. 10; Otto MSchrKrim 1980, 397, 399.
[6]
Boers MSchrKrim 2001, 335, 338; Meier § 11 Rn. 4 f. Kritisch zu solchen Definitionsversuchen Eisenberg § 47 Rn. 3 ff.; Kaiser § 74 Rn. 11.
[7]
Boers MSchrKrim 2001, 335, 338; Meier § 11 Rn. 4 f. Kritisch zu solchen Definitionsversuchen Eisenberg § 47 Rn. 3 ff.; Kaiser § 74 Rn. 11.
[8]
Göppinger § 25 Rn. 5; Meier § 11 Rn. 6; Schwind § 21 Rn. 16. Weitere Präzisierungen bei Schmitt-Leonardy (2013), Rn. 272, 277; dies. ZIS 2015, 11, 18.
[9]
Boers MSchrKrim 2001, 335, 338; Geis (1992), S. 9; Pearce (2001), S. 35, 37; Reiss/Tonry (2001), S. 32 f. Zum Ganzen Theile (2009), S. 27 ff.
[10]
Boers MSchrKrim 2001, 335, 338; Jung (1997), S. 4; Lampe ZStW 106 (1994), 683, 708 f.; Hirsch/Hofmanski/Plywaczewski/Roxin-Lampe S. 95, 102; Schünemann (1979), S. 4 f., 16; ders. wistra 1982, 41.
[11]
Opp (1975), S. 45 ff. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Schünemann (1979), S. 6, 13 f.; ders. wistra 1982, 41.
[12]
Lampe ZStW 106 (1994), 683, 697; Schlüter (2000), S. 19; Schünemann (1979), S. 6; ders. wistra 1982, 41. Vgl. auch Pearce (2001), S. 35, 40.
[13]
Siehe hierzu auch Hefendehl MSchrKrim 2003, 27, 30 ff.; Schünemann in: Madrid-Symposium Tiedemann (1994), S. 265, 270; ders. in Schünemann (1996), S. 18 ff., 129, 131 ff.; Theile in: Rotsch (2015), § 34 Rn. 43.
[14]
Sutherland S. 17 ff., 234 ff., 257 ff.
[15]
Milgram Das Milgram Experiment (1974). Siehe hierzu Hefendehl MSchrKrim 2003, 27, 33 f.; Schünemann (1996), S. 21 ff. Neuerdings Kölbel ZIS 2014, 552, 552 ff.
[16]
Vgl. insoweit auch die Hinweise Schünemanns auf eine „kriminelle Verbandsattitüde“ in: Madrid-Symposium Tiedemann (1994), S. 265, 271. Aus kriminologischer Sicht hierzu Kölbel ZIS 2014, 552, 553 ff.; Theile in: Rotsch (2015), § 34 Rn. 43.
[17]
Siehe hierzu etwa Singelnstein MSchrKrim 2012, 52, 52 ff.; Theile in: Rotsch (2015), § 34 Rn. 44. Ferner Schneider in: FS Heinz (2012), S. 663, 673.
[18]
Vgl. Merton in: Sack/König, S. 283, 289 ff. Siehe hierzu Schmitt-Leonardy ZIS 2015, 11, 14; Singelnstein MSchrKrim 2012, 52, 53, 55 ff. Siehe ferner Agnew Criminology 30 (1992) 47, 47 ff.
[19]
Vgl. Cohen/Short in: Sack/König, S. 372, 372 ff. Vgl. in diesem Zusammenhang auch Kempf/Lüderssen/Volk-Schmitt-Leonardy (2012), S. 111 ff.; dies. ZIS 2015, 11, 15.
[20]
Vgl. Sykes/Matza in: Sack/König, S. 360, 360 ff. Siehe hierzu Hefendehl MSchrKrim 2005, 444, 452 ff.; Bannenberg/Jehle-Kaspar S. 135, 138 f.; Kölbel ZIS 2014, 552, 553; Schmitt-Leonardy ZIS 2014, 11, 15; Theile ZIS 2008, 406, 410. Siehe ferner Benson Criminology 23 (1985) 583, 591 ff.
[21]
Zu den Grenzen des Rational Choice-Ansatzes siehe auch Hefendehl ZStW 119 (2007), 816, 820 ff.
[22]
Esser Bd. 3 (2002), S. 85 ff., 116 ff. Siehe ferner Coleman (1986), S. 17, 24 f., 36 ff. Ähnlich Kempf/Lüderssen/Volk-Lüderssen (2012), S. 79, 81 ff. Kritisch zu derartigen Ansätzen Boers MSchrKrim 2001, 335, 349 f. Vgl. auch die Analyse bei Kempf/Lüderssen/Volk-Schmitt-Leonardy (2012), S. 111, 123 ff.; dies. ZIS 2015, 11, 17.
[23]
Hoyningen-Huene in: Lübbe (1994), S. 165, 171 ff.; Bayertz-Lenk/Maring S. 243; Luhmann (1968), S. 56, 171 ff.; Lübbe (1998), S. 122 ff.; Willke S. 52 ff. Aus dogmatischer Sicht Dannecker GA 2001, 101, 108 f.; Heine in: Alwart (1998), S. 90, 101; ders. ZStrR 2001, 22, 25; Hirsch ZStW 107 (1995), 285, 288 f.; Lampe ZStW 106 (1994), 683, 691; Seelmann in: FS Schmid (2001), S. 169, 170 f. Zum Ganzen Theile (2009), S. 45 ff.
[24]
Vgl. etwa Bode (1999), S. 100; Eder ZfRSoz 1986, 1, 19; Luhmann (1999), S. 56, 171, 175; Willke S. 52 ff. Zum Ganzen siehe Theile (2009), S. 54 ff.
[25]
Treffend Schmitt-Leonardy ZIS 2014, 11, 17. Siehe auch Heine in: Alwart (1998), S. 90, 101; ders. ZStrR 2001, 22, 25; Seelmann in: FS Schmid (2001), S. 169, 171, 177.
[26]
Vesting Jura 2001, 299, 300. Aus kriminologischer Perspektive siehe Boers MSchrKrim 2001, 335, 350 ff.; ders. Wissenschaftliches Symposium Sessar (2012), S. 251, 257 ff.
[27]
Sack in: König (Hrsg.), S. 239; Karliczek-Sessar S. 32, 61 ff. Siehe ferner Hondrich-Becker/Blumer S. 102; McNaughton-Smith in Lüderssen/Sack S. 197. Vgl. ferner Hart (2011), S. 118 ff.
Teil 1 Einführung in die Problematik › C. Probleme für das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
C. Probleme für das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht
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Gerade diese Dezisionen auf Ebene der Normsetzung und -anwendung stellen sich im Hinblick auf Unternehmenskriminalität als Problem dar, weshalb der Zugriff des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts an Grenzen stößt. Schwierigkeiten bereitet insbesondere der Umgang mit dem Phänomen der Emergenz, was freilich von der Ausgestaltung der jeweiligen normativen Programme abhängt. Nur vordergründig weist die Debatte um das Wesen der juristischen Person, die im 19. Jahrhundert zwischen von Giercke und von Savigny geführt wurde, Bezüge zu dieser Problematik auf: Von Giercke vertrat insoweit den Standpunkt, die Körperschaft sei eine sich über seine Repräsentanten ausdrückende reale Gesamtperson,[1] während von Savigny davon ausging, die juristische Person sei ein unkörperliches Gedankenwesen, das allein qua juristischer Fiktion entstehe.[2] Im Zentrum der Auseinandersetzung stand weniger das jeweilige Verständnis vom Unternehmen als soziales Phänomen, sondern vielmehr das jeweils differierende Grundverständnis über den Unternehmensträger: Von Giercke wollte mit seiner Interpretation einem vorgegeben sozialen Tatbestand Rechnung tragen, von Savigny kam es darauf an, allein Menschen aufgrund ihrer Fähigkeit zur Selbstbestimmung als originäre Rechtsperson zu akzeptieren.[3]
13
Erkennt man an, dass ein Unternehmen mehr als die Summe seiner Teile ist, wäre es an sich folgerichtig, allein das Unternehmen, nicht aber einzelne Mitarbeiter zu sanktionieren, weil nur das Unternehmenswirken in toto den eine Sanktionierung tragenden Grund bietet. Anders als das europäische Recht, das etwa im Kartellrecht ohne jede individuelle Anknüpfungstat die Sanktionierung von Unternehmen und Unternehmensvereinigungen gestattet, zieht jedoch nicht einmal das deutsche Ordnungswidrigkeitenrecht eine solche Konsequenz. Voraussetzung für die Verhängung einer Geldbuße gegenüber einer juristischen Person oder Personenvereinigung ist nach wie vor die individuelle Anknüpfungstat eines für das Unternehmen handelnden Repräsentanten (vgl. § 30 Abs. 1 OWiG). Das Strafrecht trägt dem Aspekt der Emergenz ebenso wenig Rechnung und kann dies angesichts seiner individualistischen Ausrichtung sowie des Fehlens einer Unternehmensstrafe nicht einmal tun: Die Verhängung einer Freiheits- oder Geldstrafe ist allein gegenüber einer schuldhaft handelnden Individualperson möglich, womit das Unternehmenswirken insgesamt zwangsläufig ausgeblendet wird. Ein solcher Ausblendungsmechanismus stellt aus systemtheoretischer Perspektive eine Komplexitätsreduktion dar, an der sich das Strafrecht aufgrund der ihm eigenen dogmatischen Kategorien der Handlungs-, Schuld- und Straffähigkeit des Sanktionsadressaten gerade als System bewährt. Ob die Reduktion von Komplexität nicht auf höherem und der durch das Wirken von Unternehmen geprägten wirtschaftlichen Umwelt stattfinden müsste, ist dann bereits die Frage nach der Unternehmensstrafbarkeit.
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Aber selbst wenn man diese der lex lata zugrunde liegende Komplexitätsreduktion als Ausgangspunkt nimmt, besteht die eigentliche Problematik des straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Umgangs mit Unternehmenskriminalität darin, dass anders als in Fällen der konventionellen Eigentums- und Vermögenskriminalität Information, Entscheidung und Handlung im Regelfall nicht in ein und derselben Person zusammenfallen, sondern in Unternehmen auf unterschiedliche Personen verteilt sind.[4] Die Schwierigkeiten potenzieren sich noch dadurch, als aus dem Unternehmenswirken entstehende Rechtsgutsverletzungen oftmals gar nicht auf eine einzelne Handlung bezogen werden können, sondern das Ergebnis langjähriger Fehlentwicklungen sind, die durch mangelndes Risikomanagement gekennzeichnet sind.[5] Unabhängig davon, ob dies im Sinne einer „organisierten Unverantwortlichkeit“ intendiert ist oder schlicht aufgrund der Eigenheiten des Unternehmenszusammenhanges geschieht, liegt es nahe, dass hieraus für das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht Probleme erwachsen.[6] Zwar wird teilweise eingewandt, Unternehmenskriminalität zeichne sich gar nicht durch erhöhte Beweisschwierigkeiten aus, da die formelle innerbetriebliche Organisation fortlaufend zur Dokumentation von Entscheidungsabläufen zwinge.[7] Die oftmals beklagten Probleme bezögen sich demnach weniger auf die Unmöglichkeit, sondern auf die faktische Unzumutbarkeit der Beweisführung.[8] Unabhängig davon, ob im Hinblick auf die Beweisführung von Unmöglichkeit oder Unzumutbarkeit auszugehen ist, besteht jedoch kein Zweifel, dass insoweit erhebliche praktische Schwierigkeiten auftreten.[9]
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Die Problematiken bestehen gleichermaßen im Horizontalverhältnis von Individuen auf gleicher Hierarchieebene wie im Vertikalverhältnis von Individuen auf hierarchisch unterschiedlichen Stufen, weshalb in diesem Bereich jeweils spezifische Schwierigkeiten in der Zurechnung und der Implementation des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts entstehen: „An den Klippen der Arbeitsteilung zerschellen die klassischen Prinzipien der Verantwortlichkeit“.[10] Hinzu kommt der bereits angesprochene Aspekt, dass moderne Unternehmen oftmals gar nicht mehr durch ausschließlich hierarchische, sondern auch durch heterarchische Organisationsformen geprägt sind. Vor diesem Hintergrund sind das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht, welches selbst im Zusammenhang mit der Verhängung einer Geldbuße gegenüber juristischen Personen und Personenvereinigungen die Feststellung einer individuellen Anknüpfungstat verlangt (vgl. § 30 Abs. 1 OWiG), vor die Herausforderung gestellt, Verantwortungsattributionen im Unternehmenskontext vorzunehmen.
16
Die folgende Darstellung unternimmt den Versuch, diesen Problemen auf sämtlichen Ebenen des Unternehmens sowohl in horizontaler als auch vertikaler Perspektive nachzugehen (siehe Rn. 17 ff.), bevor anschließend besonders praxisrelevante Instrumente dargestellt werden, wie auch nach geltendem Recht eine Sanktionierung von Unternehmen erfolgen kann (siehe Rn. 256 ff.). Schließlich sollen in einem Ausblick Perspektiven angedeutet werden, wie mit der Problematik einer Sanktionierung von Unternehmen de lege ferenda umgegangen werden könnte (siehe Rn. 398 ff.).
Anmerkungen
[1]
V. Giercke (1881), S. 603 f.; ders. (1902), S. 22.
[2]
V. Savigny (1840), § 85 S. 236 f.
[3]
Kempf/Lüderssen/Volk-Schmitt-Leonardy (2012), S. 111, 118. Siehe hierzu auch Röhl/Röhl S. 469 § 58.
[4]
Alwart ZStW 105 (1993), 752, 754; ders. in: Alwart (1998), S. 75, 79; Dannecker GA 2001, 101, 102 ff.; Ehrhardt (1994), S. 159 ff.; Heine (1995), S. 31 ff.; ders. in: Alwart (1998), S. 90, 91 f.; ders. ZStrR 2001, 22, 24 ff.; Mittelsdorf (2007), S. 10 ff.; Otto Jura 1998, 409, 410; Ransiek (1996), S. 191 ff.; Schünemann wistra 1982, 41, 42; ders. in: Madrid-Symposium Tiedemann (1994), S. 265, 271 f.; Kempf/Lüderssen/Volk-Theile (2012), S. 175, 177. Grundlegend auch Stratenwerth ZStW 105 (1993), 679, 681 f.
[5]
Heine (1995), S. 141; Otto (1993), S. 25; ders. Jura 1998, 409, 416.
[6]
Zum Begriff siehe insbesondere Schünemann (1979), S. 18, 34, 149 ff.; ders. wistra 1982, 41, 42. Siehe in diesem Zusammenhang auch Heine in: Alwart (1998), S. 90, 91; Otto Jura 1998, 409 f.
[7]
So etwa Schünemann (1979), S. 41 ff.; ders. wistra 1982, 41, 49.
[8]
Volk JZ 1993, 429, 433. Vgl. insoweit auch Krekeler in: FS Hanack (1999), S. 639, 660 ff.; Leipold NJW-Spezial 2008, 216 f.; ders. in: FS Gauweiler (2009), S. 375, 380; Schlüter (2000), S. 32; Seelmann in: FS Schmid (2001), S. 169, 171 f.
[9]
Vgl. hierzu Dannecker GA 2001, 101, 103 f.; Heine in: Alwart (1998), S. 90, 91 f.; ders. ZStrR 2001, 22, 24 ff.; Otto (1993), S. 7 ff.; ders. Jura 1998, 409, 410; Schünemann wistra 1982, 41, 42 f.; Stratenwerth in: FS Schmitt (1992), S. 295, 301. Siehe hierzu auch Kempf/Lüderssen/Volk-Theile (2012), S. 175, 177 f.
[10]
Luhmann (5. Aufl. 1999), S. 185.
Teil 2 Die rechtliche Bewältigung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Unternehmenskontext
Inhaltsverzeichnis
A. Straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung von Personen auf Leitungsebene
B. Straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung von Personen in Aufsichtsgremien
C. Weitere einschlägige dogmatische Problemfelder
17
Die bisherigen Ausführungen hatten deutlich gemacht, dass sich Unternehmenskriminalität erheblich von anderen Kriminalitätsphänomenen unterscheidet und spezifische Schwierigkeiten bestehen, im Unternehmenskontext begangene Straftaten und Ordnungswidrigkeiten zu sanktionieren (siehe Rn. 12 ff.). Gleichwohl sind Unternehmen keine „rechtsfreien Räume“ und Zugriffe des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts prinzipiell möglich, wenn sie nicht sogar aufgrund des im Strafrecht geltenden Legalitätsprinzips gefordert sind (vgl. §§ 152 Abs. 2, 160 Abs. 1 StPO). Der Versuch, in Unternehmenszusammenhängen begangene Rechtsverstöße mit den normativen Programmen des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts zu sanktionieren, hat jedoch zu einer verselbständigten Dogmatik geführt, die sich mitunter erheblich von der des Kernstrafrechts abhebt und konventionelle dogmatische Figuren an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringt. Dies alles wirft die Frage auf, ob und inwieweit angesichts der Eigenständigkeit überhaupt noch von einer Einheit innerhalb des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts die Rede sein kann. Verselbständigte Dogmatiken tragen sicher den Besonderheiten eines zu regulierenden gesellschaftlichen Lebens- und Handlungsbereichs Rechnung. Indes ist zu berücksichtigen, dass die wesentliche Funktion von Dogmatik darin besteht, grundlegende materiale Prinzipien des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts über Systematisierungsleistungen für die konkrete Rechtsanwendung operationalisierbar zu machen. In einem Pluriversum unterschiedlicher, jeweils nach gesellschaftlichen Lebens- und Handlungsbereichen ausdifferenzierten Dogmatiken, steht jedoch nicht nur die normative Orientierungssicherheit des Individuums, sondern möglicherweise der Bezug zu diesen materialen Prinzipien auf dem Spiel, wodurch die Identität des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts insgesamt gefährdet wird. Die Erstreckung des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts auf das Phänomen der Unternehmenskriminalität kann daher mit einer Überdehnung oder Deformation dieser Rechtsmaterien einhergehen.
18
Die hiermit angedeuteten Probleme offenbaren sich auf verschiedenen Ebenen des Unternehmens, wobei die Besonderheiten insbesondere mit Blick auf die Sanktionierung der auf Leitungs- oder Aufsichtsebene tätigen Personen akut werden. Der tiefere Grund ist in der individualistischen Ausrichtung des Straf- und Ordnungswidrigkeitenrechts zu sehen, nach der eine zu sanktionierende Rechtsgutsverletzung auch in Unternehmenszusammenhängen grundsätzlich einem schuldhaft oder vorwerfbar handelnden Individuum zuzurechnen ist. Die auf das einzelne Rechtssubjekt zu beziehende Zurechnung bereitet in kollektiven Zusammenhängen jedoch erhebliche Schwierigkeiten. Weniger Probleme bestehen demgegenüber im Hinblick auf eine Sanktionierung der auf unteren Hierarchieebenen angesiedelten Mitarbeiter, die weitgehend im Rahmen tradierter Zurechnungsmuster stattfinden kann.
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Im Folgenden werden die Besonderheiten der straf- und ordnungswidrigkeitenrechtlichen Haftung auf der Ebene der Leitungs- (dazu Rn. 20 ff.) sowie Aufsichtsorgane eines Unternehmens (dazu Rn. 201 ff.) dargelegt. Hierbei kann zwischen den Haftungsrisiken auf horizontaler und vertikaler Ebene differenziert werden. Darüber hinaus treten in Unternehmenzusammenhängen dogmatisch spezifische Fragestellungen auf, die nicht einer dieser verschiedenen Hierarchieebenen ausschließlich zugeordnet werden können (dazu Rn. 211 ff.). Auf jeder dieser Ebenen, in jeder Perspektive und bei jeder spezifischen Fragestellung ist es Aufgabe der Verteidigung, dem „hochgemuten, voreiligen Griff nach der Wahrheit“ entgegenzutreten.[1]
Anmerkungen
[1]
Alsberg (1930), S. 328. Siehe hierzu insbesondere Jahn NZWiSt 2014, 58 ff. Grundlegend Ignor in: FS 200 Jahre Juristische Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin (2010), S. 655 ff.
Teil 2 Die rechtliche Bewältigung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Unternehmenskontext › A. Straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung von Personen auf Leitungsebene
A. Straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung von Personen auf Leitungsebene
20
Bei unternehmensbezogenen Straftaten und Ordnungswidrigkeiten agiert in den seltensten Fällen eine Leitungsperson allein; vielmehr sind im Regelfall verschiedene Personen entweder auf derselben oder auf einer untergeordneten Hierarchieebene beteiligt, was eine Differenzierung von horizontaler und vertikaler Haftung nahe legt.
Teil 2 Die rechtliche Bewältigung von Straftaten und Ordnungswidrigkeiten im Unternehmenskontext › A. Straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung von Personen auf Leitungsebene › I. Haftung im Horizontalverhältnis
I. Haftung im Horizontalverhältnis
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Die straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Haftung weist im Horizontalverhältnis Besonderheiten auf, obwohl für Erfolgsdelikte die generellen Grundsätze über Kausalität und Zurechnung sowie die allgemeinen Beteiligungsregeln gelten.
22
An sich müsste es dem Konzept individueller Schuld und Vorwerfbarkeit entsprechen, die Zurechnung von Rechtsgutsverletzungen vor allem mit Blick auf das Individuum vorzunehmen, dem gegenüber ein straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlicher Vorwurf artikuliert werden soll. Gerade dies wird jedoch zum Problem, da innerhalb von Leitungsgremien im Regelfall mehrere Personen agieren, weshalb es nicht überrascht, dass die Praxis anstelle einer individuellen eine unternehmensbezogene Betrachtungsweise wählt, bei der zunächst eine Zurechnung auf das Unternehmen und erst dann auf innerhalb dieses Unternehmens angesiedelte Individuen stattfindet. In diesem Sinne ist die in BGHSt 37, 106 ff. entwickelte Rechtsprechung zu interpretieren, durch die in Abkehr von einer individuellen Zurechnung ein Grundsatz der Generalverantwortung und Allzuständigkeit statuiert und unter Hinweis auf gesellschaftsrechtliche Pflichtenstellungen ein straf- oder ordnungswidrigkeitenrechtlich relevanter Erfolg im ersten Schritt allen Mitgliedern eines Gremiums zugerechnet wird.[1] Die unternehmensbezogene Betrachtungsweise hat zur Folge, dass die Leitungsorgane einer Gesellschaft – etwa der Vorstand einer Aktiengesellschaft oder die Geschäftsführung einer GmbH – schon aufgrund ihrer gesellschaftsrechtlich fundierten Position für sämtliche Angelegenheiten der Gesellschaft verantwortlich und zuständig sind und in den Sog der Zurechnung geraten.[2] Demgegenüber spielt die Frage, ob im Einzelfall im Sinne eines Ressortprinzips Verantwortungs- und Zuständigkeitsverteilungen vorgesehen waren oder nicht, allenfalls im zweiten Schritt der Zurechnung eine Rolle; in Krisen- und Ausnahmesituationen soll aber der Grundsatz der Generalverantwortung und Allzuständigkeit wieder aufleben:[3]
[BGHSt 37, 106, 124]
„Doch greift der Grundsatz der Generalverantwortung und Allzuständigkeit ein, wo – wie etwa in Krisen- und Ausnahmesituationen – aus besonderem Anlass das Unternehmen als Ganzes betroffen ist; dann ist die Geschäftsführung insgesamt zum Handeln aufgerufen“.[4]
23
Der dem Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht an sich gemäße individuelle Haftungsansatz wird hierdurch von den Füßen auf den Kopf gestellt, indem über die Referenz auf Generalverantwortung und Allzuständigkeit kollektive als individuelle Verantwortlichkeit ausgewiesen wird.[5] Die pauschale Anknüpfung der Zurechnung an das Leitungsorgan und seine Mitglieder kaschiert nur notdürftig, dass an sich das Unternehmen der eigentliche Haftungsadressat ist. Zurechnungsmaßstäbe werden somit in einer Weise vergröbert, die nur schwer mit dem Prinzip individueller Schuld und Vorwerfbarkeit in Einklang gebracht werden können.[6] Die Problematik einer solchen Haftungsbegründung löst sich nicht über die Referenz auf das Gesellschaftsrecht auf, da die Zurechnung im Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht nicht zivilrechtlichen Haftungszwecken, sondern der Sanktionierung von Einzelpersonen dient. Die jeweiligen Pflichtenkreise sind nicht deckungsgleich, sondern vielmehr sind an das Straf- und Ordnungswidrigkeitenrecht generell höhere Zurechnungsanforderungen zu stellen, die sich nur bedingt mit Pauschalierungen vereinbaren lassen. Insofern ist es für jede Verteidigung unabdingbar, auf diese im unterschiedlichen Charakter der Rechtsgebiete angelegten Diskrepanzen zu insistieren. Dies gilt umso mehr, als das von der Rechtsprechung postulierte Wiederaufleben des Grundsatzes der Generalverantwortung und Allzuständigkeit in Krisen- und Ausnahmesituationen für den Beschuldigten schon deswegen Steine statt Brot darstellt, weil es gerade jene Ausnahmen und Krisen sind, denen ex post straf- und ordnungswidrigkeitenrechtliche Relevanz beigemessen wird.[7] Die Statuierung einer Generalverantwortung und Allzuständigkeit führt ferner dazu, dass in der Praxis allzu freihändig schlechterdings nicht zu erfüllende Pflichtenkataloge formuliert werden.[8] Angesichts dieser Gefahren hat die Verteidigung aufzuzeigen, wo die rechtlichen, aber auch faktischen Grenzen postulierter Pflichten liegen. Die mit der immerhin auch nach dem BGH zulässige Delegation von Aufgaben dürfte zudem im Horizontalverhältnis weiter reichen, da Delegat und Delegatar als Leitungspersonen gleichermaßen gesteigerten Pflichten unterliegen, auf deren wechselseitige Erfüllung man namentlich auf Leitungsebene vertrauen können muss.[9] Dementsprechend kommt es aus Verteidigungssicht darauf an, deutlich zu machen, dass eine wechselseitige Totalkontrolle der Mitglieder derartiger Gremien weder praktikabel noch wünschenswert wäre.
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Mit Blick auf die Haftung im Horizontalverhältnis ist zwischen den Verhaltensmodalitäten des aktiven Tuns und des Unterlassens zu differenzieren, wobei der Grundsatz der Generalverantwortung und Allzuständigkeit für beide Handlungsweisen gleichermaßen gilt.