Kitabı oku: «Heilung aus der Begegnung», sayfa 2
Der tiefenpsychologische Heilungsbegriff in anthropologischer Beleuchtung
Nur von einem anthropologischen Standort aus kann die fatale Situation, in welche die Psychotherapie unter der Führung einer ausschließlich introspektiven Psychologie allmählich hineingeraten ist, überblickt und ein gangbarer Ausweg gefunden werden. Wir nennen den geforderten Gesichtspunkt einen »anthropologischen« in dem Sinne, dass er den ganzen Menschen, nicht nur seinen psychischen Bereich, ins Auge fasst. »Psychologie« ist eine nur auf das seelische Geschehen als solches gerichtete und nur ihm angemessene Betrachtungsweise. Der umfassende Ganzheitscharakter des Menschen wird uns aber erst sichtbar im offenen Blick auf seine Weltsituation. Nur in der partnerischen Erschlossenheit zur Welt hin ist das Selbst des Menschen, das wir als seine Personenmitte verstehen, in actu – und erst von dieser Selbsterschlossenheit her erschließt sich uns auch der lebendige Sinn der seelischen Vorgänge gesunder und kranker Art.
Dem Psychotherapeuten ist es somit aufgegeben, den Patienten in seiner partnerischen Beziehung zur Welt kennenzulernen und zu erkennen. Aber – das ist sogleich hinzuzufügen – ein objektives Kennenlernen allein genügt nicht. Um diesen Patienten als den ganzen Menschen zu »entdecken«, muss er, der Psychotherapeut, selbst in die partnerische Beziehung zu ihm eintreten. Das heißt: ich erkenne diesen anderen Menschen als Partner noch nicht wahrhaft, solange ich ihn in seiner Begegnungssituation zum »objektiven« Gegenstand meiner Erkenntnis mache, sondern erst dann, wenn ich ihn in meiner eigenen Begegnung mit ihm partnerisch erfahre. Werde ich aber nur so der Personenmitte im Andern, seiner potentiellen Ganzheit also, inne, dann kann erst recht auch die Heilung der Neurose, die, wie wir zeigen werden, Folge und Ausdruck einer eigenwilligen Begegnungsabsage des Selbst ist, nur geschehen auf Grund dieser direkten Begegnung von Arzt und Patient.
Damit ist der zentrale Heilungspunkt aufgezeigt, der in der psychotherapeutischen Behandlung primär zu konstellieren ist: das »Auge in Auge«2 die partnerische Konfrontierung, die der Arzt in personaler Begegnung hervorruft und dank welcher die Wiederherstellung der Begegnungsfähigkeit des Patienten in Gang kommt. Nur der aus der Herzenswachheit kommende Anruf erreicht die ansprechbare Mitte des in sich verschlossenen Patienten, erweckt und ermutigt ihn zur wahren Antwort und somit zur Selbsterschließung. Und erst auf Grund dieser rückhaltlosen Begegnung kann der seelische Konflikt verarbeitet werden und kann sich auch eine neue, rückhaltlos offene Begegnung mit der schicksalhaft zu bestimmten Welt ereignen.
Neurosenheilung vollzog sich letzten Endes stets auf diese Weise – eben aus der dialogischen Partnerschaft –, auch wenn der Psychotherapeut sie nur der tiefenpsychologischen Analyse zuschrieb. Darüber dürfen die Berichte analysierender Tiefenpsychologen, sofern sie ihre Heilungen lediglich auf Bewusstmachung, das heißt auf die bewusste Verarbeitung unbewusster seelischer Komplexe und Prozesse zurückführen, nicht länger hinwegtäuschen.
Die tiefenpsychologische Analytik unterschied bekanntlich von jeher zwischen dem rational orientierten Bewusstsein des Menschen und seinem irrational und komplexhaft sich manifestierenden Unbewussten. Mit dieser Unterscheidung erwirkte sie eine die peripheren Seelenbereiche durchbrechende Bewusstseinskonzentration auf die unbewussten seelischen Vorgänge und wurde so zur methodischen Vermittlerin einer psychologischen Beziehung des Menschen zu seinem innerlichen Selbststand. Durch diese introspektiv bewirkte Konfrontierung des neurotisch Leidenden mit seiner unbewussten »Psyche« kann, das sei zugegeben, ein interner Spannungsausgleich erzielt werden, der sich im Gesamtbefinden des Patienten günstig auswirkt. Doch darf dieser Spannungsausgleich nur als ein Vorstadium – besser noch: Zwischenstadium – der eigentlichen Heilung angesehen und bewertet werden. Die Erhellung und Begründung dieser Behauptung wird einen wesentlichen Teil unserer späteren theoretischen und praktischen Darlegungen ausmachen.
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Der in der modernen Tiefenpsychologie bisher gültige Heilungsbegriff stammt noch aus einer früheren gesellschaftlichen Struktur und Lebenseinstellung, nämlich aus den Jahrzehnten vor dem ersten Weltkrieg.
Vergegenwärtigen wir uns das damalige Wien Freuds, unsere damalige Kulturwelt überhaupt! Die maßgebenden bürgerlichen Gesellschaftsschichten lebten noch gesichert in den Tag hinein, in Wohlstand und Sattheit. Äußerer Erfolg, gehobener Lebensstandard und soziale Geltung waren die selbstverständlichen Zielsetzungen jenes ausgehenden bürgerlichen Zeitalters. Wer da nicht mitmachte und deshalb danebengeriet, der war entweder faul, untauglich oder neurotisch. Der Status dieser bürgerlich gesicherten Welt wurde kaum je zum Problem. Die Lebensparole der bürgerlichen Schichten hieß daher: Anpassung an die gegebene Umwelt. Diese allgemeine Parole ging auch in die damals aufkommende Tiefenpsychologie und ihre therapeutische Praxis ein und beeinflusste ihren Heilungsbegriff stark. »Heilung« bedeutete – jedenfalls für Freud und Adler – letzterdings: Wiederherstellung der normalen, störungsfreien und genussfähigen Anpassung an die Umwelt, dies in der zeitgeschichtlichen Form, in der sie sich darbot.
Neben dieser allgemeingültigen Anpassungsforderung gab es nun aber in jenen Zeiten bürgerlicher Sicherheit als besonderen Bezirk auch noch das »aparte« Innenleben, das als Kultur der Seele gewissermaßen ein Sonntagsdasein führte und als das »höhere« und eigentlich menschliche Leben galt. Dies ist die andere Seite jenes Zeitalters, die zum besonderen Ausgangspunkt für die Psychologie C. G. Jungs wurde. Jung hat zwar von Freud und seiner Zeit her die Betonung der sozialen Anpassung als therapeutische Forderung mit übernommen und auch beibehalten. Er wurde jedoch in seiner Psychologie und Psychotherapie immer stärker der hervorragende Vertreter eben jener »Kultur der Seele«, und diese rückte, unter zunehmender Abwertung des sozialen Anpassungsbereichs, mehr und mehr in den Mittelpunkt seiner Lehre und Praxis.
So blieb Jung im Grunde jener dualistischen Lebensauffassung der bürgerlichen Ära verhaftet, nur das er, im Gegensatz zu Freud und Adler, den Wertakzent bewusstermaßen nach innen verschob. Die soziale Anpassung hat für ihn, auch wenn er sie immer wieder als gültiges Heilungsziel preist, keine eigentlich produktive Bedeutung mehr für die Selbstfindung des Menschen – auch nicht im Sinne einer echten Weltbejahung oder der Gemeinschaftspflege. Diese Forderung hat bei ihm nur noch den Wertgrad des unvermeidlichen Zugeständnisses. Auch diese Wertung gehört noch der Vorkriegszeit an. Sie wird in der damals gültigen Zweiteilung von »Kultur« und »Zivilisation« unterstrichen.3
Freuds Entdeckung und Erforschung der pathogen wirkenden seelischen Motiv- und Triebkomplexe und seine Therapie stehen noch ganz deutlich unter der ernsten Bemühung, die psychischen Störungen der Neurose zugunsten einer besseren Weltanpassung zu beseitigen. Dieses Bestreben mag, wie gesagt, als ein Kompromiss mit der Zeitsituation verstanden werden. Aber auch Jung ging der Zeitsituation gegenüber einen Kompromiss ein, nur vornehmlich mit der anderen Seite: mit der Kultur der Seele. Er erstrebte, auf Grund seiner Entdeckung und Erforschung des Kollektiven Unbewussten, die »Störungsfreiheit« mittels Introspektion und Introversion. Indem er den Menschen in jenem unermesslich tiefen inneren Seelenbereich gründen lässt und ihn dort zentriert, kann er den äußeren Bereich der Welt guten Gewissens weiter empfehlen, weil ja das »eigentliche« Leben des introversiv ausgerichteten Patienten davon nicht mehr wesentlich berührt wird.
Jung verlegt so das »eigentliche« menschliche Leben in die autonome Totalität der Seele, die zur einzig wahren, erstrebenswerten Wirklichkeit erhoben wird, und degradiert demgegenüber die soziale Welt zum rein zweckhaften Anpassungsbereich des Ich: »Gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist«, »das Himmelreich aber ist inwendig in euch«. Hier das Leben der autarken, sich selbst betonenden Individualität, dort das periphere Ich, das sich anpasst – bis hin zu jener Maske der Anpassung, die als »Persona« bezeichnet wird. Hier Individuum, dort Kollektivum. Über diesen grundsätzlichen Dualismus kommt Jung nicht hinaus. Wir werden im zweiten Teil unserer Betrachtungen auf die unlösbaren Widersprüche, die sich daraus ergeben, näher eingehen.
Dass diese Geisteshaltung Jungs gnostischer Prägung ist, dass er jenes neutestamentliche Wort vom »Himmelreich«, 4 wie manches andere, gnostisch wendet und umdeutet, sei nur beiläufig erwähnt. Er gibt seine Verwandtschaft mit der Gnosis ja selber zu und hat sie gerade in jüngster Zeit durch seine Deutung alchemistischen Materials erhärtet. Mit diesem eigenartigen Dualismus, der durch Entwertung der konkreten Welt und der menschlichen Weltbegegnung, das heißt durch die Verlagerung der sozialen »Anpassung« an die Peripherie, das seelische Innenleben des Menschen freimachen und in seiner Eigensphäre kultivieren will, glaubt Jung seinerseits die therapeutische Forderung des störungsfreien Verhältnisses zur Welt vorbildlich realisieren zu können. In dieser dualistisch-gnostischen Weltauffassung sehen wir die besondere Voraussetzung, auf der Jung sein System errichtet hat.
Diese Weltauffassung entspricht seinem zweifellos introvertierten Charakter, und beides zusammen ist – so glauben wir deutlich zu erkennen – das Produkt einer geheimen existentiellen Entscheidung. Jung hat sich, wie wir später ausführen werden, in radikalem Entschluss der partnerischen Begegnung mit der Welt entzogen. Er hat seinen personalen Schwerpunkt von dieser äußern Begegnungsfront willentlich zurückgeholt und hat sich zum Schöpfer einer Innenwelt der Seele werden lassen. Nun verbirgt sich sein Selbst in einer imaginären Eigenwelt und lässt sich nur in diesem innerseelischen Wirkbereich finden.
Finden von wem? Von eben dem »Ich«, das sonst als Randfunktion der Psyche vornehmlich der Außenwelt zugekehrt ist, nun aber auch sich als geeignet erweist, in der Haltung des Psychologen eine radikale Schwenkung nach innen zu vollziehen. Diesem forschenden Ich wird jetzt das im unbewusstseelischen Geschehen verfangene Selbst zum Objekt der Suche – sowohl hinsichtlich des wissenschaftlichen Verständnisses als auch des therapeutischen Realisierungsprozesses. Auf dieser geheimen Entscheidung gründet unseres Erachtens Jungs dualistisch-gnostische Weltauffassung, seine introspektive Forschung und seine introversiv ausgerichtete Psychotherapie.
Zur Phänomenologie und Problematik der funktionellen Subjektspaltung
Wir müssen zum besseren Verständnis dieses introversiven Rückzugs aus der Weltbegegnung etwas weiter ausholen. Ein solcher Akt entspringt, wie wir sagten, zuletzt der existenziellen Entscheidung des Menschen und somit der unbedingten Freiheit seines Selbst.
Aus dieser Freiheit des Selbst heraus hat der Mensch in sich die Macht des eigenen Willens. Sein Selbst »passt sich nicht an«, denn es ist nicht welthaft. Es »läuft auch nicht mit«, denn es ist nicht weltgebunden. Das Selbst des Menschen west souverän in sich selbst als dieses je und je Einzige und steht in seiner personell bestimmten Würde zunächst nur Gott, seinem Schöpfer, gegenüber. Es ist auf Anrede von Ihm her und auf Gehorsam zu Ihm hin angelegt und ist selbst darin noch frei, sich dieser Anrede zu verschließen und seinen Gehorsam zu verweigern – was es, so oder so, in selbstüberheblichem und sogar selbstmörderischem Trotz zu tun sich willens zeigen kann.
Wie aber verhält es sich mit dem Ich des Menschen, wenn es, wie in Jungs Komplexer Psychologie, als Bewusstseinsfunktion vom Selbst abgehoben und ihm gegenübergestellt wird?
Während sich das Selbst in seiner Freiheit von Gott und der Welt abzuwenden und sich autark zu behaupten vermag, kommt dem Ich des Menschen keine solche Eigenmächtigkeit zu. Das Ich ist nicht personale Instanz im Menschen, sondern dessen welthaftes und weltzugewandtes Organ. Es kann weltläufig werden, lässt sich von den Mächten der Welt mitnehmen und wird ihnen hörig. Festen Grund und Stand hat es nur in dem Selbst, zu dem es ursprunghaft gehört. Flieht aber dieses Selbst die Welt, verzirkelt es sich in seine geschlossene Eigensphäre, dann hängt das Ich als Organ der Begegnungsvermittlung gleichsam in der Luft und pendelt hin und her, zwischen Innen und Außen.
Dies gerade ist die charakteristische Situation der Neurose: das Ich, bestimmt vor allem zum Träger der Bewusstseinsbezüge, meidet als Satellit des begegnungsflüchtigen Selbst die Welt und wird demzufolge als Funktion, die es ist, erst recht die Beute der Anpassung fordernden Mächte. In seiner widersprüchlichen Abgelöstheit vom Selbst verliert es den legitimen Rückhalt, emanzipiert sich als Bewusstseinsorgan und entartet so mehr und mehr zur willkürlichen Weltfunktion. Ohne den personalen Rückhalt eines der echten Begegnung erschlossenen Selbstes verfällt es in seiner Weltbeziehung unweigerlich der Man-Welt (Heidegger) oder Fremdwelt und fügt sich schließlich deren »allgemeingültigen« Gesetzen und Ordnungen kritiklos ein: wenn es Glück hat, als »braves Glied« einer relativ gesunden Gemeinschaft. In dieser sozialen Einordnung macht es dann seine Karriere, im Guten wie im Schlechten. So wird jene maskenhafte Ichhaltung übermächtig, die Jung Persona genannt hat. Wir wollen hierbei einen Augenblick verweilen.
Jungs »Persona« stellt sich im Gesamtaspekt der menschlichen Lebensgestaltung gewiss als recht fragwürdige Einordnung in die Sozietät dar. Diese weltbezogene Gestaltung der Persona konstituiert sich aus den »mehrwertigen« psychischen Funktionen des Bewusstseins, denen die nicht differenzierten, »minderwertigen« Funktionen, die weitgehend unbewusst sind, polar entsprechen. In gesunden Fällen bleiben diese »minderwertigen Funktionen« der bewussten Verarbeitung doch noch relativ zugänglich. In der Neurose aber werden sie – in dem Maße, als »alle verfügbare Libido den begünstigten Funktionen zugeführt ist« – regressiv und archaisch. Durch die psychologische Analyse der im Unbewussten aktivierten Phantasien »soll die minderwertige Funktion wieder zum Bewusstsein und damit zur ganzheitlichen Integration gebracht werden«.
Hierzu ist zu bemerken, dass die praktische therapeutische Erfahrung diese psychologisch in die Wege geleitete Reintegration der minderwertigen Funktion insofern und so weit bestätigt, als dadurch eine bewusste Beziehung des Patienten zur Innenwelt seiner Seele hergestellt und so auch eine Art von Einbefassung ihrer unbewusst proponierten Möglichkeiten und Aufgaben angeregt wird. Ob aber auf diesem Wege einer funktionellen Differenzierung der Patient in seinem Selbst erreicht und in die Realbeziehung zur Welt zurückgeführt werden kann, bleibt in Frage gestellt. Denn vom Bewusstwerden und derart eingeleitetem Differenzieren der minderwertigen Funktion zur Realisierung wirklicher Weltbegegnungen ist es ein existenzieller Sprung – ohne diesen bleibt der »funktional« geeinte Mensch in der Introversion stecken.
Der psychologische Zusammenhang muss unseres Erachtens noch tiefer erfasst werden. Nach unserem Dafürhalten ist die »minderwertige Funktion« gar nicht an ein anonymes Unbewusstes gebunden, dem sie durch psychologische Bewusstmachung einfach entlockt werden könnte – woraus sich dann die konkrete Weltbegegnung quasi von selbst ergäbe –, sondern diese minderwertige Funktion ist letzterdings gebunden an das sich trotzig verschließende, personal bestimmte Selbst, das sich, wie wir darlegten, auf keine rationale Verlockung der Welt einlässt. Diesem »verlorenen Sohn« ist durch bloß vermittelnde psychologische Bewusstmachung entscheidend nicht zu helfen. Das Selbst bedient sich wohl in seiner Isolierung zu seinen eigenen Zwecken der weltfähigen Ichfunktion, ist aber dem psychotherapeutischen Anspruch auf funktionale Differenzierung und Anpassung an die soziale Welt prinzipiell unzugänglich.
Das Selbst des neurotischen Menschen ist und bleibt das zufolge seiner Weltabkehr verschlossene, misstrauische und unbotmäßige Selbst, das es nun einmal geworden ist. Soll es von neuem und in echter Weise mit der Welt kommunizieren, wonach es sich uneingestandenermaßen heimlich sehnt und wozu es auch, in seiner Eigenständigkeit und Einzigkeit, wesentlich qualifiziert ist, dann nur, wenn es als Verantwortungsträger der Seele, als der namentliche Partner einer personalen, nicht nur psychisch-funktionalen, Beziehung zur Welt, zur Welt als Schöpfung und Geschichte, aufgerufen ist und sich diesem Ruf zu stellen den Mut aufbringt. Und diesen Mut aufzubringen, gegen die eigene Angst und Vertrotzung zur Welt hin durchzubrechen, bedarf es der Ermutigung!
In unserem Verständnis ist das menschliche Selbst als Personenmitte daraufhin angelegt, das dialogisch ansprechbare und antwortfähige Subjekt einer echten partnerischen Begegnung des Menschen mit seiner Welt zu sein. In diese lebendige Begegnung und Beziehung ist das Ich des Menschen als vermittelnde Funktion mit einbezogen, steht legitimer weise in ihrem Dienst und hat sich darin zu bewähren. Es ist, wie wir aufzeigten, seinem Ursprung und seiner Bestimmung nach nicht eigenständiges Subjekt der Weltbegegnung – erst zufolge der Weltabkehr des Selbst wird das Ich zu dem mit willkürlichen Machtbefugnissen ausgestatteten Repräsentanten einer rein opportunistischen sozialen Anpassung und gewinnt dadurch jene quasi selbstständige Persona-Haltung, die ihm den Anschein einer originären Subjektivität verleiht.
Im Aspekt der dualistischen Weltanschauung, die dem geistig suchenden Menschen früher oder später zum äußerst bedrängenden Lebensproblem wird – und die im Aufbau der Jungschen Lehre entscheidende Bedeutung hat –, scheinen im menschlichen Individuum zwei substantiell geschiedene und abgrundtief geschiedene Subjektanlagen zu walten: eine wesentlich zentrale, nach innen gerichtete, und eine wesentlich periphere, die nach außen orientiert ist. Keines der beiden »Subjekte« lässt sich auf das andere zurückführen – keines von beiden kann aber auch, weder mit autoritativen noch mit psychologischen Mitteln, das andere in sich einbeziehen. Und trotzdem können sie sich auch nicht aus dem Wege gehen. Denn ihre in Erscheinung tretende Trennung ist eine nur spukhafte – ihrem Wesen und der Substanz nach aber sind sie Eines. In dieser Zweiheit, an der der Mensch subjektiv leidet – und die sich auch in objektiven Symptomen manifestiert –, die aber potenziell Einheit ist, 5 stellt sich uns der spezifisch menschliche, innerseelische Konflikt dar, durch den es zu jener funktionellen neurotischen Persönlichkeitsspaltung kommen kann, mit welcher sich der Psychotherapeut praktisch abzumühen hat. Die überaus schwierige Aufgabe des Psychotherapeuten ist es, die scheinbar schuldlos verlorene, in Wahrheit aber schuldhaft verwirkte subjektive Einheit im Patienten wiederherzustellen, auf dass er sich in der konkreten Weltsituation als verantwortlicher Partner wieder einfinde und sich darin bewähre.
Die Bewältigung dieser Aufgabe verlangt, um es immer wieder zu sagen, nicht nur den behandelnden »Psychologen« im Arzt, sondern vor allem und bis zuletzt den vollen Begegnungseinsatz seiner Person.
Jungs Einungsversuch durch introversive Individuation
Als leidenschaftlicher Psychotherapeut, der er immer war, hat auch C. G. Jung der Notwendigkeit eines vollen persönlichen Einsatzes für seine Aufgabe Rechnung getragen. Dieser Einsatz verknüpfte sich aber bei ihm mit einer Zielsetzung, die wir als eine einseitig individualistische ablehnen müssen.
Jung glaubte, dass sich der Mensch mittels des tiefenpsychologischen Erkenntnisprozesses in sich selbst ganzheitlich zu realisieren vermöge. Somit wollte er dem an seiner Gespaltenheit leidenden Menschen helfen durch Bewusstmachung seiner psychischen Totalität, durch die der Zwiespalt von Ich und Selbst einem schöpferischen Ausgleich zugeführt werden soll. Für dieses introversive Heilziel setzte Jung mit äußerster Konsequenz seine komplex-psychologische Forschung ein, durch die er sein therapeutisches Leitbild des in sich geschlossenen, individualisierten Menschen zu untermauern hoffte. Wohin diese Zielsetzung geführt hat, und warum wir sie als letztgültige für die Therapie nicht anerkennen dürfen, behandeln wir in unseren Erörterungen.
Zunächst ein vorläufiger Ausblick. Jungs Komplexe Psychologie hat in ihrer Darstellung der seelischen Beziehungen »zwischen dem Ich und dem Unbewussten« den introversiven Einungsvorgang im entzweiten Menschen gewiss eindrucksvoll zur Anschauung gebracht. Auf Grund der psychologisch konstellierten Begegnung des Ich mit dem kollektiven Unbewussten und in der so intendierten Einung des Ich mit dem werdenden Selbst ereignet sich gleichsam die »mystische Hochzeit« dieses königlichen Geschwisterpaars. Mit der Aufstellung dieses Zielbildes einer Unio mystica und im typischen Vollzug des so verstandenen Individuationsprozesses wurde in der Innerlichkeit des Menschen gewissermaßen ein Tempel errichtet, in welchem sich uns der Kult einer Art von neuer Religion, einer »Religion der Seele« darbietet.6 In ihrer Lehre verwahrt die Komplexe Psychologie den Schlüssel zu diesem Heiligtum, in der Symbolform jenes Mythologems, das der Kern dieser Lehre ist und dem sich ihr Schöpfer gefangen gibt.
Mit diesem Hinweis deuten wir auf den geheimen Schlusspunkt der Jungschen Tiefenpsychologie hin, vor welchem die heutige Psychotherapie, will sie nicht selbst zur »Religion« werden, haltmachen und umkehren muss. Der Psychotherapeut muss sich hier, auch wenn er bis eben hierher der wegkundigen Führung dieser Tiefenpsychologie mit Vertrauen folgen durfte, der Faszination eines Unternehmens entwinden, das aus der Psychologie Weltanschauung und religiösen Heilsweg zu machen die Tendenz hat.
In dieser Umkehrsituation habe ich persönlich erfahren und erkannt, dass die lebensgerechte Einung der menschlichen Seele im Selbst durch die komplexpsychologische Analyse nicht zu verwirklichen, sondern bestenfalls nur vorzubereiten ist.
Jungs Therapeutik, die die Ganzwerdung des Menschen in der Begegnung des Ich mit dem Kollektiven Unbewussten zu realisieren sucht und die so die Manifestationen dieses unbewussten Kontinuums als die wesentlichen Wirklichkeitsbezeugungen versteht und interpretiert, 7 kann nur hinführen zur faszinierenden Schau jenes zentralen Symbols, in dem sich die im Selbst geeinte Seele dem isolierten einsamen Menschen im Gleichnis verhüllt darstellt. Hier aber droht uns, wenn wir länger verweilen, die sehr ernst zu nehmende Gefahr einer lähmenden Selbstbannung durch das virtuelle Bild, was schließlich – im Prozess der Identifizierung – zur Selbst-Vergottung verleiten kann.
In Martin Bubers Büchlein Des Baal-Schem-Tow Unterweisung im Umgang mit Gott findet sich ein Ausspruch des Baal-Schem-Tow, des »Meisters vom Guten Namen«, der vom »Forschen und Erkennen« handelt. Dieser Meister lehrt: der Endsinn alles Wissens sei, dass wir nicht wissen können.
Aber – so hören wir weiter – es gäbe zwei Arten des Nichtwissenkönnens. Das eine sei das alsbaldige – da beginne einer gar nicht erst zu suchen, weil es ja doch unmöglich sei zu wissen. Ein anderer aber forsche und suche, bis er erkennt, dass man nicht wissen kann. Diese beiden seien zu vergleichen mit »Zweien, die den König kennen lernen wollen: der eine betritt alle Gemächer des Königs, er erfreut sich an des Königs Schatzkammern und Prunkhallen und danach erfährt er, dass er den König nicht kennen lernen kann« – der andere aber sage sich, da es nicht möglich sei, den König kennen zu lernen, brauche er ja gar nicht einzutreten.
Was mir den tiefsten und nachhaltigsten Eindruck hinterließ und worin ich den schicksalhaften Auftrag meines Lehrers C. G. Jung erblicke, ist dies: dass er ein langes Leben hindurch als introspektiver Forscher das Geheimnis des menschlichen Selbst zu enträtseln versuchte.
Seiner so unternommenen gründlichsten Erhellung des Kollektiven Unbewussten danken wir die reichhaltige Kunde über dieses Königs autonomen Wirkbereich, über seine »Schatzkammern und Prunkhallen«, und zugleich den zuverlässigen Hinweis auf seinen zentralen Wohnsitz in der menschlichen Psyche.
Aber – um mit den Worten des Baal-Schems nun zu fragen – hat Jung auf diesen seinen Wegen des Forschens jenen »König« auch wirklich kennen gelernt? Dies ist die große Frage, die ich mir in langjährigem Ringen immer wieder stellte und schließlich verneinen musste.