Kitabı oku: «Heilung aus der Begegnung», sayfa 4

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Die Komplementarität von dialektischer und dialogischer Haltung

Die anthropologische Psychologie, wie wir sie vertreten, kennt den Menschen auch als den autonomen, in sich geschlossenen Einzelnen. Ja, auf eben diesen einsamen Einzelnen kommt es ihr in der therapeutischen Bemühung wesentlich an. Aber im Unterschied zur Komplexen Psychologie ist seine abgeschlossene Individualität – nicht Ziel und Ergebnis ihrer Anstrengungen, sondern dieser Mensch verkörpert ihr in seiner Abgeschlossenheit und Vereinzelung einen Notzustand, der durchbrochen und überwunden werden soll.

Indem die anthropologische Psychotherapie den isolierten Patienten, der im Rückzug seines Selbst aus der Weltbegegnung seine Zwiesprachefähigkeit eingebüßt hat, von allem Anfang an leibhaftig ins Auge fasst und ihn unmittelbar anredet, konstelliert sie ihn als mitmenschliches Du, als den ursprunghaften Partner einer vollmenschlichen Begegnung. Dieses trotzige Selbst, diesen introvertierten Gefangenen der Seele meint und sucht sie und lässt ihn nicht los. Ihn ruft sie namentlich an als den zur Antwort Berufenen, als den personhaft Verantwortlichen. Und indem sie ihn in der Weise anspricht, fordert sie ihn heraus: auf dass er sich in seinem Selbst erschließe und in der neuen Zwiesprache mit dem ärztlichen Partner und über diesen hinaus im Umgang mit der Welt – in anderer Weise als der bloß introversiven – sich selbst individuiere.

Diese neue, andersgeartete Betrachtungsweise will Jungs »Komplexe Psychologie« keineswegs entwerten oder gar beseitigen. Sie anerkennt durchaus ihre spezifischen Leistungen innerhalb des therapeutischen Geltungsbereichs. Aber sie betrachtet sich im Hinblick auf den gekennzeichneten Totalanspruch der Jungschen Lehre als deren notwendige Gegenposition.

Wir wollen die komplementäre Bedeutung unserer Position aufzeigen, indem wir die Art ihrer Haltung und des methodischen Vorgehens in der therapeutischen Situation beschreiben und sie in solcher Beschreibung der Jungschen Position gegenüberstellen. Wir bedienen uns zur ersten Orientierung einer etwas schematischen Darstellung, die die Wirklichkeit der Verhältnisse zwar allzu sehr vereinfacht, dafür aber die vorzunehmende Klärung zu erleichtern vermag.

In dieser Darstellung stellen wir das von uns vertretene anthropologischpsychologische Verfahren als ein dialogisches der dialektisch11 vorgehenden, psychologisch-anthropologischen Methode Jungs gegenüber.

1. Dialogisch-anthropologisches Vorgehen


Der Arzt konstelliert primär in dialogischer Ausrichtung das ansprechbare »Du« im Patienten, das identisch ist mit dem antwortfähigen »Selbst«. Auf Grund der wechselseitigen zentralen Begegnung und, im Gang der partnerischen Auseinandersetzung zwischen Arzt und Patient klären und lösen sich quasi »von selbst«, das heißt vom wieder begegnungserschlossenen Selbst aus, die psychologisch zu behandelnden seelischen Komplikationen.

2. Dialektisch-psychologisches Vorgehen


Der Arzt benutzt den bewusstseinsmäßigen Kontakt mit dem Patienten, um direkten Einblick und Zugang zu den irrationalen Vorgängen in seinem »Unbewussten« zu gewinnen. Er zielt primär darauf ab, ein Ordnungssystem der widerspruchsvoll sich manifestierenden »Psyche« herzustellen, das heißt er bemüht sich, die Gegensätze, die sich einerseits im bewussten Ich-Komplex und andererseits in den autonomen Komplexen des Unbewussten polarisieren, durch psychologische Analyse und Sinnerschließung gleichsam »in sich selbst« zum harmonischen Ausgleich zu bringen.

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Von dieser vereinfachenden Gegenüberstellung aus wollen wir nun die beiden Grundhaltungen des Psychotherapeuten, die in Wahrheit einander zu ergänzen bestimmt sind, noch genauer betrachten.

1. In der anthropologischen Grundhaltung spricht der Arzt den Patienten in seinem Selbst als namentliches Du an und stellt ihn so auf die ganzheitliche Zwiesprache hin.

Diese dialogische Begegnung ist in Einem sowohl Ausgangspunkt als Ziel unserer therapeutischen Bemühung. In ihr entspringt und vollzieht sich die wahre Heilung der Neurose. Das heißt: im Wagnis dieser Begegnung, in ihrem Gelingen oder Misslingen kennzeichnet sich untrüglich der Prozess der Heilung im positiven oder negativen Aspekt.

Im Rahmen dieser grundlegend partnerischen Beziehung kommt dann auch die seelische Konfliktspannung, die aus dem Widerspruch zwischen den bewussten und den unbewussten Seelenbereichen hervorgeht, zum psychotherapeutischen Austrag. Damit wird anerkannt, dass der seelische Konflikt, an dem der Patient leidet – den wir freilich nicht als primäre Ursache, sondern nur als Folge und Ausdruck eines zentralen Versagens der menschlichen Person sehen und werten –, eine tiefenpsychologische Analyse und Erhellung als notwendige Maßnahme, auf Zeit und Stunde, herausfordern kann.

Indem wir im unmittelbaren Appell das personale Selbst des Patienten wachrufen und ihn derart in seiner Zwiesprachefähigkeit dauernd wach zu erhalten versuchen, werden zugleich die latenten Kräfte und Fähigkeiten der Seele in Anspruch genommen und in den Heilungsprozess mehr und mehr einbezogen. In dem Maße, als sich die dialogische Beziehung zum Arzt vertieft und entfaltet, gewinnt das Selbst neuen Mut und die Kraft, sich seiner seelischen Ausdrucksorgane zu bedienen und sie im Leben mit der Welt einzusetzen.

Wo immer im Verlauf der anthropologischen Behandlung sich die Notwendigkeit zeigt, geht der Therapeut darauf aus, das Selbst des Patienten auch nach innen, auf seinen seelischen Ausdrucksbereich hin, zu erschließen. Dabei berücksichtigt und verwertet er aufmerksam die Traumberichte des Patienten, ebenso seine spontanen Einfälle dazu und die konstruktiven Phantasien. Denn auch vom partnerischen Standort aus erfährt der Arzt zur Genüge, dass das entmutigte Selbst des Leidenden all seiner seelischen Möglichkeiten bedarf, um die lebendige Beziehung zum Weltkonkretum in gesunder Weise zu erneuern.

Bei dieser introversiven Erschließung des Selbst in seine unbewusstseelischen Ausdrucksbereiche hinein leisten die tiefenpsychologischen Erhellungsmethoden also eminent wichtige, unersetzliche Dienste. So wird ihnen auch im Rahmen der anthropologischen Behandlung der gebührende Platz eingeräumt. In dieser Einordnung dienen sie wahrhaft der Individuation der menschlichen Person. Denn auch zur Individuation der Person, die wir anstreben, gehört die Bewusstwerdung und Differenzierung der seelischen Ausdrucksfähigkeiten – nur im Vollbesitz dieser Fähigkeiten vermag der Patient sein partnerisches Verhältnis zur Welt neu und lebensgerecht zu gestalten.

2. Im Unterschied und im Gegensatz zur anthropologischen Grundhaltung wird, wie gesagt, beim komplexpsychologischen Verfahren primär die systematische Ordnung und Einung der dissoziierten Psyche konstelliert und somit vor allem der »binnenräumliche« Ausgleich ihrer Spannungen und Konflikte angestrebt. Hierbei wird das Bewusstseins-Ich des Patienten, das für die rationale Orientierung, nach innen sowohl wie nach außen, einzig zuständig ist, direkt angesprochen.

Dieser rationale ärztliche Rapport mit dem Patienten zielt auch darauf ab, eine Art von Zwiesprache zu aktualisieren und zur Entfaltung zu bringen, allerdings nicht die Zwiesprache mit dem Weltkonkretum, sondern, introversiv, mit der eigenen Seele, mit ihren abgespaltenen und daher unbewusstautonomen Bereichen. Die solcherweise intendierte Zwiesprache ist ihrem Wesen und Inhalt nach keine dialogische, sondern eine dialektische. Sie hebt an in der Begegnung mit dem negativ bewerteten Seelenanteil: dem eigenen »Schatten«, den der Patient zu realisieren nicht bereit ist und von welchem er sich in seinem bewussten Ich-Aufbau deshalb abgesetzt hat. Alsdann schreitet dieser dialektische Prozess von Gegensatz zu Gegensatz weiter in die tieferen Bereiche des Kollektiven Unbewussten, in den Begegnungen mit den mythisch-archaischen Bildern, Gestalten und Gewalten.

In der komplexpsychologischen Behandlung wird somit zielbewusst ein produktiver innerseelischer Verkehr des individuellen Bewusstseins mit dem Unbewussten, vor allem und besonders mit seinem archaischen archetypisch sich manifestierenden Quellgrund, intendiert und herbeigeführt. Seinem »partnerischen« Gegenspieler begegnet das bewusste Ich in der Introversion, in seiner Zuwendung zur totalautonomen Psyche.

Die vom Analytiker geleitete Auseinandersetzung im Analysanden hat die konzentrische Einung der getrennten Seelenbereiche zum Ziel. Im Gang dieser Bemühungen spielt die bildhafte Objektivierung und Darstellung des internen Einungsprozesses, insbesondere in den zwar individuell modifizierten, aber doch typischen Symbolen der »Goldenen Blüte« und des »Mandala«, eine hervorragende Rolle. In diesen prospektiven Symbolen tritt dem Analysanden sein Selbst quasi gegenständlich vor Augen, und mit solchen Symbolgestaltungen bekommt er es, in nie endender Spiralbewegung des Erkenntnisprozesses auf den virtuellen Mittelpunkt der Psyche hin, wesentlich zu tun.

Das Schwergewicht der komplexpsychologischen Therapie liegt also darin, dass das »Ich« des Patienten in seiner Erschließung für die unbewussten Seelenbereiche schließlich zur Begegnung mit jenem virtuellen Mittelpunkt der Seele, dem bildhaft sich objektivierenden Selbst, gelange und dieses Ganzheitssymbol im psychologisch-dialektischen Erkenntnisvorgang bewusst realisiere.

Dieser innerseelische Erlebnis- und Erkenntnisvorgang ist als solcher identisch mit dem in Jungs Schriften vielfältig und ausführlich beschriebenen Prozess der »Individuation«.

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Unterziehen wir die vorliegende Gegenüberstellung einer genaueren Prüfung, so ist darauf hinzuweisen, dass bei der Beschreibung der anthropologischen Position der psychologische Faktor eingehend und ausführlich berücksichtigt wurde, während auf der Gegenseite von einem anthropologischen in Wahrheit nicht die Rede sein kann. Hier handelt es sich aber nicht um einen »Schönheitsfehler«, den wir leicht ausmerzen könnten.

Der »Schönheitsfehler« hat – wie wir jetzt wissen – seine tiefsitzende Ursache darin, dass Jungs Totalauffassung vom Menschen zuletzt auf das Verhältnis des Menschen zu sich selbst eingeschränkt ist und so im Grunde nur zum psychologischen Selbstbezug hinführen kann. Alle Beziehung von Mensch zu Mensch, so auch die vom Arzt und Patient, bleibt der vollen Belichtung entzogen.

In der praktischen Arbeit freilich wird Jung der von uns geschilderten dialogisch-partnerischen Haltung eben so wenig entraten können, wie wir die von ihm herausgearbeitete introversiv-dialektische Methode zu entbehren vermögen. Leider gibt Jung über diese ärztlich gewiss auch von ihm geübte dialogische Grundhaltung keine Rechenschaft – es sei denn in einer »mystischen« Interpretation.12

Das Zusammenspiel der beiden Positionen

In den nun folgenden drei Kapiteln versuchen wir zunächst, uns weitere Klarheit darüber zu verschaffen, wie sich die psychologische Betrachtungsweise innerhalb der therapeutischen Situation dem anthropologischen Gesichtspunkt sinnvoll einordnet, und wir erörtern alsdann, in welchen Grenzen und in welcher Tiefe diese Einordnung möglich und praktisch durchführbar ist.

Von unserem anthropologischen Standort aus sehen wir den Ursprung der Neurose darin begründet, dass das Selbst des Menschen sich auf der Flucht vor der partnerischen Begegnung mit der Wirklichkeit befindet. Der neurotische Mensch reagiert wohl, oft sogar sehr vehement, auf die Wirklichkeit, aber er erschließt sich ihr nicht mehr in seinem Selbst oder doch nur mit Vorbehalten.13

Dieser Fluchtbewegung des Selbst entspricht die dem Patienten unheimliche, unerklärliche Tiefenangst – eine Angst, die so tiefgründig sein kann, dass der daran Leidende sehr oft gar nicht »weiß«, dass sie überhaupt da ist und erst recht nicht darüber zu berichten vermag, wie sie entstand.

Aus dieser unerklärlichen Angst heraus errichtet der Patient in seinem Innern ein mehr oder weniger kompliziertes System von schwer durchschaubaren Deckungen und Sicherungen. Dabei bedient er sich in vorderster Linie des weltkundigen und weltwendigen Ichbewusstseins, zugleich aber auch der verborgenen imaginären Kräfte und Fähigkeiten der Seele, um sich durch sie in seinem Selbst nur umso wirksamer gegen die Welt abzuschließen und zu behaupten. Beide Vorgänge stehen im engsten geheimen Zusammenhang miteinander, das heißt: den mit Hilfe des Bewusstseins aufgebauten Abwehrsicherungen nach außen entsprechen im »Unbewussten« solche nach innen zu.

Diese doppelte Abwehrsicherung des Selbst erklärt, dass es bei der Neurosenbehandlung nicht genügen kann, wenn wir bloß die vordergründig sich darbietende Störung der aktuellen Weltbeziehung im direkten Appell an die Vernunft des Patienten zu beheben versuchen wollten. Denn wir bekommen es im Falle der Neurose immer gleichzeitig – das eben haben uns die tiefenpsychologischen Forschungen gelehrt – mit inneren Kommunikationsstörungen zu tun, deren psychologische Erhellung und Behandlung sich uns so gebieterisch aufzwingt.

Die inneren Störungen, die es zu beachten gilt, betreffen zunächst die Wege der Kommunikation zwischen den bewussten und unbewussten Seelenbereichen. Vor allem fällt bei den Neurosen auf, dass die äußere Position des Bewusstseins im Widerspruch steht zu der inneren unbewussten. Aus diesem Tatbestand eben ergab sich das Postulat eines Unbewussten – des Unbewussten, mit welchem sich das Bewusstsein psychologisch forschend in Beziehung zu setzen hat. Der Patient sieht sich zu diesem psychologischen Bezug gezwungen, weil sich jener unbewusste, Widerspruch erzeugende Faktor im gelebten Leben mit der konkreten Welt unberechenbar störend auswirkt.

Zwar sind die sich entgegenstehenden, bewussten und unbewussten Seelenbereiche in ihrer Gesamtheit von Natur aus auf Begegnung mit der konkreten Welt geschaffen und auf diese sinnvoll zugeordnet – im Interesse der neurotischen Sicherung werden sie nun aber, eben vom Selbst her, nach innen komplexhaft fixiert und nach außen, kraft des Bewusstseins, zweckhaft umgeformt.

Ein Großteil der sogenannten neurotischen Erkrankungen beruht auf solchen Fixierungen und Umformungen im gesamtseelischen Bereich. Da es sich aber hierbei, wie gesagt, weithin um unterschwellige, dem Bewusstsein des Patienten scheinbar unzugängliche Vorkehrungen des Selbst handelt, ist deren Aufdeckung nur mit Hilfe der tiefenpsychologischen Analyse möglich.

Diese tiefenpsychologisch bewerkstelligte Aufdeckung der innerseelischen Abwehrsysteme kann aber in wahrhaft heilender Weise nur dann gelingen, wenn sie im Erkennen der personal vollzogenen Begegnungsflucht des Selbst – angesichts dieses jeweils einmaligen Patienten, den es schicksalhaft angeht – den Schlüssel zum zentralen Verständnis dieser Systeme besitzt.

Mit solchen Betrachtungen bewegen wir uns bereits im Gebiet jenes zum Problem erhobenen Komplementärverhältnisses, dessen strukturelle Beschaffenheit und besondere Bedeutung für die psychotherapeutische Praxis wir klarstellen möchten.

Wir sehen und anerkennen, wie nun schon deutlicher geworden ist, von unserer anthropologischen Position aus die Notwendigkeit, dass die tiefenpsychologische Erhellungsmethode mithelfe, den selbstgefangenen neurotischen Patienten innerlich wieder aktionsfähig und nach außen hin kommunikationswillig zu machen. Denn seine vom Selbst her »unbewusst« missbrauchte und durch diesen Missbrauch verformte Seele kann sich, als autonomer Komplex, der Zwiesprache des Patienten mit der Welt immer wieder hindernd in den Weg stellen.

Es geht also im Heilungsprozess der Neurose nicht einfach nur darum, wie ein ideologischer Personalismus kurzschlüssig vermeint, das Selbst des Patienten aus seiner Flucht und Vertrotzung unvermittelt in die Zwiesprache mit der Welt hineinzureißen. Vielmehr muss die Wiederherstellung der dialogischen Begegnungsfähigkeit Hand in Hand gehen mit der methodisch psychologischen Bemühung, die komplexen Abwehrsysteme im seelischen Ausdrucksbereich, nach Maßgabe des gesundenden Selbst, aufzulockern und abzubauen, um so die gebundenen Seelenkräfte der neuen Weltbegegnung wieder dienstbar zu machen. Ohne diese komplementäre Hilfe der Tiefenpsychologie würde das Selbst des Patienten durch die dialogische Zumutung in der Weltbegegnungssituation überfordert und der Gefahr neuer Regressionen ausgeliefert.

Das Bewusstwerdenlassen der unbewusst-seelischen Vorgänge aus erinnerten Traumerlebnissen und autogen sich manifestierenden Phantasien sowie deren bewusste Verarbeitung in der tiefenpsychologischen Analyse ermöglichen faktisch eine materielle Bestandsaufnahme im gesamtseelischen Bereich. Zur geistigen Bereinigung und Einbewältigung des so gewonnenen Materials sind – dies sei hier besonders anerkannt und betont – mythologische und religionsgeschichtliche Aspekte, wie Freud und vor allem Jung sie beigebracht haben, geradezu unentbehrlich. Geht es doch bei diesem methodischen Teil des psychotherapeutischen Prozesses wesentlich um die sinnvolle Überbrückung der getrennten Seelenbereiche, das heißt um die Wiederherstellung der funktionalen seelischen Einheit, die dem Unbewussten in archetypischen Bildern erscheint und also nur »mystisch« verstanden und gedacht werden kann.

Mit diesen Feststellungen bejahen wir grundsätzlich nicht nur die Notwendigkeit tiefenpsychologischer Analyse, sondern auch das der komplexpsychologischen Behandlungsmethode vorschwebende Ziel einer Ganzwerdung der Seele – vorausgesetzt, dass dieses introversive Ziel nicht im Sinne einer ganzmenschlichen Verwirklichung missverstanden und im Begriff der »Individuation« als ein für die Psychotherapie letztgültiges ausgegeben wird.14

Vom anthropologischen Standpunkt aus können wir das methodisch erreichte Ziel der »mystischen Einung« nur als eine Voraussetzung, sozusagen nur als ein »Sprungbrett« zu jener ganzmenschlichen Verwirklichung gelten lassen, die mit der entschlossenen Wendung nach außen, in der neuen selbsterschlossenen Begegnung mit dem Weltkonkretum wahrhaft anhebt und erst hier – jenseits des Sprunges – ihren Anfang und ihren produktiven Lauf nimmt.

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Wir stellen nun also die Frage: welche innere Struktur hat das von uns zum Problem erhobene Komplementärverhältnis? Anders: wie koordinieren sich lebensgemäß die einander gegenübergestellten Positionen innerhalb der psychotherapeutischen Situation?

Diese Frage suchen wir von da aus, wo wir in unsern bisherigen Untersuchungen angelangt sind, in Form einiger Thesen zu beantworten.

1. Der anthropologische Gesichtspunkt ist, da er den ganzen Menschen ins Auge fasst, umfassender als der psychologische.

2. Vom Standort seiner eigenen Person aus tritt der Therapeut unmittelbar an den Patienten heran und stellt ihn so als diesen je einmaligen namentlichen Partner in die personale Zwiesprache.

3. Dieses partnerische Herantreten an den Patienten ist so vor allem und wesentlich charakterisiert durch die dialogische Grundhaltung des Therapeuten.

4. Die dialogische Grundhaltung schließt die auf die widerspruchsvolle seelische Mannigfaltigkeit sich einstellende dialektische Grundhaltung des Psychologen zwar keineswegs aus, aber sie wird dem partnerischen Verhältnis bewusst ein- und untergeordnet.

5. Nicht nur, dass der Therapeut selber das eigentliche Heilungsziel der personalen Weltbezogenheit niemals aus den Augen verlieren darf, dieses Ziel ist auch dem Patienten – und gerade im Vollzug der tiefenpsychologischen Untersuchungen – konkret zu vergegenwärtigen und immer wieder vorzuhalten.

6. Es ist die Aufgabe des introspektiv forschenden und dialektisch operierenden Therapeuten, Auswahl und Handhabung der für ihn erforderlichen Mittel an seinem anthropologischen Heilziel zu orientieren und von ihm her stets erneut zu kontrollieren.

7. Der Anteil des Psychologen im Therapeuten am Prozess der Heilung ist wesentlich methodischer Art, darum in seinen Wegen auch systematisierbar – der anthropologische Anteil jedoch lässt sich nicht systematisieren, weil er gebunden ist an die je und je einmalige, Entscheidung heischende Begegnung von Person zu Person.

Wir fassen das in den vorstehenden15 Erörterungen und Thesen zum Ausdruck Gebrachte noch einmal zusammen.

Nach unserem Dafürhalten kommt es wesentlich darauf an, dass der Psychotherapeut in der Konfrontation mit der anthropologischen und der psychologischen Position durchaus um den Primat der ersteren weiß. Es kann niemals genügen, dass der Arzt die Komplexe der Verdrängungen, Blindstellungen, Abschließungen und Ersatzbildungen im unbewusst-seelischen Bereich direkt anpackt, um sie in tiefenpsychologischer Analyse systematisch herauszuarbeiten. Der Arzt hat seinen Patienten zuallererst namentlich anzusprechen und ihn so in seinem Personkern zu konstellieren. Erst von der so in Gang gebrachten Zwiesprache her, immer schritthaltend mit ihr und also stets aus der Perspektive des erwachenden Selbst des Patienten, darf er die innerseelischen Ausweich- und Sicherungskomplexe zur psychologischen Betrachtung und Verarbeitung bringen.

Der Prozess der Neurosenheilung vollzieht sich faktisch nur, wenn das Verhältnis von Arzt und Patient schon im Ansatz ein echtes partnerisches Geschehen ist. Der Heilungsprozess vollzieht sich zwischen diesem Arzt und diesem Patienten, in der Ganzheit ihres personhaften Gegenübertretens. Nur dank solcher Begegnung ist Neuerweckung und Gesundung aus dem Zentrum möglich. In dieser Konstellation steht der Arzt durchweg stellvertretend für die Welt. In ihm nimmt die Welt beispielhaft die Gestalt liebender Zuwendung an, die das entmutigte und misstrauisch gewordene Selbst des Patienten in seine ursprunghafte geschöpfliche Situation, in die neue dialogische Begegnung mit den Mächten der Natur und der Geschichte zurückholen will.

Die psychologische Bemühung im engeren Sinne aber führt zu diesem Ziel niemals hin.

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