Kitabı oku: «Heilung aus der Begegnung», sayfa 6

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Der Zirkelschluss im therapeutischen Realisierungsprozess bei C. G. Jung

In der therapeutisch konstellierten Konfrontation des Ego mit der archetypischen Welt des Kollektiven Unbewussten scheint der Analysand vor das bedrängende Problem einer gleichseitig geforderten Beziehung zu zwei Wirklichkeiten gestellt zu sein: einer zentralen innern und einer peripheren äußern.22 Wird ihm doch zugemutet, dass er einerseits der sozialen Bestim mung der Weltanpassung weiterhin genüge, anderseits nun aber seinen Schwerpunkt in der autonomen Psyche finde!

Hätte der Analysand als er selbst, das heißt in eigener Freiheit und Verantwortung, sich zwischen diesen zwei Fronten zu entscheiden, dann geriete er wohl bald in die missliche Lage von Buridans Esel, der zwischen zwei gleichgroßen Heubündeln wählen sollte und schließlich Hungers starb.

Zu solchem buridanschen Dilemma kommt es in der tiefenpsychologischen Analyse, auch in der Jungschen, darum effektiv nicht, weil der Analysand in diesem introspektiven Erkenntnisprozess ja gar nicht mit sich selbst identisch ist. Als der Selbstentzweite und deshalb sich selbst Suchende ist er in der analytischen Behandlung von allem Anfang an auf sein Bewusstseins-Ich reduziert und stellt sich als solches auf die innere seelische Wirklichkeit ein, der die Auseinandersetzung mit der äußeren konsequent untergeordnet wird. Von einem Dilemma und einer selbsteigenen »Wahl« zwischen zwei Wirklichkeiten kann hier deshalb schon gar nicht mehr die Rede sein.

Und dennoch ist das aufgeworfene Problem nicht von der Hand zu weisen, auch wenn es den Patienten kaum mehr zu beunruhigen scheint. In der anthropologischen Sicht erhellt sich uns die Problemlage folgender Art: die zu treffende Wahl zwischen Innen und Außen ist im Faktum der Neurose gewissermaßen schon längst getroffen. Der Patient hat sich durch die Flucht vor der Wirklichkeit der Weltbegegnung in seinem Selbst geschlossen von ihr abgesetzt und behauptet sich nunmehr im seelisch erfüllten Selbstbezug gegen sie – gegen diese eine einzige, in Wirklichkeit geschaffene Welt.

Warum nehmen wir Anstoß – mit was für einem Recht stellen wir uns gegen Jungs gnostisch begründeten weltanschaulichen Dualismus, der in seiner Konzeption des Kollektiven Unbewussten schließlich zum Ausdruck kommt?

Von unserer psychotherapeutischen Erfahrung her bejahen auch wir die Postulierung zweier Wirklichkeiten: nämlich einer essenziell menschlichen und einer essenziell weltlichen. Im introspektiven Prozess der Neurosenbehandlung geht es vordringlich um die Erhellung der ersteren, das heißt um die Erschließung des personal bestimmten Seinsgrundes im Menschen, um den Menschen im Menschen – um sein Selbst.

Dass dieser einmalige, in seinem Selbstbezug vereinsamte Mensch seine eigene Welt hat, seine eigene seelische »Welt« zu eigen hat, gibt uns wohl sehr zu denken – aber dagegen streiten wir nicht. Wir streiten nur dagegen, wenn diese Innenwelt des Menschen, wie bei Jung, konkurrierend gegen die äußere, die geschöpfliche, geschichtliche Welt gestellt wird mit der Betonung, sie sei die eigentlich wirkliche. Gegen diese Akzentuierung müssen wir uns verwahren.

Die seelische Ausdruckswelt ist in ihrem vollen, wesentlich unbewussten Umfang dem Menschen eingeboren und angetraut als Organon. Dieses Organon setzt ihn instand, sofern er von seiner personalen Instanz aus davon wahren Gebrauch zu machen noch fähig und gewillt ist, der ihm begegnenden wirklichen Welt gegenüber sich sinnerschließend und lebensgestaltend einzusetzen. Ohne dieses Organon wäre der Mensch der andrängenden Fülle konkreter weltlicher Ansprüche hilflos preisgegeben – wie ja gerade unsere Erfahrung bei der Neurose, in der die seelischen Ausdruckbereiche teilweise ausgeschaltet sind, beweist.

In unserer personalistisch orientierten anthropologischen Bemühung um die Heilung der Neurose geht es, wie wiederholt ausgeführt wurde, um die Wiederherstellung der partnerischen Begegnungsbereitschaft im Patienten. Damit aber ist vom Patienten grundsätzlich gefordert, dass er als Mensch die Partnerschaft der Welt, so unvollkommen sie sich in ihrer Wirklichkeit auch darbieten mag, anerkenne – und dass er sodann dieser partnerischen Welt gegenüber sich in seinem Selbst erschließe, sich ihr als seelisch gewappnete menschliche Person zur offenen Zwiesprache stelle.

Von diesem therapeutischen Gesichtspunkt aus machte ich, wie früher gesagt, den Versuch, das im Jungschen Heilungsprozess aktivierte archetypische Selbst auf seine partnerische Bereitschaft hin zu erproben, es als den Kern der menschlichen Person zu fassen und als das urgegebene »Du« wirklicher Begegnung von Mensch zu Mensch anzusprechen. Dieser Versuch misslang. Jungs »Selbst« bleibt das archetypische Selbst, das es nun einmal geworden ist, verharrt ewig drüben im absoluten Unbewussten: als das ideal-typische Leitbild der introversiven Individuation, auf welches sich der therapeutisch verstandene Prozess einer mystischen Einung in immerzu neuen Anläufen hinbewegt. So kann »es selbst« also nie und nimmer in dem Sinne zur Person werden, dass es in der partnerischen Begegnung zur Welt hin seine eigentlich menschliche Bestimmung hätte und wiedergewönne.

Jungs Lehre der introversiven, im psychologischen Selbstbezug sich erfüllenden »Individuation«, die sich gleichsam im Rücken der wirklichen Welt vollzieht, wird so dem freien Therapeuten zur Nuss, die es notwendigerweise zu knacken gilt. Denn diese Lehre enthält als Kern jene für die Psychotherapie unentbehrliche, so unerhört fein ausdifferenzierte Methode der Selbstsuche, die rechtschaffen nur im introversiv-mystischen Erlebnisprozess erlernt werden kann – darüber hinaus aber für die selbstständige therapeutische Praxis erst noch erobert sein will, was unter den gegebenen Umständen leider nicht ohne ein geräuschvolles Knacken der harten Schale möglich ist.

Aus der Erkenntnis dieser Sachlage haben wir hier noch auf etwas Wichtiges hinzuweisen: auf die fragwürdige Rolle, die der als Bewusstseinsfunktion künstlich isolierten Ich-Existenz des Analysanden im Gang der komplexpsychologischen Analyse zufällt.

Obenhin hat das Ich bei Jung nur die untergeordnete Bedeutung des »erleidenden und registrierenden Zuschauers«; es figuriert bestenfalls »innerhalb des umfassenden Realisierungsprozesses der Individualität« als »ein Faktor oder Komplex unter anderen«.23

Dann aber wird einzig ihm – und das will beachtet sein! – die überaus schwierige Aufgabe zuerteilt, im Einsatz seines Bewusstseinsvermögens die therapeutisch entscheidend wichtige Integration der objektiv-psychischen Erlebnisgehalte zu bewältigen und zugleich mit seiner Wachsamkeit die Psychosengefahr abzuwehren, die durch das Andrängen der entfesselten Gewalten des Kollektiven Unbewussten dem Menschen je und je droht.

Dieser Tatbestand deutet hin auf einen Zirkelschluss, dem die komplexpsychologische Betrachtungsweise unaufhaltsam zutreibt. Denn einerseits kommt im Gesamtaufbau der Jungschen Lehre den Manifestationen der unbewussten »Psyche« unmissverständlich die geistig führende Rolle zu – anderseits aber weist Jung mit starker Betonung immer wieder darauf hin, dass dieser zuhöchst gewertete Bereich des Unbewussten die geistige Integrität des Menschen gefährdet, sobald die Bewusstseinskontrolle aussetzt. Erst und nur die maßgebend vernünftige Kontrolle des Ichs gewährleistet demnach die Vollendung der seelischen Ganzheit im »werdenden« Selbst.

Es bewahrheitet sich also weder innerhalb der Jungschen Theorie noch in ihrer Praxis, dass das Ich im Prozess der Individuation nur als »ein Faktor unter andern Faktoren« zu bewerten ist. Wird ihm doch das volle Gewicht der personalen Verantwortung auf die Schultern gelegt, läuft doch auf Grund dieser Verantwortung die Auseinandersetzung des Ich mit dem Unbewussten letztlich darauf hinaus, das Ich als die Entscheidungsinstanz in der geistigen Verarbeitung der unbewusst-seelischen Kundgebungen anzuerkennen! Ist dem aber so, dann wird Jungs archaisches »Unbewusstes« und damit die archetypische Welt des Selbst wiederum zur Funktion und zum Material eines Entwicklungsprozesses, der letztlich nun doch im Ich des Menschen zentriert ist.

Der existenzielle Widerspruch, in welchen wir durch Jungs doppeldeutige Wertung des Ichs und seines Verhältnisses zur totalautonomen Psyche hineingeraten, ist im Zusammenhang seiner komplexpsychologischen Lehre unüberwindbar. Er löst sich erst im Durchbruch zur anthropologischen Betrachtungsweise und in deren therapeutischer Haltung.

Der anthropologische Durchbruchsversuch vom Selbst zur Welt

Unsere anthropologische Ausgangsthese für die therapeutische Situation lautet: der Mensch kann zwar seine konstitutive partnerische Bestimmung – begründet in seiner urdialogischen Verbundenheit mit dem Schöpfer – nicht grundhaft aufheben oder gar zerstören. Der Mensch hat aber kraft seines Selbst die Freiheit der Entscheidung, sich seiner konstitutiven dialogischen Bestimmung hinzugeben oder aber sich ihr durch Flucht und Rückendeckung zu entziehen und so, in radikaler Abkehr von der Transzendenz wie auch von der natürlichen und geschichtlichen Welt seine Begegnungsbereitschaft in die Latenz zu bannen. In diesem Falle ergibt sich eine Grenzsituation, vor der der Psychotherapeut nicht selten zu resignieren hat.

Um an dieser unüberwindlich scheinenden Schranke die einzig passierbare Stelle des Durchbruchs ausfindig zu machen, müssen wir zunächst zwei nach ihrer Tiefendimension verschiedene Arten des neurotischen Versagens dem Weltkonkretum gegenüber unterscheiden und beschreiben.

Es gibt erstens jene schon erwähnte totale Begegnungsabsage: darin verweigert sich der Patient kernhaft der partnerischen Beziehung, indem er sich in seinem Selbst geschlossen gegen Transzendenz und konkrete Lebensbereiche absperrt und dadurch seine – eben auf die personale Begegnung hin geschaffene und sie ermöglichende – Ausdrucksfähigkeit der Seele funktionell ausschaltet.

Das zweite Versagen ist gewissermaßen ein nur relatives. Es ist so gelagert, dass das Urvertrauen im Patienten zwar grundhaft erhalten geblieben, in seiner Aktualisierung jedoch partiell eingeschränkt ist. In dieser Verfassung bekundet sich die Begegnungsbereitschaft des Selbst teilweise noch mit ursprünglicher Kraft, schreckt aber vor diesen und jenen lebenswichtigen Bereichen reflektorisch zurück und schließt sich gegen sie ab.

Die totale Begegnungsabsage, um diesen Fall voranzustellen, kann sich in zwei gegensätzlichen Bewegungen ausdrücken: entweder wirft sich der Kranke in unbewusster Panik kopfüber hinein in die äußere Weltsituation oder aber er meidet diese ebenso panikartig und verschanzt sich hinter seine seelischen Sicherungen. Das erste führt zu einer wahllosen und haltlosen Weltläufigkeit, das zweite in taube und starre Selbstverhaftung.

Dass diese dynamisch ausholenden triebhaften Bewegungen nach außen oder innen, die von ferne an Jungs psychologische »Einstellungstypen« erinnern, jedenfalls nicht als Begegnungsversuche des Patienten zu bewerten sind, ist jedem Psychotherapeuten geläufig. Für beide Fälle ist ja charakteristisch, dass sich das Selbst auf der Flucht befindet: der eine flieht die Seele und versteckt sich im Dickicht des Weltkonkretums, der andere flieht die Welt und verbarrikadiert sich im innerseelischen Gemäuer. In ihrer extremen Ausprägung präsentieren sich diese beiden Krankheitsbilder als Hysterie24 und als Zwangsneurose. Die psychopathologische Forschung spricht in solchen Fällen neuerdings von »Kernneurosen«.25

Die Kernneurosen sind von jeher der harte Prüfstein des Psychotherapeuten. An ihnen verausgabt und erschöpft er sich – unter Umständen bis in das Innerste seiner Person hinein. Da bei diesen kernneurotischen Patienten das grundhafte Lebensvertrauen und damit die Bereitschaft zur partnerischen Zwiesprache nahezu ausgelöscht ist, gibt es für die Konstellierung der dialogischen Begegnung keinen zuverlässigen Anknüpfungspunkt mehr. So erwachsen dem Therapeuten zweierlei Gefahren: entweder er muss total kapitulieren – was bedeutet, dass er den »Fall« sich selber überlässt oder etwa der Anstaltspsychiatrie überantwortet – oder aber er lässt sich vom Patienten in den Dienst seines introversiven Selbstbezugs hereinzwingen und wird so zu seinem unfreiwilligen Funktionär und Gefangenen.

Das relative Versagen der Begegnungsbereitschaft tritt uns entgegen im großen Heer jener »Alltagsneurotiker«, die sich noch einigermaßen an die überlieferten Lebensordnungen der sozialen, politischen und religiösen Gemeinschaften zu halten vermögen. Bei diesen Kranken ist, wie wir sagten, das ursprüngliche Lebensvertrauen als solches intakt geblieben – es ist aber auf bestimmte Weltausschnitte eingegrenzt und festgelegt. Daher gerät es bei überraschenden Schicksalsereignissen leicht ins Wanken. Diese Kranken scheinen nicht mehr zu verfügen über die innere Stoßkraft ins Unbekannte, Kommende hinein, worin sich ihr Selbst stets von neuem zu bewähren hätte – so schrecken sie immer wieder kleinmütig zurück und grenzen sich in die Bereiche des Bekannten, Gesicherten ein.

Wir müssen hier vielleicht die Frage einschalten: Ist da noch ein wesentlicher Unterschied zum gewöhnlichen, zum »gesunden« Menschen? Es ist richtig, dass die Grenzen hier fließende sind.

Tatsächlich stößt auch der »gesunde« Mensch bei seiner Entfaltung ins tägliche Leben hinein »normalerweise« immer wieder an die Grenzen seiner erworbenen Begegnungsfähigkeit. Sein »Spannungsbogen«26 reicht dann quasi noch nicht aus – er muss in der Tiefe seines Selbst erst wieder Kraft und Mut schöpfen, um dem unerwartet Begegnenden standzuhalten und ins Ungewisse durchzubrechen. An solchen biographisch bedeutsamen Stellen lassen sich dann auch bei normalen Menschen Fluchten hinter spontan errichtete Sicherungslinien beobachten. Und diese temporär gebotenen Fluchtbewegungen können sodann, wenn nicht mittlerische Hilfe von der partnerischen Welt her eingreift und das Selbst zu neuem Vorstoß ermutigt, in die Zirkel neurotischer Selbstbezüge einmünden und darin erstarren.

So kommt es also im fließenden Übergang zwischen gesund und krank, im schicksalsreichen Ablauf des menschlichen Lebens zu mannigfachen Traumen und Fehlentwicklungen wie: Rückzüge, Verkrampfungen, Erstarrungen, Teilsicherungen und Charakterumbildungen, welche im Großen und Ganzen das Krankheitsbild all jener sogenannten Randneurosen ausmachen, die einer methodisch durchgeführten Tiefenpsychotherapie am ehesten zugänglich sind. Denn hier kann sich die psychologische Analyse in unbewusster Selbstverständlichkeit auf den noch gesunden Lebensgrund stützen und von da aus, im Angehen der neurotischen Abwehrsysteme, dem seelischen Ausdrucksvermögen und dem Begegnungswillen des Selbst wieder freie Bahn nach außen schaffen.

Die Psychotherapie wird deshalb wohl auch in Zukunft ihre hauptsächliche Aufgabe darin finden, dass sie diesen überall aufschießenden Randneurosen zu Hilfe kommt. Hier liegt ihr großes und erfolgreiches Betätigungsfeld. Denn diese nur »randhaft« erkrankten Patienten leiden eingestandenermaßen an ihrer Zwiespältigkeit, und sie melden sich deshalb freiwillig beim Arzt. Sie sind in ihrem Personenkern ansprechbar und überantworten sich in relativ gesundem Vertrauen dem therapeutisch gebotenen Eingriff. Dank diesem Vertrauen ist es dann möglich, sie mittels des personalen Kontaktes im Spannungsfeld zwischen Seele und Welt so lange festzuhalten und zu fördern, bis sie ihr Leben mit der Welt neu zu gestalten vermögen.

Mit diesem Hinweis auf die Behandlungsmöglichkeit der Randneurosen wollen wir nicht etwa behauptet haben, dass die Kernneurosen unheilbar seien und es deshalb zwecklos wäre, sich mit ihnen zu befassen. Nur muss der gangbare Weg für ihre grundhafte Heilung – die Verdienste Freuds und Jungs hier durchaus anerkannt – doch erst noch ganz gefunden und geistig erschlossen werden. Da bei diesen ganz besonders schwierigen Kranken, infolge ihres zumeist unbewussten intransigenten Verharrens im Selbstbezug, die personale Begegnungsbereitschaft suspendiert ist, wirkt sich ihr heimliches Beziehungsbedürfnis, wie wir schon andeuteten, in der unheimlichen Tendenz aus, die Person des Arztes in den introversiven Prozess der Selbstrealisierung hereinzuziehen und ihn diesem dienstbar zu machen.

Darf der Arzt um des therapeutischen Erfolges willen diesem unbewusst andrängenden Verlangen des selbstverschlossenen Patienten in irgendeiner Form Folge leisten?

Wir müssen aus Erfahrung antworten: ja! – der Arzt leistet diesem Verlangen des Patienten faktisch immer wieder Folge, und zwar deshalb, weil er nur so mit ihm in personale Fühlung kommen kann. Von dieser personalen Fühlung aber hängt, wie wiederholt betont wurde, jedwedes Gelingen echter Neurosenheilung ab. Der Arzt lässt sich deshalb in den introversiven Prozess hereinziehen, das heißt er geht mutig hinein in das Erleidnis der Neurose, und dies nicht etwa nur als sachlich objektivierender Psychologe, sondern grundhaft in der liebenden Haltung des partnerisch helfenden Menschen.

Somit tut der Arzt, wenn auch nur temporär und behelfsweise, das heißt nur für so lange, bis der eigentliche Heilungsprozess in Gang gekommen ist, dem untergründigen Verlangen des beziehungshungrigen Patienten in bestmöglicher Weise Genüge. Aber er muss dann selbst wissen, was er macht und um wessentwillen er sich in diese Gefahr begibt.

Im Wagnis dieses personalen Einsatzes, bis hinein in die neurotische Selbstverfangenheit des Patienten, bleibt der Psychotherapeut zuversichtlich, weil er das einzig wahre Ziel der Heilung, die Erschließung des verschlossenen Menschen für die Begegnung mit der Welt, kennt und fest im Auge behält. Dank diesem Ziel hält er selbst stand im Spannungsfeld zwischen dieser verwirrten Seele, die ihm anvertraut ist, und der partnerischen Welt, die er zu vertreten hat. So steht er in seiner wechselseitigen Aufgabe unerschütterlich ein für den Patienten und für die Welt.

*

Unsere differentialdiagnostische Erörterung hinsichtlich der Kern- und Randneurosen hat uns vor allem gezeigt, welch entscheidend wichtige Bedeutung dem mehr oder weniger intakt gebliebenen Lebensvertrauen des Patienten in der therapeutischen Situation zukommt.

Bei den Randneurosen sprang es sogleich in die Augen, dass der tiefenpsychologische Behandlungsprozess einen gewissen Grundbestand solchen Vertrauens sozusagen als selbstverständlich voraussetzt, um mit Erfolg ans Ziel der Heilung zu gelangen. Dass diese Voraussetzung für die Heilungsmöglichkeit der Kernneurosen erst noch geschaffen werden muss, und zwar im konkreten Bemühen von Person zu Person, erkannten schon unsere Pioniere der Tiefenpsychologie – schenkten sie doch seit Freud dem Problem der »Übertragung« und der »Gegenübertragung« allergrößte Beachtung und mühten sich, dieses Problem in introspektiver Analyse psychologisch zu lösen.

Unsere anthropologische Betrachtungsweise und ihre therapeutische Anstrengung knüpft, wie gesagt, an die Leistungen und praktischen Resultate der analytischen Psychologie an, indem sie, zur komplementären Ergänzung, eine radikale Achsendrehung vollzieht. Sie versucht somit, den introspektiven Erkenntnisprozess der psychologischen Analyse durch den »extraspektiven« einer soziologischen Analyse zu ergänzen. Sie tut dies aus der Überzeugung heraus, dass gleichzeitig mit dem Bemühen, eine psychische Zentrierung des Selbst zu gewinnen, die Begegnungsbereitschaft dieses Selbst zur Welt hin, die lebendige Zwiesprachesituation also zwischen »drinnen« und »draußen«, angestrebt und gefördert werden soll.

An den therapeutischen Resultaten der tiefenpsychologischen Neurosenbehandlung haben wir nur allzu oft eindrucksvoll erfahren müssen, dass die lebendige Zwiesprache mit dem Weltkonkretum nicht nur nicht gewonnen, sondern geradezu verpasst wird und verloren geht. Wir erklären uns dieses negative Resultat daraus, dass im Verlauf des ausschließlich introspektiven Erkenntnisprozesses eben dieses Weltkonkretum mitsamt seinem ihm einwohnenden Geheimnis, diese Welt, die dem einsamen menschlichen Selbst als ebenbürtiger Gesprächspartner zugesprochen ist, allzu stiefmütterlich bei Seite geschoben wurde.

Wir wiederholen es hier: dass der Mensch dieser ihm begegnenden wirklichen Welt schutzlos preisgegeben wäre, wenn er nicht die Ausdruckswelt seiner Seele zur freien Verfügung hätte. Diese seelische Ausdruckswelt ersetzt ihm aber nie und nimmer die partnerische Wirklichkeit der Welt, zu der er nur wahrhaft in Beziehung zu treten vermag dank seiner Verwurzelung im unzerstörbaren Seinsgrund des dialogisch konstituierten Selbst. Aus diesem tiefen Grunde seines menschlichen Seins reißt er, als er selbst, die mannigfaltige Fülle der seelischen Welt an sich und gestaltet damit in individueller Weise die Wirklichkeit seines Lebens mit der Welt.

Unsere therapeutische Bemühung geht deshalb letztlich darauf aus, den neurotischen Patienten in seinem erschütterten Lebensvertrauen wieder auf die Beine und auf festen Grund zu stellen. Dafür setzen wir unseren Glauben an das einwohnende Geheimnis nicht nur des Menschen sondern eben auch der Welt ein. Das aber heißt, dass wir Therapeuten dem Kranken auch nicht nur als symbolisch zu verstehende Figuren seiner unbewussten Seele, sondern vor allem als leibhafte personale Repräsentanten seiner partnerischen Welt begegnen. Im Ausgespanntsein zwischen diesen beiden Forderungen steht der Therapeut mit wachem Herzen dafür ein, dass der Patient sich als Mensch zur Welt hin verwirkliche.

Durch den radikalen Begegnungsentzug des Kernneurotikers wird der Psychotherapeut unvermittelt in das Erlebnis eines klaffenden Abgrundes zwischen Seele und Welt und somit vor das äußerst dringliche und schwierige Problem gestellt, wie dieser Abgrund beim Patienten zu überbrücken sei. Dieser therapeutisch geforderte Brückenschlag ist nach unserer Darstellung nur realisierbar im Hand-in-Hand-Gehen zweier Verfahren, die einander diametral entgegenkommen. Das eine Verfahren ist die introspektiv-psychologische Erhellung und Bewusstmachung der immanent-seelischen Vorgänge und Sinnzusammenhänge, das andere, in der Praxis erst noch zu entwickelnde, ist die extraspektive Annäherung, Betrachtung und Klärung des zwanghaft gemiedenen oder auch zwanghaft überlaufenen Weltkonkretums.

Im Verfolg seiner dialogischen Bemühung um dieses Letztere muss der Psychotherapeut selber als ein Repräsentant eben dieses Weltkonkretums auftreten, die Liebeskraft der partnerischen Welt betätigend: auf dass der Leidende über diese Brücke sich der Welt erneut nähere, sich ihrem einwohnenden Schöpfungsgeheimnis seelisch erschließe und so aus seinem Selbst heraus mit ihr endlich wieder in lebendige wahre Beziehung trete.

Es geht hier genau um das, was Goethe in seinem Gedicht Harzreise im Winter 1777 unter dem erschütternden Eindruck seiner Begegnung mit einem »Neurotiker« so ausdrückt:


Ach, wer heilet die SchmerzenDes, dem Balsam zu Gift ward?Der sich MenschenhaßAus der Fülle der Liebe trank?Erst verachtet, nun ein Verächter,Zehrt er heimlich aufSeinen eignen WertIn ungnügender Selbstsucht. Ist auf deinem Psalter,Vater der Liebe, ein TonSeinem Ohre vernehmlich,So erquicke sein Herz!Öffne den umwölkten Blicküber die tausend QuellenNeben dem DurstendenIn der Wüste!

Alle psychotherapeutische Sinnerschließung mit dem Patienten setzt, wie wir jetzt wissen, den echten partnerischen Kontakt zum Therapeuten voraus.

Nur im Gang der dialogisch geführten »psychologischen« Zusammenarbeit erwacht und wächst im Patienten allmählich beides: das neue Vertrauen zu sich selbst und das zum anderen Menschen. Und erst kraft dieses neugewonnenen partnerischen Vertrauens erschließt sich ihm der tiefe Sinn seines geschöpflichen und geschichtlichen Verbundenseins mit der Welt, entdeckt und ergreift er die nächstliegenden konkreten Aufgaben, die seiner da draußen lange schon warten.

Vor eben dieser wartenden, ihm gegenüber aber auch schuldhaft immer wieder versagenden und ihm darum fragwürdig gewordenen Welt hat der Patient sich dereinst zurückgezogen und geriet so in den regressiven Prozess des introversiv-seelischen Selbstbezugs. Dass dieser neurotische Rückzug sowie dessen individuelle Begleiterscheinungen dem Patienten als sein eigenes Verschulden auf psychologischem Wege aufgedeckt und einsichtig gemacht werden, ist selbstverständlich notwendig, aber es ist, wie wir jetzt wissen, nicht das einzige Erfordernis. Der Patient kann sich in seinem Selbst dieser Einsicht nur dann wirklich öffnen, wenn – in partnerischer Transparenz – das schicksalhaft-tragische Verschulden der Welt ihm gegenüber ebenso gewissenhaft wie sein eigenes Versagen zur Anschauung und geistigen Verarbeitung kommt.

Es darf doch im Angesicht dieser Sachlage nicht vergessen und geleugnet werden, da es ja uns allen zum Schicksal ward: dass das kindliche Selbst sich doch dereinst mit holdseligem Vertrauen in die echte Beziehung zur Welt schon eingelassen hatte! Erst am Unverständnis und an den sinnlosen Schranken dieser partnerisch ihm zubestimmten, aber sich ihm versagenden Welt, insbesondere des Elternhauses, ist es irre geworden und hat sich also auch erst zufolge dieser schmerzlichen Erfahrung, dann auch seinerseits schuldhaft, in die autistische Sphäre zurückgezogen.

Das Lebensvertrauen des Menschen bedarf zu seiner Stärkung und Entfaltung in entscheidendem Ausmaße, besonders in der Kindheit, des liebenden Entgegenkommens der Welt, ihrer tragenden, ermutigenden und befreienden Kräfte. So hat die Welt ihren schuldhaften Anteil an der Neurose.

Im soziologischen Aspekt erfassen wir die andere der beiden wirksamen Grundbedingungen der Neurose: die Verfassung der Welt, die immerdar im Argen liegt und bei der personalen Entfaltung des Menschen ins Leben hinein ihre notwendige Hilfe versagt. Die gleichgewichtige Bedeutung dieses nur im extraspektiven Erkenntnisprozess zu erfassenden Faktors dürfen wir nicht länger ignorieren – wir haben ihm vielmehr im Interesse einer wirksameren Neurosenbehandlung die volle Aufmerksamkeit zu schenken.

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