Kitabı oku: «BGB-Schuldrecht Allgemeiner Teil», sayfa 25
II. Pflichtverletzung als facettenreicher Zentralbegriff
1. Pflichtverletzung, Pflichteninhalt und Schuldverhältnis
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Seit 2002 ist der Begriff der „Pflichtverletzung“ ein das allgemeine Leistungsstörungsrecht prägender Zentralbegriff. Er findet sich unter anderem in §§ 280, 281 und 323. Wenn eine der an einem Schuldverhältnis beteiligten Parteien Schadensersatz verlangt, kann sie nach § 280 grundsätzlich nur dann Erfolg haben, wenn die andere Seite eine Pflicht aus diesem Schuldverhältnis verletzt hat. Für Ansprüche auf Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung (§ 280 Abs. 2) und Ansprüche auf Schadensersatz statt der Leistung (§ 280 Abs. 3) gelten lediglich zusätzliche Voraussetzungen. Die Pflichtverletzung ist auch für das Rücktrittsrecht des Gläubigers im gegenseitigen Vertrag zentral. Auch hier gibt es weitere Differenzierungen und Unterfallgruppen (vgl §§ 323, 324, 326 Abs. 5).
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Allgemein gesprochen liegt eine Pflichtverletzung immer dann vor, wenn der Schuldner eine Pflicht nicht oder nicht so wie geschuldet erfüllt. In der Rechtsanwendung kommt es dabei darauf an, den konkreten Inhalt der jeweils in Rede stehenden Pflicht möglichst genau zu bestimmen: Nur, wenn man diesen Inhalt kennt, lässt sich entscheiden, ob ein bestimmtes Schuldnerverhalten eine Pflichtverletzung bedeutet. Entscheidend ist das jeweilige Schuldverhältnis, oft können die konkreten Inhalte der jeweiligen Pflichten durch Auslegung (§§ 133, 157) ermittelt werden. Im Übrigen gelten die Regeln über den Inhalt von Schuldverhältnissen.[4]
2. Pflichtverletzung bei Unmöglichkeit der Leistung (§ 275 Abs. 1)
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Besondere Schwierigkeiten bereitet der Begriff der Pflichtverletzung bei Unmöglichkeit der Leistung (§ 275 Abs. 1). Welche Pflicht verletzt der Schuldner, wenn er die Leistung gar nicht mehr erbringen kann? Haben Sie eine Pflicht verletzt, wenn Sie mir Ihr gebrauchtes Fahrrad verkauft haben, noch vor Übergabe aber der Blitz Ihr Fahrrad vernichtet? Sie können das Fahrrad doch gar nicht mehr übergeben, also können Sie doch dazu gar nicht mehr verpflichtet sein. Dass es keine Verpflichtung zu etwas Unmöglichem geben kann, war schon im römischen Recht anerkannt: impossibilium nulla est obligatio[5], ironisiert bei Schiller: „Du kannst, denn Du sollst!“[6]). § 275 Abs. 4 verweist jedoch für die weiteren Konsequenzen der Unmöglichkeit in die Vorschriften über den Schadensersatz. Das Gesetz hält also Schadensersatzansprüche des Gläubigers für denkbar – beispielsweise, wenn der Schuldner die Unmöglichkeit selbst herbeigeführt hat. Das lässt sich am ehesten dadurch lösen, dass man sich vom allgemeinen Sprachgebrauch löst und „Pflichtverletzung“ als technischen Begriff weit versteht: Die bloße Nichterbringung der Leistung ist auch dann eine Pflichtverletzung iSd § 280, wenn Unmöglichkeit vorliegt. Pflichtverletzung ist also weit im Sinne der bloßen Nichtleistung zu verstehen. Ganz vereinfacht gesprochen kann man sich die Pflichtverletzung primär auch als rein „objektiven“ Umstand vorstellen, dem auf subjektiver Seite das Vertretenmüssen gegenübersteht.[7]
Teil III Leistungsstörungsrecht › § 8 Einführung und Grundlagen › III. Kategorien von Leistungsstörungen
III. Kategorien von Leistungsstörungen
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Die vielfältigen Arten, auf denen Leistungen gestört sein können, haben im Leistungsstörungsrecht differenzierte Antworten erhalten. Die unterschiedlichen Rechtsfolgen und Mechanismen des Leistungsstörungsrechts erfordern vor allem eine Unterscheidung der im Folgenden aufgeführten Kategorien von Leistungsstörungen.
1. Nichtleistung (ganz oder teilweise)
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Zunächst können die Hauptleistungspflichten ganz oder teilweise nicht erbracht worden sein, obwohl sie fällig sind. Man spricht dann von Nichtleistung oder Nichterfüllung. Die Konsequenzen der Nichtleistung sind ganz unterschiedlich. Wenn die Leistung gar nicht mehr erbracht werden kann, ist der Anspruch auf die Leistung gem. § 275 Abs. 1 ausgeschlossen. Die weiteren Rechte des Gläubigers bestimmen sich dann nach § 275 Abs. 4. Wenn keine Unmöglichkeit vorliegt, hat der Gläubiger eine Reihe verschiedener Optionen. Ein wichtiger Grundgedanke des allgemeinen Leistungsstörungsrechts ist aber, dass der Gläubiger jedenfalls prinzipiell zunächst weiterhin Naturalleistung verfolgen soll. Das ergibt sich vor allem aus den Fristsetzungserfordernissen der §§ 323 Abs. 1 und 281 Abs. 1.
2. Leistungsverzögerung
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Leistungen können auch verzögert, also noch nicht erbracht worden sein, obwohl sie fällig sind. Dann spricht man auch von Leistungsverzögerung. Das ist letztlich ein Fall der Nichtleistung, bei dem keine Unmöglichkeit eingreift. Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung kann der Gläubiger gem. § 280 Abs. 2 nur verlangen, wenn der Schuldner im Verzug ist. Er kann aber auch eine Frist setzen, um anschließend zurückzutreten (§ 323) oder auch Schadensersatz statt der Leistung zu verlangen (§ 281).
3. Schuldnerverzug (§§ 286-288)
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Nicht jede Leistungsverzögerung führt also auch zum Verzug. Der Verzug des Schuldners ist vielmehr in den §§ 286-288 als eigenständige Kategorie der Leistungsstörung geregelt. Kennzeichnend für die Verzugsnormen ist das Mahnungserfordernis aus § 286 Abs. 1. Neben dem Schadensersatz wegen Leistungsverzögerung (§§ 280 Abs. 2, 286) begründet der Verzug auch eine Haftungsverschärfung zulasten des Schuldners (§ 287) und einen Anspruch des Gläubigers auf Verzugszinsen (§ 288).
4. Schlechtleistung
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Als Schlechtleistung kann man jede Leistung bezeichnen, die zwar irgendwie erbracht wird, aber nicht so, wie sie geschuldet war. Wenn der Schuldner zwar leistet, aber etwa zu wenig, zu viel, falsch oder sonst nicht ordnungsgemäß, liegt ebenfalls eine Pflichtverletzung vor. Bei solchen Leistungsstörungen geht es weder um Leistungsverzögerung, noch um Unmöglichkeit der Leistung, sondern schlicht um eine schlechte Leistung. Das wichtigste Beispiel für Schlechtleistungen bieten freilich mangelhafte Leistungen des Verkäufers oder Werkunternehmers: Wer Ihnen das verkaufte Fahrrad zwar liefert, hat eben (im Normalfall) schlecht geleistet, wenn das Fahrrad defekte Bremsen hat.
5. Nebenpflichtverletzungen und Schutzpflichtverletzungen
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In der Praxis sind häufig auch Verletzungen von Nebenleistungspflichten und Schutzpflichten relevant.[8] Für Schutzpflichten iSd § 241 Abs. 2 stellt das allgemeine Leistungsstörungsrecht beispielsweise in den §§ 282 und 324 besondere Regeln auf: Danach sind Rücktritt und Schadensersatz statt der Leistung bei Schutzpflichtverletzungen nur möglich, wenn dem Gläubiger nicht zumutbar ist, am Vertrag festzuhalten. Auch hier zeigt sich das zentrale Anliegen des Allgemeinen Leistungsstörungsrechts, an wirksamen Schuldverhältnissen möglichst festzuhalten. Für leistungsbezogene Nebenpflichten, die § 241 Abs. 1 unterfallen, gilt dagegen § 281.[9]
6. Gläubigerverzug (Annahmeverzug)
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Die §§ 293-304 regeln den Annahmeverzug, der eine spezielle Form der Leistungsstörung ist. Ungewöhnlich ist, dass es dabei nicht um eine Störung auf Seiten des Schuldners geht. Vielmehr geht es um eine Störung der Schuldnerleistung durch den Gläubiger, der eine ihm ordnungsgemäß angebotene Leistung nicht annimmt. Damit verletzt der Gläubiger im Regelfall zwar keine Pflicht, wohl aber eine Obliegenheit – also eine Verbindlichkeit, deren Verletzung zu einer Verschlechterung in der eigenen Rechtsposition führt.[10]
7. Leistungserschwerung, Unzumutbarkeit, Geschäftsgrundlage
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Leistungsstörungen ganz eigener Art werden wiederum in den § 275 Abs. 2 und Abs. 3 sowie in § 313 geregelt: § 275 Abs. 2 und 3 betreffen Situationen, in denen die Leistung zwar nicht wirklich unmöglich ist, es aber gleichwohl nicht richtig erscheint, den Schuldner zur Leistung zu zwingen. Die von den beiden Varianten jeweils ins Auge genommenen Konstellationen sind freilich unterschiedlich: Bei § 275 Abs. 3 geht es um persönliche Leistungspflichten, deren Erbringung dem Schuldner aus besonderen Gründen unzumutbar ist. § 275 Abs. 2 beruht dagegen eher auf Effizienzerwägungen: Der Schuldner soll die Leistung auch dann verweigern dürfen, wenn der Aufwand zur Leistungserbringung in keinem vernünftigen Verhältnis mehr zum Interesse des Gläubigers an der Leistung steht. Die seit 2002 normierte Lehre von der Geschäftsgrundlage (§ 313) betrifft Situationen, in denen sich Umstände, die zwar nicht Vertragsinhalt wurden, aber doch Grundlage des Vertrages waren, schwerwiegend geändert haben, so dass es einer Partei nicht zumutbar wäre, am unveränderten Vertrag festzuhalten. Auch hier zielt das Gesetz zunächst auf Vertragserhaltung durch Anpassung (Abs. 1); erst wenn die Anpassung scheitert, kann ein Rücktritt erfolgen (Abs. 3).
Teil III Leistungsstörungsrecht › § 8 Einführung und Grundlagen › IV. Die Systematik des § 280
IV. Die Systematik des § 280
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Fall 34:
A möchte in Münster einen Biergarten eröffnen, in dem alle größeren Fußballspiele gezeigt werden. Startschuss für die Eröffnung des Biergartens soll dabei die Fußball-Weltmeisterschaft sein, die am 1.6. beginnt. A bestellt bei B einen Beamer für 1.500 Euro, wobei vertraglich geregelt wird, dass eine Zahlung erst bei Lieferung des Beamers in bar erfolgen soll. Für die Lieferung wird im Kaufvertrag festgehalten, dass eine Lieferung „Ende Mai“ erfolgen soll. B liefert den Beamer allerdings zunächst nicht. Zum Eröffnungsspiel am 1.6. kommen daher keine Gäste zu A, da eine Übertragung des Spiels ohne Beamer nicht möglich ist. Dadurch entgehen A Einnahmen in Höhe von 3.000 Euro. Wütend fordert A den B auf, ihm den Beamer bis zum 14.6. zu liefern, da das zweite Spiel der deutschen Fußballnationalmannschaft am 16.6. stattfinden soll. Als am 14.6. wiederum keine Lieferung durch B erfolgt, platzt A der Kragen und er kauft am 15.6. einen vergleichbaren Beamer für 2.000 Euro. Als am Morgen des 16.6. B dann den Beamer endlich liefern möchte, fährt er mit seinem Lieferwagen zwei Bierbänke des A kaputt, wodurch ein Schaden in Höhe von 200 Euro entsteht. A verweigert die Annahme des Beamers und erklärt den Rücktritt. Er verlangt von B Schadensersatz in Höhe von 3.000 Euro für die entgangenen Einnahmen vom 1.6., Ersatz der Mehrkosten in Höhe von 500 Euro und Ersatz für die beschädigten Bierbänke in Höhe von 200 Euro.
Muss B diese Schadensposten ersetzen? Lösung Rn 429
1. § 280 Abs. 1 als Grundtatbestand für Schadensersatzansprüche bei Verletzungen von Pflichten aus dem Schuldverhältnis
400
§ 280 Abs. 1 ist der Grundtatbestand für Schadensersatzansprüche, die auf die Verletzung von Pflichten aus einem Schuldverhältnis gestützt werden. Die Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 müssen deshalb unabhängig davon erfüllt sein, welche Schadensart im Einzelfall vorliegt. Diese Grundvoraussetzungen sind:
a) Schuldverhältnis
401
Es muss ein Schuldverhältnis bestehen, also beispielsweise ein Vertrag.
b) Verletzung einer Pflicht aus dem Schuldverhältnis
402
Der Schuldner muss eine aus diesem Schuldverhältnis resultierende Pflicht verletzt haben. Hier kommen alle Arten von Pflichtverletzungen in Betracht. So kann beispielsweise eine Malermeisterin trotz bestehenden Werkvertrags Ihre Wände nicht streichen und damit ihre Hauptleistungspflicht verletzen. Möglich ist aber auch, dass zwar die Wände gestrichen werden, dabei aber zugleich auch die Gardinen ungewollt in Mitleidenschaft gezogen werden, was eine Schutzpflichtverletzung (§ 241 Abs. 2) darstellt.
c) Vertretenmüssen des Schuldners (§ 280 Abs. 1 S. 2)
403
Der Schuldner muss die Pflichtverletzung auch zu vertreten haben. Diese Voraussetzung ergibt sich aus § 280 Abs. 1 S. 2. Durch die doppelte Verneinung liegt die Beweislast für fehlendes Vertretenmüssen beim Schuldner. Man kann auch davon sprechen, dass das Vertretenmüssen des Schuldners in § 280 Abs. 1 S. 2 widerlegbar vermutet wird.[11]
d) Durch die Pflichtverletzung entstandener Schaden
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Durch die Pflichtverletzung muss ein ersatzfähiger Schaden entstanden sein.
2. Die weiteren Differenzierungen und Voraussetzungen von § 280 Abs. 2 und Abs. 3
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Die Pflichten aus dem Schuldverhältnis können ganz unterschiedlicher Art sein: Neben den Hauptleistungspflichten können auch Schutzpflichten (§ 241 Abs. 2) betroffen sein.[12] Auch die Verletzung der Pflichten kann auf ganz verschiedene Art und Weise erfolgen: Es gibt viele verschiedene Kategorien von Leistungsstörungen.[13] Und schließlich können auch unterschiedliche Schadenspositionen begehrt werden. Das Gesetz legt deshalb in den Absätzen 2 und 3 des § 280 weitere Differenzierungen an, um den Besonderheiten unterschiedlicher Pflichten, Pflichtverletzungen und Schadenspositionen gerecht zu werden. Daraus ergibt sich, dass für Schadensersatzansprüche gegebenenfalls die zusätzlichen Voraussetzungen weiterer Normen vorliegen müssen:
a) Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung (§ 280 Abs. 2)
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Wenn der Gläubiger Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung geltend macht, müssen gem. § 280 Abs. 2 die Voraussetzungen des § 286 (Schuldnerverzug) vorliegen. § 280 Abs. 2 trifft hier eine wichtige Sonderregel für eine spezifische Kategorie von Pflichtverletzung und die daraus resultierenden Schadenspositionen. Der Schuldner muss sich hier in Verzug befinden, was grundsätzlich eine Mahnung durch den Gläubiger voraussetzt (§ 286 Abs. 1).[14]
b) Schadensersatz statt der Leistung (§ 280 Abs. 3)
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Wenn der Gläubiger Schadensersatz statt der Leistung geltend macht, müssen gem. § 280 Abs. 3 zusätzlich die Voraussetzungen der §§ 281, 282 oder 283 vorliegen. Für §§ 281 und 282 ist der Grundsatz der Vertragserhaltung zentral. In § 281 kommt er durch das Fristsetzungserfordernis zum Ausdruck. § 282 verwirklicht den Grundsatz der Vertragserhaltung dadurch, dass Schadensersatz statt der Leistung wegen der Verletzung von Schutzpflichten nur bei Unzumutbarkeit in Frage kommt. In § 283 spielt der Gedanke der Vertragserhaltung keine Rolle, weil die Leistung ohnehin ausgeschlossen ist (vgl § 275 Abs. 1). Bei anfänglicher Unmöglichkeit kann der Anspruch auf Schadensersatz statt der Leistung nur auf § 311a Abs. 2 gestützt werden. Welche konkreten zusätzlichen Voraussetzungen erfüllt sein müssen, hängt also von der Art der Leistungsstörung ab: Bei Unmöglichkeit gelten § 283 (für nachträgliche Unmöglichkeit) und § 311a Abs. 2 (für anfängliche Unmöglichkeit). Wenn die Verletzung von Schutzpflichten (§ 241 Abs. 2) im Spiel ist, muss § 282 erfüllt sein. Und wenn der Schuldner nicht oder nicht wie geschuldet leistet, gilt § 281.
Teil III Leistungsstörungsrecht › § 8 Einführung und Grundlagen › V. Die Abgrenzung der Schadenskategorien
V. Die Abgrenzung der Schadenskategorien
1. Zur Bedeutung der Abgrenzung
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Aus der Systematik des § 280 ergibt sich: Ob nur § 280 Abs. 1 erfüllt sein muss, oder aber zusätzlich die in § 280 Abs. 2 bzw Abs. 3 verlangten Voraussetzungen vorliegen müssen, ist entscheidend: Denn davon hängt oft ab, ob ein Schadensersatzanspruch im Ergebnis besteht oder nicht. Ersatz der Mietkosten für einen Leihwagen kann der Käufer etwa nur als Schadensersatz wegen Verzögerung der Leistung verlangen, wenn der Verkäufer in Verzug ist (§§ 280 Abs. 2, 286). Ebenso kann der Käufer die Mehrkosten für ein Deckungsgeschäft nur als Schadensersatz statt der Leistung verlangen, wenn die Voraussetzungen der §§ 281, 283 oder § 311a Abs. 2 vorliegen. Die in § 280 Abs. 2 und Abs. 3 berufenen Normen beinhalten wichtige zusätzliche Tatbestandsmerkmale, die in der Praxis der Rechtsanwendung entscheidend sein können. Für den Verzug nach § 286 ist etwa das Mahnungserfordernis prägend, für § 281 das Fristsetzungserfordernis. Für die Rechtsanwendung und natürlich auch für die Prüfungsarbeiten ist es deshalb ganz entscheidend, die einzelnen Absätze des § 280 und ihren jeweiligen Anwendungsbereich auseinanderzuhalten. Davon hängen die weiteren Tatbestandsvoraussetzungen und damit auch die Erfolgsaussichten eines Schadensersatzbegehrens ab.
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In vielen Fallkonstellationen besteht in der Rechtsprechung sowie in der Rechtswissenschaft im Ergebnis kein Streit darüber, ob nur § 280 Abs. 1 eingreift, oder zusätzlich § 280 Abs. 2 oder § 280 Abs. 3 zu beachten sind. Dagegen ist vor allem in der Rechtswissenschaft sehr umstritten, welche Kriterien im Zweifelsfall für die Abgrenzung der Schadensarten ausschlaggebend sind. Dieser Streit ist, wie sich aus dem bisherigen ergibt, jedenfalls insofern relevant, als es um die Wahl der „richtigen“ Anspruchsgrundlage, die weiteren dogmatischen Einzelfragen und das Prüfprogramm im Einzelnen geht. Man könnte gerade angesichts der Intensität der Debatte meinen, dass der Streit auch hohe Relevanz für die konkreten Ergebnisse der Rechtsanwendung in individuellen Fallkonstellationen hat. Das ist allerdings nicht der Fall: In den allermeisten Konstellationen unterscheiden sich zwar die Lösungswege, nicht aber die konkreten Ergebnisse. Das liegt vor allem daran, dass weitgehend Einigkeit über die Wertungsentscheidungen des Gesetzes besteht, die in den §§ 280-283 und § 311a Abs. 2 zum Ausdruck kommen und auch beispielsweise in § 286 Widerhall finden. Streit besteht im Wesentlichen darüber, an welchen dogmatischen Stellschrauben – wie den Ausnahmen vom Fristsetzungserfordernis in § 281 Abs. 2 oder Kausalitätsfragen bei der Schadenszurechnung – diese Wertungen durchschlagen sollen. Ein pragmatischer Zugriff auf das Recht würde daher in den meisten Fällen nahelegen, den Streit gar nicht zu erörtern. In Prüfungsarbeiten gilt anderes: Sie sollten den Streit um die Abgrenzung der Schadensarten schon immer dann erörtern, wenn er sich möglicher Weise auf die Wahl der Anspruchsgrundlage auswirkt. Auch der BGH hat jedenfalls in seiner Leitentscheidung vom 3.7.2013[15] den akademischen Streit erörtert, obwohl das Schadensersatzbegehren des Klägers im konkreten Fall nach allen Auffassungen scheitern musste.
2. Schadensersatz „statt der Leistung“ (§ 280 Abs. 3)
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Der zentrale Ausgangspunkt der Abgrenzung ist der Begriff des Schadensersatzes „statt der Leistung“ (§ 280 Abs. 3). Die Besonderheit dieser Schadenskategorie liegt darin, dass sie – anders als im Falle des § 280 Abs. 1 bzw Abs. 2 – nicht neben der Leistung selbst geltend gemacht werden kann. Das folgt im Wesentlichen aus § 281 Abs. 4: Der Anspruch auf die Leistung ist ausgeschlossen, wenn Schadensersatz statt der Leistung verlangt wird. Einigkeit besteht daher auch in einem zentralen Punkt: Beim Schadensersatz „statt der Leistung“ geht es um Schadenspositionen, die an die Stelle der jeweiligen Leistung treten und statt dieser (also statt der Leistung selbst) das Leistungsinteresse des Gläubigers befriedigen. Streit besteht allerdings darüber, nach welchen Maßstäben zu ermitteln ist, ob dies der Fall ist.
a) Abgrenzung nach dem jeweiligen Interesse („schadensphänomenologischer Ansatz“)
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Manche Stimmen in der Literatur wenden als Maßstab eine äußere, phänomenologische Schadensbetrachtung an:[16] Dabei greifen sie auf die Unterscheidung zwischen Erfüllungsinteresse (status ad quem) und Integritätsinteresse (status quo) zurück. Wenn die geltend gemachte Schadensposition das Erfüllungsinteresse befriedigen soll, geht es um Schadensersatz statt der Leistung, so dass § 280 Abs. 3 eingreift. Soll der Schadensersatz dagegen das Integritätsinteresse befriedigen, greift § 280 Abs. 3 nicht ein. Es verbleibt dann bei den Voraussetzungen des § 280 Abs. 1 – ergänzt um die Voraussetzungen des § 280 Abs. 2, wenn Schäden wegen Verzögerung der Leistung geltend gemacht werden, die einen Sonderfall des Schadensersatzes neben der Leistung bilden.
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Die Begriffe Erfüllungsinteresse (auch: Äquivalenzinteresse oder Leistungsinteresse) und Integritätsinteresse sind für diese Abgrenzung zentral. Unter dem Erfüllungsinteresse versteht man das Interesse des Gläubigers, das zu bekommen, was durch die Erfüllung der Leistungspflicht des Schuldners bewirkt worden wäre – also das Interesse, die Leistung selbst zu erhalten. Wenn die Leistungen nicht so wie abgesprochen bewirkt werden, soll so ein Ausgleich für Einbußen geleistet werden.[17] Integritätsinteresse ist dagegen das Interesse des Gläubigers daran, dass die Rechtsgüter und Vermögenswerte, die er – unabhängig vom konkreten Schuldverhältnis und seiner Ausführung – bereits hat, unberührt bleiben.[18] Geschützt werden in diesem Zusammenhang also schon zuvor bestehende Positionen, die zwar keinen unmittelbaren Bezug zur Leistung haben, durch diese aber auch nicht in Gefahr gebracht werden sollen. Schäden, deren Ersatz das Integritätsinteresse befriedigt, nennt man daher auch „Begleitschäden“.[19] Wenn die Malerin beim Streichen ihrer Wände versehentlich eine Vase herunterwirft (Verletzung des § 241 Abs. 2), ist Ihr Integritätsinteresse betroffen. Wenn sie gar nicht kommt und Sie eine andere, teurere Malerin engagieren müssen, ist dagegen Ihr Erfüllungsinteresse betroffen. Das Beispiel zeigt: Oft führt die schadensphänomenologische Abgrenzung rasch zu einleuchtenden Lösungen. Allerdings ist die Abgrenzung zwischen Erfüllungsinteresse und Integritätsinteresse manchmal schwierig, so dass eine klare Zuordnung nicht ohne weiteres möglich ist.[20] Wenn Sie Galeristin sind und eine wichtige Ausstellung verschieben müssen, weil die Malerin die Wände der Ausstellungsräume nicht rechtzeitig gestrichen hat: Gehören Ihre Gewinneinbußen noch zum Erfüllungsinteresse? Oder ist Ihr Integritätsinteresse betroffen? Wie sind Verluste zu beurteilen, die daraus resultieren, dass man die versprochene Kaufsache nicht weiterveräußern konnte? Wenn Sie mit Pferden handeln, können Sie Verluste erleiden, wenn die Lieferung eines Pferdes ausbleibt, das Sie gewinnbringend weiterveräußern hätten können. Weshalb sollte das Leistungsinteresse auch Ihr Gewinninteresse umfassen, obwohl doch der entgangene Gewinn allenfalls auch etwas mit der Primärleistung, ebenso aber mit der eigenen Tüchtigkeit zu tun hat?
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