Kitabı oku: «Rift», sayfa 2

Yazı tipi:

Er nickt und drückt erneut auf den Knopf und der Motor geht aus.

„Das Auto können wir gebrauchen. Komm heraus, wir müssen mal nachsehen, wie wir den Wagen frei bekommen.“

Sofort klettert er aus dem Fenster und ich hebe ihn auf den Boden.

Dabei sind mir die Äste wieder im Weg und ich fluche.

„Alles okay“, sage ich, um seiner Frage zuvorzukommen.

Wir sehen uns die Lage genauer an. Der Baum, ich glaube, es ist ein riesiger Ahorn, besteht aus vielen einzelnen Stämmen, die wirr durcheinandergewachsen sind. Ein Stamm liegt auf der hinteren Kante des Wagendaches und hat es eingedrückt. Er misst circa 25 cm im Durchmesser. Vor der Motorhaube liegt ein großer Ast, der vom Stamm abgebrochen ist.

Ich zerre vergeblich daran. Er ist an der Bruchstelle noch mit dem Stamm verbunden. Mit dem Hammer kann ich nichts ausrichten und missbrauche den Schraubenzieher als Meißel. Gemeinsam mit Ben versuche ich, den Ast von der Spitze her wegzuziehen. Wir schaffen es zur Hälfte und geben auf.

„Wir müssen zuerst den äh …“ Was heißt Baumstamm? „Das da anheben, damit der Wagen freikommt.“ Ich zeige auf den Stamm.

„Trunk – tree trunk“, verbessert mich Ben. „Vielen Dank“, erwidere ich übertrieben.

„Gern geschehen“, antwortet er lächelnd.

Ich schaue nach oben. Die Sonne steht bereits sehr tief.

„Das schaffen wir heute nicht mehr. Ich habe Hunger, Durst und muss mir etwas ausdenken.“

Er reibt sich den Bauch, um mir zu zeigen, dass es ihm ähnlich geht.

„Wir können die restlichen Sachen auf die Rückbank packen“, sage ich und zeige auf die Taschen, die wir zusammengetragen haben.

Nachdem die Arbeit erledigt ist, gehen wir zurück in unsere Unterkunft. Schon wieder nasse Schuhe.

Ben zeigt mir, was wir essen können, und ich beschließe: „Ab sofort bist du der Koch.“

Er zieht die Stirn kraus und deutet auf sich. „Oh no, ich kann nicht kochen.“

„Aber du kennst die Lebensmittel. Ich nicht.“

Er wiegt den Kopf hin und her.

„Du möchtest bestimmt nicht meine Experimente essen.“

Er lächelt wieder. „Überzeugt“, gibt er zurück.

Nach unserem Abendmahl aus süßen Cornflakes bereite ich hinter dem Haus eine Toilette vor und zeige sie Ben. Den Abend verbringen wir schweigend vor dem Haus. Ich schaue auf das Meer, stehe auf und gehe zum Ufer. Irgendetwas stimmt hier nicht. Die Wasseroberfläche ist unnatürlich glatt. Bäume und Reste von Häusern ragen heraus.

„Hier war vorher kein Wasser.“ Ben steht hinter mir und starrt auf das Ufer.

„Sondern?“, frage ich zurück.

„Die Straße führt in die Stadt.“

„Stadt?“, hake ich perplex nach.

„Clermont“, antwortet Ben.

Davon ist absolut nichts zu sehen.

Ben schaut auf das Wasser, als fürchte er, etwas Ungeheuerliches könne daraus auftauchen. Ich knie mich hin und strecke die Hand hinein. Es ist kalt. Zu kalt. So flach, wie das Wasser hier ist, sollte es wärmer sein. Ich lecke einen nassen Finger ab und schmecke Salz.

„Das ist Salzwasser. Vom Meer oder Ozean“, stelle ich fest.

Jetzt erst fällt mir auf, dass es keine Wellen gibt. Schwimmende Äste, Bretter und andere Trümmer bewegen sich ungewohnt schnell in einiger Entfernung vorbei. Wie ein Fluss. Die Strömung muss extrem stark sein. Woher kommt sie? Und wohin fließt der Müll? Ich kehre zu Ben zurück.

„Hier gehen wir besser nicht schwimmen. Zu gefährlich.“

Wir setzen uns vor das Haus, nachdem ich eine Flasche Wasser und Limonade für uns herausgeholt habe. Schweigend sitzen wir hier, während hinter uns die Sonne immer tiefer sinkt.

„Wir gehen besser ins Haus, solange wir noch etwas sehen können.“

Ich bedeute Ben, sich auf die Decke zu legen. Anschließend decke ich ihn mit der anderen Hälfte zu.

„Und du?“, fragt er.

„Ich habe die Jacke“, sage ich und lehne mich gegen die Wand. Mein Jackett ist inzwischen trocken und muss für die Nacht reichen.

„Bleibst du bei mir?“, fragt Ben plötzlich.

Er hat offenbar Angst, allein gelassen zu werden. Verständlich. Mir geht es ähnlich. Ich bin froh über seine Gesellschaft.

„Sicher“, antworte ich und weiß gleichzeitig, dass das nicht reicht, um ihn zu beruhigen. Wir wissen nichts voneinander und ich möchte sein Vertrauen gewinnen.

„Schau mal“, sage ich, „ich kann das hier nicht ohne dich schaffen, du kennst dich hier aus. Und du brauchst mich ebenfalls.“ Er nickt.

Ich strecke ihm meine Hand entgegen. „Partner?“

„Partner!“, erwidert er und schlägt ein.

„Ruh dich jetzt aus und versuche zu schlafen.“

Er dreht sich auf die Seite und schlägt die Decke über sich. Obwohl er mit dem Rücken zu mir liegt, merke ich, dass er noch eine ganze Weile wach bleibt. Erst später wird sein Atem gleichmäßig. Ich lege mich in den aufgeschütteten Sand.

Das war ein anstrengender Tag.

28. März

Die Fahrt

Ich wache mehrmals in der Nacht auf. Als der Morgen dämmert, gehe ich nach draußen und blicke erschreckt in den Himmel. Das ganze Firmament leuchtet rot. Wesentlich intensiver als ein Sonnenuntergang und erstreckt sich in alle Himmelsrichtungen. So etwas habe ich noch nie gesehen. Als wäre ich auf einem anderen Planeten. Unheimlich.

„Was ist das?“, höre ich Ben hinter mir fragen.

„Ich weiß es nicht. Vielleicht ist Staub in der Luft, der die Farbe reflektiert.“

Ich kann es mir nicht anders erklären. Es sieht unwirklich und beängstigend aus. Wenn tatsächlich so viele Partikel in der Luft sind, bedeutet das nichts Gutes. Vielleicht ein Vulkanausbruch? Es würde auch einen Tsunami erklären, der alles überflutet. Aber nicht den erhöhten Meeresspiegel.

„Wie hast du geschlafen?“, frage ich Ben.

„Ganz gut.“

„Wir sollten sehen, ob wir den Wagen freibekommen. Ich würde gerne von hier weg. Mit einem Auto ist das am einfachsten.“

Ich habe vor, in der zusammengefallenen Garage neben dem Haus nach weiterem Werkzeug zu suchen. Ben zögert erst, aber folgt mir dann. Gemeinsam räumen wir die Trümmer in der Garage beiseite. Da sie im Wasser liegen, geht es leichter. Ben ist nicht bei der Sache und blickt sich immer wieder um.

„Was ist?“, frage ich ihn.

„Alligatoren. Du weißt, dass es hier welche gibt?“ Erschreckt schaue ich mich um.

„Lass uns beeilen“, antworte ich beunruhigt.

Hastig durchsuchen wir die Garage. Ben findet einen Werkzeugkasten.

Darin liegen eine kleine Axt und ein Stabfeuerzeug.

„Wir gehen besser zurück“, fordere ich ihn auf. Nach Bens Bemerkung fühle ich mich im Wasser nicht mehr sicher.

Auf dem Rückweg zeige ich auf das Feuerzeug.

„Das hätten wir gestern gebrauchen können“.

„Funktioniert es?“, fragt Ben.

„Vielleicht wenn es trocken ist. So auf jeden Fall nicht.“

Am Wagen angekommen, schaue ich besorgt zurück, kann aber keine Gefahr erkennen. Dann wende ich mich Ben zu und erkläre, was ich vorhabe. Zuerst werden wir die kleineren Äste entfernen. Da hilft uns die Axt. Anschließend müssen wir den Baumstamm anheben. Das geht nur mit einem Hebel. Wir heben den Stamm mit langen Balken über ein Lager stückchenweise an. Dann schieben wir verschieden dicke Bretter nacheinander unter den Stamm.

Das ist leichter gesagt als getan. Wir benötigen den ganzen Vormittag und sind am Ende völlig erschöpft. Inzwischen hat die Färbung am Himmel nachgelassen und die Sonne scheint unbarmherzig auf uns herab. Mützen schützen uns vor einem Sonnenbrand. Ben schuftet mit seinen fast zwölf Jahren wie ein Erwachsener. Endlich können wir es wagen.

„Ich fahre den Wagen vorsichtig heraus und du gibst mir ein Zeichen, wenn etwas nicht passt“, sage ich.

„Okay.“

Ben stellt sich ein paar Meter weiter vor den Wagen, während ich umständlich hineinklettere und mich auf den Fahrersitz begebe. Ich betätige den Starter und der Motor springt ohne Probleme an. Meine Hand greift automatisch zur Mittelkonsole, aber die Automatikschaltung ist am Lenkrad angebracht. Ich trete auf die Bremse und stelle den Ganghebel auf D. Langsam gehe ich von der Bremse. Der Wagen bewegt sich tatsächlich nach vorne. Ben gibt mir beide Daumen hoch und winkt mich zu sich. Ich fahre vorsichtig unter der Baumkrone hervor. Gerade noch rechtzeitig schaffe ich es hindurch, als hinter mir unsere Konstruktion zusammenbricht. Ben springt freudig in die Luft und kommt zu mir gelaufen.

„Gut gemacht“, lobt er mich.

„Das haben wir gemeinsam geschafft“, entgegne ich.

Ich öffne die Motorhaube und steige aus. Bevor wir losfahren, sollten wir wissen, ob alles funktioniert. Wir prüfen gemeinsam Licht, Öl, Wasser. Der Tank ist zu drei Vierteln gefüllt. Ich bin überrascht über den Zustand des Wagens.

Jetzt wo er frei ist, machen wir ihn reisetauglich. Die Türen sind verzogen und lassen sich nur schwer bewegen. Die Fahrertür binde ich mit einem Strick am Türholm fest, damit sie nicht immer wieder aufgeht. Bis zum Abend haben wir all unseren Proviant sowie die Gegenstände und Werkzeuge auf der Ladefläche des Pick-ups verstaut. Mit der gefundenen Plane decken wir die Sachen ab. Somit ist alles vor Regen geschützt. Zum Schluss wandert mein Blick noch einmal in Richtung des Mietwagens.

Ich nehme die kleine Axt und gehe zum Kofferraum. Nach einer Viertelstunde gebe ich den Versuch auf, an den Inhalt gelangen zu wollen.

„Entschuldige, ich musste es probieren“, sage ich zu Ben, der mir skeptisch zusieht.

Wir wollen den Ort verlassen, doch welcher Weg ist der richtige? Es gibt nur zwei Möglichkeiten. Die trockene Straße mit den umgefallenen Strommasten oder die überflutete an der Garage vorbei.

„Ich würde diesen Weg vorschlagen, der ist wenigstens trocken“, sage ich. „Wir sollten dafür aber die - äh - Hindernisse aus dem Weg räumen.“

Ich bemerke sein Lächeln.

„Du kannst mich ruhig verbessern, wenn ich etwas Falsches sage.“

„Mach ich“, erwidert er.

Gemeinsam räumen wir den Weg von dem vorhandenen Schutt frei. So können wir in weitem Abstand die abgebrochene Straßenkante passieren. Wir steigen in den Wagen und ich starte den Motor. Dann fahren wir vorsichtig über die freigeräumte Fläche an der Kante und den Strommasten vorbei. Zweihundert Meter weiter biegt die Straße nach links ab. Ein riesiger Berg aus Sand, Schutt, Trümmern und Bäumen türmt sich vor uns auf und versperrt den Weg. Auf der rechten Seite steigt der Boden an und wir können nicht darüber hinwegsehen.

Ich mache den Motor aus und bedeute Ben, mit mir auf die Anhöhe zu gehen. Schweigend erreichen wir die Kuppe.

„Das glaube ich jetzt nicht“, sage ich entsetzt.

„Wasser“, ist alles, was Ben sagt.

Vor uns und hinter dem Schuttberg erstreckt sich wieder das Meer bis zum Horizont. Ich bemerke dieselbe starke Strömung, anhand der Gegenstände, die im Wasser an uns vorbeiziehen. Jenseits der Barrikade ist ebenfalls kein Weiterkommen.

„Na dann bleibt uns nur der andere Weg“, sage ich.

„Aber dort gibt es auch nur Wasser.“

Ich sehe die Angst in seinen Augen und beuge mich zu ihm hinunter.

„Wir schaffen das. Das Wasser ist dort nicht sehr hoch. Die Oberfläche ist ganz glatt. Unser Wagen kann das. Es ist der einzige Weg. Du wirst sehen, es wird alles gut.“

Sicher bin ich mir nicht, aber was sollen wir sonst machen. Er senkt den Kopf und nickt.

„Komm“, sage ich und gehe zum Wagen. Ben folgt mir. Wir wenden und kehren zum Startpunkt zurück, wo ich den Motor abschalte. Ben schaut mich fragend an.

„Es ist schon relativ spät und ich weiß nicht, wie weit das Wasser reicht. Ich würde lieber morgen früh starten, als in der Nacht irgendwo im Wasser stehenzubleiben.“

„Einverstanden. Schlafen wir wieder im Haus?“

„Ich denke, es ist besser, im Wagen zu bleiben.“ Ich muss an die Alligatoren denken und fühle mich im Wagen sicherer.

Mir fällt das Feuerzeug ein und ich frage Ben danach. Er steigt aus, kramt in den Taschen auf der Ladefläche herum und kehrt nach kurzer Zeit zurück.

„Und?“, frage ich.

Er hält das Feuerzeug hoch und probiert es mehrfach aus. Jedoch ohne Erfolg. Kein Funke – kein Feuer.

„Mist“, sage ich auf Deutsch.

„Was?“, will Ben wissen.

„Damn, sorry“, gebe ich auf Englisch zurück. Er grinst.

„Deine Sprache“, meint er, „hört sich komisch an.“ Ich lächele schief.

„Wir müssen also auch diese Nacht ohne Feuer auskommen.“ Dabei fällt mir ein, dass wir trockenes Holz für ein späteres Feuer gebrauchen können. Hinter der Wasserfläche finden wir vielleicht keines mehr. Ich erkläre Ben meine Überlegungen und wir stapeln kleinere Bretter, Pappe und Papier auf der Ladefläche.

„Jetzt sind wir vorbereitet“, sagt Ben zu mir.

„Es ist noch hell. Wenn du möchtest, kannst du draußen bleiben.“

Ich höre mich vermutlich wie sein Vater an. An seinem Blick merke ich, dass ich die falschen Worte gewählt habe. Wortlos dreht er sich um und trottet davon.

Diese Nacht hängen wir schweigend unseren Gedanken nach. Die Erinnerungen sind endlich zurück. Ich muss an meine Familie denken. Wie mag es ihnen gehen? Bestimmt haben sie zuhause von unserer Katastrophe gehört. Hoffentlich sind sie nicht ebenfalls betroffen. Ich mag gar nicht darüber nachdenken und beobachte Ben. Der Tag war anstrengend für ihn. Immerhin schläft er schnell ein. Der Junge tut mir leid. Wir haben bisher kein Wort über seine Familie verloren. Vermutlich verdrängt Ben, was mit ihnen geschehen ist. Was macht das mit ihm? Ich mag nicht weiter darüber nachdenken und lehne mich zurück und schließe die Augen. Die Vergangenheit kommt mir vor wie ein anderes Leben. Unwirklich und weit weg.

29. März

Kindergarten

Der Himmel hat wieder diese rötliche Färbung wie gestern. Ben ist schon draußen und mit irgendetwas beschäftigt.

„Guten Morgen“, begrüßt er mich und legt ein Buch auf die Rückbank. Dort befinden sich einige andere Sachen: ein Modellflugzeug, ein Football, weitere Bücher und eine Schachtel.

„Aus deinem Haus?“, frage ich ihn. Er nickt. „Aber jetzt bin ich fertig.“

„Steig ein“, fordere ich ihn auf.

Quietschend schließt er die sperrige Beifahrertür. Ich hatte gestern noch mein Smartphone herausgeholt. Jetzt hängt es am USB-Anschluss des Armaturenbretts. Ich hoffe, dass es sich darüber während der Fahrt auflädt.

„Fertig?“, frage ich Ben.

„Fertig“, antwortet er und hält mir eine Tüte hin.

Schon wieder Cornflakes. Unser Frühstück.

Der Motor springt an. Ich nehme das Telefon in die Hand und schalte es ein. Gespannt blicke ich auf das Display, bis das Logo erscheint.

„Super“, sage ich erleichtert.

„Was ist passiert?“, fragt Ben.

„Das Handy funktioniert.“

„Können wir telefonieren?“

„Einen Moment.“ Es dauert einige Sekunden, bis es hochgefahren ist. Doch wir werden enttäuscht.

„Kein Netz“, gebe ich zurück.

Keine Anrufe, kein Internet. Was funktioniert überhaupt noch? Der Kompass, die Uhr. Das Gerät hat viele weitere Sensoren, aber das hat Zeit. Ich schaue nach dem GPS. Funktioniert, aber es zeigt keine Satelliten an, also nutzlos. Ich bin versucht, weiter auf dem Telefon nachzusehen – Bilder, Daten –, lege es aber zurück und hebe mir das für später auf. Ich bin noch nicht bereit dafür. Emotionen bringen mich jetzt nicht weiter.

„Wir können es benutzen. Es muss nur laden.“

„Gut“, sagt er.

„Wir werden jetzt diesen Weg nehmen.“ Ich zeige auf die überschwemmte Straße. „Bin gespannt, wo wir ankommen.“

„Okay.“ Ben schaut auf die Wasserfläche. „Los geht‘s.“

Typisch amerikanisch. Alles Optimisten.

Langsam fahren wir an der Garage vorbei auf die Straße. Das Wasser ist nicht tief. Jedoch müssen wir darauf achten, in Bewegung zu bleiben. Sonst besteht die Gefahr, dass wir uns festfahren. Gleichzeitig habe ich Angst, Löcher oder Hindernisse zu übersehen, die sich unterhalb der Wasseroberfläche befinden. Ich gebe Ben zu verstehen, dass er ebenfalls darauf achten soll.

Wir umfahren den im Wasser liegenden Müll. Manche Äste an den Bäumen hängen so tief, dass wir nicht darunter herfahren können. Die Straße steigt minimal an, wodurch der Straßenbelag jetzt besser zu erkennen ist. Rechts und links wird die Straße in regelmäßigen Abständen von Bäumen begleitet. Wenige zerstörte Häuser liegen weiter zurück. Verunsichert von der Zerstörung setzen wir unseren Weg fort.

Vor uns biegt die Straße nach links ab. Die Bäume werden dichter und größer und wir können nicht mehr hindurchblicken. Gegenstände, Teile von Fassaden und Dächern, umgestürzte Bäume liegen verstreut auf dem Boden. Immer wieder umfahren wir liegengebliebene Autos. Hier muss eine gewaltige Menge Wasser durchgekommen sein.

Wir fahren mit Schrittgeschwindigkeit. Die Angst, steckenzubleiben, steht mir sicher ins Gesicht geschrieben. Keiner von uns spricht ein Wort. Es ist beklemmend.

Durch den flachen Winkel spiegelt sich der Himmel auf der Wasseroberfläche, so dass ich den Grund nicht erkennen kann. Aber Ben macht mich in regelmäßigen Abständen auf Hindernisse oder Unebenheiten aufmerksam. Seine Fähigkeit, diese Dinge rechtzeitig zu erblicken, versetzt mich in Erstaunen.

In den Ästen hängen überall die Rückstände der Zivilisation. Zum ersten Mal wird mir bewusst, dass wir noch keine Tiere gesehen oder gehört haben. Kein Zwitschern, kein Zetern. Der Motor ist das einzige Geräusch in dieser absurden Welt.

Wo sind die ganzen Menschen hin? Wenn es keine Überlebenden gibt, müssten wir doch mindestens einige Leichen finden. Warum sind wir beide allein?

Ich konzentriere mich wieder auf unsere Fahrt. Hier verlaufen die Straßen absolut geradlinig. Es ist schwer zu sagen, wie viele Kilometer oder Meilen wir schon hinter uns gebracht haben.

Da macht Ben mich auf eine Einfahrt auf der rechten Seite aufmerksam.

„Elementary School“, sagt er.

Ich denke, das ist eine Art Grundschule. Es ist das erste Gebäude, an dem wir vorbeikommen, das relativ unbeschadet aussieht. Die Einfahrt steigt leicht an und erhebt sich aus der Wasserfläche.

„Sollen wir …?“ Ich deute auf das Haus. Ben zieht unsicher die Schultern hoch.

„Kennst du die Schule?“

Er nickt stumm, ohne den Blick von dem Gebäude zu wenden. Es ist ein einstöckiges Haus mit grauer Fassade und weißen Fensterrahmen. Das Dach ist mit grünen Dachpfannen gedeckt. Ich habe kein gutes Gefühl, weiß aber nicht warum.

„Wir müssen es versuchen. Vielleicht finden wir eine Erklärung oder einen Hinweis auf das, was passiert ist.“

Ben widerspricht nicht. Langsam biege ich in die Einfahrt, die zu beiden Seiten von dicken, dunkeln Holzbalken begrenzt wird.

Am Eingang angekommen bleiben wir erst einmal im Wagen sitzen und beobachten die Umgebung. Ich nehme die Axt von der Rückbank.

Ben schaut auf die Axt und anschließend zu mir. Ich weiß nicht, was ich sagen soll und mache eine entschuldigende Geste. Obwohl die Axt nichts nützt, fühle ich mich mit ihr in meiner Hand sicherer.

„Möchtest du im Auto bleiben?“, frage ich, löse den Strick an der Tür und steige aus.

Ben schüttelt den Kopf und steigt ebenfalls aus. Seite an Seite nähern wir uns dem Eingang. Eine Hälfte der Flügeltür wurde aus den Angeln gehoben, die andere steht weit offen. Wir treten ein. Vor uns lese ich auf einem Schild „Main reception“. Daran vorbei führt ein kurzer Gang weiter geradeaus. Nach links und rechts erstreckt sich ein Gang durch das ganze Gebäude. Die Spuren auf dem Fußboden zeigen, dass hier ebenfalls Wasser durchgeflossen ist. Rückstände von Schlamm und Treibgut verteilen sich auf der Fläche. Von diesem Gang geht es in die Klassenräume. Was könnte uns weiterhelfen?

„Gibt es hier eine Küche?“, frage ich Ben.

Er nickt und deutet auf den Gang vor uns. Er ist wieder wortkarg und macht keine Anstalten, in diese Richtung zu gehen. Erinnerungen können lähmen.

Ich atme einmal tief durch und setze mich in Bewegung. „Komm!“, sage ich zu Ben.

Auf der rechten Seite geht es zu verschiedenen administrativen Räumen. So interpretiere ich die Beschilderung jedenfalls. Auf der linken Seite befinden sich die Toiletten für Jungen und Mädchen. Ich gehe hinein. Die Wasserhähne funktionieren. Ich probiere das Wasser mit den Fingern, es scheint brauchbar, obwohl man es nicht trinken sollte.

„Wir können die leeren Flaschen mit Wasser füllen“, sage ich zu Ben, „und es wäre auch nicht schlecht, wenn wir uns waschen.“ Wir setzen unseren Weg fort. Am Ende des Ganges führt jeweils einer nach links und nach rechts. Auch hier geht es zu weiteren Klassenräumen. Ich lese die verschiedenen Schilder: Music suite, Stage, Staff restroom, Dining & Multipurpose und Kitchen. Endlich.

Ich zeige auf das letzte Schild und Ben nickt. Ich weiß nicht, was mich erwartet, aber ich umfasse die Axt mit festem Griff. Wir kommen an eine Glastür, die zur Küche und zur Bühne führt. Sie ist tatsächlich unbeschädigt. Ich blicke durch die Tür in den dahinterliegenden Gang.

Erschrocken taumele ich zurück und halte Ben mit einer Hand schützend auf Abstand.

Mein Herz schlägt mir bis zum Hals. Ich muss kreidebleich sein und aussehen, als hätte ich ein Gespenst gesehen. Ben weicht ängstlich vor mir zurück.

„Warte“, sage ich, als ich mich wieder gefasst habe. „Bleib hier stehen!“ Ich blicke erneut in den Gang. Hinter der Tür liegt jemand. Eine Frau. Sie muss schon länger hier liegen. Ihre Haare kleben wirr auf dem Gesicht. Die Haut ist verfärbt und die Kleidung vom Schlamm verschmutzt.

Ich höre einen erstickten Schrei hinter mir und fahre herum. Ben hat die Augen weit aufgerissen. Ich nehme ihn in die Arme, um ihn zu beruhigen. Seine Schultern beben. Wir verharren eine Weile in dieser Position, bis ich mich von ihm löse und vor ihm in die Hocke gehe.

„Wir mussten irgendwann so etwas sehen.“

Ich wünschte, ich könnte es ihm schonender beibringen und hoffe, er versteht, was ich meine. Die Frau hat vor ihrem Tod anscheinend die Glastür blockiert. In dem kurzen Gang hinter ihr weisen Schilder links zu einer Bühne und rechts zur Küche. Diese Tür ist mit einem Schrank versperrt. Was wollte sie hier? Warum hat sie sich nicht in einen der Räume zurückgezogen oder hat das Weite gesucht? Ist sie die Einzige? Sind die anderen alle geflüchtet?

Die Tür ist versperrt. Ich nehme die Axt und zerschlage das Glas, um die Tür von innen zu öffnen.

„Komm“, sage ich wieder zu Ben.

„Müssen wir dort hinein?“

Er macht keine Anstalten, mir zu folgen.

„Ich kann allein gehen. Bleib dort stehen. Ich versuche, in die Küche zu gelangen.“

Der Schrank versperrt mir den Weg und ich schiebe ihn mühsam beiseite. Die dahinterliegende Tür wurde offensichtlich mit Decken abgedichtet. Warum? Ich nehme die dünnen Decken und bringe sie zu Ben.

„Die können wir gut gebrauchen“, bemerkte ich und gehe zurück. Die Küchentür lässt sich nun leicht öffnen.

Ich brauche einige Sekunden, um das Bild zu begreifen, das sich mir bietet. Ich hatte mit allem gerechnet, aber nicht mit Kindern.

In einer Ecke des Raumes sitzen sieben Kinder. Vielleicht sechs bis acht Jahre alt. Zwei Jungen und fünf Mädchen. Mit großen Augen schauen sie mich an und klammern sich aneinander. Auf dem Boden liegen verschiedene aufgerissene Packungen von Lebensmitteln. Getränkeflaschen und Tetra Paks stehen auf dem Tisch. Bis auf den Kühlschrank haben sie alle Schranktüren geöffnet. Die Kinder starren mich an. Es stinkt fürchterlich. Das Erste, was mir jetzt einfällt, ist: „Don’t panic.“

„Ben!“, rufe ich laut. „Komm her! Schnell!“

Ich drehe mich, um nach ihm zu schauen, aber er steht schon hinter mir und kann offenbar nicht glauben, was er sieht. Die Kinder fangen an zu weinen.

„Kannst du das übernehmen?“, sage ich zu Ben, „Das kann ich nicht. Nicht mit meinem schlechten Englisch.“

„Was soll ich denn sagen?“

„Du musst sie beruhigen und ihnen versichern, dass ihnen nichts geschieht. Anschließend müssen wir sie hier herausbringen.“

Ben geht auf die Kinder zu und redet beruhigend auf sie ein. Der Junge ist bemerkenswert. Ich frage mich, wie er das alles bewältigt. Aber er macht es einfach.

Er hilft einem nach dem anderen auf und will sie zur Tür führen, da fahre ich herum und rufe: „Stopp!“

Erschrocken bleiben alle stehen.

„Ich muss erst aufräumen“, sage ich zu Ben.

Die Frau im Gang hätte ich beinahe vergessen. Wir dürfen die Kinder nicht daran vorbeiführen.

„Wartet kurz hier.“

Ich eile in den Gang und lege die Axt auf den Boden. An der gegenüberliegenden Wand führt eine Tür zu der Bühne.

Mühsam zerre ich die Leiche hinter diese Tür. Mir wird dabei übel und ich muss einige Male schlucken.

„Tief einatmen“, sage ich zu mir. „Das ist nur der Sauerstoffmangel.“

Ich gehe zurück und fordere alle auf, die Küche zu verlassen.

„Bring sie zu den Waschräumen. Sie müssen sich erst einmal sauber machen. Halte sie auf jeden Fall von hier fern. Ich schau mich um und komme zu dir, wenn ich fertig bin.“

Er nickt und führt die Kinder in die Waschräume.

Ich durchsuche die Schränke in der Küche und finde weitere Lebensmittel und Getränke, zwei Kartons mit Milch in kleinen Tetra Paks und Besteck. Im Personalraum sind Sanitärartikel für die Waschräume, eine Schaufel, ein Besen. Ich durchsuche weitere Räume, bin immer auf das Schlimmste gefasst, finde aber keine weiteren Überlebenden – oder Leichen. Dafür Jacken, Hosen, Shirts, alles für die Kleinen. Vielleicht ist auch etwas für Ben dabei. Ich sammele es zusammen und trage es nacheinander zum Waschraum. Inzwischen hat sich Ben um die Kinder gekümmert und sie mit den gefundenen Sachen mehr oder weniger passend eingekleidet. Sie warten bereits am Haupteingang. Was machen wir jetzt mit ihnen? Wir können sie nicht hier zurücklassen.

„Wissen sie, was passiert ist?“, frage ich Ben.

„Sie können sich ebenfalls nicht erinnern. Ich habe ihnen gesagt, dass sie keine Angst zu haben brauchen.“ Er macht eine Pause.

„Und was noch?“, hake ich nach.

Er schaut auf seine Füße und meint: „Und dass du komisch sprichst, aber sonst in Ordnung bist.“

„Soso. Ich spreche also komisch!“ Der Versuch, dabei ein ernstes Gesicht zu machen, misslingt kläglich und wir müssen beide lachen. Die Kinder schauen uns an und wissen offenbar nicht, was sie von uns halten sollen.

„Du hast uns schon vorgestellt?“

„Jepp, Ben und Mister GS.“

„In Ordnung.“

Zu den Kindern gewandt sage ich: „Wir müssen euch jetzt in Sicherheit bringen. Hier ist niemand mehr.“

Sie schauen mich mit großen Augen an.

„Miss Katherine ist noch hier!“, sagt einer der Jungen.

„Wer ist Miss Katherine?“, frage ich zurück.

„Unsere Lehrerin.“

Ob das die Tote ist? Dann hat sie die Tür zur Küche versperrt. Sie hat diese Kinder gerettet und dabei ihr Leben gelassen.

„Nein, tut mir leid. Sie ist auch schon gegangen“, sage ich zu ihm.

„Erklärst du ihnen, dass sie mit uns kommen müssen?“, fordere ich Ben auf. „Sie können nicht hierbleiben.“

Das ist unfair, ich weiß. Aber ich glaube, Ben kann am ehesten ihr Vertrauen gewinnen. Ich bin zu fremd, zu merkwürdig.

„Ich gehe mich sauber machen“, sage ich und sehe, dass Ben die Gelegenheit bereits genutzt hat.

Nach ausgiebiger Wäsche fühle ich mich viel besser. Danach ziehe ich meine Kleidung durch das Wasser, um den gröbsten Schmutz zu entfernen. Reichlich nass suche ich anschließend alles zusammen. Während ich den Wagen mit den Fundsachen belade, überlege ich, wie wir die Kinder unterbringen. Fünf auf der Rückbank wird schon eng. Einer könnte auf der Mittelkonsole sitzen und einer vorne bei Ben.

Ich möchte ungern eines der Kinder auf die Ladefläche verbannen. Ich könnte ein Kind auf den Schoß nehmen. Aber das kann keine Lösung auf Dauer sein.

Über die Beifahrertür klettern sie auf die Rückbank, die beiden Jungen setzen sich Rücken an Rücken auf die Mittelkonsole. Trotz des eingedrückten Daches haben die Kinder genug Platz.

Bevor wir losfahren, frage ich einmal in die Runde: „Hat jemand Durst oder Hunger?“

Vereinzelt nicken sie. Nach und nach stimmen alle mit ein.

„Okay. Ben und ich besorgen etwas von der Ladefläche.“

In der Küche habe ich für eine Woche Wasser, Säfte, Limonaden und Milchgetränke gefunden. Außerdem Brote, diverse Aufstriche, die ich nicht kenne, und Cornflakes, zumindest sieht es für mich so aus. Sogar Nudeln sind dabei.

Nachdem alle versorgt sind, starte ich den Wagen, um ihn gleich darauf wieder auszumachen. Ich überlege.

„Was ist?“, fragt Ben.

„Ich habe etwas vergessen. Dafür brauche ich ein paar Minuten.“

Ich steige aus und nehme die Schaufel von der Ladefläche.

„Warte hier und pass auf die Kleinen auf.“

Ich verschwinde in dem Gebäude und gehe zu der Toten. Mir widerstrebt es, sie hier nicht verrotten zu lassen.

Ich suche hinter der Schule nach einer geeigneten Stelle. Dann schaffe ich sie durch einen Seiteneingang hinaus und schaufle in dem Sand vor einem Strauch eine Mulde. Nicht sehr tief, aber es reicht. Anschließend lege ich sie hinein und bedecke den leblosen Körper mit dem Sand und einigen Ästen sowie großen Steinen, die hier herumliegen. Ich fühle, dass mich jemand beobachtet, und drehe mich um. Die Kinder stehen an der Hauswand und schauen zu mir herüber.

„Ich konnte sie nicht einfach liegenlassen“, sage ich zu Ben und hocke mich vor die Kleinen. „Eure Lehrerin, Miss Katherine, hat euch beschützt und gerettet.“

„Ist sie tot?“, fragt eines der Mädchen.

„Sie ist jetzt im Himmel“, sage ich und muss schlucken, bevor ich weitersprechen kann. „Sie wird euch von dort aus beschützen.“

„Kommt, wir müssen jetzt gehen“, sagt Ben und fordert die Kleinen auf, in Richtung Pick-up zu gehen.

Ich blicke ein letztes Mal auf das provisorische Grab und folge schließlich den Kindern.

Wir fahren mit gemischten Gefühlen auf die Straße zurück. In den nächsten Minuten spricht keiner ein Wort. Jeder ist mit einer Trinkflasche, einer Verpackung oder mit sich selbst beschäftigt.

Was geht in den Köpfen der Kinder vor? Was erwarten sie von uns?

Mir wird nur langsam bewusst, dass ich jetzt die Verantwortung für die Kleinen trage. Wie soll das funktionieren? Ich weiß immer noch nicht, was passiert ist und wo wir hinfahren können. Was erwartet uns? Hört das Wasser irgendwann auf? Was geschieht, wenn wir keine Nahrung mehr finden? Wo sind nur alle Menschen hin?

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