Kitabı oku: «Tambara und das Geheimnis von Kreta», sayfa 4
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Ihre Rechnung ging nicht auf. Sie hatten gehofft, viele gemeinsame Stunden miteinander zu verbringen, doch jeder von ihnen hatte einen Auftrag der Stadt Tambara im Gepäck und es waren ernsthafte Studien, die auf ihre Bearbeitung warteten. Sie mussten das Material besorgen, vor Ort die Arbeiten verfolgen, Einheimische interviewen, brauchbare Fotos aufnehmen und im Hotelzimmer vor der Spiegelwand ihre Eindrücke sammeln, vergleichen, ordnen und katalogisieren.
Reb war fast den ganzen Tag auf den Feldern, begutachtete die neuen Anpflanzungen oder begleitete die Architekten bei der Besichtigung von Dörfern, die als neue Heimat für die umzugswilligen Städter infrage kamen. Er hatte noch keine Ahnung, wie er die Serie aufziehen sollte. Das Ganze gestaltete sich doch komplizierter, als er gedacht hatte.
Mortues wusste gar nicht, wo er anfangen sollte. Anscheinend gab es keine kranken Leute auf der Insel. Jedenfalls bekam er, wenn er jemanden fragte, was sie im Falle einer schwerwiegenden Erkrankung machen würden, immer die gleiche Antwort: „Aufs Festland fahren, in ein modernes Krankenhaus.“
Botoja hingegen hatte es leichter. Sie fand überall Motive, scannte sie mit ihrem Technikarmband ein, um dann an der Spiegelwand im Hotelzimmer Häuser, Bäume, Tiere und Trachten tragende Menschen in stark vereinfachtes Kunststoffspielzeug umzuwandeln. Manchmal tönte ein „Entzückend!“ oder „Ach, wie niedlich!“ aus ihrem Zimmer. Dann wussten die Freunde, sie hatte ein brauchbares Objekt erschaffen.
Soul war an einem toten Punkt angelangt. Sie hatte das ihr zur Verfügung gestellte Archivmaterial akribisch durchforstet, doch irgendwie hörten sich die gesichteten Musikstücke trotz der fremden Sprache alle sehr ähnlich an. Fast alle griffen auf die typischen Merkmale der modernen Massenmusik zurück: einfache Melodien, Dur-Tonleitern, eine Aneinanderreihung von Terzen von unten nach oben gespielt (stimmten fröhlich und machten wach), Texte, die zu Herzen gingen, und natürlich die Wiederholung von Silben, die aus nur zwei Buchstaben bestanden und schon beim ersten Hören mitgesungen werden konnten. Um wirklich alte Musik schien es sich hier nicht zu handeln. Die Einheimischen waren seltsam nachlässig gewesen bei der Archivierung ihres musikalischen Erbes. Wenn sie bedachte, wie sorgfältig sie mit ihren architektonischen Schätzen umgegangen waren, konnte sie daraus nur schließen, dass es sich bei diesen Stücken nicht um wirklich wertvolles Material handelte. Wurde sie hier zum Narren gehalten?
Zu allem Überfluss neigte sich der Frühling dem Ende zu. Die Temperaturen stiegen beständig, und auch wenn das Quecksilber in dem alten Röhrchen neben dem Hoteleingang noch nicht in den Bereich Sommer geklettert war, musste Soul erstaunt feststellen, dass ihr (an wohltemperierte Großstadträume gewöhnter) Körper diesen Temperaturen nicht wirklich gewachsen war. Ihr Kreislauf quälte sich bei jeder Bewegung wie eine Dampfmaschine, und die altertümlichen Klimaanlagen in den Hotelzimmern pusteten nur kalte Luft in den Raum und ließen ihren von Schweiß bedeckten Körper trotz Hitze unangenehm frösteln. Soul fragte sich, wie die Urlauber von damals diese Tortur hatten aushalten können. Erzählungen der Einheimischen zufolge war es ihre einzige oder zumindest bevorzugte Bestimmung gewesen, den ganzen Tag in der Sonne zu liegen und braun zu werden. Ein Phänomen, welches Soul Denkfalten auf die Stirn trieb. Es wunderte sie auch, dass in einem Hotelzimmer mit modernster Computertechnik noch keine adäquate Klimaanlage eingebaut worden war. Sollten die Gäste etwa vergrault werden?
„Wir sind immer gut mit den Gegebenheiten zurechtgekommen“, hatte Eléni geantwortet, als Soul sie einmal danach fragte.
So ergab es sich von selbst, dass die Freunde nach der anstrengenden Arbeit zwar gemeinsam zu Abend aßen, aber keine weiteren Pläne schmiedeten. Eigentlich war es ja auch ganz angenehm, nach der Hitze eines langen Tages auf der weinberankten Terrasse zu sitzen und auf das Meer hinauszublicken. Dieses Vergnügen der früheren Touristen zumindest konnte Soul nachvollziehen.
Heute hockten sie nach einem schmackhaften Abendessen noch ein wenig länger zusammen. Eine angenehme Kühle wehte vom Wasser zur Terrasse herüber, und das Zirpen der Zikaden, das auch hier und jetzt überall zu hören war, wirkte erstaunlich beruhigend auf ihre Gemüter.
„Ob die Natur uns so müde macht?“, fragte Botoja, als sie sich ein paar Liegestühle schnappten, um in der Dämmerung noch ein wenig am Strand zu sitzen.
„Es ist das Klima“, bestätigte Soul, „und immerhin sind wir viel auf den Beinen.“
Das leuchtete ein.
Eine Weile saßen die Freunde schweigend nebeneinander, den Wellensaum zu ihren Füßen beobachtend, dem Flüstern der Bäume lauschend, ihren eigenen Gedanken nachhängend. Irgendwann drückte Reb auf sein Technikarmband und deutete den anderen an, es ihm gleichzutun. Die Freunde gehorchten und schalteten ihre Armbänder ebenfalls aus.
„Man kann ja nie wissen“, ergänzte er laut.
„Und die Liegestühle?“, fragte Mortues.
„Unwahrscheinlich. Woher sollen sie im Voraus wissen, welchen der Blechgestelle wir uns aussuchen.“
Er schaute in die Runde.
„Also?“
„Also was?“
„Lasst uns mal sammeln, was wir bisher wissen.“
„Nichts.“
„So gut wie nichts.“
„Nichts Brauchbares.“
„Das weiß man vorher nie“, widersprach Reb.
„Ach, wir sollten einfach unsere Arbeit beenden und dann so schnell wie möglich nach Hause fliegen“, murrte Botoja.
Soul grübelte.
„Was haltet ihr von einem Jeep, der gerne zum Hotel zurückfährt, aber immer dann, wenn er in Richtung einer bestimmten Schlucht fahren soll, seinen Geist aufgibt?“
„Fernsteuerung“, meinte Reb, „sie schalten die Zündung aus.“
„Gab es denn früher so etwas schon?“, fragte Mortues.
„Früher nicht“, erklärte Reb, „aber im Zeitalter des voll automatisierten Alltags wird man ja wohl fähig sein, der modernen Technik ein neues Gewand“, er verbesserte sich, „einen alten Blechkasten überzustülpen. Sie wollen nicht, dass wir zu dieser Schlucht fahren.“
„Das ist ja grauenvoll“, stöhnte Soul, „jetzt sind wir schon in der nackten Natur und immer noch nicht allein.“
„Big brother is watching you“, ergänzte Reb.
„Kennt ihr nicht?“, fragte er, als die anderen ihn verdutzt ansahen. „War im zwanzigsten Jahrhundert ein Klassiker. Solltet ihr mal lesen.“
„Genützt hat es trotzdem nichts“, ergänzte Soul, die sehr wohl wusste, von welchem Schriftstück ihr Bruder redete.
„Im Grunde bist du nirgends vor Zuhörern sicher“, meinte Mortues. „Theoretisch könnten sich sogar in euren Bikinis Fasern zum Abhören befinden.“
Die Männer grinsten, als Soul und Botoja unbewusst an sich hinunterblickten. Denn natürlich hatten die beiden Frauen ihre Badekleidung längst gegen Jeans und T-Shirts ausgetauscht, und ihre Bikinis hingen, gewaschen und ausgewrungen, an den provisorischen Wäscheleinen auf ihren Balkonen.
„Solche Fasern sind doch längst verboten“, beruhigte Reb. „Die Stichproben sind streng und die Strafen bei Verstößen auch nicht von Pappe.“
Soul stand auf.
„Was hast du vor?“, fragte Botoja ahnungsvoll.
„Jetzt will ich’s wissen“, erwiderte sie und ging die paar Schritte bis zum Wasser.
„Hilfe“, sagte sie leise, „ich brauche Hilfe.“
Die anderen blickten sich erschrocken an.
„Lass das!“, schimpfte Botoja.
„Hilfe“, wiederholte Soul ein wenig lauter.
„Bist du verrückt? Du sollst das lassen!“
„Hilfe, Hilfe, ich brauche Hilfe!“, schrie sie laut und wedelte mit den Armen. „Hört mich denn niemand? Ich brauche Hilfe, Hilfeeeeeee!“
Sie wurde immer lauter.
Auf der Terrasse erschien ein alter Mann.
„Ist alles in Ordnung?“, rief er herüber.
„Ja, danke“, rief Soul zurück, „ich wollte nur wissen, ob mich im Hotel jemand hört!“
„Das ist nicht Ihr Ernst!“, schimpfte der Alte. „Mit so etwas treibt man keinen Schabernack, junge Dame. Wir haben Ihre Schreie bis in die Küche gehört und uns ernsthaft Sorgen gemacht. Wenn Sie das nächste Mal ein ähnlich pubertäres Bedürfnis verspüren, nehmen Sie am besten ein kaltes Bad.“
Ungehalten drehte er sich um und stapfte ins Haus zurück.
Die Freunde schwiegen betreten. Soul ließ sich auf ihren Liegestuhl fallen und hielt den Mund. Reb dachte an etwas ganz anderes. Er hätte schwören können, im Schein der Terrassenlampen das Gesicht des alten Mannes von der Spiegelwand erkannt zu haben.
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Soul wollte ein wenig abschalten und war mit dem Fahrrad zum Strand gefahren. Obwohl dieser Küstenabschnitt nur ein paar Kilometer vom Hotel entfernt lag, war hier auch heute kein Mensch zu sehen. Noch traute sich kaum einer der Gäste ohne fachmännische Begleitung in diese Wildnis. Sie selber hingegen liebte die Küste. Sie fühlte sich auf Kreta schon fast mehr zu Hause als in ihrer nüchternen Stadtwohnung in Tambara, und ein Tag ohne Natur kam ihr vor wie ein verlorener Tag. Die Sonne zeigte sich mild und versöhnlich, und die vom Meer herüberwehende leichte Brise erfrischte Geist und Körper. Soul schlenderte barfuß am Strand entlang, beobachtete das Spiel der Wellen, lief mit den Füßen durchs Wasser, spürte das Kribbeln der Schaumkronen auf ihrer Haut und fühlte, wie sich bei jedem Schritt der Sand unter ihren Füßen ein ganz klein wenig zwischen die Zehen drückte.
Mortues und Reb wollten einen Männertag einlegen und waren in Richtung Iraklion verschwunden, und Botoja glaubte, unbedingt noch einige Ideen für ihre Spielzeugreihe in den Computer eingeben zu müssen. „Krankheit der Kreativen“, nannte sie das.
Soul ging ein wenig tiefer ins Wasser und peitschte mit dem Schienbein gegen die Wellen. Vielleicht wollten die drei aber auch nur Abstand gewinnen von einer Freundin, die sie aufgrund ihres überbordenden Temperamentes wieder einmal in eine peinliche Situation gebracht hatte. Der Hilferuf gestern war wirklich mehr als unangebracht gewesen und hatte das Verhältnis zu ihren Gastgebern um einiges abgekühlt.
Aus der Ferne kam Soul ein Mann entgegen. Er war angezogen wie ein Fischer, seine bis zu den Knöcheln umgeschlagene Hose ein wenig zerknittert, das Hemd darüber bestimmt nicht ganz sauber. Ohne sie zu beachten, steuerte er auf ein Ruderboot zu, das nicht weit von ihr am Strand lag. Er schob es ins Wasser, kletterte hinein und fuhr davon. Obwohl das Holz, aus dem das Boot gezimmert war, sicher nicht leicht zu beherrschen war, schien der Fischer sich nicht sonderlich anstrengen zu müssen. Fast mühelos durchschnitt der Rumpf seines Gefährts die Wellen. Bald waren Boot und Besitzer so klein, dass sie miteinander zu verschmelzen schienen. Schließlich verschwanden sie vollends im Dunst der Ferne.
Soul ging zu der Stelle, an der sie den Liegeplatz des Bootes vermutete, und suchte nach den Spuren, die der Kiel in den Sand gepresst hatte. Solch ein Teil war doch sicherlich ziemlich schwer, und wenn schon ihre Füße Abdrücke im Sand hinterließen, wie tief müsste dann erst solch ein schweres Gerät in den Untergrund einsinken. Sie schritt das Ufer Meter für Meter ab, konnte aber keine Vertiefungen entdecken. Sollte das Meer sie bereits weggespült haben? Soul betrachtete den Küstenstreifen. So weit war das Wasser jedoch gar nicht vorgedrungen, und Ebbe und Flut, das wusste sie bereits, gab es in diesem Landstrich ja erst gar nicht. Soul ging noch ein paar Schritte weiter, suchte den ganzen Strandabschnitt ab, konnte aber auch nach intensiver Suche nichts finden, was auf den Kiel eines Bootes hingewiesen hätte. Nachdenklich begab sie sich auf den Heimweg.
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Den Frauen hatte Reb verschwiegen, dass er sich seinen Roller vom Festland hatte schicken lassen. Nur bei seinem eigenen Fahrzeug konnte er sicher sein, dass sich kein Unbefugter an ihm zu schaffen gemacht hatte. Ein streng geheimer Neutralisierungsmechanismus des Medienkonzerns schaltete bei Bedarf jedweden unerwünschten Funkkontakt ab und löschte obendrein in kurzen Abständen die gefahrenen Routen, sodass die Fahrten für Außenstehende nur schwer nachzuvollziehen waren. Vom Hafen aus hatte er sich mit Mortues auf den Weg zu dieser seltsamen Schlucht gemacht. Souls alte Karte war Gold wert, und nach einer erfrischenden Fahrt durch die kretische Landschaft standen sie nun am Felsrand und schauten in den Abgrund.
„Da kann einem schon schwindelig werden“, meinte Mortues beim Blick in die Tiefe.
„Wir müssen den Einstieg suchen“, sagte Reb. „Von dort unten sieht das bestimmt nicht mehr so bedrohlich aus.“
„Das meinst du doch nicht wirklich, oder?“
„Früher sind Massen von Touristen hier durchgewandert, dann werden wir doch wohl ein paar Meter in die Schlucht hineinlaufen können.“
„Kommt darauf an, was du mit ein paar Metern meinst.“
Die Männer stiegen wieder auf ihren Roller, und Reb lenkte die Maschine behutsam am Rande der Schlucht entlang. Er fuhr sehr vorsichtig und mit dem entsprechenden Abstand zum Abgrund, um sich und seinen Freund im Falle eines Sturzes nicht in Gefahr zu bringen. Er hatte gehofft, die gesamte Strecke bis zum Eingang auf diese Weise bewältigen zu können, doch schon nach einer kurzen Weile wurde der Boden so unwirtlich, dass sie auf die Straße zurückkehren mussten. Diese wiederum führte sie immer weiter weg von der Schlucht und schlängelte sich auch noch in gefährlichen Serpentinen an unzähligen zerklüfteten Berghängen vorbei, sodass die beiden Männer schließlich vollkommen die Orientierung verloren. Reb lenkte den Roller an den Straßenrand und stellte den Motor ab.
„Mist, so zerklüftet hatte ich mir die Landschaft gar nicht vorgestellt“, murmelte er.
„Du bist nicht in der Stadt“, flötete Mortues, während er Souls unbeugsam belehrenden Unterton imitierte.
Reb lächelte, zog zum wiederholten Male Souls Karte aus der Jackentasche und breitete sie auf dem Lenker aus.
„Könntest du nicht vielleicht doch … das Navi …?“, fragte Mortues vorsichtig.
Ein strafender Blick traf ihn, denn natürlich wusste auch Mortues, dass bei einer Anfrage an das Satellitensystem notwendigerweise der Störungsmechanismus ausgeschaltet würde und ihre Fahrt dann von jedem Anwender mit ein wenig Sachverstand verfolgt werden konnte.
„Meinst du nicht, dass wir das Ganze vielleicht ein wenig zu ernst nehmen. So wichtig sind wir doch nun wirklich nicht, als dass sich die Öffentlichkeit für uns interessiert.“
„Das kann sich schnell ändern“, entgegnete Reb, der immer noch mit seiner Karte beschäftigt war. „Wir brauchen nur auf etwas Verwertbares zu stoßen, und schon haben wir genau diese Öffentlichkeit am Hals. Und je nachdem, was wir fänden, würden sich mit Sicherheit noch ganz andere Leute für uns interessieren.“
Reb wusste selber nicht so genau, wen er mit „andere Leute“ meinte, hoffte aber auf diese Weise seinen Freund von der Notwendigkeit absoluter Geheimhaltung zu überzeugen.
„Schau, der Einstieg ist hier ganz in der Nähe.“
Mortues ließ sich überreden, und ein paar Minuten später erreichten die beiden tatsächlich die Stelle, die Reb auf der Karte ausfindig gemacht hatte. Sie stellten die Maschine im Schatten eines Olivenbaumes ab, schnappten sich ihre Rucksäcke und begaben sich an den Abstieg.
„Hast du auch dein Technikarmband abgestellt?“, vergewisserte sich Mortues, als sie nach einer zehnminütigen Kletterpartie den Grund der Schlucht erreichten.
„Deine Frage kommt ein wenig spät, findest du nicht?“, entgegnete Reb.
Mortues ging nicht darauf ein.
„Nur schade, dass wir ohne Technikarmband keine Fotos machen können“, sagte er stattdessen. „Das ist wirklich ein grandioses Schauspiel. Guck dir diese Felsformation an.“
Während sein Blick die majestätische Steilwand hinaufglitt, legte er den Kopf in den Nacken und musste sich ein wenig nach hinten beugen, um hoch über ihm den Rand der Schlucht auszumachen.
„Mein lieber Junge“, erwiderte Reb, „du vergisst, dass ich Journalist bin und mir Möglichkeiten zur Verfügung stehen, die dem Normalbürger auf ewig verschlossen bleiben.“
„Wie meinst du das? Hast du ein Technikarmband ohne Anbindung an das öffentliche Netz? So etwas gibt es doch heutzutage gar nicht mehr.“
„Ich habe etwas viel Besseres.“
Besser als ein Technikarmband?“
„Besser als ein Technikarmband ohne Netzanbindung.“
„Komm, nun sag schon …“
„Meine Sonnenbrille.“
Reb schob das Designermodell über die Stirn auf seinen dunkelblonden Haarschopf.
„Extra für mich angefertigt, nur für Bilder und als Aufnahmegerät zu verwenden, ohne Anbindung an die übrige technische Welt.“
„Fantastisch“, freute sich Mortues, „komm, schieß ein Foto von mir, so wie es die Touristen früher gemacht haben.“
Er suchte sich eine Stelle inmitten des Flussbettes aus und stellte sich demonstrativ in Positur.
Reb ging ein paar Schritte zurück, setzte seine Brille wieder auf die Nase, betrachtete Mortues eingehend, bestätigte die fotogene Haltung des Freundes mit einem „Okay“ und schickte sich an, die Wanderung fortzusetzen.
„He, willst du nicht auf den Auslöser drücken?“, protestierte sein Freund.
„Habe ich bereits, der Sprachbefehl heißt ‚Okay‘. Man kann auch auf den Bügel drücken, das sieht dann so aus, als würde man die Brille zurechtrücken. Die Bilder dokumentieren so ziemlich genau das, was du durch die Gläser siehst.“
„Beeindruckend“, gab Mortues zu, „aber hältst du das Auslösewort wirklich für geeignet? Überleg mal, wie oft jemand in deiner Umgebung ein ‚Okay‘ von sich gibt. Dann schießt die Brille doch jedes Mal ein Bild. Oder hast du es auf deine Stimmfrequenz eingestellt?“
„Nein, dazu war ich zu faul.“
„Aber das holst du nach.“
„Bei der nächsten Gelegenheit.“
„Okay“, schloss Mortues die Diskussion, nicht ganz überzeugt, „dann lass uns losgehen. Du musst wissen, was du tust.“
Reb blickte durch die Brille. Sie hatte gerade die Steine zu seinen Füßen fotografiert.
Die beiden Männer schritten zügig voran. Schon nach ein paar Hundert Metern fingen sie an zu schwitzen. Die Sonne brannte gnadenlos auf ihre Scheitel, sie setzten ihre Schirmmützen auf und zogen sie tief in die Stirn. Hatten sie anfangs noch Auffälligkeiten am Wegesrand mit einem „Ach, guck mal!“ oder „Erstaunlich!“ kommentiert, verstummten nach und nach ihre Gespräche. Der Weg war uneben und voller Überraschungen. Die groben, teils faustgroßen Steine ließen in dem fast ausgetrockneten Flussbett keinen festen Stand zu. Sie drehten sich, rutschten oder rollten zur Seite, wenn man auf sie trat, und ständig liefen die Freunde Gefahr, an ihnen abzugleiten oder umzuknicken. Rinnsale von Wasser, die das Flussbett durchzogen, ließen den Grund darunter verschwimmen, und selbst der grobe Sand in Ufernähe gab unter dem Gewicht der erwachsenen Männer bei jedem Schritt ein wenig nach, sodass sie höllisch aufpassen mussten, um nicht das Gleichgewicht zu verlieren. Ab und zu huschte eine Eidechse über ihren Weg, und dauernd sausten irgendwelche Insekten um sie herum, die Gott sei Dank meist keinen Gefallen an ihrer Person fanden. Mortues schlug ein paarmal mit der Hand nach einigen allzu aufdringlichen Gesellen, gab aber auch das bald auf.
Nach einer halben Stunde legten die Männer im Schatten der Felswand eine Pause ein.
Mortues wischte sich den Schweiß von der Stirn.
„Wir erkunden nicht die ganze Schlucht, nehme ich an, oder?“
„Sieht ganz so aus.“
Reb zog eine Flasche Wasser aus seinem Rucksack und trank einen Schluck.
„Was heißt, sieht so aus?“
„Na ja, wenn wir nichts finden …“
„… wandern wir weiter bis zur anderen Seite und den gleichen Weg bis zu deinem Roller wieder zurück?“, entrüstete sich Mortues.
„Einer von uns könnte alleine weitergehen und der andere die Maschine zum gegenüberliegenden Ausgang fahren“, überlegte Reb.
„Und wer, bitte schön, soll das sein? Ich werde nicht alleine durch diese Wildnis laufen, und wenn du gehst und dir unterwegs etwas zustößt, warte ich am anderen Ende vergebens auf dich.“
„Das könnte allerdings passieren.“
Er betrachtete den vor ihnen liegenden Wegabschnitt. Weit konnten die Männer nicht sehen, weil die Schlucht an dieser Stelle eine Biegung machte und den Blick hinter die Kurve verwehrte.
„Es sieht sowieso so aus, als würde uns in den nächsten Stunden nichts anderes erwarten als das, was wir bereits gesehen haben“, ergänzte er und blickte auf die dicken, runden Steine zu seinen Füßen.
„Siehst du, jetzt wirst du vernünftig“, erwiderte Mortues erleichtert.
Reb überlegte.
„Wir könnten auch mit dem Motorrad zur anderen Seite fahren und von dort ein Stück in die Schlucht hineinlaufen.“
„Das hört sich schon besser an.“
Mortues sprang erleichtert auf.
„Okay, dann lass uns zurückgehen, bevor du es dir anders überlegst.“
Der Rückweg erschien ihnen kürzer als die Strecke, die sie in die Schlucht hineingelaufen waren. Reb wunderte sich, wie gut sie nun schon mit den natürlichen Gegebenheiten zurechtkamen. Es bereitete ihm sogar ein wenig Vergnügen, nicht genau zu wissen, wie die Steine unter seinen Füßen beim nächsten Schritt auf sein Gewicht reagierten, und mit Genugtuung stellte er fest, dass der Mensch auch im Zeitalter von blank polierten Kunststoffböden und synthetischen Hightech-Straßen es anscheinend nicht verlernt hatte, sich auf Unebenheiten im Erdreich einzustellen.
Sie erreichten den Roller ohne Probleme und machten sich erneut auf den Weg. Während sie mit lautem Getöse über die gut ausgebaute Straße brausten, betrachtete Reb die menschenleere Landschaft, die sie umgab. Ausladende Berge, weitläufige Täler, schroffe, zerborstene Hänge, die mit Moos bewachsen waren …, wenn die Gegend auch karg und rau war, an einem hatte sie wirklich nicht gespart: an Größe und Weite, schlicht Grandiosität. Seltsam klein kam Reb sich plötzlich vor, und fast hatte er ein schlechtes Gewissen ob seines lautstarken Rollers, dessen penetrantes Getöse die andächtige Stille dieser Landschaft so brachial durchbrach.
„Als wären wir die einzigen Menschen auf dieser Erde“, rief er nach hinten zu Mortues hinüber.“
„Wie bitte?“
„Ach, nichts.“
Man verstand sich so schlecht bei dem Krach. Reb sagte nichts mehr und genoss stattdessen den Blick auf das kraftvolle Grün dieser herben Landschaft, das sich auch hier schon, bedingt durch den Mangel an Regen und die steigenden Temperaturen, in ein unattraktives Braun zu verwandeln begann.
Am anderen Ende der Schlucht erweckte ein kleines, verfallenes Häuschen ihre Aufmerksamkeit. Ein verwitterter, von Gras überwucherter Holzstamm – früher wahrscheinlich als Schlagbaum genutzt – lag auf der Erde daneben. Es sah aus, als hätten die ehemaligen Touristen hier für ihren Einlass zahlen müssen.
„Natur scheint es auch damals schon nicht umsonst gegeben zu haben“, bemerkte Mortues ironisch.
Auf der Fahrt hierher hatten sie nichts Ungewöhnliches entdecken können. Nur eine alte Hütte war ihnen aufgefallen, die aber so weit und so tief in der Schlucht stand, dass kein Mensch sie durch einen einfachen Fußmarsch hätte erreichen können. Für Geheimnisse schien sie den Männern nicht geeignet. Wer sich die Mühe machte, bis dorthin vorzudringen, würde nur einen einzigen, wohl kaum zuverlässig zu sichernden Raum vorfinden. Aber zur Vorsicht hatte Reb sie von oben mit seiner Brille fotografiert.
Nach einer weiteren Viertelstunde in der Schlucht gaben die Männer auf. Die Sonne war zu heiß, das Gelände zu uneben, sie hatten ihre Kräfte vollkommen überschätzt. Ob sie den Frauen von ihrer erfolglosen Tour berichten sollten? Zumindest müssten sie den Roller erklären. Sie entschieden sich zunächst für einen Abstecher zum Strand und gönnten ihrem erhitzten Körper ein erfrischendes Bad. Während sie sich am Ufer von der Sonne trocknen ließen, entdeckte Reb in der Ferne ein altes Ruderboot.
„Du, schau mal, das ist bestimmt noch aus Holz.“
Er stand auf, um es sich anzusehen.
„Ich finde, für heute reicht es“, brummte Mortues und lief verärgert hinter ihm her, als ihnen ein Mann entgegenkam, der auf das Boot zusteuerte.
Er war gekleidet wie ein Fischer, seine Hose ein wenig zerknittert, das Hemd darüber sah aus, als hätte es die schwerste Arbeit des Tages bereits hinter sich. Der Fischer schien sich nicht an ihnen zu stören, er stieg ohne ein Grußwort in den Kahn und ruderte davon.
„Na, freundlich ist der ja nicht gerade“, maulte Mortues. „Schieß wenigstens ein Foto von ihm.“
„Okay.“
„Noch eines.“
„Okay, okay …, okay, okay, okay.“
Sie erreichten die Stelle, an der das Boot gelegen hatte, fanden aber keinerlei Abdrücke im Sand.
„Als wäre es gar nicht da gewesen“, stellte Mortues fest.
Reb machte ein Foto von den nicht vorhandenen Spuren.
Ücretsiz ön izlemeyi tamamladınız.