Kitabı oku: «Der sündige Kurs der "TINA-THERESA"», sayfa 2

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„Ja, ja", sagte Tina patzig.

Sie holte den Mercedes aus der Garage und dachte, wenn der Alte doch bloß erst wieder zur See fahren wollte, bin doch froh, dass das Schiff fertig ist. In Pantoffeln stieg F. F. in seinen Mercedes. Es schneite. Die Straße, noch ungepflügt von Menschen und Autos, sah aus, als würde sie nie enden. Weiß man überhaupt, wo Straßen enden? Wilde ungeordnete Schneesturmwirbel tanzten vor den Scheinwerfern, verwischten Licht und Weg.

Der Schneesturm bandagiert eisig den Wagen, verbindet, blindet die Scheinwerfer.

Tina fährt gut, sie hat ihre Ruhe wieder und ihre Gedanken. Mit ihrem Vater unterhält sie sich nicht, jedenfalls nicht gern, ist froh, dass er sie beim Fahren nicht anspricht. Ist doch immer das gleiche, Schiff und Schiff und Geld und Geld. Wie sinnlos ist doch das Leben ihrer Eltern.

Wie verrückt sinnlos. Sie wüsste nicht, dass ihre Eltern einmal richtig Urlaub gemacht hätten, so ganz ungezwungen, so ganz für sich, so ganz an Land. Immer an Bord, und dort arbeitete ihre Mutter auch noch, schrubbte die Gänge und Kammern, wusch Kojen‑ und Fenstergardinen, putzte die Bullaugen oder kochte, so der Koch wieder mal besoffen war. Wo ist da der Segen der Arbeit, wo ist da Verdienst?

Nee, die Alten konnten nicht über ihren eigenen Schatten springen, wollten sie wohl auch nicht. Das alles könnte mir nicht passieren, ich heirate keinen Eigner, keinen Kapitän und keinen Steuermann. Sie kam mit ihren Gedanken schon dahin, wo die Töchter der Bauern schon längst sind, nur keinen Bauern heiraten.

Tina fährt gut! Der Schneesturm, das Schneetreiben halten einen Friedrich Faller nicht auf, sein Wille drängt nach vorne, nach Bremerhaven, sein Wille will an Bord. Da spielen Hosenträger und Pantoffeln keine Rolle, sind nur Nebenerscheinungen, müssen aber auch sein.

Was das wohl für Leute sind, die neuen, da bin ich ja mal gespannt. Ja, Friedrich Faller, die Zeiten der Leibeigenschaft in der Küstenschifffahrt, die sind ja nun wohl vorbei, schade nicht?

Wenn ich man noch einen Moses kriege, einen Decksjungen, kann ich schon zufrieden sein. Na, habe auf dem Heuerstall ja ganz gut was durchgeschoben, damit sie mir anständige Leute schicken, leben und leben lassen. Werde den Boss zur Probefahrt einladen, das zahlt sich immer aus. So ein Moses ist auch billig. Verstehe gar nicht, dass die Jungens nicht mehr zur See fahren wollen. So ein Moses ist mir auch lieber, ein deutscher Moses, als diese Spanier, Türken oder Griechen, verdienen dicke Heuer und sind an Bord doch nur Statisten.

Junge, Junge, wo ist unsere Seefahrt hingekommen?

Friedrich Faller, da wagst du noch zu fragen? Hast du schon einmal darüber nachgedacht, dass auch du einen Teil Schuld trägst? Jawohl. Hättet ihr Eigner, ihr Reeder den deutschen Matrosen anständig bezahlt, hättet ihr sie so bezahlt, wie ihr heute die Ausländer notgedrungen bezahlen müsst, wäre Euch ein deutscher Stamm an ausgebildeten Seeleuten erhalten geblieben. Jetzt ist es wohl zu spät. Richtige deutsche Seeleute, wo sind die eigentlich? F. F. dachte sich in Zorn hinein. Und die noch da sind, das Grausen könnte man kriegen, Haare so lang, dass sie sie beim Scheißen anheben müssen. Ja, ja, keine Haare am Sack, aber auf dem Kopf Ringellocken. Fehlt nur noch, dass die Brüder sich einen Föhn mit an Bord bringen. Böse Zeiten sind das. Tonband, Radio, Fotoapparat, das ist so die übliche Ausrüstung heute. Und Ölzeug, Arbeitszeug, wo ist das? Statt Ölzeug haben die Brüder Niveacreme. Da findet sich von ihren Vorgängern immer noch eine alte Hose, ein Hemd, ein paar ausgetretene Schuhe oder Latschen vor. Nee, nee, Zeiten sind das. Bin auch gespannt auf die beiden Maschinisten und den zweiten Steuermann; was das wohl wieder für Athleten sind. Sicher in der Gewerkschaft, die Maschinisten bestimmt. Sind schon immer aufsässige Kadetten gewesen. Maschinisten haben wir früher gar nicht gebraucht auf den kleinen Schiffen, das haben wir von Deck doch alles selber gemacht, das mit der Maschine und so. Sind verdammt unnütze Fresser an Bord, diese Maschinisten. Bestehen auf tariflicher Bezahlung, wollen Bettwäsche und Freizeit. Kinners, wo sind wir bloß hingekommen. Schuld haben ja nur die Gewerkschaften, die machen uns Eigner und Reeder das Leben schwer. Hoffentlich ist der Koch einigermaßen, kochen braucht er ja nicht besonders zu können, Hauptsache, er ist sparsam. Nun fahre ich schon einen Vollkoch (kein Moses will ja mehr kochen), dann soll er auch was leisten. Tausend Mark im Monat sind ja schließlich kein Pappenstiel. Früher da kochte der Moses so zwischendurch und dann arbeitete er wieder an Deck. Der Steuermann guckte hin und wieder in den Topf. Erbsen, Bohnen, Kohl oder Klüten, das alles kocht von selbst, auch der fette Speck darin. Aber heute? Heute wollen sie Braten und Braten, Gemüse, sogar Nachtisch wollen sie und Nachtverpflegung. Obst, Obst! Wenn ich das schon höre, so ein Grießpudding am Sonntag tut es doch weiß Gott auch.

Auf See

DIE UHR AUF der Brücke zeigte auf zehn mitteleuropäischer Zeit. Die Nordsee ließ das kleine 400 Tonnenschiff, diesen elenden Klütenewer immer fleißig im Takte zum Nordwest in Stärke sechs bis sieben auf und nieder tanzen.

SEIT ZWEI TAGEN hatten sie schon den neuen Moses an Bord. Der war einsachtzig groß und frisch aus der Matrosenfabrik importiert.

Früher hätte man so ein Schiff, solch einen Pudel einfach einen Klütenewer genannt. Jetzt heißt das aber fein: Küstenmotorschiff. Klütenewer wäre für den Alten glatt ein Grund für eine Beleidigungsklage.

Was sich aber nicht geändert hat und sich bestimmt nicht ändern wird, ist der Rhythmus, unter dem Neptuns treueste Söhne, zu denen auch der Moses gehört, ihr Leben an Bord beginnen müssen. Er war vom ersten Tag an Leitender Küchenchef.

Der Alte und Eigner spürte seinen Magen, und da er aus der Kombüse nichts hörte und auch nichts roch, stieg er ein Deck tiefer. Kapitäne sind nun einmal besondere Menschen. Er war, wie ihn vierzig Jahre Seefahrt geformt hatten. Der Moses hing krampfhaft am Kombüsenherd, mit basedowschen Augen stierte er den Alten an. Der Moses war seekrank und das ganz gehörig. Von Essen fertig war keine Spur. „Tscha, Moses“ sagte der Alte, „seit vierzig Jahren ärgere ich mich schon, dass ich nicht Pastor geworden bin. Kennst du dat, Pastor?“

Mühselig hauchte der Moses zurück: „Jawohl, Herr Kapitän!"

Der Alte sah sich den Haufen Unglück vor sich an und sprach weiter: ,,Feint Job hat son Pastor. Süh, dann brauchte ich sonntags nur einmal von oben zu quaken und dann hätte ich Feierabend, die ganze Woche hätte ich Feierabend. Süh, und Pastor kannst du auch noch werden, am ersten Mai kannste dich umschulen lassen."

Der Moses brachte kein Wort heraus. Er stürzte zur Reling und fütterte mit dem Rest des Frühstücks die Außenbordskollegen.

„Und das will ich dir sagen“, begann der Alte von neuem, „leg dich nicht hin, Moses, und wenn dir auch die Knie zittern, die zittern dir noch oft im Leben!"

Wieder kam eine hübsche, schöne, hohe See, hob das Schiff langsam hoch und ließ es ein paar Sekunden später in ein breites Wellental fallen.

„Ich muss sterben, Herr Kapitän!“ stammelte der Moses.

„Wat?" rief der Alte, „bist du ganz und gar von allen guten Geistern ver­lassen? Sterben kannst du in deiner Freizeit, erst wird das Essen fertig ge­macht. Wenn du jetzt schon stirbst, sterben mir die Anderen vor Kohl­dampf."

Der hoffnungsvolle Nachwuchs war nur noch einsfünfzig groß.

Seine Stimme glich nur noch dem Gepiepse einer Jungfrau.

„Jawohl, Herr Kapitän!"

VERFLUCHTE GEWERKSCHAFT! Was wollen die eigentlich? Haben wir früher auch nicht gehabt. Ja, ja, die Roten sind salonfähig geworden. Sollte man sich mit anfreunden, sind vielleicht genauso zugänglich wie die Herren vom Heuerbüro.

Ja, es ist nun mal so, niemand urteilt schärfer als der Ungebildete, er kennt weder Gründe noch Gegengründe und glaubt sich immer im Recht. Siehst du, Friedrich Faller! Nun, sein Kopf ist eben nicht imstande, neue Eindrücke aufzunehmen, darum sind seine Gedanken in der Vergangen­heit, gleiten immer wieder in die alten Gleise, in die schon längst ausgefah­renen Gleise ewiger alter Geschichten. Da weint er dauernd herum, dass er und auch die anderen Eigner keinen anständigen Matrosen an Bord krie­gen. Bedenken aber gar nicht, wie sehr sie gesündigt haben.

++++19.. – TELEGRAMM: – SCHIFFSOFFIZIER H. AHLERS – GERBERSTRASSE 6 – HILDESHEIM – DIENSTANTRITT 1. FEBRUAR – BREMERHAVEN STOLTEN‑WERFT – KAPITAEN und EIGNER F. FALLER – ++++

DER ZUG ROLLTE durch die Morgendämmerung und durch den Fe­bruar. Ne knappe halbe Stunde noch bis Hannover, dann noch eine, wohl noch eine bis Bremerhaven.

Februar!

Schnee auf den Feldern und Wäldern, auf den Dächern und auf den Straßen. Es sind geweißte Tannenspitzen in der Morgenandacht.

Es ist der Mond, der fahlig mitwandert. Glitzert ein Dorf vorbei, eine Kleinstadt und es recken sich die Straßen.

Liegt die Frostplatte eines Sees.

Zuckert Gebüsch.

Kontrolle der Fahrtausweise. Wie oft wird das eigentlich gemacht?

Jetzt wird die Stadt, irgendeine Stadt durchrannt. Wer sieht schon nach ihrem Namen?

Seeleute nicht.

Die Stadt, diese, irgendeine, beginnt mit Tankwagen, Kühlwagen, Per­sonenwagen auf Abstellgleisen.

Die Stadt beginnt und endet mit verrußten Häusern, mit gähnenden Fensterlöchern, geteerten Fronten und holzbrüchigen Hinterhöfen. Gewirre von elektrischen Oberleitungen, die Schienen des Himmels.

Die Stadt beginnt mit Brücken, Über‑ und Unterführungen und endet damit auch.

Häuser. Straßen. Schornsteine. Stellwerke. Schranken. Signalmasten. Weichen und Schienen und Rangierer. Eingang und Ausgang einer Stadt, wie sie beginnt und endet.

An den Schuhkufen glühen Bogenlampen und wärmen den Schnee. Halten. Aussteigen. Einsteigen.

Männer. Frauen. Kinder und Koffer.

Kommen und winken. Fahren und winken. Tränen und Taschentücher.

Einfahrt. Halten. Abfahrt.

Ankunft und Abschied. Freude und Frohsinn.

Trauer und Tränen. Schmerz und Freude im Barometer der Seele.

EIN NEUER TAG und ein neuer Abschnitt und ein neues Schiff für den Steuermann Hermann Ahlers.

Jeder Tag bringt irgendetwas. Ist jedem überlassen, damit fertig zu werden. Hermann Ahlers.

Vielleicht vierzig Jahre im Kreuz und im Kopf.

Allein in einem Abteil erster Klasse des D 112.

Wer fährt schon im Winter an die See? Doch nur, der zur See fährt? Brüten. Hermann Ahlers. Das Telegramm.

Anzug: Rudolf Karstadt, letzter Ständer. So zerknittert wie der „Zwirn' so auch das Gesicht. Augen leicht trübe. Kann von einer durchsoffenen Nacht kommen oder einer durchhurten, so genau ist das nicht zu sehen und auch nicht zu sagen.

Gesicht wie ein zerfetztes Laken oder ein aus Flicken gestrickter Teppich. Nase, eine entfaltete, dickfleischige Blumenblüte.

Beine scheinen im Boden des Abteils gepflanzt zu sein.

Augenschlitze spalten das Gesicht. Es sind große dunkle, ja, es sind schwarze Spalten. Wenn sie aufritzen, hat man das Gefühl, sie würden weiter reißen und das Gesicht zerreißen.

Gelbgrasiges Haar.

Hände wie braunrote Steine.

Durch die Hände dieses Mannes sind die Leinen und Renner, die Springs und Tampen, Taue und Reeps und Manillas, alles Tauwerk von Seglern und Jachten und Dampfern, von Küstenschiffen, Fischloggern, Klütenewern, Passagierschiffen und „Särgen" gegangen.

Hände, rau wie eine Kartoffelreibe.

Durch die Hände dieses Mannes glitten aber auch weiße und braune und schwarze Mädchenkörper.

In den Händen lagen weiße und weiche, braune und feste, schwarze und schlabberige Frauenbrüste.

Diese Hände strichen über blonde und schwarze, brünette und graue Schamhaare, und die Finger verloren sich in enge und weite Schächte von Frauenleibern.

Durch seine gelbgrasigen Haare zogen Taifune und Hurrikans, Orkane und Stürme, Passate und Monsune, Brisen und Winde aller Sieben Weltmeere.

In seine gelbgrasigen Haare fuhren aber auch feingliedrige Frauenhände, gepflegt, manikürt und beringt, griffen die harten Hände mancher Hafenhure. Wie soll man das alles so genau wissen?

In Hermann Ahlers Augen spiegeln sich dunkle, sturmgepeitschte Wolken, sanftes stilles Geflimmer der Gestirne, dickflockiger Nebel, wilde Wogen, stechende See und such grünes, weitweites Land und Meeresferne.

Auf die breite Brust hat sich Hermann Ahlers, als er noch Schiffsjunge war, eine Viermastbark tätowieren lassen, mit vollen Segeln, versteht sich. Mit den Jahren sind die Brusthaare durch die Segel gewachsen und haben sie durchlöchert. Auch der Rumpf des Seglers ist von den Haaren nicht verschont geblieben. So geht jedes Schiff, ob Segler, Dampfer oder Küstenmotorschiff, einmal vor die Hunde und wird durchlöchert, vom Rost oder von Brusthaaren.

Alles, alles wird einmal im Leben durchlöchert, es ist bei Gott nicht immer der Rost und es sind auch nicht immer die Brusthaare. Das Leben hat stets seine Locheisen bei der Hand. Nur abwarten, das Leben weiß diese Locheisen auch gut zu gebrauchen. Und plötzlich wundert man sich, dass man durchlöchert ist. Kann manchmal verdammt schnell gehen.

Und wie man so sagt, ist Hermann Ahlers Sohn achtbarer Eltern, und, wie man so sagt, er wurde zuletzt am Hafen gesehen. Ja, ja, dort wo die Nebel steigen und die Huren kreischen.

Nun, heute steigt er wieder auf einem Küstenmotorschiff ein. Wie er das wohl aufnimmt? Nein, wie das Kümo ihn wohl aufnimmt, dass ist die Frage.

Jahre hatte er bei der Fischerei zugebracht, aber das ist schon länger her. Zwischendurch war er noch woanders. Der letzte Fischdampfer war ein Sarg. Man kann ja ruhig einmal darüber sprechen. War noch ein Kohlenschiff, einer der letzten deutschen Fischdampfer. Dieser Zossen konnte sich im Existenzkampf gegen die neuen modernen Heckfänger nicht behaupten, musste aber, weil er ja nun noch lebte, doch fahren.

Ach, die Crew erst. Seeleute und Heizer finstere Brüder, denen saßen die Faust und das Messer verdammt locker.

Brüder, die den Knast von innen besser kannten als die Kirche.

Ansonsten Kneipen, Puffs, Nutten, Schnaps, das waren Nebenerscheinungen ihres harten Lebens, des verfluchten und beschissenen.

Und die Reisen waren so mager, mager an Fisch und Heuer.

In Gedanken an den letzten Fischewer stand ihm noch das Grauen im Nacken. Bei Windstärke zehn und Eissturm, dann die Hol mit dem Fisch, das Schlachten der Fische, die fressende Kälte und das fressende Salzwasser. Rissige, blutende Hände.

Die erstarrten geschundenen Hände. Angeseilt, angebunden standen sie an Deck und schlachteten den Fisch.

Bis zum Bauchnabel in zuckenden, springenden, kalten Fischleibern. Der Alte auf der Brücke, dieses Arschloch und dieser Ziegenficker, schrie und tobte und wollte sich am liebsten selbst in den Arsch ficken, wenn sie von Deck gingen, um sich ein bisschen aufzutauen, aufzuwärmen. Sprang von der Brücke und schlug den Matrosen einen glitschigen, zwei Kilo schweren Dorsch durchs Gesicht. Hass glimmte auf, aber das war auch alles. Und was sollten sie machen? Hier gab es nur ein Gesetz, das Gesetz der Gewalt. Und hinter dem Käppen stand das Gesetz des Gesetzes. Die meisten hatten Gefängnisstrafen mit Bewährung. Ein Aufmucken, Aufrühren, sich zur Wehr setzen, der Ofen wäre aus gewesen. In Bremerhaven wartete der Knast. Obwohl der Knast manchmal besser ist als dieser verdammte Fischeimer.

Die Dorschtour wandte der Alte auch an, wenn die Fischschlächter vor Müdigkeit in die Knie gingen. Kein Erbarmen kannte das Vieh. Nee, darf man auch nicht haben mit dem asozialen Gesindel, dem Ausschuss der Menschheit, das war sein Schnack.

Hermann Ahlers begriff in diesen harten Jahren, dass es keinen Zweck hat, gegen den Alten aufzumucken, war zu der Einsicht gekommen, dass es im Leben überhaupt keinen Zweck hat, gegen was aufzumucken Gegen Menschen, Obrigkeit und auch gegen das Schicksal nicht.

Schlaf gab es auf Fischfangplätzen fast nicht. Harte und lange Stunden an Deck und daraus wurden Tage und Nächte. Zwei und wenn es hoch kam drei Stunden Freiwache darin eingebettet. Aus den nassen, vereisten Klamotten und aus den Seestiefeln kamen sie dann auch nicht raus.

Und an Bord musste er damals gehen, musste auf diesen schwarzen Eimer, diese Galeere einsteigen, kam nicht drum herum. Musste an Bord, weil er etwas vergessen wollte, in sich etwas totzuschlagen versuchte, zumindest eine Wunde heilen wollte. Musste an Bord, trotz des Messerstiches, den er noch in der Nacht von einem Fischdampferlöwen verpasst bekam.

IM „LEUCHTTURM" war Hochbetrieb und Hochstimmung. An den kahlen, hölzernen und saudreckigen Tischen saßen die Fischdampfer­leute und soffen. Saßen in Isländern und Nietenhosen und gossen die scharfen Sachen in sich hinein. Auch hier hatten sie ihre Seestiefel, die langen, nicht ausgezogen und jede Runde kostete einen Heiermann. Wei­ber hingen ihnen an den Hälsen, hockten auf ihren Knien und Schen­keln, griffen in ihre stinkenden Hosen und holten ihnen die Schwänze heraus.

Weiber ließen sie für eine Runde Schnaps „fertig" werden. Voller Hand­betrieb. Ja, ja, leicht verdiente Mäuse sind das noch, so einfach mit der Hand. Am Tischtuch abgewischt, Hand und Schwanz, so einfach ist das. Weiber soffen mit und auch aus der Flasche. Schnapsgegröle höhlte nie­mandes Nerven aus.

Musikbox nagelte alte Schnulzen und Seestiefel dröhnten den Takt. Dreck, Asche und Kippen ersetzten den Teppich. Im „Leuchtturm" gibt es keine Aschenbecher.

Rauch, Dunst, Mief, Fischgestank und Tran.

Heiße Körper, Schweiß und Weiber.

Gesichter: schnapslüstern, bettlüstern, koituslüstern.

Gejagte Gesichter.

Kotze, Pisse und Scheiße an den Wänden der Toilette.

Weiber, besoffen, stinkbesoffen, verkommen und verhurt, mit wirren, verfilzten Haaren, fleckigen und speckigen und dreckigen Pullis und Blusen. Miniröcke. Keine Strümpfe. Schiefgelatschte Schuhe. Tripper­kranke. (Och, ein Tripper beim Fischschlachten ist auch nicht zu verach­ten.)

Aber Scheiße kann man abwischen, aber einen Tripper leider nicht.

Hinter der Tonbank der Wirt, passt in jeden Gangsterfilm. Aufgedunsen, aufgeschwemmt, versoffen und besoffen. Ärmel des schmuddeligen Hemdes aufgekrempelt. Behaarte Arme, tätowiert, auf jedem Arm ein Geschlechtsakt, einmal von vorne, das andere Mal von hinten. Hat auch früher Fisch geschlachtet, der Wirt. Macht hier sein Geschäft, wenn auch kein sauberes. Säuft mit, lässt sich freihalten, staubt ab. Fischdampfer­leute sind freigiebig, mehr noch, wenn sie besoffen sind. Nun, mitsaufen muss der Wirt, muss es auch können, muss es alltäglich, Streit schlichten muss er ebenfalls und hält stets mit dem, der noch Geld hat.

So kam der Messerstich, gezielt und gestoßen auf die Brust von Hermann Ahlers. Er konnte sich gerade noch ein bisschen drehen und den Arm heben, sich decken und dann saß der Stahl in seinem rechten Unterarm. Ein Messer, mit dem auch Fisch geschlachtet wird. Nur, weil die eine Hure gesagt hatte, dass sie mit dem neuen Steuermann, der morgen seinen Dienst antreten muss, die letzte Nacht vor dem Auslaufen schlafen gehen will. Es ging der Steuermann doch mit der verschlampten Hure schlafen, trotz der blutenden Wunde im Arm.

Es musste eine Wunde verbunden werden und eine andere Wunde heilen, darauf kam es jetzt an, heilen; heilen. Seelische Wunden brennen heißer als körperliche, manchmal sind seelische Wunden unheilbar.

Viel wurde es nicht in dieser Nacht, das Weib, diese verkommene Hure, stank vor Dreck und nach der letzten Regel, auch die Wäsche und das Bett. Krampfhaft schaffte Ahlers eine Nummer, sein rechter Arm lag daneben und war verbunden. Scheiße, brannte wie Salzsäure, die Wunde.

Welche brannte denn nun, oder welche brannte heißer? Nach ein paar unruhigen Nachtstunden stand der Steuermann auf, das Hurenlager stank ihm, stieg in seinen Zwirn und ging durch die schalen Morgenstunden an Bord. Fraß den Morgen und soff die Morgenluft wie Selterwasser. Spuckte dreimal, genau dreimal auf das Pflaster, richtig zünftig, und damit war für ihn die Sache mit dem Messer, mit der Hure, geritzt, erledigt, vergessen.

Sicher, die Nacht, diese vergangene, die war wohl vergessen, aber nicht die Nacht, die immer in seinem Hirn herumgeisterte, nein, die Nacht war nicht vergessen. Das war es ja! Welcher Mann kann wohl eine Nacht vergessen, wenn er nach Hause kommt, wenn er nach Hause kommt, wenn er nach Hause kommt, immer im Kreis, wenn er nach Hause kommt. Zwei Jahre war er nicht zu Hause. Freute sich auf seine Frau, auf seine Wohnung, auf seine Möbel. Freut sich, freut sich. Dann kommt doch alles anders, so ganz anders.

SPÄT HAT ER ja geheiratet und eine junge Frau. In dem Alter sollte kein Mann mehr heiraten, vor allen Dingen ein Seemann nicht. Dann sollte er keine junge Frau heiraten, nur keine junge. Unter anderem wollen junge Frauen alles haben, wollen Möbel und Komfort, wollen Radio, Fernseher, Waschmaschine und einen Wagen. Wollen sie alles und alles haben. Müssen sie auch haben, allein darum schon, weil sie von dreißig Tagen des Monats siebenundzwanzig Tage allein sind. Brauchen einen Mann, damit der zweite Clubsessel nicht leer ist, der zweite Teller gefüllt ist, das zweite Glas ebenfalls, die Mattscheibe von zwei Augenpaaren besehen wird ‑ ‑ ‑ und die Tassen und Schüsseln, das Waschbecken, die Badewanne und das Klosett. Alles zweimal. Das braucht eine Frau, nun mal besonders eine junge Frau. Das kann ein Fischdampfersteuermann wirklich nicht wissen.

Sieh, und das hat eine Frau in siebenundzwanzig Tagen nun einmal nicht. Wenn sie es aber braucht?

Verdammt, waren die Möbel, so auf altdeutsch, teuer. Aber die mussten es ja sein. Da wollte Hermann Ahlers auch nicht dazwischen reden. Das sollte seine junge Frau entscheiden und sie verstand auch was davon und wusste was modern ist.

Bezahlen? Na, bezahlen konnten sie die Möbel ja nicht gleich, wer kann das heute wohl? Das war auch nicht nötig, die Anzahlung war da.

Verdammt, da liefen aber mit dem ganzen Scheißdreck, Waschmaschine, Fernseher, Föhn, Höhensonne und mehr und der Wagen (taubengrau in Farbe) ganz schöne Summen zusammen.

Kriegen wir, kriegen wir alles, bezahlen wir auch. Bloß nicht, sich bloß nicht vor der jungen Frau blamieren. Wird mit dem Bezahlen wohl ne Zeitlang dauern, soviel wird bei der Fischerei nun auch nicht verdient.

Aber Ahlers hatte Glück, ein Schweineglück. Traf doch da einen alten Makker wieder. Reiner Zufall. Dieser fuhr auf einem Zubringerschiff für eine Bohrinsel im Persischen Golf. Verdiente fix Flöhe. Er vermittelte Ahlers einen Job, der Makker fixte das alles. Ahlers ging für zwei Jahre nach Persien und die Flöhe hopsten. Es war ne wahre Lust. Wagen, Möbel und aller Krimskrams konnte bezahlt werden.

Feine Sache das!

Zwei Jahre wurden es nicht ganz, der Leistenbruch, kurz vor Ablauf des Kontraktes, bedeutete für den Steuermann Ahlers den Heimatschuss.

Und das war gut! War das gut? Doch für Ahlers weiteres Leben musste es wohl so gut sein!

Flugzeug große Klasse und großer Komfort.

Fernzug mittlere Klasse und mittlerer Komfort.

Bus bis Randgebiet Hildesheim kleine Klasse und kein Komfort.

Je näher ein Seemann seiner Behausung kommt, je anspruchsloser wird er. Am Rande der Stadt Hildesheim stand das kleine Haus, das sie sich vor zwei Jahren gemietet hatten. Darin sie, Ahlers junge Frau.

Bezahlt war alles, also seins, verdient im Persischen Golf. Und der Golf ist, weiß der Teufel, kein Zuckerschlecken. Verdient unter Entbehrungen, verdient unter mörderischer Sonne und in glutheißen Nächten. Verdient auf einem kleinen Schiff ohne jeglichen Komfort, ohne Klimaanlage. Das will etwas heißen. Nur das eine Ziel vor Augen, bezahlen, bezahlen, alles bezahlen, um wieder frei atmen zu können. Nur das Ziel vor Augen, dass sich seine kleine Frau wohl fühlen soll und ihre Einsamkeit nicht so schwer empfindet.

War das nun wirklich alles seins, war es das wirklich? Oh, das meinte Ahlers wohl nur, denn an allen Dingen im Leben gibt es Teilhaber, und das wusste Ahlers eben nicht. Pech für ihn. Aber in der Nacht seiner Heimkehr, in später Nacht, da wusste er es. Alle Erkenntnisse sind bitter, schmecken wie Chinintabletten ohne Wasser.

DUNKEL LAG DAS Haus an der Straße. Nein, doch nicht ganz dunkel, im Schlafzimmer brannte noch Licht, nicht hell erleuchtet, nur so ein Spalt, ein Lichtspalt ‑ aber das war schon immer so, war vor zwei Jahren schon so. Warum sollte es jetzt wohl auch anders sein? Sie schläft noch nicht, man sollte meinen, sie erwartet mich, weiß doch gar nicht dass ich komme.

Sie ist frisch, sie ist da und wird sich freuen und ist bereit. Junge, Junge, werde ich die zwei Jahre ohne Frau nachholen, wir werden aus den Betten gar nicht wieder herauskommen. Ach, schön, schön wird das. Wird große Augen machen über den persischen Schmuck, über die echten Orientbrücken, wird hopsen und springen und lachen und weinen ‑ alles vor Freude.

Es ist schwer, lange getrennt zu sein, es ist darum umso schöner, heimzukehren. Was der Abschied an Schmerz in sich trägt, das gibt die Ankunft an Freuden tausendfach wieder.

Sie hat das Licht der Nachttischlampe nicht ausgeschaltet. Entweder liest sie oder sie ist eingeschlafen. Kann passieren ist ja auch nicht so schlimm sieht man einfach nicht, übersieht man, bloß nicht so kleinlich sein. Hermann Ahlers drückte auf den Klingelknopf. Beleuchtetes Namensschild - AHLERS.

Klingeln musste er schon, Auch wenn man zwei Jahre nicht zu Hause war. Auch warten muss man können, wenn man zwei Jahre nicht zu Hause war. Muss warten, bis sich der Schlüssel im Schloss gedreht hat und die Tür geöffnet wird. Da kommt es doch wirklich auf einige Augenblicke Wartezeit nicht an. Sie scheint tatsächlich zu schlafen oder geschlafen zu haben, sonst hätte sie doch längst geöffnet. Nur das, nur das ist so komisch, dass kurz nach dem Geschrill der Glocke der Lichtspalt zwischen Rollo und Gardine verschwunden war. Komisch. Seltsam.

Komisch ist auch, dass man nochmals klingeln muss. Wo gibt es denn so was? Und wie so hässlich sind doch solche Töne nachts, wie scheißhässlich.

Und wenn man nun noch mal klingelt, noch mal auf den weißen Knopf drückt und den beleuchteten AHLERS anstarrt. Das Recht hat man ja schließlich nach zweijähriger Abwesenheit, zu verlangen, dass sich etwas rührt. Bis sich etwas rührt, wird man ja unruhig, oder? Zumal man weiß, dass jemand im Hause ist, dass jemand lebt, weil doch der Lichtspalt gestorben ist. Der Lichtspalt ist doch Leben, wenn er jetzt auch tot ist. So ein Lichtspalt kann tatsächlich über Tod und Leben, über Sein oder Nichtsein, über Ehe oder Trennung, über alt oder jung entscheiden.

Ein Lichtspalt kann das!

Ein Lichtspalt, ob Licht oder nicht, kann den Sinn und das Denken anrühren, anregen, verändern, das hat aber nichts mit dem Persischen Golf zu tun, beileibe nicht.

Ein gewesener Lichtspalt kann bewirken, dass man ruft: „Gisela, Gisela, mach doch auf, ich bin es, Hermann!"

Weiter kann ein gestorbener Lichtspalt Anlass dafür sein, dass man mit der Faust und dann mit dem Fuß gegen die Haustür schlägt, trommelt, tritt und ballert.

Jawohl, was so ein toter, eben gestorbener Lichtspalt nicht alles in Gang in Bewegung bringen kann, man muss sich wundern und man sollte es gar nicht glauben. Sorge. Angst. Wut. Misstrauen.

Ja, und dann stand der Steuermann Ahlers, mit Vornamen Hermann, in seinem Schlafzimmer.

Kaukasischer Nussbaum.

Hermann Ahlers war nicht allein, denn seine Frau, die Gisela, war auch da ‑ und noch ein Mann. Gefüllt war der Raum mit drei Menschen, zwei Männern und einer Frau.

Gefüllt mit der Schlafzimmereinrichtung aus kaukasischem Nussbaum. Gefüllt mit Zigarettenrauch und Kerzenduft, mit Parfum und dem Geruch guter Seife. Kaukasischer Nussbaum.

Das Aroma eines guten Weines.

Und da war noch ein Geruch, noch ein anderer Geruch, nicht Wein, nicht Kerze, nicht Parfum, nicht Seife, nicht Zigarette, sondern Weib. Es war nicht das teuerste Nachthemd, welches da lag und noch lebte, nein, teuer war es nicht. Bei C & A gekauft, weil es beiden damals so gut gefiel. Nun gefiel es eben auch einem Dritten. Jetzt brannte auch die Nachttischlampe wieder, das Oberlicht, und sicherlich fiel der Lichtspalt wieder auf die Straße, so zwischen Rollo und Gardine. Sonst war wirklich nichts. Doch, es war doch was. Leere in Ahlers Kopf, absolute Leere, die war da. Doch war das Zimmer voll. Voller Menschen. Voller Gerüche und kaukasischem Nussbaum. „Das war nicht nur heute, Hermann", so sagte die junge Frau„, das war fast täglich und fast zwei Jahre!"

Nun, denn hatte das Nachthemd von C & A ja schon allerhand mitgemacht. Das Nachthemd, die Frau und zwei Männer, der eine, der es kaufte, der andere, der es brauchte. Des Steuermanns Kopf blieb leer, und wenn ein Kopf leer ist, kann man auch nicht sprechen. Aber er brauchte auch nicht zu sprechen, nicht zu toben, nicht zu wüten, nicht zu randalieren, keinen Totschlag zu begehen, nichts brauchte er, nichts, nichts, nichts. Er brauchte nur die Tür hinter den beiden abzuschließen, das Licht zu löschen, damit kein Lichtschein nach draußen fällt. So zwischen Rollo und Gardine.

TELEGRAMM – SCHIFFSINGENIEUR W. SIEBEL – BAHNHOFSTRASSE 21 – NIENBURH/WESER – DIENSTANTRTT 1. FEBRUAR BREMERHAVEN STOLTEN-WERFT – KAPITAEN UND EIGNER F.FALLER –

ES WAR WIE eine Sternfahrt zur Unterweserstadt Bremerhaven. Nur ein Abteil weiter, ebenfalls erster Klasse und allein, Walter Siebel. 28 Jahre alt. Beine gestreckt, Kopf am Polster. Blick in die aufdämmernde, verschneite Landschaft. Feinknochiges Gesicht. Freundlicher Mund. Frohe, fröhliche Feiertagsaugen. Und freche Firstnase. Wirbelndes Flockenspiel am Fenster. Flockenspiel auch Siebels Gedanken. Erinnerungen. Erlebnisse.

Erinnerungen ans Motorschiff „KAP RONDA“, aber keine guten Erinnerungen. Nur knapp zweieinhalb Monate her. So um Weihnachten herum. Erinnerungen an die Reederei, auch an den Kapitän dieses Schiffes, aber nicht die besten. Und es können nicht die besten sein, wenn sich jemand das „Genick" gebrochen hat. Nein, nein, seins; Walter Siebels Genick, war es nicht.