Kitabı oku: «Der sündige Kurs der "TINA-THERESA"», sayfa 3

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Weihnachten. Die Vorbereitungen, wie immer und überall. Tannen und Lametta. Kugeln und Engelshaar in den Offiziers‑ und Mannschaftsmessen. Tannen, knochenalt und nadelnd. Aber das Engelshaar überdauert Tannen, Jahre und manchmal auch Schiffe. Weihnachten, und die Tannen im Kapitänssalon, in der Offiziersmesse und in der Messe der Heizer und Matrosen nadelten. Tannen kennen keine Dienstgrade. Heute wird das Essen wohl etwas besser sein, schmackhafter. Weihnachten. Heiliger Abend. Verdammte Knauserei auf diesem Schiff. Zum Himmel stinkender Geiz vom Kapitän. Oder sollte das etwa Existenzangst sein. Frischobst und Frischmilch? Seeleute sind doch keine Säuglinge. Und wenn sie Frischobst und Milch haben wollten, sollen die Seeleute sich das gefälligst selber kaufen, denn wer Geld für Kneipen, Bars, Puffs und Nutten übrig hat, kann sich auch Obst und Milch leisten.

Hatte der Kapitän da nicht etwa recht?

Das Schiff lag in Tunis, sollte am nächsten Tag wieder auslaufen.

Das hat mit Weihnachten nichts zu tun.

War ja ein alter Kasten, die „KAP RONDA“, schrottreif, aber verdiente sein Geld noch. Maschinen, Motoren und deren Fundamente, irgendwo ausgebaut, zusammengesucht und wieder zusammengekloppt.

Hauptmotor und Hilfsdiesel hatten ihre jungen Jahre auf einem deutschen U‑Boot verbracht, waren auch schon im „Keller" (Meeresgrund) gewesen. Nudelten jetzt, nun und noch auf einem Handelsschiff dem Reeder blanke Dollars ein.

Heute, am Tage des Heiligen Abends, zog die Maschinen‑Crew Kolben.

Was soll das besagen?

Kolben kümmern sich nicht um den Heiligen Abend.

Kolben, die Tag und Nacht laufen, ob stürmische oder ruhige See, sich auf und ab bewegen, die Welle drehen, die Schraube drehen, müssen nun mal gezogen werden.

Kolben, die im „Keller" waren, bedürfen besonderer Wartung.

Ebenfalls die Laufbuchsen, Zylinderköpfe, Ventile, Kurbel‑ und Grundlager. Die Arbeit reißt auf so einem „Eimer" nicht ab. Ersatzteile gab es doch für diesen Veteranen nicht mehr. So wurde geflickt, gemurkst, geschustert, gebetet und geflucht.

Hat mit dem Heiligen Abend nichts zu tun.

Es war der letzte Heilige Abend, den der I. Ingenieur Linser auf dem deutschen Motorschiff „KAP RONDA“ verbrachte. Hat immer seine Pflicht getan, jahrelang, tut sie noch. Schluckte jeden Anranzer vom Reeder. War Prellbock zwischen oben und unten. Glatte zehn Jahre schon an Bord. In diesen zehn Jahren kannte er im Kreise seiner Familie keine Weihnachten.

Heute war wieder Weihnachten und der Reeder hatte ihm doch versprochen, dass er in diesem Jahr bestimmt nach Hause komme.

Er, der Reeder, würde seine Ablösung nach Tunis schicken. Ja, versprochen schon. Reeder versprechen viel, aber wo blieb die Ablösung?

Trotzdem war der I. Ingenieur Linser zum Fest doch zu Hause, wenn auch nicht gerade am Heiligen Abend. Das kam so:

Hilfsdiesel II gehört nach Meinung des II. Ingenieurs Siebel und der anderen unter den Dampfhammer. Hin und auf war der Hilfsdiesel II. Bei der letzten Überholung in einem türkischen Hafen wurde ein Riss in der Kurbelwelle festgestellt. Haarriss.

Linser bestellte eine Reparaturfirma.

Schweren Herzens tat er das. Die Welle wurde geröntgt und mehr Risse festgestellt. Was nun? Hier in der Türkei eine neue Welle anfertigen lassen? Oder den Diesel mit der defekten Welle weiterlaufen lassen? Das war die Frage. Dass musste Linser entscheiden, und diese Entscheidung war verdammt nicht leicht, lag jetzt auf seinen Schultern. Vor seinem Reeder musste er verantworten, dass das Schiff vierzehn Tage im Hafen liegenblieb, kein Geld verdiente und täglich noch Geld fraß. Diese Verantwortung und Entscheidung nahm ihm keiner ab, auch nicht der Kapitän, der ja wohl für alles verantwortlich ist. Siebel, so erinnerte er sich, warnte Linser, den Diesel unter diesen Umständen auf keinen Fall wieder in Betrieb zu nehmen. Entschieden weigerte sich der III. Ingenieur den Diesel überhaupt anzustellen. Linser setzte persönlich den Hilfsdiesel wieder in Betrieb und er lief auch seit dem türkischen Hafen munter weiter. Bis Deutschland würde er wohl, müsste er wohl durchhalten.

Hilfsdiesel II hielt nicht durch.

Während hier in Tunis an Bord die Weihnachtsbäume brannten und nadelten, die Besatzung zusammen saß, geschah es.

Die Kurbelwelle brach. Pleuelstangen zertrümmerten das Gehäuse. Eisenteile wirbelten, trafen den wachhabenden Ingenieur‑Assistenten und rissen ihm das halbe Gesicht weg, das linke Auge hing an einer Sehne.

Nun war der Diesel gar nicht mehr zu reparieren und das Gesicht des Ingenieur‑Assistenten ebenfalls nicht.

So flog Linser am ersten Festtag nach Deutschland, seine fristlose Entlassung, telegrafisch zugesprochen, trug er in seiner Brieftasche.

Ein Seegericht zog ihn zur Rechenschaft, aber Linser war Weihnachten bei seiner Familie und ein Ingenieur‑Assistent zeitlebens ein Krüppel.

So dachte Walter Siebel über das Weihnachtsfest auf der KAP RONDA nach.

JETZT FUHR SIEBEL einem Schiff entgegen, das noch nicht in Dienst gestellt war. Und jetzt war er I. Ingenieur.

Bis jetzt war er nur auf großer Fahrt gewesen. Küstenschifffahrt und Küstenmotorschiffe kannte er nicht. Kann ja ganz nett werden. Sollen ja ein bisschen komisch sein, diese Küstenschiffer. Eigener Adel, geizig und knauserig sollen sie auch sein. Man erzählt sich von den Küstenschiffern allerhand Geschichten.

Von seinen Eltern hatte er rasch Abschied genommen, ein Mädchen hatte er nicht, jedenfalls kein festes. Wollte er auch gar nicht. Die Welt ist groß und schön und hat auch Gärten und in den Gärten blühen Blumen. In jedem Garten blühen Blumen. Warum muss es gerade immer der Garten in Nienburg sein? Siebel war eine Frohnatur, unverbesserlicher Optimist, aufgeschlossen für alles, was das Leben so zu bieten hatte. Siebel war ein Meister in seinem Fach und fuhr gerne zur See.

Siebel konnte über sich selbst lachen, und er lachte über andere und verarschte sie auch.

Er lachte in sich hinein und dachte an Bremen.

Sie kamen aus Archangelsk, von großer Fahrt. Sie lagen in Bremen.

Überseehafen. Siebel ging nachmittags an Land. Man kann doch wohl mal seine Schwester besuchen, nicht? übrigens, Siebel hatte in aller Welt Schwestern. Nette Dinger waren das.

Manchmal waren es auch Kusinen.

Am Waller Ring bestieg Siebel die Straßenbahn Linie 3.

Mensch, war die Straßenbahn voll. Kaffeetanten, Kränzchen, ach so.

Bremen, die Stadt der alten Tanten mit ihren Kränzchen, Fast Kleinstadtluft, wie Nienburg.

Kramte zwischen Münzen aller Welt und Währungen auch noch siebzig Bundespfennige zusammen und löste sich einen Fahrschein, ohne ein Wort zu sagen. Fand auch noch einen Sitzplatz. Streckte die Beine von sich, griff in seine Jackentasche, holte eine russische Papyros heraus, (das Schiff kam doch aus Russland), kniffte sie fachgerecht, brachte sie mit russischen Streichhölzern zum Brennen und paffte. Blätterte umständlich eine PRAWDA auseinander, paffte und ließ sich von der Linie 3 ins Zentrum schaukeln.

Machorka riecht ja nun tatsächlich nicht nach Mazedonien und schon gar nicht nach Virginia, sondern stinkt wie jener Siedlerstolz aus Deutschlands traurigster Zeit. 1945 bis 1948 seligen Angedenkens.

Gehobene Augenbrauen. Unmutsfalten. Die Tanten wedelten mit den mehr oder weniger beringten Händen.

Das Rauchen in der Bremer Straßenbahn ist verboten, das konnte der „Russe" nun aber mit dem besten Willen nicht wissen. Niemand hatte das gesagt und niemand verboten. Deutsch lesen, das konnte er nicht. Prompt, als hätte er, der Schaffner, auf einen Sünder gewartet, meldete er sich auch schon von seinem „Thron"

„Eh, Sie, Sie da vorne, hier im Wagen ist das Rauchen verboten ... können Sie denn nicht lesen?"

Der „Russe" sah nicht einmal von seiner PRAWDA auf, fühlte sich in keiner Weise angesprochen. Wie konnte er auch? Las, paffte die Papyros und ließ sich von der Linie 3 weiter zur Stadt schaukeln. Aber der Schaffner müsste kein Deutscher sein, kein Bremer, kein Beamter.

Stimmengewaltiger kam es dann nun auch: „Heh junger Mann, Sie da vorne, hören Sie denn nicht? Hier im Wagen wird nicht geraucht. Ist das Rauchen verboten. Verstanden?"

Verstanden, natürlich verstanden. Welcher brave Grundgesetz‑Bürger versteht nicht, verstanden`?

Aber wenn man doch Russe ist?

Die Kaffee‑ und Kränzchentanten waren ob dieser Stimmengewalt des thronenden „Oberförsters" still wie Feldmäuse.

Auch mit den Armen fuchtelte der Schaffnerkassierer herum. Nun wurde der „Russe" durch das laute Organ und das Geschimpfe doch aufmerksam: Wer schreit da bloß so fürchterlich? Er schob sein Gesicht hinter der PRAWDA hervor, sah blauäugig auf, und zuckte nur mit den Schultern, zerdrückte die Papyros auf dem Boden und angelte sich eine neue aus der Tasche und Packung. Zündete sie an. Kettenraucher gibt es auch bei den Russen. Ihn meinte der Schaffner doch nicht, er hatte doch bezahlt. Nahm sich jetzt den Leitartikel der PRAWDA vor.

„Mein Gott", sagte eine feine alte Dame und sah sich um, „kann denn hier in der Weltstadt Bremen kein Mensch Englisch? Der Herr ist doch Ausländer, Russe glaube ich, der versteht den Schaffner doch gar nicht!"

Eine mickerige alte Jungfrau wandte sich nun an den Russen: "Do you speak english?"

„Yes", antwortete der Iwan und sah die Schachtel fragend an, wohl auch mitleidig.

"No smoking here!" lispelte sie durch ihre schlecht sitzenden Zähne.

„Oh, I'm sorry."

Zertrat sofort die Zigarette und las den Leitartikel über die verdammten Agressoren, die Amerikaner, weiter.

„Ist doch wahr", sagte die alte Dame zu ihren Kaffeeschwestern hin, „ist doch traurig, dass in einer Stadt wie Bremen, einer Hafenstadt, und Tor zur Welt, sozusagen, die Schaffner nicht das notwendigste Englisch sprechen können."

Der „Russe" faltete seine PRAWDA zusammen, sagte laut und vernehmlich: „Das meine ich aber auch!"

Und stieg aus.

DER D 112 fuhr seinem Ziel entgegen. Mit Menschen und ihren Gedanken und ihrem Gepäck.

Seeleute haben immer Gedanken. Gedanken voraus, Gedanken zurück. Seeleute müssen denken, voraus wie zurück, und sie tun es auch.

Seeleute denken schon darum, weil sie zwei Heimstätten haben, Schiff und Haus.

Sind sie an Bord, sind ihre Gedanken daheim.

Sind sie daheim, sind ihre Gedanken an Bord.

Das Fließband des Himmels befördert den Morgen.

Weißflockig fällt der Winter.

Schatten und Lichter schauern, schnellen, wachsen ineinander, magern ab, zerrinnen.

Demütig liegen zeitverschmutzte Häuser in dünnen Schneebetten, nacht­mächtig fahl sind ihre Fenster.

Menschen von zerfaserten Lichtern befranst stricheln schwungvoll die Straßen.

Hölzerne Baumglieder kreisen in silbergrünem Dunst.

Weiße Möwenblätter schwingen und kringeln.

Vergessene Laubtropfen hügeln auf schneeverzuckerter Erde.

Gleichgültige Autos gleiten vorüber, fügen sich ein in unbekannte Straßen, in trüblichtige Wege.

Bremerhaven.

Schneesahara unter weißem Himmel. Selten sieht man so viel Weiße.

Schneeweiße. Die Häuser sind geköpft, abgesockelt. Wie stille Torsos hängen ihre Rümpfe im Weiß. Vor‑ und dazwischengelegt, eingelegte Sil­houetten von Baumschädeln‑ und Armen, die der Schnee nicht verschneiden kann.

Keine Parkwagen, nur weiße Dünen.

Bremerhaven, die Stadt der Hochseefischerei und der Passagierschiffe.

Bremerhaven, ein Vorort New Yorks und breite ausladende Straßen.

Moderne Läden. Beton. Stahl. Glas.

Häfen und Werften und einen Februarhimmel aus dem es weiß flockt.

Es waren auch nur fünf Personen, die sich vor der Reisegepäckausgabe

drängten.

Seeleute haben für einander einen Blick.

Seeleute riechen ihre Art‑ und Berufsgenossen. So war es nicht verwun­derlich, dass Siebel und Ahlers ins Gespräch kamen.

„Wo gehste denn an Bord, Makker?" so fragte der Jüngere den Älteren.

„Fischdampfer?"

„Wieso Fischdampfer, kann man das sehen?" gab Ahlers brummig zurück.

„Nee, aber riechen", sagte Siebel lachend.

„Nee, diesmal nicht, junger Mann!"

„Weißt du hier in Bremerhaven Bescheid?" fragte Siebel.

„Das kommt darauf an, wohin du willst."

„Weiß du, wo die Stolten‑Werft ist?" „Ja, das weiß ich", sagte Ahlers, „dahin will ich nämlich auch."

„Bist verrückt. Auf welches Schiff denn?"

„Auf'n neues Kümo, gehört einem Eigner „TINA THERESA" heißt das Schiff." „Mensch, da geh ­ich auch an Bord. Denn können wir ja zusammen ein Taxi nehmen."

„Natürlich, können wir, wir können aber zuerst noch einen nehmen", meinte der Steuermann.

Mit ihren Koffer n gingen sie durch die Halle, über den Bahnhofsplatz und setzten sich in eine Kneipe, bestellten zwei Bier und zwei Kurze und nahmen erst einmal schweigend Maß aneinander.

Siebel fragte: „Als was steigst du denn ein?"

„Als zweiter Steuermann." „So, so, als zweiter Steuermann. Mensch, warum denn nicht als erster Steuermann? Alt genug biste doch!"

„Hab nur A 3."

„Na ja, ist ja auch ein Patent, bloß damit kannste nur nicht weiterkommen." „Will ja gar nicht weiter ‑ ‑ ‑ und du, als was steigst du denn ein?"

„Maschine, als erster Maschinist. Mein erstes Schiff als Erster."

Prost. Wohlsein. Mädchen, bring uns noch zwei Grog. Scheiß‑Kälte.

„Biste schon mal bei einem Eigner gefahren?" fragte der Ältere den Jüngeren. „Nee ‑ du?"

„Oh ja ‑ aber da war ich noch jünger, oder jung. Kann dir nur sagen, ist nicht einfach, wenn der Reeder oder Eigner selbst als Kapitän fährt.

Das musst du wissen."

„Wieso nicht einfach?" fragte Siebel.

„Wirst schon sehen. Ein verflucht eigenes und verdammt geiziges Volk, diese Eigner," und setzte grinsend hinzu, „sind knauserig, dass sie vor Geiz nicht sterben können und so lange warten, bis ihre Ehefrau auch stirbt, nur um mit einem Sarg über die Runden zu kommen. Und das will ich dir sagen, vor allen Dingen mögen sie die Schwarzen, die Maschinisten, nicht leiden, alle anderen aber auch nicht, die von großer Fahrt kommen. Maschinisten, das sind für sie Faulenzer und unnütze Fresser. Hewt wi fröher ok nicht hat, das ist so ihr Schnack. Wirst du noch erleben, Makker."

Und ob Siebel das erlebte.

„Kann ich mir vorstellen", schmunzelte Siebel, „früher, ja früher, da schien der Mond auch heller!" Nach einer Pause.

„Ach, so schlimm kann das gar nicht werden, schließlich leben wir doch im Zwanzigsten Jahrhundert."

„Du wirst Dich wundern. Ich kenne die Küstenschifffahrt, ich bin dabei groß geworden. Ich kenne die Eigner, und auch das Klavier, das sie spielen. Sie sind sich fast alle gleich, ob aus Ostfriesland, von der Elbe oder Ems, wie von der Weser, von Brake oder Barssel."

Zwei Grog kamen angedampft.

Prost, prost.

„Hermann heiße ich, Hermann Ahlers."

„Siebel, Walter."

Schön. Schön.

Und sie nahmen weiter Maß.

Der Februar riss den Schnee in Fetzen vom Himmel, webte das Laken in den Straßen immer dicker.

Pause. „Zwei Grogs."

„Da war ich auf einem Kümo, ist noch gar nicht so lange her, da brauchtest du nicht so viel Zeug. Nur zwei Anzüge, einen Arbeitsanzug und einen Schlafanzug. Der Schlafanzug blieb lange sauber, der wurde geschont; Und dann die Winden an Deck. Das sage ich dir, wenn ein Auto acht Tage unter Wasser gestanden hat, in Salzwasser meine ich, und das Auto dann wieder wunderschön trocken ist und wenn du dann dem Auto ein halbes Jahr Zeit zum Rosten lässt, dann ist es gut, dann ist es erst richtig. Wenn man dieses Auto noch mal acht Tage untertaucht, in Salzwasser, wohlgemerkt, es wieder hoch holt, in die Sonne stellt, die Motorhaube öffnet, damit die liebe Sonne nun weiter Gutes tun kann und man wiederum ein halbes Jahr wartet, dann ja, dann sieht das Auto und seine Freundin, der Motor, genauso aus, so vergammelt, verrostet, verkommen, verdreckt, verschossen, verschlissen, verschissen wie die Ladewinden dieser schwarzen Galeere.

Das war ein Schiff, sage ich dir, und davon gibt es viele. Der Kapitän und Eigner, der war so schlau, der schiss im Schlaf und wunderte sich, dass er am nächsten Morgen ein Stück höher lag. Dann erst die Verpflegung, das Letzte, sage ich dir. Nach der Devise des Reeders: De Lüt nich mästen, nur von Hafen zu Hafen am Leben erhalten. Einmal gab es zum Frühstück Brotsuppe, graue Blasen standen in der Schüssel, das Brot von innen und außen grün wie ein Ententeich, das habe ich vorher gesehen. „Von Schimmel wird Penicillin gemacht, ist gesund“, sagte der Eigner brummig, „esst man zu. Blöde Quakerei.“

Dabei hatte doch niemand etwas gesagt. Wir schmeckten nur kurz von der Suppe und ließen sie dann stehen, nur der Alte aß seinen Teller leer.

„Schmeckt gut“, sagte der Alte höhnisch und wischte sich den Bart ab. Wir konnten schlecht sagen, dass die Suppe gut schmeckte, denn wir hatten ja keine gegessen, wir waren aber auch zu feige, zu sagen, warum wir die Suppe nicht gegessen haben. Nur der Jungmann ging zum Alten und beschwerte sich. Nahm ein paar grüne Klumpen, die er aus der Suppe gefischt hatte, legte sie auf einen Aschenbecher und präsentierte sie dem Alten. Wir schlugen die Augen nieder, schämten uns. Was machte der Alte? Zerstampfte mit den Füßen Aschenbecher und Klumpen, haute dem Jungmann eine runter und jagte ihn aus der Messe. Wir hatten die Augen noch gar nicht wieder aufgeschlagen.

Ach, davon kann ich dir stundenlang erzählen, und noch ganz andere Sachen. übrigens, wieso kommst du überhaupt darauf, dass ich von einem Fischdampfer komme?" fragte der Steuermann den Maschinisten.

„Na, Mensch, das sieht man doch und das riecht man tatsächlich. Das soll keine Beleidigung sein, verstehst du? Sind doch arme Schweine, diese Fischdampferleute."

„Ja, ich habe schon alles durch, alles, ich meine, was Schiffe anbetrifft ‑ und auch sonst noch allerhand."

„Bist du verheiratet?"

„Ich war es ‑ bin geschieden. Olle ist fremdgegangen. Erzähl' ich dir später mal."

Ein Taxi fuhr sie zur Stolten‑Werft. Ein junger Mann, ganz schönes kantiges Kreuz, passierte gerade mit zwei Koffern das Werfttor.

„SEI LEISE", Sagte Petra Heise, eine füllige Sex‑Bombe zu ihrem Begleiter, „mein Junge schläft, er braucht uns nicht zu hören."

Sie schlichen sich förmlich in die Wohnung und gingen sofort ins Schlafzimmer. Die Wohnung lag in der ersten Etage eines Reihenhauses. Eine Komfortwohnung mit allen Schikanen.

Petra verdiente in der Fischindustrie Cuxhavens ganz gut Mäuse. Nahm außerdem ihren Freiern einen Hunderter ab, für eine Nacht, versteht sich. Die Freier wechselten oft. Warum sollte sie das Geld nicht nehmen, umsonst ist der Tod. Es wurde den Freiern ja schließlich auch etwas geboten: Mit dem VW bis vor die Haustür. Am nächsten Morgen, meistens war es vier Uhr, wieder zurück nach Cuxhaven. Dann der Service in der Wohnung. Badezimmer, Schlafzimmer mit französischem Bett, der Kühlschrank und die Pille, das kostet alles Geld. Petra war keine Nutte in dem Sinne, bestimmt nicht. Eine fleißige Arbeiterin im Betrieb, aber auch eine fleißige Arbeiterin im Bett. Es ist nun mal so, alle Vergnügungen müssen bezahlt werden. Petra tat nichts umsonst, wer tut das heute wohl?

Sie brachte sich einen Mann mit, wenn sie es nötig hatte (beileibe nicht das Geld), und nötig hatte sie das oft. War doch in den besten Jahren und konnte auch etwas vorzeigen. Sie konnte eigentlich immer, aber war auch so weit vernünftig, dass sie ihre Kräfte rationierte.

So war doch alles nicht überbezahlt mit dem Hunderter. Benzin, Heizung, Bettwäsche und der Kühlschrank. Gewiss, das waren nur äußere Dinge, die aber ins Geld rissen und sie selbst, sie machte es im Bett doch gut und sie machte es nackt und kannte keine Hemmungen. Im Grunde kam ihr das alles zugute, weil sie auch etwas davon hatte, denn je mehr sie sich bewegte, umso mehr bewegte sich ihr Partner auch.

Ihr Sohn Peter konnte sich über mangelnde Geschenke wirklich nicht beklagen: Tonband, Transistor, Fotoapparat, nur das Beste und Markenware. Das musste erst einmal alles verdient werden. So konnte sie sich das leisten, Wohnung und Wagen sowieso. Ihr Sohn Peter, unehelich. Den hatte sie sich vor siebzehn oder achtzehn Jahren von einem Seemann, Kapitän war er angeblich, in Cuxhaven aufgeladen. Damals bewohnte sie ein Zimmer in Cuxhaven, dürftig und kalt und die Verpflegung war auch weit unter dem Nullpunkt. Nie hat sie wieder von dem Kapitän, dem Vater ihres Sohnes, gehört, denn es war eine wilde Zeit. Sie wusste seinen Namen nicht und auch den Namen des Schiffes nicht. Nur von den drei Pfund Bohnenkaffee, davon wusste sie.

Drei Pfund Bohnenkaffee sind ja ein bisschen wenig, dafür konnte man sich seinerzeit wohl mal langlegen, auch zweimal, auch dreimal, von dem Erlös konnte man aber kein Kind großziehen. Nun ja, geschafft hat sie es aber. Sturmfreie Eigentumswohnung hat sie. Unten im Haus die alten Leute sind taub und außerdem verschwiegen.

So hat sie sich heute Nacht mit ihrem VW und dem angelachten Bettpartner durch den Schnee gequält, schlecht und recht. Denn sie hatte wieder mal Lust und anständig getrunken. Spätschicht gehabt. Dann Geburtstag einer Kollegin. Bummel durch die Stadt.

Na ja, im „Schwarzen Walfisch" kam das eben so. Was er war, spielte ja schließlich keine Rolle und wie er war, das würde sie morgen früh sagen können. Vorerst war die Hauptsache, dass er ihr auf Anhieb gefiel.

Der Sohn, ja, der Sohn Peter, der machte ihr Sorgen. Oh, nicht so!

Sorgen, eben, dass er in der Wohnung war und sie nun angefreiert kam, das machte ihr Sorgen. Mutter bleibt doch Mutter, trotz der Gefühle für Männer. Kinder meinen ja, auch ältere Kinder noch, Mütter hätten einfach keine Gefühle, eben nur mütterliche. Dass es nicht so ist, wissen Kinder erst, wenn sie selbst Kinder haben. Auch Berufsnutten stricken für ihre Kinder Pullover.

Nun regnete es. Erst Schnee, dann Regen, wird ein schöner Matsch werden, oha. Das Prasseln auf dem Dach verstärkt sich, und es rüttelt und stöhnt in den Bäumen.

Die Nachttischlampe brannte. Nanu? Ein Telegramm!

– LEICHTMATROSE P. HEISE – ALTER FAEHRWEG 1 – ALTENWALDE – DIENSTANTRITT 1. FEBRUAR BREMERHAVEN STOLTEN-WERFT – KAPITAEN UND EIGNER FRIEDRICH FALLER –

1. Februar. 1. Februar? Der ist ja gleich, nee, der ist schon. Es ist doch ein Uhr. Ich bringe ihn morgen an Bord, habe ja Spätschicht, und wendet sich dem Manne zu.

SO SASS PETER HEISE im Wagen seiner Mutter. Auch Peter Heises Gedanken gingen voraus und zurück. All die Gedanken und Gelüste dieser telegrafisch an Bord gerufenen Männer schoben und konzentrierten sich, in das Brennglas SCHIFF, hin zum Licht.

Das Brennglas SCHIFF. Hier fallen die Strahlen rückwärts, zum Brennpunkt hin. Was würde ihn auf dem neuen Schiff wohl erwarten? Küstenmotorschiff. Wie würde der Ton sein, wie ist der Kapitän, was kriege ich für Makkers?

Nun war er Leichtmatrose und bisher auf großer Fahrt gewesen. Jetzt sollte er den kleinen Schiffsbetrieb kennenlernen. Soll ja alles nicht so astrein sein, und mit der Verpflegung soll es da auch böse hapern. Kurz um, er hatte sich vorgenommen, alles, was mit der Christlichen Seefahrt zusammenhängt, kennenzulernen. Tankerfahrt mit eingeschlossen Peter Heise nahm seinen Beruf ernst.

Er schielte nach seiner Mutter, die ja heute wieder böse verhauen aussah. Wohl wieder gesoffen und Puppen tanzen lassen. Sicher einen Kerl im Bett gehabt, das stand doch fest, müsste er seine Mutter nicht kenne Dass ihm der Lebenswandel seiner Mutter nicht recht war, das kann man wohl sagen. Ach, wenn er doch nur einen Vater gehabt hätte. Vater hatte er schon gehabt, sonst wäre er ja nicht auf der Welt. Aber, einen Vater, als Freund und Berater, der hat ihm gefehlt.

Da musste er an Herrn Wilmers denken, den ersten Offizier von M/S „FALKENBURG“, der war zu ihm wie ein Vater. Er hatte ihm auch den Rat gegeben, mal in die Küstenschifffahrt hineinzuriechen, da könne er noch viel lernen, in jeder Hinsicht. Ja, der Wilmers, der war ein Kerl und ein Seemann, viel gelernt bei ihm. Und wenn er auch nur Jungmann war, der Peter Heise. Schwergut auftakeln, das fixte er schon besser als mancher Matrose. Spleißen, Zierknoten anfertigen und alle anderen seemännischen Arbeiten brachte ihm der Erste bei.

Petra Heise rülpste laut. Angeekelt sah Peter seine Mutter an. Nee, zu Hause konnte er es einfach nicht mehr aushalten. War froh, dass er wieder ein Schiff hatte. Seine Mutter bildete sich vielleicht ein, er höre es nicht, wenn sie mit einem Kerl nach Hause kam. Was er nicht hörte, das sah er. Die schalen Reste in den Bier‑ und Schnapsgläsern und der Kühlschrank war gefleddert. Kalter stinkiger Zigarettenrauch kotzte ihn an. Hörte auch manchmal das Gestöhne und die gemeine Lache seiner Mutter, das Rauschen der Dusche im Badezimmer, das Gurgeln und Prusten. Gesehen hatte er allerdings noch keinen Mann, die bugsierte seine Mutter früh genug wieder aus der Wohnung, so viel Anstand hatte sie wohl noch. Ach, Scheiß, soll mir auch egal sein, nicht meine Sache; lass sie machen, was sie will. An andere Sachen denken, an erfreuliche, ist besser. Er wäre am liebsten mit der Bahn nach Bremerhaven gefahren, aber seine Mutter bestand darauf, dass sie ihn mit dem Wagen an Bord bringen wollte. Nur unter der Bedingung, und darauf bestand er, dass sie nicht mit an Bord ginge. Denn er schämte sich seiner Mutter, die mit ihren Augen die Männer auffraß und ihnen mit den Augen die Hose auszog.

Scheiß, an Erfreuliches denken ‑ ‑ ‑ an sein letztes Schiff, an den Vater Wilmers und an die Geschichte über die Ratten.

Im Vorschiff hausen die farbigen Heizer und Matrosen und in den Laderäumen die Ratten. Schöne fette, ausgewachsene Exemplare mit nackten, hässlichen Schwänzen und heimtückischen Augen. Made in India. In der Vermessungsluke traten sie in Scharen auf. Nachts konnte man ihr helles, schneidendes, schrilles Pfeifen hören. Mit Schaudern, ja, mit Angst, ging er immer an dieser Luke vorbei. Nur gut, dass die Luke abgedeckt war. Von Kind an fürchtete er sich vor diesen grauen Biestern, hatte einen unüberwindlichen Ekel vor ihnen.

Fiete, der alte, und Waldemar, der junge Matrose, und er gingen die Wache beim ersten Offizier Wilmers. Sie schipperten durch den Indischen Ozean. Waren auf Heimreise, zwei Tage von Kalkutta entfernt. Schön warm war es. Kopra und stinkende ungegerbte Felle geladen. Mit den Fellen waren noch mehr Ratten an Bord gekommen. Fiete oder Waldemar, jedenfalls einer von den Beiden, musste dem Ersten erzählt haben, dass der Jungmann Peter eine Scheißensangst vor Ratten hätte. Eines Tages jedenfalls, Peter Heise ging gerade seinen Rudertörn, brachte der Erste das Gespräch auf Ratten. Der Jungmann zuckte am Ruderrad zusammen, aber er sagte nichts, und auch nicht, dass er einen unheimlichen Bammel vor den Viechern hatte. So erzählte der Erste, dass in seinem Heimatort, irgendwo in Ostfriesland, Ratten einen Säugling halb aufgefressen, Schweinen die Ohren und Schwänze abgenagt, sich in die Schnauze eines Hundes verbissen hätten. Seinem Nachbarn wäre eine Ratte im Hosenbein hochgeentert, am Bauch und Sack wären für alle Zeit die Bissnarben der Ratte zu besichtigen gewesen. Weiter erzählte der Erste, blumen‑ und einfallsreich von einer chinesischen Foltermethode: Man band einem Gefangenen einen Drahtkäfig auf den Rücken, die körpernahe Seite ohne Gitter. In diesem Käfig kreiste eine hungrige Ratte. Wann sind Ratten nicht hungrig? Nach kurzen Rollings fing der kleine zarte Nager an zu knabbern, nicht etwa an den Gitterstäben, führwahr nicht, sondern der nackte Rücken des armen Deubels wurde benagt und belöchert. Soll zu Beginn gar nicht so besonders schmerzhaft sein (ja, blumenreich war Wilmers Sprache). Hatte die Ratte nun nach einer gewissen Zeit einen anständigen Fleischbatzen aus dem Rücken des Gefangenen herausgemampft, so bis auf Rücken und Wirbelsäule, dann war sie voll und glatt und prall. Warf sich auf den Rücken und auf den Boden des Käfigs, schlief und verdaute. Stets ein reichlich gedeckter Tisch, kann man wohl sagen. Nun wurde der Gefangene auch mit den erlesensten Leckerbissen verpflegt. Mann und Ratte sollten ja noch eine Zeit lang am Leben bleiben, das war ja schließlich der Sinn der Sache. Sollten eben so lange leben, bis die Ratte zur Lunge vorstieß, sie benagte und sich dann langsam zum Herzen vorarbeitete.

„Dann ist wohl Feierabend", meinte der Erste, und tastete mit den Augen den Horizont ab.

„Pfui Teufel", sagte Peter Heise, „das ist ja schauderhaft." Das rutscht ihm so raus, und „hui verdammt", hinterher.

Ansonsten würde er dem Ersten seine Angst vor Ratten nicht eingestehen. Im Gegenteil, er zwang und rang sich ein gequältes Lachen ab. Wie man sich nur vor so kleinen Dingern fürchten könne, mit einem Fußtritt würde man sie doch verscheuchen. Außerdem seien das alles Ammemärchen, von wegen Kinder fressen, Ohren und Schwänze von Schweinen anknabbern, erwachsene Menschen angreifen. Nee, nee, einen Jungmann der Christlichen Seefahrt verarschen und auf die Schippe nehmen, für dumm verkaufen, dazu gehört was. Dabei glaubte er dem Ersten jedes Wort. So lobte der Erste auch seines Jungmannes Mut bis weit über den grünen Klee, sprach von der Kraft und der Vitalität, der Furchtlosigkeit der heutigen seefahrenden Jugend, das ja fast an Heldentum grenze. Ja, ja, so hätte er seinen Jungmann auch eingeschätzt, so und nicht anders. Keine Memme, kein Feigling, kein Weib. Kernig, einfach. Klasse! Und dem Jungmann Peter Heise schwoll der Kamm, ihm hob sich die Brust und fester umklammerten seine Hände das Steuerrad. Aus berufenem Munde so ein Lob, das war noch was, verdammt! Wie billig kam er doch dazu, obwohl ihm das Herz bibberte und der Kupferbolzen schon sooo'n Stück in die Hose reichte. Das konnte der Erste nicht ahnen.

„Übrigens", meinte der Erste vom Motorschiff „FALKENBURG“ so beiläufig weiter, (Heise sah sein hintergründiges Lächeln nicht), „Peter, du könntest ja morgen einmal eine Wache in der Vermessungsluke gehen. Wir lassen dich da runter und verschließen die Luke wieder. So wirst du Deinen Mut beweisen können. Ich halte nicht viel von jungen Leuten, die mit dem Maul so tapfer sind, so groß, so sicher. Das heißt, bei dir habe ich eigentlich keine Bedenken." Ob der Jungmann Peter wohl blass geworden ist? Ob wohl die Knie gezittert haben? Ob der Kupferbolzen wohl ein Stück weiter gerutscht ist?