Kitabı oku: «Der sündige Kurs der "TINA-THERESA"», sayfa 4

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Was sollte er bloß machen, schoss es ihm jäh durch den Kopf. Beim Ersten hast du bis weit in die Steinzeit zurück verschissen, wenn du jetzt auf weichen Käse schaltest. Nun musst du wohl oder übel durch, sonst sehe ich meine ganze seemännische Laufbahn in die Binsen gehen. Er führte in seiner Seele einen Kampf, der in Sekundenschnelle durchgestanden und entschieden war. „Phhhf, ‑ da ist doch nichts dabei, wirklich nicht, da unten in der Vermessungsluke eine Wache zu gehen. Lächerliche vier Stunden mache ich. Mache ich lieber, als vier Stunden am Ruder stehen und vor Ratten habe ich gar keine Angst!" Im Geiste sah er die Eisenleiter, die in die Vermessungsluke führt, darauf würde er für vier Stunden hocken bleiben. Die Ratten sollten sich nach ihm die Hälse ausrecken und sich Blutblasen laufen. Ihm war nicht bekannt, dass Ratten Eisenleitern erklimmen können.

In der Matrosenmesse gab es nur ein Gespräch, die Ratten. Heise war drauf und dran, zum Ersten rauf zu gehen und die Sache aufzugeben, denn was er in der Mannschaftsmesse über und von den Ratten für Gräuelgeschichten hörte, daran gemessen, hatte Daniel in der Löwengrube ein fröhliches Wochenende verbracht. Aber all hands lobten seinen Mumm, seinen Mut und seine Courage. Nein, seine Makkers durfte und konnte er auf keinen Fall enttäuschen und wenn er dafür vor die Hunde, nein, vor die Ratten gehen sollte. Vorsorglich legte er sein Bordmesser zurecht, stellte die Seestiefel greifbar. Vorher aber kam noch eine Nacht, und was für eine Nacht. Teils schlaflos, teils schrecklich traumvoll. Zwanzig Minuten vor Vier weckte ihn die Zwölf‑bis‑vier‑Wache.

Mit trüben Augen lag er da. Wie verfluchte er seine Angeberei: „Wenn alles gut geht, lieber Gott, immer will ich bescheiden sein, nie mehr sagen, als ich mir zutraue. Lass mich heil von da unten wiederkommen, lieber Gott. Amen!"

Wie ein zum Tode Verurteilter, aber mit unten abgebundenen Hosen, in Seestiefeln, umgegürtetem Bordmesser, ging er an Deck und stierte in das finstere Loch der Vermessungsluke.

Pfeift es nicht schon? Noch einmal sah er auf die Weite des Indischen Ozeans. Im Osten machte sich schon die Sonne bereit zum Aufstehen.

An den Aufbauten empor, zur Brücke hoch, ging sein flehender Blick ‑ ‑ ‑ sollte der Erste mich doch noch zurückrufen? Er sah aber die weiße Mütze des Ersten nicht.

Nahm Abschied von den grinsenden Wachmakkers und nun Glück auf! Immer kleiner wurde der Spalt, der ihm den Himmel noch zeigte und dann hörte er das dumpfe Klopfen ‑ ‑ jetzt schließen sie die Luke.

Er war allein und saß auf der obersten Sprosse der Leiter. Von Gott und von der Welt verlassen. Nichts, kein Rascheln und kein Pfeifen da unten. Oder doch? Werden wohl da unten warten, die Ratten und den Braten schon riechen. Verdammte Scheiße, der rechte Arm wurde langsam lahm. Er umklammerte jetzt die Sprosse mit der Hand. Ja, so geht es besser. Ein Bein steckte er durch die Sprossen, Kräfte schonen. Vier Stunden ist eine lange Zeit für einen Ängstlichen. So sehr lange konnte er sich mit der Rechten nun auch nicht halten und wechselte zur Linken. So abwechseln, Beuge, Hand, wieder Beuge, wieder Hand. Nein, und an Ratten wollte er nicht mehr denken. Rechnete sich seine Heuer aus. 125,‑ DM bekomme ich in Hamburg noch ausbezahlt, mit Überstunden, dann kaufe ich mir einen Anzug, das steht fest. Schuhe brauchte er eigentlich auch. Jetzt mal wieder wechseln. Scheißdreck, ich kriege bald einen Krampf. Schlips muss wohl auch noch her. Hoffentlich langt das Geld.

Halt, was war das? Raschelt da nichts, sprang da nicht was an der Leiter hoch?

Heise lauschte angestrengt. Nein, nichts. Nur das ferne Gestampfe der Maschine drang zu ihm. Er konnte sich kaum noch halten. Wie viel Zeit ist wohl schon vergangen, eine Stunde, vielleicht zwei? Sollte wirklich schon die Hälfte der Wache vorbei sein? Mit seinen Kräften war er am Ende, er musste nach unten und tastete sich abwärts. Das Eisendeck unter seinen Füßen zitterte. Ratten sah er nicht, aber die Ratten sahen ihn sicher, Ratten können im Dunkeln sehen. Er hielt sich an der Leiter noch fest, sollten die Biester angreifen, zack, zack, wäre er wieder oben. Nun konnte er sich ein bisschen erholen. Aber warum geschieht denn nichts? Dieses Warten, dieses verfluchte. Heranschleichende Gefahr ist ja schlimmer, als der Kampf selbst. Nun wedelte er mit dem rechten Bein im Dunkeln und in der Gegend herum, um mal eine Ratte zu treffen. Kam direkt in Wut, was wollt ihr denn eigentlich, ihr so klein und ich so groß. Da, ‑ ‑ ‑ etwas Weiches. Nix wie hoch, aber nur ein paar Stufen. Verpusten, nachdenken, Courage atmen. Und wieder runter. Noch ein Beinangriff. Wieder was Weiches. ‑ ‑ ‑ Noch immer weich. Mensch, was ist das bloß? Hingetreten, daraufgetreten, ach, ein Ballen Sacktuch. Stoßseufzer der Erleichterung. Nun fing Heise an zu singen.

Mit Singen soll man sogar Löwen verjagen können. Alle Lieder, die er kannte, sang er. Auch das erschöpfte sich, wurde ebenfalls langweilig. Da war es doch wirklich auf der Back als Ausguckmann angenehmer. Allstündlich kam von der Brücke ein helles Glasen ‑ ping, ping ‑ ping, ping und er antwortete mit der Glocke auf der Back ‑ pong, pong ‑ pong, pong. Dann war es sechs Uhr. Und die Sonne sah er aufgehen, ganz langsam schob sie sich aus dem Wasser, blutrot. Tastend kamen auch ihre Strahlen und verjagten die letzten schmutzigen Reste der Nacht. So blau wurde der Himmel und so blau wurde der Indische Ozean. Schwarzgrau glänzten die Rücken der Schweinsfische. Silbern flimmerte ein Schwarm fliegender Fische.

Aber hier unten ist es fürchterlich. Ein paar zögernde Schritte im Dunkeln wagte er nun doch, griff aber immer wieder nach der Leiter. Jetzt sagte er Gedichte auf, laut und mit Betonung, so gut hatte er es in der Schule nicht gekonnt. Auch das endete einmal. Und so fing er an zu wandern, tastend erst, zehn Schritte hin und zehn Schritte zurück, dann schneller und forscher, bis er den Weg kannte. Ganz, ganz langsam wurde Peter Heise müde. Ratten?

Kein Schwanz rührte sich. Seine Großmutter hatte ihm als Kind noch Märchen erzählt, unter anderem von einem Mann, der auszog, um das Fürchten zu lernen.

Der Mann hatte es aber mit den Katzen.

Heise wagte sich ein wenig auf das Sacktuch zu setzen, nur eben einen Augenblick setzen ‑ es war doch so schön knuffig warm hier unten, hier unten ‑ hier unten!

Ein Zerren an seiner Schulter ‑ jetzt, jetzt sind sie da, jetzt fressen sie dich. Heise griff sich an die Ohren und erwischte die Hand des Matrosen Waldemar: „Komm hoch, Mensch, unsere Wache ist rum!" Von seinem Mut wurde viel gesprochen, und dass er mitten unter Ratten geschlafen hätte.

JETZT IST DER Regen wieder in ein dichtes Schneetreiben übergegangen. Schlackerschnee. Petra Heise geht mit der Fahrt runter und taste sich durch die Dörfer. Was tun eigentlich diese verdammten Trecker an einer Hauptstraße? Zum Kotzen ist das! „Ich werde doch noch eben mit an Bord gehen, Peter!" so sagte sie, „vielleicht kriege ich noch eine Tasse Kaffee!" „Das wirst du nicht tun, Mutter. Eine Tasse Kaffee kannst du auch sonst wo trinken. Ich nehme dich nicht mit an Bord, hörst du?" „Warum denn nicht?" fragte sie spitz, und fummelte sich nervös eine Zigarette aus dem Handschuhfach. Peter gab ihr Feuer. „Weil ich mich deiner schäme, damit du es weißt, Mutter." „Ach, nee, mein Sohn schämt sich, schämt sich seiner Mutter, das ist ein dolles Stück. Du bist ja gut. Aber schämen tust du dich des Tonbandes und der Leica nicht. Nein, das tust du nicht, mein lieber Sohn! „Ist ja gut, ist ja gut. Ich habe dich nicht darum gebeten. Du wolltest doch nur mit den Geschenken etwas verdecken, zudecken. Meinst du, ich weiß das nicht? Aber wir wollen uns nicht weiter streiten, Mutter. Du führst dein Leben und ich das meine, wollen wir es dabei belassen. An Bord gehst du jedenfalls nicht mit mir." „Ja, ja, ist in Ordnung, mein lieber Sohn", sagte Petra Heise aufgebracht

Um neun Uhr morgens stand Peter Heise mit seinem Gepäck vor der Schiffswerft Stolte und nahm kurz von seiner Mutter Abschied. Was man so Abschied nennt. Petra kannte den Trotzkopf ihres Sohnes, seinen unbeugsamen Willen, so war er schon als Kind gewesen. Jetzt nach fast drei Jahren Seefahrtszeit war er noch viel eigenwilliger und selbstsichere geworden. Die Seefahrt hatte ihn zum Mann werden lassen. Wütend startete sie, riss den Wagen herum, sah im Rückspiegel ihren Sohn, das Gepäck und das Werfttor. Peter hob zum Abschied nicht einmal die Hand. Was man so Abschied nennt. Er passierte mit seinen beiden Koffern das Werfttor.

EIN STÜCK VOM Fenster entfernt, aus der Sicht ihrer Fensterecke, fegt sie ein Abendbild auf: schwarz, schön, in klarer Ordnung, hartkonturig, stehen Häuser und Bäume. Eigentlich hätte sie das schon immer sehen müssen, vielleicht sah sie es ja auch immer, nur nicht bewusst. Denn heute war sie seit Jahren wieder allein. Allein, für wie lange Zeit wohl?

Im kalten, hellblauen Leuchten, das unter dem Himmel liegt, aus dem Kraftwerk des Himmels und der Sterne, stehen die Bäume. Die Stadt fängt das hellblaue Leuchten des Himmels der Sterne auf, mischt sich mit dem anderen Licht und hängt als riesige Glocke über dem Abend. Nun sitzt sie ganz nah am Fenster und das Bild ist ganz anders. So ist es auch wohl mit allen Geschehnissen, mit allem Erleben, die unsere Augen und unser Inneres aufnehmen, das Nahe sieht anders aus, als das Entfernte.

In die Dunkelheit gerissene Lichtstreifen.

Springende Winterzweige aus Eckverstecken.

Schatten, die näher kommen und sich wieder zurückziehen.

Verschlagene Laternen schlagen gelbes Licht aus.

Unter den Laternen zittern Lichtnebel, blau, weiß.

Alles hat Berührungspunkte, das Nahe und das Entfernte, genau wie hell und dunkel.

Sie hatte ihn zur Bahn gebracht. Mit dem Nachtzug fuhr er in den Norden Deutschlands, ganz in den Norden, bis an die See. Weiß lichterte der Schein der Straßenlampe über seine Gestalt, ehe sie der frostkalte Mantel des Abends umhüllte. Sie ging wieder zurück in ihre kleine Welt, aber die Gedanken um ihn schwanden nicht. In seinem Schlafanzug, der noch etwas von ihm ausstrahlte, vergrub sie ihr Gesicht und ihre Gedanken. Und die Gedanken warfen einen Teil ihrer Einsamkeit aus dem Fenster.

Schmerzglitzernd lag der Wintermond auf funkelnden Dächern. Sie zündete eine Kerze an und die Stunde trug innerlich froh machende Fülle.

Sie war reich! Am reichsten aber war sie durch sein Gesicht, das Gesicht in den letzten Tagen vor seinem Abschied. Immer verwandelte sich sein Gesicht, es war so jungenhaft, so froh, so glücklich, jetzt, wo er wieder zur See gehen musste und wohl auch wieder wollte.

Der Sand des Zeitglases rieselte durch ihre Erinnerungen. Alle Stunden waren schön, und ihr war es immer, als lebte sie wie unter Frühlingsblüten. Von draußen wollten sie wohl manchmal Sturm und Frost bedrohen, aber keine Blüte und kein Blatt wurde beschädigt. Liebe und Kameradschaft waren das Mauerwerk. Nicht ein wildes Tier kam in das Gehege.

Immer fanden sie ein paar Stunden täglich zur Zweisamkeit, trotz des Geschäftes, das sie voll in Anspruch nahm. Nun, es war nicht allzu viel, was die Speisewirtschaft an der Straße einbrachte, aber sie lebten. Lebten gut, und Kinder hatten sie nicht. Seine Küche war bekannt, bei Fernfahrern und Vertretern und sonstigen Autofahrern, die den Ort passierten. Er brauchte nicht mehr zur See zu fahren.

Aber jetzt?

Nur fünfzig Meter vor ihrem Hause, direkt vor der Nase sozusagen, nahm jetzt die neue Autobahn ihren Weg und legte damit die alte Straße tot, würgte sie ab. Würgte damit auch die kleine Speisewirtschaft ab. Auf‑ und Abfahrt drei Kilometer nördlich. So schrieb Hans Wirt nach. Hamburg. Heuerbüro. Er suche eine Stelle als Vollkoch. Sei schon zur See gefahren und habe einwandfreie Zeugnisse. Telegrafisch wurde ihm Bescheid gegeben, dass er sofort auf dem Küstenmotorschiff „TINA THERESA“ einsteigen könne. Der Koch Hans Wirt hatte nun ein Schiff, somit einen Arbeitsplatz und auch noch eine Frau. Nun wird alles anders; Hans Wirt, du wirst dich wundern und deine Frau auch. Sie kennt die Trennung nicht und du kennst sie auch nicht. Als du damals zur See fuhrst, ja, da warst du noch Einzelgänger, aber seit Jahren bist du Doppelgänger. Und jetzt bist du wieder Einzelgänger, Hans Wirt, ebenfalls deine Frau. Wirst schon sehen, Hans Wirt, was dabei herauskommt.

Immer, wenn die künstlichen Lichter im Lokal gelöscht waren, die künstlichen Schreie der Musikbox zugeknöpft, die letzten Fahrzeuge ihr Schlusslicht zeigten, und somit die lauten Bestände des Tages abgebaut waren, bauten sie am Bestand ihres wirklichen Lebens weiter. Mit ihren Werktagskleidern warfen sie den Werktag von sich und belebten sich mit einem Bad. Ihre Abendunterhaltung war keine technische, keine elektrische Unterhaltung. Keine künstliche Kunst und kein künstliches Licht. Es waren Bücher, es waren Gespräche. Geboren, getrieben, gewachsen aus ihren Gedanken, die der Tag, die Menschen, die Ereignisse in sie eingerillt, eingepresst, wie in eine Matrize. Bei Kerzenlicht, dessen flackernde Flamme die Brücke ihrer Gespräche beleuchtete.

Kunstlicht, stur, stupide, starr und stehend.

Naturlicht, leise, lebend, auslotend, schwingend auf und ab, wandernd, wandernd in die Zärtlichkeit.

Kerze brannte. Flamme kreiste im Raum und auf Körpern. Berührung herrscht das Blut an. Sein Blut, das Komma seines Geschlechts.

So angeherrscht wird es zum Ausrufzeichen, zum Rufzeichen.

So gerufen, so geantwortet.

So gefordert, so verlangt.

So gegeben, so genommen und zurückgegeben.

Wer gibt? Wer nimmt?

Wer nimmt? Wer gibt?

Mund an Mund. Mund in Mund! Körper an Körper. Körper in Körper!

Ja, Hans Wirt, du wirst dich wundern, vielleicht kotzt du auch. Denn du kennst die Seefahrt nicht wieder.

CHRISTINE REICHEL LAG schon lange wach und sah in das Neonlicht der Straßenlampen.

Christine Reichel wanderte ihren Gedanken nach.

Nun war es wieder so weit. Drei Monate war ihr Mann bei ihr gewesen. Drei Monate Seemannsehe an Land, immerhin, in diesen drei Monaten waren ihre körperlichen Bedürfnisse erfüllt worden, voll erfüllt worden, wenn es auch zum Großteil ihrem aktiven Verhalten im Bett zuzuschreiben war. So hatte sie ihren Mann zu einem guten Liebhaber erzogen, denn sie kam ja sozusagen vom Fach, oder besser, vom Halbfach.

Nun sollte alles für lange Zeit, für Monate, nicht mehr sein. Der Schiffsneubau TINA THERESA, der hier in Bremerhaven seiner Fertigstellung . entgegen ging, würde in den nächsten Tagen auslaufen. Ihr Mann, als Erster Steuermann, hatte drei Monate die Bauaufsicht geführt.

Sonnabends wurde auf der Werft nicht gearbeitet, aber Jürgen Reichel fuhr doch morgens zur Werft, krabbelte allein durch den Neubau, machte sich Notizen über Änderungen, Veränderungen, unsaubere Arbeit, Fluserei und Pfusch, über die er dann am Montag mit den Ingenieuren der Stoltenwerft verhandelte und sie richtig stellte.

Zum Mittagessen war er wieder zu Hause und sie lebten und verlebten das Wochenende wie eine normale Familie an Land.

Das war nun zu Ende. Für Christine Reichel unvorstellbar. Ohne Mann? Die Hauptsache in ihrem Leben war nun einmal der Mann, die körperliche Liebe, der Sex. Nun sollte sie wieder ohne Mann sein. Aber im Unterbewusstsein ahnte sie, dass es doch wohl nicht so sein würde. Christine Reichel war eine Frau, die zu jeder Zeit, ja, zu jeder Stunde, zu einem Verkehr bereit war und das jetzt auch weidlich auskostete. Tja, was nun wohl wird? Wo Jürgen monatelang auf See ist. Heute soll die Besatzung an Bord sein und morgen oder übermorgen beginnt die Reise. Wann das Schiff je wieder einen deutschen Hafen anlaufen würde, das war ungewiss.

Ihr grauste vor dem Alleinsein. Sie kannte niemanden hier in dieser Stadt. Verwandte hatte sie nicht. Ihre Mutter war kurz nach ihrer Scheidung gestorben. Vater lebte in Dortmund und war wieder verheiratet. Kontakt hatte sie mit ihm nicht mehr. Wozu auch?

DER MORGEN IST kalt. Eisstollenglasig. Vorüberhetzendes Autogebrumme, zieleilig, zu Zielen eilend.

Unter traurig verhangenem Mondgesicht erstarrt die durch Neonlichtperlen verunstaltete Straße. Kalte Lampen befingern die Straße, entkleiden sie, nackt und frierend läuft sie in den Schatten.

Christine Reichel machte sich Gedanken, aber jetzt gingen sie nur ein paar Zentimeter, wanderten, krochen zu ihrem Mann, der neben ihr lag und noch schlief.

Dass sie ihn nun liebte, nein oder ja? Liebe, Liebe, was das wohl ist? Gut, sie hatte sich an ihn gewöhnt, und Gewohnheit ist viel, man kann fast sagen, Gewohnheit ist alles im Leben. Ihr Mann war verträglich, tolerant, gleichmäßig im Wesen wie im Charakter. Aber ohne Fantasie, auch in Liebesdingen ohne Fantasie. Sie weiß Gott nicht. Sie hatte ihren Mann im Bett erzogen und er sie in der Küche. So brachten sie eben beide ihre Mauersteine mit in die Ehe und auch ihr Handwerkszeug. Vier Jahre, ja, vier Jahre, Tochter Christine wird vier. Aber sind vier Jahre einer Seemannsehe auch tatsächlich vier Jahre? Nein, niemals, das sind vier Jahre auf dem Papier aber nicht in der Wirklichkeit. In einer Seemannsehe nicht.

Jetzt waren sie aber drei Monate zusammen gewesen. Gut, sie hatte ihn geheiratet, um aus dem Sumpf der Rickmersstraße herauszukommen, denn sie war schon auf der Rutsche, der Abwärtsrutsche. Er hatte sie geheiratet. Er sah ihren nackten Körper, wie alle Männer an diesem Abend oder an den vorhergehenden Abenden. Sie machte einen gewagten Striptease und mit dem Entkleiden war längst nicht alles getan. Von dem Bananenakt waren die Männer begeistert, und der war ihre eigene Erfindung. Soll man doch nicht sagen, dass Christine keine Fantasie hat. Sie grunzten vor Geilheit, die Männer, vor allem an den ersten Tischen. wenn sie sich die Banane in ihre Votze stieß und die Banane langsam, ganz langsam, mit ihren schlanken Fingern entkleidete, und das gelbweiße Fleisch sichtbar wurde. Das sah dann aus wie ein Blumenstempel und die gelbe Schale, gevierteilt, wie die Blütenblätter einer exotischen Blume. Man muss sagen, schlecht sah das nicht aus.

Im Hintergrund die tiefschwarzen Schamhaare, die gelben Blüten und der weiße Stempel. Schönheitsempfinden muss man schon haben, sicherlich. Nun war das noch nicht alles. Christines Fantasie reichte weiter, viel weiter. Mit schwingenden Hüften kam sie von ihrem Podest herunter, stieg auf einen Stuhl, dann auf einen Tisch und sagte zu den Männern: „Riecht mal dran ‑ ‑ ‑ aber nicht beißen, bitte!“ Und die Männer am Tisch richteten sich auf, einer nach dem anderen, und schnupperten an der Banane. Im Umkreis grunzten und pfiffen die Männer vor Geilheit und Begeisterung. Zu dem Tisch, wo am meisten gegeilt und gegrunzt wurde, dahin ging Christine. Stellte sich auch hier auf den Tisch und sagte:„Beiß mal ab, aber jeder nur ein kleines Stück. Jeder will doch mal!“ So haben die Männer mit ihren Zähnen, die aus dem Unterleib herausragende Banane zerkleinert. Stück für Stück abgebissen und dem letzten kitzelten die Schamhaare an der Nase. Stück für Stück. Um das letzte Stück stritten sich die Männer.

Das hatte sich Jürgen Reichel fast jeden Abend angesehen. Gegessen hatte er nicht von der Banane. Jürgen Reichel nicht, obwohl er allabendlich am Tisch der Mampfer saß. Und das fiel Christine auf. Sonst sah sie die Gesichter der Männer nicht, die an ihrer Banane herumknabberten, es waren doch nur Statisten ihrer Nummer, aber das Gesicht des Kostverächters, das sah sie. Und dieses Gesicht hat ihr die ganze Nummer versaut. So kann es kommen und so kam es auch, heute liegt das Bananengirl neben dem Kostverächter.

Nein, sie liebte ihn nicht. Liebe muss wohl etwas anderes sein, aber sie mag ihn, trotz seiner langweiligen Art.

Sein Reeder, Eigner und Kapitän, mag ihn noch lieber, denn er ist zuverlässig, ehrlich, nicht in der Gewerkschaft und ein guter Seemann. Ist umsichtig und noch Idealist. Schiffsinteresse und Idealismus, solche Männer sind für den Reeder Dukatenscheißer. Darüber ärgert Christine sich immer, Rechner müsste ihr Mann sein, Materialist, sein Schiffsinteresse und seinen Idealismus so teuer wie möglich verkaufen. Dann wäre der Profit nicht nur an dem einen Ufer, nicht nur am Ufer des Reeders. Jürgen Reichel verkaufte seine gute Arbeitskraft einfach zu billig, er ist praktisch mit de Schiff verheiratet. Eigentlich mehr als mit seiner Frau. Ob sich das nicht einmal rächt?

MOTORSCHIFF „TINA‑THERESA“, ein schöner Name für ein Schiff, ein schöner Name.

„TINA‑THERESA“, das Wort TINA und das Wort THERESA läuft wirklich weich über die Zunge. Man kann sagen, „TINA‑THERESA“ ist ein geschmeidiger Name.

Am Bug des Schiffes und an Backbord und Steuerbord, schmiegt der Name sich an, weiß, weich.

Am Heck wird der Name dem Schraubenwasser nachwinken und am Heck sagt er auch aus, wohin die Steuern und sonstigen Abgaben gehen ‑ ‑ ‑ und das ist für das Motorschiff „TINA‑THERESA“ der Hafen Elsfleth. In knapp drei Monaten, von der Kiellegung an, wurde das Schiff zusammengeschweißt, zusammengenietet, zusammengeklopft und ‑genagelt, geschraubt, gemalt, gemurkst und gepfuscht.

Da ist eine Maschine drin mit ihren Töchtern, den Hilfsmaschinen. Da ist eine Brücke drauf mit Selbststeueranlage, Radar, Decca, Wechselsprechanlage, UKW, Funkanlage und Echolot.

Da sind Kammern und in den Kammern sind Kojen, da sind Messen zum Essen, und eine Kombüse, um das Essen zu kochen.

Da sind Duschen, Toiletten, Gänge und Heizungskörper. Da sind Bänke und Stühle und Polstermöbel und Geschirr und Rettungsboote und Rettungsinseln. Das alles und noch viel, viel mehr.

Aber Edelholz ist nicht mehr, dafür Kunststoffwände, die jeden Laut schlucken, kalt, nüchtern schlucken und ihn kalt und nüchtern weitergeben in die nächste Kammer, in die übernächste Kammer. Der Mensch an Bord ist in diesen Kunststoffschachteln nicht mehr allein, und er will doch mal, er muss doch mal allein mit sich sein. Aber, verdammt noch mal, ein Schiff ist kein Sanatorium und keine Pflegestätte. Mit einem Schiff soll Geld verdient werden, da kommt es auch auf die Phone nicht an, die in diese Kunststoffschachteln eindringen, von nebenan, von eben nebenan, vom Gang her, von Oben und vom Maschinenraum her. „TINA‑THERESA“, mehrfaches Millionenobjekt, von dem knapp ein Viertel bezahlt ist.

Da liegt es vertäut an der Werftpier, das Schiff und wartet auf das Leben. Neunundsechzig Meter lang, elf Meter breit. Tiefgang dreimetersechzig. Zwei Rettungsinseln für je zehn Mann, damit kann man schon was retten.

Außerdem noch ein Rettungsboot, ein Boot zum Retten, gedacht für Seeleute, die noch mit einem Riemen umgehen können.

Ein Hauptmotor, Leistung eintausendvierhundert PS und drei Hilfsaggregate, und das wäre grob gesehen alles.

Vierhundertneunundneunzig Bruttoregistertonnen. Eine Tonne mehr, dann würde allerhand passieren und es würde vieles mehr sein.

Heuer mehr, Besatzung mehr, Steuern und Abgaben mehr. Gut gemacht hat man das mit dieser einen fehlenden Tonne, das Schiff eben s o vermessen, dass die Tonne einfach fehlt, fehlen muss. Dadurch werden die Kammern klein und die Gänge breit. Die Seeleute sagen:

„Wenn man in dieser Kammer Einen hoch hat, dann muss man das Bullauge aufmachen!"

Volkesstimme, Gottesstimme.

Frau Theresa hat das Schiff getauft und ihre Tochter Tina stand daneben. Der Reeder Friedrich Faller trug diesmal keine Pantoffeln, aber doch Hosenträger. Getauft mit einer Flasche Sekt vom Supermarkt, billigste Sorte ‑ ‑ erfüllt ja auch ihren Zweck. Frau Faller konnte noch werfen und traf auch. Da liegt das Schiff, getauft und gesegnet, Getauft mit einer Flasche Sekt, gesegnet von den Banken, die die Gelder gaben. Da liegt das Schiff, das zweieinhalb Millionen Objekt.

Ob sie nicht doch auf einem Vulkan tanzen, die Küstenschiffer?

Dass die noch schlafen können! Die Banken, oh, diese Banken ‑ ‑ ‑ ob die schlafen können?

ZEITUNGSNOTIZ AUS DEM Bremer WESER‑KURIER vom 21.03.19.. „Der 642 BRT große Küstenfrachter „E‑R" aus Leer, der seit Mittwoch am Weserbahnhof an der Kette liegt, ist am Sonnabend vom Kapitän, einem Sohn des Eigners, und den übrigen neun Besatzungsmitgliedern verlassen worden. Das Schiff ist im Auftrag der Deutschen Schifffahrtsbank durch das Bremer Amtsgericht gepfändet worden. Es geht um achtzigtausend DM, das ist ein Teilbetrag einer auf dem Schiff lastenden Hypothek. Inzwischen haben weitere Gläubiger ihre Forderungen gestellt. Neun Besatzungsmitglieder wollen über die Deutsche Angestelltengewerkschaft Forderungen zwischen sechzehntausend und achtzehntausend DM geltend machen. An Bord waren zuletzt außer dem Kapitän der Erste Steuermann, der erste Maschinist, der Zweite Maschinist, ferner ein Bootsmann, drei Matrosen, ein Jungmann und eine Köchin. Alle Besatzungsmitglieder geben an, sie hätten zuletzt für Monat November 19.. Heuer bekommen.

Das Schiff ist zehn Jahre alt und fuhr im vergangenen Jahr vorwiegend mit Holz und Kohle zwischen Finnland und England.

In den vergangenen Monaten ist das Schiff mehrfach festgehalten worden, weil Forderungen gegen den Eigner ‑ Reeder bestanden, u. a. hatte das Schiff in dem holländischen Hafen Ymoiden, in Emden, und zuletzt in Bremerhaven Auslaufverbot. Das Auslaufverbot in Bremerhaven wurde erst aufgehoben, nachdem der Eigner rückständige Sozialversicherungsbeiträge überwiesen hatte. Die Besatzung weigerte sich dennoch, die Fahrt ohne Heuer fortzusetzen.

I. Steuermann: „Uns wurde versprochen, in Bremen läge Geld bereit. Als wir in Bremen eintrafen, zeigte sich, dass diese Auskunft nicht stimmte." Mehrere Leute hatten am Sonnabend nicht so viel Geld, um die Heimfahrt zu ihren Familien selbst bezahlen zu können. Harte Kritik übte die Mannschaft auch an den sanitären Zuständen auf dem Schiff. Die Toilette war nicht mehr zu benutzen, die Heizungen im Logis waren ebenfalls ausgefallen, so dass die Leute im Funkraum und in der Messe auf Bänken schlafen mussten. Vor einigen Wochen musste die Besatzung in England 1.100,‑ DM für 8 Tonnen Brennstoff selbst auslegen, damit das Schiff die Reise nach Dänemark fortsetzen konnte. Das zweite Schiff des Reeders ist am Dienstag verkauft worden.

DER SCHNEE MATSCHT im Werftgelände. Von den graudunklen Montagehallen tropft es nass. Spinnig steckt der Helgen sein Skelett in den fahlen Februarmorgen.

Von der Weser her weht Tauwetter und manchmal der Schrei eines Schiffes. Möwengeschrei.

Werftarbeiter frieren. Es ist stinkigkalt.

Aus den Latrinen dollelt Rauch und Gestank.

Der uniformierte Portier am Tor heizt seinen Eisenofen. Er hat nur einen Arm. Stalingrad.

Die Werftpier ist aus Holz und nass und glatt und blank

Frisch sind die Farben des Küstenmotorschiffes „TINA‑THERESA“.

Grau der Rumpf, weiß die Aufbauten, braun die Masten und Kräne.

Der alte Faller sitzt in seinem neuen Salon, im Sessel sitzt er und schnippt mit den Hosenträgern. Selbstgefällig sitzt er da und sein Habichtsgesicht tastet die Herren von der Werft ab. Da ist der Schiffsbauingenieur mit seinem Meister, da ist der Maschinenbauingenieur mit seinem Meister, und da ist auch noch die Tochter Tina. Die letzten Dinge über die morgige Werftprobe und Abnahmefahrt des Schiffes werden besprochen. Geht ziemlich nüchtern zu. Sonst ist F.F. aber in seinem Element und in seinem Salon. Gutes Polster. Azurblau. Rundsofa. Zwei Sessel, tief gepolstert. Hoch und naturholzgetäfelt die Wände, hier noch Edelholz, ist ja auch der Salon. Zierlampen. Auf dem Fußboden Auslegeware, weich wie Waldmoos. Große Fenster mit Blick auf das Vorschiff. Teure Gardinen, das Beste.

Schreibtisch. Eine Schrankwand, bleiverglast. Und sonst alles tiefes, dunkles Edelholz. Die Tür geht ins Schlafzimmer. Doppelbett, Nachttisch und weißes Telefon, wieder eine Schrankwand. Nächste Tür, Waschraum mit Klo und Badewanne. Ja, ja, ganz komfortabel. Hier lässt es sich leben und fahren.

An der backbordschen Wand eingerahmter Taufspruch: „Sagt nicht, der Seemann sei ein Sünder, weil er nicht oft zur Kirche geht, ein offener Blick zum freien Himmel, ist besser als ein falsch Gebet!"

Das auf gehämmertem Büttenpapier, eingerahmt unter Glas, als Geschenk der Handels‑ und Schifffahrtsbank. Wirst immer daran erinnert, Friedrich Faller, an Gebet und Geld. Abgebrochener, zackiger Supermarktsektflaschenhals mit Korken, montiert auf dunkler Holzplatte. Erinnerung an den Taufakt. Also, Werftprobefahrt morgen, morgen früh.

„Haben Sie Ihre Besatzung schon an Bord, Herr Kapitän Faller?" fragte der Schiffsbauingenieur, „oder soll ich noch ein paar Mann von uns, von der Werft, mitschicken?"

„Tun Sie man, mien Lüd sind noch nicht alle dor!"

Was für eine Angabe „mien Lüd“, soll froh sein, dass überhaupt jemand kommt, denn Kümos und Eigner haben auf dem Heuerbüro und dem Arbeitsamt einen schlechten Geruch.

Die Werftleute gingen, längerer Aufenthalt lohnte sich auch nicht. Bei Friedrich Faller ist nicht viel zu holen. Wieso und warum soll ich denen was zu trinken anbieten, schließlich bin ich keine zu melkende Kuh und letzten Endes bin ich der Kunde. Außerdem gehen die Brüder dann gar nicht wieder weg. Vater und Tochter waren allein. Nur nicht lange, dann kamen tatsächlich die „Lüd“, kamen einzeln. Zuerst kam der Koch. Stand im Salon, musste schon stehen, Platz wurde ihm nicht geboten.

Gab sein Seefahrtsbuch und seine Steuerkarte ab und sagte, dass der Seuchenpass hinten im Seefahrtsbuch stecke.

Tina nahm alles in Empfang, notierte sich Heimatanschrift und fragte nach der Höhe der Heimatzahlung.

Faller sagte: „Koch, lassen Sie sich vom Ersten Steuermann alles zeigen. Der ist an Deck. Morgen früh ist Probefahrt, da wollen wir zu Mittag Erbsensuppe geben. Kommen allerhand Gäste. Sparen Sie man nicht mit Speck, Koch." Nach einer Pause: „Können Sie denn auch backen, Koch?" „Doch, kann ich wohl. Muss den Ofen erst kennen."

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