Kitabı oku: «Hein Bruns: In Bilgen, Bars und Betten», sayfa 5

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WER HIER EINGEHET, LASSE ALLE HOFFNUNGEN FAHREN!

Kapitel 9

Auf der TORNADO, wo Meiler auch als Dritter fuhr, ließ sich gut fahren, aber da hatte wieder jemand den Finger dazwischen. Irgendwelche Mächte, unerklärliche, sind doch stets am Wirken, sorgen dafür, dass nichts beständig ist. Die Mächte stehen wahrschein1ich auf dem Standpunkt, dass es unbedingt Veränderungen geben muss. Warum kann es nicht so bleiben, wie es ist? So ein gutes Schiff mit so einem guten Geist und gutem Geruch ... ja, das war MS TORNADO.

MS MISTRAL hat keinen guten Geruch und keinen guten Geist. Hat ein Schiff einen bösen Geist, dann hat es auch einen bösen Geruch. Geist und Geruch kann man bei einem Schiff nicht voneinander trennen. Es gibt auch Schiffe ohne Geist, dann haben sie auch keinen Geruch. Aber das sind nur wenige Schiffe, die ohne Geist und ohne Geruch über die Meere fahren. Die meisten Schiffe haben Geist und Geruch... gut oder böse, das ist verschieden. Und die guten Geister auf den Schiffen sind rar, sind sehr rar! Mit dem Geist ist das nun so eine Sache. Der Geist eines Schiffes schleicht sich schon ganz leise während der Werftprobefahrt an Bord, es ist aber noch ein neutraler Geist, gut oder böse wird er erst später. Das neue Schiff wird dem Reeder mit Sekt, Ansprachen und sonstigem Klimbim übergeben (manchmal übergeben sich auch alle), dann ist der Geist schon da. Der Geruch ist auch neutral und besteht vorerst aus Farbe. Hat das Schiff nun eine Reise hinter sich und ist mit schlechtem - Wetter und Nebel und sonstigen Widerwärtigkeiten fertig geworden; sind die Kinderkrankheiten der Maschinenanlage und der sonstigen laufenden Teile auf der Jungfernreise überstanden, wie das nun bei Jungfern so ist, dann zeigt sich der Geist, ob er nun gut oder böse ist, und dann hockt er in den Decks und hat sich in die Schotten eingefressen und sitzt in den Messen, Logis und Kammern, im Kabelgatt und im Maschinenraum, im Ankerspill wie auch in den Winden. Und es hat ihn der Kapitän wie auch der Moses. Mit jedem Pinselstrich wird der Geist weiter verbreitet, mit jedem Putzlappen weiter geschmiert. Sitzt in den Triebwerken der Motoren, in den Bilgen und in der Kombüse. Und es liegt der böse oder gute Geist in allen Gesprächen, Handlungen und Taten. Der Geist dirigiert den Wind und das Wetter, das Festmachen und das Loswerfen der Leinen. Der Geist ist da und überall gegenwärtig, ob er nun gut oder böse ist. Und was den Geruch hier an Bord anbelangt, stand er in den Gängen wie eine Eins. Lag wie Schichtkäse. Der Geruch vermischte sich auch hier nicht, es war ein Schichtgeruch. Eine Lüftung gab es hier an Bord nicht, wozu auch? Mief wärmt, erstunken ist noch niemand, erfroren schon. Die Bullaugen in diesem Deck sind nicht zu öffnen, ach ja, sie sind wohl zu öffnen, aber nur mit Brechstangen. Außerdem sowieso unsinnig und lieber nicht, da sonst die See ihre Wasserwürste durch die Bullaugen steckt. Meiler sah schwarz, schwarz für die Tropen. Das wird schon was werden. Aber soweit waren sie ja nun noch nicht. Noch ist Winter.

Im Hause des Glasermeisters Falber zu Sieghaus am Rhein ging es streng christlich zu. Die gesamte Familie gehörte einer Sekte an. Im Hause des Glasermeisters Falber wurde viel gebetet und Diät gegessen. Die drei Töchter mussten sich sittsam kleiden, ihre Röcke waren lang, bis unten hin, und ihre Blusen waren geschlossen, bis oben hin. Sie trugen keine hochhackigen Schuhe, weil es ungesund ist, und weil sie reizen. Und die Lehrlinge durften nicht fluchen. Wieso, die Lebensart der Familie Falber, einschließlich der Glaserlehrlinge, ist doch gut und ist doch nichts Schlechtes? Schlecht war wohl nur, dass der Sinn der Töchter anders war als der ihrer Eltern. Besonders die älteste, die Monika, sie neigte sehr den irdischen Freuden und den Versprechungen des Satans zu. Und es versteht sich, dass es in den Augen ihrer Eltern und im Sinne ihrer Eltern etwas Schlechtes war, dass Monikas Sinn so nach dem Irdischen und Modischen stand. Dabei war Monika die fleißigste im Beten und auch im Besuch der Andachten und auch in den Gesprächen mit dem Laienprediger. Die Eltern legten Wert auf eine gute christliche Bildung, und das ist auch gut so. Und als Monika Falber die Mittlere Reife mit Glanz und mit Gut hinter sich gebracht hatte, muss dabei nicht unerwähnt bleiben, dass sie sich des Öfteren mit Schülern des Gymnasiums an der Stadtmauer traf und sich von ihnen küssen und auch unter den Rock fassen ließ, nein, auch unter die Hose manchmal. Zigaretten gepafft, frei nach „Reyno“, und auch an der Likörflasche genippt hat. Das soll aber schließlich nichts besagen, und es wussten ja auch nur die Beteiligten. Trotzdem berieten die Eltern Monikas mit dem Laienprediger und dessen Anhang, was man nun mit der Monika weiter machen solle. Denn der Satan hatte schon ein Auge, nein - zwei Augen auf das gut gewachsene Mädchen geworfen, denn auch in der puritanischen Kleidung ließen sich die üppigen Formen Monikas nicht ganz verbergen. Dazu kam, wie es schien, dass Monika den Teufel schon im Leibe hatte, der ihr ganzes Gehabe, Getue und Gegucke dirigierte. Ihre Nächte waren unruhig und ihre Träume waren wild. Nein, da musste etwas geschehen! Eltern und Laienprediger und Anhang kamen nunmehr zu dem Entschluss, diese tugendhafte Jungfrau in ein Sekteninternat zu geben, aus dem sie dann sicher geläutert an Leib und Seele zurückkehrt und für die gute Sache hier am Ort wirken kann. Ebenso eine Art Laienpredigerin sollte sie dann sein. Man zog weiter in Erwägung, Monika mit dem Malermeister und Sektenbruder Fritz Woher zu verheiraten. Fritz Woher war ein guter Bruder, ein fleißiger Mann, stand im guten Ruf, und sein Geschäft war eins der besten am Platze. Das alles legte man der Monika nahe, und sie als gehorsame Tochter, sagte zu allem ja. Nur stand ihr nicht der Sinn nach dem Malermeister Fritz Woher, nein, nie und nimmer. Da ging die Beterei ja wieder von vorne los. Gegen die Internatsausbildung in einer fremden Stadt hatte sie nichts.

Im Internat lief Monika so am Rande mit, glänzte nicht durch große Leistungen, aber eingedenk der elterlichen Ermahnungen und der des Laienpredigers und seines Anhangs konnte sie sich gut einfügen. Etwas ungewohnt war ihr nur, dass sie mit den anderen Internatsmädchen gemeinsam nackt baden musste, auch wenn diese Handlung nur einmal in der Woche vorgenommen wurde. Sonnabends ging es gemeinsam unter die Brause, wie das in solchen Zuchtanstalten so üblich ist, sei es in den Kasernen oder in den Gefängnissen, so auch in den Internaten. Dem Reinen ist alles rein. Monika hatte bisher in ihrem Leben noch keinen anderen weiblichen Körper in natura gesehen als ihren eigenen, vom .männlichen ganz zu schweigen. Ihre Mutter hütete sich, und die Töchter wurden von der Mutter gehütet, denn... mit dem nackten Körper beginnt die Versuchung, und alles Nackte ist der Sünde Beginn und Anfang der Verderbnis. Außer Schloss und Schlüssel hatte die Badezimmertür daher noch einen Riegel. Und so war Monika doch anfangs ein wenig entsetzt und beschämt, dass ihre Internatsschwestern hier nackig und quietschvergnügt unter der Brause herumsprangen, und diese wurden doch später auch mehr oder weniger Laienpredigerinnen oder wollten es werden. Wohlgemerkt, und das muss gesagt werden, geschah die ganze Brauserei unter der Aufsicht einer älteren Schwester, nur, dass Schwester Altraud nicht nackt war. Schwester Altraud wusch auch den Mädchen, wenn es darauf ankam, den Rücken. Vor allen Dingen bei den Neuzugängen tat sie es gerne. Schwester Altraud lag dann abends in ihrer Kemenate stöhnend auf ihrem Bett... so hatte sie das Rückenwaschen der jungen Mädchen mitgenommen. Nein, so war Schwester Altraud nicht, gefällig nur einmal. Eine liebe, herzensgute Schwester war Schwester Altraud. Und sie malte auch, war ein aufgeschlossener, moderner Mensch. Sie malte die Menschen, nein, die Mädchen, wie der Herrgott sie geschaffen hatte. Meistens malte Schwester Altraud aus dem Gedächtnis, so sagte sie jedenfalls. Ansonsten und auch so, suchte sie sich ihre Modelle beim Brausen aus, und da sie den Dienst gleich mit ihrer Liebhaberei verband, war dem gegenüber ja nichts einzuwenden. Das Malen aber schien Schwester Altraud noch mehr anzustrengen als das Rückenwaschen, denn wie Schwester Wilgunde berichtete, die neben Schwester Altraud ein Zimmer bewohnte, war das Stöhnen und Ächzen abends und nachts direkt besorgniserregend. Meistens war das aber, wenn Schwester Altraud ein Bild fertiggestellt hatte. Auch darin zeigte Schwester Altraud ihr gutes Herz, dass sie sich abends nach dem Gebet und nachdem das Schlafglöcklein schon gebimmelt hatte, an das Bett der Neulinge setzte, um mit zarter Hand das Heimweh dieser jungen Menschen zu bannen oder es mit mütterlichen Küssen von ihnen zu nehmen. Ja, so war Schwester Altraud, wohlgefällig in dem Herrn, menschen- und mädchenfreundlich. Monika war das gar nicht so recht, und sie ging auch nicht gern in das Zimmer von Schwester Altraud. Monika wusste auch nicht, womit sie das verdient hatte. Außerdem mochte sie die mütterlichen Liebesbezeigungen der Schwester nicht. So ein undankbares Geschöpf war Monika nun einmal. Bis ihr eine junge, pfiffige Internatsinsassin, mit der Monika sich angefreundet hatte und mit der sie vertraut war, die Schuppen von den Augen pflückte und die Scheuklappen losband.

Wie gedankenverloren saß Monika abends im Lesezimmer und blätterte in „Christ und Welt“. Wie gedankenverloren und doch wie unter einem Zwang schrieb sie auf eine Anzeige nach London: „Junges deutsches Mädchen gesucht, möglichst aus einer christlichen Familie.“ So ließ Monika alles hinter sich, rasch und entschlossen und fast über Nacht. Ließ hinter sich das prüde Elternhaus, den betenden Maler Fritz Woher, die malende und mütterliche Schwester Altraud. Und stand wenige Tage später mit ihren Koffern vor der Reihenvilla der Familie Chambers in London-Kensington und wurde „au-pair-girl“. Das alles war vor einem Jahr. Heute trägt Monika Kleider nach der Mode und malt sich auch an nach der Mode. Lidschatten liebt sie, Lippenstift benutzt sie. Heute tanzt Monika Twist und Cha-Cha-Cha, und heute betet Monika auch nicht mehr. Heute wird Monika von Mister Chambers belästigt, nur so, und ein bisschen gedrückt, was die Weichteile anbelangt, denn weiter wollte Monika nicht, und bei Mister Chambers langt es nicht. Heute wird Monika von Mrs. Chambers belästigt, aber das reicht schon gar nicht in seligem Angedenken an Schwester Altraud. Und Joe, der älteste Sohn des edlen Geschlechtes, ging nun in die Pubertät, und Alice, das Mädchen, das kleine, war ein angenommenes Kind. Darum, um die kleine Alice, darum nur hielt sich Monika in London-Kensington auf.


Freemantle 6149, die Nummer wählte Melchior Meiler, nachdem er zwei Kupferlappen in den Schlitz gesteckt hatte. Und Freemantle Nummer 6249 meldete sich, es meldete sich eine Frauenstimme. „Hier ist Meiler, Meiler Melchior. Kann ich Miss Monika sprechen?“ „Ist am Apparat!“ „Das ist gut, brauche ich ja englisch nicht weiterzusprechen, kann deutsch reden. Ich bin der Freund von Mira… und ich sollte es nicht vergessen, Sie, Fräulein Monika, sowie ich in London bin, anzurufen. Und das tue ich jetzt!“ Die Frauenstimme war warm und tief und etwas rauchig. „Mira... ach, ich freue mich, etwas von ihr zu hören. Wo sind Sie denn, Herr Meiler?“ „Ich rufe vom Surrey Dock an!“ „Können Sie mich heute Abend um acht besuchen? Ich würde mich freuen, von Mira zu hören, deutsch zu sprechen. Ach, kommen Sie doch. Ich bin allein, bis auf die Kinder. Meine Leute sind aufs Land gefahren. Und einen Whisky habe ich auch noch stehen!“ Meiler sprang an wie ein Maybachmotor - Mädchen, Whisky, allein. Wieso und warum nicht? Mira sprach damals sogar von einer schönen Nacht, und dabei blinzelte sie vielsagend mit den Augen. „Gut, ich komme!“

Zehn Minuten Weg durch die Docks - und Meiler bestieg einen doppelstöckigen Bus und war nach einer Stunde in Kensington. In der 148 A Lexham Gardens klingelte Meiler, und ihm wurde die Tür geöffnet. Der Treppenaufgang war weiß lackiert und auch die Treppe weiß gestrichen, und ein dunkelroter, schwerer Läufer mit Messingstangen treppte sich aufwärts. Kommen Sie, Herr Meiler, ich freue mich, dass Sie gekommen sind!“ Eine Treppe stiegen sie. Meiler sah in eine Bibliothek mit schweren Ledersesseln und alten dunklen Gemälden. Meiler sah einen Pilzkopf, lesend, der aufstand und sich verbeugte. Aha, der Sohn! Sie stiegen noch eine Treppe, und hier war Monikas Zimmer. Ach ja, ganz nett und wohnlich und mit Kamin und auch geheizt. „Machen Sie es sich bequem, Herr Meiler!“ Sie zeigte auf einen Sessel. Sie selbst warf sich lässig auf eine Liege, sprang dann gleich wieder auf, nahm Gläser und schenkte Whisky ein. Dann kam das Kind, das sehr artig war und gut erzogen... nur, das Kind war eben artig, aber es ging nicht schlafen und war auch gar nicht müde. Melchior und Monika sprachen und sprachen deutsch und sprachen über viele Dinge. In ihrer beiden Augen glimmte ein Feuer, und auch der Whisky brannte. Und das Kind war artig, bloß es wurde nicht müde. Kinder sind so. Das Buchenholz im Kamin knisterte und warf auch Funken. Eine Wandleuchte warf gedämpftes Licht - nur das Kind wurde nicht müde. Meiler mochte es nicht sagen, dass Monika das Kind doch ins Bett bringen solle, aber Monika konnte Gedanken lesen und sagte: „Es ist hier so bei dieser Familie, dass das Kind nicht eher ins Bett kommt, bis es müde ist und auch nicht eher zu essen kriegt, bis es hungrig ist!“ Audi eine Lebensauffassung und eine Lebensart und eine andere Art von Kindererziehung. Meiler schob den Hocker des Kindes näher an den Kamin heran, und das Kind sah in die warme Glut, und das Kind wurde müde und es fielen ihm die Augen zu. Kinder sind so! Dann waren sie allein. Allein mit sich und dem Feuer, mit der Stille der 548 A Lexham Gardens. Allein mit ihren Augen und ihren Körpern. „Müssen Sie heute Abend noch wieder an Bord, Herr Mei1er? Sonst können Sie hier schlafen, dort auf der Liege. Ich gehe in mein Klappbett, das da hinter dem Vorhang.“ Meiler war sich nicht ganz klar, nicht klar über Monikas Verhalten. War es nun die Freundschaft zu Mira, die sie so reden ließ, oder war es Gastfreundschaft, oder war es Harmlosigkeit? Verdammt, was war es denn nun eigentlich? Aber das Glimmen in ihren Augen, das war doch verdammt nicht harmlos. Meiler war sich einfach nicht klar. Nee, er brauche nicht an Bord. Wache habe er nicht, und wenn er morgen früh zum Dienstbeginn wieder an Bord sei, wäre nichts im Wege, dass er in der Nacht hier bliebe. „Na, dann ist es ja man gut! So können wir noch einige Stunden sprechen und uns unterhalten. Ich freue mich doch so, dass Sie hier sind.“ Ich eigentlich auch, dachte Meiler, aber ich freue mich auch auf das andere. Aber das sagte er nicht. „Und wenn Sie die Absicht haben, anschließend noch zu baden, Herr Meiler, mein Badezimmer ist nebenan... Ich bade auch noch immer vor dem Schlafengehen!“ Die Sache spitzte sich zu, und der Whisky schmeckte immer besser. Gott, Mira hatte ihm ja volle Freiheit gelassen und er ihr auch. Aber irgendwie lag doch ihre Anwesenheit nahe. So weit ist es von London auch nicht nach Hause, und noch lag in seinen Sinnen ihr Duft, noch lag in seinen Händen ihr Fleisch, noch lag in seinen Augen ihre eigenwillige Schönheit. Und Erinnern war in ihm! Erinnern! Auch Männer erinnern sich. Wie sind eigentlich Frauen, wie sind sie wirklich? Wissen die Männer es? Die Männer wissen es nicht! Es gibt keine Norm für die Frauen, man kann sie nicht messen, wie man einen Kaninchenstall ausmisst. Erinnern aber ist etwas Geistiges, nichts Festes, nichts Greifbares. Aber vor Meiler lag etwas Festes und Greifbares.

Seine Gedanken überholten sich wie Hürdenläufer. Das Badezimmer roch nach ihr, nach Monika. Auch das englische Wasser ist gut und auch das Badesalz und auch die Seife. Er durfte ihre Zahnbürste verwenden. Die Frau, die das erlaubt, die Frau erlaubt auch noch mehr. Sie hatte ihm auch ein frisches Handtuch hingelegt, ein weiches Frottiertuch. Meiler musste sein Unterzeug wieder anziehen, einen Schlafanzug stellte Monika nicht. Meiler musste auch seine Hose wieder anziehen, denn er konnte doch unmöglich im Unterzeug zu ihr ins Zimmer treten. Monika hatte die Liege schon für die Nacht bereitgemacht, die für ihn. Auch ihr Bett von der Wand geklappt. Nun ging sie ins Badezimmer, Meiler hörte sie planschen und ein englisches Kinderlied trällern. Überhaupt, Monikas Stimme, sie gefiel ihm am Telefon schon. Meiler nahm jetzt die Gelegenheit wahr und zog seine Hose aus, legte sich und deckte sich zu. Eine etwas komische Situation war das doch, mit einem Mädchen schlafen und doch nicht mit dem Mädchen schlafen. Warm und traulich das Jungmädchenzimmer. Monika hatte es sich wohl nach ihrer deutschen Art eingerichtet, vielleicht, um sich ein Stück Heimat zu schaffen. Der kleine Damenschreibtisch stammte doch sicher aus der viktorianischen Zeit und war irgendwann einmal von der Familie Chambers ausrangiert worden. Auch die Anrichte wird diesen Weg gegangen sein. Und auch der Tisch mit seinen Schnörkelbeinen. Sessel aber modern aus Stahl und praktisch. Auch das Bücherregal heutig. Auf Monikas Nachttisch brannte eine Leselampe, stand ein Glas, lagen Zigaretten und so auch alles an der Seite Meilers. Hier war es ein Stuhl. Einladend! Wozu aber einladend? Wozu bloß, um alles in der Welt? Wirklich eine verteufelte, verzwickte Situation. In einem gut sitzenden, blumigen Pyjama kam Monika aus dem Badezimmer, machte einen Drink für beide, rückte den Stuhl an Meilers Seite bequem zurecht und ging in ihr Bett. Meiler sah ihr nach und zu. Eine Frau, eine wirkliche Frau. Monika stützte sich auf die Ellenbogen, steckte sich eine Zigarette an und sah zufrieden und fast glücklich zu ihm hinüber. Zwischen ihnen waren die drei Meter Raum, überbrückt durch Lächeln und Gespräche. Ausgefüllt mit Kaminwärme und Holzgeknister, gesättigt mit Ungewissheit... was nun wohl werden wird.

Zwei Menschen in Kensington, 148 A Lexham Gardens, in einem Jungmädchenzimmer. Zwei Menschen verschiedenen Geschlechtes, verschiedener Berufe und Herkommen, eben mal zueinander gespült durch das Schicksal, sich berührend in der Weltstadt London. Wenn sie lächelte oder lachte, zeigte sie kleine, aber ebenmäßige Zähne. Monika war nicht hübsch, aber sie war Frau, und ihre Stimme ging ins Blut. Lächelte, lockte! Lockte sie? Meiler wusste es wirklich nicht. Sie plauderten und tranken und sprachen viel von Mira, und sie erzählte ihm auch, wie sie und Mira sich kennengelernt hatten. In Neudiek war das. Mira war im Kreiskrankenhaus Schwester, ihre erste Stellung nach ihrer Flucht. Sie bewohnte ein Zimmer im Krankenhaus und wurde mit Monika bekannt, als deren Vater im Krankenhaus lag. Monika ging oft zu Mira. Der Vater duldete das auch, eine Krankenschwester kann nie schaden und ist auch der richtige Umgang für seine Tochter. Aber vieles wusste er nicht. Wusste zum Beispiel nicht, dass sich seine Tochter bei den Besuchen Miras umzog. In Miras Zimmer legte Monika ihr „Büßergewand“ ab und schlüpfte in die Kleidung Miras. Es passte ja nicht so recht, denn Monika war fraulich besser entwickelt, und das wurde jetzt durch die knappe Kleidung noch mehr betont. Sie freute sich dann wie ein Kind, besah sich im Spiegel, ihre Beine, ihren Busen. Drehte sich hin und her und besah sich von hinten und vorne. Sie malte sich auch an und wurde für Stunden ein anderes Mädchen, ein modernes Mädchen. Aber aus dem Hause wagte sie sich nicht, schlug Einladungen von Jungärzten ab, sie durfte sich so nicht draußen sehen lassen, denn in einer Kleinstadt schläft niemand, wenn es sich um die Angelegenheiten anderer Menschen handelt. Ja, so war das damals. Meiler fragte: „Hat Mira was mit Männern gehabt, dort bei euch im Krankenhaus?“ „Immer! Sie war nie ohne Mann. Daraus machte sie auch kein Hehl und auch kein Geheimnis!“ Die Nacht, die letzte Nacht mit Mira steht vor ihm auf. Die Nacht, die letzte, zieht sich wie ein kornbeladener Wagen in die Diele, so in seinen Gedanken, denn es war die Nacht der vollsten Erfüllung, der seelischen und körperlichen Erfüllung. Und jetzt? Ach, die Nacht schiebt sich gar nicht in seine Gedanken, sie ist doch drin. Ist drin mit Schönheit und Schmerz und Sekt und Blumen. Und die Nacht bleibt drin, in der Seele und im Blut... und sollte doch für seine Reise das beste Marschgepäck sein. Sollte, sollte, sollte es sein. Denn ein besseres Marschgepäck gibt es für einen Seemann doch nun wirklich nicht... wenn, ja, wenn dieser verdammte Trieb nicht wäre. Das mit dem Mädchen Monika jetzt und das, was mit Mira war, lang vorher, und mit ihm vor einigen Tagen. Jetzt sprach sein Blut schon wieder, und der Körper verlangte nach einer Befreiung, aber die Seele war wie ein ödes Feld. Nein, eifersüchtig auf Miras Vergangenheit war Meiler nicht, jedoch gleichgültig dieser Vergangenheit gegenüber nun ja auch nicht. So ein bisschen piekste das doch, brannte örtlich, breitete sich nicht aus, war fest umrissen wie eine Brandblase, eine kleine nur, auf der Hand. Und doch! Sonst hätte er die Frage nicht gestellt: Hat Mira was mit Männern gehabt? Was so eine Nacht, eine vergangene, und eine Nacht, eine beginnende, für Gedanken ins Gehirn gaukelt und peinigt, komisch das. Wie sind doch auch diese beiden Mädchen verschieden, oder wirken sie nur auf ihn verschieden? Mira fühlt alles, sie kribbelt es sich an den Fingerspitzen heran; sie ist wie eine Hochleistungsantenne, sie ist zu vergleichen mit einem feinen, empfindlichen, hochgezüchteten Messinstrument, das die winzigsten, leisesten Schwingungen und Drücke des Seelenanderen peinlich genau, sicher bis auf tausendstel Grad anzeigt und registriert. Und Monika? Monika ist doch das „Dies“, das „Jetzt“, das Greifbare, ihr Körper, aber wo ist ihre Seele? Bestimmt der Trieb, der Sexus nur den Weg? Ist Monikas Seele kleiner, oder hat sie einen begrenzten Kreis? Können Seelen Kreise haben, können Seelen. beengt sein? Aber Monika ist doch auch Weib, Vollweib. Warum muss ich auch hier begehren, warum sehe ich so geil und hungrig auf ihre Beine und Brüste? Verflixt, ich bin doch noch gar nicht richtig wieder hungrig, aber habe ich denn Appetit? Das ist auch alles nicht richtig. Verflixt, sie könnte mir Kumpel, Macker sein, wie sie es für Mira ja auch ist. Monika will aber doch, anders kann ich mir das nicht vorstellen. Sie mag mich doch und hat es wohl auch nötig. Ganz blöder Gedanke ist ja der. Die Natur verlangt ihr Recht. Kann stimmen, kann eine Entschuldigung sein, kann sonst was sein. Findet ein normaler Seemann nicht mehr durch. Scheiße. Die Freiheit, es zu tun, habe ich ja, passieren kann mir also nichts, auch unter den Umständen, dass Monika Mira davon brieflich unterrichtet Bin ich nun nicht, und das sind meine Bedenken dabei, durch diese Freiheit, die Mira mir gab, unfrei geworden? Ach, Mist, das Karussell der Gedanken, dieser Rundlauf bleibt doch stehen, denn ich tu ’s ja doch, ich tu es sicher. Bleiben wir doch einfach dabei: Mira macht es nichts aus, oder sollte ich mich da täuschen, hat sie mir durch ihre Toleranz Gedankenfesseln angelegt? Es ist doch so im Moment, der Monika wird geholfen, wieso, warum soll sie nicht auch an den Freuden, den höchsten Freuden im menschlichen Leben, die der körperlichen Erfüllung, teilhaben, genau wie die Männer und rücksichtslose Frauen? Mir selbst macht es ja auch Spaß und bestätigt mein Dasein, schmeichelt meiner Eitelkeit. Hier hole ich mir keinen Tripper, Monika ist keine Nutte, das ist auch viel wert, und wer weiß, was morgen ist. Also warum nicht? Wer weiß, wo mir in Zukunft und in der weiten Welt wieder so eine Gelegenheit geboten wird. Hmm, obwohl mir bewusst ist, dass man im Voraus nicht schlafen kann, weiß ich auch, dass man im Voraus, als so genannte Vorreserve auch nicht geschlechtlich verkehren kann. Diese verfluchten Gedanken hat man doch an Bord nicht, da ist man isoliert; da bestimmen ein Schiff, ein Betrieb und das Wetter und der Reeder und der Makler und die Gewerkschaft den Rhythmus des Tag- und Nachtverlaufs. „Wie gefällt Ihnen London?“ fragte Meiler. „Anfangs gar nicht! Das Wetter, die Menschen, das lag mir nicht. Aber an London muss man sich gewöhnen wie an das Zigarettenrauchen. Die ersten schmecken nicht, die nächsten auch nicht so richtig, und doch nimmt man sie immer wieder, bis man sich dran gewöhnt hat, und nachher kann man das Rauchen nicht mehr lassen. So ähnlich ist es auch mit London! Verstehen Sie das?“ — „Gut verstehe ich das, ich mag London auch, überhaupt England!“ Monika stand auf und mixte einen Drink. Meiler sah ihren Bewegungen zu. Bin ich eigentlich doof oder bin ich kein Mann. Was bin ich eigentlich. Liegt denn nun nicht alles klar auf der Hand? Getränke, Zigaretten, ein blumiger Pyjama mit festem Inhalt. Kamin und Wärme und Licht. Monika stand an seinem Bett und schenkte ein und beugte sich etwas vor. Meiler sah in den Pyjamaausschnitt, und die weißen Ballen ihrer Brüste boten sich an. Und dann riss er sie einfach über sich, und sie wehrte sich nicht. Ihr Kopf lag an seinem Hals und ihre Haare bedeckten sein Gesicht. So lagen sie eine Zeitlang regungslos und niemand sprach. Es ging überhaupt jetzt alles schweigend zu. Wollten sie nichts beschwören, konnte nur Schweigen die Dinge vorantreiben? Oder konnten Worte stören? Behutsam zog er die Decke, die ihre Körper noch trennte, zwischen sich und ihr heraus, streifte den Pyjama ab, und so lag sie nackt neben ihm.

Durch die Straßen Kensingtons zog der Winternebel. Knisterte im Kamin die Glut sich tot. Und als er in sie eindrang, war sie dankbar, und sie zierte sich nicht und war Frau und unkompliziert erfüllt. Ohne große Leidenschaft oder Bewegung. Ihre Erfüllung spürte er nur an den hastigen Atemzügen. Ihre Erfüllung war wie ein Irrlicht im Moor, flimmernd in der Dunkelheit, das flimmernd erlischt. Gleich zog sie sich zurück. Sprach kein Wort mehr, sagte nicht einmal gute Nacht. Ging in ihr Bett, löschte das Licht und schlief ein. Meiler rauchte noch eine Zigarette, und er war nicht zufrieden. Nicht dass er enttäuscht war und dass die Lust ihn nicht besucht hätte, nein, das war es nicht. Er fragte sich, ob er wohl etwas falsch gemacht habe. Machte er es mit Mädchen überhaupt richtig? Aber was ist richtig? Bei Mira war das anders, ganz anders. War es bei Mira besser?

Am nächsten Morgen fragte sie ihn, ob er abends wiederkommen würde. Er sagte zu, obwohl er wusste, dass er Bordwache hatte. Und er wusste auch, dass sie in der dann folgenden Nacht auslaufen würden. Das sagte er aber alles nicht, er war mit sich nicht im Klaren. Und ging! Ging leise, ging auf rotem Läufer und weiß gestrichener Treppe. Hakte den Messingriegel aus und ging durch die Morgendunkelheit und durch den Morgennebel zur Untergrundbahn, Station Kensington. Er sah sich nicht einmal um und konnte nicht wissen, dass ein Mädchen in einem blumigen Pyjama ihm nachsah, lange nachsah, auch als er ihrem Blick längst entschwunden war.

Nebel, kalter Londoner Nebel! Meiler hatte den Kragen seines Mantels hochgeschlagen. Meiler passierte das Tor des Surrey Docks. Der Bobby grüßte freundlich. Das einzige Freundliche überhaupt heute morgen. Der Nebel stand wie Nassdampf. Der Nebel sah aus, als wäre der graue Himmel herabgekommen. Scheußlich. Schuppen und Schiffe nur umrissig. Menschen, Schemen. Kraftwagen mit ihren Nebelaugen, gelb wie Scheiße. Ja, Scheiße. Scheiße ist alles. Was passt dir denn nicht, Melchior Meiler, he? Was passt dir nicht, mein Junge? Sag es doch! Ach, das passt dir nicht... ach darum Scheiße? So, das mit der Nacht passt dir nicht, und dass du heute Morgen wieder an Bord musst, das passt dir auch nicht, und dass du gleich wieder in dein Arbeitszeug krabbeln und langweilige Ventile einschleifen musst, das passt dir natürlich auch nicht. Dir passt es wohl überhaupt nicht, dass du zur See fährst, was? Aber denkst du auch daran, dass dich niemand zur See geschickt hat, dass du freiwillig zur See gegangen bist? Ach, das meine ich ja gar nicht, meine ich wirklich nicht. Ganz was anderes meine ich. Ja, was meinst du denn? Ich meine diesen elenden Rostsarg, diesen Eimer, den dreckigen und versauten. Das gibt es doch gar nicht mehr, das ist doch das letzte Schiff. Keine anständige Kombüse, keine vernünftigen sanitären Anlagen. Auf dem Klo läuft das Wasser so dünn wie ein Gebirgsbach im Hochsommer. Und die Kammern. Wie können bloß moderne Menschen heute auf so einem Schiff fahren, das solche Kammern hat! Fußböden, Steinholz, lässt man sich ja noch gefallen, aber diese - ausgetreten wie die Fußböden in Tagelöhnerkaten. Die Decken nicht verschalt, da laufen die Träger querschiff, wie die Werft sie vor gut dreißig Jahren gezogen hat, und auch die Nietenköpfe sind noch da und auch die Schächte, und auch die Abflussrohre von Waschräumen und Klosetts laufen durch die Kammern. So sehen die Kammern aus. Und Lüftung? Ja, Lüftung. Schöne Lüftung. Gar keine Lüftung. Duschräume? Mit dem Eimer wird sich geduscht, überschüttet, übergossen, abgespült. Genügt das nicht? Ein Seemann kann doch nun wirklich den Komfort nicht verlangen, wie er an Land ist. Kein Seemann stellt ja Ansprüche. Wo käme der Reeder wohl hin? Um Gottes willen! Och, das ist noch längst nicht alles. Was ist denn das für ein Zustand an Bord so ohne Koch. Ich wette, dass der Koch noch nicht da ist. Das hilft sich aber noch, hilft sich für die ganze Hafenzeit. Hat Herr Balduin Bollage die Kochsheuer für einige Tage wieder eingespart. Meiler hatte noch ein ganzes Stück zu gehen, bis er an Bord war. Na, um acht Uhr ist ja erst Dienstbeginn, und nun war es sieben Uhr, da konnte er auch noch frühstücken. Verflucht, wenn er an den Kasten dachte, kamen ihm der kalte Kaffee und der Konfirmationskuchen hoch. Scheiße, wenn er den Unfall damals auf der TORNADO nicht gehabt hätte, säße er dort noch hoch und trocken. Aber… aber, dann hätte er Mira nicht kennengelernt. So hat wohl alles seinen Sinn. Die TORNADO war sein erstes Schiff bei der Reederei Bollage und auch sein erstes Schiff als Dritter in der Maschine, nachdem er vom Technikum kam. Ein Jahr fuhren sie an der amerikanischen Küste in Charter. Ein ganzes Jahr. Den Junggesellen gefiel das gut, sie waren auch hier zu Hause, und einigen Verheirateten gefiel es auch gut... das waren der Kapitän und der Erste Ingenieur, denn sie machten dort an der Küste gute Geschäfte. Trotzdem, ein Jahr ist doch eine lange Zeit. Entfernt zu sein von dem Land, in dem man groß wurde, zur Schule ging, seine Freunde und Bekannte, Eltern und Mädchen hat. Entfernt von dem Land, wo Sauberkeit und eine gewisse Ordnung herrschen. Ach ja, man freute sich doch darauf, dass es wieder nach Deutschland ging. Ein Jahr! Die dreckigen Palmen und die stinkigen Straßen und die Höllenhitze fielen einem zuletzt doch auf den Sack. Mit braunen und schwarzen Mädchen hatte man geschlafen, auch die Verheirateten, sie sind ja auch Männer, und das natürlich für Geld, das niemand von der Steuer absetzen kann. Und das sind doch nun wirklich Sonderausgaben. Ein Jahr! In den Dreckhäfen bei Sonnenglut und im Maschinenraumschatten geschuftet und gewühlt wie ein belgischer Ackergaul, und dass einem das Wasser im Arsche kochte. Geschwitzt, gesoffen, wieder geschwitzt und wieder gesoffen. Und jetzt sind sie endlich wieder in Deutschland, liegen an der Pier einer Werft. Das Schiff liegt an der Werftpier und wird überholt, das macht die Werft. Der Schiffsboden von Bewuchs und Muscheln gereinigt, das macht auch die Werft, denn das Schiff liegt jetzt im Dock. Ein neuer Bodenanstrich, das macht ebenfalls die Werft. Das ist ja alles ganz schön und muss auch gemacht werden, und wird auch gemacht... aber von der Werft. Und dann werden auch Kolben von der Hauptmaschine gezogen, aber nicht von der Werft. Da werden die Bodenventile aufgenommen, gereinigt, gestrichen, eingeschliffen... aber nicht von der Werft. Mussten doch die peoples, die draußen an der südamerikanischen Küste die Maschine des Schiffes immer einsatzbereit gehalten hatten und stets dafür Sorge trugen, dass das Schiff Geld verdiente, auch hier noch in einem deutschen Hafen und auf einer deutschen Werft arbeiten wie Fronknechte. Da kommen sie nicht auf dumme Gedanken, so sagte der Maschineninspektor lachend zum Ersten Ingenieur... und der sagte nichts. Wieso, warum sollte er etwas sagen, er will sich doch nicht unbeliebt machen, und außerdem brauchte er selbst ja nicht mitzuarbeiten. Nein, das machten die Ingenieure und Maschinisten und die Assistenten und Schmierer und Reiniger, soweit sie nicht abgemustert oder nicht besoffen waren, und das waren sie meistens. Und Buchsen und Kolben ziehen ist bei so einer mehrtausendpferdigen Maschine eine Stinkarbeit. Kindskopfgroße Muttern müssen mit Vorschlaghammer und Ringschlüssel, der allein schon fünfundzwanzig Kilo wiegt, losgeklopft, Flanschen und Rohrleitungen gelöst und abgenommen werden. Rohrleitungen für Anlassluft und Brennstoff und Kühlwasser. Flanschen neben Flanschen und Schrauben und Schrauben und Thermometer und Verschraubungen und Rohranschlüsse. Schrauben und Schrauben! Muttern und Muttern! Sicherungen und Splinte, groß und klein und fest und unbeweglich mit Hammer und Dorn und Kneifzange herausgewühlt, geklopft, gebohrt, herausgeklaubt werden. Die Mutter der Kolbenstange muss mit einer Ramme gelöst werden. Flaschenzüge angebracht, um die Eisen und Stahlmassen überhaupt bewegen zu können. Und das im deutschen Hafen und auf einer deutschen Werft. Und dadurch spart der Reeder. Die menschliche Seite seiner Leute interessiert ihn nicht. Sie interessiert ihn nur dann, wenn er Personalschwierigkeiten hat. Dann denkt der Reeder auch plötzlich sozial. Der Reeder Bollage aber geht nicht von seinem Stil ab, denn der Reeder Bollage kann sich das erlauben, er hat noch Personalreserven, er hat Verbindungen und Beziehungen zum Heuerbüro und auch zum Arbeitsamt und pflegt natürlich diese Verbindungen und Beziehungen. Oh, er pflegt sie, und wenn nur die Herren oder einer der Herren vorn Heuerbüro oder vom Arbeitsamt auf einem seiner Neubauten die Probefahrt mitmachen dürfen. Der Reeder Bollage pflegt diese Verbindungen und Beziehungen auch noch anders. Fröhliche Weihnachten! Wie gut auch, dass es Ratenzah1ungen gibt, wie gut für den Reeder, so hat er zum mindesten seine Angestellten an der Kandare. Häufig hat er den Betrag auch vorgeschossen. Auch sehr sozial! Hat den Betrag für einen Baukostenzuschuss, für einen Bauplatz, für eine Wohnungseinrichtung oder für ein Auto vorgeschossen. Gut, nicht? Sozial, nicht? Aber der Angestellte ist Sklave geworden und zahlt in Raten seine Schuld bei dem Reeder Bollage wieder ab. Wie segensreich ist es doch, dass es Ratenzahlungen gibt. Und dann kann er auch und muss er auch in einem deutschen Hafen und auf einer deutschen Werft Kolben und Buchsen ziehen. In Schichten geht das Tag und Nacht. Die Frauen sitzen oben in ihren Kammern und warten auf ihre Männer und bezahlen an den Reeder Balduin Bollage noch fünf Mark Verpflegungsgeld pro Tag. So sieht das aus bei der christlichen Seefahrt, es wäre anders, wenn es anders wäre. Sie zogen Kolben, eins, zwei, drei. Sie zogen so lange Kolben, bis das Schiff wieder ausdockte. Sie waren ausgelastet, voll ausgelastet. Bei der christlichen Seefahrt wird einem nichts geschenkt. Sie fluchten und schimpften, und Meiler war dabei. Und doch war die TORNADO besser als dieser Kahn, genannt MISTRAL. Aber das ist ja beim Seemann so, immer das vorhergehende Schiff ist das beste.

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9783753193236
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