Kitabı oku: «Hein Bruns: In Bilgen, Bars und Betten», sayfa 4
Kapitel 6
Die Nacht war lang. Die Nacht wurde ruhig. „Das Mädchen fürs Geld“ ging lallend ein. Sie waren am Ende. Zum Teil lagen sie in ihren Arbeitsklamotten auf den Kojen, zum Teil hockten sie, vom Alkohol k. o. geschlagen, in der Matrosenmesse zwischen leeren Flaschen und vollen Aschenbechern. Aber was macht’s? Nichts macht es. Sie können feiern und saufen und singen. Die Schiffsleitung drückt alle Augen zu. Was sollte wohl werden, wenn die gesamte Crew hier das Schiff verlässt, denn im Suff sind sie sich leicht einig. Wo sollte wohl der Reeder so rasch Leute hernehmen? Das Schiff muss fahren, muss fahren. Das Holz muss nach England, nicht damit die Engländer Häuser bauen können, nein, damit die Schillinge für die Fracht in die Säckel der Reeder rollen. Und es muss schnell gehen mit dem Fahren, je eher rollen die Schillinge und je mehr Reisen macht das Schiff. Wenn auch die Crew besoffen ist. Wenn auch der Alte nervös ist und einen Vogel hat. Wenn auch die Augenbrauen vom Chief einen Boogie tanzen - das Schiff muss fahren. Und es fährt. Warum holen eigentlich die Engländer ihr Holz nicht selbst? Fahren wir billiger? Sind unsere Heuern niedriger? Die zeternde Frau, mit der zum Abschied ein Matrose noch rasch eine Nummer gemacht hat, und das Kind sitzen nun wohl im warmen Wartesaal mit der Bierhahnattrappe und warten auf den Morgenzug. Ob die Frau sich wohl die Bluse zugeknöpft hat? Der Koch schlief auf harter Pritsche in einer Polizeizelle und weiß nichts davon. So dicht liegen Freiheit und Zellenheit beieinander. Das Bündel saß in einer Kneipe, und das Schankmädchen entfernte das Bücklingsfett aus dem Perlonhemd. Der Murki hatte seinen Kopf hinter einem Flügel versteckt und der Lispeler sein Gebiss in ein Glas versenkt. Die Augenbrauen des Chiefs tanzten nun einen Schlafwalzer. Die Nacht war ruhig. Auch die Kugel war in die Koje gerollt. Ein Schiff, Motorschiff MISTRAL, schläft. Nur die schwarze Schlange atmet. Nur der Hafendiesel, benötigt für Licht, Heizung und Wasser, tötet tuckernd die Zeit. Weiter streicht die Winternacht mit ihrem frostigen Glasur-Pinsel über die Eisburg Schiff. Im Kontor der Bunkerstation brannte warmes Licht, und das Scheißhaus war eingefroren. Meiler war vom Schiff gefressen, und nun begann die Verdauung. Die Nacht war ruhig.
Die Nacht war ruhig und Meiler allein! Allein war auch der „Assi“ unten im Maschinenraum, allein mit dem tuckernden Diesel, den laufenden Pumpen, dem Ölheizungskessel und mit der gelbfarbigen Hauptmaschine. Meiler war allein mit einem Koffer, einer Matratze, einem Sofa, einer fettigen Zeitung, dem breitgetretenen Bücklingsrest und... mit seinen Gedanken. Alles ordnete er erst einmal. Warf allen Dreck und Mist aus dem Bullauge, wischte mit einem vergessenen, noch nach Arbeit stinkenden Twistlappen, in Unterstützung mit klarem Wasser aus der Leitung, das Fischfett vom Boden auf. Packte seinen Koffer aus (der andere stand ja noch an Deck), legte eine Tischdecke auf. Ein helles freundliches Muster hatte die. Ordnete soweit alles, nur seine Gedanken, die konnte er noch nicht ordnen... Gedanken kann man sowieso im Hafen nicht ordnen, geschweige, so man eben eingestiegen ist. Gedanken ordnet man auf See. Auf langen Seetrips, da kann man seine Gedanken ordnen, sie ausrichten und voreinanderstellen, verschieben, neu verpacken… und dann ist alles gut, so lange gut, bis man wieder in einem Hafen ist oder Post hat. Meiler hob den Kopf. Oben an Deck tapste es, oder im Gang oder in der Kammer über ihm. Nun trappelte es den Niedergang herab, und jetzt trabte es im Gang, Richtung Meilers Kammer. Zögerndes Klopfen. „Herein!“ Eine bemützte „Uniform“ stand in der Tür. „Ich bin der wachhabende Offizier, Linke ist mein Name. Sie sind wohl der neue Dritte von der Maschine, ja?“ Seine etwas grünlichen Augen schielten hin und her, die Mütze hielt er nun in der Hand, und mit der anderen strich er verlegen, fast zärtlich über seine rötlichen Haare, schob eine Locke zurecht, und dann erst gab er Meiler die Hand, die weich, weibisch und schlaff und ohne Druck sich präsentierte. Wie Schleim, dachte Meiler, neugierig darauf, was nun wohl kam. Die „Uniform“ war an sich ein heller Fleck auf diesem Schiff, dem Schiff mit Besoffenen und Grölenden, mit Kanarienvogelkapitän und Augenbrauen-Boogie tanzendem Chief, küssender Kugel und Bücklingsresten. Ja, der Mann schien eine Insel der Hoffnung zu sein. Menschen können überhaupt Hoffnungsinseln und Ankerplätze sein, oder Kaimauern und Duckdalben, ja, das können sie. Und wenn man seine Gedanken noch nicht geordnet hat, mag man wohl so eine helle Insel. Linke war korrekt, für Meilers Begriffe fast zu korrekt gekleidet. Blaue, gut sitzende Litewka mit goldenen Knöpfen, Schulterstücken mit goldenen Litzen. Blaue Hose mit Bügelfalte, fast so wie Meilers Gegenüber im Fernzug. Jedenfalls beste Figur für ein Propagandaplakat, binnenlands aufzuhängen: WERDE SEEMANN, UND DU BIST IMMER GUT ANGEZOGEN! Es fehlte nur noch das „Schwert an seiner Linken“! Der Schleim tropfte noch von Meilers Rechten. Frage: „Haben Sie schon Kojenzeug?“ Melchior verneinte und zeigte auf die kahle Seegrasmatratze. „Ich werde sofort den Steward wecken lassen, der gibt Ihnen Kojenzeug und auch Handtücher!“ Menschenskind, nobel, obernobel, stinknobel, dreimal stinknobel . Oha, lässt den Steward wecken, weckt nicht mal selbst, verdammt. Die etwas grünen Augen der Uniform wurden fester. Ja, wenn der verdammte Schleim nicht wäre. Meiler beurteilte Menschen nach Blick und Händedruck und auch nach Religion und Gewerkschaftszugehörigkeit. Die Uniform gefiel ihm gerade nicht besonders. Er selbst konnte nicht mal einen blanken Eisenbahnerknopf sehen. Aber was willst du eigentlich, der Mann ist doch korrekt, höflich, hilfsbereit und kameradschaftlich. Sieh mal, der sorgt für Bettwäsche und Handtücher und lässt sogar den Steward wecken. Dir kann man es aber auch gar nicht recht machen. „Nehmen Sie doch Platz!“ — „Nein, danke... und außerdem bin ich im Dienst. Ich bin der Zweite Offizier hier an Bord!“ — „So, der Zweite, soso, na ja, aber wo waren Sie denn vorhin, als der Rabatz und der Trubel hier im Gang war?“ fragte Melchior Meiler hinterlistig. „Oh, da darf man sich nicht sehen lassen... davon hat man nur Unannehmlichkeiten. Außerdem hatte ich im Kartenhaus zu tun!“ Aha, im Kartenhaus zu tun, denn man zu. Ja, immer hübsch vorsichtig. Könnte der Karriere schaden. So einer bist du, ja, ja, nur nicht anecken, oben wie unten nicht, kommst immer zurecht. Linke, der Name ist gar nicht mal so schlecht getroffen. Linke. Linke. Mensch, ist das ‘ne Modepuppe. Eine Haarfrisur. Eine Rasur. Ein weißes Hemd und schwarze Krawatte. Ebenholzgewichste Schuhe. Junge, Junge, Meiler, davon kannst du dir aber eine Scheibe abschneiden. Und das morgens um drei Uhr. Aber immerhin doch ‘ne Insel. „Ist das Ihr Koffer, der da oben an Deck steht?“ — „Ja!“ — „Ich lasse ihn gleich nach unten bringen!“ Eine Behandlung hier, wie in einem Erste-Klasse-Hotel. Das tut gut, das ist noch ein Ton. So ist die Seefahrt richtig. Es gibt doch noch prima Kerle. Was willst du eigentlich, Meiler? Wenn... wenn... ja, wenn der backsige Schleim nicht wäre. „Ach, Sie lesen auch?“ fragte Linke und zeigte auf Meilers ausgepackte Bücher. Auch? Was heißt hier auch? Auch heißt doch sicher, dass er auch liest, oder nicht? Meiler konnte es sich nicht verkneifen zu antworten: „O ja, Erbsen, Kammerschilder und Filzläuse!“ Der Schleim wurde zu einer festen Masse, die Augen irrten. Die weiße Mädchenhand legte sich wieder wie Hilfe suchend an die korrekte Haarfrisur, wo wirklich nichts in Ordnung zu bringen war. Verlegen entblößten Lippen Pferdezähne. „Haha... haha!“ — „Hahaha!“ auch Meiler. Die Uniform schob sich rückwärts aus der Tür. Zurück blieb Schleim und ein aufdringlicher Geruch nach Haarpomade.
Lange dauerte es nicht, da klopfte es. Der Steward. Verschlafen, brummig: „Ihre Wäsche!“ Stewards neigen in der Regel nur dazu, den leitenden Angestellten an Bord so etwas wie Respekt entgegenzubringen. Die „anderen“, die sie leider dulden müssen, sind für Stewards nur eine „Belastung“, wären die „anderen“ nicht, gäbe es für sie weniger Arbeit. Zu Fahrgästen, ja, zu denen sind sie natürlich besonders höflich. Auf jeden Fall aber dann, so sie einen Blick in die Reisepässe geworfen haben und nun wissen, welches Geldes Kind Sie vor sich haben. Dann überschlagen sie sich förmlich, flitzen durch die Gänge, dass sich das Linoleum hinter ihnen aufrollt, und setzen ihr so bekanntes Trinkgeldalmosenempfängergesicht auf. Wie sagt man doch bei der christlichen Seefahrt? „Er war Seemann übelster Art, er war Steward, hatte gelbe Finger, stahl Obst und wichste.“
Meiler packte weiter seinen Koffer aus und räumte ein. Bezog seine Koje. Bei den leitenden Angestellten macht das der Steward, müsste er hier auch. Tut er nicht, hat er nicht mehr nötig. Ist „Knapp“ und Schützling des Kapitäns! Es klopft wieder. Ein zerknittertes, altes Matrosengesicht: „Ich bin der ‚Alte Fritz‘ hier, ich bringe Ihren Koffer!“ — „Schön, Alter Fritz, lass dir vom Steward ‘ne Flasche Bier geben, er ist ja noch auf, denke ich.“ — „Danke, Meister, und gute Wache!“
Kapitel 7
So, nun war alles soweit, und eingeordnet, eingeräumt, an seinen Platz gelegt, dort, wohin es gehörte. Wäsche in die Schublade unter der Koje. Anzüge auf Bügel im Spind und Schuhe darunter. Arbeitszeug unterm Sofa verstaut, in der einen Lade. Und in der anderen verschwand das Khakizeug - Hosen, kurz und lang, und Hemden mit langen und kurzen Armem. Khakizeug ist wichtig und ist auch das Zeug, welches man in der verdammten Hitze, dort irgendwo in Afrika, Asien oder Südamerika, tragen kann. Tischdecke lag auch schon aufgelegt, macht sich gut. Miras Bild ist aufgehängt. Ach Mira! Bilder können doch Einfluss haben. Bilder wirken aber nur, so der Kontakt mit Herz und Seele noch nicht abgerissen ist. So man noch den Körper spürt, den Atem fühlt, die Worte hört. Bilder, Fotos verblassen so schnell, sieht man nach Wochen gar nicht mehr. Nur Erinnern bleibt! Ja, Erinnern bleibt... und vielleicht auch Hoffnung auf neue Freuden und neues Glück. Und wenn einen die Begierde wieder anspringt und das Erinnern an Bett, Beine und Brüste. An Küsse! Na ja! Nur eine Reise! Eine Reise! Wie lang die Reise wohl wird? Klein ist sie ja, die Kammer, verdammt klein, aber für Meiler genügte sie. Er war doch soweit objektiv, dass er sich sagte, bei einem so alten Schiff kann man nichts Besseres verlangen. Außerdem wollte er hier ja nur eine Reise machen (so hatte man ihm doch gesagt), und die würde er schon rumkriegen, so oder so.
Meiler zog sich einen Kesselanzug an und stieg in den Maschinenraum hinunter. Wie ein gewaltiger, ruhig und behäbig liegender vierkantiger Felsblock nahm der Hauptmotor den größten Platz ein. Seine Kraft, jetzt ruhend und auch schlafend, betrug mehrere Tausend Pferdestärken. Blankblitzende Treppengeländer! Weißlackierte Maschinenraumschotten glänzten im Lack und im Licht von hochkerzigen Lampen. Wohlige Wärme. Dieselölgeruch! Zum Trocknen aufgehängtes Arbeitszeug! Das Wummern und Tumben des Hafendiesels!
Auf knallrot gemalten Podesten stehen übermannshohe Reservekolben und Laufbuchsen. Und es präsentieren sich Maschinenschuhe, aus Leder, aus Plastik, aus Perlon. Ölgetränkt die aus Leder, schiefhackig.
Niedergelatschte und ausgetretene. Bunt gewürfelt. Ehemalige Salonschleicher sind auch dabei und auch Sportschuhe. Hier erleben sie ihren Niedergang nach dem Motto: Der Mohr kann gehen. Schuhe, hier auf der Altersbank, ausrangierte Sonntags- und Gebrauchsschuhe erzählen Geschichten. Schuhe von zwölf Mann Maschinenpersonal! Meiler stieg die Treppe, dreiunddreißig Stufen zählte er, hinunter. Das Wummern und Tumben des Hilfsdiesels wurde stärker und lauter. Den wachhabenden Ingenieursassistenten, auf allen deutschen Schiffen kurz der Assi genannt, fand er besoffen und schlafend vor. Wie ein zusammengeknüllter Scheuerlappen hockte er neben der Schalttafel. Meiler stieß ihn an, rüttelte ihn, all das half nichts. Ganz schön besoffen... und wohl auch übermüdet. Meiler hielt ihm jetzt die Nase zu. Der Assi japste einige Male, holte rasselnd durch den Mund Luft und wurde wach. Verglaste, verständnislose Augen sahen, stierten Meiler an. Dann kam Leben in die Augen, wie sie einen Fremden vor sich sahen. „Nun stehen Sie man erst mal auf, ja?“ Der Assi stand tatsächlich auf, damit hatte Meiler nicht einmal gerechnet. „So ist’s schön, so ist’s recht, Freund der Nacht. Ich bin der neue Dritte hier“, sagte Meiler und hielt dem Assi die Hand hin. „Meiler heiße ich!“ — „Assistent Hansen!“ Ein kurzer Händedruck! Wie er denn auf Wache schlafen könne. „Na“, nuschelte der hoffnungsvolle Nachwuchs der Maschinenlaufbahn, „wenn der Diesel das Bein rausstreckt, dann tut er es auch, wenn ich wach bin, oder nicht?“ Ein stichhaltiges Argument, weiß Gott! Meiler fixierte den Assi, einen bulligen Kerl mit Stiernacken und wirren struppigen Haaren, eine Zeitlang und sagte dann: „Ja, aber es wird doch Gasöl gebunkert, da müssen Sie doch auch aufpassen, nicht wahr?“ „Nee, das macht der wachhabende Ingenieur hier... damit habe ich als Assi nichts zu tun!“ — „Das wäre dann also ich, nicht wahr?“ fragte Meiler. „Das kann wohl sein, wenn Sie der neue Dritte sind!“ Ach so, der wachhabende Ingenieur, ja, das stimmt ja auch wieder. Das bist du doch, Meiler, stimmt, trifft genau zu. Man muss tatsächlich sagen, der Assi hat Recht und versteht seinen Laden. Denn man zu. Ob er sich wohl wieder zum Schlafen hinsetzt? Meiler fragte sich das noch, als er sich wieder treppauf hantelte; fragte sich auch, wieso und warum der Assi 700 DM im Monat verdient, und das bei freier Verpflegung und Unterkunft. Wohl nur für Anwesenheit? Wahrscheinlich. Wohl nur für Essen und Trinken und Schlafen an Bord, für zollfreie Zigaretten und zollfreien Schnaps? Oder der Schiffsbesetzungsordnung wegen? Sollte die Anwesenheit des Ingenieurassistenten Hansen nicht doch ein wenig mit der Arbeit zu tun haben? Möglich wäre das schon. Sicher aber weiß der Assistent Hansen, warum er an Bord ist. Ob der Reeder Balduin Bollage das auch wohl weiß? Doch, der weiß das auch, auf jeden Fall aber wissen es die Inspektoren, die Handlanger und Hilfswilligen des Reeders. Wissen aber wollen sie nicht, dass der Assistent Hansen geschlafen hat, während seiner Wache geschlafen hat. Denn sie sind froh, dass so ein Schiff besetzt ist, so ein alter „Zossen“ (das Wort gebrauchen sie selbst natürlich nicht) laut Schiffsbesatzungsordnung natürlich. Denn nur voll besetzt darf ein Schiff auslaufen, so halten es in der Regel die großen und auch kleinen Reedereien. Bei der Küstenschifffahrt sieht das ganz anders aus. Da sieht es, außer anderen Dingen, bezüglich Schiffsbesetzung verheerend aus. Zum Teil tun sie es auch aus Sparsamkeitsgründen. Und die Inspektoren liegen abends im Bett und beten ein Dankgebet, dass es ihnen gelungen ist, mit Gottes Hilfe den Dampfer X wieder voll zu besetzen. Danken Gott weiter, dass nun der Dampfer X wieder auf See ist. Und draußen, draußen auf See? Was draußen auf See ist, das ist nicht mehr ihre Sache, bis das Schiff zurückkommt, sind wieder einige Monate vergangen. Draußen auf See, die Reibereien und Zerwürfnisse, die müssen sie jetzt selbst lösen. Der Kapitän und seine Mitarbeiter und der Chefingenieur und seine Mitarbeiter. Sie müssen begradigen, ausgleichen, beschwichtigen, klein beigeben. Drohen können sie nicht, mit Entlassung zum Beispiel. Diese Drohungen ziehen nicht, denn Herr Inspektor Seifert würde sagen: „Mein Gott, Herr Kapitän, konnten Sie denn den Mann nicht ein bisschen individuell behandeln?“ Diese Drohungen ziehen sowieso nicht, denn da steht schon der Inspektor Soundso von der Reederei Soundso und buhlt um diesen entlassenen Mann Soundso. Weil er ihn braucht, bitter-bitternötig braucht, damit er ein Schiff besetzen kann, voll besetzen, und damit dieses Schiff auslaufen kann. Das Schiff muss raus, denn das nächste ist schon wieder gemeldet, und auch die Abmusterungsliste, d. h. die Liste, in der verzeichnet ist, wer von der Besatzung abmustern will, von Bord will. Von Ressort Deck gehen 52 Mann, einschließlich II. und III. Offizier. Von Ressort Maschine mustert alles ab, außer Chefingenieur, da gehen der II., der III., der IV., da gehen die Assistenten, die Motorenwärter und Reiniger. Koch, Bäcker, Steward, Messesteward, Messejunge, alle, alle gehen. Sie kommen meistens irgendwie einmal wieder zur Seefahrt zurück. Oftmals ist zuerst das Geld versoffen, verprasst, vertan - und das kann „Hein Seemann“ ganz fix. Oder sie sind von ihren Mädchen satt, und auch die Mädchen sind schnell satt, so der Seemann kein Geld mehr hat. Andere haben mit ihren Eltern Krach gehabt, und es gibt auch welche, die sich mit ihren Ehefrauen erzürnt haben. Sie haben alle irgendwelche Gründe, zur Seefahrt zurückzukehren, genauso, wie sie Gründe hatten, der Seefahrt den Rüchen zu kehren. Sie alle aber werden immer und immer wieder mit lieben Gesichtern, freundlichen Gesichtern aufgenommen. Sie werden gesiezt, und sollten sie auch gerade Schulentlassene sein. Ihnen wird Platz angeboten, wohl auch eine Zigarette, manchmal auch ein Drink. Es soll vorgekommen sein, dass Inspektoren solche „Freundlichkeiten“ aus eigener Tasche bezahlten. Auch so kann man seine Stellung an Land halten, sonst müsste man doch selbst wieder zur See fahren. Jawohl, ein Inspektor muss Einfühlungsvermögen haben, muss etwas von Menschenführung verstehen und muss reden können... auch mit dem so genannten kleinen Mann… und so er das kann, hat er gewonnen. An Bord wird dann gesagt: Der Herr Seifert oder der Herr Wagenfeld, der Herr Wieland, der Herr Onken, das sind feine Kerle, mit denen kann man reden. Jawohl, damit kann man reden und reden, und es wird einem auch mal auf die Schulter gekloppt, so fast kameradschaftlich, das hebt des Seemanns Selbstgefühl und stuft ihn ein in die Klasse der an Land Lebenden. Und Hein Seemann macht noch eine Reise von drei oder vier Monaten, zur Not auch ein bis zwei Jahren - wie es gerade kommt. Ob Hein Seemann das gar nicht merkt, wie er beschissen wird? Was heißt hier beschissen? Er wird ja nicht beschissen, wieso, wer bescheißt ihn denn? Er bekommt seine tarifliche Bezahlung, und wenn er besonders „tüchtig“ ist, wird ihm auch noch Geld über Tarif bezahlt. Nein, so ist der Reeder nun auch nicht, letztlich geht dieses Geld ja von seinem Verdienst ab. Aber heute denkt der Reeder ja sozial. Denkt er sozial?
Kapitel 8
Eisschollen poltern, rumoren, stoßen und krawallen gegen die Bordwand. Die Hauptmaschine läuft! So gegen acht Uhr morgens war die Gasölübernahme beendet! Meiler schlief. Schlief so fest, dass er nicht hörte, als das Schiff ablegte. Meiler schlief in reedereigener Wäsche - und er schlief gut darin. Das mit der Wäsche ist wohl auch so selbstverständlich? Wo gibt es in Landbetrieben Bettwäsche, geliefert vom Arbeitgeber? Höchstens für Gastarbeiter. Das Schiff war in See gegangen, mit Meiler, dem neuen „Dritten“, mit dem Schleimigen, dem Alten Fritz, dem Kanarienvogel, den Augenbrauen, der Kugel und den anderen. Die See war ruhig, die Frostfaust hielt sie nieder.
Sie fuhren, aber sie fuhren ohne Koch nach England. Das ging wohl mal. Und das merkt ja niemand, nur eben der Seemann, das Besatzungsmitglied. Aber was soll das besagen? Ohne Koch geht es für ein paar Tage. Und es gibt keine Instanz, keine deutsche jedenfalls, die ein Schiff aufhalten könnte, das keinen Koch an Bord hat. Wo kämen die Reeder wohl hin… ein Schiff liegen lassen, nur weil kein Koch an Bord ist und nur eben nach England? Lächerlich! Die Besatzung muss sich mal behelfen, für ein paar Tage behelfen. Gott, so ein bisschen Essen zusammenkloppen und zusammenbrauen kann doch der Bäcker, könnte doch jeder Seemann, da liegt doch nichts drin. Der neue Koch wird nach England geschickt. Bums und fertig. Wer will da noch etwas sagen? Sagen? Es kann niemand mehr etwas sagen, sobald das Schiff Deutschland verlassen hat, zumindest kann niemand mehr abmustern. Och, sagen kann man schon etwas, aber nützt es? Damit und davon kann man auch keinen Koch herbeizaubern... und die Maschine dreht sich, dreht sich, und auch die Welle dreht sich, und auch die Schraube dreht sich. Sie dreht sich bis zur Lotsenstation auf der Themse, macht eine kleine Pause und dreht sich dann weiter bis vor die Docks und dreht sich dann weiter bis zum Liegeplatz des Schiffes. Und es kann passieren, dass der neue Koch schon an der Pier steht, und was hätte das Reden und Meckern für einen Zweck gehabt? Köche sind überhaupt bei der christlichen Seefahrt ein Kapitel für sich, ein großes, ganz großes Kapitel für sich. Sie brauchen gar nicht mal so gut kochen zu können, die Hauptsache, sie können verwalten, rationieren, sparen, dann sind sie für den Reeder bares Geld. Köche und Kapitäne sind die Hauptstützen des Reeders. Köche, die verwalten und wirtschaften können, sind bordseitig auch schlecht aus dem Sattel zu heben. Sie können frech sein, faul sein, laut sein, arrogant sein, sie werden gedeckt von den Kapitänen.
Sie fuhren! Kurs Themse. Bis London sind es wohl etwa vierzig Stunden zu dampfen. Die Nordsee war wohl ein bisschen kabbelig, aber sonst ganz manierlich. Sicht auch gut, mein Liebling, was willst du noch mehr? Der Seemann ist leicht zufrieden, er ist schon froh, wenn das Wetter man einigermaßen ist. Seine Arbeit und seine Wache müssen getan und gegangen werden, ob Sonne scheint oder Orkan orgelt. Hundekalt war es aber, und es fror. Melchior Meiler ging die Hundewache, das ist überall so, die Hundewache ist die Wache des Dritten. Nachts von 24 bis 4 Uhr. Dann wieder acht Stunden Ruhe, und wieder am Tage 12 bis 16 Uhr. Also acht Stunden, aber das auch sonnabends und sonntags und Ostern und Pfingsten, auch Weihnachten sowie an den anderen gesetzlichen Feiertagen. Ist ein Schiff an Sonn- oder Festtagen auf See, bringt das dem Reeder Geld. Ist ein Schiff an Sonn- oder Festtagen im Hafen, kostet das den Reeder Geld. Und es ist selbstverständlich, dass der Reeder mit allen Mitteln versucht, seine Schiffe sonnabends wieder auf Reisen zu schicken. Das erklärt auch, dass die Häfen sonntags fast leer sind. Natürlich ist das nicht immer so einzurichten.
Meiler stand um 8 Uhr auf und ging in die Messe zum Frühstück. Auf so einem Handelsschiff dieser Größe hat man vier Messen, Räume, in denen die Mahlzeiten eingenommen werden. Die Messen besagen schon, wie weit man bei der Seefahrt von einer klassenlosen Gesellschaft entfernt ist. Die erste Messe ist die größte, und dort essen die wenigsten: Der Kapitän, der Erste Offizier und der Erste Ingenieur. In der zweiten Messe ist es schon weit belebter, dort essen der Zweite und Dritte Offizier und eventuell ein oder zwei Offiziersanwärter (das sind Matrosen, die kurz oder lang die Steuermannsschule besuchen wollen). Weiter nehmen hier die Ingenieure oder Maschinisten, deren sind es noch drei, sowie die Ingenieursassistenten, deren sind es auch drei, der Elektriker und der Funker die Plätze ein. Die nächste Messe ist die Unteroffiziersmesse. Dort sitzen der Bootsmann und der Zimmermann, der Storekeeper und ein oder zwei Schmierer. In der letzten Messe essen die Matrosen, Leichtmatrosen, Jungmänner und Decksjungen und die Reiniger. In der ersten Messe bedient der Salonsteward mit einem Messejungen als Hilfe. In der zweiten Messe tut es der Messesteward allein, und in den anderen Messen macht es ein Decks- oder Maschinen junge. Spiegeleier gab es heute Morgen. Konnte der Bäcker braten. Eier sind das billigste Frühstück!
Meiler sah sich an Bord ein bisschen um. Man muss wissen, wohl auch erst oberflächlich, auf was für einem fahrbaren Untersatz man zur See fährt. Das musste er ja sagen, die Maschinenanlage war ganz in Ordnung, jedenfalls was Farbe anbelangt. Haupt- und Hilfsmaschinen elfenbeinfarbig gestrichen. Kupferrohre, Manometer und sonstige Armaturen bestens geputzt. Geländer auf Hochglanz geschmirgelt. Flurplatten sauber und blank. Aber, aber, der Schein trügt, der Schein kann tausendmal trügen. Es hat schon manch einer ein Auto gekauft, hat sich von der Farbe blenden lassen, und der Motor fiel auf der ersten Fahrt auseinander. So etwas gibt es im Schiffsbetrieb auch, und gar nicht mal so selten. Und Meilers Gedanken gingen um einige Jahre zurück zu jenem Küstenfahrzeug, das einem Eigner aus Ostfriesland gehörte, der es aber selbst nicht fuhr, von wegen absaufen. Der alte Küster, Motorschiff OKOLINE. Mit einer SAS-Maschine startete Meiler von Hamburg-Fuhlsbüttel nach Reykjavik auf Island. Der zweite Maschinist hatte irgendwelchen Schnaps gesoffen, der ihm gar nicht bekommen war, nein gar nicht. Blut war das wenigste, was er spuckte, und das tat er an Bord. Im Krankenhaus spuckte er kein Blut mehr, aber da konnte er nicht mehr sehen… und das ist schlecht. Schlecht für ihn und auch schlecht für den Schiffseigner: Der eine konnte nicht mehr sehen und der andere konnte sein Schiff mit einer Ladung Stockfisch nicht nach Portugal bringen lassen. So kam Melchior Meiler zu einem Flug in den hohen Norden, über die Nordsee und über die Shetlands nach Island. Er fiel vom Himmel, buchstäblich. Eine Stunde später war er an Bord. Hinter ihm zog man die Gangway ein. Der Alte schrie: „Leinen los!“ Und sie segelten aus dem Hafen, und die Krawatte hatte er noch nicht abgebunden... auf nach Portugal mit einer Ladung Stockfisch. Vull Schipp. Junge, da hatte er schön was gemacht! Den Dampfer hielt nur noch der Rost zusammen (mittlerweile ist er auch auseinandergerostet), miefte wie eine Abdeckerei. Stöhnte und ächzte in allen Fugen, dass es einen Hund jammerte. Der Alte war ein Sonderling. Musik, Frohsinn und Lachen konnte er nicht vertragen. Radio schon gar nicht. Dreitausend Mark war der Eigner, der sich ja auch Reeder nennt, beim Kapitän mit Heuer rückständig... das Ankerspill gehörte ihm schon. Der Steuermann ein Betbruder! Der Koch eine ausgesprochene Mistbiene! Der Chief alt und zittrig, dem der Kalk schon aus der Hose rieselte. Außerdem hatte Meiler ihn in Verdacht, dass er Brennstoff soff, weil seine Lippen so zerfressen waren. Die Matrosen, wenn man sie so bezeichnen durfte, waren Ausländer. Ein anständiger deutscher Matrose würde nie auf so einem Eimer anmustern. Das konnte ja reizend werden... und das wurde es denn ja auch. Die Maschinenanlage war gut in Farbe, jawohl, alles was recht ist. Aber die Maschinenanlage war total runtergefahren, es drehte sich wohl noch was, so war das nicht, aber nur unter Gejammer und Gezische und Gepfeife. Außerdem qualmte der „Vogel“, nur nicht aus dem Schornstein. Hielt sich Meiler im Maschinenraum auf, liefen die Augen wie die Trollhättafälle. Isolierband, Leukoplast und Blumendraht waren die Binde-, Dichte- und Zusammenhaltemittel. Ach und der Dreck, der den Maschinenraum rund machte, in den Ecken und Winkeln saß, als schäme er sich selbst. Die Maschinenanlage, was Hauptmotor und Hilfsmaschinen anbelangt, war gut in Farbe. Ach und der Rost, mein Gott der Rost, der sich an der Außenhaut, die ja auch noch eine Innenseite hat, dick macht. Rost, den man nicht wagt anzuschielen, sonst könnte er abplatzen und die See hereinlassen, dieser Rost! Nee, es war ‘ne Lust. Beleuchtung tranig und traurig wie in einem Existentialistenkeller. O Welt, wie warst du gestern noch so schön von oben! Vorbei! Vorbei die Augenweide an hübschen Stewardessen. Vorbei mit gepflegten Händen und Whisky pur. Nix mehr dezenter Hauch von „Chanel“ und „Soir de Paris“! Ganz elendig nach Fisch stank es, dass es einem die Socken zusammenzog. So war er doch tatsächlich vom Himmel, dem blauen, in die Hölle, der schwarzen, geraten. Schaukelte von Island nach Portugal, auf einem kleinen Schiff auf großem Wasser. Jeden Morgen um neun Uhr wurde die Maschine gestoppt, trotz Meilers Freiwache und seiner Stinkwut. Dann trieben sie auf der Weite des Atlantiks und reinigten Gasölfilter. Täglich lenzten sie die Raumbilgen. Täglich waren sie voll bis zum Kragen... und daran hatte der gesalzene Stockfisch schuld. Das Lenzen war ein Gottesgericht! Kreisel der Pumpe angefressen und zum Teil vergammelt. Rohrleitungen durchgerostet, x-mal geflickt und wieder geflickt. Voller Salz! Der verfluchte und dreimal verdammte Stockfisch! So hielt sich Meilers gequältes Selbst morgens und manchmal auch nachts unter den Flurplatten, in der Bilge auf. Der Chief und Meiler waren voller Dankbarkeit gegenüber dem Geschick, welches sie auf diesem Zarochel zusammengeführt hatte. Denn der Chief war immer dabei! „Ja“, krächzte er einmal in einer schwachen Stunde, in der sie sich beide mit schweißnassen Augen ansahen, „diese Maschine, mein Junge, die will nicht nur deinen Schweiß, die will auch deine Knochen!“ Und er warf einen hasserfüllten Blick überall hin. Wohl auch einen Blick auf Vergangenheit, auf Jugendträume! Wohl auch einen Blick auf die Zukunft und auf seine Rente! Wie träumte Meiler? Wie war das noch? Wie träumte er, so er wie ein Artist eingeklemmt zwischen Rohren hing und einen Flansch losnahm, dessen Bolzen und Muttern der Rost zusammengefressen hatte? Wie träumte er? Ach so, er sah ein schönes, gepflegtes Gartenrestaurant, am Elbestrand, zur Sommerzeit. Sah weiße Jacken der Kellner, Schiffe auf Aus- und Heimreise, blonde „Helle“. Diese verfluchte Dreiviertelzoll-Mutter musste er aufkreuzen, ihr mit Hammer und Meißel zu Leibe gehen. Sah kleine niedliche Mädchen im wehrdienstfähigen Alter, die duftend und leicht und sommerlich gekleidet sitzen, Limonade trinken, Eis essen, kichern und fröhlich und jung sind. Saukram, jetzt fiel ihm auch noch der Meißel in die Bilge. Das Konzert war wundervoll. Operettenmelodien! Ein schöner Traum! Der Chief stand oben und meckerte! Und der Alte freute sich, dass er Nautiker geworden ist... trotz Heuerrückstand. Und Meiler freute sich, dass nur noch sieben Tage bis Portugal zu dampfen waren. Am Ende dieser hier an Bord verbrachten, verlebten, stinkigen Tage, und als seine Ablösung in der Tür stand, schrieb er an die Maschinenraumtür, dick und in Druckschrift das alte Zitat: