Kitabı oku: «Der Kopf», sayfa 7
»Nicht einmal ich bekomme es aus ihm heraus«, raunte sie. »Ich weiß nur, angewiesen zu sein auf den Menschen, das zehrt an ihm mehr, als das Geld, das es kostet.«
Terra: »Da komme ich weiter.« Er schlug vor: »Verdrehen Sie dem Schurken den Kopf! Er ist Stammgast im Café National.« Sie sann. »Wer etwas gegen ihn in die Hände bekäme.« Hier klirrte die Glastür ein wenig; mit einem Blick sagten sie einander, daß sie belauscht seien. Plötzlich spielte das Gesicht der Frau von drüben die sichtbarste Herausforderung, wie auf der Bühne. Terra führte begreifend die Hand in die Herzgegend und stammelte. Aus dieser Stellung erhob er sich, als die Tür aufging und Mohrchen sichtbar ward.
Mohrchen blickte witziger darein als je. Im Vorübergehen deutete er nach der Seite der Fürstin eine Verbeugung an, drohte Terra leicht mit dem Finger und steckte schon den Schnepper in die Polstertür. »Herr Mohrchen!« rief wohllautend die Fürstin. »Solchen Tönen widersteht man nicht«, sagte er tatsächlich und kehrte zurück. Sie wies ihm den von Terra verlassenen Stuhl an. »Der Direktor hat Geschäfte«, äußerte sie; und den Kopf im Nacken, ihr weißes Gesicht hinbreitend wie ein Paradies: »Sie dürfen mir alles sagen.«
Mohrchen wieherte auf, nicht anders, als lachte er sie aus. »Hier kommen komische Sachen vor«, brachte er heraus. »Sie glauben es nicht, die Kasse ist leer!«
Sie rümpfte die Nase. »Bester, wem wollen Sie das weismachen.« Aber er zeigte die Anweisung des Direktors vor und behauptete, die siebzigtausend Mark würden nicht ausbezahlt. Sie sagte, ohne sich zu besinnen: »Auch ich will mein Vermögen nicht verlieren. Es steckt bis auf den letzten Pfennig in der Generalagentur. Sie sollen mein Vertrauen sehen. Hier –« Sie zog die Perlen, die ihr am Hals schimmerten, unter ihrem Pelzmantel hervor, die Schnur ward immer länger. Sie warf sie in die schon hingehaltenen Hände Mohrchens. »Leisten Sie damit Zahlung!«
Mohrchen stand sofort auf, er war ernst geworden. Einen Diener, und er wollte fort. Sie ließ ihn bis zur Tür kommen. »Wieviel Uhr?« sagte sie hell in die Stille, und sah auf ihrem Armband nach. »Sechs ein Viertel. Sind Sie bis sieben nicht zurück, muß ich wohl annehmen, daß ich Sie in meinem ganzen Leben nicht wiedersehen werde.« – »Es würde Sie schmerzen«, sagte Mohrchen witzig. »Aber was kann ich tun«, schloß sie. »Meinen künftigen Gatten darf ich nicht in Ungelegenheiten bringen.« Glucksend verschwand Mohrchen.
»Ich habe es ihm nahe genug gelegt, endlich durchzugehen«, sagte sie zu Terra. »Das Übrige ist an Ihnen.«
Er gab zu bedenken: »Wenn aber der Direktor es nicht aushalten sollte?« – »Kein Gedanke daran«, sagte sie, und auch Terra schwankte schon nicht mehr. Sie hatte ihn verlassen, er durchmaß das Zimmer mit seinem entschlossensten Schritt, stieß Rauch aus und sah das triumphale Ende des Tages nahen, die Erlösung des Direktors der Generalagentur für das gesamte Leben von seinem bösen Dämon, Terra Mitdirektor, die Macht erobert an einem Tage ... Es ging auf sieben, er betrat das Vorzimmer, das summte und scharrte. Seifert sprang wie aufgezogen durch seinen Käfig. Beim Anblick Terras wisperte er: »Sie sind nicht zu halten, die siebzigtausend werden bald ausgezahlt sein, sie reißen sie mir aus der Hand.« – »Geduld«, mahnte Terra, voll Zuversicht. In der Menge stieß er auf Kurschmied, der die allgemeine Unruhe teilte. Gerüchte gingen um, und sie kamen aus dem Hause selbst. »Sind etwa Sie es, der die Dinge hier aufführt?« fragte er Terra, aber Terra begriff nicht. Ein noch junger, sehr bärtiger Mann, den Kurschmied bei sich hatte, zeigte gleichfalls tiefe Bewegung. »Herr Hummel und seine Freunde haben das Kapital der ›Weltwende‹ hier angelegt«, erklärte Kurschmied. »Die Weltwende mag kommen! Hier ist man bereit«, sagte Terra laut und sah sich um. Da bemerkte er Elias.
Elias stand in der Tür des Kassenzimmers, er folgte mit bescheiden zweifelnden Blicken den Schritten Terras. Sobald er sich bemerkt sah, kam er ihm entgegen. »Nun?« forschte Terra. »Wo ist er?«
»Ist er durchgegangen?« fragte Elias seinerseits. »Das hätte ich nicht von ihm gedacht«, – und er sah ehrlich erstaunt aus.
»Sie sind also nicht auf seiner Spur geblieben«, sagte Terra drohend. Elias aber gelassen:
»Hab' ich es nötig, Herr Polizeirat? Ich weiß auch so, was Mohrchen treibt. Er spielt.«
Es dauerte eine Weile, bis Terra dies erfaßt hatte. Mohrchen spielte, im Auftrag des Direktors, mit den Geldern der Generalagentur. Vom Gewinn hatte er Prozente, Verluste berührten ihn nicht. So einfach erklärte sich das Geheimnis. »Ich bin ihm daraufgekommen«, sagte Elias. »Da hat er mir manchmal zehn Mark geschenkt. Auch gut, ich hab' den Mund gehalten.« – »Die Bank, wo Ihre Ersparnisse liegen, soll auffliegen«, schnarrte Terra. Elias machte einen Sprung.
Seifert, der nicht Hände genug hatte, winkte verzweifelt. Terra trat statt seiner an das Schallrohr. Die Stimme des Direktors erscholl darin: ob denn Mohrchen noch immer nicht zurück sei. »Herr Mohrchen war nicht da«, sagte Terra mit der nachgeahmten Stimme des Kassierers. »Und die Kasse ist leer.« Der Direktor, klar und sicher: »Dann kommt er sogleich. Gerade heute wird ein Riesengeschäft perfekt.« Terra, aufgeregt wie Seifert: »Herr Direktor, Herr Mohrchen ist da. Einen Augenblick.«
Dann schickte er ein fettes Kichern voran und sagte mit der nachgeahmten Stimme Mohrchens: »Herr Direktor, kein Glück.« – »Alles fort?« – »Fassen Sie sich, Herr Direktor. Für mich habe ich gewonnen.« – »Schurke, Du hast mich ausgebeutet!« – »Das mir?« sagte die gekränkte Stimme Mohrchens. »Aber so sind Sie, Herr Direktor. Siebzigtausend verschmerzen Sie, aber meine fünfhundert sind Ihr Ende. Ich ziehe mich in das Privatleben zurück, Ihr Diener, Herr Direktor.«
Und Terra antwortete nicht mehr, so sehr der Direktor nach seinem Mohrchen schrie. »Was wünschen der Herr Direktor?« fragte er endlich mit seiner eigenen Stimme. »Ich kenne Sie«, rief der Direktor sogleich. »Sie haben sich bei mir eingeschlichen, um zu spionieren. Auch ich habe Sie beobachten lassen. Wo ist Mohrchen?« Er habe gute Gründe, sich nicht mehr blicken zu lassen, meinte Terra. Er setzte hinzu, es sei nicht schade um Mohrchen. Jetzt werde die Generalagentur für das gesamte Leben auf eine gesunde Grundlage gestellt werden können. Der Direktor aber blieb taub. »Sie wollen mir Mohrchen nicht wiedergeben?« schrie er nur immer. »Ohne Mohrchen geht es nicht. Sie wollen mir Mohrchen –« Die Stimme erstarb. Dann aber: ein Krachen. Terra fuhr zurück, er sah sich um.
Es stand bedenklich. Die Schranke, die den Kassenschrank schützte, hing gebrochen zu Boden, und in dem anwachsenden Lärm überwog der Ruf »Polizei!« Terra, umringt und um Auskünfte bestürmt, wollte alles auf die Untreue eines Angestellten beschränken, das Unternehmen laufe nicht die entfernteste Gefahr. Dabei sah er sich mit klopfendem Herzen nach einem Ausweg um. Wie stand es mit dem Direktor? .. »Das Volk« befreite ihn aus seiner Lage, denn es schrie dermaßen, daß es Alle an sich zog. »Die verfluchte Judenbande!« schrie es. »Das Volk hat wieder mal das Nachsehen!« Was alle ihm bestätigten, Sparer wie Spekulanten, Schauspieler, Zuschauer und herverschlagene Träumer. Der Dichter Hummel sah, schwer erschüttert, eine Weltwende in Frage gestellt durch das Versagen der Generalagentur für das gesamte Leben. Einzig Elias bildete eine Insel der Sorglosigkeit. »Was will der Bocher«, äußerte er und wies mit dem Daumen hinter sich auf das strampelnde »Volk«. »Muß er alles glauben?«
Terra drang heftig in das Zimmer vor. Er selbst hatte an den Direktor geglaubt, und gerade seine Zuversicht, die auf jede Vorsichtsmaßregel verzichtet hatte, zeitigte jetzt die Katastrophe! .. Die Dunkelkammer füllten wildbewegte Eindringlinge, indes dort hinten Vater Lange unter dumpfem Schmerzgeheul über die verlorenen, so sauer verdienten Groschen seiner Tochter Alma, eine ›Axt‹ schwang. Der Rahmen der Polstertür splitterte, endlich drehte sie sich, der Haufe quoll ein. Aber er fand das gesprengte Geheimnis anders als erwartet, das Zimmer mit seiner Bücheratrappe, seiner Versenkung und den leeren Wänden statt aller Stahlkassen und gehäuften Raubes, brachte Viele zum Lachen. Nach einem Blick hinter die falsche Bücherwand freilich lachten sie nicht mehr. Man sammelte sich schweigend, tauschte halblaut höchstens nur noch einige knappe Feststellungen aus und wich geschlossen zurück.
Terra zog die Tür an und sicherte sie mit den schwersten der Möbel. Dann erst trat er hinter die Wand. Der Direktor saß in seinem Schreibsessel, hergewendet über die Seitenlehne, die ihn aufrecht erhielt. Die rechte Hand hing mit der Waffe herab, es war, als wollte sie den Revolver dezenter Weise unter den Teppich schieben. Der Kopf hatte eine Drehung zur Schulter gemacht, sie stützte das Kinn; so blieb der vormals glühende, jetzt glasige Blick des Direktors ein Stück über den Boden erhoben, bis zur Höhe der Hände derer, die ihm nahten. Noch immer schien es sein erster Augenmerk, was sie brächten.
»Armer Schwindler,« sagte Terra ihm, »es kommt nichts mehr. Dies alles war einzig auf Deinen schwindelnden Geist errichtet, auf unser aller schwindelnden Geist. Je fester meinesgleichen sich auf die bestehende Gesellschaftsordnung verließ, umso unerschütterlicher erschienest auch Du. Da verfiel man auf Fehler im Betrieb und fragte nicht weiter nach, ob Luftspiegelungen Betrieb erfordern. Du bist das Opfer des allgemeinen Bedürfnisses nach dem Unwahrscheinlichen, seine Spender verschwinden unbedankt. Schlafe wohl!« schloß er, denn er hörte Schritte.
*
Die Frau von drüben entstieg der Versenkung. »Ich bin nicht neugierig«, erklärte sie, da Terra sie hinter die Wand geleiten wollte. »Es könnte auch wieder eine Enttäuschung sein.«
»Er sieht gut aus.«
»Er hatte endlich alles, was ich bei Männern suchte.«
»Doch nicht«, sagte Terra, in einer Regung vor Eifersucht. »Er hatte keine Zukunft.«
»Sterben ist das einzige Unverzeihliche«, – damit wandte sie sich ab. Bei der Treppe hielt sie an und stützte sich, die Knie zitterten ihr nun doch. »Ich würde ihn geheiratet haben«, – Grausen überlief sie. »Und niemals konnte ich einen Hereinfall weniger gebrauchen, als heute.«
»Mit einer Bewunderung, die von Fall zu Fall nur wächst, sehe ich Sie an einer neuen Lebenswende.«
Sie streckte plötzlich die Hand hin. »Ich habe Ihnen zu danken, Claudius.«
»Hierbei fällt mir besonders auf, daß Sie meinen Namen noch wissen«, sagte er unsicher.
»Man hat mir berichtet, was Sie heute alles getan haben, um hier die Rakete zum Platzen zu bringen.«
»Sie gaben mir darin nichts nach, Durchlaucht. Sie opferten sogar Ihre Perlenkollier.«
Sie sagte vornehm: »Geld spielt keine Rolle, wo es sich tatsächlich um mehr handelt.« Und gehoben, fast mit Hingebung: »Sie, lieber Freund, haben mich vor einem der Skandale bewahrt, die einer Frau nichts nützen. Das vergeß ich Ihnen nie. Sie können in jeder nur denkbaren Lebenslage auf mich zählen. Ich schwöre es Ihnen bei – bei dem Toten«, schloß sie und ging vor ihm her, die Stufen hinab.
»Ihre Wohnung bekundet einen erlesenen Geschmack«, stellte er drunten fest. Sie verzog den Mund. »Er hört Sie nicht mehr. Zum Glück ist alles auf mich überschrieben und schon bezahlt.«
In einem der Zimmer lief ein kleines Kind rastlos und unter Freudengeschrei von einer Ecke zur andern. Die Wärterin entfernte sich, als sie eintraten. »Mama!« rief das Kind entzückt, warf die Puppe fort, die es nachschleifte und hing sich an die Mutter. »Es hat das Talent, sich zu freuen«, meinte Terra. »Auch ich soll es in einem seltenen Maß gehabt haben.«
»Es hängt noch immer mit mir zusammen«, sagte die Mutter. »So oft ich mich aufrege, ist es außer sich.«
»Noch immer? Wie alt ist es?«
»Zweieinviertel Jahre ist es alt, mein Freund«, sagte sie und sah ihn an. Sein Blick, der den ihren aushielt, kam ins Zittern, ein Schrecken durchlief ihn, er wußte nicht, ob peinlich oder süß. Er lachte auf. »Und drei Jahre ist unsere nähere Bekanntschaft her. Sie haben die vorgeschriebene Zeit streng eingehalten, Lili.«
Sie sagte sachlich: »Es ist ein Knabe. Er heißt Klaus, wie es sich gehört. Gib dem Herrn die Hand, mein Klaus!«
Terra beugte sich hinab, um die kleine Hand zu fassen. Seine dunklen Augen forschten mit brennendem Ernst in den braunen des Kindes, auf seinem blonden Gesicht. Er hielt sich grade noch zurück, um nicht den Kopf zu schütteln. Schließlich konnte es sogar wahr sein. Eine Tatsache, nicht unglaubwürdiger als andere. Nicht schwerer zu befolgen diese, als jede Konvention ... Das eingeschüchterte Kind entzog sich dem ausdauernden Herrn. Es weinte eine Minute lang, dann durcheilte es wieder mit Freudengeschrei das Zimmer.
»Ich habe Ihnen meinen aufrichtigen, tiefstgefühlten Dank abzustatten«, äußerte Terra, er küßte der Frau von drüben mit erlesener Höflichkeit die reich beringten Finger.
»Es ist gern geschehen«, sagte sie und goß ihm Likör ein.
»Wenn ich mir nur die einzige bescheidene Frage erlauben dürfte: warum trifft gerade mich dies unverdiente Glück?«
»Es war nicht so unverdient«, erwiderte sie achselzuckend. »Sie wollten das Kind durchaus.«
»Und vor mir –« begann er rachsüchtig.
»Vor Ihnen, wenn Sie dies denn erwähnt wünschen, hatte wohl noch keiner es durchaus gewollt.« Worauf er, stärker atmend, vor sich hinsah. Versöhnlich fragte sie:
»Was fangen wir jetzt miteinander an?« Er schlug munter vor: »Das Einfachste wäre es, gute Freunde zu bleiben.«
»Wenn ich also Ihre gute Freundin bin: wie steht es mit Ihren Mitteln? Ich darf Sie nicht im Stich lassen. Sie waren Reklamechef in einer Generalagentur, die morgen schwerlich noch funktioniert.« Er wollte kurzerhand jede Besorgnis ablehnen. Aber sie: »Mir müssen Sie nicht erst beibringen, wie das Leben dreckig ist. Damals waren Sie es, der sein Geld für mich hergab.« Das sei etwas anderes, meinte er. »Sie sind auch der Vater meines Kindes.« Das lasse er sich grundsätzlich nicht bezahlen. »Aber Sie haben mich vor dem dummen Skandal bewahrt.« Hierauf lachte er, und sie mit ihm. Dies schien eine völlige Entspannung zu bewirken, weich brach sie in Tränen aus. Da sie aufstand, folgte er ihr. Sie gingen nochmals durch das Zimmer, das Kind stand und beobachtete mit spitzen Augen jeden ihrer Schritte. Er stützte sie im Gehen; die Hüfte der Frau von drüben glitt wieder über seine, ihre Wange neigte sich schmelzend seiner Schulter, ihr Atem traf ihn. Er sagte mit scharfer Stimme: »Ein so großes Unglück, scheint mir, ist eben nicht geschehen.«
»Ach! Lieber Freund, Sie begreifen noch nicht, was geschehen ist.« Schluchzend: »Herr von Tolleben geht mir durch die Lappen.«
»Der Bismarck? Lassen Sie ihn laufen! Er weiß vor Schulden nicht ein noch aus.«
»Aber seine Stellung! Die Reklame! Claudius, helfen Sie mir!«
»Der Mensch ist ein Unglück«, überlegte Terra. »Er hat keine Sinne. Was fesselte ihn an Sie, verehrte Freundin? Die allerhöchste Oper. Das Kunstwerk muß somit in Ihrer Gewalt sein. Mit dem Tode des Direktors ist es an Sie übergegangen. Vielmehr, der Verblichene hat es in die Ewigkeit mitnehmen wollen, er steckte es in Brand. Sie zogen es, mit Gefahr für Ihre schönen Hände, aus den Flammen.«
»So viel Phantasie!« sagte die Frau von drüben und umarmte ihn.
»Wenn er daraufhin nicht die lächerlichste Rolle bei Ihnen spielt, will ich es selbst tun.«
»Aber Sie müssen ihm einen Wink geben.«
»Die Gelegenheit würde sich finden«, sagte er – und schloß fest die Lippen. Denn er erinnerte sich der Gräfin und bemerkte auch, daß er ihrer, um derenwillen er durch diesen tatenreichen Tag gegangen war, kein einziges Mal heute gedacht hatte. Sie war ihm entrückt durch diesen Tag, als seien es hundert. Nahe an ihm stand die Frau von drüben und sah ihn erwartungsvoll an. In diesem Augenblick lief auch das Kind herbei und schmiegte sich zum erstenmal an seine Knie. Dies war ein besonderes Gefühl. Er setzte sich, um das Kind zu streicheln und weil er sich plötzlich erschöpft fand. Die Mutter sagte:
»Ihr Studium haben Sie wohl unterbrochen, aber natürlich nicht aufgegeben, ein Mann wie Sie! Wer Sie unterstützt, bis Sie fertig sind, hat sein Geld gut angelegt, und nun gar ich ... Wer weiß«, schloß sie träumend, einer ihrer Arme hing von rückwärts über seine Schulter.
Er verstand: vielleicht heiraten Sie mich, ich werde bald reif dafür sein, und machen Ihre Karriere mit Hilfe meiner Ersparnisse und meiner Verbindungen. Ihm ward ein Pakt angeboten, der den bürgerlichen Anstand verletzte und eine Demütigung war. Nicht die entfernteste Möglichkeit bestand, ihn einzugehen, – aber darum war er noch immer gewollt von seinem Dasein, denn es hatte hierher geführt. Demütige Dich! Habe den Mut zu mir! sagte sein Dasein. Der Arm der Frau von drüben hing noch immer von seiner Schulter. Er griff nach der Hand, er näherte ihr ruckweise sein Gesicht; plötzlich drückte er, mit wilder Hingabe, zuerst die feuchte Stirn darauf, dann seine bitteren Lippen.
Kurschmied und der Dichter Hummel standen noch immer im Haustor. »Erschütternde Szenen haben sich abgespielt«, sagte der Dichter. »Die soziale Frage ist das dankbarste aller Probleme.«
»Wenigstens haben Sie sich schadlos gehalten«, stellte Terra fest. Dies galt freilich nur im Hinblick auf das Geistige. Sowohl Hummel wie Kurschmied sahen für die Sitzung der »Weltwende«, wohin sie sich begaben, eine wahre Katastrophenstimmung voraus. Terra ward aufgefordert mitzukommen. Ihm war nicht wohl dabei, er war sich bewußt, zum Ausbruch der Katastrophe das Seine getan zu haben. Aber Kurschmied hatte Terra dem Dichter als wertvollen Bestandteil des Publikums genannt, für das Drama, das Hummel den Ausschußmitgliedern der »Weltwende« heute Abend vorzulesen dachte. Im Menschengewühl gelang es Kurschmied, mit Terra einige Schritte hinter Hummel zurückzubleiben. »Sie haben heute furchtbar gehaust«, sagte er mit einer Art Andacht. »Der Direktor wird nicht der einzige Tote bleiben.« – »Ich bin selbst wie vor den Kopf geschlagen«, gestand Terra. Kurschmied aber: »Ich flehe Sie an, vor mir keine Maske! Ihr unstillbares sittliches Bedürfnis schafft Katastrophen, wohin Ihr Fuß tritt. Aber sollte es auch mich selbst hinstrecken, ich bleibe der Ihre!« – mit glühendem Händedruck.
Die Vereinigung »Weltwende« tagte im »Askanischen Hof.« Ein kahles Separatzimmer enthielt an einem langen Kneiptisch die vollzählige Gilde der Modernen, Männer bis zu vierzig Jahren. Die Älteren waren Rechtsanwälte, sie gaben den geistigen Verschwörungen abseits lebender Literaten den bürgerlichen Rückhalt. Leider hatten auch sie in die Generalagentur für das gesamte Leben ein Vertrauen gesetzt, das verhängnisvoll enttäuscht worden war. Jetzt freilich gestanden sie, dem Zauber nie getraut zu haben; sie hätten nur der Vorliebe ihrer naiveren Genossen für das sozial Angehauchte, so sagten sie, nachgegeben. »Grünfeld soll nicht mithauchen«, erwiderte jemand dem, der Terra gegenüber saß und merklich am Magen litt. Der Ton war hier so scharf, wie die Geister. Es ging anspruchsvoll zu, erfordert wurden Witz, Entschlossenheit, die zeitgemäße Kunstdoktrin und eine soziale Gesinnung. Hinter der Spottsucht des Ausdrucks herrschte ein Glaube, bei dem einen echt, beim andern falsch, aber er herrschte, das Gespräch war durchtränkt mit ihm. Nichts geringeres stand mit Sicherheit bevor, als die Lösung der sozialen Frage. Im Zusammenhang damit war ein Jahrtausend neuen Geistes soeben angebrochen. So konnte es der Vereinigung »Weltwende« nicht fehlen. Was sie aber veranstaltete, waren Aufführungen in entlegenen Vorstadttheatern, neue Mittel mußten dafür herbei, Mitwelt und Zukunft geboten es.
Zu seinem Gegenüber sagte Terra unschuldig: »Ich habe ein großartiges Gefühl. Hier werden revolutionäre Maßnahmen ergriffen.« – »Wie lang sind Sie schon in Berlin?« fragte Herr Grünfeld. – »Einen Tag«, gestand Terra. – »Ich schon zwanzig Jahre, aber Weltwende ist bloß Mittwochs.« Nach dieser Zurechtweisung blieb es Terra nur noch übrig, beim Salamander nachzuklappen, und er war für die Nachbarschaft erledigt. Der Salamander ward kommandiert von einem Mitglied, das in einer goldbraunen Samtjacke an der oberen Schmalseite des Tisches saß. Terra unternahm es für sich, die herkömmlichen Formen der Tafelrunde mit ihren gewagten Zielen in Einklang zu bringen. Es gelang ihm nicht, er fand sich damit ab, als geduldeter Adept in unterer Stellung den Ereignissen beizuwohnen. Hummel las sein Stück vor.
Neben der goldbraunen Samtjacke saß er in seinem wollenen Gehrock nach Professor Jäger und las mit großem Aufwand von Dialekt und von Entrüstung. Den Dialekt sprachen in dem Stück die kleinen Leute, die Entrüstung des Dichters erregten die Reichen. Sie beuteten die Armen nicht nur von Ferne aus, sie saßen ihnen persönlich wie Tiger im Genick, töteten die Söhne durch Hunger und Arbeit, die Töchter durch ihre Lüste. Kein Zweifel, daß dies stark, düster und gerade kraft des Äußersten an Düsterkeit verheißungsvoll für den kommenden Tag war. Stellen gab es, an denen Terra rückhaltlos zu Hummel stand. So konnte man aussehen, so ungepflegt daherreden und dennoch stolzester Menschenwille sein! In solchen Augenblicken erschienen alle ringsum ihm neu beleuchtet, als hochherzige Wesen, die das Gute wollten: ein seltenes Geschlecht, schließ Dich ihm an! Der lesende Dichter, der wüste Bart entstellte nur leider die fein und sicher arbeitenden Züge seines Gesichtes, verflachte sogar den scharfen Blick: aber welch' eine Spannung der mageren Schultern unter seinem albernen Rock!
Zum Unglück erschienen nun wieder die kleinen Leute, und in dem Mitleid, das sie begleitete, ob es Natur oder Vorsatz war, verriet sich diese Art, die Welt von unten anzusehen, die Terra beleidigte und abstieß. Hier faßte er den Entschluß, seinen eigenen geteilten Kinnbart zu entfernen, damit keine Ähnlichkeit aufkomme. Er hörte weiter zu, um der weiblichen Hauptrolle willen. Anfangs war sie eine Lehrerin, was ihm nicht günstig schien, und verband das reiche Haus, wo sie geliebt wurde, mit dem armen, dem sie entstammte. Allmählich aber ward aus der Lehrerin eine Person mit Haaren auf den Zähnen, die eine fürstliche Villa bewohnte und das Haus der Reichen, samt ihnen selbst, so gut wie vollständig verschlang. »Nicht übel für Lea«, sagte er sich. »Nach ihrem Frankfurter Erfolg ist sie reif für Berlin. Aber hat diese ganze Gesellschaft Bedeutung genug, daß meine Schwester sich ihretwegen bemüht? Vielleicht war ihre sogenannte Bewegung nur ein Schwindel der Generalagentur für das gesamte Leben.«
Hummel war fertig, ihm zu Ehren wurde ein Salamander gerieben und dann kam die Kritik. Scharfgeistig, wie alle hier waren, hatte jeder etwas auszusetzen. Grünfeld brachte juristische Einwände vor, die das Ganze untergruben, die Samtjacke erklärte glucksend, daß sie bei der im Stück bestehenden Promiskuität zwischen den Beziehungen der Geschlechter nicht mehr hindurchfinde. Eine unvorhergesehene Pause ward von Terra unterbrochen. »Ich möchte als blutiger Laie und außerdem erst seit heute in Berlin, mit aller gebotenen Bescheidenheit mir eine kurze Frage erlauben.« Die befremdende Einleitung bewirkte völlige Stille. Er sagte von unten, es konnte anzüglich oder schüchtern sein: »Werden solche Stücke geschrieben, weil es eine soziale Frage gibt, oder kommt die soziale Frage von solchen Stücken?« Wie er es gehofft hatte, fanden sich mehrere, die das zweite bejahten. Der Dichter, gereizt durch die sachverständigen Ausstellungen, setzte sich mit seinem Bierglas zu dem wohltuenden Laien, der ihn so ernst nahm. Terra äußerte, daß die Figur der Lehrerin ihn besonders interessiere. »Sie finden,« schob der Dichter ihm unter, »daß die Rache der Ausgebeuteten sich in ihr verkörpert.« Terra erwiderte, die Rache der Ausgebeuteten scheine ihm Nebensache, aber solchen Damen sei er schon begegnet und wenigstens darin nicht ganz Laie. »Wir müssen die Sache zu Ende besprechen. Gehen Sie mit?« schlug Hummel vor. Terra begriff, daß jener bis in alle Ewigkeit über sein Stück zu reden gedenke; nur die Rolle für seine Schwester bewog ihn, aufzustehen.
Zu dreien, mit dem unvermeidlichen Kurschmied, gingen sie, ohne sich über ein Ziel zu einigen, immer redend durch die Straßen. Ihre gestikulierenden Gestalten spiegelten sich im nassen Asphalt. Man sah ihnen nach. Kurschmied, angeregt bis zur Schwärmerei, schwur, das Stück werde ein Welterfolg sein, aber nur mit einer einzigen Hauptdarstellerin! »Unmöglich!« rief Terra. »Meine Schwester kommt nicht in Frage, und wenn Sie Gold reden. Meine Schwester ist zu herb, zu sehr Natur und Volk, sie berauscht nicht.« Kurschmied, der aufsteigen wollte, bekam einen Stoß. Der Dichter frohlockte. »Das will ich gerade, und finde es nicht! Um Gotteswillen keinen Rausch, keine ruchlose Schönheit! Was für Haare hat ihre Schwester?« – »Sie ergraut schon«, sagte Terra.
Vor einem Bouillonkeller hielt Terra an. »Ich habe nur noch wenig Geld«, gestand er zynisch. »Wie steht es bei den Herren?« Aber Hummel, der von Rechts wegen hier zu Hause sein mußte, machte einen Bogen, er esse nichts. Den nächsten Versuch machte Terra vor dem glänzenden Eingang des Wintergartens, und Hummel war bereit. Die Vorstellung mußte noch eine Weile dauern; wie sie aber an der Kasse standen, kamen schon Fortgehende heraus. Terra riß sich herum, bot die Brust dar, und die Lippen krampfig geöffnet, zuckte er die Hand zum Hut. Er kam nicht so weit, ihn abzunehmen, die Gräfin war vorüber und hatte den Blick nicht hergewendet. Dennoch wußte er, daß sie ihn von weither betrachtet habe, noch bevor er sie erkannte. Da war sie blitzschnell zu ihrem Begleiter abgeglitten, und wer begleitete sie? Der Bismarck Tolleben. Ihr Bruder, schlank und schläfrig, folgte ihr neben einem blau und schwefelgelben Leutnant. Terra spähte mit einer Bewegung des Halses wie ein Tier, nach seinen Freunden, ob sie etwas bemerkt hatten, aber sie verhandelten über die Plätze. Sein Blut nahm einen Anlauf: hinterdrein, und sie gestellt, das Pack, das ihn verachten wollte, samt ihr! Auf offener Straße sie an ihre nächtlichen Beziehungen erinnert, den Tolleben aber vor das Maul geschlagen mit dem bloßen Namen der Frau von drüben! Terra hatte Schaum auf den Lippen, er hielt sich an dem Schalter fest. Seine Freunde ließen ihm den Vortritt, damit er bezahle, da sah er, wer sie waren, seine rechtmäßigen Gefährten und er selbst, mit seinem Hohenzollernmantel. Er schluckte hinunter und sagte, bleich, aber überlegen munter: »Wir sollten uns hier die letzten faulen Plätze anhängen lassen? Was kostet Berlin?« Womit er, ihnen voran, aufbrach.
Dies sei auf andere Art in Ordnung zu bringen, erkannte Terra, indes er das laute Gespräch fortsetzte. Jener Hochmut sollte ihn kennen lernen. »Ich mache mich anheischig, ihm eines Tages so zu begegnen, daß kein Mensch mich noch einmal übersehen kann, – und wär' es in zehn Jahren!« Aber es mußte sogleich sein, ohne Verzug und sobald nur der Tag kam. Er fühlte, die Nacht werde schlaflos sein. Er hatte, da sein Zweck bei ihm erreicht war, diesen Stückeverfasser seinem Schicksal überlassen wollen. Jetzt mochte geschwatzt werden bis an den hellen Morgen.
Er führte die beiden in eine gut bürgerliche Wirtschaft, wo er Zigaretten verschlang, indes sie aßen. Hummel aß gierig, aber mit dem Anspruch auf gute Erziehung; drüben glaubte er Bekannte zu sehen. Erst als sie es nicht waren, ließ er sich gehen. »Sie halten mich frei und haben es wohl selbst nicht reichlich«, sagte er zu Terra stöhnend, die übereilte Mahlzeit beengte ihn. »Nun sehen Sie dort draußen die gewissenlosen Genießer!« stöhnte er; denn den Theatern entströmte ein gut gekleidetes Publikum. Terra erwiderte, ob die Leute ein Gewissen hätten, sei nur ihre eigene Sache. – »Wie? Sie fühlen nicht sozial?« – »Eine Gegenfrage wollen Sie auf keinen Fall wie unverschämte Zudringlichkeit, sondern einzig und allein als den Ausdruck meines lebhaften Wunsches nach einer sachlichen Aussprache auffassen. Wie lange schreiben Sie schon ohne nennenswerten Erfolg?« Sichtlich vor seinen überfüllten Magen gestoßen, klappte Hummel zusammen. »Ich bin nicht älter als Sie«, – der Dichter hatte blaues Feuer in den Augen. »Nur habe ich mehr gehungert.«
»Dann werde ich lieber Jahrmarktskünstler. Oder ich mache, bis ich selbst Erfolg habe, Reklame für andere.«
»Ich«, sagte Hummel, »kämpfe Hand in Hand mit allen anderen Armen, der ganzen Proletarierklasse. Mich trägt die Bewegung, Ihr werdet es erleben, daß ich oben bin!« rief er prophetenhaft; und ergeben aber stolz: »Noch nenn' ich kein Bett mein eigen. Die Bude Kurschmieds ist meine Herberge für Obdachlose.«
Kurschmied bemerkte trocken, daß er seine Bude aufgebe. »Dann«, sagte Hummel, »verlege ich mein Erdendasein noch weiter nach unten. Demütigungen, Mißerfolg und Hohn sind meine wahre Nahrung, ich wachse durch sie.«
Terra fragte, zum erstenmal vertraulich: »Haben auch Sie sich überzeugt, daß Sie mehr Haß erregen, als üblich?«
»Und mehr Liebe!« – mit blauem Feuer. »Ich werde in den Höhlen der Armut wie ein Erlöser betreut.«
»Ich habe mit mir gerungen, aber ich kann Sie nicht länger dafür halten, Sie sind nicht stark genug«, entschied Kurschmied und rückte zu Terra hin.
»Sie werden schon noch um Rollen zu mir kommen, Kurschmied.«
Terra, dies hörend, summte laut durch die Nase, dann rief er lebhaft nach dem Kellner, zahlte und ließ aufbrechen. Plötzlich lud Hummel in das Café Bauer ein, er gebrauchte sogar das Wort »sich revanchieren«.
»Noch ist nichts verloren«, sagte Terra darauf. »Sie werden Ihren bürgerlichen Weg machen.«
Die Friedrichstraße zeigte das Bild ihrer Nacht, worin noch immer Geschäfte offen blieben, Lager billiger Kravatten, Zigarrenläden, Juxbazare. Pflasterarbeiter rissen den Fahrdamm auf, die Kette der Wagen umfuhr, ohne abzubrechen, das Hindernis. Ein Volk von Nachtwanderern, die einen zu satt, die anderen zu hungrig um schlafen zu gehen, hielt die Fußsteige in Bewegung wie am Tage, und vom Gaslicht der öffentlichen Lokale fielen blutige Flecken zwischen dies Volk. Besondere Stätten, dem Tage unbekannt und begraben im Grau der Häuserreihe, blühten jetzt rot beleuchtet auf, und ein Schutzmann stand davor. Verließen wenige Herren in Pelzen irgend eine Tür des Genusses, waren auch schon Schwärme derer zur Stelle, die vom Pflaster lebten. Wagen fuhren vor, blasse Halbwüchsige öffneten sie, und Hausierer faßten daneben Fuß, um hinter ihren geöffneten Jacken den Herren die verbotenen Bildchen anzubieten. Diebe stießen jemand an und wurden beim Verschwinden von den Umstehenden begünstigt, alte Kuppler versprachen im Vorbeischleichen den Pelzen etwas Außergewöhnliches in ihre breiten Rücken, aber aus dem Schatten eines Haustores trat ohne Umschweife die ältere Dame, die an der Hand ein geschminktes kleines Mädchen mit offenen blonden Haaren führte. Hochlila war der Puder, den die Dirnen für ihre Gesichter liebten.