Kitabı oku: «Die Jugend des Königs Henri Quatre», sayfa 10
Ihr letzter Abgesandter
Sie sangen weiter bis ans Ende, hierauf aber erwarteten sie ein Wort ihres jungen Führers. Er war König von Navarra geworden hier auf der fremden Landstraße, und sollte ihnen sagen: wohin, was tun. Du Bartas neigte sich zu Henri, er sprach gedämpft: „Ihre Mutter war nur die erste. Der zweite werden Sie selbst sein. Kehren Sie um!“
„Sammeln Sie die Ihren!“ riet Mornay. „Die von der Religion werden aus dem ganzen Königreich herbeistürmen. Als eine unwiderstehliche Macht ziehen wir an diesen verbrecherischen Hof.“
D’Aubigné sagte viel ruhiger: „Sie haben gar nichts für sich zu fürchten, Herr, solange ein anderer noch lebt.“ Die andern sahen ihn an, er fuhr fort: „Der hat das Opfer seines Lebens gebracht, ich weiß es, ich habe gehört, was er des Nachts zu seiner Frau, der Admiralin, gesagt hat.“ Und er begann zu weissagen, was Coligny und seine Frau gesprochen hatten.
Da Agrippa ein Dichter war, konnte er die nächtliche Unterredung der beiden Gatten berichten, als wäre er zugegen gewesen. Glaubst du, daß nichts dich wanken machen kann, so hatte der Admiral die Admiralin ermahnt, leg doch die Hand auf deine Brust und prüfe dich, ob du auch dann beständig bleiben wirst, wenn alle abfallen und du unter dem Schimpf, der immer die erfolglose Sache trifft, in die Verbannung fliehen mußt. Sieh! Auch der König von Navarra fällt ab und heiratet die eigene Tochter unserer Feindin.
Das war zuviel: Henri fuhr heftig auf. „Das hat er nicht gesagt! Agrippa, wenn du das gehört haben solltest, dann hast du eine Muse, die lügt. Ich halte fest zu der Religion – und jetzt reiten wir weiter!“
Grade dies hatte Agrippa gewollt, denn für ihn gab es keinen vorsichtigen Aufenthalt, und je mehr seine innere Anschauung ihm zeigte von den Gefahren des Lebens, um so unentwegter ritt dieser Dichter nach vorn.
Der Haufe bewegte sich wieder dahin unter den Wolken, nur daß es nicht lange dauerte, bis Menschen mit erhobenen Händen ihm in den Weg traten. Alle sagten dasselbe: „Die Königin Jeanne ist vergiftet“, ohne daß sie erklären konnten, woher sie es hatten. Zuletzt fragte keiner sie mehr, wer sie wären und aus welchem Dorf. Genug, sie waren unterwegs, ungewiß wie lange, um den neuen König von Navarra zu sehen und ihm anzuvertrauen, was sie wußten. Von der Müdigkeit des Weges war manchem sein Zorn schon vergangen, er stammelte nur noch beschwörend und angstvoll.
Sogar ein Haufe unbekümmerter Abenteurer empfängt von solchen Begegnungen schließlich den Eindruck. Dann geschah noch eine letzte, entscheidende. An einer Waldecke, unversehens, stießen sie auf einen protestantischen Herrn, den alle kannten, La Rochefoucauld, einen Freund ihres Königs. Auch er war in einem Zustand wie jemand, der eine fünftägige Strecke in vier Tagen geritten ist. Er sprach zu dem jungen König nur einige Worte, aber der faßte sofort den Zügel fester und wendete sein Pferd. Da wendete der ganze Haufe, und ohne zu fragen, ohne Reden und Gespräche kehrten sie zurück nach Chaunay.
Vor allem suchte Henri mit Herrn von La Rochefoucauld einen abgelegenen, schattigen Platz, er fand ihn unter den Pappeln, und ließ den Abgesandten seiner Mutter alles genau wiederholen. Die sterbende Jeanne hatte ihrem Sohn die letzten irdischen Gedanken geschenkt, bevor ihr Geist aufging in Gott. Sie wollte nicht, daß er aus Furcht seine Reise aufgebe: davon war nie bei ihr die Rede gewesen. Aber ihre Meinung blieb allerdings, daß er nach Paris sollte gar nicht, oder als der Stärkere kommen. Dies empfahl sie ihm infolge ihrer eigenen Erfahrungen der letzten vier Monate, die schwer gewesen waren und bitter. Sie hatte gedacht und hatte, um es auszusprechen, noch einmal ihre seltene Glockenstimme gefunden, daß die Hochzeit ihres geliebten Sohnes der Anfang großer Ereignisse sein würde, aber groß nur entweder für ihn – oder für seine Feinde. Die letzten Gedanken waren tapfer auf alle Gefahren des Lebens und ihre Überwindung gerichtet gewesen. Sie hatte einst Zeiten gekannt, oder glaubte sie gekannt zu haben, da das Laster sich versteckte. Heute trüge es den Kopf hoch, ließ sie ihrem Henri noch sagen, und fühlte sich der Tugend überlegen. Hierauf hatte sie sterbend die Worte eines Psalmes zu Gott geschickt. Welchen Psalmes?
„O Gott, so zeige Dich doch nur!“
Ihr Abgesandter zog ihr Testament hervor und überreichte es dem König, nachdem er es mit den Lippen berührt hatte. Darin indessen stand von ihren geheimsten Sorgen nichts, sie hatte zum Schluß auch dem Papier nicht mehr getraut. Nur eins: sie empfahl ihm seine arme kleine Schwester. Hier brach Henri in Tränen aus. Er hatte noch gar nicht geweint.
Ein über das andere Mal rief er: „Arme kleine Schwester! So hat unsere Mutter gesagt.“ Und er empfand: ,Sie sollte hier sein! Wen haben wir denn? Nichts und niemand haben Bruder und Schwester in dieser Welt, als nur einander. Das übrige ist Betrug der Augen und der Herzen. Alle die Frauen, und dieses Hochgefühl durch sie, und die Angst, nur keine zu versäumen! In Wahrheit versäum ich immer nur eine, aber die jedesmal. Bei ihr brauchte ich um Liebe noch nie zu bitten und Verständnis nicht erst zu suchen. Wir sind aus einem Leib und haben voreinander nichts geheim. Sie lacht wie ich, so sagt man. Zu dieser Stunde vergießt sie dieselben Tränen, aber nicht einmal diese, die sie um unsere Mutter weint, fallen auf meine Hände. Sie ist fern, wie sie immer von mir fern ist, und wir versäumen unseren besten Schmerz, sie meinen, ich ihren!‘
Da erfuhr er von dem Abgesandten, daß seine Schwester Catherine gewünscht hatte, mitzureisen. Alles war vorbereitet gewesen, das Pferd im Hof, der Wagen vor der Stadt. Indessen war sie zurückgehalten worden, nicht mit Gewalt, nur unter glatten Vorwänden, bis La Rochefoucauld fort war, und auch ihn hatte man nicht freiwillig entlassen: es hatte starken Auftretens bedurft.
„Sie wird gefangengehalten?“ fragte der Bruder, mit Augen, die trocken und böse waren, während sein Mund sich verzerrte. Aber so stand es nicht. Man war besorgt um sie, besonders Margot, die Braut, und auch die alte Katharina. Das Hochzeitsfest, auf das der Hof sich sichtlich freute, beschattet wie es schon war durch den Tod der Königin von Navarra, sollte nicht noch mehr Zufällen ausgesetzt werden. Es fehlte grade, daß auch der Schwester des Bräutigams etwas zustieße, einem zarten jungen Mädchen, vielleicht hatte es sogar etwas mitbekommen von der Schwäche der mütterlichen Lunge.
Henri neigte sich weit vor und fragte bebend: „War’s nur die Lunge?“
Die Antwort ließ lange auf sich warten, und endlich bestand sie in Achselzucken.
„Wer glaubt an Gift?“ fragte Henri. „Nur unsere Freunde?“
„Viel mehr noch die andern. Denn die wissen, wes sie fähig sind.“
Henri sagte: „Ich will es lieber nicht wissen. Denn ich müßte überaus hassen und verfolgen. Zuviel Haß aber macht ohnmächtig.“
Dies war sein natürliches Gefühl, daß leben wichtiger ist, als sich rächen, und daß der Handelnde vorausblickt, nicht rückwärts auf geliebte Tote. Indessen blieben bestehen seine Sohnespflichten, ihretwegen zügelte er sich noch tagelang an diesem Ort Chaunay, so gern er aufgebrochen wäre, und erwartete Zuzug. Seine reitenden Hugenotten fanden von allen Seiten hierher, oder er schickte ihnen Leute entgegen, sie auf den Weg zu bringen. Er wollte stark sein bei seiner Ankunft, wie die Königin Jeanne es verlangt hatte. Inzwischen gab er auch ihre letzten Verfügungen weiter an seinen Statthalter in seinem Königreich Béarn. Als der Brief beendet war, bemerkte Henri, daß er ihre geistlichen Aufträge durchaus nicht betont hatte, und das waren die seiner Mutter teuersten! Er wunderte sich, wie er ganz der Religion vergessen konnte, und verfaßte eine Nachschrift.
Der Bote, der ihm den Tod und das höchst verdächtige Sterben der Königin meldete, hatte viermal vierundzwanzig Stunden gebraucht, bis er ankam. Henri reiste von Chaunay in Poitou drei Wochen lang. Der Bote war, als er dem neuen König begegnete, zusammengebrochen. Henri machte halt, kehrte ein, empfing Zulauf, trank und lachte. Er lachte auch. Die ermatteten Reiter wunderten sich, wenn sie zu ihm stießen: er schwenkte zur Begrüßung die Arme und scherzte in ihrer südlichen Sprache. Zu der Stunde, als der Bote den Weg antrat mit seiner schlimmen Nachricht, hatte der Söhn im Schlaf die Mutter erblickt mit einem neuen Gesicht, dem der Ewigkeit – und hatte sich besonnen auf dies Gesicht, kurz bevor der Bote eintraf. Schon sah er es nicht mehr, es kehrte auch nie wieder. Statt dessen erinnerte er sich später der noch blühenden Frau, die mit ihrem Willen und Verstand seinen Knabenjahren vorgestanden hatte, und eigentlich mußte er auch dafür ein Bild von ihr zu Hilfe nehmen, da Bilder beständig sind.
Moralité
Voyez ce jeune prince déjà aux prises avec les dangers de la vie, qui sont d’être tué ou d’être trahi, mais qui se cachent aussi sous nos désirs et même parmi nos rêves généreux. C’est vrai qu’il traverse toutes ces menaces en s’en jouant, selon le privilège de son âge. Amoureux à tout bout de chemin il ne connaît pas encore que l’amour seul lui fera perdre une liberté qu’en vain la haine lui dispute. Car pour le protéger des complots des hommes et des pièges que lui tendait sa propre nature il y avait alors une personne qui l’aimait jusqu’à en mourir et c’est celle qu’il appelait la reine ma mère.
III
DER LOUVRE
Die leeren Straßen
Der Sohn der Toten auf dem Weg zu seiner Hochzeit blickte munter umher, in seiner Lust zu reiten. Der Wind brachte ihm schon eine Ahnung der Düfte vom Hof, das Essen, die parfümierten Menschen, die Frauen, die sich nicht bitten lassen, sondern umgekehrt, sie bitten uns. Er beschloß, bei ihnen Erfolge zu haben, dafür war er kühner als andere, und in beiderlei Hinsicht, geistig und körperlich, war er seiner sicher bei dem Geschlecht. Auch Margot sollte mit ihm zufrieden sein: die witzigsten Sachen fielen ihm für sie ein. Man konnte es den Freunden nicht wohl eingestehen, aber der schlechte Ruf der Braut hatte nichts Abstoßendes, im Gegenteil, sie versprach mehr. In diesem Zustand fand der junge Reisende die neugierigen Dorfmädchen meistens begehrenswert, saß mehrmals ihretwegen ab und küßte sie. Nachdem sie schon davongelaufen waren, wunderten sie sich noch, wie gut ein Hugenottenprinz küssen konnte.
In dem angewachsenen Haufen der Reiter wurde hinten anders gesprochen als vorn, und die Zuletztgekommenen waren noch ganz erfüllt vom Zorn über ihre ermordete Königin. Sie ritten zu keinem Fest, als nur zu der Lustbarkeit ihrer Rache: jeden am Hof wollten sie herausfordern. Ihre Gesinnung drang zuweilen nach vorn, auch Henri und seine Freunde wurden von ihr ergriffen. Mornay kündigte dann die alleräußersten Gefahren an, die bei Hof auf sie warten sollten. Du Bartas verfiel seiner Verzweiflung an der Menschennatur, und Agrippa d’Aubigné begriff die Absichten Gottes, wenn er uns Feinde gab. Henri erwiderte ihm darauf mit verkrümmtem Mund, die Augen verwirrt vom Entsetzen und der Wut:
„Um die alte Giftmischerin hab ich ihn nicht gebeten. Die schuldete Gott mir nicht!“
Ja, zuzeiten, da der Haß des ganzen Haufens in ihm selbst vereinigt war, mußte er plötzlich fragen: ,Bin ich denn verrückt? Reite auf meine Hochzeit mit der Tochter der Mörderin, und noch steht vielleicht der Sarg meiner Mutter über der Erde! Wer aber wird das nächste Opfer sein? Ich treibe mein Pferd an und habe es eilig, nicht nur die Ehre preiszugeben, sondern sogar mein Leben. Das Gift im Leibe muß furchtbar sein‘, dachte Henri und fühlte schon im voraus eine unbekannte Kälte und Lähmung.
Seine Furcht und sein Haß machten ihm Ohren für die Stimmen weiter hinten, die sich empörten gegen diese friedliche Fahrt. Der Friede wäre gebrochen! Das Heer müßte zusammengezogen, der Admiral zurückgeholt werden. Paris, das vor ihnen schon gezittert hatte, sollte sie diesmal kennenlernen, und nicht als liebe Gäste! Deswegen wurde halt gemacht, beraten und gezögert. Deswegen vergingen die Wochen. Kamen aber endlich alle, sogar Agrippa, ins Schwanken, dann grade befahl der König von Navarra: „Aufsitzen! Weiter!“ – und unterwegs im Reiten sang er, wie das Kind, das durch den dunklen Wald muß.
So erreichte er einen Ort, wo es schon zu spät war, umzukehren, denn hier erwarteten ihn die ersten, die den Bräutigam der Prinzessin von Valois feierlich einholen sollten; darunter sein Onkel, der Kardinal von Bourbon. Von diesem Augenblick an war der ganze Haufe widerspenstiger Hugenotten der Gefangene eines Kardinals, der ritt im roten. Mantel neben ihrem König. Tags darauf, den neunten Juli, erreichten sie die Vorstadt Saint Jacques: dort brachen sie in Jubel aus; obwohl ein erbitterter Jubel, denn an der Spitze der protestantischen Herren, die ihren Henri erwarteten, hielt der einzige selbst, Coligny, Held ihrer Kriege. Sein altes Gesicht war aus ihren Glaubenskämpfen allein übrig nach dem Fortgang der Königin Jeanne. Durch diese beiden, Jeanne und den Herrn Admiral, waren sie keine verfolgten Bekenner mehr, sondern standen als Macht da, sollten einziehen! Auf einmal begeisterten sie sich wild, schwenkten die Hüte, auf ihren braunen Gesichtern zitterten die Kinnbärte, und sie riefen ihre hohen Lieblinge an, die sich umarmten. Sie lärmten: „Herr Admiral!“ und tobten: „Unser Henri!“ Noust Henric war ihr Laut, das ländliche Latein, das niemand hier kannte.
Merkwürdig war, daß sie trotz ihrer geräuschvollen Ankunft in den Straßen völlig allein blieben. Bevor es seiner Truppe auffiel, sah Henri selbst die abgeräumten Auslagen und geschlossenen Läden. Er hatte sich einige Hoffnung gemacht, am Tor der Stadt würden die Schöffen ihn empfangen, mehr oder weniger barhäuptig, und wenn nicht alle, dann ein paar. Nein, nichts von Ratsherren, und auch sonst keine Bürger. Eine Katze lief vor den Hufen der Pferde schnell noch über die Straße. Ein Unbehagen griff um sich in dem reitenden Haufen, und er wurde stiller.
Die Straßen waren eng, die meisten Häuser schmal. Sie hatten Giebel, hölzerne Balken stützten den Stein, häufig führten Treppen außen hinauf. Das Holz war farbig gestrichen, jedes Haus hatte seinen Heiligen, und nur dieser blickte vom Balken der Tore den Hugenotten nach. Mehrmals hörten sie „Briganten!“ rufen und glaubten nahezu, der Heilige wäre es gewesen.
Einige Kirchen und Paläste traten hervor in neuartiger Pracht, ein Glanz, der nicht mehr Stein, sondern Zauber und Gedicht war: herbeigehoben aus anderen Welten. Mehreren der Reiter ging das Herz weit auf, und sie grüßten in ihren beglückten Herzen die heidnischen Götter an Dächern und Portalen, ja sogar die Märtyrergestalten dieser Tempel, denn solche Heiligen glichen nackten Griechinnen. Den meisten der rauhen Glaubenskämpfer blieb aber ihr Sinn fest verschlossen. Sie hätten nur den Wunsch gehabt, die Götzenbilder umzustürzen, das Blendwerk auszutilgen. Denn es vermaß sich, zu verdunkeln den Herrn.
Der junge König von Navarra, zwischen Kardinal und Admiral, achtete sorgfältig auf Paris, eine fremde Stadt, er hatte sie noch niemals recht angeblickt, als Kind war er gefangengehalten in einer Klosterschule. Ihm entgingen die feindlichen Rufe nicht, er ertappte auch die Leute, die in ihren undurchsichtigen Fenstern eine Klappe zu öffnen versuchten. Neugierige Mägde oder Dirnen, das war alles, was er auf diesem ersten Wege zu sehen bekam, und auch das nur im ungewissen Schatten. Zu zweien beugten sie sich aus ihren Verstecken vor, ein paar helle Augen blitzten auf, es flirrten rötliche Haare, und weißlich verschwammen die Flächen entblößter Haut. Sie schienen das Geheimnis dieser feindlichen Stadt selbst zu sein, und Henri lehnte sich hinüber nach ihnen, wie sie nach ihm. Weiß und rosenrot, komm hervor, komm hervor, du Fleisch und Blut, Glück versprechend, wärmer als die heidnischen Göttinnen, und getaucht in Farben leicht und dreist, die blühn nur hier! Die Reiter lenken unerwartet um die Ecke, da steht eine in voller Wirklichkeit und Sonne, ist überrascht, will fliehen, aber trifft in die Augen des Königs der Briganten – und bleibt da, auf ihren Fußspitzen, reglos, im Flug erstarrt. Sieht schlank aus und biegsam wie ein der Erde entsprossenes Reis, rückwärts gebogen sind die lang ausgestreckten Finger, der Hals ist hoch und schwank. Das sieht auch aus anmutig gespannt wie eine Frau, die sich fürchtet und sehnt, sogleich umarmt zu werden. Als Henri ihren Augen begegnet war, hatten sie spöttisch gelacht. Als er sie endlich loslassen mußte, waren es Augen der Hingabe, getrübt und blicklos. Auch er mußte sich erst wieder erinnern. ,Die habe ich!‘ dachte er. ,Die andern auch! Paris, ich hab dich!‘
Damals war er achtzehn. Mit vierzig, schon ergrautem Bart, weise und schlau, sollte er es endlich erkämpft haben.
Die Schwester
In diesem Augenblick sagte sein Vetter Condé: „Wir sind angelangt.“ Die Wache des fürstlichen Hauses umringte auch schon die Pferde und führte sie über den Vorhof. Henri mit seinem Vetter erstieg die breite Treppe, aber Condé ließ ihn vorausgehen, oder Henri lief ihm weg, denn droben wartete eine Gestalt. Du! Nur du! schlug sein Herz im Sturm, da konnte er nicht sprechen. Sie lagen einander in den Armen, und er küßte zweimal die Wangen seiner Schwester, die waren naß von Tränen wie seine eigenen. Die Geschwister schwiegen von ihrer lieben Mutter. Sooft einer das Gesicht des andern ganz wiedergefunden hatte, küßte er dies Gesicht von ehemals und je. Sie blieben stumm, und von allen umliegenden Türen sahen bewaffnete Diener ihnen zu.
Aus einem der Zimmer trat die alte Prinzessin Condé, umarmte Henri und sprach ein Gebet. Hierauf bemerkte sie, er wäre bestaubt und müde, und ließ Wein bringen. Er wollte sich nicht aufhalten, er hatte es eilig, in den Louvre zu kommen und vor die Königin zu treten – erfuhr aber von seinem Vetter, daß der Kardinal, sein Onkel, und die anderen Herren, die ihn in der Vorstadt empfangen hatten, nicht mehr warteten. Sie hatten sich zerstreut mit ihrem Gefolge. Vorher hatten sie darauf bestanden, daß der starke Haufe der Hugenotten sich auflösen sollte. Fünfzig bewaffnete Edelleute waren dem König von Navarra erlaubt worden, statt dessen kam er mit achthundert. Condé sagte:
„Das war genug, um Paris zu besetzen. Sie haben aus Furcht ihre Häuser geschlossen. Einen Augenblick hat der Hof vor dir gezittert. Woran hast du gedacht?“
Henri erwiderte: „Daran nicht. Aber wenn es richtig gewesen wäre, das zu tun, wäre es mir auch eingefallen. Zu etwas anderem! Ich kann es nicht erwarten, die Königin von Frankreich zu sehen.“
Seine liehe Schwester bat leise und tapfer: „Nimm mich mit! Ich gehöre zu dir, und uns ist dasselbe bestimmt.“
„Natürlich!“ rief er. Heiter und zuversichtlich zeigte er sich der unschuldigen Catherine. „Und das wird sein, daß wir beide heiraten. Dein Bruder Henri besorgt dir einen schönen Mann, kleine Schwester!“ Umarmte sie und lief fort.
Das Königsschloß
Drunten füllten von seiner verringerten Truppe doch noch mehr als hundert den Hof und die Straße. Er ließ dreißig von ihnen zurück als Wache für seine Schwester. Mit dem Rest ritt er zum Schloß. Zuletzt eine Brücke über den Fluß, „Handwerkerbrücke“, hier hat er noch den Anblick eines reichen, neuen Königsschlosses. Dann aber, am Ende der Straße, die „Österreich“ heißt, verändert sich das Bild desselben Baues in einen nicht geheuren Ort, Festung oder Gefängnis, soviel sich auf einmal überblicken läßt von den schwarzen Mauern, gedrungenen Türmen, kegelförmigen Dächern, breiten, tiefen Gräben voll von Brackwasser, das stinkt. Dort hinein zu wollen macht Herzklopfen und kostet noch mehr Überwindung, wenn man aus weitem Land und hohem Himmel kommt. Aber er will es, und eigentlich, was auch daraus werden mag, erfreut ihn das Abenteuer. Ihm sagt sein freier Sinn, daß er fest ist gegen Zauber. Die alte Hexe, von der er schon als Kind geträumt hat, hockt noch immer in ihrem Spinnennetz. Seine arme Mutter hat sich darin verfangen. Um so weniger soll es ihm selbst geschehn!
Die Hufe schlagen auf die Zugangsbrücke. Henri hat grade genug Zeit, des zurückgelassenen Flusses zu gedenken, das war die letze Fröhlichkeit der Welt, helle Wolken, das Wasser blinkt zwischen Kähnen mit Heu, am Strande werden von schweren Gespannen die Lasten geschleppt unter Geschrei und Gelächter des gemeinen Volkes, das nichts weiß. Meine Mutter aber ist hier ermordet worden: ermordet – hier! Er ist gewärtig, von Raserei befallen zu werden. Sie steigt in ihm auf, sie macht ihn blind. Jemand berührt seine Schulter, einer der Freunde wohl, er hört ihn sagen: „Sie haben hinter uns das Tor geschlossen.“
Sofort war er kühl und klar. Er stellte fest, daß wirklich die Leute des Louvre den Zugang zu der Brücke schnell verrammelt hatten, bevor seine bewaffnete Bedeckung hindurch war. Die Seinen lärmten draußen. Er gebot Ruhe, herrschte die Torwächter an und mußte natürlich Ausreden hinnehmen. Nicht genug Platz für so viele protestantische Herren. „Dann macht ihn!“ – „Keine Sorge, Herr König von Navarra! Platz wird sein im Louvre für alle Hugenotten, die sich einfinden wollen. Je mehr, desto besser!“ Und die Bogenschützen oder Arkebusiere stellten sich breitbeinig auf die Ränder der Brücke, ihre Gewehre fest im Arm.
Henri musterte seine wenigen Genossen: dann setzte er sich an ihre Spitze und ritt weiter genau zwanzig Fuß weit, wie er berechnete; jetzt polterten die Hufe auf Holz, das war die Zugbrücke. Eine Tür – die Tür des. Louvre, dunkel und massig zwischen zwei alten Türmen. Endlich ein Gewölbe, so niedrig, daß die Reiter absaßen und ihre Tiere führten. Die andere Hand legte sich von selbst um den Griff der Pistolen. Noch einmal zwanzig Fuß zählte Henri, ganz Spannung. Indessen gelangte er in einen Hof.
Dort war es zwar eng, aber offenbar friedlich, obwohl von Menschen überfüllt. Man sah nur Männer, mit und ohne Waffen, aus allen Ständen, bei verschiedenen Beschäftigungen. Höflinge würfelten oder stritten, Bürger gingen in Geschäften ein und aus bei den Ämtern, die im Erdgeschoß des ältesten Gebäudes lagen. Auch Köche und Bediente verließen ihre warme Arbeit, um sich an der Luft zu dehnen. Hier fröstelte jeden, sogar im Juli. Gegen die Mitte erkannte man noch die Grundmauer eines Turms: der dickste von allen, uralt hatte er hier gelastet und die Luft verdunkelt. Erst König Franz, der Großonkel Henris, hatte ihn abgerissen. Dennoch verirrte das Licht sich in diesen Hof nur wie auf den Grund eines Brunnens: er hieß auch der Brunnenschacht des Louvre.
Man blieb unbeachtet in dem bunten Gedränge. Henri und seine Begleiter fanden unter den Edelleuten zufällig keinen einzigen Bekannten. Dagegen wurden sie von Leibwächtern des Königs aufgehalten, als sie versuchten, hindurchzukommen mit ihren Pferden. „Zurück, ihr Herren! Allerdings! Umkehren und wieder über die Brücke müßt ihr, die Ställe sind draußen, und für Gascogner, die nicht einmal Knechte bei sich haben, wird bestimmt keine Ausnahme gemacht.“
So war der Empfang. Henri sagte nicht, wer er war, er verhinderte sogar die anderen daran und machte sich über den jungen Offizier der Leibwache nur lustig. Das dauerte, bis der Herr vom Leder zog: dann entwaffnete ihn der lange Du Bartas und rief etwas zu laut: „Dieser ist der König von Navarra!“
Infolgedessen entstand ein Auflauf, Geschrei für und wider, und den Leutnant mußten sie fortzerren, weil er seinen Gegner durchaus nicht aufgeben wollte. „Wenn er der König von Navarra ist, bin ich der König von Polen!“ Zuletzt wurde aber ein Haufe gaffender Bedienter gewaltsam zerteilt, und Henri bemerkte, wer das tat: sein eigener Armagnac, den kannten sie schon. Der überzeugte sie von der Wahrheit, wenn auch nur mit seiner größten Suada. Die Versicherungen der gemeinen Leute beruhigten dann die Herren, und ein scheuer Abstand bildete sich um den künftigen Schwager des Königs von Frankreich. D’Armagnac geleitete ihn, während an seiner anderen Seite der junge Offizier blieb, aus Besorgnis wegen der Folgen. Am Fuß einer Treppe sagte er zur Rechtfertigung seines Eifers:
„Keinen Monat ist es her, daß hier mein Hauptmann lag mit durchstochener Kehle. Mein Vorgänger aber, ein Herr von Ligneroles, fiel sich auf dieser Treppe zu Tode, niemand weiß, wieso.“
Um seine schweren Verstöße womöglich in Vergessenheit zu bringen, verriet er und flüsterte: „Grade darüber wohnt die Königin Madame Catherine.“ Erschrocken über seine eigenen Worte, hielt er an und wagte sich keinen Schritt weiter.
D’ Armagnac führte Henri auf sein Zimmer. Der Edelmann als Diener war seinem Herrn vorausgeeilt, schon hatte er alles hergerichtet, auch einen Bottich halb voll Wasser, so groß, daß ein König, der kein Riese war, darin sitzen konnte. Aber Anzüge lagen ausgebreitet, der junge Herr aus der Provinz hatte solche nie getragen. Seide mit blitzender Stickerei, der schönste ganz in Weiß, das war sein Hochzeitskleid. Er begriff, daß darüber noch die Augen seiner Mutter gewacht hatten, und sogleich füllten seine sich wieder mit Tränen.
Die Königin Jeanne hatte ihm kein Trauergewand machen lassen: dies bewies ihrem Sohn, daß sie ihren Tod nicht erwartet hatte, vielmehr jäh von ihm betroffen war. Es war nicht Krankheit gewesen, sondern Gift: die Gewißheit schien ihm endgültig, und in diesem Augenblick war sie ihm auch willkommen. Er sollte vor die Mörderin seiner Mutter treten!