Kitabı oku: «Die verbannte Prinzessin», sayfa 2
Die bittere Pille
Sophie Dorothea schüttelte nur den Kopf, als ihr der Heiratsplan mitgeteilt wurde. Dann brach sie in Tränen aus. »Nie, niemals«, stieß sie schluchzend hervor. »Niemals werde ich die Frau von Schweineschnauze. Lieber sterbe ich.«
Ihre Mutter hatte oft genug erzählt, wie verächtlich Sophie und Ernst August sie behandelt hatten; was für eine Bande böser und unkultivierter Menschen den hannoverschen Hof beherrschte. Und in diese Höhle wollte ihr Vater sie verstoßen! Es war nicht zu fassen. Sie warf sich ihrer Mutter in die Arme und weinte. Hemmungslos. Der Herzog von Celle stand hilflos daneben. Im verzweifelten Bemühen, seine Tochter zu beruhigen, gab er ihr das diamantenbesetzte Porträt Georg Ludwigs, das ihr dessen Mutter als Geburtstagsgeschenk mitgebracht hatte. Doch die erhoffte Wirkung blieb aus. Wütend warf Sophie Dorothea die Miniatur mit dem verhassten Cousin gegen die Wand, dass die Splitter durch den ganzen Raum flogen.
Es war ihr völlig unbegreiflich, wie ihr Vater so etwas von ihr verlangen konnte. Jeden Wunsch hatte er ihr bisher von den Augen abgelesen. Zu Ehren ihres sechzehnten Geburtstages hatte er von seiner Schauspielertruppe ein Stück aufführen lassen und wie so oft selbst auf der Bühne gethront und mitgespielt. Und jetzt das? Sie fühlte sich verraten und erniedrigt. Ihr war, als bräche alles zusammen, was ihrem Leben bisher Halt gegeben hatte.
Mit ihrem mahagoniglänzenden Haar und den goldbraunen Augen, mit ihrer Ungezwungenheit und Lebensfreude war sie immer der Stolz ihrer Eltern gewesen. Sie war geliebt und verwöhnt worden. Wie eine schöne Puppe hatte ihre Mutter sie stets frisiert und gekleidet. Und nicht nur bei Hofe flogen ihr die Herzen zu. Wenn sie mit ihrer Ponykutsche durch die Stadt chauffiert wurde, winkten die Leute.
Sie sprach fließend französisch, wurde unterrichtet von den besten Gelehrten des Herzogtums, ausgebildet im Gesang und dem Cembalospiel, eingeführt in die Grundregeln des höfischen Lebens und der kunstvollen Handarbeit. »Ich muss bekennen, dass man ihresgleichen nicht in Deutschland findet«, schwärmte eine fürstliche Beobachterin nach einer Begegnung mit der damals Dreizehnjährigen. »So klug und artig. Sie ist schon so groß wie ich und vollkommen ausgereift. Wirklich, ein Schatz. Aber was in ihrem Herzen vorgeht, weiß man natürlich nicht. Denn sie ist so klug, dass sie ihre Gefühle sehr wohl verbergen kann …«
Sophie Dorothea genoss es, bewundert zu werden; sie liebte es, sich im Spiegel zu betrachten, zu scherzen und zu flirten. Als einzige Schwäche wurde ihr denn auch ein starker Hang zur Koketterie zugeschrieben. Es heißt, ihr Kammerdiener Jacques Agneau, ein strenger Calvinist, habe es ihr sehr übel genommen, wenn sie schon morgens einen Spiegel verlangte und ihr stattdessen bisweilen die Bibel in die Hand gedrückt.
Manch galante Tändelei wurde der impulsiven Dame nachgesagt. Der Page Christian August von Haxthausen, später Minister bei August dem Starken, musste sogar den Celler Hof verlassen, weil er dem Mädchen Liebesbriefe geschrieben hatte.
Es soll der Prinzessin auch untersagt worden sein, mit den Söhnen der Gräfin Maria Christine Königsmarck zu spielen, die um 1680 in Celle zu Besuch waren. Gleichwohl konnte offenkundig nicht verhindert werden, dass Philipp Christoph, einer der beiden Königsmarck-Söhne, einen nachhaltigen Eindruck bei Sophie Dorothea hinterließ.
Für ihren sechs Jahre älteren Cousin Georg Ludwig dagegen konnte sie sich nicht erwärmen. Kein Wunder. Der hannoversche Prinz galt mit seiner gedrungenen, untersetzten Gestalt und den hervorstehenden Augen nicht nur als hässlich, sondern auch als verschlossen, wortkarg und steif. »Trocken und kalt wie Eis«, mit diesen Worten charakterisierte ihn immer wieder seine Cousine Elisabeth Charlotte, besser bekannt als Liselotte von der Pfalz, die Herzogin von Orleans. Nicht einmal seine eigene Mutter scheint ihn geliebt zu haben. »Mehr als kalt«, nannte sie ihren ältesten Sohn. »Der starrsinnigste Kerl, der mir je begegnete. Sein Gehirn ist von einer so dicken Kruste überzogen, dass ich wette, niemand wird je erfahren, was sich darunter befindet.«
Schon früh hatte sich Georg Ludwigs Vater bemüht, seinem Ältesten militärisches Denken und soldatische Tugenden wie Tapferkeit und Härte einzupflanzen. Bereits im Alter von 15 Jahren hatte Georg Ludwig an seinem ersten Feldzug teilgenommen. Schon früh führte ihn sein Papa auch an das andere Geschlecht heran. So wurde der Prinz mit sechzehn Vater eines unehelichen Kindes. Alsbald pflegte Georg Ludwig auch regelmäßigen Kontakt mit einer Mätresse, der Gräfin Katharina Maria von dem Bussche, Schwester der Mätresse seines Vaters.
Leidenschaft war also sicher auch auf seiner Seite bei der Anbahnung der Verbindung mit Sophie Dorothea nicht im Spiel. Doch der Ehevertrag, der zwischen Hannover und Celle ausgehandelt werden sollte, tröstete ihn über die Vernunftehe hinweg, eröffnete er ihm doch die schönsten Aussichten. Denn der Herzog von Celle erklärte sich damit einverstanden, sieben Ämter seiner Grafschaft Hoya mit einem Jahresertrag von 50 000 Talern an Hannover abzutreten und seinen gesamten Besitz nach seinem Tode dem Ehemann Sophie Dorotheas zu vermachen. Darüber hinaus billigte Herzog Georg Wilhelm seiner Tochter eine einmalige Mitgift von 150 000 Talern und eine jährliche Rente von 10 000 Talern zu – eine Rente, über die in Wirklichkeit nur ihr Ehemann verfügen durfte. »Die Heirat interessiert ihn wenig, aber zehntausend Taler haben ihn überzeugt, wie sie wohl auch jeden anderen überzeugt hätten«, schrieb seine Mutter an ihre Nichte Liselotte. »Es ist eine bittere Pille«, hatte Sophie schon während der vorausgegangenen Verhandlungen in einem Brief an ihren Bruder geseufzt, »aber wenn sie mit 100 000 Talern vergoldet wird, macht man die Augen zu und schluckt sie herunter.«
Sophie Dorothea war einer Ohnmacht nahe, als ihr Vater sie an diesem Septembertag aufforderte, der Tante und künftigen Schwiegermutter die Hand zu reichen. Die Herzogin aus Hannover beobachtete das Familiendrama dagegen nahezu unbewegt. Peinlich berührt wandte sich die Fürstin ab, während Sophie Dorothea und ihre Mutter sich weinend in den Armen lagen.
Doch die Zeit trocknete die Tränen. Sophie Dorothea überwand ihren Widerwillen. Sie fügte sich in das Unvermeidliche. Nach einem Höflichkeitsbesuch von Georg Ludwig in Celle fand sie sich mit der Heirat schließlich ab. Innerlich gebrochen und vermutlich von ihrem Vater gezwungen, schrieb sie ihrer zukünftigen Schwiegermutter am 21. Oktober 1682 einen Brief, in dem sie sich allen Vereinbarungen unterwarf: »Ich habe so große Hochachtung vor meinem Herrn und Gebieter, dem Herzog, ihrem Gemahl, und vor meinem Herrn und Gebieter, meinem eigenen Vater, dass, welche Behandlung Sie auch immer geruhen mögen, mir zuteil werden zu lassen, ich mit allem zufrieden sein werde. Mögen ihre Herzogliche Gnaden überzeugt sein, dass Sie keine Schwiegertochter hätten finden können, welche ihre Pflichten besser kennte.«
Die Hochzeit wurde am 2. Dezember 1682 im Celler Schloss gefeiert – wie der französische Gesandte René Marquis de Arcy berichtete, »ganz im Stillen und fast ohne, dass es jemand wusste«.
Die Hochzeit
Ein Sturm fegte über das Celler Schloss hinweg, während Sophie Dorothea an einem düsteren Dezembertag des Jahres 1682 mit Georg Ludwig vermählt wurde. Böse Zungen behaupteten später, selbst der Himmel habe gegen den Kuhhandel protestiert, der hier als Trauung gefeiert wurde.
Die Braut fühlte sich, als gehe sie ihrer eigenen Hinrichtung entgegen. Doch die Tränen wurden überpudert. Wie weiß gekalkt wirkte Sophie Dorotheas Gesicht auf die wenigen Augenzeugen.
Zu den Gästen zählte der französische Gesandte René Marquis de Arcy. Nach dem Bericht des Diplomaten fand die Eheschließung nicht etwa in der Schlosskapelle statt, sondern im purpurrot tapezierten Prunksalon der Prinzessin. Und gleich im Anschluss an die Trauung wurde das junge Paar zum Bett geleitet.
Wörtlich heißt es in dem Bericht, den der französische Gesandte am 4. Dezember 1682 seinem König Ludwig XIV. erstattete:
»Seit meiner Rückkehr von der großen Wildschweinjagd mit dem Herrn Herzog von Celle hat man an diesem Hof alle Sorgfalt und alle Gedanken angewandt für die Hochzeit der Prinzessin von Celle und dem erstgeborenen Prinzen von Hannover. Die Hochzeit selbst wurde vorgestern ausgeführt, und fast zur gleichen Zeit wurde die Ehe vollzogen. Es geschah ohne irgendeine Zeremonie und fast unbemerkt von der Außenwelt, so wie man es schon immer vermutet hatte. Denn vorgestern Abend, nachdem die Hoheiten von Celle und Hannover wie gewohnt soupiert hatten, zogen sie sich gegen 10 Uhr abends in ihre Gemächer zurück, um sich dann im Appartement der Prinzessin zu versammeln, wo sich ein Priester befand. Die Ehe wurde geschlossen in Gegenwart Ihrer Hoheiten von Celle und Hannover und der Herren Podewils (hannoverscher Heerführer und Mitglied des geheimen Rates) und Chauvet (der die gleichen Ämter in Celle innehatte) und einiger anderer Offiziere aus dem Gefolge, die man insgeheim benachrichtigt hatte, sich dort einzufinden. Endlich endete die Angelegenheit gegen 11 Uhr abends damit, dass man das Brautpaar zu Bett brachte. Gestern fand hier eine Art von kleinem Ballett zusammen mit einer Oper statt, um die Hochzeitsgäste zu erfreuen, und es wird ein ganz schönes Feuerwerk vorbereitet, das man, glaube ich, heute Abend abbrennen wird. Der Prinz von Hannover wird hier noch eine Weile mit seiner Frau, der Prinzessin, bleiben. Der Herzog und die Herzogin von Celle werden sie dann nach Hannover begleiten …«
Am 19. Dezember 1682 hielten die Jungvermählten Einzug in Hannover. Sie fuhren vor in einer cremefarbenen Staatskutsche, die von sechs Hengsten aus dem Celler Marstall gezogen wurde – eskortiert von einem Regiment der Kavallerie, begleitet von den Eltern Sophie Dorotheas, von Ministern wie dem Grafen Bernstorff, von Hofdamen, Pagen und hohen Beamten. Tausende säumten die Straßen Hannovers, um der Braut zuzujubeln.
Die unerwartete Herzlichkeit rührte die Erbprinzessin, und sie winkte zurück, entschlossen, das Beste aus dieser Ehe zu machen. Ein wenig Trost fand Sophie Dorothea auch darin, dass ihr persönliches Kammerfräulein, Eleonore von dem Knesebeck, sie nach Hannover begleiten durfte.
Nach der schlichten Eheschließung in Celle wurde die Hochzeit nun in Hannover in barocker Pracht gefeiert. Überliefert ist das Festgedicht, das der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz, ein guter Freund der Fürstin Sophie, verfasste und selbst vortrug. Es besteht aus 56 Zeilen und rühmt vor allem den hannoverschen Erbprinzen Georg Ludwig – als »würdigen Sohn eines Helden« und als »Neffen des Mars auf Erden«. In den letzten vier Zeilen heißt es:
»Europa verspricht sich von dieser großen Hochzeit die Früchte der Schönheit, die Auswirkungen des Mutes. Prinz, geliebt von den Himmeln, Euer Schicksal sei so lieblich, dass es die Könige, ja selbst die Götter eifersüchtig machen wird.«
Die Herzogin Sophie lauschte den Versen des großen Philosophen und Freundes voller Hingebung. Sophie Dorothea dagegen zeigte sich eher gelangweilt. Dabei fehlte es ihr an Bildung nicht. »Ihre reichen geistigen Anlagen, erweitert durch gute Lektüre und angeborene Lebendigkeit gehen bei ihr Hand in Hand mit glücklicher Erfindungsgabe, und der natürliche gute Geschmack, den sie besitzt, ist durch eine sorgfältige Erziehung noch verfeinert und gebildet«, schrieb das französischsprachige Gesellschaftsblatt »Mercure galant« nach ihrer Ankunft in Hannover. »Sie weiß über alles zu sprechen und geht gewandt auf jeden Gegenstand der Unterhaltung ein.« Auch die Schönheit der jungen Erbprinzessin wurde in dem Lobgesang gerühmt: »Sie hat kastanienbraunes Haar, ein niedliches Grübchen auf dem Kinn, einen glatten und schönen Teint und einen sehr schönen Busen.« Hervorgehoben wurde zudem, dass Sophie Dorothea eine »vortreffliche Tänzerin« sei, dass sie Cembalo spiele und den Gesang beherrsche.
Gleichwohl: Sophie Dorothea tat sich schwer am hannoverschen Hof. Sie bezog neben der Schlosskirche mit ihrem Angetrauten den finsteren Altbau des Schlosses, in dem sie einen kompletten Hofstaat vorfand – mit Kammerherren, Ehrendamen, Pagen und einem äußerst strengen Zeremoniell. Vor allem ihre Schwiegermutter achtete auf Etikette. Sophie Dorothea hatte ständig das Gefühl, etwas falsch zu machen. Bisher war sie es gewohnt gewesen, sich mit ihrer heiteren Art über die festen Regeln des Hoflebens hinwegzusetzen. Aber in Hannover war das unmöglich. Dauernd wurde sie von der Fürstin zurechtgewiesen. Ob sie es sich erlaubte, mit Menschen niederen Ranges zu plaudern oder an der herrschaftlichen Tafel zu gähnen, wenn sich das Mahl über fünf Stunden hinzog, stets war mit einer Zurechtweisung oder zumindest mit einem tadelnden Blick zu rechnen.
Sophie Dorothea sehnte sich zurück nach Celle, nach dem schönen Schloss mit den kupfergrünen Glockentürmchen, auf denen sich vergoldete Wetterfahnen drehten, nach den kleinen Fachwerkhäusern in dem kleinen Städtchen. Sie vermisste ihr Zimmer, das Delfter Fayencenkabinett, den Blick auf den Schlossgraben.
Einige Dinge, an denen ihr Herz hing, hatte sie immerhin mitnehmen dürfen: die Puppen, mit denen sie als Kind gespielt hatte, ihre Fayencenhühner. Doch Sophie Dorothea vermisste ihre Eltern, sehnte sich nach der Liebe, die ihr in Celle zuteil geworden war. Bei ihrem Gatten jedenfalls konnte von Zärtlichkeit keine Rede sein. Kalt und verschlossen trat er ihr entgegen. Und sie musste es hinnehmen, dass Georg Ludwig weiterhin seine Mätresse besuchte.
Kam der Erbprinz dann doch einmal wortlos zu ihr ins Bett, dann war das, was folgte, von Liebe weit entfernt.
Nichts als Ekel und Hass empfand sie in solchen Momenten für ihren Mann. Mit Bitterkeit musste sie an die Hochzeitsverse des berühmten Philosophen denken: »Die göttliche Schönheit, die Euer Herz unterwarf, wir verdanken sie den Reizen Frankreichs …« Wie verlogen! In Wirklichkeit, davon war sie überzeugt, sah Georg Ludwig sie immer noch als »Bastard«, verabscheute ihr »geziertes Getue«, wie er einmal gesagt hatte, hasste es im Grunde seines Herzens, mir ihr das Bett teilen zu müssen.
Und er ließ sie es spüren.
Doch sie wusste, dass sie ihre ehelichen Pflichten erfüllen musste. Und schon einen Monat nach der Hochzeit wurde sie schwanger.
Immerhin würden ihr bald die nächtlichen »Besuche« ihres Mannes erspart bleiben. Denn Georg Ludwig war entschlossen, dem Ruf des Kaisers zu folgen und in den Krieg nach Ungarn zu ziehen. Bei einem Feldzug gegen die Türken sollte er die hannoverschen Truppen anführen.
Fürstlicher Glanz
und erbärmlicher Gestank
Auch außerhalb der Schlossmauern fand Sophie Dorothea nur wenig Gefallen an Hannover. Ein schmieriger Film aus Schmutz, Kot und Unrat überzog Straßen und Plätze und verbreitete einen üblen Gestank, der sich mit den Ausdünstungen von Moder und Fäulnis verband. Von einer herrschaftlichen Residenzstadt hatte Hannover in diesen Februartagen wenig. Nass, kalt und grau waren die engen, winkligen Gassen rund um die Kirche St. Georgi et Jacobi (heute Marktkirche), und dem Schloss an der Leine war immer noch anzusehen, dass es einmal ein Kloster gewesen war.
Hohe Mauern, Wälle, Bastionen und Gräben umschlossen die Stadt. Der Zugang war nur durch drei Stadttore möglich, die bei Einbruch der Dunkelheit geschlossen wurden: Aegidientor, Steintor und Leinetor. Hochgestellten Herrschaften öffneten die Torwächter, die ihre Wohnungen über den Toren hatten, selbstverständlich auch nachts.
Jenseits der Leine schloss sich an die Altstadt die Calenberger Neustadt an, wo reiche Kaufleute und Adlige seit Anfang des siebzehnten Jahrhunderts ihre Häuser hatten bauen lassen. Hier ließen sich auch Angehörige des Hofstaates und der Regierungsbehörden nieder, für die in der übervölkerten Altstadt kein Platz mehr war. Von den 10 000 Einwohnern Hannovers lebten Ende des siebzehnten Jahrhunderts rund 6500 in der Alt- und 3500 in der Neustadt.
Der fürstliche Hof beherrschte das Leben. Zu den drei- bis vierhundert Angehörigen des Hofstaats kamen noch mehrere Hundert Beamte der Zentralbehörden, die mit ihren Familien und Bediensteten fast ein Drittel der Gesamtbevölkerung bildeten. Und nahezu jeder Handwerker und Händler lebte vom Hof und seinen Bedürfnissen; ebenso die 29 Herbergen, die in jener Zeit in der hannoverschen Altstadt gezählt wurden.
Doch auch der Glanz des Fürstenhofs konnte nicht über den üblen Gestank hinwegtäuschen, der über der Stadt hing. Von einer Kanalisation war Hannover noch weit entfernt. Die menschlichen Ausscheidungen flossen ungeklärt auf die Straßen, mischten sich mit Küchen- und Schlachtabfällen, Müll und Unrat. Der Herzog hatte zwar schon vor einiger Zeit zwei »Dreckwagen« eingeführt, doch einmal abgesehen davon, dass diese Müllabfuhr bei weitem nicht ausreichte, waren die Bürger auch nicht geneigt, Gebrauch davon zu machen. Sie warfen ihren Unrat lieber weiter vor die Tür.
Wer auf sich hielt, vermied es daher nach Möglichkeit, die Stadt zu Fuß zu durchqueren. Da nicht immer eine Kutsche bereit stand, erfreuten sich Tragesänften großer Beliebtheit. Der umtriebige Hofkurier Otto Lochmann schaffte es schließlich sogar, sich von Herzog Ernst August ein »Portechaisenprivileg« ausstellen zu lassen. Die Lochmanns waren somit nicht nur berechtigt, sondern sogar verpflichtet, fünf Sänften mit zehn Trägern in der Zeit von acht Uhr morgens bis Mitternacht vor der Hofküchenstube in der Schlossstraße für das vornehme Publikum bereit zu halten. Die Taxe pro Stunde betrug sechs Mariengroschen, für den Tag einen Taler. Für das gemeine Volk war diese Beförderungsart daher unerschwinglich. Ein Maurermeister zum Beispiel musste einen ganzen Tag lang arbeiten, um sieben Mariengroschen zu verdienen.
Doch ob arm oder reich, Bürger oder Edelmann: Niemand hielt es in jener Zeit für nötig, sich täglich zu waschen, manch einer kam sogar wochenlang ohne Körperreinigung aus. Wer es sich leisten konnte, ersetzte Wasser und Seife einfach durch reichlich Puder und Parfüm – den Luxusartikeln der stinkfeinen Gesellschaft.
»Monplaisir«
In dem Dorf Linden, wenige Meilen abseits der Residenz, stand ein Schlösschen, in dem andere Gesetze galten als in dem sittenstrengen Leineschloss: die lockeren Regeln des kultivierten Vergnügens. Hier führte die Mätresse des Fürsten Ernst August das Regiment: Klara Elisabeth von Platen. »Monplaisir«, hatte die Hausherrin ihr Haus getauft, in dem sie am liebsten Herren als Besucher sah. Die Gäste konnten in den hübschen Salons ihre Tabakspfeifen rauchen oder Champagner trinken, Tricktrack (Backgammon) und Tarock spielen oder sich mit ausgesuchten Damen vergnügen. Bisweilen riss man sich nach einem ausgedehnten Souper auch die Kleider vom Leib und tanzte Polonaise. Splitternackt und ausgelassen.
Einen Tag vor seiner Abreise nach Ungarn kam Georg Ludwig wieder einmal nach Linden. Oft schon hatte er sich hier mit Katharina Maria von dem Bussche getroffen, der Schwester der Schlossherrin. Diesmal war er gekommen, um sich von der Geliebten zu verabschieden. Auf unbestimmte Zeit. Die Ungewissheit hing nicht nur mit dem bevorstehenden Kampf gegen die Türken zusammen, sondern hatte auch einen privaten Grund: Seine Schwiegermutter Eleonore d’Olbreuse. hatte bei seiner Mutter darauf gedrängt, dass Maria ihre Suite im Leineschloss räumen und aus seinem Blickfeld verschwinden sollte.
»Was diese Madame sich herausnimmt«, schimpfte er. »Das ist eine bodenlose Unverschämtheit. Ich hätte nicht übel Lust, diesem Weib Rattengift in die Suppe zu streuen.«
»Ich verstehe dich ja«, erwiderte Maria. »Aber du musst vorsichtig sein. Du schadest dir selbst am meisten. Und das lohnt sich wirklich nicht wegen dieser aufgeblasenen Pute.«
»Weißt du, was die Madame in meinen Augen ist? Ein parfümierter Misthaufen! Mäusedreck! So hat sie meine Mutter doch selbst genannt. Bei jedem Türken, den meine Leute aufspießen, werde ich an meine Schwiegermutter in Celle denken.«
»Jetzt übertreibst du aber. So schlimm sind die Türken auch wieder nicht.«
Sophie Dorothea saß zur gleichen Zeit mit ihrem Kammerfräulein bei einer Tasse Schokolade im blauen Salon und ließ sich den neuesten Hofklatsch erzählen. Da Eleonore von dem Knesebeck nicht nur mit Hofdamen, sondern auch mit Mägden sprach, erfuhr sie viel mehr als ihre Herrin. An diesem trüben Februartag des Jahres 1683 kam die Rede auch auf die Schwestern Maria und Klara Elisabeth, das »Duo diaboli«, wie Sophie Dorothea sie nannte.
»Sie kommen ganz nach ihrem Herrn Vater«, sagte Eleonore. »Das war ein rechter Glücksritter, dieser Graf Philipp von Meysenburg. Er hat sein Glück im Kriegsdienst gesucht. Aber obwohl er nie nach Treue und Gesinnung gefragt und ganz verschiedenen Herren gedient hat, hat er das Glück nie gefunden. Mochte er sich selbst auch noch so aufblasen, sein Geldbeutel war meistens leer. Und sein Schloss war mehr eine Hundehütte.«
»Die arme Frau, die verdammt war, mit diesem Kerl zu leben«, warf Sophie Dorothea ein. »Was weiß man eigentlich über die gnädige Madame von Meysenburg?«
»Herzlich wenig. Es heißt, dass sie bei der Geburt ihrer jüngsten Tochter Maria im Kindbett gestorben ist.«
Sophie Dorothea schmunzelte. »Entschuldige, dass ich lächle. Aber wenn das stimmt, was du sagst, dann hatte dieses Luder ja schon ein Menschenleben auf dem Gewissen, bevor es selbst die Sonne gesehen hat.«
»Gnädigste Durchlaucht«, entgegnete Eleonore mit gespielter Entrüstung. »Ich hätte es niemals für möglich gehalten, dass Ihr zu derartiger Bosheit fähig seid.«
»Da will ich gar nicht widersprechen, ich bin ungerecht. Dabei sollte ich der Dame dankbar sein. Wer sollte sich sonst meines Gemahls annehmen, wenn nicht die liebe Maria.«
Eleonore kicherte. Sophie Dorotheas Lächeln wirkte gequält. »Eigentlich waren die Schwestern Meysenburg doch höchst bemitleidenswerte Geschöpfe, wenn sie ohne Mutter aufwachsen mussten«, fuhr sie fort.
»Wie man’s nimmt. Sie haben auf jeden Fall viel gesehen von der Welt. Sowie sie aus dem Gröbsten heraus waren, soll sie ihr alter Herr schon mitgeschleppt haben. Und wie der Vater waren sie bei diesen Reisen stets auf der Suche nach einem gut gepolsterten Nest.«
»Am Ende haben sie damit ja auch Erfolg gehabt.«
»Wohl wahr. Aber es hat lange gedauert. Wenn es stimmt, was mir die Zofe der Gräfin Platen zugeflüstert hat, dann hatten sie manche Pleite hinzunehmen auf ihrem Weg nach oben.«
»Du machst mich neugierig.«
»Na ja, es scheint, sie wollten einfach zu hoch hinaus. Sogar beim Sonnenkönig in Versailles haben sie es versucht, sogar Ludwig XIV. haben sie umgarnt. Aber eine seiner Hofdamen hat rechtzeitig spitzgekriegt, worauf ihr Gegurre hinauslaufen sollte. Die Madame soll die deutschen Fräuleins mitsamt ihrem noblen Vater eines Tages vor die Tür gesetzt haben. Rausgeworfen, und mit nicht sehr freundlichen Worten, wie erzählt wird.«
»Die Ärmsten!«
»Ach was! Glaub nicht, dass sie damit kuriert waren. Sie sind einfach zum nächsten Königshof weitergezogen. Auch beim englischen König sollen die Meysenburgs es versucht haben, auch Karl II. haben sie umgarnt. Aber auch am englischen Hof gab es eine aufmerksame Mätresse, die das Spiel der deutschen Fräuleins durchschaut hat.«
»Und sind sie danach, wie soll ich sagen, bescheidener geworden?«
»Es hat den Anschein. Irgendwann haben sie bei ihrer Weltreise jedenfalls auch Station in Osnabrück gemacht, wo, wie Ihr wisst, vor gar nicht so langer Zeit noch ein gewisser Herzog Ernst August als Fürstbischof residierte. In diesem kleinen, aber feinen Hofstaat soll es so viele Kavaliere gegeben haben, dass die Meysenburg-Schwestern leichte Beute hatten. Und die Gelegenheit war günstig. Denn während ihres Besuchs in Osnabrück waren die beiden ältesten Söhne des Fürstbischofs gerade aus dem Ausland heimgekehrt: Georg Ludwig und Friedrich August, begleitet von ihren Erziehern, Ihr kennt sie: Albrecht Philipp von dem Bussche und Franz Ernst von Platen.«
»Wie haben sie sich denn an die Herrschaften herangepirscht?«
»Oh, nichts einfacher als das. Es war ihnen ein Leichtes, eine Einladung zu dem Festessen zu erhalten, das zum Empfang der Heimkehrer gegeben wurde. Und Katharina Maria und Klara Elisabeth haben dieses Souper durch eine künstlerische Darbietung bereichert, wenn man das so nennen darf. Sie haben ein Schäferspiel aufgeführt. Ihr könnt Euch vorstellen, in welchen Rollen! Sie sollen ihre weiblichen Reize voll ausgespielt haben – mit schlüpfrigen Darbietungen und aufreizenden Dekolletés. Und sie hatten Erfolg. Es ist den schönen Schäferinnen spielend gelungen, zwei Schafsböcke an sich zu binden.«
»Georg Ludwig und Friedrich August?«
»So schnell waren sie auch wieder nicht. Erst einmal haben sie die Erzieher der beiden bezirzt, du …«
Eleonore von dem Knesebeck unterbrach sich. Denn in diesem Moment betrat eine Zofe den Salon, von der es hieß, dass sie ihre Augen und Ohren bisweilen in den Dienst der Gräfin von Platen stellte. Vorsicht war daher in Gegenwart der höflichen, ja fast unterwürfigen Person geboten, höchste Vorsicht.
»Darf ich den beiden Damen noch eine heiße Schokolade bringen?«
Sophie Dorothea schüttelte den Kopf und ließ Eleonore antworten. »Nein, danke vielmals, Elisabeth. Wir haben genug genascht. Wir freuen uns auf den Wein, aber damit wollen wir noch warten.«
Mit einem Knicks und aufgesetztem Lächeln verabschiedete sich die Zofe.
»Gut, dass die Türen hier so dick sind«, sagte Eleonore. »Sonst müsste man fürchten, dass das Täubchen dahinter steht. Es könnte sich für sie lohnen.«
Sophie Dorothea seufzte. »Ja, es ist furchtbar. In diesem Schloss haben auch die Wände Ohren.«
»Und das hat vor allem mit den beiden Damen zu tun, über die wir gerade gesprochen haben.« Gedankenverloren strich Eleonore ihr Haar zurück. »Wo waren wir stehen geblieben?«
»Beim Schäferspiel.«
»Richtig. Bei diesem Schäferspiel also haben die Meysenburg-Schwestern die Erzieher von Georg Ludwig und Friedrich August eingefangen. Danach dauerte es nicht mehr lange, bis Klara Elisabeth den ehrwürdigen Herrn Franz Ernst von Platen zum Traualtar geführt hat. Bei ihrer Schwester war es komplizierter. Die ist bei dem Bruder des Prinzenerziehers hängen geblieben. Maria hat sich, wie Ihr wisst, mit Johann von dem Bussche vermählt. Aber diese Eheschließung war für die beiden Damen eben nur der Ausgangspunkt neuer Affären. Sie verstanden es trefflich, den Familienanschluss zu nutzen. Und als die Herzogsfamilie in ihre neue Residenz nach Hannover übersiedelte, schlossen sich die holden Schwestern dem Umzug selbstredend an.«
Sophie Dorothea trank den letzten Schluck ihrer Schokolade.
»Mir scheint, dass Klara Elisabeth ihrer Schwester Maria bei alldem an Raffinesse und Durchtriebenheit weit überlegen ist.«
Eleonore nickte. »Wohl wahr. Die hat Haare auf den Zähnen. Sie hat nie ihr Hessisch abgelegt, und ihre Bildung soll sich auch in Grenzen halten. Aber sie ist gerissen wie keine Zweite. Was sie sich in den Kopf setzt, erreicht sie. Und natürlich konnte sie sich nicht mit dem kleinen Oberhofmeister von Platen begnügen. Sie hat es von Anbeginn an darauf angelegt, das Herz des Fürsten zu gewinnen. Und wie wir wissen, waren ihre Bemühungen erfolgreich.«
Sophie Dorothea strich sich mit der Hand über die Stirn, als wollte sie ihren Gedanken eine andere Richtung geben. »Schon traurig, dass unser Fürst sich von einer solchen Dame einwickeln lässt. Er scheint ihr ja wirklich jeden Wunsch von den Augen abzulesen.«
»Manche sagen darum ja auch, dass sie eine Hexe ist«, erwidert Eleonore. »Und das ist sicher nicht ganz falsch: Die Platen hat Ernst August verhext. Bestimmt wäre ihr Mann sonst nicht so schnell beim Fürsten aufgestiegen – vom Prinzenerzieher zum Geheimen Rat und Ersten Minister. Ich möchte nicht wissen, welchen Rang dieses Männchen ohne seine Gemahlin bekleiden würde.«
»Und sie hat ja nicht nur für ihren Gemahl gesorgt, sondern auch für sich selbst. Mir scheint, einer ihrer erfolgreichsten Schachzüge war es, sich als Ehrendame in den Hofstaat unserer Fürstin einzuschleichen. Das muss man sich mal vorstellen: Sie hat ein Verhältnis mit dem Ehemann, und plaudert mit der betrogenen Gattin, als wäre sie ihre allerbeste Freundin.«
»Ach, ich glaube, Ihre Durchlaucht Sophie sieht das alles mit großer Gelassenheit, solange ihr der gebührende Respekt erwiesen wird.«
»Mit philosophischer Gelassenheit«, ergänzte Sophie Dorothea. »Sie hält sich an diesen Leibniz und amüsiert sich mit geistvollen Plaudereien über Gott und die Welt. Das Wichtigste für sie ist die Karriere ihrer Kinder. In ihren ersten Ehejahren soll sie ja mit ihrem Mann noch zusammen Musik gemacht haben, die Laute und Pandurine sollen sie gezupft haben, ganz allerliebst, wie erzählt wird. So schön harmoniert es vermutlich schon lange nicht mehr zwischen den beiden. Aber wen stört es? Da lässt sich Ernst August eben nicht mehr von seiner Sophie streicheln, sondern von Klara Elisabeth.«
»Und die tut’s gern, denn es lohnt sich für sie. Mir ist zu Ohren gekommen, dass der Fürst dabei ist, ihr Schlösschen in Linden zu einem wahren Palast zu machen. Dabei ist der Schuldenberg jetzt schon so hoch, dass die Minister aus dem Jammern nicht mehr herauskommen. Aber vielleicht verleiht unser Herzog ja wieder ein paar Tausend Landeskinder. Der Bedarf an Soldaten ist groß, ob in Wien oder Venedig. Und es lohnt sich, wie man hört.«
Sophie Dorothea gähnte. »Das ist Politik, liebe Eleonore. Davon verstehen wir nichts. Und es fehlt mir auch der Ehrgeiz, mehr darüber zu wissen. Das Leben ist so schon schwer genug. Aber fest steht: Wer beim Herzog etwas erreichen will, hält sich an Klara Elisabeth von Platen.«