Kitabı oku: «Aufenthalt bei Mutter», sayfa 2

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Beth. zwei.

Karl hatte nur noch ein Jahr Studium vor sich. Er war fünf Jahre älter als sie, aber an Lebenserfahrung hatte er ihr wohl eine ganze Generation voraus. Mit Vierzehn ins Internat zum Abitur, Armeezeit. Vater war Vorsitzender der LPG. Landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft. Beth, nahtlos von der Schule mit Abiturstufe zum Studium, hatte bisher nichts anderes kennen gelernt, als das was sie in der Schule zu lernen hatte und was ihre Eltern über dieses Land erzählten. Sowohl bei den Eltern als auch in der Schule erfuhr sie Ähnliches über ihr Land, und doch waren es Lügen, wie sie bald begreifen musste. Schon in den ersten Wochen des Studiums ahnte Beth, dass sie in einem ‚Glashaus’ gelebt hatte. Keiner ihrer Kommilitonen teilte ihr Verständnis von der Welt. Alle erzählten und Jeder auf seine Weise, warum die Propaganda in den Nachrichten und in der Schule falsch war und mit den tatsächlichen Verhältnissen im Lande nichts gemein hatte. Selbst in ihrer Ausbildung zum Bauingenieur musste sie erfahren, dass die Planwirtschaft im Land nur selten wie geplant funktionierte und im Grunde den Mangel an Material, Bauteilen und Baukapazitäten verursachte. Beth war Kind einer Spezialschule gewesen. Russisch-Ausbildung im Alter von acht Jahren an. Die besten aller Klassen aus der Stadt waren auserwählt worden für diese Klasse. Die Sprache der Freunde und Befreier vom Faschismus erlernen. Siegen lernen. Die Elternschaft dieser Kinder war entsprechend staatstreu. Wer es nicht war, lernte seinen Kindern von Beginn an, in der Schule den Mund zu halten. Auch den Mitschülern gegenüber. Exil im Alltag.

Beths Eltern arbeiteten beide im Dienst des Staates. Vater unterrichtete das Fach Staatsbürgerkunde, doch für die ideologische Ordnung in der Familie sorgte Mutter. Mutter arbeitete in der Buchhaltung der Schulverwaltung. Zu Hause erlaubte sie kein Wort der Kritik, keine abweichende Meinung. Es gab keine Probleme. Nicht in der Familie, nicht in der Gesellschaft. Und wer Anderes behauptete, der war verhetzt vom Feind, den kapitalistisch verseuchten Individuen. Und dann war da noch Beth. Zu Hause fiel sie immer wieder aus dem Rahmen. Manchmal rastete sie aus. Fiel in einen Wutausbruch, schlug um sich, verurteilte eine Person mit wenigen, messerscharfen Worten. Meist traf es Vater oder Mutter. Manchmal ihre Freundin, von der sie nie wirklich wusste, ob sie sie eigentlich mochte oder hasste. Beth verstand selbst nicht, woher diese Wut aus ihr kam. Die überfiel sie einfach. Beth passte halt nicht in diese Welt.

Karl war der erste Mensch in Beths Leben, der dem Staat und der Gesellschaft, in der sie lebten, feindlich gesinnt war. Mit Karl fand Beth Zugang in eine ganz andere Welt. Sie erkannte, dass es in ihrem Land Menschen gab, die andere Ziele hatten, oder einfach nur Kritik an den herrschenden Zuständen geübt hatten und dafür nun mundtot gemacht worden waren. Karls Vater, in den 60iger Jahren Leiter einer erfolgreich wirtschaftenden LPG, war nun, zu Beginn der 80iger Jahre ganz und gar resigniert und verbittert. Das Streben und der Zwang der Partei, in der Landwirtschaft immer größere Strukturen zu schaffen, hatten unübersichtliche Betriebe geschaffen. Schlendrian war eingezogen, die Tiere wurden vernachlässigt, Maschinen nicht mehr gewartet. Die Ernte kam wegen Trägheit oder wegen fehlender Einzelteile nicht rechtzeitig vom Feld, und der Berufsstand sank im Ansehen. Karls Vater erklärte, die Parteibonzen hätten sein Lebenswerk zerstört. Karls Mutter arbeitete im Stall bei den Kälbern.

Viele Menschen waren sie nach diesem schrecklichen Krieg, dem Zweiten Weltkrieg, angetreten, eine Welt zu schaffen, in der keine Kriege mehr möglich waren. Doch wohin hatten Beths Eltern geschaut, als 1953 die Panzer durch die Berliner Stalinallee rollten, als ganz Ungarn 1956 blutete und als 1968 eine demokratische Revolution in der Tschechoslowakei mit russischer Waffengewalt zerschlagen worden war? Wie hatten sie all diese Ereignisse mit ihrem Gerechtigkeitssinn vereinbart? Oder hatten sie keinen? Sie hatten diese Dinge vergessen, soweit ein Mensch dazu fähig ist zu vergessen. Totgeschwiegen. Bei Widerspruch niedergeschrien.

Beth versuchte, sich mit den Eltern zu verständigen. Erzählte von ihren Begegnungen im Seminar. Zwischen den Eltern und Beth war es, wie es in ihren Kindertagen gewesen war, soweit Beth sich zu erinnern vermochte: Vater vertrat immer genau die Meinung, die der eigenen widersprach. Mutter blieb ihrer alten Position treu: das Kind hatte unrecht. Doch diesmal lernte Beth schnell. Sie gab auf. Sie ließ sich nicht mehr vorwerfen, sie hätte falsch verstanden, falsch geschlussfolgert, boshaft ausgelegt, übel nachgeredet. Beth begann, sich in Schweigen zu hüllen.

Beth. drei.

Karl erklärte Beth die Welt. So wie man sie zu sehen hatte. Jedenfalls war er davon überzeugt.

Karl zeigte Beth, wie man beim Pferderennen Geld machen konnte. Er liebte es, Wetten abzuschließen. Natürlich musste man sich auskennen. Welcher Jockey arbeitete erfolgreich? Welches Pferd war gerade in Hochform? Karl war oft auf der Trabrennbahn. Soweit es sein Nebenjob im Studentenclub erlaubte. Aber die meiste Zeit seiner Freizeit verbrachte er dort, an der Theke. Neben dem Verdienst brachten die Wochenende-Abende auch viel Trinkgeld ein. Und den Alkohol umsonst.

Karl war ein richtiger Kerl. Er konnte schuften wie ein Ochse. Der Schweiß rann ihm in Strömen über den Körper, aber Karl strahlte übers ganze Gesicht, voller Stolz auf seine Männlichkeit, und wühlte nach einem kurzen Blick weiter. Auf dem Hof der Eltern gab es immer Arbeit. Karls Eltern wohnten in einem eigenen Haus. Dessen Umbau hatte gerade erst begonnen. Dann war da noch ein Stall für 300 Hühner. Die Tiere mussten versorgt, der Stall ausgemistet werden. Und dann noch der Garten, voller Gemüse. Was die sechsköpfige Familie nicht aufbrauchte, wurde Gewinn bringend im Konsum nebenan verkauft.

Karl konnte auch trinken wie ein richtiger Mann. Eine Flasche Schnaps und eine Reihe Bier gingen auf sein Konto in einer langen Nacht des Clubs. Drei Einsätze pro Woche waren nötig, wenn das Geld verdient werden sollte, was Karl im Monat verbrauchte.

Karl hatte das Nebeneinander von Studium, Jobben und Alkohol gut im Griff. Seine Prüfungen im Studium bestand er. Immer grade eben so, aber ohne Nacharbeit oder Auffälligkeiten. Nur manchmal schlug der Alkohol zu. Völlig unerwartet fiel Karl in einen Vollrausch, so jedenfalls erklärte er es immer hinterher Beth, wenn sie ihn zur Rede stellte. Karl hatte dann alle Kontrolle über seine Körperfunktionen verloren und erwachte gegen Morgen in seinem eigenen Dreck, ohne sich an irgendwelche Einzelheiten der Nacht erinnern zu können.

Wenn Beth ihn in solchen Momenten erlebte, fiel er in ein großes Jammern. Peinlich berührt bereute er die Maßlosigkeit vom Abend, grübelte laut über die Ursachen seines Versagens nach und versprach Besserung. Ja, er bat Beth sogar um Hilfe. Sie solle doch, wenn er wieder einmal die Flasche nicht stehen lassen könne, ihm einen heimlichen Stups geben. Dann würde er schon aufhören zu trinken und alles würde gut.

Den Tag über gingen Beth und Karl jeder seinem Alltag nach. Die Nächte aber verbrachten sie meistens gemeinsam. Mal bei ihr, mal bei ihm, je nachdem, wessen Zimmerpartner gerade nicht am Ort war.

Karl war der erste Mann, mit dem Beth schlief. Sie hatte das Gefühl, mit ihren neunzehn Jahren eine alte Jungfer zu sein. Er liebte sie zweifellos sehr stark. Jeden Augenblick schmuste und betätschelte er sie. Eigentlich hatte sie Angst davor, sich ihm hinzugeben. Aber eines Tages, als sie noch den Tag vor sich hatten, begann sie sich vor ihm auszuziehen. Karl hatte nie einen Hehl um seine vielen Frauenbekanntschaften gemacht. Beth fürchtete ihn zu verlieren, wenn sie sich ihm nicht anbot.

Sein Beiwohnen tat ihr weh. Sie war so stark verkrampft, dass er nicht wirklich in sie einzudringen vermochte. Beide waren ratlos. Seine zahlreichen Erfahrungen halfen hier auch nicht weiter. Er ließ von ihr ab. Sie schmiegte sich zärtlich an ihn, ja beinahe war ihr als versteckte sie sich an ihm und vor ihm. So verbrachten sie den Rest des Tages und die Nacht nebeneinander, ohne zum Höhepunkt zu gelangen. Karl genoss ihre anschmiegsame Art. Dennoch vergingen Wochen und Monate, ohne dass Beth sich entspannen konnte. Es brauchte ganze zwei Monate, ehe Karl ganz in sie eindringen konnte, und sie nicht vor Schmerz verging. Aber die Lust blieb Beth weiter versagt. Karl wurde nervös. Er grübelte, dachte laut nach und kam zu dem Schluss, dass Beth ihn wohl nicht liebte. Anders konnte es nicht sein.

Beth hatte inzwischen ihre anfängliche Unsicherheit gegenüber Karl verloren. Sooft es ging, besuchte sie ihn abends im Club. Er hatte nur Augen für sie. Jeden freien Moment kuschelten und knutschten sie verliebt. Beth genoss diese Art von Zärtlichkeit, auch wenn sie öffentlich und für jedermann sichtbar stattfand. Oder war es gerade das, was sie genoss? Dieser schöne Mann, ein Bild von Männlichkeit und Kraft, gehörte ihr, hatte keinen Blick für andere Frauen. Jedenfalls nicht, wenn Beth da war.

Das schmeichelte ihr. Sie fühlte sich ganz, liebenswert und endlich vollwertig. Irgendein Makel hatte Beth angehaftet, seit sie dem Kind entwachsen war, und nun hatte seine Liebe zu ihr diesen von ihr genommen.

Und doch war da ein Aber: ihr Unterleib versagte den Dienst. Er blieb kalt. Sie liebte ihn, begehrte ihn. Sie mochte seinen Körper. Aber ihr Körper konnte keine Lust empfinden, wenn sie miteinander schliefen. Sie kannte es nicht, in Ekstase zu verfallen und den Rausch der Lust zu spüren und das schönste, wenn er in Wellen den Körper durchströmte und alles mit sich nahm, wenn er abebbte. Doch. So ganz stimmte das nicht. Sie kannte diese Ekstase, wenn sie sich selbst befriedigte. Je nachdem, wie sehr sich darauf einließ. Aber mit Karl zusammen blieb ihr diese Offenheit versagt.

Beth hatte Angst Karl zu verlieren. Sie überwand ihre Scheu und bat ihn, mit dem Finger nachzuhelfen. Doch seine Hand war hart. Sie wagte nicht, ihn zu korrigieren. er hatte doch so viel mehr Erfahrung als sie. Sie begann Lust zu spielen. Sie bewegte sich wild, stöhnte, als triebe die Ekstase sie, stimulierte sich heimlich selbst. Sie stellte sich vor zu Masturbieren. Sie gewöhnte sich an den Schmerz, den Karl ihr verursachte, wenn er in sie eindrang. Sie verfluchte sich selbst und ihren störrischen Charakter, und irgendwann verwuchsen Schmerz und Lust in eines.

Die Beziehung war gerettet. Karl fasste wieder Vertrauen in ihre Liebe.

Elli. zwei.

„Du kriegst aber nicht die Murmel. Das ist meine!“ Elli ist außer sich. Sie schreit. Dauernd hat der Bruder so blöde Ideen. Irgendwie ärgert er sie immer nur. Nie kann er mal so spielen, wie sie das möchte. „Klatsch!“ Das hat ‚gesessen’. Der Bruder ist halt älter und somit stärker als Elli. Seine Ohrfeige hat Elli erschrocken und nun hat er doch die Murmel an sich gerissen. Die Tür geht auf. Die mittlere Schwester flüchtet vor dem Krach aus dem Zimmer. „Mutti, die streiten schon wieder.“ Mutter bügelt gerade die Wäsche. „Vati, geh du doch mal.“ Wieder geht die Tür auf. „Klatsch!“ und noch einmal „Klatsch!“ Jetzt schreien beide Kinder. Der Vater packt sie bei den Händen. „Hausschuhe anziehen!“ befiehlt er. Sie gehorchen beide. Inzwischen war der Vater auf den Hausflur gegangen und hatte den Fahrstuhl geholt. Sie wohnen nämlich in einem großen Haus. Ein Neubaublock. Acht Stockwerke hoch über dem Erdgeschoss. Und auf jeder Etage wohnen drei Familien. Aber nur wenige Familien haben so viele Kinder wie ihre. Sie sind vier Kinder. Und das ist sehr viel. Zuviel, sagen die Eltern. Vater muss immer Vorträge halten, wenn er sich mal eine neue Hose kaufen möchte. Sagt er.

Nun kommt der Vater zurück und bestimmt den Kindern mitzukommen. Sie fahren in den Keller. Das Haus hat viele Keller. Zwei Etagen voller Kellern. Vater hat viele Schlüssel für die Keller. Die muss er haben, er ist doch der Hausobmann. Und der muss doch immer überall Zugang haben. Sagt Vater. Vater jedenfalls hat überall Zugang und er kennt Keller, die sonst keiner kennt. Heute sperrt er Elli in den Wäscheraum. Aber in den Anderen, für den sonst niemand einen Schlüssel hat. Er öffnet das Vorhängeschloss, schickt Elli in den fensterlosen Raum, löscht das Licht und geht. Die Eisentür schlägt zu, der Schlüssel dreht im Schloss. Der Bruder wird in einen anderen Keller gesperrt.

Die Dunkelheit ist das schlimmste. Inzwischen hat Elli sich schon ein bisschen gewöhnt. Diese Strafmaßnahme macht Vater schon seit längerem. Anfangs hat sie geweint und geschrien, bis der Vater sie wieder aus dem Keller geholt hatte. Inzwischen hat sie gelernt, in die Dunkelheit zu hören. Wenn man ganz genau hinhört, kann man ein bisschen sehen. Das Holzgatter zum Beispiel. Bevor man durch die Eisentür ins Treppenhaus geht, muss man erst das Gatter öffnen. Hat es nicht eben aus dieser Richtung geknackt? Kommt da etwa jemand? Das wäre peinlich. Jemand würde das Licht anmachen und Elli hier sitzen sehen. Er würde sie fragen, was sie hier mache. Und Elli müsste zugeben, dass sie unartig war. Nein, dann schon lieber allein im Dunkeln sitzen.

Elli weint wieder. Sie hat Angst und irgendwie findet sie alles ungerecht.

Da! Wieder knackt es. Ein Schlüssel klappert, dreht im Schloss. Die Eisentür geht auf. Elli bebt. Wenn das ein Fremder ist... Die Schritte kommen näher, das Schloss am Holzgatter wird geöffnet. Das muss Vater sein, nur er hat den Schlüssel. Das Licht bleibt aus. Es ist Vater. Er macht nie Licht, wenn er sie holen kommt. Jedenfalls nicht sofort. Erst nach einer Weile. Er findet sie weinend. Er tröstet Elli auf seine Art. Solange wie ‚Es’ ihm Spaß macht. Elli kann sich nicht mehr erinnern, wie es ihr anfangs ‚Damit’ ging. Inzwischen hört sie manchmal auf, dabei zu weinen. Sie weiß, dass dann der ganze Spuk gleich ein Ende haben wird. Wenn Vater zufrieden ist, wird er das Licht anmachen und sie wieder nach oben führen.

Dann kann sie endlich weiter mit den Murmeln spielen.

Beth. vier.

Beth studierte sehr ernsthaftig. Das Fach interessierte sie. Die naturwissen­schaftlichen Aufgaben stachelten ihren Ehrgeiz an. Sie genoss es, die Zusammenhänge zu verstehen, und die statischen Berechnungen, das Ermitteln von Bauteilgrößen oder Lastannahmen zu beherrschen. Ihr fielen gute Noten zu, ohne dass sie sich sonderlich anstrengte. Wichtiger aber noch als das Studium waren ihr die Hobbys. Sie sang leidenschaftlich gern und gut, manchmal malte sie und ihre Kleider nähte sie meist selbst. Mit ihren Kommilitonen kam sie gut aus. Mitunter war sie ausgelassen lustig. Manchmal träumte sie selbstvergessen vor sich hin. Dann nahm sie niemanden um sich herum wahr. Die meisten Leute ihrer Seminargruppe mochte sie ganz gut leiden, war aber mit Niemandem enger befreundet. Mit Karl änderte sich das. Er war der einzige Mensch, der für Beth wirklich wichtig war. Sie wollte so viel wie möglich Zeit mit ihm verbringen, am liebsten immer um ihn sein. Wenn er mehrere Tage lang nicht in ihrer Nähe war, überfiel sie Eifersucht. Sie war stolz auf ihn. Durch ihn und neben ihm war sie Wer. Er war schön. Manches Mädchen beneidete sie um ihn. Sein dunkles Haar umrahmte sein kantiges Gesicht. Die Augen blinkten wie blauer Stahl. Sein muskulöser Körper schritt kräftig und mit hartem Tritt aus.

Beth wurde schnell schwanger. Schneller als ihr lieb war. Sie kannten sich kaum ein Jahr lang. Angst packte sie. Wie sollte es nun weitergehen? Wenn das Kind geboren würde, hätte sie erst die Hälfte ihres Studiums absolviert. Sie wollte auf keinen Fall ihr Studium aufgeben. Sie wollte später arbeiten, in einem Beruf, der sie forderte und ihr Spaß machte. Sie wollte wirtschaftlich unabhängig sein. Passte das alles zusammen?

Sollte sie das Kind abtreiben? Was war, wenn ihr Körper daran Schaden nehmen würde? Sie war kein Sonderfall, und die meisten Ärzte taten diesen Job ungern. Sie würden es ihr einfach absaugen, und mitunter nahm die Gebärmutter bei diesem Eingriff dauerhaften Schaden. Sie mochte Kinder. Sie wollte später einmal unbedingt Kinder haben. Mindestens zwei. Oder mehr. Nur vier, so viele wie sie damals zu Hause gewesen waren, waren zu viel. Beinahe täglich hatte ihr Vater gestöhnt, dass vier Kinder eines zu viel seien. Beth war das vierte, das Jüngste gewesen.

Also zwei, oder vielleicht drei Kinder. Unbedingt. Ohne Kinder ist das Leben sinnlos!

Beth weinte. Sie hatte Angst und sie konnte sich nicht entscheiden. Aber nach vier Wochen Grübeln siegte ihre Liebe zu Kindern. Sie entschied sich, das Kind auszutragen. Irgendwie würde es schon gehen. Sie würde einen Krippenplatz bekommen. Als alleinstehende Studentin hatte sie vorrangigen Anspruch darauf. Sie konnte die meisten Prüfungen vorziehen, andere nachholen. Wenn das Kind krank würde, konnte ihre Mutter ihr helfen und es betreuen.

Mit diesem Entschluss wurde Beth jeden Tag glücklicher. Dieses Kind in ihrem Bauch gab ihrem Leben eine Wendung, ihrem Dasein einen tiefen Sinn.

Beth begann zu organisieren. Prüfungstermine verlegen, ein Zimmer mit Platz für das Baby, eine Tagesmutter, wenn sie nach der Entbindung wieder an den Vorlesungen teilnehmen würde.

Karl hatte inzwischen sein Studium beendet und war in seine Heimat zurückgekehrt. Dort war ihm als Absolvent ein Arbeitsplatz zuordnet worden. Beinahe einen ganzen Tag lang musste man mit dem Zug fahren und beim Umsteigen auf Bahnhöfen gelangweilt warten, um die Entfernung zwischen ihnen zurückzulegen. Karl konnte Beth bei allem nicht helfen.

Beth und Karl planten zu heiraten. Sie brauchten auch eine Wohnung für einander. Bei seinen Eltern konnten sie nicht leben. Da war zwar Platz, aber kein Raum für so ein eigenes junges Leben. Es war keine Frage, dass Beth ihm in den Norden folgen würde. Obwohl, hier am Ort der Universität hatte sie Aussichten auf einen erfolgreichen Berufsweg. Es war auch keine Frage, dass sie heiraten würden. Beth wollte es. Sie wollte mit dem Vater ihres Kindes leben und sie wollte das allen Leuten zeigen.

Erst Jahre später fragte sich Beth, ob denn Karl eigentlich auch hatte Vater werden und heiraten wollen. Oder hatte er aus Angst vor seinem Vater in alles eingewilligt, weil der Vater es nicht ertrug, wenn seine Söhne uneheliche Kinder in die Welt setzten?

Es war schwierig, für sie zu Dritt eine Wohnung zu finden. Durch das Kind waren sie zwar bevorteilt, aber die Warteliste war lang und die Wohnungen für junge Leute in schlechtem Zustand. Als sie endlich an der Reihe waren, gab es keine Auswahl. Die Wohnung war klein, kalt, eine der Außenwände war voller Schimmel. Aber es war ihr eigenes Reich und allemal besser, als bei seinen Eltern, vor allem mit Karls Vater, unter einem Dach leben zu müssen. So jedenfalls meinte Karl.

Als Karl die Wohnung endlich bezog, hatten Nachbarn den transportablen Ofen geklaut. Die waren Mangelware. Der Winter war hart, brachte langen und starken Frost und in der Küche gefror das Wasser am Boden.

Dennoch waren sie glücklich miteinander. Vor der Entbindung reiste Beth zu Karl. Die Wohnung war frisch tapeziert und gestrichen, ein neuer Ofen in Aussicht, das Waschbecken heil. Sie hatten Platz für das Baby und sie konnten jeden Tag zusammen sein.

Das Baby kündigte sich am Abend an Beths Geburtstag an. Ein bisschen vor der Zeit. Blasensprung. Die Geburt musste künstlich eingeleitet werden und: die Wehen waren hart. Beth erschrak an der Gewalt der Schmerzen. Aber alles verlief schnell und gut und noch in der Nacht hielt sie ein gesundes Mädchen im Arm.

Zehn lange Wochen waren Beth und Karl in ihrem neuen Heim einander nah, und mitten drin: ihr Baby. Es war von freundlichem, ausgeglichenen Wesen, schlief fiel und gedieh gut. Ein Sonntagskind halt. Es sollten die glücklichsten Wochen ihres gemeinsamen Lebens werden.

Als das Kleine zwei Monate alt war, kehrte Beth in ihr Studium zurück. Wenn sie Hilfe brauchte, konnte sie auf ihre Mutter zählen. Karl kam jedes zweite Wochenende zu Besuch. Häufiger konnte er nicht, der Weg war zu lang. Karl sah keine Probleme. Sollte Beth einmal ernsthaft krank werden, dann konnte doch ihre Mutter helfen. Die wohnte doch ganz in der Nähe.

Beth fand den Anschluss an die Vorlesungen. Tags war sie in der Universität, nachmittags holte sie die Kleine von der Tagesmutter ab, erledigte den Haushalt und war für das Kleine da. Nachts lernte sie.

Beth blieb keine Zeit für Geselligkeiten, gemeinsame Abende mit Freunden, tanzen gehen. Sie hatte dafür auch nicht die Kraft. Sie unterwarf sich streng ihrem selbstgewählten Tagesablauf. Und sie erreichte gute Abschlüsse. Ihr kleines Mädchen gedieh prächtig. Es habe das passende Gemüt für ein Studentenkind, meinte Beths Mutter. Bei aller Härte und Konzentration im Alltag war Beth glücklich. Sie bestimmte ihren Tagesablauf selbst. Wählte aus, welche Fächer sie in der Universität direkt hörte und welche sie im Selbststudium am Abend nachholte. Beth plante und entschied für zwei Leben. Unbemerkt für sich selbst veränderte sie sich.

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