Kitabı oku: «Aufenthalt bei Mutter», sayfa 4
Beth. sieben.
Das eigentliche Leben fand an den Wochenenden statt. Von Montag bis Freitag drehte das Laufrad des Alltags: Kinder, Arbeiten gehen, Haushalt führen, und Beth war der Hamster darin. Es war auch nicht auszumachen, ob die Geschwindigkeit des Rades sie zum Laufen brachte, oder ob Beth es war, die dem Rad das Tempo gab.
Der Job brachte ihr wenig Befriedigung. Nachmittags lief sie zu den Kindern. Tags über nagte ein schlechtes Gewissen an ihr und verwandelte sich am Abend in neue Kraft und Zeit für die Kinder. Alle nötigen Arbeiten erledigen, um Zeit für das Wochenende zu gewinnen. Das Wochenende machte Hoffnung: Zeit, etwas Schönes zu tun. Mit den Kindern im Wald stöbern, Pilze oder Beeren suchen, Baden gehen, ein Buch lesen oder ein Kleidungsstück nähen. Um noch mehr Zeit für diese Dinge zu gewinnen, erledigte Beth ihre Pflichten beinahe im Laufschritt. Noch viel effektiver war: sie tat zwei Dinge gleichzeitig. Stricken und gleichzeitig ein langweiliges Buch lesen, nähen und nebenbei Mittag kochen, Schach spielen und Wäsche legen.
Beth vermochte nicht, untätig zu sein. Auf etwas warten, untätig verharren müssen, war eine Strafe für sie, ja, beinahe eine körperliche Folter. Konnte sie sich diesem Warten nicht entziehen, verfiel sie unweigerlich in Wut.
Hatte Beth an einem Tag möglichst viele Arbeiten erledigen können, sank sie abends erschöpft in ihr Bett. In diesen Momenten war Beth glücklich und fühlte sich wohl in ihrer Haut. Zu gerne hätte sie dann an Karls Seite gekuschelt, um neben ihm einzuschlafen. Aber Karl hatte im Laufe der gemeinsamen Jahre jedes Interesse an einfacher Zärtlichkeit verloren. Manchmal schliefen sie miteinander. Übergangslos, ohne Vorspiel, ohne Zärtlichkeit danach. Das kam selten genug vor. Zu selten, fand Beth.
Es gab in Beths Leben gab noch etwas anderes, worüber bisher noch nicht erzählt worden ist: das Singen. Seit ihrer frühen Kindheit sang sie. Wurde bestaunt und bewundert. Alle, nur ihre Familienmitglieder ausgenommen, waren sicher: Beth würde einmal Opernsängerin werden! Als kleines Kind hatte Beth ungeduldig auf ihre Einschulung gewartet. Erst dann durfte sie in den Chor gehen. Und seither hatte sie nie aufgehört zu singen. Dennoch war sie keine Opernsängerin geworden. Später, als sie der Kinderzeit entwuchs, hatte sie Gefallen an den Naturwissenschaften gefunden. Logische Denkaufgaben lockten sie. Das Wunder der Technik zog sie an. So war sie Ingenieurin geworden.
Solange Beth ein Baby zu versorgen hatte, verzichtete sie auf das Singen. Doch bald, längstens nach einem Jahr, hielt sie es nicht mehr aus und ging wieder zu den Proben. Beim Singen verwandelte sich Beth, unbemerkt für sich selbst. Alle Sorgen, Grübeleien und all die gehetzte Betriebsamkeit fielen von ihr ab. Sie saß still neben den Anderen, eingehüllt in die Musik und wartete: auf ihren Einsatz, auf den Wohlklang ihrer Stimme, auf das Mischen der verschiedenen Stimmen und Instrumente. Dann durchströmte sie ein heißer Schauder und ein tiefes, unbenennbares Glücksgefühl erfüllte sie. Wenn die Notenhefte eingesammelt wurden, kehrte die alte Unruhe in Beth zurück. Sie sprang auf, nahm nur wenig Notiz von den anderen Sängern und eilte nach Hause. Sie hatte keine Zeit zum Schwatzen oder ins Cafe gehen. Sie musste nach Hause zu ihren Kindern!
Beth fuhr manchmal die Eltern besuchen. Der Weg war weit. Sie lebten beinahe an entgegengesetzten Enden der Republik. Oft sahen sie einander seltener als Beth lieb war. Beth freute sich lange im Voraus auf die Reise. Das Wiedersehen war immer eine helle Freude. Mutter und Vater waren glücklich, sie und die Kinder wieder zu sehen. Beth erzählte das Neueste von den Kindern, berichtete über Veränderungen auf Arbeit oder im Ort. Über Erlebnisse, Probleme oder gar über ihre Gefühle sprach Beth nie zu ihren Eltern. Vielleicht hätte sie es getan, wenn sie sich deren bewusst gewesen wäre. Begebenheiten aus ihrem Arbeitsalltag verschwieg sie. Beth kannte die Antwort der Eltern im Voraus. Die wollten keine kritischen Gedanken über das Land hören, in dem sie lebten. Sie sprachen auch nie über Probleme in Beths Leben als Mutter oder in ihrer Ehe. Beth kannte keine Probleme. Nicht mit den Kindern, nicht auf Arbeit. Hatte sie Probleme mit Karl? Sie wusste es wirklich nicht. Da war ein merkwürdiges Gefühl. So ein dauerhaftes Unwohlsein. Aber war das ein Problem? Sie stritten oft, Karl machte, was er wollte. Aber war das ein Problem? War das nicht eher normal?
Einmal, abends beim gemeinsamen Fernsehen mit den Eltern, herrschte ihre Mutter Beth unvermittelt an: „Kannst du überhaupt noch lachen?! Ich habe noch nie ein so junges Mädchen gesehen, dass so viele Augenfalten hat.“ Beth verwirrte. Ihre Mutter scherte sich um Äußerlichkeiten? Wie kam sie darauf, Beth derartig zu beobachten? Beth fühlte Schmerz in sich aufsteigen. Er wuchs so stark an, dass sie die Tränen nur mühsam unterdrückte. Hatte Mutter recht? Lachte sie wirklich nicht mehr? Sie versuchte sich zu erinnern, aber es gelang ihr nicht. Es musste wohl Jahre her sein, dass sie zum letzten Mal lauthals gelacht hatte. Oder war da etwas anderes? So etwas wie ein Schmerz? Ja, tatsächlich. Tief in ihr saß ein Schmerz. Doch Beth konnte nicht sagen, ob der von Mutters Art zu fragen herrührte oder ob Mutter mit ihren Beobachtungen einen alten Schmerz weckte. In solchen Momenten begann in Beth ein Kreisel zu drehen, der ihre Gedanken in ein Karussell setzte. Beth stand dann daneben und vermochte nicht, einen einzigen Gedanken festzuhalten oder als richtig zu erkennen. Mutter und Tochter waren von grundverschiedenem Charakter. Beth hatte oft das Gefühl, dass Mutter Beths Bedürfnisse als unbegründet oder störend empfand. Andererseits spürte sie in solchen Momenten ein starkes Gefühl aus Unverstandensein und Ohnmacht. Ihre Mutter schien Beth nicht im Geringsten zu verstehen. Oder war Beth schuld? Hatte Beth wieder einmal eine andere Ansicht als all die Menschen um sie herum? Bei all diesem Kreiseln kam Beth immer zu dem Ergebnis, dass Mutter wohl recht hatte. Beth war einfach unerträglich anders als die Anderen.
In diesen Momenten fühlte sich Beth elend und unwert. Sie lachte selten, in der Tat. Früher war sie immerzu lustig und auch ein bisschen laut gewesen. Sie war aber auch keine ‚Heulsuse’. Weinen war kindisch und schwach. Beth konnte sich nicht mehr richtig daran erinnern, wann sie zum letzten Mal geweint hatte. Es lag mehrere Jahre zurück. Eines Abends hatte Beth Karl gebeten, nach der Arbeit nicht gleich in die Kneipe zu gehen, sondern wenigstens zu Hause erst mal nach dem Rechten zu schauen. Sie hatte sich überlastet und allein gelassen gefühlt. Die Last machte sie verzweifeln. Unter Tränen hatte Beth Karl von ihrer Not erzählt. Hatte gebeten und ihn angefleht, sich zu ändern. Er hatte Besserung versprochen. Aber nach wenigen Wochen schon war alles in den gewohnten Trott zurück verfallen. Beth hatte sich gewöhnt. Sie hatte resigniert und verhärtete.
Elli. fünf.
Draußen ist es inzwischen schön warm geworden, beinahe Sommer. Elli hat im Kindergarten einen guten Freund gewonnen. Gleich in den ersten Tagen sind sie einander begegnet. Wenn der Wettlauf ums Spielzeug beginnt, helfen sie einander. Wer schneller am Regal ist, holt für den Anderen das Spielzeug mit heraus. Sie wohnen im gleichen Neubaublock, nur in verschiedenen Eingängen und Elli geht oft zu ihm nach Hause spielen. Sie fühlt sich wohl bei diesen Leuten. Die streiten nicht so oft wie ihre Eltern.
Doch heute muss Elli alleine im Sandkasten spielen. Ihr Freund ist unterwegs. Sie spielt ‚Kuchen backen’. Sie liebt dieses Spiel. Wenn man geschickt ist, reißen die Formen beim Anheben keine Löcher in die Kuchen und die sehen dann sehr schön glatt aus. Vorsichtig streicht sie über den Sand und schaut zu, wie einzelne Körnchen rieseln. Elli hat keine weiteren Freunde im Haus. Sie spielt immer nur mit ihrem Freund oder mit ihrem Bruder. Ein Mädchen kommt dazu. Elli hat dieses Mädchen noch nie hier gesehen. „Wohnst du hier?“ Elli findet das Mädchen nicht besonders sympathisch, aber neugierig ist sie doch. „Nein. Ich bin zu Besuch heute hier.“ „Wo denn?“ Das Mädchen zeigt auf einen Häuserblock. Es ist der Nachbarblock zu jenem, in dem Elli wohnt. „Ach, so. Das Haus kenne ich nicht. Ich wohne in dem da.“ Elli zeigt in die entgegengesetzte Richtung. Sie vertiefen sich in ihr Spiel. Elli zeigt dem Mädchen, wie man aus Sand Kuchen backen kann. Sie beherrscht das Kuchen backen schon besser, sie ist ja auch ein bisschen älter als das Mädchen. „Das hier ist das Mehl.“ Elli schiebt die trockene Schicht oben auf dem Sandhaufen beiseite, bis dunkelgelber Sand zum Vorschein kommt. „Man muss diesen Sand nehmen, der klebt gut. Sonst fällt der Kuchen auseinander.“ Elli füllt mit der Schaufel von dem dunklen Sand die Sandspielform, klopft den Sand fest und legt die Form mit einer schnellen Wendung auf ein Holzbrett. Dann rüttelt sie die Form vorsichtig und hebt sie ab. Sie ist stolz auf ihr Ergebnis. Sie hatte lange üben müssen, bis die Kuchen keine abgerissenen Ecken mehr hatten. Beinahe zärtlich krümelt sie trockenen, hellen Sand darauf und verkündet: „Und das ist der Zucker!“
Ein Mann kommt auf die spielenden Kinder zu. „Kennst du den Mann da?“ Das fremde Mädchen fragt Elli. Die schaut hoch, staunt und freut sich. „Ja, das ist mein Vati.“ Vater schaut sonst nie nach Elli, wenn sie spielt. Vater schaut den Mädchen eine Weile beim Spielen zu. „Du hast ja eine neue Freundin gefunden, Elli. Wie heißt sie denn?“ Er schaut das Mädchen an. „Maria.“ „Wohnst du auch hier?“ Das Mädchen zögert mit der Antwort. „Nein, sie ist nur zu Besuch. Sie wohnt im zweiten Block.“ Elli antwortet für das Mädchen, das wohl ein bisschen schüchtern ist.
Vater steigt in den Sandkasten zu den Mädchen und zeigt ihnen, wie man eine Burg bauen kann, mit Gängen darin. Die Mädchen staunen, so etwas haben sie noch nicht gesehen. „Habt ihr Lust, mit in den Wald zu fahren? Hier ist es doch langweilig.“ Elli ist sofort begeistert von Vaters Idee. „Mit dem Roller?“ „Ja. Mit dem Motorroller.“ „Du kannst auch mitkommen.“ Er dreht sich zu dem Mädchen. „Au, ja. Roller fahren ist lustig, du wirst sehen.“ Elli ist gern mit ihrem Vater unterwegs, meistens fahren sie in den Garten. Sie sitzt dann vor ihm zwischen seinen Armen, hinter der Windschutzscheibe, und: ab geht die Post. Der Garten liegt außerhalb der Stadt und die Fahrt dauert schön lange. Das fremde Mädchen aber zögert. Elli wünscht sich, dass das Mädchen mit ihnen mitkommt. Sie möchte ihm zeigen, wie toll es sich auf Vaters Motorroller fährt. Elli redet auf das Mädchen ein. „Das ist lustig, du musst unbedingt mit kommen.“ Vater wird ein bisschen zappelig.
Endlich haben sie beide das Mädchen überredet und gehen gemeinsam zur Garage, wo Vaters Roller steht. „Wartet hier.“ Der Vater lässt die Mädchen auf halber Strecke zurück, und verbietet ihnen, die Straße zu betreten. „Warum dürfen wir denn nicht mit zum Roller kommen?“ Vater gibt keine Antwort. „Ich hab gesagt, ihr sollt hier warten!“- Seine Stimme klingt scharf. Elli schweigt lieber. Sie weiß: es ist sinnlos weiter zu betteln, wenn Vaters Stimme so klingt.
Als Vater mit dem Motorroller zurückkommt, setzt er das fremde Mädchen auf den Sitz hinter die Schutzscheibe. „Und ich? Darf ich nicht mitkommen?“ Das ist eigentlich Ellis Platz. „Doch, klar kommst du auch mit.“ „Ja, aber wo denn?“ „Na, hinter mir ist doch auch noch ein Platz.“ Elli erschrickt. Nein, wenn sie das geahnt hätte, wäre sie lieber allein mit Vater in den Wald gefahren. Dort hinten hat sie noch nie gesessen. Das kann sie doch gar nicht. „Ich weiß doch gar nicht, wie das geht! Wie soll ich mich denn da festhalten?“ „Da ist doch ein Griff.“ Vater rutscht ein Stückchen nach vorn, und tatsächlich schaut da ein weißer Gummigriff aus der Sitzbank heraus. „Ich habe aber Angst. Ich denke, da hinten dürfen nur die Großen sitzen?“ „Na und? Du bist doch schon groß!“ Vaters Stimme wird wieder barsch. „Du bist schon fünf Jahre alt! In deinem Alter muss man so etwas schon können!“ Elli zögert noch. Vater herrscht sie an: „Jetzt aber los, steig endlich auf!“ Elli ist dem Weinen nahe, aber sie muss sich fügen, wenn sie mit in den Wald möchte. Also überwindet sie ihre Angst und steigt auf den Rücksitz des Rollers. Und ab geht die Fahrt. Als sie im Wald ankommen, ist Elli stolz auf sich. Sie ist tatsächlich nicht herunter gefallen!
Vater ist immer noch barsch. Die Mädchen wollen loslaufen, wohin es ihnen gefällt, aber Vater hält sie zurück. „Hier geht’s lang.“ Er weist auf einen Hang mit vielen Bäumen. Elli versucht wieder ihre Überredungskünste. Komisch, heute hat sie kein Glück bei Vater. Er lässt sich nicht beeindrucken. Sie müssen ihm folgen. Dann läuft Elli voran. Sie ist wütend, dass sie sich bei Vater nicht durchsetzen kann. So gehen sie eine Weile durch den Park und Elli läuft vorneweg. Nach einer Weile hört sie Vater rufen: „Elli, du kommst sofort hierher!“ Elli kennt den Ton. Dann hat der Spaß ein Ende, Vater lässt nicht mit sich handeln. Als sie sich umdreht, merkt sie, dass sie allein ist. Die anderen beiden sind auf der Wiese am Hang. Elli sieht Vater an einem Baum knien. Mit dem Rücken vor ihm steht das Mädchen, er hat ihm die Hosen ausgezogen und herrscht es gerade an, dass es sich nach vorn beugen solle. „Nein! Nicht auch noch das.“ Elli ist enttäuscht. Sie hatte sich gefreut, dass Vater mit ihnen im Wald spazieren gehen wollte, und nun macht er ,Das'. Widerwillig geht sie zu den beiden herauf. Sie ist traurig. Immer muss Vater diese blöde Sache machen. Wenn sie das gewusst hätte, wäre sie nicht mit in den Wald gekommen. Das Mädchen, anfangs war es wohl schockiert und bewegte sich nicht, weigert sich nun, sich nach Vaters Willen nach vorn zu beugen. Vater beginnt sein Geschäft. Merkwürdiger Weise fängt das Mädchen an zu weinen. Das kann Elli nun gar nicht verstehen. Sie stellt sich aber auch zu dumm an. Elli wusste aus Erfahrung, dass man sich geschickt halten musste, damit es nicht wehtat, was Vater da machte. Das Mädchen zerrt und macht sich steif. Elli fühlt sich überlegen, sie macht das viel besser. Doch irgendetwas stimmt nicht. Das Weinen des Mädchens wird immer heftiger. Sie scheint nicht nur Angst zu haben, Vater scheint ihr auch wirklich weh zu tun. Machte er mit dem Mädchen etwas anderes als mit ihr?
Elli beginnt zu zweifeln. Vielleicht hatte das Mädchen ja Recht? Vielleicht ist Elli nur Vaters Geschäft zu sehr gewöhnt und hat vergessen, dass man dabei schreien sollte? Vielleicht hat er dem Mädchen auch wirklich wehgetan, währenddessen er ihr nie weh tat? Hatte er nicht irgendwann einmal gesagt: „Dir tue ich nicht weh.“?
Doch. Einmal hatte er ihr wehgetan. Sie waren im Schlafzimmer, in seinem Bett. Er hatte gesagt. „Heute machen wir es einmal anders.“ Dann hatte er ihr seinen ‚Daumen’ irgendwo in ihren Körper gesteckt. Es hatte so wehgetan, dass sie nur noch einen riesengroßen Schmerz im Bauch verspürte. Es schien ewig zu dauern, ehe Vater zufrieden war. Elli war damals vor Schmerz schwarz vor Augen geworden. Als Vater wieder bei sich war, hatte er sie gefragt: „Und, wie fandest du es?“ „Es hat sehr weh getan.“, hatte Elli gehaucht. Ihr fehlte immer noch der Atem zum Sprechen. „Ach so? Dann machen wir es nicht mehr ‚So’. Dir tue ich nicht weh. Du bist doch meine Beste.“
Das Weinen des fremden Mädchens ist inzwischen in Schreien übergegangen. Vater hat begonnen, auf das Kind einzuschlagen. „Bist du still, wirst du wohl nicht schreien!“ Das Mädchen hört nicht auf zu schreien. „Ich schlage dich solange, bis du aufhörst zu schreien.“ Vater schlägt weiter auf es ein. Seine Schläge werden härter. Elli steht inzwischen fassungslos daneben. So hat sie ihren Vater noch nie gesehen. Er ist ganz und gar außer sich. Sie hat noch nie derart ihren Vater Schlagen sehen.
Elli hält die Situation nicht mehr aus. Sie erträgt nicht mehr, zuzuschauen, wie der Vater auf das Mädchen einschlägt. Längst hat sie Mitleid mit dem Mädchen erfasst. Was macht Vater da nur mit dem Mädchen? Er schlägt und schlägt auf das Kind ein, er schlägt es ja noch kaputt! Elli zittert am ganzen Körper und plötzlich beginnt auch sie zu schreien. Elli schreit das Mädchen an: „Hör auf zu schreien, sonst hört er nicht auf, dich zu schlagen!“ Das Mädchen stutzt und sieht zu Elli auf. Für einen Moment schaut das Mädchen schweigend Elli an. Dann hört es auf zu weinen, lässt Vaters ‚Geschäft’ über sich ergehen. Vater hört auf, das Mädchen zu schlagen. Endlich lässt Vater von dem Mädchen ab und ruft nach Elli. Elli tritt an ihn heran. „So, nun zeig ihr mal, wie man Das richtig macht.“ Elli stellte sich für Vater in Position, während er beginnt, sich an ihr zu befriedigen. Komisch. Es tut Elli wirklich nicht weh. „Siehst du, so muss man das machen.“ Elli will das Mädchen trösten: Vaters Geschäft ist doch wirklich nicht so schlimm. Das Mädchen jedoch schaut verständnislos auf Elli. Dann dreht es sich mit einem Ruck um und läuft schnell davon, den Hang hinunter. Es dauert nicht lang, bis Elli das Mädchen aus den Augen verloren hat.
Vater ist irgendwann zufrieden. Doch Elli muss die ganze Zeit über an das Mädchen denken. Warum hatte es so geschrien? Sollte auch sie besser schreien, statt Vater duldsam zu Gefallen zu sein? Was hatte das Mädchen gedacht, als es Elli anschaute, zusah, wie Vater sich an Elli befriedigte? Elli war traurig zumute, weil das Mädchen von Vater solche Schmerzen erlitten hatte. Es schien die Sache zwischen ihr und Vater sehr unerträglich zu finden.
Als Vater seine Kleidung geordnet hat, können sie endlich spazieren gehen. Sie gehen zum Teich, unten in der Niederung. Als sie sein Ufer erreichen, sehen sie das fremde Mädchen. Es steht am anderen Ufer des Teiches, in sicherer Entfernung. Elli ruft das Mädchen. Sofort läuft es davon. „Lass sie laufen.“ Vater hat kein Interesse mehr an ihm. „Aber, wo läuft es denn hin? Es kennt sich doch hier gar nicht aus?“ „Ist doch egal. Was geht uns das an?“ „Und wie kommt es wieder nach Hause?“ „Was weiß ich. Da hat es halt die Strafe. Was schreit es auch so herum.“ Vater hat keine Lust mehr, im Park zu spazieren. Er entscheidet, dass sie nach Hause fahren. Sie gehen zurück zu der Stelle, an der der Motorroller abgestellt steht. Elli schaut immerzu nach dem Mädchen. Es muss doch mit ihnen mitfahren, anders kommt es doch nicht den weiten Weg wieder nach Hause. Als Vater Anstalten macht, den Roller zu starten, sagt sie: „Und das Mädchen? Wie kommt es jetzt zu seiner Mutti zurück?“ „Na, irgendwie wird sie es schon finden.“ „Aber es weiß doch gar nicht den Weg! Es kann doch nicht über Nacht hier im Park bleiben!“ „Also gut, ich gehe zurück und schaue nach ihm.“ Vater stellt den Roller wieder ab. Elli ist zufrieden. „Du bleibst aber hier und wartest!“ Auch gut, wenn er nur nach dem Mädchen suchen geht. Vater geht den Weg zurück, den sie zu dritt gegangen waren. Es dauert lange, ehe er wieder kommt. Allein. „Ich hab sie nicht mehr gefunden. Sie ist irgendwo hingelaufen.“ Elli versteht nicht, was sich das Mädchen denkt. Wo soll es jetzt nur bleiben? Bald wird es Abend. Sie ist traurig wegen dem Mädchen.
Elli geht zu Vaters Roller und steigt auf ihren alten Platz hinter der Windschutzscheibe auf. Wenigstens muss sie nicht wieder hinter Vater auf dem wackeligen Rücksitz sitzen.
Beth. acht.
Beth war in ihrer neuen Heimat angekommen. Kinder, Haushalt und Arbeiten gehen hatten sich in einem Rhythmus aus Gewohnheiten und Wiederholungen miteinander verwoben, Beth und Karl hatten sich im Alltagseinerlei zusammengerauft. Ruhe war in ihr Leben eingekehrt.
So oder ähnlich gab Beth zur Antwort, wenn sie danach gefragt wurde. Der Kleine wurde nicht mehr so häufig krank. Beth erschien regelmäßig zur Arbeit. Die Kinder stritten zwar oft und laut miteinander, liebten sich aber dennoch. Die Wohnung war eingerichtet. Sie hatten alles, was sie zum Leben brauchten.
Bedeutete solch ein Leben Harmonie? Beth musste manchmal an ein Gespräch mit Vater denken, das Jahre zurück lag. Es war kurz vor Beth Hochzeit mit Karl gewesen. Vater hatte beim Abendbrot beiläufig gemeint, man solle die Harmonie beachten. Wenn es in einer Beziehung keine Harmonie gäbe, solle man die ganze Sache besser bleiben lassen. Beth hatte ihn damals prompt gefragt: „Was ist das, Harmonie? „ Vater hatte wortlos sein Brot weiter gekaut, und war ihr die Antwort schuldig geblieben. Wusste er keine Antwort? Oder war ihm die Frage zu dumm erschienen? Nach all den Jahren hatte Beth sich selbst noch keine Antwort geben können.
Ruhe bedeutete für Beth, dass ein Tag den geplanten Verlauf nimmt. Wenn sich die Tage einander ähnelten, dann war Ruhe in den Alltag eingezogen. Harmonie, das musste wohl das Übereinstimmen von Meinungen bedeuten. Gleicher Geschmack, gleiche Werte und Ansichten. Fremde Ansichten stießen Beth ab. Das gleiche erwartete sie von Anderen, wenn sie deren Meinung widersprach. Und weil Anderssein und Fremdsein ganz selbstverständlich zu Ablehnung führten, brachte Beth ihre Meinung stets hart und aggressiv vor. Ganz nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung! Widerrede war sinnlos oder aber nicht mehr interessant.
Beth hatte es nie anders kennen gelernt. Selbst jetzt, als erwachsene Frau, erntete Beth Mutters Ablehnung, wenn sie nicht deren Meinung traf. Karl lachte sie lauthals aus, wenn sie ihm fremde Standpunkte näher begründete. Sie sei naiv und dumm! Jeder müsse sehen, wo er bleibt im Leben, sonst wird man untergebuttert. Streben nach Ehrlichkeit und Gerechtigkeit hätten keine Chance. Solche Sachen zählten nicht. Während Beth ihrem Idealismus nachhängt, erwirtschafteten Andere inzwischen stillschweigend ihren Vorteil. So argumentierte Karl. Wagte Beth dann immer noch zu widersprechen, so schnitt Karl ihr das Wort ab: Beth müsse alles anders machen, als die anderen Leute. Nur, um aufzufallen.
Beth beschlich in solchen Momenten ein merkwürdiges Gefühl. Hatte er Recht? Sie kannte wirklich niemanden in ihrem Umfeld, der so dachte wie sie, mit dem sie über die Dinge des Lebens reden und sich verständigen konnte. Sie fühlte sich fremd und einsam unter den Menschen.
Beim Erziehen der Kinder hatte Beth eine Art 'Strafenleiter' entwickelt. Beim ersten Mal ermahnte sie das Kind ruhig. Beim zweiten Mal wurde sie laut. Wagte das Kind einen dritten Versuch, schlug Beth zu. Beth war davon überzeugt, dass Kinder strenge, konsequente Regeln brauchten. So fühlte sie sich verpflichtet, ihre 'Strafenleiter' einzuhalten. Beth war der festen Ansicht, dass Kinder Ausnahmen von den Regeln nicht verstehen könnten. Ausnahmen würden sie nur als Schwäche, als ein Unterliegen der Eltern verstehen.
Am Abend fand ein Ritual zum Schlafen gehen statt. Diesem Vorgang konnte sich keiner der Familie entziehen. Jeden Abend erfanden die beiden Kinder irgendeinen angeblich ganz wichtigen Grund, weshalb sie dringend noch einmal in die Stube kommen mussten. Mal war es ein Käfer im Zimmer, mal eine nasse Hose, Durst, Toilette gehen. Oder aber, das Geschwisterkind wollte nicht still sein und nun mussten die Eltern für Ruhe sorgen.
Doch was konnte helfen, wenn der Tag zu kurz und das Bedürfnis der Kinder nach Nähe ungestillt geblieben war? Was geschah, wenn nach der fünften Runde nun ernsthaft die Blase drückte? Dann eskalierte Beths 'Strafenleiter'. Der Abend endete mit Geschrei und Weinen.
Karl hielt sich bei diesem allabendlichen Kleinkrieg um das Zubettgehen der Kinder zurück. Er wollte seine Ruhe haben. Wenn das Abendprogramm im Fernsehen begonnen hatte, war er nicht mehr bereit einzugreifen. Meist brüllte er die Kinder dann nur aus dem Sessel heraus und überließ alles Weitere Beth. Ein anderes Mal, er hatte offensichtlich gute Laune, holte er die quengeligen Kinder zu sich heran, setze sie auf seinen Schoss und ließ sie ein Weilchen dem Fernsehprogramm zuschauen.
Wenn Beth und Karl sich gestritten hatten, oder, schlimmer noch: wenn Beth sich verletzt fühlte, ohne recht zu wissen von wem und warum, dann hatten die Kinder keine gute Zeit. Beth hielt sich zwar an ihre 'Strafenleiter', aber ihre Strafen wurden dann unberechenbar und hart. Sie spürte nicht, dass eine tiefe, kalte Wut, ja beinahe Hass sie trieb und ihr jedes Augenmaß nahm. Sie verlor die Kontrolle über ihre Gefühle und Reaktionen. Ein kleines Necken erschien ihr unerhört und frech.
Beth vermochte nicht, noch jung in ihrer Rolle als Mutter, sich in die Welt eines kleinen Kindes einzufühlen. Mehr noch: Beth bewertete alles Tun ihrer kleinen Tochter, als wäre die schon eine Erwachsene. Sie glaubte ernsthaft, ihre Tochter wolle sie ärgern, wenn diese eifrig alle Steinchen, Schnecken, Vogelkacke und Zigarettenstummel von der Straße aufhob, und schneller, als Beth ahnen konnte, sich in den Mund schob. Es dauerte Jahre, bis Beth begriff. Als das zweite Kind, das Söhnchen, ganz ähnlich seiner Schwester mit Begeisterung Dinge tat, so unverständlich für Erwachsene, um sie bald darauf ganz zu vergessen, begriff Beth endlich, dass Kinder nicht nur an ihrem Körper wuchsen.
Eines Tages, Beth war gerade zu Besuch bei ihrer älteren Schwester, war sie mit dem Töchterchen unterwegs. Sie gingen einkaufen, was sonst? Die große Schwester wohnte in Berlin. Diese Stadt war der einzige Ort in der Republik, wo die übliche Mangelware im Ladenregal offen auslag. Berlin sollte halt Aushängeschild für die angebliche Wirtschaftskraft des Sozialismus darstellen. Das Einkaufen in dieser Stadt geriet jedes Mal zu einer Jagd. Die Gelegenheit bot sich selten und die Liste der Wünsche war entsprechend lang geworden.
Beth hetzte. Sie hatte sich zu viel vorgenommen. Die Stadt war weitläufig. Die Entfernungen von Laden zu Laden waren tatsächlich viel größer, als der Blick vermuten ließ. Die weite Sicht und die breiten Straßen ließen die Strecke kürzer erscheinen, als sie tatsächlich war. Inzwischen hatte es zu regnen begonnen.
Beth ging allein in den Laden hinein, um das Töchterchen nicht auch noch mit dem Gedränge der Menschen zu belästigen.
Während Beth im Laden herum suchte, entdeckte die Kleine ein wunderbares Spiel. Der Regen hatte eben aufgehört und glitt nun als feiner Faden aus einer Dachrinne an der Häuserwand entlang. Unmittelbar am Kinderwagen vorbei rann er zu Boden. Als Beth eine Weile später aus dem Laden wieder heraus kam, fand sie das Töchterchen vor, wie es andächtig den Faden sich genau auf den Kopf rieseln ließ und dem Wasser nachspürte. Das Mädchen war bis auf die Haut durchnässt. Es war spät im Herbst. Die Luft war kalt, noch nass vom Regen. Der Rückweg würde beinahe eine Stunde brauchen. Beth sah ihre Tochter lächeln. Da schlug sie zu. Sie schlug solange, bis jemand sie ansprach: „Das ist ja schon Kindesmisshandlung, was sie da machen!“ Beth stutzte, hielt ein. Für die Dauer eines Augenblickes schämte sie sich. Dann aber sah sie auf ihre Tochter. Wie konnte ein vernunftbegabtes Wesen nur so dumm sein? Sich bei diesem Wetter so nass zu machen! Sie schlug nicht weiter, aber ihre Wut hielt noch an, bis das Töchterchen wieder trockene Sachen anhatte.
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