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Kitabı oku: «Das Wunderjahr (1566)», sayfa 3

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»Ja, ja Vater,« fiel ihm Gertrud in die Rede, »Ihr werdet, das weiß ich, stets Gottes Freunde, die Heiligen in Ehren halten, aus daß sie Euch und uns Beide vor größerem Mißgeschicke bewahren.«

Nun rief er Lodewyk bei Seite, und nachdem er ihm über Wolfangh und dessen Aufenthalt noch einige Aufklärungen ertheilt hatte, übergab er ihm einen verschlossenen Brief, den er dem Räuberhauptmann einhändigen sollte. Hierauf bat er den Jüngling sie zu verlassen, damit sie der so nöthigen Ruhe genießen könnten, und er sich selbst zur Reise vorbereite.

Lodewyk sprach noch einige Worte mit Gertrud, die, wie man bemerken konnte, sich über seine Reise aussprach und vielleicht ihm über den Zweck derselben Rathschläge mittheilte. Zwischen ihren leisen Reden drängte sich mehr als einmal der Name Pater Franziskus durch.

Darauf sagte Lodewyk zärtlich Lebewohl; neigte sich vor dem Greise; seufzte ein Paarmal und ging.

Ein sanfter Schlaf ließ Godmaert und seine Tochter bald das erlittene Ungemach vergessen.

III

Die Flamänder lieben andere Völker sehr wenig, und sind dem Waffenwerk so ergeben und so unruhig gewesen, daß sie niemals haben in Frieden leben können.

Charles Boscard.

Die Sonne erhob sich langsam und prachtvoll an dem purpurnen Horizont Einer ihrer Strahlen fiel schief auf das Fenster von Lodewyk’s Gemach, und schloß des Jünglings Augen auf. Unruhig erhob er sich von seinem Lager, nach einem kurzen Gebete kleidete er sich an, gürtete sein Schwert um die Lenden, küßte wiederholt das Bildniß seiner theuern Gertrud, stieg zu Pferde, und durchritt die Straßen, die ihn zum Kipdorpthore führen sollten.

Er wunderte sich über die vielen Bewaffneten, die abwechselnd mit ihm denselben Weg einschlugen. Viele Reiter kamen an ihm vorüber, und die Straßen wiederhallten von den schweren Tritten ihrer Pferde. Frauen und Kinder traten langsam und in Zügen einher.

Lodewyk, der nicht begriff, was die Ursache dieser frühen Wanderung seyn mochte, näherte sich einem der Reiter, der wir die andern mit Flinte und Dolch bewaffnet war, und fragte ihn, warum sie so alle einen Weg verfolgten und ruhig und wohlgemuth zum Kampfe zögen.

»Ei, Junker Lodewyk,« antwortete der Reiter und besah ihn, »wißt Ihr nicht, daß heute eine Extra-Predigt in Burgerhout stattfinden wird?«

»Aber warum geht Ihr so bewaffnet?«

»Denkt Ihr, Junker, daß wir uns wie Lämmer der Spanischen Rache bloß stellen sollen?« sprach der Geuse lachend, wären wir unbewaffnet, würden sie nicht säumen, uns auf der Stelle zu ermorden; jetzt aber, wo sie uns unterm Gewehr sehen, traut sich die feige Brut nicht, uns nahe zu kommen.«

»Gott, Gott!« seufzte der Junker kopfschüttelnd, »wenn doch diese Prediger einer neuen Lehre unser unglückliches Vaterland verließen! – »Herr Schuermans,« fuhr er fort, mich freut gar sehr, zu sehen, daß Eure Wunde keine üblen Folgen hat, da Ihr schon wieder das Roß besteigen könnt.«

»Ihr irrt, Junker, ich kann mich noch nicht ohne Hilfe hinaufschwingen. Ich versichere Euch, daß mich zuweilen große Schmerzen überfallen; doch da geb’ ich nichts darauf.« Er lachte. »Noch zwei Daumenbreit, Lodewyk, und Ihr hättet mir wahrlich auf immer den Mund geschlossen. Doch jetzt heißt’s nicht viel – so ein Läppchen Haut und Fleisch!«

»Ihr verzeiht mir gewiß diese Wunde, Schuermans?«

»Ja gewiß; vergebt mir nur auch meine tollen Reden.« Er faßte die Hand des Junkers, drückte sie warm in der seinigen, und sprach mit Nachdruck: »Ein Vlaming trägt nur einem Fremdling Haß und Rache nach. – Wir sind die besten Freunde von der Welt!«

So ritten sie in mäßigend Trabe weiter. Hie und da wurde ihr Gespräch unterbrochen, wenn die Menge sie etwas von einander entfernte, doch bald wieder aufgenommen. Hin und wieder erhob ein vorwitziger Mund den Ruf: Es leben die Geusen! – und dann lief murmelnder Beifall über alle Lippen und verlor sich erst ferne in andern Straßen. – Endlich langten unsere Reiter bei dem Burgerhouter Thor an.

»Halt an, Herr Lodewyk!« rief der Gefährte. »Steigt ab. – Hier haben wir das beste Braunbier, das in Antwerpen zu finden ist, – und er zeigte ihm ein Aushängschild, auf dem ein Thier künstlich abgemalt war mit der Aufschrift:


»So steigt ab, Lodewyk!« —Hier ist gut seyn für die, so den Geusennapf führen – He, Hospes, – flink, und kommt einmal, helft mir ein bisschen, denn ich komme hart – vom Gaul herunter. – Ist das Mechel’sche Braune gut?«

»Eigenlob stinkt,« antwortete der Wirth, während er Schuermans vom Pferde half, »der edle Trank, den ich Euch vorsetzen werde, soll sich selber preisen.«

Ein Diener faßte beide Pferde, und unsere Geusen traten in den Krug. Nachdem sie einige Gläser geleert und eine Zeit lang über die Lage der Dinge geredet hatten, bemerkten sie, daß ein Mann von mittlerem Alter, dessen Haare schon grau waren, sie starr und scheu betrachtete.

Seine Kleider waren nicht reich, aber sauber und anständig. Seine faltige Stirne und der trübe Ausdruck seiner gesunkenen Augen, deuteten hinreichend an, daß das Leben dieses frühzeitigen Greises durch Sorgen und Widerwärtigkeiten verkürzt war. Eine Thrane glänzte auf seinen braunen Wangen und das Haupt senkte sich auf seine Brust. Schuermans, dessen Herz gut war, konnte das nicht länger ansehen. Er näherte sich dem trübsinnigen Manne, drückte ihm treuherzig die Hand und fragte ihn um die Ursache seiner Traurigkeit.

»Ihr Herren,« antwortete er wehmüthig, »Eure Worte trafen mein Herz wie so viele Dolchstiche.«

»Wer seid Ihr denn?« frug Schuermans.

»Mein Name ist Louis van Hoort.«

Die beiden Geusen entblößten ehrerbietig ihr Haupt und sprachen:

»Seid gegrüßt, kunstreicher Meister! – Ehre sei Euch, Van Hoort, unserm ruhmvollen Stadtgenossen!«

Der traurige Künstler schien gerührt von ihrer Ehrenbezeigung und suchte, so gut er konnte, zu lächeln.

Lodewyk näherte sich ihm und frug in ernstem Tone, was ihn so traurig stimme.

»Ihr wißt nicht,« erwiederte jener, »mit welcher Zärtlichkeit der Künstler seine Schöpfungen liebt! – Ein Vater, der eine unausweichliche Wolke des Unglücks über seine Kinder sich erheben sieht, vergießt Thränen über seine Nachkommenschaft – und ich vergieße Thränen über das Schicksal der Bildwerke, dieser Kinder der Kunst, die unsere Stadt bereichert und herrlich vor allen Städten der Welt gemacht haben! . . . «

Die Geusen betrachteten ihn mit Bewunderung.Seine Züge, die erst so kalt schienen, waren nun von edlem Ausdrucke belebt; helle Feuerstrahlen schossen aus seinen feuchten Augen.

»Ich,« hob er wieder an, »habe mein Herz an der Leuchte des Genius und der Kunst versengt. – Ich habe mein Leben in beständigem Fieber zugebracht; meine Haare sind grau geworden, meine Stirne hat sich in Falten gelegt, derweil ich noch jung bin, – und das Alles, weil ich, wie Gott seinen Geschöpfen, den Wesen, die mein Pinsel geschaffen hat, Theile meiner Seele geliehen habe, um sie in’s Leben zu rufen.«

»Allerdings mag Euere Furcht nicht ungegründet seyn. Die Bilder werden am Tage der Befreiung viel zu leiden haben,« antwortete Schuermans.

»Ja,« versetzte der Maler, »und dann werden sie meine Gemälde aus Gottes Tempel werfen; und wie tolle Hunde, meine Hoffnung aus Unsterblichkeit in Stücke reißen; meinen Namen mit jenen einer zahllosen Reihe von Meistern, die unser Vaterland gezeugt hat, für immer aus der Welt schaffen; und die Fremdlinge werden einst mit Schmerz die nackten Tempelwände anstarren, Thränen über die zerstörten Bildwerke vergießen – und Bruchstücke derselben als Heiligthümer in ihr Land mitnehmen.«

Der junge Lodewyk konnte den Künstler nicht genug ansehen. Noch nie hatte er in eines Menschen Auge so edles Feuer flammen sehen. Er stand in Gedanken versunken vor dem Künstler und trachtete ihn durch freundliche Worte zu beruhigen. Doch Van Hoort schien zu gewiß den Bildersturm zu ahnen, der in Kurzem herankommen müße. Er fuhr fort:

»In unserer lieben Frauen Kirche hängt eines meiner Bilder; an diesem habe ich zwölf Monate wie außer mir gearbeitet; der Welt mit meiner Schöpfung entrückt, zwölf Monate ohne ein anderes Gefühl, als das der Kunst lebend; durch ein quälendes Fieber mein Leben um ein Jahrzehend verkürzt; ich habe, wie jener Griechische Künstler, vor dem Werke meiner Hände gekniet und gebetet.«

Ein schwerer Seufzer erstickte feine Stimme.

»Auch bin ich,« fuhr er fort, »für dieses Stück allein in Sorge; ich habe gefleht, daß es in Sicherheit gebracht werde; – aber sie wollten nicht drauf eingehen – ich habe s es ihnen verkauft, sagen sie. – Verkauft!« seufzte er, »jawohl, ich habe es verkauft, weil mich die Noth drängte; sonst wäre mein leidender Christus nie aus meiner Stube gekommen.«

Schuermans und Lodewyk versicherten ihn, daß, so sie irgend etwas zur Rettung dieses Bildes beitragen könnten, sie ihm darin beizustehen nicht versäumen würden.

»Ich habe Kraft und Muth genug,« antwortete Van Hoort, mein Gemälde zu beschützen. Ich habe Alles berechnet. Am Tage der Verwüstung werde ich, mit Feuerwaffe und Dolch, meinen Christus vertheidigen – und wann es von der Wand herabfällt, will ich mein Blut, der Kunst und meinem Gott zum Opfer, über ihm vergießen! – Nein, meine theure Schöpfung will ich nicht überleben!«

»Ach Herr,« fiel der Wirth ihm hier in die Rede, »was kümmert Euch so, daß sie dieß Eine allenfalls in Stücke schlagen? Immerhin wie das alte Sprichwort sagt: so lang ein Haus in Antwerpen steht, wird da ein Künstler wohnen.«

»Wie sprecht Ihr nun?« fuhr Van Hoort gegen den Wirth auf, »ist das Euer Sinn und Euer Gefühl? Da eben bedauert Ihr mit mir die Gefahren der Kunstschätze unserer Stadt; jetzt gelten sie Euch nichts mehr, weil die Geusen in Euer Haus zum Trinken kommen. – Ihr kennt nur Einen Gott: den Gott des Geldes: eine Kunst: die Kunst, Geld zu gewinnen, Unwürdiger!«

Er nahm seinen Hut vom Tische, grüßte die Geusen und verließ das Haus, in dem er seine bitteren Thränen über die Kunst vergossen hatte.

»Der Kerl ist ein Narr!« rief der Wirth lachend.

Lodewyk und sein Gefährte stiegen bald darauf zu Pferde, und ritten durch die Schaaren des Volkes aus dem Kipdorpthor. Nachdem sie die Vorstadt Burgerhout in raschem Trabe durchritten hatten, kamen sie endlich zu der Stelle, wo die Predigt sollte gehalten werden.

Dieser Platz hieß damals das Luisbekelaer. Es war ein geräumiges Stück Landes, einem Dreieck an Gestalt ähnlich, dessen längere Seite von dem Herrnthal’schen Wasser bespült wird. Hier waren Tausende von Menschen verstreut. Alle, außer den Frauen und Kindern, waren bewaffnet. Viele lagen am Ufer und wärmten sich erwartend an den milden Strahlen der Morgensonne: andere zu Pferde, ritten langsam auf dem weiten Felde umher. Weiterhin in der Mitte stand eine dichte Wolke von Menschen, aus welcher vielfache Stimmen in Lobpsalmen zum Himmel sich erhoben. Die meisten unter den Männern hatten die Geusenschalen auf ihren Kleidern; viele trugen die goldene Denkmünze mit dem Bettelsack, als Losungszeichen, am Halse.

Schuermans erkannte viele seiner Freunde unter ihnen. Als der Gesang geendigt war, sprengte er lächelnd auf sie zu. »Alles steht gut,« flüsterte ihm Van der Voort in’s Ohr, »man hat einen Befehl verlesen, daß man nicht mehr bewaffnet zur Predigt solle gehen, – und siehe da! Das Volk hat schnurstracks dem Gebote zuwider, in großer Anzahl und noch stärker bewaffnet, die Wache zum Stillschweigen gezwungen.«

»Laßt die Spanier nur so fortmachen,« antwortete Schuermans; »sie schaffen sich selbst Schmach und Verderben.«

Herman Stuyk, der Prediger, bestieg einen Hügel, der von Erde aufgehäuft und mit Planken umschränkt war. Alle Gewehre wurden zugleich in die Luft abgeschoßen, um das wogende Volk zur Stille aufzurufen. In einem Augenblick predigten mehrere Lehrer an den Ufern des Luisbekelaer.

Todtenstille herrschte unter dem Volke; mit Begierde vernahm es die neue Lehre, die gegen die Spanier eiferte.

Die Predigt war der Römischen Kirche gar feindlich; denn die Prediger ließen sich’s angelegen seyn, ihre Zuhörer zum Bildersturm und zur Verwüstung der Kirchen anzufeuern. Das Volk horchte neugierig; kein Athemzug erhob sich aus der Fluth von Köpfen, den Worten des Predigers Einhalt zu thun.

Eine Weile hörte Lodewyk mit Schmerz und Trauer den verderblichen Lehren zu, dann faßte er Schuerman’s Hand, winkte ihm grüßend zu und wandte sein Pferd nach der Heerstraße. Da traf er auf eine Anzahl Reiter, mit geladenen Gewehren, um jeden, der gegen die Abhaltung der Predigt etwas unternehmen sollte, zurückzuweisen. Sie ließen den Junker ungehindert den Platz verlassen. Bald befand er sich auf seinem Pfade, und setzte nachdenkend seine Reife fort. Jetzt dachte er an Gertrud, deren liebevolles Lebewohl ihm noch in den Ohren klang; jetzt an ihren Vater, den feurigen Vlaming; dann an den edlen Sinn des hochberühmten Malers Van Hoort; – doch in alle diese wechselnden Gedanken mischte sich immer wieder, lebendig und hold lächelnd, das Bild der Geliebten.

Plötzlich verdüsterten sich feine Züge; sein Haupt sank auf seine Brust; die Zügel entfielen seiner achtlosen Hand.

Dort, vor ihm her, lag der Pfad, wie in eine Schaubühne verwandelt. In der Ferne sah er der Schreckbilder mancherlei, Erzeugnisse seiner träumenden Seele. Unter den gesunkenen Wimpern hervorstarrend sahen seine Augen zahllose Menschen sich wechselseitig morden: unter ihnen gewahrte er seine Freunde und Bekannten, so auch die Prediger vorn Luisbekelaer: Ströme Blutes rollten rauchend über den Weg und wälzten die Leichen der Ermordeten mit sich fort: ein gräßlich Kriegsgeschrei herrschte weit und breit über dem Gefilde . . . Darauf erhob sich mitten aus dem Blutbad ein mächtiger Tempel empor: Der Junker erblickte in demselben eine große Zahl Priester, die mit zum Himmel gehobenen Händen vor dem Altar knieeten . . . Plötzlich stürzten Tausende von Männern gleich wüthenden Thieren in den Tempel: sie rissen die Priester bei den greifen Haaren zurück von den Stufen des Altars und schleuderten sie mit unerhörten Lästerungen zu Boden . . . Und dann, dann sah er den Altar mit Schmutz bedecken und Unflath wie zur Herausforderung gen Himmel werfen. Er erblickte rachedürstende, blutige Entheiligung . . . Doch er schloß die Augen vor Schrecken und Betäubung . . . Die Stimme Gottes erscholl donnergleich im Tempel. Sein Fluch und seine Blitze fuhren sofort auf die Frevler herab, die Mauern des Tempels stürzten ein: die Erde that sich auf, und aus einem Meer von Flammen schlug das Wehe! Wehe! der Verdammten verworren und gräßlich an Lodewyk’s Ohr, der mit einem Schrei aus diesem tollen Traum erwachte.

Schon hatte er das Dorf Wyneghem hinter sich, und nach zwei Stunden Weges hätte er das Ziel seiner Reise erreicht: doch der Himmel, der am Horizont sich düster und schwarz färbte, kündigte dem jungen Pilger kein günstiges Wetter an. Er ritt gleichwohl muthig weiter, und dem Pferde die Sporen in die Seite drückend, begann er einen raschen Trab, um wo möglich dem Ungewitter zu entkommen, ohne seine Sendung zu verspäten. Die Wolken sammelten sich langsam und drängend über seinem Haupte, und schon sah er einzelne Tropfen auf dem Geschirre seines Pferdes blinken.

Er war an dem Dorfe Schilde lange vorüber, und erreichte eben die ersten Häuser von Zoersel, als der leuchtende Blitz über die Wipfel der Bäume fuhr und ein brüllender Donnerschlag die schwarzen Wolken zerriß. Der Wind jagte den Regen schnell und gewaltsam vor sich her. Das Wasser troff in Strömen von des Reiters Gewand; die Wege wurden beinahe unbrauchbar und das Pferd, erschreckt durch das immerwährende Blitzen, war nur mehr widerstrebend und mit Schlägen weiter zu bringen. Da sah Lodewyk eine Hütte vor sich und eilte, was er vermochte, um sie zu erreichen.

»Wer klopft da außen?« ward bebend gefragt.

»Ein Wanderer, der um ein Obdach gegen das Unwetter bittet,« antwortete Lodewyk.

Auf des Jünglings sanfte Stimme beruhigten sich die Bewohner der Hütte und die Thüre ward geöffnet.

»Seid willkommen, Herr,« sprach ein von Arbeit gebeugter Mann, »kommt herein!«

Lodewyk überließ sein Pferd dem Landmann, und trat in die ärmliche Behausung. Die Hausmutter lag mit vier kleinen Kindern betend vor einem Liebfrauenbilde auf den Knieen.

»Wer es doch den Verblendeten sagte, welchen heilsamen Trost diese Menschen an diesem Bilde finden,« dachte Lodewyk bei sich, »sie würden in ihrem Beginnen nicht beharren.«

Der Landmann hatte das Pferd unter einem Schuppen untergebracht und gesellte sich nun zu seinem Gaste.

»Es ist häßlich Wetter, Herr!« sprach er höflich.

»Ja, Vater,« antwortete der Junker, »ich schätze mich glücklich, so gut von Euch aufgenommen zu seyn.«

Indessen stellte der Heidebewohnte Brod und Butter auf den Tisch.

»Herr!« sprach er, »das ist Alles, was wir haben; so es Euch beliebt, davon zu genießen; – es ist Euch von Herzen vergönnt.«

Der Junker bewunderte höchlich diese freundliche Bewirthung.

»Vater,« erwiederte er mit dankbarem Lächeln, »das Kempenland ist berühmt wegen der Liebe, die seine Bewohner den Fremdlingen beweisen. Auch ich kann nicht genug Eure Dienstfertigkeit beleben, und darum nehme ich auch bereitwillig und dankbar dieses Mahl an.«

Während er that, wie er sagte, wurde die Luft heller, der Donner hatte sich in die Ferne verzogen – doch schlug der Regen noch heftig auf das Laub der Bäume. Die Frau hatte ihr Gebet geendet – und blies das knisternde Feuer an, vor welchem sie Lodewyk’s Mantel zum Trocknen aufgehängt hatte. Die lieben Kinder, wie wilde Böckchen um die Stube hüpfend, kamen allmälig näher und näher zu Lodewyk und wiesen einander das glänzende Gold an seinen Kleidern. Zuletzt, immer kühner geworden, waren sie auf des Junkers Kniee gekrochen. Er küßte wieder und wieder die zutraulichen Geschöpfe. Die gute Frau wollte ihm die Bürde abnehmen, doch er bat sie, sie gewähren zu lassen.

»Der Herr hat die Kinder gern,« sagte sie leise zu ihrem Mann, – und ein stolzer Mutterblick glänzte in ihren Augen. Mit Wohlbehagen sah sie, wie die von ihr Gebornen würdig befunden wurden, von einem so stattlichen Junker geliebkost zu werden.

»Ihr seid glücklich,« sprach Lodewyk, »weil Ihr wenig besitzet; – fürwahr ich sag Euch, bei uns, in der großen, prächtigen Welt, ist so reine Freude nicht zu finden, wie in dieser Hütte.«

»Es ist wahr,« antwortete der Landmann. »Gott hat Frieden nicht bloß den Reichen gegönnt; auch wir kennen Freude und Glück.«

Und seine Kinder betrachtend, fügte er mit einem tiefen Seufzer hinzu:

»Dennoch, junger Herr, bedenket, welche fortwährende Betrübnis es mir verursachen muß, daß ich meinen Kindern nichts in dieser Welt hinterlassen kann, um sie vor Hunger und Elend zu bewahren! Diese tagtägliche Sorge kennt Ihr nicht.«

»Freilich wohl,« versetzte Lodewyk, »was sollten diese armen Kleinen anfangen, wenn der Tod Euch vor der Zeit von ihnen nähme?«

»Mein Vater hatte sich eine Hütte im Walde, gebaut,« sprach der Landmann, »und mit Mühe und Noth ein Stück Land daneben urbar gemacht, nach seinem Tode erhielt es mein älterer Bruder. – Ich und meine gute Frau, sie, so arm, wie ich, haben diese Hütte mit harter Arbeit Stück für Stück zusammen gefügt, – und, als Kinder der Natur, die Vögel des Himmels nachgeahmt: sie bauen sich ein Nest, um ihre Brut vor Regen und Kälte zu bergen; so auch thaten s wir; denn unser Erstgeborner erschien, unsere vollendete Arbeit zu krönen. Von da an haben wir unter des Himmels Segen unsere Tage friedlich im Schweiße unsers Angesichts getheilt und die Heide mit Gewalt, uns zu nähren, gezwungen. Doch, wenn der Allmächtige uns frühzeitig unseren Kindern entrisse, – dann würden sie, jung und ohne Kraft und Geschick, um sich, wie wir, Hütten zu bauen . . . nur im Betteln ihre einzige Zuflucht finden.«

Von düstern Gedanken gequält, ließ er langsam und wehmüthig das Haupt auf die Brust sinken. Plötzlich glänzte wundersame Freude auf Lodewyk’s Antlitz; er erwiederte nichts auf die Klagen des betrübten Vaters, sondern ging sinnend aus der Hütte auf den Platz zu, wo sein Pferd stand. Er nahm etwas aus seinem Reisepack und kehrte zurück zu der Familie, die noch in derselben Verfassung dasaß.

»Vater,« sprach er, indem er die Börse, die er in der Hand hielt, öffnete, »ich möchte Eure freundliche Ausnahme und väterliche Zärtlichkeit belohnen,« – und er legte vier Rollen Geldes, jede von zehn Goldstücken, auf den gebräunten Tisch. »Hier habt ihr, guter Vater, zehn Goldstücke für jedes Eurer Kinder. Gebraucht sie zu ihrem Besten; und mögen sie durch Gottes Gnade, niemals genöthigt seyn, sich eine Hütte zu bauen!«

Vergebens wartete er auf eine Antwort von den betroffenen Leuten. Alle sahen ihn staunend an. Thränen rannen über des Greises Wangen, und die Mutter war wie ihrer Sinne nicht mächtig; – denn kein anderes Lebenszeichen zeigte sich an ihr, als der starre Ausdruck ihrer Augen.

»Nun, Vater, Ihr weist meine Gabe nicht zurück?« frug Lodewyk.

»Gottes Segen über Euch, edelmüthiger Jüngling, und über die, so Euer Schicksal theilen wird, den ewigen Segen, den Er den Barmherzigen verheißen hat! . . . « rief der Vater begeistert aus.

Und die Frau sank weinend vor Lodewyk nieder.

»Für Euch, den Wohlthäter meiner Kinder,« rief sie mit erstickter Stimme, und zeigte auf das Liebfrauenbild, »für Euch will ich ewig, ewig beten. Und diese Bank soll unter meinen Knieen eher zerfallen, ehe ich Euch, unsern tröstenden Engel, vergesse!« Ihre Thränen flossen in Dankbarkeit und Freude über Lodewyk’s Hände. Vergebens hieß er sie sich erheben.

»Laßt mich, lieber Junker,« schluchzte sie, »meine Thränen vor Euch vergießen. – Mein Herz ist so voll von Dank und Liebe zu Euch. – Laßt mich, ich bitte, die Schuld meiner Kinder abtragen; – entziehet mir Eure Hand nicht, Junker; Gott sieht meine Freudenzähren, und wird sie, statt meiner, an Euch vergelten . . . «

Sie seufzte tief, und fast hätte man denken können, daß es Schmerz sei, was sie bedränge. Doch das selige Lächeln, das durch ihre Thränen schwebte, und die entzückten Blicke, die sie auf den Junker richtete, bewiesen, wie sehr sie von Glück und Dank durchdrungen war.

Lodewyk, um sich diesen Ehrenbezeigungen zu entziehen, stand von seinem Stuhle auf und warf das Geld in ein Gefäß auf dem Kasten. Nach vieler Mühe brachte er die beglückten Eltern zur Ruhe. Mit Wohlgefühl über seine That setzte er sich vor dem knisternden Feuer nieder.

»Sagt mir,« frug er, denn er sah, daß es nur noch wenig regnete, »wo ist doch der Zoerselwald gelegen?«

»Der Zoerselwald! – der Zoerselwald!« rief der Landmann verwundert, als verstehe er ihn nicht – »wollt Ihr dorthin?«

»Ja, und heute noch muß ich dort seyn,« antwortete der Jüngling.

Der erschrockene Mann legte ihm die Hand auf die Schulter, um seinen Worten mehr Nachdruck zu geben.

»Jüngling,« sprach er, »im Zoerselwalde wartet Euer der Tod.«

»Warum?« frug Lodewyk.

»Ach, Herr Junker,« antwortete der Landmann, »wir glücklich schätze ich mich, daß Ihr mir davon gesagt habt. Nun kann ich doch Euch, meinen Wohlthäter, vor einem sichern Tod bewahren – Wisset, daß Wolfangh, der Mann, den Schrecken und Mord begleiten, jenen Wald bewohnt – und daß noch kein Mensch ihn betreten hat, ohne seine Unbesonnenheit mit dem Leben bezahlt zu haben. Erst vorgestern wurde wieder ein Reisender, jung und rüstig, wie Ihr, im Walde aufgefunden. Zwanzig Dolchstiche hatten sein Herz durchbohrt! Wenn Ihr mir einen Gefallen thun wollt, so horcht auf meine Worte. – Kehrt-zurück oder wir werden bittere Thränen über Eurer Leiche vergießen müssen.«

»Vater,« antwortete Lodewyk, »ich muß, und sei die Gefahr noch so groß, ich muß Wolfangh selbst sehen und sprechen. Nichts vermag mich von diesem Vorhaben abzuhalten.«

»Ihr dauert mich, Junker,« sprach der Landmann traurig, »allein ich freue mich, einmal Gelegenheit zu finden, Euch meine Dankbarkeit zu beweisen: ich werde Euch begleiten, Ihr möcht wollen oder nicht.«

»Nein, nein,« fiel Lodewyk ihm in die Rede, »das wills ich nicht. Laßt mich allein der Gefahr entgegen treten; Eure Kinder fordern Eure väterliche Obhut; – ich – seufzte er – habe weder Frau noch Kind!«

»Nein, Herr,« rief der Landmann, »ich folge Euch wider Euren Willen. Darin kann ich Euch nicht gehorchen.«

Die Mutter hörte mit gespannter Aufmerksamkeit auf diesen Wortwechsel, und munterte ihren Mann auf, des Jünglings Befehl nicht zu weichen.

»Begleite ihn, ja begleite ihn! « redete sie ihm zu, »bewahre, unsern Wohlthäter vor Mißgeschick, oder ich werde keinen ruhigen Augenblick mehr haben.« Ein Paar Thränen flossen glänzend über ihre Wangen. Sie nahte sich unserer Lieben Frau und sah das Bild mit flehenden Blicken an.

»Geht!" rief sie, »geht! – Ich will für Euch Beide zu Gott beten!«

Lodewyk mochte den dankbaren Heidebewohnern nicht länger widerstehen.

»Wohlan,« sprach er, umhalste die Kinder und drückte der Frau die Hand, »folgt mir, Vater. Mit Gottes Hilfe hoffe ich hier nochmals ein schmackhaftes Mahl zu halten.«

Nun wurde das Pferd, das besser als sein Herr gegessen hatte, vor die Thüre gebracht, und Lodewyk verließ mit dem Landmann die Hütte, um im Zoerselwalde einzuziehen und Wolfangh mit seiner Bande aufzusuchen.