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Kitabı oku: «Das Wunderjahr (1566)», sayfa 4

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IV

Er ist ein Unglückssohn; kein Bösewicht.

Die Ahnfrau.

»Linker Hand, Herr!« rief der Bauer, und Lodewyk betrat einen ziemlich breiten Weg, der durch den Wald zu führen schien. Beide Seiten waren von undurchdringlichem Strauchwerk begränzt, und hohe Weißtannen hinderten die Sonne, die schon etwas tief am Horizont flammte, ihre lichten Strahlen auf den Pfad niederzusenden.

»Wohin führt dieser Weg?« frug Lodewyk.

»Erst vor wenigen Jahren,« antwortete der Landmann, »wurde er durch den Wald gehauen zur Abfuhr der stärksten Stämme, – doch jetzt ist diese Straße verlassen, und wird nur von Räubern und Uebelthätern betreten.«

Seit jener Reihe von stürmischen Jahren wurden wenige oder keine Schiffe auf dem Werft von Antwerpen aufgerichtet; darum holte man auch keine starken Stämme mehr aus dem Walde. Die Frevler konnten ihn deßhalb ungehindert bewohnen; denn eine geregelte Macht bestand nicht auf den Dörfern und die Besatzungen konnten die Städte, wo es so unruhig herging, nicht verlassen.

Nach einigem Zwiesprach über diese und andere Gegenstände, kamen unsere Reisenden an eine dichtbewachsene Stelle, wo der Weg sich zwischen den Bäumen und Sträuchern verlor. Hier sahen sie ein steinernes Kreuz am Graben aufgerichtet.

»Warum steht dieß Zeichen hier?« frug der Junker.

»Hier ist ein Mord begangen worden,« antwortete sein Führer, »wenn Ihr Euch dem Kreuze nähern wollt, könnt Ihr den Namen des unglücklichen Reisenden darauf lesen.« – Und Lodewyk las:


Der Landmann hatte sein Haupt entblößt, verrichtete ein andächtig Gebet für die Seele des Verstorbenen, und Lodewyk that es ihm nach. Der Junker stieg von seinem Pferde und ließ sich andächtig neben dem Kreuze nieder. Viel betete er nicht; denn trübe Gedanken entrückten ihn dem Gegenstande seines Gebetes. Der Name seiner Geliebten unter dem blutigen Kreuz, hatte sein Herz zerrissen.

So blieb er einige Augenblicke da, als er das Haupt nach seinem Pferde umwandte, gewahrte er zwei grausige Menschengesichter zwischen dem Laub der Bäume. Vier schwarze, glotzende Augen starrten gierig ihn an, und zwei Pistolen zielten nach seiner Brust.

»Die Börse oder das Leben!« brüllten zwei Männer, und traten aus dem Dickicht hervor, mit ihren Waffen bereit, dem Junker eines der beiden Hauptstücke, die sie gefordert hatten gewaltsam zu entreissen.

»Hier habt Ihr meine Börse,« sprach Lodewyk etwas betroffen. »Ihr Männer,« fuhr er fort, »ich suche Wolfangh, und ersuche Euch, mich nach seiner Wohnung zu weisen.«

»Legt Eure Waffen nieder!« rief einer der Räuber.

Der Junker ergriff seine Pistolen und warf sie sammt seinem Degen weit von sich weg. Der Räuber trat auf ihn zu.

»Was habt Ihr mit Wolfangh zu thun?« frug er.

»Ich habe ihm einen Brief zu übergeben,« war die Antwort.

»Kommt Ihr von der Stadt und seid Ihr ein Geuse?« frug der Räuber weiter.

»Das bin ich, und muß Wolfangh noch vor Abend sprechen.«

Der Räuber lächelte. »Das weiß ich,« versetzte er. »Unser Meister ist heute in der Stadt gewesen und hat Eure Ankunft von einem andern Geusen vernommen. Seit zwei Stunden erwartet er einen Junker, und da Ihr dieser Junker seid, so könnt Ihr Eure Waffen wieder aufnehmen und uns unbesorgt in den Wald folgen.«

Der Landmann der dieß Alles mit Angst angesehen hatte, raffte Lodewyks Waffen vom Boden auf, und reichte sie dem Junker dar.

»Vater,« sprach dieser, »ich danke Euch herzlich, daß Ihr mich so weit begleitet habt, und bitte Euch nun zurückzukehren um Eure Frau und Kinder, die um Euer Leben in Sorge sind, aufzusuchen – In ein Paar Stunden werdet Ihr mich, so Gott will, in Eurem Hause wieder sehen.« – Er drückte dem Heidebewohner die Hand, und dieser blieb mit nassen Augen stehen, bis Lodewyk zwischen den Bäumen verschwand.

Einer der Räuber hatte das Pferd gefaßt und führte es, auf Umwegen weiter. Der andere bemühte sich, so höflich als er’s vermochte, zu seyn, und mit Lodewyk ein Gespräch anzuknüpfen; doch dieser sah ihn mit verächtlichen Blicken an und antwortete bloß in kurzen Worten.

»Es soll in Kurzem etwas losgehen nicht, Herr? Sie wollen in der Stadt wieder lärmen – und da wird’s für uns auch was zu packen geben!«

»Das weiß ich nicht,« murmelte Lodewyk.

»Ich schon« entgegnete der Buschklepper, »unser Meister hat uns gesagt, wir würden genug zu plündern bekommen um unserm mühseligen Handwerk ein Ende zu machen und wie kleine Herren von der Beute zu leben.«

»Wo wollt Ihr das Alles erbeuten?« frug Lodewyk düster.

»In Unser Lieben Frauen Kirche allein ist genug, um unsere ganze Bande steinreich zu machen.«

Der Jüngling ließ einen stolzen Blick auf den Räuber fallen und rief erzürnt:

»Wie wagt Ihr den niederträchtigen Plan zu fassen, Gottes Tempel zu berauben?«

»Wir haben den nicht gefaßt;« fiel der Räuber rasch ein, »Ihr habt ihn uns angegeben – Und ich weiß gewiß, daß in dem Brief nichts anderes steht, als das Versprechen, uns an dem Tage machen zu lassen, was wir wollen.«

Lodewyk antwortete nichts auf des Räubers Vorwurf; er seufzte mit tiefer Wehmuth, indem er des Jammers gedachte, der seine Vaterstadt bedrohte. Nach einer halben Stunde, die sie sich durch Bäume und Gestrüpp durcharbeiteten kamen sie endlich zu dem Lagerplatze Wolfanghs und seiner Gesellen.

Es war ein großer offener Raum, von allen Seiten von dunklem Wald umringt. Die Bäume waren in einem Kreise umgehauen und der Boden geebnet, um ungehindert da wohnen zu können. In der Mitte stand eine große Hütte, aus Holz und Lehm zusammengefügt; fünf kleinere Hütten standen ferner hie und da im Kreise, doch so zerstreut, daß ein Platz, einem Marktplatz ähnlich, offen blieb.

Sobald sich der Junker diesem Orte näherte, zog sein Begleiter ein beinenes Pfeifchen aus seinem Wams, und ließ dreimal den verdächtigen Ton durch den Wald erschallen. Es wurde in derselben Weise geantwortet, und Lodewyk betrat den Lagerplatz. Sein Führer verließ ihn nun, um, wie er sagte, Wolfangh von seiner Ankunft zu benachrichtigen.

Der Jüngling starrte mit Abscheu die unmenschlichen Gesichter der Räuber an, die er hier erblickte. – Sechs der häßlichsten standen bei einem großen Feuer, worauf ein Kessel, der das Abendessen enthielt, mächtig dampfte. Die Flamme, wie sie auf die Wangen der Räuber fiel, gab ihnen einen ungemein fantastisches Ansehen, und machten sie eher Teufeln als Menschen ähnlich. Weiter hin saßen einige andere, dem Wechselspiel des Looses ergeben und mit den Würfeln um einige Geldstücke streitend: – keiner dachte daran, daß Menschenblut ihren Gewinn lieferte. – Sie fluchten und schworen so gräulich, daß Lodewyk einige Schritte zurücktrat, um ihre Gotteslästerungen so wenig, als möglich, anzuhören. – Wieder andere saßen auf der Erde und putzten, Einer seine Flinte, ein Anderer seinen Dolch. Diese hatten große Kannen neben sich, und schenkten unaufhörlich den Trank in der Runde ein. Als der Junker in den Lagerplatz trat, sangen sie, mit verworrenen Stimmen, ein Lied, das zu jener Zeit unter dem Volke umlief. Derjenige unter ihnen, der den Vorsänger zu machen schien, begann also:

 
»Im Winter, wann es regnen thut,
Da sind die Bächlein tief, ja tief.
Da kommt der lose Fischerbub,
Zu fischen in dem nassen Ried.
Mit seinem Tragstock, mit seinem Schlagstock,
Mit seinem Knappsack mit seinem Schnappsack.«
 

Und dann stimmten die Andern ein:

 
Mit seinen weiten dirre dom dei,
Mit seinen weiten Stiefelein.
 

Und wenn der Krug herumgegangen war und jeder seinen Mund und Schnurrbart mit der Hand abgewischt hatte, begann der Vorsänger wieder:

 
»Das lose Müllers-Töchterlein
Trat vor die Thür heraus, ja raus,
Dieweil der Fischerjunge fein
Vorüber muß an ihrem Haus,
Mit seinem Tragstock, mit seinem Schlagstock,
Mit seinem Knappsack mit seinem Schnappsack.«
 

Und dann zwanzig Stimmen:

 
Mit seinen weiten dirre dom dei,
Mit seinen weiten Stiefelein.
»Was sagt der Fischer dann?« rief eine Stimme
»Was hab’ ich denn getrieben
Was hab ich missethan, ja than,
Um daß ich nicht in Frieden
Vorbei an eurer Thür mag gahn?
Mit seinem Tragstock, mit seinem Schlagstock,
Mit seinem Knappsack mit seinem Schnappsack.«
 

Und wiederum die ganze Gesellschaft:

 
Mit seinen weiten dirre dom dei,
Mit seinen weiten Stiefelein.
 

»Nun weiter – frisch getrunken!« – »Gleich:«

 
Ihr habt dar nichts getrieben
Ihr habt nichts missethan, ja than,
Doch dreimal müßt ihr grüßen,
Bevor ihr dürfet fürder gahn,
Mit Eurem Tragstock, mit Eurem Schlagstock,
Mit Eurem Knappsach mit Eurem Schnappsack.
 

Und die Andern klatschten in die Hände und brüllten und lachten dergestalt, daß sie vor Freude toll schienen. Mit neuer Kraft brüllten sie:

 
»Mit seinen weiten dirre dom dei,
Mit seinen weiten Stiefelein.«
 

Sie waren Alle braun von Angesicht, mit langen verworrenen Haaren. Ihr Anzug hätte zu andrer Zeit Lodewyk zum Lachen gebracht; denn während ihrer Viele einen neuen feinen Rock anhatten, hingen ihnen die übrigen Kleidungsstücke schmutzig und zerrissen am Leibe. Andere trugen zu einem goldgestickten Wams eine grobe und abgeschabene Mönchskutte über den Schultern. Nur ihre Waffen waren im besten Stande, und blinkten wie Silber aus ihrem Bettlergewande hervor. Alle miteinander glichen sie einem Haufen maskierter Leute. – Zwei standen aufrecht an der Thüre der großen Hütte: schwere Hellebarden schimmerten in ihren Händen von den letzten Strahlen der Abendsonne. Diese Männer riefen auf Wolfangh’s Geheiß den staunenden Lodewyk herein.

Das Gemach, in welches er trat, war, wie sich denken läßt, nicht prächtig, jedoch sehr reinlich. Die Wände waren getüncht und mit verschiedenen Farben marmoriert: glänzende Waffen schmückten die Wände: saubere Stühle standen um einen Tisch. An diesem saß Wolfangh. Seine Kleidung war anständig, und schien einem Manne anzugehören, der nie die Stadt verlassen. Er konnte nicht über vierzig Jahre alt seyn: dieß zeigten seine noch wohlgeformten Züge. Schwarze Augen in denen ein verzehrendes Feuer flammte, ein Mund, worauf Haß und Verachtung zu lesen, – und ein kalter und fast trauriger Ausdruck waren die Zeichen, aus denen ein Physiognomiker die Andeutungen von des Räubers Innern erschließen konnte.

Sobald er Lodewyk gewahrte, stand er von seinem Stuhle auf und neigte sich höflich vor seinem neuen Gaste.

»Willkommen, Junker!« sprach er, und reichte dem Jüngling einen Sitz. »Was bringt Ihr Neues?«

Lodewyk gab ihm schweigend den Brief.

Wolfangh riß hastig das Siegel ab, und ergriff, als er gelesen hatte, eine elfenbeinene Pfeife. Auf den Ruf kamen zwei Räuber in das Gemach. Er flüsterte ihnen etwas ins Ohr. – »Um elf Uhr,« rief er mit lauter Stimme.

Nun wurde Wein gebracht und in Bechern eingeschenkt.

»Junker,« sprach Wolfangh,« auf die Gesundheit der Geusen!«

»Auf die Gesundheit der Geusen!« erwiederte Lodewyk halblaut; er setzte den Römer an seine Lippen, aber trank nicht.

»Ho, ho,« Herr Junker!« rief der Räuber trotzig, »mein Glas ist leer: ich fordere Euch auf, mir ebenso Bescheid zu thun. Leert auch Euer Glas! – hernach steht es Euch frei, zu trinken oder nicht.«

Lodewyk trank, mit einer Miene, die deutlich genug zeigte, daß es wider Willen geschehe.

»Ich versteh Euch, Junker,« sagte Wolfangh, »ein Räuber ist Euch ein zu verächtlicher Mensch, um in seiner Gesellschaft zu trinken: ja, ich versteh es wohl!« Und ein bitteres Lächeln verzog sein Gesicht, während er, in tiefe Gedanken versunken fortfuhr:

»Warum begehrt Ihr dann meinen Beistand, wenn Ihr mich verachtet? – Ihr antwortet nicht. – Ich weiß es. – Wenn das Werk vollbracht ist, zerbricht man das unnütze Werkzeug, oder wirft es weg. – Nicht wahr, Junker?«

Lodewyk sah den Räuber verwundert an.

»Wolfangh!« antwortete er, »ich kenne den Inhalt dieses Briefes nicht, darum kann ich auch Eure Frage nicht beantworten. Was mich betrifft, sage ich Euch daß wenn Ihr an dem Aufstande Theil nehmt, Ihr ohne Zweifel wofern Ihr wollt, daraus großen Gewinn für Euch ziehen könnt.«

»Welchen Gewinn Junker?«

»Vergessenheit über das Vergangene und ein ehrliches und ruhiges Leben als Glied der bürgerlichen Gesellschaft.«

Ein zufriedenes Lächeln zog über Wolfangh’s Antlitz, wurde aber sogleich von dem Ausdrucke der Hoffnungslosigkeit abgelöst, und den Kopf schüttelnd sprach er:

»Umkehren, umkehren, das ist so schwer! Und doch muß es geschehen. Ich vermag der geheimen Stimme, die mir zuruft, nicht länger zu widerstehen. Warum haben die Menschen mich ausgestoßen, als ich noch unschuldig war? Ja, Junker, es gab eine Zeit in meinem Leben, wo ich mich auch schämte, mit einem Schelm zu trinken!«

»Das mag wohl seyn,« antwortete der Jüngling, »und gewiß waren es mächtige Geschicke, die Euch so von dem Pfade der Ehre abführten.«

»Ja, einst war ich ein junger und schmucker Bursche wie Ihr – reich an Fantasiebildern, die wie Blumen mein Leben ausschmückten aber die Bosheit der Menschen hat mir das Herz gebrochen.«

»Ihr seid nicht geboren, Wolfangh, um in diesem verächtlichen Stande zu leben. Ich sehe es gar wohl. Eure Gesichtszüge verrathen keine Grausamkeit, Eure Worte zeugen nicht von roher Unwissenheit. Nichts bezeichnet an Euch jenes verworfene Geschöpf, das ohne Entsetzen das Blut seiner Brüder vergießen würde. Kehrt zurück in die Gesellschaft, Wolfangh; Euer Herz ist noch dem Guten zugänglich. Beschließt den Rest Eurer Tage in Tugend und rechtschaffener Thätigkeit. Vielleicht wird Ruhe und Seelenfriede der Lohn Eurer Bekehrung seyn. Bedenket, daß Gottes Barmherzigkeit unendlich ist und sich nach der Größe der Sünde und nach der Innigkeit einer aufrichtigen Reue bemisst.«

»Habt Dank, Junker, für Eure tröstenden Worte. Ihr habt ein edles und gutes Herz. Sehet, wofern Ihr mit Verachtung und Geringschätzung zu mir gesprochen hättet, würde Trotz die guten Gedanken in meinem Herzen übertäubt haben; aber Ihr habt mir freundlich den Weg angedeutet, den eine Umwälzung im Staate für mich aufthun kann. O, ich schwöre Euch, Euer Rath soll nicht verloren seyn Ihr habt, glaubet mir, nicht auf Steine gesäet!«

Lodewyk sah gerührt den Ausdruck, der in den Zügen des Räubers diese Worte begleitete. Er beobachtete Wolfangh’s ganze Seele auf seinem Angesichte, und erkannte, daß der Sündige sich nach Verzeihung sehne. Er stand auf, faßte die Hand des Räubers, und sprach:

O Wolfangh, wie unglücklich müßt Ihr gewesen seyn, um mit einem Gemüthe, wie das Eure ist, einem so schimpflichen Leben zu verfallen.«

»Ja, Junker, so ist es. Dürfte ich mein schuldiges und, verbrecherisches Herz in Eure edle Seele ausschütten, so würdet Ihr vernehmen wie elend meine Jugend war.«

»Sprecht, Wolfangh, ich höre Euch gerne an.«

»Wohlan denn, um Euch zu überzeugen, daß es im Menschenleben Mißgeschicke gibt, deren Folgen wir nicht entrinnen, will ich Euch die Ursache meines Unglücks in kurzen Worten schildern. Wenn Ihr darin Spuren einer löblichen Gesinnung entdeckt, so schaut nicht auf das, was ich jetzt bin; – denn eine schreckliche Veränderung ist in mir vorgegangen:

»Ich wohnte in dem Dorfe Rethy. Jung und hübsch von Gestalt war ich. Unter allen meinen Genossen war keiner, der eine so wohllautende Stimme gehabt hätte; und oftmals flüsterte der alte Lindenbaum bei dem Klange meiner schwermüthigen Lieder. Mein Gesang, wechselweise sanft und strenge, zog Aller Augen auf mich und Jeder horchte mir bewundernd und schweigend zu.«

Seine Erzählung wurde von den Leuten unterbrochen, die die aufgehangenen Lampen anzuzünden kamen. Nach einer Pause hob er wieder an:

»Meint Ihr, junger Mann, die Lobeserhebungen derer, die mich sahen und anhörten hätten mir Freude gewährt? – Nein; nur der Beifall der jungen Helena war im Stande, mich zu beglücken. Unsere Herzen waren seit unserer Kindheit unauflöslich verbunden, und als die Mannesjahre bei mir herankamen, war dieß Gefühl, von den Schranken der Sitte gehalten, nur mächtiger geworden.

So erlebte ich auf meinem Dorfe ruhig manches Jahr. Mit Ungeduld erwartete ich den Augenblick, um meine Helena, wenn sie das achtzehnte Jahr erreicht hätte, mit Zustimmung ihres Vaters heimzuführen: – doch das Schicksal, taub gegen die Wünsche der Menschen, hatte mich zuerst die Süßigkeit des Reiches kosten lassen, und die Galle darin bewahrt, um sie mir auf einmal als Gift zu credenzen. Hier beginnt der traurige Abschnitt meiner Geschichte:

Ein vornehmer französischer Herr, mächtig am Hofe des guten Kaisers Karl, kam öfters in der Nähe des Landgutes Postel aus die Jagd. Einst trat er in Helena’s Wohnung und bewunderte ihre schönen Züge und ihre sittsame Holdseligkeit. Unlautere Begierde muß da in sein Herr eingezogen seyn, aber da er von Adel und vermählt war, blieb ihm, seine Lust zu befriedigen, nur Verführung oder Gewalt übrig. Lange suchte er sein Ziel durch jene zu erreichen; nach vielem fruchtlosen Bemühen setzte er das andere Mittel aus das Grausamste in’s Werk.

Eines Abends, nachdem ich Helena vergebens erwartet hatte, begab ich mich nach ihrer Wohnung. Der Vater meiner, Geliebten war erstaunt, daß ich sie nicht gesehen hätte. Zwölf Uhr tönte es von der Thurmuhr und noch warteten wir des Mädchens, das von uns getrennt war. Vier-zehn lange Tage harrten wir und hörten von Helena nichts. Ich halte es für überflüssig, Euch unsere Verzweiflung zu beschreiben; meine Wangenröthe verschwand unter meinen Thränen; der Muth verließ mich. Von Sehnsucht und Trostlosigkeit ermattet, durchwandelte ich die dichten Wälder; durch bittern Schmerz um Sinn und Gefühl gebracht, sank ich auf den Rasen nieder und Thränen flossen in Strömen über meine Wangen.«

»Ich beklage Euch, unglücklicher Wolfangh,« seufzte Lodewyk, »ich verstehe, wie unendlich bitter Euer Geschick gewesen.«

»Ja, Junker,« erwiederte der Räuber, »betet zu Gott, daß nie Euch ein so schweres Loos treffe. Der Tod würde Euch dann ein willkommener Freund seyn. Doch hört, »fuhr er fort,« welch ein Dolch noch mein Herz durchbohren sollte. Dreißig Tage hatte ich mit peinlicher Genauigkeit gezählt, und war den Abend bei dem Vater meiner Freundin gesessen. Unsere Thränen schienen unser Unglück etwas zu mildern; – als die Thüre mit einem gräßlichen Schrei aufgerissen wurde – und Helena heulend an ihres Vaters Halse hing. Nach diesem ersten Ausbruche der Kindesliebe, fiel sie vor ihm aus die Kniee nieder, und ein unaufhaltsamer Strom herzreißender Thränen stürzte über ihr Antlitz. Wenige unzusammenhängende Worte kamen aus ihrem Mund, sie flehte um Verzeihung, sprach von Befleckung und Schande; ein wüthender Groll drängte die Thränen in meinen Augen zurück. Helena, rief ich, wo bist du gewesen? und sah sie mit strengem Blicke an. Wolfangh, schrie sie zitternd, o gehe fort! deine Augen thun mir zu weh.« Wo warst Du? rief ich heftig Sie wies mit der Hand zum Fenster hinaus. – »Und für Euch auf ewig verloren,« setzte sie hinzu. Länger konnte ich mich nicht fassen. In dem Gedanken, sie habe freiwillig mich verlassen, stieß ich alle Schmähungen, dir mir beifielen, gegen sie aus; – bei jedem Wort bebte sie vor Schrecken und Schaam. Noch länger würde ich damit fortgefahren haben, hätte mich nicht ihr Vater zum Schweigen gebracht, indem er mir seine Tochter wies, dies bewegungslos und kalt hingesunken war. Welches Mitleid durchdrang mein Herz, als ich sie näher betrachtete, als ihre abgemagerten Wangen und tief eingesunkenen Augen mir all ihr Leiden verkündeten! Jetzt ergriff mich die tiefste Erschütterung ob meiner Grausamkeit und verzweifelnd flehte ich Helena um Verzeihung an. Doch sie hörte mich nicht. Junker, glaubt mir! Alle Qualen der Folterbank sind nichts, gegen die Seelenpein, die ich jenen Abend ausstand. – Am andern Tage war Helena ihrer Sinne beraubt und antwortete mit einem Lachen aus unsere bitteren Thränen. Bleich und mager war sie, wie der Tod, und so oft ein Lächeln über ihr Gesicht zog, entstellten die tiefen Falten und die hervorstehenden Knochen ihr Antlitz so entsetzlich, daß wir alle vor Schauder erbebten. Am vierten Tage lag sie auf dem Sterbebette Ihre Besinnung war einigermaßen zurückgekehrt und sie hatte ihre Beichte abgelegt. Als der Priester von ihr ging, sagte er, daß Helena mich noch einmal sehen wolle. Ich eilte in die düstere Stube. Da lag die süße Rose, so frühzeitig von dem Hauche eines frechen Höflings entblättert, zwischen vier fahlen Wachskerzen im Todeskampf.

»Wolfangh!« stöhnte sie, ihre magern todtkalte Hand, auf die meinige legend – »ich verlasse Dich auf immer – — jenseits strahlt mir der Himmel entgegen – da vor mir winken mir die Engel weg von der Welt . . . «

»Helena,« frug ich, »was ist Dir wiederfahren? In Gottes Namen, sprich!«

»Was mir wiederfahren ist,« sprach sie, »kennst Du – Alphons de Noirmont?«

»Ich kenne ihn.«

»Nun, dieser hat mich – durch Gewalt und Zwang entehrt – und meine Seele – kann in diesem unreinen Leibe – nicht länger weilen – darum öffnet sich mir – dort! – ein Pfad, der mich bald zum Himmel leitet!«

»Noirmont,« murmelte ich grimmig und von Rachedurst glühend – »Noirmont!«

»Noirmont, lispelte noch ihr Mund. »Lebe wohl, mein Wolfangh! – einst wirst Du mit mir dort – dort im Himmel wohnen, und ich – werde, rein . . . und Gott – Gott . . . Lebewohl, lebe wohl, Wolfangh! . . . «

Und ich fühlte, wie einem langen Athemzuge gleich, mein Name mit ihrer Seele unter meinen Lippen entschwebte – Sie war todt, todt und kalt.

Eine Thräne rollte über des Räubers Wange, und er schwieg.

Lodewyk, von Mitleid ergriffen, drückte ihm feurig die Hand. – »Wolfangh,« sprach er, »verzeiht mir die Geringschätzung, die Ihr mir erst vorwarft!«

»Junker,« frug der Räuber fortfahrend, »findet Ihr, daß dieser Noirmont den Tod verdiente?«

»Ja, ja sicherlich,« antwortete Lodewyk.

»Nun wohl-« versetzte Wolfangh, »ich verließ mein Dorf, und nahm nichts mit mir, als Baarschaft, Rachgier und Dolch. Lange habe ich den Ehrenräuber aufgesucht, ohne ihn zu finden: doch je länger ich harrte, desto höher schwur ich, meine Helena zu rächen. Einst als ich bei Brüssel an der Senne hinging, schallten zahlreiche Stimmen in mein Ohr. Mitten unter den Vielen erkannte ich meinen Erzfeind. Das Blut rollte ungestüm durch meine Adern, und das Herz klopfte mir, daß ich fast bewegungslos dastand: doch der Trieb nach Rache stählte meinen Arm, und mein Dolch fuhr bis an den Griff in des Elenden Brust. Ich sprang in die Senne und schwamm im Nu an’s andere Ufer. Da blieb ich lachend und voll Vergnügen stehen. Zwei Pistolschüsse geschahen nach mir, doch keiner traf. Mit Wohllust sah ich mein Schlachtopfer heulend zur Erde sinken, und als ich seines Todes gewiß war, flog ich wie ein Pfeil zwischen den Bäumen fort, um meinen neuen Verfolgern zu entgehen Auch wurde ich, wie ein wildes Thier, aus allen Orten verjagt; kein Mensch wagte mich zu beherbergen. Mein Vater ward um meinetwillen verfolgt und durch Unterdrückung und Schmerz ins Grab geführt. Nirgends vermochte ich eine Freistätte zu finden, und so oft der Name Wolfangh auf offenem Platze ausgesprochen wurde, erhob sich der Schrei: faßt ihn, schlagt ihn todt! aus jeder Kehle, wie hinter einem tollen Hunde her. Sagt an, Junker, was konnte ich damals, von Geld entblößt, anfangen? Nach langem Umherschweifen habe ich hier in diesem Walde eine Zufluchtsstätte gefunden. Die Noth machte mich zum Diebe, und die Nachstellungen der Gerichtsleute, wenn schon gesetzlich, machten mich zum Mörder.«

»Ich habe gelitten und Gewissensbisse erduldet über mein verbrecherisches Leben, aber das Schicksal war stärker als mein Muth – Ihr, Junker, habt mir das Mittel gezeigt, mich zu retten. Darum empfangt nochmals meinen Dank. Nun tritt mir Helenens Bild wieder lebendig vor Augen. Ihr Gebet, so hoffe ich, wird mir Gnade finden helfen vor Gott.«

Er schwieg eine Zeit lang – und da er sah, welche Rührung seine Geschichte in Lodewyk’s Seele erweckt hatte, stand er auf und sprach:

»Nun, Junker, ich will Euch nicht länger aufhalten; sagt Godmaert, daß ich seine Bedingungen annehme und einen Späher in die Stadt schicken werde, um augenblicklich von dem Zustand der Dinge unterrichtet zu seyn. Er möge Alles überlegen, und am Tage des Aufstandes werden Wolfangh und seine Gesellen erscheinen.«

»Ehe ich Euch verlasse, Wolfanghs muß ich noch ein Wort zu Euch sprechen . . . Einer Eurer Leute äußerte vorhin das Vorhaben, die Kirchen zu plündern?«

»Das meinen sie, ja, – aber fürchtet nichts dergleichen: mein Wille ist ihnen ein eisernes Gesetz, das Keiner von ihnen zu übertreten wagt.«

»Um dieß allein wollte ich Euch bitten – ich wollte Euch überdieß die Gelegenheit andeuten, etwas zu leisten, das Euch Vergessenheit Eures sündigen Lebens verdienen helfen kann.«

»Sprecht, Junker, sprecht, ich werde gerne Euren Rath befolgen.«

»Ihr wißt vielleicht nicht, Wolfangh, daß der größte Theil deren, die sich Geusen nennen, Ketzer und Abtrünnige sind, daß sie nur den Tag des Aufstandes erwarten, um alle Zeichen unseres Glaubens zu vernichten?«

»Das weiß ich, Junker.«

»Ihr wißt es! Wohlan, so stehet mir und einigen meiner Freunde bei, um die Kirchen zu beschützen. Es wird Mühe kosten, ich sehe es voraus; doch vielleicht gelingt uns unser Bestreben.«

Aus Wolfanghs Antlitz glomm ein Ausdruck von Wohlgefühl; er faßte Lodewyk’s Hand und sprach:

»Geht hin, Junker, Ihr sollt mit Wolfangh zufrieden seyn, hoffe ich. – Lebt wohl, auf Wiedersehen!«

Ein bewaffneter Räuber wurde Lodewyk zum Begleiter gegeben. Dieser brachte ihn und sein Pferd ungehindert aus dem Walde. Dann stieg er auf und folgte dem Weg, der ihn zu der Hütte bringen sollte. Wahrscheinlich hätte er sich doch verirrt; aber der dankbare Landmann, bekümmert um seinen Wohlthäter, hatte eine große Leuchte vor seinem Fenster aufgesteckt. Dieses Wahrzeichen brachte unsern Jüngling endlich zu dem einsamen Aufenthalte. Die Thüre wurde eilig geöffnet, und fröhliches Gejauchze begrüßte ihn herzlich. Die Abendmahlzeit stand auf dem Tische bereit. Nach einigen Freudenbezeigungen über des Junkers glückliche Zurückkunft bat ihn der Landmann, am Tische sich niederzulassen. Der hungrige Lodewyk that es, und aß, zum Entzücken der Bewohner, mit mehr Lust, als wäre er in einem Palast zu Gaste geladen gewesen.

»Herr Junker l« sprach der Landmann, »es ist bald Mitternacht, und weil die Straße mit Spitzbuben bedeckt ist, bitte ich Euch, in meiner armen Herberge zu übernachten. Er zeigte ihm ein Lager, überzogen mit sauberen Tüchern Lodewyk bedachte, daß er, spät wie es war, Godmaert vor Tages doch nicht Rechenschaft von seiner Sendung ablegen könne. Deßhalb beschloß er, des Heidebewohners gutmeinendes Erbieten anzunehmen. Er wünschte allen gute Ruhe, legte sich ermüdet und zufrieden auf sein Bette, – und schlief.

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06 aralık 2019
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