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Kitabı oku: «Die Dorf-Plage», sayfa 6

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V

– Nach dem Mittagessen begab sich Jan Staers zu seinem Nachbar, um als Tagelöhner seine Arbeit anzutreten.

Pächter Torfs gab ihm einen Flegel in die Hand und führte ihn nach der Scheune, wo sie mit noch einem Tagewerker zu dritt neues Korn dreschen sollten.

Als Jan Staers in die Scheune trat, überkam ihn ein peinliches Schütteln; seine Lippen schlossen sich und es färbte sich seine Stirne mit dem Roth der Beschämung. Er hatte nämlich in dem Tagewerker einen seiner früheren Knechte erkannt, den er einst im Zustande der Trunkenheit aus seinem Dienste gejagt hatte.

– Nun lächelte ihm dieser arme Tagelöhner vertraulich entgegen, und es lag in seinen Zügen etwas, das einem schadenfrohen Spotte nicht unähnlich sah. Jan Staers fühlte plötzlich, daß ihm die Galle überlief, und noch ärger wurde es, als er aus Zerstreutheit, oder weil ihm die Arbeit ungewohnt war, nicht behende genug zuschlug oder aus dem Takte fiel, und der Andere sich über diese Ungeschicklichkeit seines einstigen Dienstherrn lustig machte. Dieser indessen erstickte mit Gewalt seinen Zorn, starrte unverrückt nach dem ausgebreiteten Stroh und schaute nicht wieder auf seinen neckischen Arbeitsgenossen.

Der alte Torfs deutete die ununterbrochene Schweigsamkeit des Jan Staers als eine natürliche Folge der Traurigkeit über die plötzliche Umwandlung seiner Lage. Den ganzen Nachmittag bot er daher Alles auf, um den Muth desselben zu heben, und so oft neue Schaufeln auf die Tenne gelegt wurden, nahm der Greis die Gelegenheit wahr, um irgend eine aufmunternde Bemerkung fallen zu lassen und die Verstimmung seines alten Nachbars zu verdrängen.

Aber Alles war vergeblich; Staers arbeitete, daß ihm der Schweiß von der Stirne rann, und bald hatte er das Geschäft besser in der Hand; aber er erwiederte nur kurz und trocken auf die Freundschaftsbezeigungen des Greises, und nur so viel es gerade bedurfte, um nicht grob oder trotzig zu scheinen.

So dauerte es bis zum Abend. Staers verabschiedete sich mit kaltem Gruße und begab sich nach seiner Wohnung. Als ihm der Tagelöhner freundlich einen guten Abend wünschte, wandte Staers den Kopf und antwortete nicht.

Den zweiten und die folgenden Tage ging es nicht besser. Im Gegentheil, da Staers nun auf dem Felde arbeitete und, zuweilen mit dem Wagen seines neuen Meisters durchs Dorf fahren mußte, wurde seinem noch immer nicht erstickten Hochmuth manche tiefe Wunde geschlagen. Die Leute schauten ihn mit einer Art Verwunderung an, die ihn reizte und vor Scham fast vergehen machte, als wäre jeder Blick, jedes Wort seiner Dorfgenossen ein höhnender Spott.

Besonders wehe that es ihm, wenn die Bauern aus Scheunen und Ställen herausliefen, um ihm nachzusehen, und über seine Demüthigung zu scherzen und zu spotten schienen.

Sein Herz blutete und wohl schlug zuweilen dieser verschlossene Gram in bitteren Ingrimm über, der ihn wieder der Verzweiflung und dem stummen Hinbrüten eines trostlosen Menschen anheimfallen ließ. Doch er hatte beschlossen, die Probe zu bestehen, und sein Wort zu halten – stand ja das Glück – seiner Tochter zu diesem Preis. Deßhalb that er seinem Hochmuth Gewalt an und unterwarf sich geduldig unter die Befehle und Anweisungen seines Dienstherrn.

Diese trübe Stimmung— ihres Vaters war der armen Clara ganz besonders schmerzlich. Alle ihre Bemühungen, ihm Muth und Hoffnung einzuflößen, blieben fruchtlos. Wenn er des Mittags zum Essen nach Hause kam, oder des Abends ermattet von der Arbeit zurückkehrte, pflegte sie ihn aufs zärtlichste, sprach die tröstlichsten, aufmunterndsten Reden und zauberte ihm fröhlichen Tones die Freuden und Genüsse einer bessern Zukunft vor die Augen. Er antwortete zwar freundlich und schien recht lebhaft die süße Hingabe seiner Tochter zu empfinden; doch eben so schnell wußte er das Gespräch wieder abzubrechen und durch unempfindliche Kälte oder Gleichgültigkeit die Jungfrau zum Schweigen zu bringen. Dann setzte er sich in eine Ecke und blieb daselbst so lange in stummes Nachdenken vertieft, bis er mit einem kurzen »Gute Nacht« in die Bodenkammer hinaufging und die Thüre hinter sich zuschloß.

Dieses sonderbare Benehmen fing an, Clara und Lukas ernstlich zu bekümmern. In ihren Augen trübte sich allmälig das geträumte Glück; und obschon sie nicht wußten, was sie eigentlich für sich zu fürchten hatten, so wurde es ihnen doch zuweilen enge ums Herz beim Gedanken an die Zukunft.

Ganz anders dachte darüber der alte Torfs. Freilich gefiel ihm die düstere Schwermuth Jan’s nicht sonderlich, doch war ihm schon dieß eine befriedigende Genugthuung, daß er sich des Trinkens enthielt und die ihm aufgetragene Arbeit pünktlich verrichtete. Mehr dürfe man im Anfang nicht verlangen und es würde mit ihm schon besser werden, je mehr er sich an seine neue Lage gewöhnt hätte. Und überdieß, wenn er seine Zeit, nämlich drei Monate, ausgedient hätte und während dieser Frist nicht wieder in sein früheres Laster zurückgesunken wäre, sollte er ja nicht mehr als Tagelöhner arbeiten, sondern als ihr Verwandter und Hausgenosse behandelt werden. Diese Verbesserung seiner Lage, die freundschaftliche Pflege seiner Familie, das Glück seines Kindes, dieses Alles werde ihn schon aus dem trübsinnigen Wesen herausreißen, von dem er jetzt niedergedrückt werde.

In dieser Weise richtete er die bekümmerten jungen Leute wieder auf. Er ließ sie begreifen, daß sich Alles noch herrlich gestalten werde, und um die Verdüsterung aus ihrem Geiste zu verbannen, ließ er wohl hie und da einen leisen Spott über ihre Befürchtungen mit unterlaufen.

Was ihm zu diesen tröstenden Aussichten Berechtigung gab, war die völlige Unterwürfigkeit Staers’ unter seine geringsten Befehle, und die Sanftmuth, womit er ihm auf seine Bemerkungen und Fragen erwiederte.

Hätte er jedoch gesehen, wie Clara’s Vater in seiner Abwesenheit zuweilen sich die Lippen verbiß, mit den Füßen stampfte und bittere Worte in den Bart brummte, dann wahrlich würde er die Besorgniß seiner Kinder getheilt haben.

Zehn Tage waren so verstrichen, ohne daß Staers einige Lust zum Genusse starker Getränke gezeigt hatte, und man glaubte bereits im Dorfe, daß er durch Willensstärke eine Leidenschaft überwunden habe, von der man sonst nur äußerst mühsam genesen kann.

Jetzt aber traten einige Vorzeichen an den Tag, die auch dem alten Torfs Sorge zu machen anfingen und einen Zweifel in ihm aufkommen ließen, ob Clara’s Vater wirklich aufrichtig und mit freier Zustimmung in die Probe eingewilligt habe.

Wenn er ihn nun von Zeit zu Zeit auf dem Felde besuchte, überraschte er ihn wohl, wie er mit verschränkten Armen müßig da stand, und die gethane Arbeit am Ende des Tages ließ ebenfalls merken, daß er mehr als eine Stunde der Ruhe gepflegt haben müsse.

Die zwei Fehler, die Torfs am meisten auf der Welt haßte und verfluchte, waren Trägheit und Trunksucht. Es schmerzte ihn also zu sehen, wie Staers, indem er sich von der letzteren – allmälig befreite, doch der ersteren sich nicht zu erwehren vermochte. Dessenungeachtet suchte er ihn auch hierin so schuldlos darzustellen, als nur immer möglich war, um so mehr, da er bemerkt hatte, daß er seit einigen Tagen bleicher und abgezehrter wurde als je.

Auch ermangelte er nicht, ihm zu sagen, daß, wenn er sich unwohl fühle, er es nur zu sagen brauche, um einige Tage zu Hause sich zu pflegen; aber Jan Staers antwortete darauf, daß er sich gesund und zu jeder Arbeit, die einem andern nicht zu schwer sei, stark genug fühle.

Am zwölften Tage – es war ein Samstag – kehrte Vater Torfs von der Stadt zurück, wohin ihn sein Grundherr hatte entbieten lassen. Anstatt den Weg durch die Tannenallee zu nehmen, war er in einen Fußweg eingelenkt, um an einem Acker vorbei zu kommen, auf welchem, wie er wußte, Jan Staers mit Düngen beschäftigt war.

Als er bei diesem angelangt, faßte er ihn zutraulich bei der Hand und sagte fröhlich zu ihm:

»Nur immer muthig darauf zu, Freund Jan; es wird schon gehen. Wollt ihr etwas hören, das euch Vergnügen macht?«

Er klopfte ihm auf die Achsel und sprach:

– »Was würdet ihr dazu sagen, wenn ich euch versicherte,, daß ihr noch eher, als ihr denkt, wieder dort im steinernen Hofe schlafen werdet?«

»Ich? Hat der neue Pächter vielleicht einen Knecht nöthig?« murmelte Staers mit erzwungenem Scherz.

– »Ihr versteht mich nicht; ich meine auf dem steinernen Hofe wohnen, wie zuvor.«

– »Aber der neue Pächter heißt doch Frans Bleugels van den Boschhoek?«

– »Ja, er hat sich wohl darum gemeldet und viel Geld dafür geboten; aber dieser Mann, leider Gottes, versteht ihr, Staers . . . « Hier machte Torfs eine Bewegung mit der Hand, die deutlich zu verstehen gab, daß der genannte Pächter gerne dem Glase zuspreche.

– »Deshalb, Nachbar Jan,« fuhr er fort, »will der Besitzer nichts von ihm wissen. Lieber will »er ein kleineres Pachtgeld daraus ziehen und dafür die Gewißheit des richtigen und regelmäßigen Einlaufens desselben, sowie einer bessern Bestellung seiner Felder haben. – Rathet nun, wer der neue Pächter ist?«

– »Was liegt mir daran?« brummte Staers. »Mir wäre es am allerliebsten, ich hörte gar nichts mehr sprechen vom steinernen Hofe, von diesem elenden Loche, in dem ich zu Grunde gerichtet worden!«

– »Nun, nun, gebt euch zufrieden, Nachbar Jan; ich bin der neue Pächter.«

– »Dachte mirs wohl, es würde so herausspringen!« rief Staers mit künstlichem Lächeln, hinter dem ein bitterer Neid versteckt lag.

– »Und zwar habe ich ihn um einen geringen Pacht erhalten,« sagte weiter der Alte. »Ich gebe wenig mehr, als was ihr jährlich dafür bezahltet. Der Hof ist eine Goldmine, Freund. Der Besitzer, der mir wohl will, weil er mich seit zwanzig Jahren kennt und recht gut weiß, daß ich sein Grundstück verbessern werde, stellt mir noch dazu seine Kasse zur Verfügung; ich soll nur Kühe und Pferde kaufen und Dienstboten halten so viel ich will. Nun heißt es tüchtig ans Werk gegangen und die Hände aus dem Aermel gesteckt! Ja, Nachbar, unsere Kinder werden sich noch sanft betten auf dieser Welt; denn wenn wir jetzt nicht Haufen Geldes gewinnen, dann müssen wir die Leiter zurückziehen und sagen: in Gottes Namen, wir waren zu dumm oder zu träge, um reich zu werden!«

Während dieser heitern Rede hielt Jan Staers die Augen unverrückt zur Erde geheftet; ja es schien, als ob ihm die Hände an der Seite zitterten.

– »Nun, was sagt ihr von dieser Neuigkeit?« fragte Torfs, dem diese frostige Gleichgültigkeit auffiel.

– »Nun, es ist recht schön; ich wünsche euch Glück dazu!« murmelte Jan Staers.

– »Seid also nur immer guten Muthes,« sagte der Alte mit erhöhter Fröhlichkeit. »Eure Prüfungszeit wird bald abgelaufen sein, und ihr zieht dann zu uns auf den steinernen Hof. Die Hochzeit unserer Kinder brauchen wir nicht lange mehr hinauszuschieben, sonst bliebe ja der kleine Pachthof unbesetzt. Zum Glück kommt der Winter, so daß in der Zwischenzeit noch die Maurer— und Zimmerarbeit am steinernen Hofe beendigt werden kann, denn der Grundherr will nichts sparen, um ihn wieder in den besten Stand zu setzen. Montag wollen wir einmal hingehen und mit einander überlegen, was wir noch vor dem Winter auf den Feldern thun können, damit wir schon nächstes Jahr auf eine ziemliche Ernte rechnen dürfen. Das Land hat lange genug brach gelegen, Freund Jan, um reichlich einzutragen. – Kommt in einer Stunde nach Hause, wir wollen Kaffee zusammen trinken und der Mutter frischgebackenen Kramik4 versuchen. Bis sogleich Freund Jan!«

Finsteren Blickes und auf seine Mistgabel gekniet, stierte Jan Staers seinem Dienstherrn nach. Der düstersten Muthlosigkeit preisgegeben, blieb er so unbeweglich stehen, bis daß einige schallende Aeußerungen der Freude in der Nähe von Torfs’ Wohnung ihn aus diesem Brüten aufweckten.

Ein Fieberfrost befiel seine Glieder; zornig warf er die Mistgabel von sich weg und mit den Geberden einer wilden Verzweiflung murmelte er bittere Fluchwörter hervor.

Bald stand er abermals in dumpfes Nachdenken vertieft da, und als ob er sich wieder gesammelt und zu vernünftiger Auffassung seiner Lage gekommen wäre, die krampfhafte Spannung seiner Glieder ließ nach und muthlosen Tones sprach er zu sich selbst:

– »Unglückseliger! es ist das Glück deines Kindes – und du zehrst dich auf vor neidischer Eifersucht! Elender! Du liegst da an dem Abgrunde der Noth, den du dir selbst gegraben, und hassest wie einen Feind den Mann, der dir die Bruderhand reicht, um dir emporzuhelfen und dich zu retten. O, der Trunk, der höllische Trunk! Er verdirbt das Herz, tödtet die Seele . . . Auch will ich ihn bezwingen, im Busen ersticken, den Hochmuthsteufel, der mich beherrscht . . . Gehe also, Pächter Staers, bedenke dich nicht, erbärmlicher Säufer, sei Knecht auf deines Vaters Hof; sei gehorsam, arbeite, schwitze, matte dich ab im Dienste der Andern, im Hause, wo du einst als Meister deine Befehle ertheiltest! Laß die Leute lachen, spotten und lustig sein über deinen tiefen Fall . . . beuge dich, krieche, trinke dich voll am Gifte der Schande, mit vollen Zügen, bis daß du erstickest!«

Er machte einige Schritte, hob die Mistgabel von der Erde auf und fing wieder an zu arbeiten; – aber es lag noch etwas Fieberhaftes in seinem Thun, und es schien, als wollte er seine Wuth an dem Miste kühlen, denn er stach gewaltig und grimmig darein, streute es regellos hin und her, und geberdete sich ganz wie ein Mann, der die Besinnung verloren.

Bald floß ihm der Schweiß von der Stirn, und er schnappte nach Luft, als wäre ihm der Athem ausgegangen, doch setzte die die Arbeit fort und schien sich durch heisere Laute, die seiner Brust entströmten, in diesem Kampfe mit sich selber anzufeuern, bis er erschöpft hinsinken würde.

Da vernahm er plötzlich die Stimme des Pächters Torfs, der ihm aus der Ferne zurief, er möchte nun kommen, den versprochenen Kaffee mit ihm zu trinken.

»Verdammt!« brüllte Jan Staers. »Vorwärts! setze dich an den Tisch; sieh, wie sie sich alle freuen und in die Hände schlagen vor Entzücken; höre zu, wie dein eigenes Kind jubelt über deine Schande. Verstelle dich, lache und sei lustig . . . denn sonst jagt man dich gar noch fort als einen Knecht, der nicht sklavisch genug seiner Herrschaft an den Augen absieht, was mit ihrer Laune übereinstimmt! Gehe, gehe, krieche; bist ja doch nur ein Ungeziefer auf der Welt!«

Und langsamen Schrittes zog er murrend in die Wohnung des Pächters Torfs.

VI

Des andern Tags gegen zwei Uhr Nachmittags stand Clara mit ihrem Gebetbuch in der Hand bereit zur Kirche zu gehen. Sie sagte noch mit liebreicher Stimme zu ihrem Vater:

»Ihr werdet wohl einen kleinen Spaziergang machen; die Sonne scheint so freundlich und es ist draußen so angenehm und frisch. Immer hier zwischen vier Wänden zu sitzen und zu trauern ist nicht recht und ungesund, Vater. Auch Pächter Torfs meint, ihr solltet ein wenig an die Luft gehen. Und thut ihrs nicht für euch selber, so thut es doch mir zu Gefallen. Es würde mir so wohl thun, zu wissen, daß ihr nicht wieder den ganzen Nachmittag auf euerm Stuhle den trüben Gedanken nachhängt, die ihr euch durchaus nicht aus dem Kopf schlagen wollt. Glaubt ihr denn, daß mir euer stetes Nachdenken nicht schwer zu Herze geht?«

– »Du willst also, daß ich wieder unter Menschen gehe, um auf ihre Neckereien und spöttischen Fragen antworten zu müssen,« murrte Staers.

– »Aber Vater,« bemerkte die Tochter, »es ist ja Sonntag und fast alle Leute des Dorfes sind jetzt in der Kirche. Uebrigens, wenn ihr wirklich Niemand begegnen wollt, so geht nur am Waldrande hin spazieren. – Doch es läutet schon, ich muß eilen.«

Sie gab ihm die Hand und ihm bittend in die Augen blickend, fragte sie: »Nun, lieber Vater, wollt ihr mir folgen und draußen ein wenig frische Luft einathmen?«

– »Nun ja. Was kann es mir schaden? Es ist mir doch Alles gleich,« antwortete barsch der Vater.

– »Und wenn ihr noch nicht zu Hause seid bei meiner Rückkehr von der Kirche, so werde ich zur Mutter Bethe gehen: sie hat mich darum ersucht. Kommt später auch dahin, Vater, ihr wißt, daß wir gegen Abend dort allzusammen Karten spielen sollen: Pächter Torfs hat es also bestimmt.«

– »Gut, gut,« brummte der Vater. »Mach nur, daß du die Kirche nicht versäumst. Es wird gleich aufhören zu läuten.«

Nach hastigem Gruße verließ das Mädchen das Zimmer.

Unverrückt blieb Jan Staers noch eine Weile sitzen; mit saurem Gesichte blickte er vor sich hin, als träte ihm ein widriges Bild vor die Seele.

»Karten spielen!« sprach er zu sich selbst. »Ja, spiele nur zu und friß dir das Herz auf, während die andern guter Dinge sind. Spazieren gehen! Nun ja, wage dich hinaus in die Luft: – Kob Pasmans wird dich fragen, wie er gestern gethan, wie viel Tagelohn dir der Schalenbeißer verabreiche. Der Besenbinder – selbst ein Bettler – wird dir mitleidsvoll ins Gesicht sagen, wie erniedrigend es sei, auf seines Vaters Hof als Knecht dienen zu müssen . . . Und der versoffene Schmied, wird mit spöttischer Handgeberde dir von ferne zurufen: »Jan, Jan, so geht’s, Junge, wenn man zu tief in’s Gläschen guckt.«

Selbst die Kinder laufen dir nach, als warst du ein seltenes Thier, und sprechen mit Verachtung vom Pächter Staers, dem Lumpen, der reich war und sich arm gesoffen hat.«

Dann schwieg er, aber nur um diesen aufstachelnden Gedanken unter noch düstereren Farben weiter nachzuhängen, bis er endlich mit höhnischem Lächeln wieder anfing: »Und morgen schon soll ich auf dem steinernen Hofe als Tagelöhner eintreten; den Maurern neue Ziegel aufs Dach legen helfen. Hoch oben, auf einer Leiter, nach der Straße zu, werde ich stehen. Oh, das ganze Dorf wird mich sehen wollen; die Väter werden mich mit den Fingern ihren Söhnen zeigen als ein schreckenerregendes Beispiel. Hundertfältig wird meine Geschichte von Mund zu Mund laufen, und während ich, sterbend vor Zorn und Schande, oben auf dem Dache wie ein Märtyrer auf der Folter stehe, wird man unten auf der Straße lachen, scherzen, spotten und ausrufen, ich hätte endlich meinen gerechten Lohn überkommen. – Erst ein halber Monat ist verstrichen und schon fühle ich, daß ich es nicht aushalten werde! Also noch volle zehn Wochen, zehn Jahrhunderte gräßlicher Leiden, höllischer Verzweiflung, breiten sich aus vor meinem Elend?«

Von krampfhaftem Nervenzucken befallen stand er auf, lief im Zimmer auf und ab und rief aus:

»Nein, das kann nicht länger dauern. Es muß ein Ende nehmen! – Clara? Mein Tod kann sie nur glücklich machen? An ihrer Heirath kann er nichts hindern. Meine Leiche wird noch nicht kalt sein, so werden Torfs’ schon von der Hochzeit sprechen. Und ich würde befreit von der entsetzlichen Schande, die auf mir lastet, gefühllos werden wie ein Stein, kein Gewissen mehr haben, das mir die Eingeweide verzehrt, kein Herz mehr, das mich beständig mein Elend empfinden macht!«

Er that einen Schritt vorwärts, setzte die Hand an das Schloß des Eßschrankes und öffnete das Thürchen. Etwas Glänzendes, wie funkelnder Stahl, blitzte ihm entgegen.

Einen Augenblick schaut er es an unter Zittern . . . aber es schlägt ihn mit Grauen und Schrecken, denn er schließt plötzlich den Schrank und springt mit dumpfem Angstschrei wieder zurück in das Zimmer.

Abermals durchschritt er das letztere in hastigen Schritten und brüllte dazu allerlei Ausrufungen ohne Sinn und Gehalt. Dann hielt er plötzlich vor dem Fenster und schaute ins Freie. Ein Lächeln eigenthümlicher Art bestrahlte sein. Gesicht und er schmachtete nach etwas, dessen Anblick ihn ausnehmend zu fesseln schien.

Gegenüber nämlich, am andern Ufer des Baches stand ein Wirthshaus, über dessen Thüre ein Aushängeschild hing. Es stellte dasselbe einen Schwan vor, dem zur Seite ein Krug schäumenden Braunbiers und eine grüne Flasche nebst mehreren kleinen Gläsern gemalt waren.

Auf diese Flasche hefteten sich nun die sehnsüchtigen Augen des unglücklichen Staers und mit innerem Erbeben sprach er:

»Branntwein! – Ach, todt sein, nicht mehr empfinden, nicht mehr leiden!,Trinken, trinken und dann niederfallen ohne Bewußtsein, ohne Seele! Das Feuer durch seinen Körper strömen fühlen, reich, glücklich, trotzig und stark sein. – Alles vergessen, Alles! Komm, komm!«

Mit fieberhafter Geschäftigkeit suchte und stöberte nun Staers in allen seinen Sachen.

»Geld?« murrte er dann.

»Ich habe keines! Der Schalenbeißer bezahlt mich ja erst des Montags; er denkt, ich möchte des Sonntags zum Trinken verleitet werden . . . Aber, ich hab doch gestern irgendwo Geld gesehen! Es muß noch vorhanden sein. Ach, ja, da in Clara’s Kiste!«

Mit diesen Worten bog er sich über die Kiste und holte daraus eine kleine Büchse hervor, aus der er die Münzen auf seine flache Hand schüttete.

– »Silber?« rief er frohlockend. »Silber! Ein,, zwei, drei Franken und einen halben; genug, genug, um zu leben, und dann zu sterben . . . «

Aber als ob ihm auf einmal aus diesen Geldstücken eine Stimme mahnend zugerufen hätte, er schaute mit Abscheu und stieren Blickes auf dieselben hin und begann so sehr zu zittern und zu schlottern, daß er, um nicht zu fallen, auf den Stuhl sich niedersinken lassen mußte.

Mit wildem Auge brummte er:

– »Geh! feiger Judas, verkaufe die Seele deines Kindes! . . . Schaudervoll, was fiel mir in den Sinn! Arme Clara, so manche Nacht hat sie im Geheimen dafür gearbeitet. Pfennigweise hat sie sich die kleine Baarschaft erspart, an dem Lohne, den ihr die Brauerin für das Nähen ihrer Hemden gegeben; in aller Stille that sie es, ohne es mir zu sagen. Aber Lukas hat sie verrathen; ein schönes Halstuch auf die Sonntage will sie mir kaufen, und freut sich jetzt schon himmlisch auf die Ueberraschung, die sie sich davon verspricht. Wie, dieses Geld, diese Ersparniß der aufopferndsten Liebe, es sollte dazu dienen, um . . . ? Nein, nimmermehr!«

Eiligst verschloß er das Geld wieder in die Kiste. Indem er dies that, trafen einige Töne sein Ohr, als ob Jemand singend seinem Hause sich näherte. Er lauschte und erkannte bald, daß es die trällernde Stimme eines Berauschten, und nicht die eines seiner Besinnung Vollkommen mächtigen Menschen sein müsse.

»Der Sandbauer!« murmelte er verdrießlich vor sich hin. »Wie glücklich er ist! Getrunken hat er, er lebt, singt, ist fröhlichen Muthes, und weiß nichts von Schimpf noch von Schande! Freilich, er hat keine Tochter; kann trinken nach Herzenslust!«

Der Gesang kam immer näher; die Thür öffnete sich und sein alter Spießgesell Klas Grils, der Sandbauer, trat lustig in die Kammer herein.

Backen und Nase waren hochroth angelaufen und die Augen drehten ihm wild in den Höhlen. Mit den Händen um sich werfend und hellauf lachend sagte er zum Gruß:

– »Seht einmal, er lebt doch noch! Ich dachte, Jan, ihr wäret in ein Maulwurfsloch verkrochen. Seit der Zeit, Junge, wo ihr euch unsichtbar gemacht, haben wir euch gar manches nasse Teufelchen in den Leib geschluckt. Denn er ist für den Augenblick ganz ausgezeichnet, der Schnaps aus dem »Weißen Kalb.« – Ich wollte eben des Wagners Sohn nach Hause führen, aber der Kerl ist in einem Geleise liegen geblieben und will nicht mehr auf die Beine. Nun, es hat jeder seinen Geschmack: ich laß ihm den seinigen.«

– « Staers schaute mit einem eigenthümlich stieren Blick auf seinen alten Trinkkameraden, der wackelnd und unter allerlei seltsamen Geberden fortfuhr:

– »Aber, Freund Jan, ihr schneidet ein Gesicht, als ob ihr Lust hättet, Menschenfleisch zu fressen. Wohin lauft ihr denn jetzt? oder macht ihr’s gar den Großen nach und trinkt behaglich euer Gläschen zu Hause? Ich will’s nunmehr auch so machen; ich habe da ein kleines grünes Fläschchen, das, wenn es voll ist, wohl einen halben Liter fassen mag . . . «

Hiermit holte er das Fläschchen aus der Tasche und babbelte: »Da versucht einmal, was das »Weiße Kalb« zu leisten im Stande ist. Aber nur ein Schlückchen sag ich euch; nicht allzuhitzig; denn er brennt, einen Todten aus dem Sarg springen zu machen.«

Er reichte die Flasche seinem Freunde, der bebend und sprachlos die Bewegungen des Gefäßes in der zitternden Hand, des Sandbauern mit dem Blicke verfolgte.

– »Nun! so nehmt! ist euch die Kehle zugewachsen?« spottete dieser. »Oder meint ihr etwa, es sei so etwas, wie die Seifensuppe aus der »Blauen Hand.««

– »Weg, weg, aus meinen Augen!« brüllte Jan Staers, obgleich er unwillkürlich nach der Flasche greifen zu wollen schien.

Ein gefahrvoller Kampf hatte sich in seinem Innern entsponnen. Eben hatte ihn die Erinnerung an die einfältige, doch innige Liebe seiner Tochter am Rande des Abgrundes zurückgehalten; nun glänzt ihm die verderbliche Flasche verführerisch lockend entgegen. Allerlei zauberische Bilder des Glückes- und Wohlbehagens umgaukelten ihn bei ihrem Anblick und sie zog ihn mit unwiderstehlicher Kraft an, wie der Magnet eine Nadel.

Möglich daß ihm das zurückstoßende Gesicht des Sandbauern, das nach der Flasche mit thierischer Lust grinste, die Kraft dazu verlieh – aber er siegte über die Verführung. Jetzt aber sagte jener, indem er die Flasche zurückzog:

– »Ah, ich weiß mir’s zu erklären; man hat darüber oft genug gemunkelt im »Weißen Kalbe«; ihr könntet die Ruthe kriegen; der Schalenbeißer jagt euch aus dem Dienste, wenn ihr noch einen einzigen Tropfen . . . «

– »Her, her damit!« heulte Jan Staers bei dieser giftigen Stichrede und haschte gierig nach der Flasche.

– »Aber halt, Bruder, holla!« schrie der Andere, indem er ihm durchs Zimmer nachlief, »nur einen Schluck, hab ich gesagt, ich kenne euch von alten Zeiten her und weiß recht gut, daß eurem Maule der Boden gebricht. Zurück damit! he, zurück!«

Jan Staers hielt die Flasche an den Mund und stieß den Sandbauer gewaltsam von sich weg.

– Ein neuer Kampf wurde noch an dieser äußersten Grenze durchgemacht, bis daß Staers endlich unter schwerem Seufzer, erschöpft auf den Stuhl niederfiel.

Der Sandbauer betrachtete nun abwechselnd die leere Flasche und seinen ermatteten Kameraden mit stummer Verwunderung.

– »Oh, geht von hinnen; Teufel, ihr habt mir die Seele gestohlen, meine Tochter ermordet!« klagte Jan Staers außer sich und von schrecklicher Reue wie zerschmettert.

– »Vortrefflich!« murrte der Sandbauer. »Was babbelt ihr mir da vor? Fortjagen wollt ihr mich? Bezahlen sollt ihr mir diesen verfluchten Streich. Am hellen Tage habt ihr mich, hier angefallen, mich wie in einer Wüste bestohlen. – Ah, es ist euch schlecht bekommen; ihr seid böse, daß ihr euch die Lippen daran verbrannt habt! . . . Ich gehe jetzt auf den Berg in den »Bunten Ochsen « und trinke dort auf eure Rechnung den halben Liter, den ihr mir schuldig seid, und wollt ihr ihn nicht bezahlen, so lade ich euch vor Gericht, so wahr ich Klas Grils heiße! Stehlen ist stehlen; und den Sus5, haben sie auf sechs Monate aufs Trockene gesetzt, weil er ein Brod von zwanzig Centen auf der Auslage eines Bäckers gefunden hatte. Das merkt euch, Bruder Jan!«

Grils wollte gehen, doch an der Thüre wandte er sich noch um und fragte:

– »Ihr werdet bezahlen, nicht wahr? Dann bleiben wir gute Freunde . . . Jan Staers, was seid ihr scheußlich anzusehen, mit euren großen glasigen Augen. Wüßte man nicht, woher das kommt, man liefe vor euch davon wie vor einem wüthenden Hund. Der Teufel, der in der Kirche auf dem Gemälde des letzten Gerichtes abgemalt ist und ihr, ihr gleicht einander wie zwei Tropfen Branntwein . . . wollte sagen, zwei Tropfen Wasser . . . Aber Jan, ich vergaß noch zu fragen: ist’s wahr, was sie im »Weißen Kalb« gesagt haben, der Schalenbeißer habe den steinernen Hof in Pacht genommen und ihr würdet bei ihm als Knecht in Dienste treten? . . . Auf eurem eigenen Grund . . . daß heißt eigen gewesenen Grund. Ja, wäre das Wörtchen gewesen nicht, was hätten wir noch für hübsche Metallscheibchen, die nunmehr verflogen sind. Also das Gleichniß des Pastors, auf das ihr immer so gewaltig losdonnertet, wenn euch der Wind von hinten kam, wäre denn doch noch zur Wahrheit geworden? Die Lehmhütte bat also am Ende den steinernen Hof wirklich aufgefressen? Ah, unser Herr Pastor ist halt doch ein gescheidter Mann: auf fünfzehn Jahre sagt er einem die Zukunft vorher. Also wirklich, ihr seid ein Knecht des Pfennigfuchsers, des knickerigen Haarspalters geworden? Ich beklag’ euch von Herzen; denn ihr mögt bei ihm tüchtig zu schwitzen bekommen . . . und euren Branntwein . . . mit dem Eimer aus dem Brunnen herausziehen!«

Jan Staers, blieb während dieser höhnischen Reden unverrückt auf seinem Stuhle sitzen; doch äußerte sich die Wirkung derselben um so heftiger in seinen Gesichtszügen. Auch konnte man bemerken, wie der genossene Branntwein ihm eine Feuergluth in den Kopf zu jagen anfing und seine Blässe war bald von einer wärmeren Färbung verdrängt.

– »Lebt wohl,« sagte nun der Sandbauer im Weggehen. »Sagt eurem Baes,6 dem Filzen, daß ich ihn vierfach verlache, und wenn er auch Pächter des steinernen Hofes geworden.«

Jan Staers sprang auf und hielt noch an der Thüre den Sandbauer zurück.

– »Wartet ein wenig «, rief er heiseren Tons, indem er sich über die Kiste vorbeugte, »ich gehe mit euch und will euch die Flasche bezahlen; aber droben im »Bunten Ochsen.«

– »Das heißt einmal vernünftig gesprochen! Ah, ihr habt Geld, wie es scheint? Und das gar in einer Kiste? Laßt sehen! – Teufel, Silberstücke gar!«

– »Kommt, kommt!«, rief Jan Staers, dem Sandbauer vorauseilend. Aber auf der Schwelle der Hausthüre schoß ihm noch ein Gedanke in die Quere, der ihn zurückhielt; vielleicht sah er das Bild seiner Tochter vor seinem verdüsterten Geiste aussteigen, wie sie ihn inständig flehte um Mitleid für sie und für ihn.

Er hielt sich zitternd am Thürpfosten, aber der Sandbauer stieß ihn auf die, Straße und schlug das Haus hinter ihm zu.

Rasch eilte Staers vorwärts, als fürchtete er von Jemand bemerkt zu werden. Doch es war einsam auf den Feldern und weit und breit war kein lebendes Wesen zu erblicken.

Der Sandbauer,trippelte ihm nach und murmelte fast außer Athem: »He, Jan; brennt es irgendwo, daß ihr so schießt? Lauft aber nur zu; komme schon nach: meine Beine sind noch gut. – Sapperment, da stolpere ich doch ein wenig! Das heißen die Leute die Vizinalwege unterhalten, . . . daß kein ehrlicher Mensch mehr nach dem »Bunten Ochsen « sich begeben kann, ohne sich den Hals zu brechen . . . Nun, es geht wieder . . . Aber haltet ein wenig, Jan; wir wollen dort am Waldsaum, bei Kobe Snoeks etwas ausruhen . . . «

4.Kuchen von feinem Roggenmehl.
5.Flämische Verkürzung von Franciscus (Fraupois)
6.Baes ist ein belgischer Ausdruck, unter dem man den Herrn des Hauses, hauptsächlich den Eigenthümer eines Wirthshauses versteht.