Kitabı oku: «Mutter Job», sayfa 2
Unterdessen hatte der Brauer in aller Eile ein paar Gläser Bier getrunken, und antwortete nun mit Ungeduld:
»Wäre ich nicht geboren, um unglücklich zu sein; ja dann sollte niemand anders die Dose kriegen; aber jetzt? Ich werde im zweiten Gang noch schlechter schießen, Ihr sollt es sehn!«
»Setze Dich doch ein Augenblickchen nieder bei uns,« sagte Mutter Job mit freundlichem Ton, »und sei doch heiter: sei versichert, es wird bald wohl besser gehen!«
»Ach, mit Deinem ewigen Gerede von »’s wird wohl besser gehn;« ich sage Dir, daß es nicht besser gehn wird, schlechter wird es gehen!«
»Nun, lieber Mann, sei doch nicht böse auf mich,« sprach Mutter Job, »wenn es nicht besser gehn will, ich kann nichts dazu thun. Es muß doch jemand den Sieg davon tragen; und auf alle Fälle, werden dabei keine Arme oder Beine gebrochen werden.«
»Ich weiß wohl, Du würdest Dir nicht viel daraus machen, und müßt ich vor Schande aus dem »goldenen Adler« weglaufen,« herrschte Baas Job ihr zu. »Rosine, sitzt Du da und grübelst und läßst den Kopf hängen?« fragte er seine Tochter. »Was soll das sauer Sehen? Herr Walter sitzt in einer schönen Gesellschaft! Hugo läuft weg und raucht Zigarren mit dem Baron, und Du kehrst unserm Gaste fast den Rücken zu. Das ist fein!«
Hugo’s Compagnon wollte einige Worte zu Rosina’s Entschuldigung sprechen, doch Baas Job schien ihn nicht zu hören; und fragte, während er den Blick auf das Kind gerichtet hielt: »
Engelbertchen ist so blaß! Warum laßt Ihr das Kind so unangeredet da sitzen? Es ist krank?«
»Ach, Du denkst immer das Schlimmste,« antwortete seine Frau. »Er hat zu viel Reisbrei gegessen, der kleine Vielfraß. Es soll wohl vorübergehn; laß Engelbertchen nur in Ruhe.«
Ohne Zweifel hätte der Brauer noch länger durch Raisonniren seinem Mißvergnügen Luft gemacht: aber jetzt rief der Gildeweibel aus der Ferne:
»Männer von der zweiten Compagnie, macht Euch bereit!«
Und Baas Job spannte in aller Eile seinen Bogen, worauf er, ohne weiter auf seine Gesellschaft Acht zu geben, zu den Scheiben lief.
Rosina begann aus einem Gefühl von Schicklichkeit mit Herrn Walter ein Gespräch über die einfachen Freuden der Bauern und die Freiheit des Landlebens; Mutter Job plauderte laut mit Pächterin Kathrine über die Kinder und über das Scharlachfieber, das im Dorfe herrschte, aber jetzt glücklicherweise abzunehmen schien. Hugo sprach noch immer über den wahrscheinlichen Marktpreis des Getreides nach der Ernte.
Nach einer geraumen Zeit entstand plötzlich ein starkes Händeklatschen bei den Scheiben und alle Dorfbewohner liefen nach dem einen Ende des Hofs in einen dichten Haufen zusammen. Aus Neugier sprangen die Frauen gleichfalls in die Höhe . . . Die Dose war gewonnen! Aber wer mochte der Glückliche sein!«
Rosina, die auf ihren Stuhl gesprungen war, und sicher besser als die Andern sah, was vorging, begann plötzlich zu rufen, indem sie all ihren Kummer vergessend, dir Hände mit kindlicher Freude zusammenschlug:
»Mutter, Mutter, ach, Vater hat gewonnen! Sieh, sieh! Der Herr Baron gibt ihm die silberne Dose!«
»Ist es wahr?« fragte die Mutter Job, indem sie ihr Söhnchen außer sich vor Freude in die Höhe hob.
»Ja wohl, höre, da rufen sie bereits: Es lebe, es lebe Baas Job!«
Und wirklich erscholl dieser Glückwunsch jetzt über dem durcheinander wogenden Haufen, in dessen Mitte der Baron den Preis dem Sieger einhändigte.
»Gott sei Dank!« jauchzte Mutter Joh. »Nun wenigstens wird er zufrieden sein.«
Rosina bemerkte in diesem Augenblick, wie Gabriel hinter der Hecke hervortrat, und den Gildebrüdern nahte. Sie sprang vom Stuhle und sprach:
»Mutter, Mutter, ich werde einmal dahin gehn; o, das muß schön sein, wie der Herr Baron zum Vater spricht und ihm allerlei freundliche Worte sagt!«
Bei diesen Worten begab sie sich vorwärts zur versammelten Menge: der Campagnon ihres Bruders stand gleichfalls auf, augenscheinlich, um sie aus Höflichkeit zu begleiten.
Das Mädchen war ihm jedoch voraus und schien, ein besonderes Ziel im Auge habend, sich hinter dem jubelnden Haufen der Dorfbewohner zu kehren; und wirklich, sie stand plötzlich vor Gabriel, mit trübem Blick ihn ansehend, während ihre süße Stimme ihn leise fragte:
»Gabriel, warum bist Du böse auf mich?«
Der Jüngling bebte erst und erbleichte vor Ueberraschung; aber bald erschien ein stilles Lächeln des Glücks aus seinen Lippen . . . Jetzt aber hatte Herr Wetter die Tochter des Brauers eingeholt, und stellte sich an ihre Seite, als wäre er ihr Geleitsmann.
Plötzlich verzog sich das Gesicht Gabriels zu einem spöttischen Lächeln, er drehte sich um mit dumpfem Murmeln und verschwand aus den Augen des verstummten Mädchens.
Zwei Thränen fielen auf Rosina’s Wangen; aber sie bezwang ihren Schmerz aus einem Gefühl von Scham und drang kühn durch die versammelten Männer, um dadurch ihre schmerzliche Aufregung zu verbergen.
Mutter Job sah endlich, wie ihr Mann, mit der silbernen Tabaksdose in der Hand, sich aus der Menge drängte und sich loszuringen suchte von den Dorfbewohnern, welche ohne Aufhören ihm Glück wünschten und »es lebe Baas Job!« schrieen. Einige riefen auch laut, daß eine halbe Tonne Bier darauf gehöre; – und man bemerkte, an der Bewegung ihrer Lippen, daß sie den kostenfreien Trunk bereits im Geist genossen.
Der Brauer sah jedoch nicht heiterer aus als vorher und fuhr jeden wie erzürnt an:
»Laßt mich in Ruhe: es ist der Mühe nicht werth; ich bin ärgerlich auf mich selbst. Die Tonne Bier werde ich den Sonntag geben. Geht weg: laßt all dies Geschrei!«
»Ich gratuliere! Ich gratuliere!« rief Mutter Job, »hab’ ich es nicht gesagt, daß es besser gehn würde? Komm, Job, und trink nun ein Gläschen mit uns auf den guten Ausgang.«
Hugo und Walter ergriffen ihre Gläser und hoben sie gleich einigen andern Freunden in die Höhe.
»Wir trinken zu Ehren von Baas Job!« rief man.
»Auf die Gesundheit von uns allen zusammen,« murmelte der Brauer.
»Nein, nein, zur Ehre des glücklichen Siegers,« rief Herr Walter.
»Ich trinke solche Gesundheit nicht,« sagte Baas Job. »Glücklich! Ach, dies nennt Ihr glücklich?«
»Was fehlt Dir denn noch dran?« fragte seine Frau verwundern »Bist Du nicht zufrieden?«
»Zufrieden?« fuhr der Brauer los. »Zufrieden? Ich schäme mich. Unter fünfzehn Schüssen nur siebenmal ins Schwarze! Hätte ich kein Unglück, so hätte ich zehnmal geschossen!«
»Ach!« sprach Mutter Job zu sich selbst. »Der Mann ist nur froh, wenn er knurren kann. Jeder hat seine Schwächen . . . «
»Komm, komm,« gebot der Brauer ungeduldig. »Laßt uns nach Hause gehn; dies Geschrei verdrießt mich. Sagt Ihr nicht lieber gleich, daß ich einen Berg von Gold gewonnen habe? Komm, sage ich, oder ich gehe allein fort!«
Die meisten Frauen waren jetzt aufgestanden, um den »goldnen Adler« zu verlassen. Mutter Job und die Ihrigen gehorchten schweigend dem Befehl des brummenden Mannes. Rosina warf noch einen traurigen Blick umher: doch erspähete sie Gabriel nicht mehr . . .
Denselben Abend wandelte ein Jüngling mit langsamen und unterbrochenen Schritten am Rande des großen Kirchwegs.
Nach Sonnenuntergang hatte sich die Luft merklich abgekühlt und aufsteigende Dunstwolken bedeckten Felder und Gebüsch mit so dichter Dunkelheit, daß man den Jüngling nur ganz in der Nähe als einen schwarzen Schatten hätte wahrnehmen können.
Am Ende des Kirchwegs wandte er sich rechts und trat in die große Allee, die bis zum Schloß des Barons führte. Große Buchenbäume vereinigten hier ihre Wipfel, um diese Promenade zu einer schattenreichen Laube zu machen, wo den Tag über Kühlung und des Abends geheimnißvolle Dunkelheit herrschte.
Der Jüngling wankte auf eine der Buchen zu; erschien auf der Rinde des Baums mit der zitternden Hand nach gewissen eingeschnittenen Zeichen zu suchen; und als er sie gefunden hatte, legte er seine brennende Stirn dagegen, als dächte er, daß diese Berührung der Erinnerungszeichen seiner Verlobung ihn von dem folternden Schmerze seiner Eifersucht erlösen könnte. Endlich seufzte er unter Thränen:
»Ach, könnte ich auch, wie sie, mein früheres Leben vergessen und die Wurzel meiner verletzten Liebe mir aus dem Busen reißen. Unsere Liebe sollte länger dauern als die Zeichen, welche hier mit der Rinde des Baumes verwachsen sind! und sie, sie richtet ihren Sinn auf einen Fremden, sie lacht ihm zu, sie sieht ihm die Worte vom Munde ab; ja wird ihn heirathen . . . vor meinen Augen, in sorgloser Freude, als ob ich gar nicht auf der Welt wäre! . . . Aber es ist nicht möglich! Rosina kann doch nicht in einem Tage grausam und mitleidslos werden. Wenn ihre Neigung für mich vermindert oder vergangen wäre, sie würde doch Mitleiden mit dem armen Gabriel haben . . . Aber wer weißt Sie denkt vielleicht, daß ich sie eben so leicht vergessen werde? Sie vergessen! – Rosina, Rosina! Was halt Du gethan!«
Da traf ein fernes Geräusch seine Ohren; er sprang weg vom Baume, bückte sich zur Erde, um so durch die Dunkelheit zu sehn und blieb zitternd stehn.
»Rosina! Walter!« seufzte er dumpf und sank tödtlich erschreckt zur Erde . . . Gleichwohl stand er wieder auf und schlich hinter den Baum, von wo er mit unsagbarer Spannung das flammende Auge auf die nahenden Personen gerichtet hielt. Bald glaubte er, von dem Unglück überzeugt zu sein, das er fürchtete: ein undeutlicher Angstschrei entwand sich seiner vom Schmerz zerrissenen Brust und er eilte wie sinnlos zwischen den Bäumen hinweg . . .
Einige Rufe der Angst oder der Ueberraschung antworteten auf seine Stimme: vier oder fünf Personen, worunter drei Männer und ein junges Mädchen kamen herzugelaufen und suchten die Stelle zu entdecken, von wo, wie es ihnen schien, jemand in Gefahr um Hilfe gerufen hätte.
»Nun, das ist seltsam! murmelte Baas Job. »Hier an diesem Baum war es, sag’ ich Euch.«
»Ich dachte« es geschähe hier ein Unglück,« seufzte Hugo in voller Aufregung. »Ich glaube« ich habe mich in meinem Leben nicht so erschrocken!«
»Komm, komm,« bemerkte Herr Walter, »es wird ein Spaßmacher gewesen sein; die Bauern auf dem Dorfe haben manchmal eine gar seine Manier, witzig zu sein.«
»Dahin ist er gelaufen!« sagte Rosina mit schmerzlichem Ton, indem sie die Richtung zeigte, welche der Jüngling bei seiner Flucht genommen hatte.
»Rosina, komm her!« rief Mutter Job beklommen.
Die Gesellschaft lauschte noch eine kurze Weile, ob sich noch ein Geräusch vernehmen ließe, dann begaben sich Alle auf das Andringen der Mutter nach Hause. Unterwegs flüsterte Rosina ihrer Mutter wehmüthig zu:
»Mutter, Mutter, es war Gabriel!«
»Ach, was sind das nun für Gedanken?« erhielt sie zur Antwort, »seit diesem Mittag träumst Du von nichts anderem als von Gabriel. Wozu sollte er denn hier in der Dunkelheit sein? Ich würde es ihm schwer vergeben, wenn er solche alberne Possen anfinge, um uns zu erschrecken.«
Rosina bog den Kopf und folgte in schweigender Trauer.
II
Die Brauerei von Baas Job war mit einem ausgedehnten Bauernhof verbunden. An der Straße, unter dem Schatten hoher Linden, stand das Wohnhaus mit seinen grün angestrichenen Fensterrahmen; dahinter erstreckten sich an der einen Seite die Stallungen mit zehn schönen Kühen und drei Pferden, so wie die große Scheune, die nun bald die neue Ernte empfangen sollte. An der andern Seite war der Hof begrenzt durch die eigentliche Brauerei mit ihren Niederlagen, wobei eine hohe Pumpe stand, um das Wasser aus dem Brunnen in die Kessel zu heben. Ein wenig weiter feldeinwärts erhob sich zwischen vielerlei blühendem Strauchwerk und herrlichem Gebüsch eine Laube, die mit den lieblichen Ranken des Geißblatts überdeckt war. – Man konnte an der Ausdehnung des Grundstücke, das hier als Blumengarten einzig zum Vergnügen und zur Erholung bestimmt war, genugsam bemerken, daß die Familie der Jobs wohlhabend war und ein sorgloses Leben genoß.
Einige Tage nach dem Preisschießen im »goldnen Adler« war Jan der Knecht aus dem Hof der Brauerei mit Pumpen beschäftigt; seine Bewegung waren zuweilen sehr langsam und manchmal unterbrach er seine Arbeit, als hätte ihn ein angreifender Gedanke entrückt. Dann blieb er sinnend stehn, das Auge auf die hölzerne Rinne gerichtet, worin das Wasser brausend floß, bis das Aufhören des Geräusches ihn aus seiner Zerstreuung weckte.
Einige Schritte weiter rollte ein alter Küper die Tonnen, welche er diesen Tag ausgebessert oder gereinigt hatte, nach dem Thor der Brauerei. – Kein anderes Wesen war aus dem breiten Hof zu bemerken.
Obwohl die letzten Strahlen der Abendsonne ihre Purpurfarben über die Gebäude warfen und lieblich zwischen dem Laub der Weinreben am Hause funkelten, so herrschte doch daselbst eine ungewohnte und trübe Stille, nur durch das scharfe Gekreisch der Pumpe und das eintönige Geräusch des Wassers unterbrochen.
Da zeigte sich die Kuhmagd Line an der Stallthür und schritt unter geheimnißvollen Gebärden nach der Pumpe; Jan hielt mit seiner Arbeit inne und sah dem Mädchen fragend entgegen, während der Küper mit eben derselben Neugier herankam.
»Der Doctor ist im Hause!« flüsterte die Magd.
»Und was sagt er?« fragte Jan.
»Ist es das Scharlachfieber?« fügte der Küper hinzu.
»Ich weiß es nicht,« antwortete Line. »Er ist in das Zimmer gegangen, wo das Kind liegt. Man hat die Thür geschlossen, der Schlüssel steckt inwendig; ich kann durchs Schloß gar nichts sehen oder hören.«
»Wenn es nun das Scharlachfieber wäre, Line? « seufzte Jan.
»Ach, Gott, unser armes Engelbertchen! Aber es wird doch nicht das Scharlachfieber sein?«
Der alte Küper brachte seine Finger an die Augen und antwortete mit einem traurigen Seufzer:
»Wer kann es wissen? – Vor acht Tagen ist das Mieken von unserer Th’res auch am Scharlachfieber gestorben. Das Kind sah mich so gerne; als es den Geist aufgab, hielt es seine brechenden Aeuglein noch auf mich gerichtet; seine Lippchen bewegten sich, und es war mir, als wollte es sagen: lieber Großvater. – Seitdem bin ich nur noch halb da, Line; wenn ich wüßte, daß ich morgen sterben müßte, ich würde ohne Verdruß mein Haupt niederlegen. – Denn wenn mir Gott gnädig wäre, könnte ich unser Mieken da oben wiedersehen!«
»Ach, Küper,« sprach Line tröstend, »Ihr müßt den Muth nicht so sinken lassen; denkt, daß wir alle einmal sterben müssen.«
»Ja, ja, Line,« sagte der Küper, »so ist es, Kind. Ich bin beinahe siebzig Jahre. Sollte ich nicht wissen, was das Wort Tod bedeutet? Ich hab’ meinen Vater und meine Mutter begraben, drei Brüder, zwei Schwestern und fünf eigene Kinder; und außerdem habe ich am Grabe von allen denen gestanden, welche lebten, als ich jung war. Aber unser Mieken, ach! die Arme! Ich ließe mir gerne den linken Arm abhauen, wenn ich sie noch beim Leben sehen könnte!« —
»Was wird Baas Johann sagen, wenn er nach Hans kommt? Er, der unser Engelbertchen so gern sieht, daß es nicht zu beschreiben ist; wenn das Kind nur einmal hustete, dann war er so verdrießlich und so böse, daß die ganze Brauerei davon verwirrt wurde.«
»Er ist nach dem Hageland, um ein Pferd zu kaufen; unser Kobe ist ihm auf Befehl unserer Baasin mit der Post nachgereist, um ihn aufzusuchen. Es wäre aber besser, er fände ihn nicht. Unsre gute Frau hat so Noth genug. Was wird Baas Job anders thun, als knurren, zanken und böse sein? Davon wird das Kind nicht gesund werden.«
»Ja, aber es ist doch der Vater; und wenn einmal etwas Schlimmes geschähe . . . wenn Engelbertchen . . . Gott, und er sollte es kalt finden, wenn er nach Hause kommt!«
»Was bleibt der Dotter lange im Hause?« sagte Line.
»Ja, ich glaub’ es wohl,« antwortete der Küper, »es ist zuerst nicht so leicht, zu sagen, ob das Kind das Scharlachfieber hat oder nicht.«
Nachdem sie noch einige Bemerkungen über die unsichere Vorzeichen dieser bösen Krankheit gewechselt hatten, sahen sie Rosina mit Thränen in den Augen in den Hof treten und liefen ihr alle drei mit theilnehmender Neugier entgegen.
»Ach, liebe Freunde, beklagt meine arme Mutter,« schrie die Jungfrau. »Es ist die Seuche.«
»Das Scharlachfieber?« fragte Line erschrocken.
»Ja, das Scharlachfieber,« wiederholte das Mädchen.
»Ach, das unschuldige Lamm!«
»Jungfer Rosina,« sagte der alte Küper, »Ihr braucht das nicht so schlimm zu nehmen. Von vieren, die die Krankheit kriegen, stirbt doch nur einer. Gott wird Euer liebes Brüderchen wohl schonen.«
»Ich danke für Eure freundlichen Worte,« erwiederte Rosina.
»Ja, Gott wird es schonen; denn, Freunde« Mutter wird es nicht sagen, daß ihr das Herz vor Schmerz vergeht; aber seid versichert, wenn unser Engelbertchen wie Euer armes Mieken sterben müßte, Mutter würde auch wohl ihr Haupt sinken lassen, und, und . . . dann würden wir Alle noch unglücklich werden . . . Und, Vater, wenn er nach Hause kommt, ach er wird rasend werden vor Verdruß,« Line und Jan konnten ihre Rührung nicht bezwingen. Der alte Küper allein hielt sich aufrecht und wiederholte mit tröstendem Tone:
»Nein« so arg wird es nicht sein; wenn man das Kind warm hält, dann wird der Doctor es wohl gesund machen.«
»Aber, was hat der Doktor gesagt?« schluchzte die Magd, »er muß doch wissen, ob es genesen wird oder nicht.«
»Der Doctor ist noch bei dem Kinde,« antwortete Rosina. »Man hat mich lassen fortgehn.«
Nach einigen Augenblicken stillen, traurigen Nachdenkens that Rosina einige Schritte, um sich zu entfernen, und sprach zu der Magd, indem sie sich langsam dem Eingang des Blumengartens näherte:
»Lina, rufe mich« wenn der Doctor fortgeht; ich muß mich in der Gartenlaube niedersetzen. Ach, mein unglückliches Brüderchen!« —
Die Sonne war untergegangen, sandte aber noch in rosigem Schimmer der Natur ihren heitern Abendgruß. Die Laube, unter deren Blättern Rosina saß und herzlich für ihr Brüderchen und ihre gute Mutter betete, schien mit Gold und Purpur übergossen: sie war umhüllt von süßen Blumendüften, die aus den umliegenden Beeten erquickend emporsteigen; die Vögel huschten noch durch die Zweige, bevor sie schlafen gingen und einige sandten die perlenden Klänge ihrer Stimme dem verbleichenden Tageslicht entgegen . . .
Rosina war endlich unversehens in ein stilles Träumen versunken; man konnte es ihr ansehn, daß ihre Gedanken sich weit von dem kranken Kinde verirrt hatten. Zuweilen schüttelte sie zweifelnd den Kopf oder ein Zittern ergriff sie oder ein stilles trauriges Lächeln bewegte ihre Lippen.
Plötzlich fuhr sie auf aus ihrer Zerstreutheit, brachte die Hand an die Stirn und flüsterte mit fast unhörbarer Stimme:
»Gabriel, Gabriel! . . . Mein armer Vater« wie wird der erschrecken! Sein Engelbertchen, das Licht seiner Augen! Ach, wäre Gabriel hier, er würde uns trösten. Wem er heiter ist, kann er so schön und innig sprechen. Und Mutter würde ihm glauben. Aber ach! er ist nach Brüssel. Warum? Die Menschen sind doch sonderbar. Gabriel war böse auf mich; er floh aus dem »goldenen Adler«, als ich ihm nahte. Des andern Tags ist er am frühen Morgen ohne mein Wissen abgereist. Was mag das bedeuten? Seine Mutter sagt, daß er wegen einer eiligen Angelegenheit von seinem Vater nach Brüssel geschickt ist; aber die Thränen standen ihr in den Augen. Sollte der Vater Unglück haben? . . . Und jener Angstschrei in der Schloßallee? War es Gabriels Stimme? Ach« ich zittere. Es ist mir, als ob uns viel Unglück bedrohte! . . . Wenn nur mein Brüderchen wieder genesen könnte! Wenn nur Gott in seiner Güte meine armen Eltern mit diesem gräßlichen Schlag verschonen wollte . . . «
Ein Geräusch von Schritten unterbrach ihre schmerzlichen Betrachtungen; sie sah im Gartenpfad Philomena, die Tochter des Bürgermeisters nahen, die geheimnißvoll mit dem Finger auf dem Mund zu ihr kam. – Rosina erschrak. Was mochte ihre Freundin ihr zu melden haben? Ein Unglück?«
Philomena sprach mit verhaltener Stimme:
»Aber, Rosina, sage, wie ist es denn mit Dir und Gabriel?«
»Ach, liebe Mena,« schluchzte Rosina, »unser Engelbertchen hat das Scharlachfieber!«
»Lina hat es mir gesagt; aber ich bin gekommen, um mit Dir von etwas anderem zu sprechen. Rosina, weißt Du, wo Gabriel ist?«
»Nach Brüssel in eiligen Angelegenheiten.«
»Du irrst Dich.«
»Seine Mutter hat es mir selbst gesagt.«
»Seine Mutter weiß es nicht und sein Vater auch nicht.«
Rosina begann zu zittern; denn jetzt dachte sie an den verhängnißvollen Angstschrei in der Schloßallee.
»Wo, wo sollte Gabriel sein?« fragte sie beklommen.
»Niemand weiß es,« war die Antwort, »als vielleicht Du allein, Rosina.«
»Ich? Ich weiß nichts. Gott, was wird uns widerfahren? Aber, liebe Mena, sag mir doch solche Dinge nicht; Du irrst Dich.«
»Horch,« ich werde Dir sagen, was ich weiß. Den Montag Morgen ging Gabriels Mutter nach oben, um ihn zu rufen, weil das Frühstück auf dem Tische stand, und er gegen seine Gewohnheit noch nicht unten war. Sie fand Gabriels Bett unangerührt und einen Brief auf dem Tisch, worin er seinen Eltern Lebewohl sagt . . . «
Ein Schrei entstieg ans Rosina’s Brust; doch faßte sie sich noch, ihr Zweifeln gab ihr Kraft, um unter Thränenströmen zu sagen:
»O, es ist nicht wahr; es kann nicht sein! Gabriel ist doch nicht von Sinnen gekommen! Welche Gründe sollte er zu seiner Flucht haben?«
»Ja, Rosina, ich weiß es nicht. Vielleicht hat die Magd vom Notar schlecht verstanden; was sie sagt, hat einen so schlechten Zusammenhang. Es wäre doch unglücklich für Dich, daß Eure Heirath so unerwartet müßte aufgelöst werden . . . Und wenn man jemand so gerne sieht, nicht wahr? – Gabriel, trotzdem, daß er ein guter Junge ist, hat immer seltsame Grillen gehabt; er ist tiefsinnig und sein Kopf steckt voll von Träumen. Aber, wäre er auch wirklich fortgelaufen, binnen wenigen Tagen wird er doch wohl von selbst wiederkehren.«
»Aber die Ursache? Der Grund?« schrie Rosina.
»Weißt Du, was die Magd denkt? Seit einigen Wochen war Gabriel immer zerstreut. Und wenn ihm sein Vater einige Sachen zu schreiben gab, saß er Stunden lang den Kopf in die Hände gestützt und grübelte und verdarb nicht selten die wichtigste Arbeit. Am Samstag ist darüber großes Gezänk bei dem Notarius gewesen; und die Magd behauptet, daß Gabriel aus Aerger und Verzweiflung davon gelaufen ist. Seine Eltern haben es der Schande wegen verschwiegen, und sagten im Dorf, daß Gabriel nach Brüssel wäre, weil sie wirklich glaubten, er wäre zu seinem Oheim gegangen. Sein Vater ist ihm schnell mit der Eisenbahn nachgefahren; er hat einen ganzen Tag in Brüssel bei all seinen Freunden und Bekannten umhergesucht. So eben ist er zurückgekommen Gabriel ist nicht zu finden; und die Magd sagt, daß der Notarius und seine Frau in ihren Thränen vergehn und sich die Haare vor Verzweiflung ausraufen . . . «
Rosina hatte ihr Gesicht mit den Händen bedeckt und ließ ihre Freundin ohne ein Zeichen von Aufmerksamkeit in ihren Erklärungen fortfahren. Allerlei schreckliche Bilder schwebten drohend vor den Augen des unglücklichen Mädchens; der nächtliche Angstschrei tönte ihr immer in den Ohren.
Da rief Lina, die Dienstmagd, von der Ferne auf dem Fußweg:
»Rosina, Jungfer Rosina, Mutter ruft Euch!«
Und als Rosina unbeweglich blieb, kam sie näher, ergriff den Arm ihrer betrübten Jungfer und nöthigte sie aufzustehen, indem sie ihr mit Freuden sagte:
»Rosina, der Doctor hat gesagt, daß Engelbertchen wieder gesund werden soll. Habt jetzt nur gute Hoffnung. Der Doctor muss es doch wohl wissen. Und wenn Engelbertchen wieder gesund ist, dann werden wir wieder froh und heiter sein. Kommt, kommt, es ist so schlimm nicht, als wir dachten!«
Und mit diesen Worten führte sie das schweigende und untröstliche Mädchen durch den Garten.
Auf dem Hof verließ Philomena ihre Freundin, indem sie sagte:
»Nun, Rosina, bis morgen früh. Halt’ Dich klug, aber sag’ nichts auch Deiner Mutter nicht; – und wenn ich was näheres über die Sache vernehmen kann, werde ich es Dir sagen.«
Rosina folgte, ohne auf diese Worte Acht zu geben der Magd geduldig bis ins Haus hinein; und eben so scheinbar gefühllos trat sie in das Zimmer ihrer Mutter, wo sie sich wie zermalmt aus einen Stuhl fallen ließ.
Die Mutter Job, die weiter hinten beim Bette ihres leidenden Kindes gesessen hatte, nahte ihrer Tochter. In der Meinung, Rosina traure so um die Krankheit ihres armen Brüderchens, faßte sie ihre Hand und sagte mit freundlichem Tone:
»Rosina weine doch nicht so; unser Engelchen wird ja wohl gesund werden. Das Scharlachfieber, siehst Du, ist wohl eine schlimme Krankheit für arme Kinder, denen es an Pflege fehlt; aber wir werden unser Engelbertchen schon gut warten, daß ihn die Luft nicht treffen soll. Sei nur guten Muthes!«
Das Mädchen antwortete nicht; die einzige Wirkung der tröstenden Worte ihrer Mutter war ein heftigeres Schluchzen.
»Denke doch etwas an Gottes Barmherzigkeit, Rosina,« fuhr Mutter Job fort. »Du mußt Vertrauen haben auf seine Güte. – Der Doctor sagt zudem, daß die Hitze gut herauskommt und daß wir nicht zu fürchten brauchen.«
»Ach! ach! meine Kehle! Trinken, trinken!« schrie das leidende Kind mit trockener, rasselnder Stimme.
Die Frau sprang zum Bett, bot dem Kleinen den erquickenden Trank und kehrte zu ihrer Tochter zurück.
Diese schlug jetzt ihre Arme um den Hals ihrer Mutter und sagte unter fortwährendem Schluchzen:
»O liebe Mutter, Gabriel ist fort . . . entflohen . . . man findet ihn nicht . . . bereits drei Tage . . . sein Vater und seine Mutter vergehn in Thränen . . . Der Hilferuf in der Schloßallee, es war seine Stimme!«
Mutter Job wich von Ueberraschung überwältigt einen Schritt zurück, sah ihre Tochter an und rief betroffen:
»Wie? Was sagst Du? Ich verstehe Dich nicht.«
»Himmel, Himmel!« schrie Rosina. »Wenn Bösewichter ihn da in der Nacht, in der Dunkelheit angegriffen hätten und . . . Ach, der arme Junge, er rief um Hilfe . . . aber es war zu spät!«
Und sie sank wieder zurück auf den Stuhl unter Gebärden äußerster Verzweiflung. Das kranke Kind gerieth jetzt in einen heftigen Husten und schien in dem nervösen Kehlkrampf ersticken zu sollen.
Mutter Job wußte einen Augenblick nicht, wem sie zu Hilfe eilen sollte, ihrer Tochter, die ohnmächtig vom Stuhl zu stürzen drohte, oder dem Kinde, das in schwerem Leiden um sich schlug und zwischen dem Husten nach Labung jammerte. Sie warf einen betenden Blick gen Himmel und lief zu ihrem Kinde, dessen Köpfchen sie in den Arm nahm und es aufrecht hielt; – ihre Augen jedoch waren nach ihrer Tochter hingekehrt.
Der Husten des Kindes ließ nach.
Da erschallte eine Frauenstimme im Hausflur. Rosina sprang auf und rief mit frohem Ton:
»Ach, Gott Dank, es ist Gabriel’s Mutter!«
Sie schritt mit ausgebreiteten Armen nach der Thür zu, und hielt sich bereit, der Eintretenden um den Hals zu fallen; doch kaum erschien Gabriels Mutter vor den Augen des Mädchens, als dieses erschrocken zurückprallte und, mit den Händen vor den Augen, auf ihren Sessel sank.
Eine ziemlich bejahrte Frau hatte die Thür des Zimmers mit Kraft ausgerissen; ihre, obschon rothgeweinten Augen, sprühten Zornfunken; sie hatte mit herben, tadelnden Blicken der bebenden Rosina ins Angesicht gesehen.
Mutter Job schien verwundert; doch faßte sie sich alsbald, schob einen Stuhl herbei und sagte:
»Setzt Euch, Frau Styns. Sollte es wahr sein, was ich vernommen habe? Ist Gabriel wirklich verschwunden? Betrübt Euch nicht so viel um eine so geringe Sache. Es ist eine Jugendgrille. Ihr wißt, daß Gabriel tugendhaft ist; er wird zurückkehren . . . «
Frau Styns hatte bebend und mit einem herben Lächeln auf den Lippen diese Worte angehört; jetzt fuhr sie plötzlich grimmig auf:
»Es ist eine Jugendgrille! Gabriel ist tugendhaft! Ihr habt den Sohn verrückt gemacht, und nun spottet Ihr noch mit seiner unglücklichen Mutter. Ja, fahrt nur fort; vollendet Euer Werk . . . «
»Ich habe Euren Sohn verrückt gemacht? Was bedeutet das?«
»Ja, Ihr seid Schuld daran, daß mein armer Gabriel aus den Irrweg gerathen ist; Ihr habt seine Güte gemißbraucht . . . Ach, am Ende werd’ ich ihn niemals wiedersehen.«
»Ich?« rief Mutter Job verwundern »Ich hab’ ihn immer gütig und liebreich behandelt, als wäre er mein eigener Sohn gewesen.«
»Ihr nicht, Eure Tochter!« antwortete Frau Styns, indem sie sich mehr nach dem weinenden Mädchen hinwendete. »Ihre Falschheit hat meinem unschuldigen Gabriel das Herz gebrochen. Ja, ja, Rosina, jammert so viel Ihr wollt, Euer leichtfertiges Betragen ist ein Schandfleck, der auf ewige Zeiten an Eurem Namen haften wird; – und heirathet nur einen andern Mann, Ihr werdet doch nicht glücklich sein!«
»Ach, ach, das bringt mir noch den Tod!« klagte Rosina.
Ein strenger und etwas zorniger Ausdruck zeigte sich auf dem Gesicht von Mutter Job; sie gedachte zu sprechen, doch Frau Styns ließ ihr keine Zeit und fuhr mit Leidenschaft fort:
»Und das ist nun die Belohnung von sechs Jahren Liebe! Er sah Euch zu gerne, der arme Schmachtende; darum mußtet Ihr ihn nicht verspotten, und vor Jedermanns Augen lächerlich machen. Nur von Euch sprach und träumte er; anstatt die Arbeit abzuschreiben, die sein Vater ihm gab, machte er alberne kindische Gedichte auf Euch . . . und Ihr beschäftigtet Euch damit, ihn zu verrathen! Ein Herr mit einem Bart, ein Complimentenmacher aus der Stadt, der gefiel Euch besser und schmeichelte mehr Eurem Hochmuth. Darum mußtet Ihr meinen Gabriel verrückt machen er und ihn durch Jammer tödten . . . «
Mutter Job legte ihre Hand auf den Mund der erzürnten Frau; und auf diese Weise ihre Rede unterbrechend, sprach sie mit stolzer Kälte:
»Ich kann Euch in diesem Tone nicht fortreden lassen; Ihr seid völlig im Irrthum. Sagt deutlicher, was Ihr meint; seid versichert, hier waltet ein trauriges Mißverständniß ob. Erklärt uns ruhig, was Ihr vermuthet . . . Du, Rosine, weine nicht so bitterlich um ungegründete Verweise. Alles wird sich von selbst aufklären . . . Nun, Frau Styns, ist der städtische Herr, von welchem Ihr sprecht, vielleicht Herr Walter?«
»Kein Wunder, daß Ihr es wißt. Es ist eine Schande! Seit einigen Monaten ist er jede Woche in Wispelbeck; er wird bei Euch bewirthet, als ob der Boden nicht gut genug für seine Füße wäre. Rosina ist stets an seiner Seite und ist so vertraulich mit ihm, daß jeder Schande! darüber ruft. Ihr denkt wohl, daß das ganze Dorf diese anwachsende Vertraulichkeit nicht tadelt, wie es sich gehört? O, es ist schrecklich, meinen armen Gabriel so grausam zu quälen!«
»Seht, Frau Styns,« sagte Mutter Job mit Güte und Trauer in der Stimme, »ich habe meinen ganzen Muth nöthig, um nicht in Thränen auszubrechen bei meinem armen Knaben, der im Fieber schmachtet und bei meiner unglücklichen Tochter, die Ihr so ungerechter Weise beschuldigt, sonst würde ich wohl über die Kinderei lachen. Walter ist der Compagnon Hugo’s; Rosina ist höflich und freundlich gegen ihn, weil wir es so wollen.«